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Fortune Files

von

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Rova 1: Unbehagliche Anreise

Müsste ich die letzten hundert Jahre in nur wenigen Absätzen umreißen, hörte sich das in etwa wie folgt an:

Meine Geschwister Victor-Constantin und Magret-Natalia erzogen mich zu einem unbeugsamen Entscheider, wohlwissend, dass ich nur zwei Leidenschaften im Leben besaß: die Biochemie, früher schlicht als Chemie und davor als Alchemie bezeichnet sowie meine Jugendliebe Elisabeth. Erst als auch sie mich dazu trimmte, politisch stärker in die Verantwortung zu treten, begann ich der Sache etwas abzugewinnen.

Elisabeth verkörperte unser aller Fixstern. Ihre Existenz hatte immense Auswirkungen auf das loyale Vampirvolk und ihr Verlust schwere Folgen. Schon an Elisabeths Politik zerbrach unsere Familieneinheit, doch ihr Tod ließ sie bersten.

Meine beiden Bezugspersonen Magna und Vicco ließen mich nach diesem schweren Schicksalsschlag allein zurück mit unserem in Hoffnungslosigkeit ertrinkenden Erzeuger, der sich nun Graf Alucard nannte und unserem ältesten Bruder Daric, dessen Integrität ihm gegenüber nicht zuließ, das Zepter zu ergreifen. Regierungslos drohten uns Hyperinflation, Weltwirtschaftskrise und nicht zuletzt ein Krieg mit Magnas Anhängern, zu verschlingen. Das alles gipfelte in Alucards innerer Kapitulation und, pünktlich zum sich anbahnenden zweiten Weltkrieg, in seiner Flucht in sein persönliches Sanctum, Schloss Bran im rumänischen Törzburg.

Mehr als zehn Jahre lang, bis zu Viccos Rückkehr Ende der 1940er Jahre und einer Neustrukturierung der Machtverhältnisse, mimte ich Alucards Sprachrohr, hatte in Wahrheit aber die alleinige Macht inne. Gegen abtrünnige Vampire griff ich so hart durch, dass Magna mit ihnen nach Nordamerika flüchtete. Elisabeths Vision blieb mein Kurs und, zu meinem großen Bedauern, unser beider Forschung bis etwa 1960 auf der Strecke.

Es war der Erstgeborene, Daric, der mich mit einer ganz nebenläufigen Bemerkung auf die Überlieferungen zur Wiedergeburt aufmerksam machte. Ich war noch jung und kannte nur wenige Geheimnisse der Vampire, werde sie wohl auch niemals kennen, doch er hatte schon viele Jahrhunderte gelebt und schöpfte sein Wissen aus seiner scharfen Beobachtungsgabe. Er WUSSTE, dass Reinkarnationen real waren, da er sein Herz jedoch niemals an eine andere weltliche Person als Alucard gehangen hatte, bedeutete ihm das nichts. Sari änderte seine Sicht der Dinge diesbezüglich ein Jahrhundert später.
 

Aber das nur am Rande und weiter mit der jüngeren Geschichte.

Aus der anfangs noch vorrangig lokalen Beschaffung und Verteilung unseres Blutproduktes durch das Lucard Familienunternehmen, hatte sich der international tätige SOLV entwickelt. In meiner wieder aufgenommenen Tätigkeit als Forscher, entdeckte ich ein nützliches Enzym, welches ich zu einem Medikament namens "UV-Blocker“ weiterentwickelte und ebenfalls ins Portfolio des SOLV aufnahm. Da ich meine Entdeckung, nicht etwa zu verwechseln mit der Haltbarmachung des fragilen Enzyms, mit der Welt teilte, erlangte ich eine Bekanntheit über die Grenzen der Vampirgesellschaft hinaus und machte den SOLV zu einem milliardenschweren Konzern. Politik und Geschäft begannen sich miteinander zu vermischen.

Ich, Robert-Valentin und meine älteren Brüder Victor-Constantin und David-Richard hatten uns inzwischen über eine neue Form der politischen Abstimmung, der sogenannten “Triachsial Judikative“ geeinigt. Sie lieferte uns ein Verfahren, um auch ohne der ausdrücklichen Zustimmung Alucards handlungsfähig zu sein.

Natürlich blieb meine Liebe zur Forschung ungleich größer als die zu Regierungsgeschäften und meinen Brüdern ging es ähnlich, nur eben mit ihren persönlichen Vorlieben. Veraltete Gesetze schleppten wir von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mit uns herum, was in vereinzelten Unruhen rebellierender Vampire Ausdruck fand. Für uns gestaltete es sich jedoch leichter, diese gewaltsam niederzuschlagen, als die Vampirverfassung zu erneuern. Ich lehnte eine Änderung an unseren Gesetzen aus nostalgischen Gründen ohnehin ab, da sie Elisabeths Erbe wahrten. Obendrein ging Daric in seiner Rolle als unser Vollstrecker vollständig auf. Vicco stand in Folge allein mit seiner Forderung nach Reformation, konnte also rein gar nichts gegen uns ausrichten.

Die Führung der loyalen Vampire mochten wir gemeinsam übernommen haben, doch stahlen sich meine Brüder stets aus der Verantwortung, wenn es um die Geschicke des SOLV ging. Auch für einen Vampir hat der Tag nur 24 Stunden, also schlief ich jahrzehntelang nur vier bis fünf davon und glich die Erschöpfung durch einen immensen Blutkonsum aus.

Besonders kräftezehrend fand ich den von mir zu erfüllenden Aufgabenbereich in unserem Großkonzern. Er befasste sich nicht etwa mit der Koordination von Kauf und Verkauf, Beschaffung von Rohstoffen et cetera, sondern der Personalführung. Unter den egoistischsten Wesen der Erde, den Vampiren, gutes Personal zu finden, grenzte an Unmöglichkeit. Hatte ich einen halbwegs geeigneten Geschäftsmann gefunden, machte ich ihn sofort zum Filialleiter einer unserer vielen Niederlassungen, was bedeutete, dass ich mich meist mit unqualifizierten Idioten herumschlug, die ich versuchte, zu… qualifizierten Idioten zu machen.
 

Meine Leute wurden klipp und klar von mir angewiesen, mich drei Tage lang nicht zu stören, denn ich hatte es gewagt, nach Jahrzehnten der Arbeitstätigkeit, ein einziges Mal Urlaub zu nehmen. Der Grund, den ich diesen Nichtsnutzen allerdings nicht mitteilte, war Lyz' Wunsch Saris letzte Ruhestätte zu besuchen, ihre erste Bitte an mich, die ich ihr unmöglich abschlagen konnte, egal wie unangenehm mir das Ganze war.
 

Kaum betrat ich mit ihr und meinem Diener-wider-Willen den Flughafen, überkam einen meiner Angestellten die hervorragende Idee, mich in meiner raren Freizeit mit dem Geschäft zu quälen. Die Kommunikation im Hause war definitiv verbesserungswürdig.

Schon als mein Telefon klingelte, stöhnte ich verärgert auf. Ich ließ Lyz und Alexander am Schalter stehen und entfernte mich ein wenig, vordergründig damit meine Rose nicht mithören konnte.

„…Herr Lucard“,

piepste es schüchtern am anderen Ende der Leitung. Ich kräuselte die Lippen und legte direkt wieder auf. Diese dumme Gans lernte es wohl nie. Es klingelte erneut, doch diesmal meldete sich die Stimme zögerlich mit:

„…R-Rova…“

Angeline, 42 Jahre alt, brünett, sehr hörig…, war beim SOLV erst kürzlich auf eine leitende Position im Vertrieb gerückt, in der sie die Befugnis erhielt, mich anrufen zu dürfen.

„Das Einkaufszentrum LOOM hat den Besitzer gewechselt und DER will jetzt den Geschäftsführer des SOLV sprechen, bevor die Verträge übernommen werden.“

Und wieder legte ich auf. Sie war eine Fehlbesetzung, obwohl sie so vielversprechend gewirkt hatte. Ich lag zu oft falsch in letzter Zeit. Immerhin war sie hartnäckig, denn sie versuchte es ein drittes Mal.

„Steck Mark in einen teuren Anzug und stell ihn als CEO vor, oder lös es anders, ist mir gleich, aber halte mich aus derart stupiden Fragen des operativen Geschäfts heraus!“,

schimpfte ich in den Hörer. Erst war sie ruhig, bestätigte dann aber mit einem dünnen:

„V-verstanden, Hoheit“

Ich stöhnte genervt auf.

„Das war kein hoheitlicher Befehl, sondern eine banale Anweisung. Regle das ohne mich, Angeline! Ich will die nächsten drei Tage nicht gestört werden.“

Ich legte ein letztes Mal auf und atmete tief durch, damit ich meine miese Laune nicht versehentlich an meiner zarten Lyz ausließ. Erst als ich mich wieder beruhigt hatte, ging ich zurück zu ihr.
 

Alexander, dieser kleine Quälgeist, beäugte mich skeptisch und stellte eine Frage, die mich gleich wieder auf 180 brachte. Sonst erahnte er meine Wünsche und Ziele viel zu gut, doch nun sprach er ohne Vorwarnung meinen Privatjet an. War er nicht viel zu clever, um nicht zu durchschauen, dass ich meinen wahren Reichtum vor Lyz zu verbergen suchte? Versuchte er mich vor ihr als abgehobenen Snob zu inszenieren? Durchtrieben bis zum Schluss.

Er kannte meine Rose deutlich besser als ich und genoss ein größeres Vertrauen, das war kaum zu übersehen. Ich hatte ihn von Beginn an unterschätzt. Wer hätte auch ahnen können, dass sich ein einfacher Diener wie er mein geliebtes Herz zu eigen machen würde, noch bevor ich diesen Schritt bereit war zu tun. Ich verurteilte mich noch immer zutiefst für das Missgeschick, Lyz an jenem Tag auf dem Gehweg gebissen zu haben. Das war ein schwerer Verrat an Elisabeths Erbe, einfach unverzeihlich und ganz allein Alexanders Schuld. Was fiel ihm ein, mich so gehörig zu reizen, dass ich vollkommen die Beherrschung über mich verlor? Wochenlang konnte ich ihre Nähe kaum ertragen, weil mich der Geschmack ihres Blutes und der unbändige Drang, mehr davon zu bekommen, völlig verrückt machte. Blut von Lebenden zu trinken, war nicht ohne Grund untersagt. Ein Trieb, der den edelsten Geist in die Knie zwang, war der Tod des Verstandes und jeder Anmut. Elisabeth hatte vollkommen recht, was das betraf.

Zugegeben hielt ich diesen Diener aus Soria zu Anfang für einen Glücksgriff, doch nachdem ich sein wahres Alter kannte, wunderte ich mich nicht mehr, warum er mich derart auf die Palme brachte. Heißblütige Jungspunde trieben mich schon zur Verzweiflung, als ich selbst noch keine Zwanzig war. Ich verstand sie einfach nicht. Sie waren idealistisch, wollten planlos mit dem Kopf durch die Wand und liefen lächelnd ihrem Scheitern entgegen. Unwissenheit schien ein Segen zu sein, tja und glücklich zu machen, beneidenswert. Ganz so unwissend war er allerdings gar nicht mehr.

Niemand, der einmal eine Vollmondnacht mit mir verbracht hatte, trat mir danach freiwillig wieder unter die Augen, vor allem die Frauen nicht. Dazu kam noch der Tötungsversuch durch mein Gift, das aus chemischen Nahrungsergänzungsmitteln für Menschen bestand, Vampirzellen allerdings schädigte. Ich hatte es entdeckt, nachdem viele Vampire nach dem Verzehr unseres Blutproduktes, etwa zur Jahrtausendwende, reihenweise krank wurden. Wir filterten es inzwischen heraus. Die Idee, es zu einem Gift weiterzuverarbeiten, kam mir allerdings erst kürzlich. Alexander hatte mich in der Forschung an dieser Tinktur ein ganzes Stück vorangebracht und auch die Wirksamkeit meines Antidots bewiesen.

Leider hatte er durch Lyz' Eingreifen durchschaut, dass sie ihm Immunität verlieh und nun tanzte er mir auf der Nase herum.
 

Nichts von meinen verdrießlichen Gedanken ahnend, stand meine Liebste im Flugzeug in einem für sie typisch eleganten Schwung auf und machte den Mittelplatz zwischen mir und Alexander frei. Seit vollen zwei Monaten schon mied ich es, allein mit ihm zu sein, um sein selbstgefälliges Gesicht nicht ertragen zu müssen.

„Es gibt da so'n paar Sachen, die ich immer noch nicht verstanden habe“,

sprach er mich mit einem leidvollen Ausdruck in den Augen an. Schön, dass er auch das beherrschte. Weiter so, Bursche!

„Die wären?“,

forderte ich ihn gefasst auf.

„Puh, gut. Das fällt mir jetzt nicht ganz leicht, weißt du. Also, … dieses Vampirgift, das an deinen Händen war...“,

begann er, doch schon jetzt unterhielt er mich so gut, dass ich ihn unterbrechen musste.

„An meinen Händen? Findest du nicht, dass es selbst für mich überzogene Härte wäre, dich für ein paar kopflos ausgesprochene Worte zu töten? Nicht ich war der Überträger.“

Es war wirklich erheiternd, ihn dabei zu beobachten, wie er zu der Erkenntnis gelangte, dass er sich an Lyz vergiftet hatte. Ganz beiläufig fügte ich meiner Aussage hinzu:

„Einige Vampirgifte sind für Menschen vollkommen ungefährlich. Wusstest du das nicht?“

Alexanders Kopfschütteln wirkte irritiert. Er machte eine dramaturgische Pause und hielt danach eine Hand vor den Mund. Ich mochte es nicht, wenn er das tat, denn das hatte immer etwas Triebhaftes an sich. Außerdem sprach er dann meist recht undeutlich, wofür er mir auch direkt das beste Beispiel bot.

„Nein, wusste ich nicht… Krasse Waffe ist das… Hast du es Lyz gesagt? Ich dachte eigentlich, sie hat mich gerettet.“

Bitte was? Waren seine Fragen einstudiert? Natürlich war sie es, die diesen verlogenen Rotzbengel gerettet hatte. Wahrscheinlich wollte er es von mir hören, hatte das Schäfchen gespielt, blieb aber ein Wolf. Ich hob den Kopf an und wendete meinen Blick von ihm ab, denn er trieb mich schon wieder zur Weißglut. Wieso hatte ich ihm überhaupt erlaubt, mitzukommen? Nur weil er Saris kleiner Lustknabe war?

Er bemerkte von selbst, dass diese Unterredung in eine Sackgasse führte und lehnte sich dann stumm zum Fenster, wo er vermutlich sah, dass unser Flugzeug gerade dabei war, die Wolkendecke zu durchstoßen. Er atmete schwer aus, vielleicht weil ihm seine folgende Aussage schwerfiel.

„Das alles ändert nichts an meiner Loyalität zu dir, Rova. Ich… wollte das unbedingt loswerden.“

„Unterlasse es in Zukunft, Selbstverständlichkeiten auszusprechen!“,

motze ich. Er brauchte gar nicht versuchen, mir zu schmeicheln, nachdem er mich so wütend gemacht hatte. Ich war mir ziemlich sicher, er wollte diese sinnlose Konversation noch fortführen, doch Lyz kam eilig wie ein aufgescheuchtes Reh zurück gestürzt, während sie ausgelassen rief:

„Oh, Landeanflug!“

Sie war so jung und unbeschwert, Eigenschaften, die ich schon lange verloren oder niemals besessen hatte. Ich tat mich schwer mit diesem jungen Ding umzugehen, auch wenn ich sie unbestreitbar liebte. Sie zu einer mir angemessenen Frau zu erziehen, würde mich noch viele Jahre beschäftigen, aber vielleicht würde ich dann endlich das ersehnte Glück finden, das mir mit Elisabeth verwehrt blieb.

Um einen Blick auf die schier endlosen weißen Wälder Transsilvaniens zu werfen, lehnte sich das Mädchen gedankenlos über meinen Diener hinweg zum Flugzeugfenster. In einer unhaltbar intimen Pose drückte sie sich an seiner Brust vorbei und ihr kastanienbraunes, seidenes Haar nah an sein Gesicht heran. Bei diesem abscheulichen Anblick verhärteten sich mir die Fingernägel, die ich tief ins Leder der gepolsterten Armlehne vergrub, während ich darüber nachdachte, ob sie das auch getan hätte, wenn ich am Fenster säße. Wahrscheinlich nicht. Kam ich ihr nahe, überschlug sich ihr Puls fast, der sie zu einer gestressten Salzsäule erstarren ließ.

Alexander mimte das Unschuldslamm, als träfe ihn keine Schuld, aber ich durchschaute ihn. Dass ihr eine derartige körperliche Nähe zu ihm nichts ausmachte, bewies doch schon, dass dies nicht das erste Mal gewesen sein konnte. Das war eine bemerkenswerte Entwicklung, wo er sich meine Rose nur wenige Wochen zuvor wie ein wildes Tier gewaltsam genommen hatte. Ihre Hämatome bewiesen das unwiderlegbar und doch hatte sie bereits keinerlei Berührungsängste mehr mit ihm. Wieso machte ICH ihr solche Angst, wo ich ihr gegenüber niemals Handgreiflich geworden war, während ER mit ihr tun konnte, was er wollte und sie ihm trotzdem noch auf den Schoß hüpfte? Es war der falsche Moment, um ihn dafür zurechtzuweisen, aber unterbinden konnte ich die Anstößigkeit sofort.

„Du hast jetzt genug aus dem Fenster geschaut, Liebes. Schnall dich an! Wir landen bald“,

sagte ich, so ruhig ich konnte. Sie drehte sich zu mir, lächelte lieblich und setzte sich dann wieder. Dass dieses junge Ding wegen eines banalen Fluges so aus dem Häuschen geraten würde, hatte ich mir nicht im Traum ausgemalt. Zu sehen, dass ich ihr etwas bieten konnte, das sie mochte, verursachte ein sanftes und sehr angenehmes Kribbeln in meiner Brust, das ich seit Elisabeths Zeiten nicht mehr gespürt hatte. Dieses Mädchen war etwas ganz Besonderes für mich.



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