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Fortune Files

von

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Rova 5: Verlustangst

So geschmeidig wie in der vergangenen Nacht, hatte ich mich schon ein ganzes Jahrhundert nicht mehr gefühlt, doch ich glaubte anfangs, das sei alles Lyz' positiver Einfluss auf mich gewesen. Dass einige Details in meiner Erinnerung so langsam verschwammen, war allerdings höchst ungewöhnlich.

Meine Intuition hatte mich nicht im Stich gelassen, denn auch mit Lyz stimmte etwas nicht. Ich fragte sie immerzu, was in Alucards Zimmer passiert sei, erhielt aber keine klare Antwort. Ich hasste es, einer Situation nicht Herr zu sein und verlor den angenehmen Effekt der Nacht deshalb sehr schnell wieder. Auf dem Flughafen fing Alexander dann eine sinnlose Diskussion an, die mich wirklich ärgerte und da geschah es. Lyz verschwand aus meiner Wahrnehmung.

„Wo ist sie? Alexander, es ist deine Aufgabe auf sie zu achten!“

Er sah sich ebenso geschockt um wie ich. Ich spürte, dass er sich darum bemühte, ruhig zu bleiben, doch sein Herz raste.

„Lyz? Scheiße, ich hab nicht aufgepasst, weil du mir schon wieder... egal. Sie ist bestimmt auf Toilette. Ich- ich geh nach ihr sehen, selbst wenn ich dafür Haue von fremden Frauen kassiere.“
 

Als er ohne Ergebnis zurückkam, bröckelte seine ruhige Fassade sofort. Ich sah die Verzweiflung schon in seinen Augen, da war Lyz noch keine fünf Minuten verschwunden. Auch ich litt unter dem Schock, doch noch behielt ich die Neven. Es war gerade erst passiert, weit konnte sie noch nicht gekommen sein.

„Such du die Gates 1-15 ab, ich übernehme 16-30!“,

befahl ich sofort, bevor wir getrennt lossprinteten. Nie im Leben war sie weggelaufen, nachdem sie mir letzte Nacht endlich ihre Liebe gestanden hatte. Wer war leichtsinnig oder mächtig genug, mir das Wertvollste zu nehmen, das ich besaß? Der Graf?

Mir drängte sich immer tiefer der Verdacht auf, dass ich in der vergangenen Nacht unter Hypnose gestanden haben musste. Nur Alucard war dazu fähig und er hatte auch ein Motiv. Schon als ich noch mit Elisabeth liiert war, spürte ich den Druck aus seiner Richtung, für Nachwuchs zu sorgen. Kaum etwas anderes schien ihm wichtig zu sein. Für Lyz ging es hier jedoch nicht nur um ein Kind, schließlich war sie immer noch ein Mensch. Ich, der Mann, der seine Mutter mit seiner Geburt getötet hatte, sollte nun meine Liebste an meinen Erstgeborenen verfüttern? Alucard, dieses verfluchte Aas, war der desinteressierteste und verbittertste Vampir, den die Welt je gesehen hatte, aber wenn es um seine Kinder ging, folgte er verbissen seinem Plan.

Damit kamen Wut sowie Angst auch bei mir an. Meine Atmung beschleunigte sich zusehends, ohne dass mich der Lauf durch die Gates erschöpfte. Ich musste versuchen, mich auf die Fakten zu konzentrieren. Es konnte auch ganz banal mein liebestoller Bruder Vicco gewesen sein, der fast wortwörtlich sagte, er hole sie sich in einem Moment, in dem ich nachlässig wurde. Und was war mit meiner Schwester? Was, wenn sie ihre Tochter bei sich haben wollte?

Ich traf mich wieder mit Alexander, der so wie ich, keinen Erfolg verzeichnen konnte. Ihn hielt die Panik inzwischen vollends in ihren gierigen Klauen.

„Was machen wir jetzt? ROVA!“

Ich fletschte die Zähne in seine Richtung. Mit sinnvollen Hypothesen war von ihm nicht mehr zu rechnen, also übernahm ich das Denken notgedrungen wieder allein. Gefolgsmann zu sein, war leicht. Auch ich wollte das gleiche Recht einfordern wie er und mich einfach meinem Hass hingeben, aber das durfte ich nicht. Zuerst sollte ich die unaufwendigsten Varianten abklären, bevor ich zu den schwierigen überging. Ich griff also zum Telefon.

„Wo ist sie?“,

brüllte ich ohne Erklärung, doch Vicco verstand es sofort.

„Hast du sie verloren? Wie kann man nur so unfähig sein?“

Unnötig wiederzugeben, was er danach sagte. Kein gutes Haar ließ er an mir, deshalb legte ich auf, ohne ein Wort über meinen Verdacht zu Alucards Plan. Mein Bruder wusste schon genug.

Daric konnte es nicht gewesen sein, denn er tat niemals etwas unter dem Deckmantel der Heimlichkeit, sondern suchte stets die direkte Konfrontation.

Bevor ich mich ins Flugzeug setzte, um meine Schwester aufzusuchen, war der Graf an der Reihe. Mein verwirrter Diener stand neben mir wie eine Eisstatue, wohl weil er nicht wusste, was er tun sollte. Genervt von seinem Schock, packte ich mir seinen Arm, um ihn zum Taxistand hinter mir her zu ziehen.

„Nein, sie ist hier irgendwo. Warum willst du wieder zurück?“,

sträubte er sich. Ich holte aus und gab ihm eine saftige Ohrfeige, auf welche hin er sich endlich in Bewegung setzte. Sie war laut genug, den unruhigen Geräuschpegel des quirligen Flughafens zu übertönen, was uns einige Blicke einbrachte. Es genügte ein eindringlicher Blick in die Menge und jeder tat so, als habe er nichts gehört.

„Was, wenn sie da nicht ist?“,

rief Alexander zu mir nach vorn, während ich ihn wie ein bockiges Kind hinter mir herzog. Ich blieb so abrupt stehen, dass er gegen meinen Rücken prallte, drehte mich um, packte mir sein Kinn und fauchte:

„Reiß dich verdammt nochmal zusammen! Wenn sie da nicht ist, suchen wir weiter, so lange bis wir sie haben. Ich gebe sie nicht auf, verstanden! Niemals! Ich finde sie und wenn ich die ganze Welt für sie in Brand setzen muss!“

Seine Tränen liefen mir auf die Hand, ekelhaft. Ich schüttelte sie ab. Jämmerlich, wie schnell er die Nerven verlor, doch immerhin beruhigte er sich durch meine Drohung und schwieg während der Taxifahrt. Ich erwischte einen gut motorisierten BMW, der leider von einem schläfrigen alten Zausel gesteuert wurde. Da er meine eindringlichen Hinweise, er solle sich beeilen, mit phlegmatischer Gleichgültigkeit ignorierte, bat ich ihn, an einem Waldweg anzuhalten. Ich stieg aus, riss die Fahrertür auf, packte ihn am Arm und warf ihn aus seinem eigenen Wagen.

„Partea pasagerului!“,

fauchte ich aggressiv, was hieß, er solle seinen alten Hintern auf dem Beifahrersitz platzieren.

Der BMW war kein Lamborghini und in der Kurvenlage auch nicht damit vergleichbar, aber ich holte aus dem Vehikel heraus, was der Vierzylindermotor hergab. Ich ließ ihn wahrscheinlich die höchsten Umdrehungszahlen auf dieser kurvigen Strecke zurücklegen, die je aus ihm herausgekitzelt wurden. Sicher, der Verschleiß war hoch, aber ich würde den alten Mann auch ordentlich dafür entschädigen.
 

Endlich in Törzburg angekommen, fuhr ich bis auf den Schlosshof und ließ den Wagen direkt vor der Tür stehen. Ich rannte die Stufen hinauf zu Alucard, der mich grinsend aus seinen roten Augen heraus anfunkelte. Ich konnte nicht anders, als ihn am Kragen zu packen und ihn von seinem Stuhl in den Stand zu heben. Noch immer lächelte er undeutbar und erhob dann langsam eine Hand. Vorsichtshalber ließ ich ihn wieder los und wich einen Schritt zurück.

„Glückwunsch, du wirst Vater“,

freute er sich, bevor er begann, düster zu lachen. Ich behielt meinen aufrechten Stand, doch die Verzweiflung breitete sich in mir aus wie ein bösartiges Geschwür.

„Wo habt Ihr sie versteckt? Ich muss sie sofort konvertieren! ALUCARD!“,

brüllte ich fordernd, doch nun fiel sein erheiterter Gesichtsausdruck zusammen. Er setzte sich und vermittelte ebenfalls den Eindruck einer gewissen Anspannung.

„Sie ist nicht bei dir?“

„Nein, verdammt!“,

schrie ich weiterhin und warf mir eine Hand vor die Augen, damit er nicht sah, dass sie feucht wurden. Dass Lyz nicht bei ihm war, konnte nur eines bedeuten.

„Dann war es...!“,

hauchte ich.

„SIE?“,

hörte ich ein erzürntes Grollen, das mit dem Aufbau einer furchterregenden Aura vor mir einherging, nur leider war der Zorn des Grafen vollkommen nutzlos für mich. Selbst wenn es ihn verärgerte, würde er keinen Finger für Lyz rühren.

„Hol dir meinen Nachkommen zurück!“,

befahl er düster. Ich hatte ihm bereits den Rücken zugewandt und Alexander bemerkt, der geschockt in der Tür stand, obwohl ich ihm befohlen hatte, draußen zu warten.

„Ich erfülle Eure Anweisungen nicht, Alucard! Wenn Lyz wegen Euch etwas zustößt, schwöre ich, werde ich dieses Schloss in Schutt und Asche legen, mit oder ohne Euch darin!“,

rief ich, ohne es zu wagen, ihn dabei anzusehen. Ich schubste meinen Diener vor mir her, aus dem Türrahmen heraus und knallte die Tür anschließend aggressiv hinter mir zu.
 

„Ich hab gleich gesagt, wir dürfen nicht weg vom Flughafen!“,

belehrte mich Alexander, der seinen Blick stur auf den Boden richtete wie ein trotziges Kind. Achtlos ließ ich ihn hinter mir zurück. Wenn er mitkommen wollte, dann musste er von selbst Schritthalten. Mich vor ihm zu rechtfertigen, lag mir vollkommen fern.

Überraschenderweise hatte der Fahrer des Taxis auf mich gehört, das Auto nicht anzurühren, solange ich weg war und war nicht geflüchtet. Selbstverständlich verwies ich ihn nach hinten und setzte ich mich wieder hinters Lenkrad. Offenkundig mit mir und meinen Entscheidungen unzufrieden, stieg Alexander auf der Beifahrerseite ein.
 

„Wir müssen in die USA!“,

erklärte ich ihm flüchtig, während ich den Motor aufheulen ließ und rasant vom Schlosshof über die schmale Brücke bretterte. Sofort rief ich erneut bei Vicco an, damit auch er seinen Jet zu dieser neuen Destination umleiten konnte. Die verängstigten Augen des Alten auf der Rückbank bescherten mir die einzige Erheiterung an diesem grauenerregenden Tag.

„Wir hätten auch den Jet nehmen sollen“,

klagte Alexander wenig hilfreich. Sein Gesicht versteckte er unter seinen dunklen Haaren, aber es war nicht nötig, ihn anzusehen, um von seinem Selbstmitleid zu wissen. Von ihm genervt, schnauzte ich ihn gereizt an.

„Wenn du noch eine meiner Entscheidungen anzweifelst, schmeiß ich dich aus dem Taxi!“

Endlich wirkte mal etwas. Ein, zwei Minuten war er still, strich sich dann das Haar hinters Ohr und nuschelte schon wieder so unerträglich in sich hinein, dass ich innerlich fast ausrastete.

„Ich verstehe gerade nicht so ganz, was hier los ist. Wieso hat Alucard Lyz vorhin als seinen Nachkommen bezeichnet? Erkennt er sie als Elisabeth wieder?“

Es schien den Anfang verpasst zu haben und hatte meine Drohung am Schluss deshalb nicht richtig einordnen können. Es mochte mir widerstreben, ihm alles zu erzählen und doch hielt ich es, in Anbetracht der Situation für besser, schon allein um der Dringlichkeit Ausdruck zu verleihen.

„Nein, das tut er nicht. Es geht vielmehr um die Weitergabe von Genen. Wie du weißt, gehen aus einer Verbindung zwischen unseren Völkern zumeist normale menschliche Kinder hervor. Nun, im Falle eines Mächtigen wie mir, ist das anders, denn dann verläuft eine Fortpflanzung tödlich für den Wirtskörper. Eine Konvertierung kann Lyz vermutlich vor diesem Schicksal bewahren, doch das ist graue Theorie.“

Alexanders Atmung beschleunigte sich. Seine Finger krallte er in den Stoff seiner Hosenbeine, wahrscheinlich um seine hochkochenden Emotionen im Griff zu behalten, doch sie schaukelten sich mit jedem Atemzug immer weiter nach oben, bis er mich anschrie:

„Du- du hast Lyz nur ausgenutzt, um dich mit ihr fortzupflanzen?!“

„Natürlich nicht! Alexander, beruhige dich!“,

versuchte ich auf ihn einzureden. Der Taxifahrer wurde schon wieder unruhig, doch das ignorierten wir.

„So lautet Alucards Plan. Er hat mich überlistet, ohne dass ich es bemerkt habe. Ich mache mir selbst die größten Vorwürfe. Ich… hätte nicht geglaubt, dass er so weit gehen würde, um mich in seine Linie zu zwingen“,

rechtfertigte ich mich vor ihm nun doch, da ich, warum auch immer, das Gefühl hatte, ihm das schuldig zu sein.

„Du hättest es merken müssen, Rova! Du hättest…!“,

brüllte Alexander nun anklagend, bevor er stoßartig einatmete, da er begonnen hatte zu weinen. So aufgelöst, wie er war, konnte ich kein vernünftiges Gespräch mehr mit ihm führen. Ich schwieg eine ganze Weile, bis er sich irgendwann wieder fing. Erst dann erkundigte ich mich:

„Es kann nur einen Grund dafür geben, dass dich ihre Entführung so mitnimmt. Du liebst Lyz.“

„Und wenn es so wäre?“,

antwortete er so eindeutig, dass es für mich Gewissheit war. Ich hätte ihn gern gefragt, wie lange das schon so ging. Dieser Bengel! Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

„Dann verlange ich vollen Einsatz von dir, Alexander. Es hat keinen Sinn, hierfür beim ganzen SOLV Alarm zu schlagen. Sie würden nur alles ins Chaos stürzen. Ich, mein Bruder und du sind Lyz' einzige Hoffnung. Alexander, für diesen Einsatz mögen deine Gefühle für sie nützlich sein, aber wenn er vorbei ist, MUSST du sie unter Kontrolle behalten, sonst kann ich dich nicht als meinen Diener akzeptieren, verstanden?“

Mein Vorschlag war großzügig, viel zu sehr eigentlich, aber in dieser schweren Stunde spürte ich es ganz deutlich. Dieser Junge war mir ans Herz gewachsen und es war mir lieber, sie mit ihm gemeinsam durchzustehen, anstatt allein. Bis vor kurzem war das noch anders… Schon Sari hatte einen ähnlichen Einfluss auf mich und nun setzte er ihn fort.

Alexander seufzte gequält und entgegnete dann mit beschlagener Stimme:

„Ja verstehe, alles wie immer..., Hoheit.“
 

„Wo müssen wir genau hin? Nordamerika ist jetzt nicht gerade klein“,

fragte er ein paar scharfe Kurven später, um die ich etwas gedriftet war. Er klang recht gefasst, aber eine Anklage hörte ich trotzdem aus seiner Stimme heraus.

„Kalifornien.“

„Und weiter? Wen suchen wir dort? Worauf soll ich achten? Woran erkenne ich unsere Feinde? Ein paar Infos brauche ich schon noch“,

forderte er nun schnippisch. Er stand unter demselben Druck wie ich, also sah ich ihm das nach. Verweichlichte mich Lyz etwa?

„Ich gehe davon aus, dass meine Schwester Magna sie entführt hat. Ihr Timing ist einfach miserabel…, denn von Lyz' Umstand weiß sie nichts. Auch sie will sie lebend. Nordamerika ist fest in ihrer Hand. Ihre Anhänger, die Abtrünnigen, mögen uns nicht gewogen sein, aber angreifen werden sie uns nicht, so wie wir das tun, wenn wir einen von ihnen auf unserem Boden erwischen. Du wirst sie an ihrer ungesunden Hautfarbe erkennen, denn die Abtrünnigen sind Kreaturen der Nacht, die den 'UV-Blocker' ablehnen.“

Was auch immer ihm an meiner Erklärung nicht gepasst haben mochte, schnalzte er genervt mit der Zunge. Meine Krallen blieben trotz dieser vielen Frechheiten, die er sich schon geleistet hatte, allerdings unbeeindruckt. Das war interessant.

„Ich kenne einige Unterschlupfe und weiß, wo sich Magnas Hauptquartier befindet, leider aber nicht, ob sie Lyz dorthin gebracht hat. Meine Schwester weiß genau, dass mit mir nicht zu spaßen ist. Wenn Lyz Schaden nimmt, dann zettle ich einen offenen Krieg mit ihr an. Das wird sie um jeden Preis vermeiden wollen und auf mich zukommen. Halt du Augen und Ohren nach Abtrünnigen offen, die wir verhören können! Den Rest regle ich.“

„Verstanden“,

bestätigte er mir einem zusätzlichen, überflüssigen Seufzer. Er war ein impulsiver Aktionist. Neben mir nur im Taxi zu sitzen und warten zu müssen, machte ihm schwer zu schaffen. Er hätte es mir um einiges leichter gemacht, wenn er einer dieser typischen gefühllosen Rohlinge gewesen wäre, die ich sonst mit einem Profil wie seinem sah. Allerdings bezweifelte ich, dass er dann mit mir in diesem Taxi gesessen hätte.



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