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Fortune Files

von

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Rova 4: Liebe

Am Tag darauf besuchten wir die Familiengruft. Weder Lyz noch Alexander schienen es zu ahnen und ich hatte auch nicht vor, daran etwas zu ändern, aber auch Elisabeth lag darin begraben. Saris Verlust wog ohne jeden Zweifel schwer, das Grab meiner Frau zu sehen, ergriff mich jedoch ungleich stärker. Die Trauer packte mich so intensiv, dass ich unbewusst meine Schutzbegleiter, die Krähen, zu mir rief. Viele von ihnen waren in Törzburg heimisch geworden, nachdem sie Alucard mehrmals am Tag zu sich beschwor. Kein Wunder also, dass Schloss Bran inzwischen überregional gemeinhin als die Krähenburg bekannt war, Crow Castle in Saris Worten. Sie hasste dieses Schloss ebenso sehr, wie ich es tat.

Lyz, das arme Ding, litt schwerer als ich dachte unter ihrer Schuld, den Unfall mit Sari verursacht zu haben. Als ich erkannte, wie ähnlich wir uns waren, weckte sie neue Gefühle für sich in mir. Genau das, was sie für Sari zu sein glaubte, war ich für meine Mutter, ihr unbeabsichtigter Todesengel. Wir beide trugen das Blut einer elementaren Person in unserem Leben an den Händen. Wohl weil ich diese Parallele zwischen uns erkannt hatte, fiel es mir leicht, Lyz aus ihrem dunklen Verlies namens Gewissen zu befreien.

Zurück im Schloss überstanden wir Darics Verhör nahezu problemlos. Bis auf Lyz' Versprechen, nach der Reinkarnation seiner Tochter Sari zu suchen, lief es unerwartet gut. Vielleicht war eben dies auch der entscheidende Punkt für ihn. Er wusste schließlich nicht um die Nachteile. Sein kurzer Blick auf Lyz reichte nicht aus, um das erahnen zu können.

Obgleich Lyz und Elisabeth im selben optischen Gewand auftraten, so waren sie doch grundverschieden. Einerseits stellte das einen von Lyz' Vorzügen dar, andererseits fehlte ihr noch viel, um die Würde eines Lucards ausstrahlen zu können. Ein weiter und anstrengender Weg lag vor uns, der mindestens noch einige Jahre in Anspruch nehmen würde. Erst dann war ich bereit, an eine Konvertierung zu denken.

Bekanntermaßen stellte eine Konvertierung immer auch ein Risiko dar, insbesondere wenn ich sie durchführte. Mein Blut kostete den Verwandelten den Verstand…, eine Reaktion, die nicht gerade üblich zu sein schien, sondern wohl eher als Fluch bezeichnet werden konnte. Dass diese spezielle Konvertierung aber noch deutlich gefährlicher ausfiel, weil es sich bei Lyz um Elisabeths Reinkarnation handelte, wusste dagegen kaum jemand.

Von der Konvertierung Wiedergeborener gab es nur drei mir bekannte Fälle, alle vor Alucards Wiederauferstehung datiert. Nur von einer fand ich detaillierte Aufzeichnungen, die man sorgfältig in den Gewölben einer alten, romanischen Feste versteckt hielt, vor uns, wie ich von den Mitgliedern der Vampire erfuhr, die mit mir kooperierten. Die Dokumente stammten, grob geschätzt, aus dem Zehnten oder Elften Jahrhundert.

Zur Durchführung einer Konvertierung benötige man einen der Urvampire oder einen direkten, besonders reinen Nachfahren. Bereits geringe Verunreinigungen schienen zum Verlust dieser Fähigkeit zu führen.

Meine Schlussfolgerung lautete deshalb, dass es sich bei der Person, welche die beschriebene Konvertierung durchgeführt hatte, um einen der anderen Urvampire oder einen direkten Nachfahren gehandelt haben musste. Außer den Lucards stammten alle noch lebenden Vampire von Constantin oder Natalia ab, die wahrscheinlich beide nicht mehr auf dieser Erde verweilten. Dies war ein seltener Hinweis darauf, dass sie zur Zeit der späten Romanik noch am Leben gewesen sein mussten.

Inhaltlich berichtete die Schriftrolle von einem im Körper eines Menschen wiedergeborenen Vampir namens Massimillian, der schon im Alter von zwölf Lebensjahren konvertiert wurde. Sein Wachstum stoppte abrupt, als sein Geist von der jahrhundertealten Seele des Vampirs korrumpiert wurde. Wie zu erwarten, nahm es kein gutes Ende. Meiner Ansicht nach war die Differenz zwischen den Seelen zu groß. Der nicht voll ausgebildete Verstand eines Kindes war nicht in der Lage, die Masse an vampirischer Leistungskapazität zu verarbeiten. Dies gereichte mir zu Warnung.

Mit ihren 19 Jahren war Lyz von Elisabeth, welche mit nur 35 Jahren verstarb, nicht allzu weit entfernt. Viel weniger als benannter Massimillian von seinem Wirt in jedem Fall. Das Verfahren konnte entsprechend als hoch experimentell, jedoch mitnichten als unmöglich bezeichnet werden. Meine unbelegbare Hypothese lautete: je näher sich die beiden Frauen kamen, desto größer wurden die Erfolgschancen.
 

Alucard lud Lyz am Nachmittag dieses anstrengenden Tages ein zweites Mal zu sich ein. Schon bei seiner Anweisung verhärteten sich mir die Fingernägel, was er wissen musste. Warum klang das Wort „Vatermord“ plötzlich so süß in meinen Ohren? Dieser Mann hatte mich nie geliebt. Wenn er mir das nahm, was ich liebte, dann würde ich meinen Vater ins Jenseits schicken müssen, so wie ich es dereinst mit meiner Mutter getan hatte.

Natürlich lauschte ich an seiner Tür, nachdem Lyz dahinter verschwand, doch ich hörte nichts. Alucards Aura schien freundlich gestimmt, was ebenso höchst verdächtig war. Lyz kehrte zurück, doch aufgrund einer Gedächtnismanipulation blieb offen, ob unbeschadet oder nicht. Gut, wenn er es so wollte, dann klärte ich es eben mit ihm unter vier Augen. Ungehalten stürmte ich sein Zimmer. Die schwere Holztür knallte so hart gegen die Steinwand, dass das alte Holz am Rahmen splitterte, doch der Alte blieb seelenruhig auf seinem Stuhl sitzen. Noch immer fühlte sich seine Aura anders an als sonst, lebendiger, positiver.

„WAS habt Ihr mit Lyz angestellt?“,

brüllte ich ihm gegen sein dezentes Schmunzeln.

„Du reagierst, als sei sie deine wahrhaftige Gemahlin.“

Der Graf erhob sich endlich. Ich spannte jeden Muskel an, um seine merkwürdige Aura nicht in mich eindringen zu lassen. Verdammt, ich hasste diesen Mann aus vollem Herzen, mehr als jeden anderen auf der Welt.

„Weil sie es IST. Ich will keine andere Frau mehr in meinem Leben und werde mich nie mit einer anderen als ihr fortpflanzen. Euer Einverständnis, Eure Pläne, all das ist mir vollkommen gleich!“

Warm, statt kühl, weich statt hart, angenehm und liebevoll. Was sollte diese verfluchte Aura, die er mir mein Leben lang verwehrt hatte? Er legte seine Hand, die stärker gealtert war als sein Gesicht, auf meinen Kopf und streichelte darüber, als sei ich ein kleiner Junge.

„So sei es, mein Sohn. Nimm dir dieses Weib. Mach mich stolz!“

„V-Vater?“,

stammelte ich. Hundert Jahre lang hatte ich ihn nicht so genannt. Ohne eigenem Willen fuhr ich die Krallen ein, verbeugte mich ein wenig vor ihm und verließ sein Zimmer mit einem zufriedenen Gefühl im Bauch. Brav machte ich mich wieder auf den Weg zu Lyz nach oben, doch noch auf halber Strecke, schüttelte ich mich. Was war geschehen? So angenehm war seine Gegenwart schon ein Jahrhundert lang nicht mehr und mir gegenüber sowieso nicht. Erkannte er mich endlich als vollwertigen Sohn an?

Die positiven Ereignisse rissen nicht ab. Oben angekommen, warf sich mir Lyz in die Arme wie niemals zuvor. Es war unglaublich, wie plötzlich all meine geheimsten Wünsche in Erfüllung gingen. So musste sich das Glück anfühlen. Es kam so unverhofft, war so angenehm.

Ich hatte mir zu viele Gedanken um diesen Akt gemacht, denn nun ging alles wie von selbst. Wie von Rikka empfohlen, hielt ich mich zurück, doch ich brauchte ohnehin kaum etwas zu tun, da meine Liebste den Ton angab. Kein Problem, Vater, ich würde Euch stolz machen…
 

Irgendwann in der Nacht schreckte ich in mich zusammen, mit meiner Liebsten im Arm, die noch friedlich schlief. Sie schien erschöpft zu sein, was nach dieser Aufregung wohl auch normal war. Dass ich wie durch einen Schock erwachte, dagegen nicht. Es musste einen Grund dafür geben, den ich möglicherweise nur unterbewusst wahrgenommen hatte. Ich nahm meinen Arm von meiner wunderschönen Rose, zog mir den Tagesmantel über und ging leise zur Tür. Im Vorraum saß Alexander allein in Dunkeln auf der Sitzecke am Fenster und sah in die Schwärze hinaus. So vorsichtig wie möglich schloss ich die knarzende Holztür hinter mir, entzündete eine der alten Leuchten und stellte mich neben ihn. Er blickte weiter in dieselbe Richtung, auch wenn er nun nur noch sein unebenes Spiegelbild im Kristallglas sah.

„Wieso sitzt du hier?“

Er sah nur kurz zu mir auf und sog dann Luft durch die Nase ein.

„Macht der Gewohnheit?“,

fragte ich leicht amüsiert, worauf er sofort einstieg.

„Ähm ja, Macht der Gewohnheit.“

Ich setzte mich ihm gegenüber, schlug die Beine übereinander und musterte ihn. Er hatte sich nicht einmal seinen Pyjama angezogen, ins Bett gegangen war er also nicht. Natürlich war mir vollkommen klar, dass er es nicht ausstehen konnte, wenn ich ihn auf diese Weise fixierte, also machte ich es erst recht. In dieser Nacht fühlte ich mich so gut, dass selbst er meine Laune nicht trüben konnte. Ich nutzte das, um Fragen zu klären, die mich unter normalen Umständen aufkratzten.

„Alexander, verrate mir doch mal, ob du sie beim Thema Konvertierung beeinflusst hast?“

Sein Blick schnellte überrascht zu mir. Seine Antwort kam so spontan, dass sie nicht gelogen sein konnte.

„Nein, ich war selber geschockt. Mit sowas rechnet man doch nicht bei einer, die nicht mal glauben wollte, dass es Vampire überhaupt gibt.“

„Richtig. Und was hältst du von der Idee?“

Ich wechselte die Position meiner übereinander geschlagenen Beine, weil ich wohl ähnlich nervös war wie er.

„Ich? Du willst ernsthaft meine Meinung hören?“

Nachdem ich einen Moment abgewartet hatte, antwortete er schließlich irritiert von meiner Aufforderung:

„Also gut, auch wenn… ich mich gerade total über dich wundere. Ist keine Kritik, ehrlich, eher das Gegenteil. Also wenn du mich fragst, ich finde, sie sollte noch eine Weile ein Mensch bleiben.“

„Warum?“

Er wischte sich eine Hand an seiner Brust ab und begann zu stammeln.

„Sie… isst sehr gern.“

„Sie isst sehr gern“,

wiederholte ich monoton. Seine Antwort war mehr als unerwartet, aber das behielt ich für mich.

„Ja, sie isst gern alles Mögliche und kocht auch gut. Wär doch schade, wenn sie das schon so bald nicht mehr könnte.“

„Ein Jammer“,

bestätigte ich, konfrontierte ihn dann aber mit dem, was ich dachte.

„Liegt es nicht eher daran, dass du dich dann nicht mehr von ihrem Blut ernähren kannst?“

„Rova, ich... ich schwöre, das mach ich nicht mehr“,

kam sofort von ihm. Ich wusste doch schon, dass er ihren Geschmack liebte und hatte mich sicher nicht zu ihm gesetzt, um ihn dafür zu züchtigen.

„Beruhig dich! Ich erzähle dir jetzt etwas über Elisabeth, das nicht viele wissen. Es beschäftigt mich wegen Lyz' Konvertierung.“

Seine Muskeln entspannten und sein Puls beruhigte sich. So langsam begann er wohl zu merken, dass ich nicht für eine Bestrafung bei ihm saß, sondern für genau das, was er sich immer gewünscht hatte: einen Rat.

„Elisabeth hatte eine starke Persönlichkeit. Man fürchtete und liebte sie zugleich und das machte sie zu einer perfekten Herrscherin, geeigneter noch als Alucard und das wusste sie. Kurz bevor sie starb, hatte sie sich das Ziel gesetzt, ganz an die Spitze zu gelangen, ihn vom Thron zu drängen also. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Konvertierung Elisabeths Seele in Lyz erweckt. Kannst du dir vorstellen, dass sie einer solchen Persönlichkeit gewachsen ist?“

Alexanders Pupillen weiteten sich. Wie ich es mir gedacht hatte, war sein Wissen über Elisabeth nicht sonderlich groß. Er fasste sich bestürzt an den Mund und nuschelte in seine Hand hinein:

„Dann will ich es noch weniger. Ich mag sie, wie sie ist. Sie… sie soll keine abgebrühte Lucard werden!“

„Da sind wir tatsächlich einer Meinung. Also, was schlägst du vor?“

Er war vollkommen überfordert mit der Frage, stand auf und lief im Raum auf und ab. Er wollte in meine Welt eintauchen, in der ich die unmöglichsten Entscheidungen zu treffen hatte und nun fiel ihm nichts mehr ein. Ich wartete ab, bis er sich von selbst wieder hinsetzte und mir seine Antwort präsentierte.

„Du solltest so lange wie möglich warten. Wir… Du baust sie auf, bis sie eine Persönlichkeit entwickelt, die sich mit der von Elisabeth messen kann. Aber irgendwann musst du sie konvertieren, sonst… sonst wird sie alt und schrumpelig und… Lyz muss das unbedingt wissen, damit sie gewappnet ist.“

Sein Vorschlag entsprach, bis auf ein Detail, auch meiner Vorstellung. Ich seufzte.

„Ich werde es ihr selbstverständlich nicht sagen.“

„Rova, das…“,

fing er an und zeigte mir dabei seine Eckzähne, die er sofort zuhielt. Seinen Herrn anzuknurren war ein schwerer Fauxpas, den er schon mehr als einmal begangen hatte.

„Deine Manieren lassen doch sehr zu wünschen übrig.“

„Wurde nie praktisch geprüft…“,

schimpfte er mit sich selbst in seine Hand hinein. Ich erhob mich, sah auf den sich ärgernden Alexander hinab und leitete das Ende des Gesprächs ein.

„Somit kennst du deine neue Anweisung. Führ sie bestmöglich aus, sonst bekommen wir alle ein Problem.“

Er schüttelte den Kopf, während er zu mir hinaufsah. Ziemlich frech, aber ich war zu ausgeglichen, um ihm das übel zu nehmen.

„Rova, einen Moment noch… bitte. Ich würde es gern verstehen, wenn ich darf… warum… warum wolltest du Elisabeth dann überhaupt erst zurück?“

Keine schöne Frage. Ich schnalzte mit der Zunge, als ich spürte, wie ein leichter Zorn in mir Aufstieg.

„Du willst Sari doch auch zurück, also stell nicht so dumme Fragen!“

Sein Kopf schnellte Richtung Boden, als er es begriff.

Liebe.



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