Fortune Files von Elnaro ================================================================================ Rova 2: Bruderzwist ------------------- Schloss Bran, ich konnte diesen trostlosen Ort noch nie leiden, an dem mein Bruder Vicco das Pech hatte, aufwachsen zu müssen. Ihm hatte ich es zu verdanken, dass die Familie in den Palast in Argisch, das in der Walachei lag, umgezogen war und ich in einer angenehmeren Umgebung aufwachsen konnte. Während des ersten Weltkriegs verließen wir Rumänien und den Palast zwar, doch inzwischen bewohnten Daric und seine Frau Corella ihn wieder. Mich zog es dort nicht hin. Er erinnerte mich zu sehr an meine Schwester Magna, die ich tief im Innern über alles liebte, ganz anderes als den Rest der Familie. Doch vollkommen egal, wie positiv meine Gefühle für sie gewesen sein mochten, hatte sie uns alle, vor allem aber ihre eigene Tochter Elisabeth, verraten und sich gegen die Familie gestellt. Es war ein Jammer. Unser erster Tag in „Crow Castle“, wie Sari diesen Ort früher immer scherzhaft genannt hatte, nahm seinen Lauf. Während sich mein Gefolge nach einem verstörenden ersten und hoffentlich auch letzten Aufeinandertreffen mit dem Urvampir Graf Alucard in die Stadt aufmachte, hatte ich eine Unterredung mit meinen beiden Brüdern. Daric und Vicco saßen mir gegenüber auf dem Sofa in der dritten Etage beim warmen Kachelofen, dem einzigen Raum, in dem ich die Inneneinrichtung halbwegs ertrug, wahrscheinlich weil Vicco sie zusammengestellt hatte. „Zurück zu meiner Frage von vorhin, Robert“, erneuerte Daric die zuvor schon einmal begonnene Thematik, nur ohne Lyz' und Alexanders neugierigen Ohren um uns herum. Bereits dieser kleine Satz von ihm reichte aus, um mich zu reizen, doch ich gab mein Bestes dieses Gefühl unter Verschluss zu halten und ihn kontrolliert freundlich anzulächeln, während er monoton weitersprach: „Du hast vor, dieses Mädchen zu konvertieren, wenn ich dich richtig verstehe, doch ohne unsere Zustimmung machst du dich damit de facto zum Abtrünnigen. Das kann ich leider nicht gestatten.“ Abtrünnig, das war Viccos Propagandaausdruck für Magnas Gefolge, also die Traditionalisten. Er hatte ein echtes Händchen für so etwas. Selbstverständlich schmunzelte ich, als ich dem Erstgeborenen meine süßliche Antwort gab: „Mein volles Verständnis, Daric. Eben deshalb ersuche ich um eine Erlaubnis von euch beiden.“ „Selbst in so einer schwerwiegenden Angelegenheit willst du von der Triachsial-Judikative Gebrauch machen? Vaters Vetorecht wird hinfällig, sobald du die Konvertierung durchgeführt hast. Ihm bleibt als Reaktion dann nur noch die Exekution des unrechtmäßig konvertierten Vampirs“, schlussfolgerte er fälschlicherweise und lehnte sich dabei angespannt nach vorn zu mir. Da ich die Details der Gesetze mit eigener Hand erarbeitet hatte, kannte ich sie natürlich besser als jeder andere. „Nein, Daric. Ich wäre es, den er exekutieren oder exkommunizieren müsste. Den konvertierten Vampir trifft keine Schuld.“ Sein Blick wurde starr, als wolle er mich damit verschlingen. Er hatte es nie leiden können, wenn ich ihn belehrte, war ich doch geschlagene vierhundert Jahre jünger als er. Zweifelsohne war der Erstgeborene sehr intelligent, doch hier bewegte er sich auf meinem Terrain und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Erst an dieser Stelle begann sich nun Vicco einzuschalten, der nach hinten gelehnt die Beine übereinandergeschlagen und die ganze Zeit über konzentriert zugehört hatte. „Diesen Fehler macht Vater kein zweites Mal bei einem seiner Nachkommen. Solange wir uns einig sind, ist er nur eine Spielfigur auf unserem Schachbrett. Also bleibt alles beim Alten.“ Ich nickte dem Ältesten überlegen zu, denn Viccos Rückhalt tat sehr gut. Gezweifelt hatte ich daran aber im Grunde nicht, nachdem ich sah, wie er vor meiner Lyz gebalzt hatte. Wie ein Pfau zeigte er vor ihr all seine Federn und sie reagierte auch noch darauf. Da war Vorsicht geboten. Daric behielt seinen undurchschaubaren Gesichtsausdruck bei, während er nun auf seine erste Frage zurückkam: „Wann hast du vor, sie zu konvertieren?“ Vicco verschränkte die Arme bei dieser Frage seines Bruders. Auch ihn schien die Antwort brennend zu interessieren. „Nicht so bald. Sie soll erst etwas älter werden und ihre Ausbildung abschließen“, erklärte ich, was Vicco zu einem Schmunzeln verleitete. Es war mir fast lieber, nicht zu wissen, was er dachte, doch er ließ sich noch nie davon abhalten, derlei Gedanken frei auszusprechen. „Oh, lass mich raten, liebes Brüderchen. Kann es sein, dass du wartest, bis sie zu einer Frau wird, die den Ton angibt? Ganz so wie unsere Elisabeth damals. Du warst ihr hübscher, kleiner Schatten, mit deinen süßen siebzehn Jahren. Meine Güte, war es niedlich, dich mit ihr zu sehen. Wie ein abgerichteter Leopard.“ Ich seufzte, verbot ihm aber nicht das Wort. Was er sagte, war Unsinn, aber wenn es ihm half, sollte er seiner Eifersucht ruhig Ausdruck verleihen. Es hörte ohnehin niemand zu, den es interessierte. Mit ausschweifenden Gesten fuhr er fort. „Sie wollte gar keinen sorgenden Mann wie mich. Sie brauchte viel mehr einen, den sie nach Belieben manipulieren konnte, einen wie dich. Robert, du weißt doch noch nicht einmal, wie eine Beziehung überhaupt funktioniert und willst mit einer Menschenfrau zusammenleben? Ich gehe doch recht in der Annahme, dass du nach Elisabeth keine Frau mehr hattest, in all den Jahren, Jahrzehnten sogar. Nicht einmal Sarina durfte an dich heran, wie sie es mir selbst bei ihrem letzten Besuch bei mir flüsterte. Verzeih, David. Du weißt genau, wie sie war.“ Ihr Vater nickte gefasst. Er wusste, dass Sari sich bei Gelegenheit auch mit Vicco die Zeit vertreib. Das war kein Geheimnis. Weder er noch ich unterbrachen also den Monolog. „Mein lieber kleiner Bruder, ich vertraue dir wohl so ziemlich alles an, die Finanzen der Familie, das Medikament, das mir meinen Lebensstil ermöglicht, sogar die alleinige Führung der Vampirgesellschaft würde ich dir erneut in die Hände legen, doch bei Elisabeths entzückender Reinkarnation habe ich so meine Bedenken. In der Karriere magst du ein Überflieger sein, privat bist du allerdings ein Totalausfall. Das wird sie auch noch festzustellen. Nur eine Unachtsamkeit von dir und ich schnappe sie dir weg, das verspreche ich dir.“ Mein Mundwinkel zuckte unbeabsichtigt, was verriet, dass mich seine Aussagen so langsam nicht mehr kalt ließen. Sofort als ich es bemerkte, nahm ich meine Finger von meiner Schläfe. Es war eindeutig, dass er für sich das Vorrecht sah, weil er sich für einen so hervorragenden Frauenversteher hielt. Vieles von dem, was er sich zusammenreimte, war Nonsens, doch es hatte alles einen wahren Kern. Ich wollte, dass sie reift und verstand tatsächlich rein gar nichts von Beziehungen. Immer, wenn ich auf Lyz eingegangen war, hatte ich mir versucht vorzustellen, was eine weniger perverse Version von Vicco an meiner Stelle getan hätte und ahmte es nach. Wenn meine Vorstellungskraft endete, suchte ich das Weite. Das war im Grunde kein Zustand, schon deshalb, weil ich es nie lange durchhielt. Was, wenn sie den wahren Rova nicht ertragen würde? Der Gedanke ließ mich für einen Moment die Fassung verlieren. „Hör auf damit, Vicco! Du darfst sie mir nicht wegnehmen! Sie war meine Frau, ich habe sie gefunden“, flehte ich, bemerkte plötzlich, was für ein jämmerliches Bild ich abgab und stand sofort von meinem Platz auf. „Elisabeth ist auch meine Frau gewesen und das viele Jahre länger als deine. Zudem hat Sari sie gefunden und nicht du.“ Wütend packte ich die Rücklehne des Sofas und schrie: „Aber ich habe sie fast mein ganzes Leben lang gesucht, während du dich in Bahrain mit deinen Schlampen vergnügt hast. Du bist unwürdig für sie!“ Um meiner Aussage Nachdruck zu verleihen, schmiss ich das Sofa nach hinten um. Das schwere Möbelstück polterte dumpf auf die alten Dielen, was Victor aufmerksam verfolgte. „Interessant. Mir ist schon zu Ohren gekommen, dass du deine Sexualität durch Aggression kanalisieren sollst. Oh, und du folterst auch ganz gern deine eigenen Leute oder benutzt sie, um deine neuen Medikamente und Gifte auszutesten, soweit ich weiß“, grinste er mich herausfordernd an, während er sich nach vorn zu mir lehnte. Oh Wunder, dass es ihm leichtfiel, mich zu provozieren, wo er mich doch großgezogen hatte und mich nach Magna am besten kannte. Zähnefletschend brüllte ich zurück: „Das hat nichts mit Sexualität zu tun!“ „Red dir das ruhig ein, mein Lieber“, antwortete er gelassen und unterstrich seine Aussage mit einem schelmischen Zwinkern. Ich war kurz davor, den Raum zu verlassen, als sich Daric wieder zu Wort meldete, der das Ganze wahrscheinlich ziemlich ermüdend fand. Unaufgeregt warf er an unseren Bruder gewandt ein: „Victor, du tust ja ganz so, als würdest du keine Folter nutzen, wenn deine Diener-Schnepfen aufbegehren. Darüber hinaus führe auch ich einen strengen Haushalt, also würdest du aufhören, ein Drama daraus zu machen?“ Nun lachte Vicco erheitert, lehnte sich wieder entspannt zurück und schlug erneut elegant seine Beine übereinander, während er antwortete: „Hah, von dir erwarte ich nichts anderes, David. Aber bei Robert hat das so einen Hauch von... na, Verzweiflung würde ich sagen.“ Ich schnalzte mit der Zunge, während er weitersprach. „Und nein, Folter ist nicht mein Stil. Wird eine meiner Konkubinen frech, schwängere ich sie einfach beim nächsten Blutmond, dann ist sie eine Weile mit sich beschäftigt.“ Deshalb hatte er also so viele Nachkommen. Bei diesem Gedanken wurde mir übel. Er brauchte sich gar nicht über mich zu erheben, wo er doch genauso gestört war wie ich, nur auf seine eigene widerliche Weise. Mein ältester Bruder konnte dafür ebenfalls kein Verständnis aufbringen und rügte ihn sogar. „So viele Lucard Bastarde. Es ist eine Schande, Victor. Such dir endlich eine feste Frau!“ „Ich arbeite gerade daran, mein Lieber. Ach Halt, du spielst auf deine Tochter an. Du meinst, ich hätte mich an sie binden sollen“, lächelte Vicco wehleidig, worauf sich nun auch Daric in kalter Wut vom Sofa erhob. Spätestens jetzt war die Zeit gekommen, das Weite zu suchen, denn er war kurz davor, auszubrechen. Dies aus Neugier miterleben zu wollen, wäre ein großer Fehler. Immer noch mit trockener Stimme schimpfte der Erstgeborene, die Fassung gerade noch so behaltend: „Vielleicht hättest du das, Victor. Du oder unser gestörter kleiner Bruder Robert, doch ihr vergeht lieber in süßen Erinnerungen an eine tote Frau. Erbärmlich, wie ihr in der Vergangenheit lebt und das Wohl eurer eigenen Familie aus den Augen verliert. Bevor ich aus Versehen einen von euch umbringe, gehe ich jetzt besser. Morgen komme ich zurück und beurteile das Menschenmädchen.“ Daric verließ das Schloss völlig verstimmt. Wahrscheinlich ließ er sich von einem seiner Diener abholen und direkt in unseren Palast in Argisch chauffieren, der nur etwas mehr als zwei Stunden entfernt lag. „Hast du noch Lust, dich ein wenig mit mir zu unterhalten, Brüderchen?“, fragte Vicco schelmisch und richtete seine Lockenpracht dabei, als wir beide allein waren. Ich fauchte ablehnend: „Ich habe genug von deinen Psychospielchen.“ „Tja, jeder hat so sein Hobby, deins ist es, Tote zu erwecken, meines ist die Psychologie.“ Er war als einziger sitzen geblieben und wies mich mit einer Geste an, mich wieder zu ihm zu gesellen. Es musste wichtig sein, wenn er nach diesem Streit immer noch darauf bestand, dass ich blieb. Ich packte also das Sofa mit einer Hand, das neben mir lag und stellte es wieder aufrecht. Wenn auch etwas widerwillig, ließ ich mich darauf nieder und sah genervt zu Vicco, der mit seiner Erklärung begann. „Ich wollte das Thema vor Daric nicht zu stark ausweiten, aber ist dir klar, was die Konvertierung eines Menschen für unser Volk bedeutet?“ Natürlich war mir das glasklar. Ich riskierte einen Aufstand, glaubte aber nicht, dass er besonders groß werden würde. Ich blickte meinen Bruder also gelangweilt an. „Es ist dir egal“, stellte er fest, woraufhin ich bestätigend den Kopf ein wenig anhob. „Also gut, dann treffe ich ein paar Vorbereitungen. Bei deiner monogamen Libido…“ Er ließ den Finger in meine Richtung kreisen. „… würde ich mir durch meine eigenen Gesetze auch keinen Strick drehen lassen.“ Nun erhob auch er sich und ließ mich endlich allein. Was bei mir zurückblieb, war ein überlegenes Lächeln. Selbst Vicco glaubte an das Märchen, ich sei Hundert Jahre sexuell vollkommen inaktiv gewesen. Gerade er, wo er es kaum zwei Tage ohne Frau aushielt. Ein wunderbares Gerücht war das, von mir selbst in den 40er Jahren in die Welt gesetzt, da ich Elisabeths Andenken nicht beschmutzen wollte. Pro Jahr mochten es nicht sonderlich viele Begegnungen sein, aber selbstverständlich gab es sie. Die Frauen verpflichtete ich zum Schweigen und drohte ihnen mit der schwersten aller Strafen. Ich behauptete bei jeder von ihnen, sie sei meine Einzige und wenn etwas herauskäme, dann wüsste ich genau, wen ich aus dem Verkehr ziehen müsse. Ich nutzte quasi mein eigenes Gerücht, um es aufrechtzuerhalten. Von Sari wollte ich zu Beginn gar nichts wissen, doch sie abzuwehren, grenzte an Unmöglichkeit, so offensiv wie sie vorging. Wenn ich arbeitete, krabbelte sie manchmal einfach unter meinen Schreibtisch und öffnete meine Hose. Ja, das war rücksichtsvoll von ihr, denn so gab sie mir die Möglichkeit, fast die ganze Zeit lang weiterzuarbeiten. Sie bot sich immer gern für ein schnelles Stelldichein an, ohne zu jammern, dass es zu kurz gewesen sei. Ich war nicht ganz unschuldig daran, aber schön war es auch nicht gerade, dass sie ihre Sehnsüchte nach mir an anderen Männern befriedigte. Ich hatte sie schließlich angefüttert. Natürlich verpflichtete ich auch sie zum Schweigen, auch wenn ich gegen sie, strenggenommen, rein gar nichts in der Hand hatte. Ihr Verständnis ging jedoch weit darüber hinaus, denn sie log sogar für mich. Sie hatte ja keine Ahnung, wie stark die Gerüchteküche um meine sexuelle Ausrichtung allein im letzten Jahr gebrodelt hatte, nur weil bekannt wurde, dass selbst ein so entzückendes Geschöpf wie sie an mir abprallte. Ein wunderbar folgsames Mädchen hatte Daric da großgezogen. Dafür hatte er meinen Respekt. Was nur der Ehre halber für Elisabeth begonnen hatte, brachte mich inzwischen fast auf eine Stufe mit dem entrückten Alucard, der sich für alles zu fein war. Viccos Mutter hatte ich nie kennengelernt, aber es musste für sie ein Grauen gewesen sein, den Grafen zum Gatten zu haben. Wenn mein Bruder mal einen sentimentalen Tag hatte, wünschte selbst er Alucard deshalb zum Teufel. Ich tat das täglich. Das Gespräch mit meinen Brüdern war schneller beendet als erwartet. Ich hatte also das seltene Geschenk unverplanter Zeit. Ich zog meine Schuhe aus und machte es mir auf dem Sofa bequem, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Mein Blick zur alten Kassettendecke verschwamm und zeigte mir Bilder aus meiner jüngeren Vergangenheit. Es war erst reichlich eine Woche her, dass ich auf Rikka traf, eine hübsche Hostess in der VOSS Villa, in der ich stets die Loft Suite mietete, wenn es ein interessantes Biochemiker Meeting in Leipzig gab. Sie war eine Romantikerin, die glaubte, mich heimlich geknackt zu haben. Ich erinnerte mich gut daran, wie ich zu ihr sah, kurz nachdem sie hinter mir die Suite betreten hatte. Unverblümt hatte ich ihr verkündet: „Ich bin jetzt liiert.“ „Herzlichen Glückwunsch, Herr Lucard. Sie werden sie sehr glücklich machen, da bin ich sicher“, freute sie sich unecht und verbeugte sich ein wenig. Ihr stramm zu einem Dutt gebundenes Haar bewegte sich dabei keinen Millimeter. Diese Frau war akkurat und perfekt, aber auch wenn ich gelegentlich mit ihr schlief, erhielt sie nie das Privileg mich zu Duzen. Sie war schließlich weder meine Angestellte noch meine Dienerin und nahe stand ich ihr auch nicht. Ich lockerte meine Krawatte, was sie dazu bewog zu mir zu eilen und mir zur Hand zu gehen. Zwar ließ ich sie gewähren, fragte mich im selben Moment aber, warum sie mir nicht sofort aus den Augen verschwunden war. Meine Anweisung schien nicht korrekt bei ihr angekommen zu sein. „Ich vermute, meine Aufgabe verändert sich dadurch?“ Ah, sie hatte es doch begriffen. Sie zog mir den geöffneten Schlips durch den Kragen und flüsterte: „Die Frau, mit der Sie liiert sind, … ist sie noch sehr jung?“ Ich zog angespannt Luft durch die Nase ein und nahm dadurch den teuren Duft ihres Parfüms wahr. Es ähnelte dem Geruch des seltenen Menschblutgeschmackes, das wir mit hellgelb etikettierten. Wahrscheinlich versuchte sich diese Frau mit Hilfe des Dufts zu exponieren, nicht erfolglos, denn ich war unglaublich wählerisch. Ich wusste schon, worauf sie anspielte. Frauen boten sich mir üblicherweise an, ohne dass ich auch nur einen Finger zu rühren brauchte. Es einer von ihnen recht zu machen, mich ihr vorsichtig, zärtlich oder lustvoll zu nähern, lag nicht ansatzweise in meinem Erfahrungsbereich, eher das genaue Gegenteil. „Ganz recht, ist sie“, bestätigte ich. Rikka war klug, sonst hätte ich keine Minute mit ihr verschwendet. Sie ging zum Tisch und setzte sich auf einen der Hochstühle, wohlgemerkt nicht auf das große schwarze Sofa. Freundlich lächelnd nickte sie mir zu, auf dass ich ihr folgen und ihr gegenüber Platz nehmen möge. „Eine unerfahrene Frau erwartet Führung und behutsames Vorgehen. Planen Sie mindestens eine Stunde für sie ein. Sie wird sich nicht, wie ich, selbst entkleiden. Das sollten Sie übernehmen und berühren Sie sie eine Weile zärtlich, bevor Sie ihn hineinstecken. Herr Lucard, Sie wissen sicherlich, dass sie auf mich zählen können, falls Sie eine Übung wünschen.“ Das wünschte eher sie sich, so feucht wie sie bei dem Gedanken wurde. Eine infantile Idee von ihr. Interessanterweise reagierte auch ich darauf. Die Vorstellung, meine Rose zu berühren, gefiel mir wirklich gut. Das war ein anderer Trieb als der, den ich sonst spürte. Er war weicher, vermutlich aufgrund meiner Liebe zu ihr. „Herr Lucard, darf ich Ihre Körpersignale als Antwort begreifen?“ „Wohl kaum, geh mir endlich aus den Augen, laszives Weibsstück! Als liierter Mann werde ich deine Dienste kein weiteres Mal in Anspruch nehmen“, fauchte ich, worauf sie sich sofort erschrocken erhob. „Wie Sie wünschen. Sie wissen, bei mir sind all Ihre Geheimnisse sicher. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Leipzig, Herr Lucard.“ „Es wäre auch wirklich schade um dich“, drohte ich zur Sicherheit. Sie huschte auf ihren hohen Schuhen nach draußen, während ich mit dem Kopf auf den Tisch vor mir sank. Ich musste versuchen, sicherzustellen, dass Lyz nichts von meiner Unsicherheit bemerkte. Dieser verdammte kleine Gigolo Alexander war mir meilenweit voraus, was das betraf. Mir würde nichts anderes übrigbleiben, als sie ein wenig zu hypnotisieren, damit sie zumindest in ihrer Erinnerung glaubte, ich sei besser als er. Wirklich bereit fühlte ich mich für diesen Schritt nicht, aber ich spürte wie unruhig Lyz wurde. Wenn ich weiterhin abwartete, lief ich Gefahr, sie könne es als Ablehnung begreifen. Wohl oder übel würde mich ihr demnächst stellen müssen, das wusste ich. Als ich hörte, wie die Eingangstür benutzt wurde, erkannte ich wieder die Kassettendecke über mir. Ich vernahm durch das ganze Schloss, wie ausgelassen sich Lyz mit Alexander unterhielt, also stand ich auf und ging den beiden entgegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)