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Fortune Files

von

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Alex 10: Rettung eines gescheiterten Dieners

Ich verstand überhaupt nicht, wie sich meine körperliche Verfassung nach einem Biss verschlechtern konnte, besonders da es Lyz' Blut war. Eben das hatte mich doch vor ein paar Wochen noch wie auf Wolken durch den Raum schweben lassen, als sei ich neu geboren worden, als hätte sich jede Zelle in meinem Körper erneuert. Diesmal plagten mich jedoch Schweißausbrüche, gefolgt von Schüttelfrost und Fieber. Blut von Tieren sollte eine ähnliche Wirkung haben, aber das… das machte überhaupt keinen Sinn.

Die ganze Nacht über quälten mich Schmerzen, die von meinem Rumpf ausstrahlten. Wenn ich die Beine an mich heranzog, war es auszuhalten, aber wie sollte ich so einschlafen? Erst in den Morgenstunden gönnte mir die Erschöpfung endlich ein paar Stunden Schlaf.
 

Ich schreckte instinktiv hoch, als ich die Tür nebenan ins Schloss fallen hörte. Lyz musste das Zimmer verlassen haben, aber sie durfte ohne mich doch nicht einfach frei herumspazieren. Wenn ich sie wäre, dann würde ich nach diesem Erlebnis wahrscheinlich versuchen abzuhauen. Das konnte ich nicht zulassen! Ich musste ihr nach, … aber wie?

Meine Schmerzen waren leider noch schlimmer geworden, was eigentlich nicht sein konnte. Ich kontrollierte meinen Bauch und erkannte verschwommen, dass die Schnittwunden tatsächlich durch Lyz' Blut geheilt worden waren. Aber wenn sie es nicht verursachten, was war es dann? Mit klaren Gedanken tat sich mein Kopf ziemlich schwer. Wie Wackelpudding entglitt mir jede Schlussfolgerung, bevor ich sie richtig zu fassen bekam.

Hatte Rova irgendwas irreparabel verletzt? Ne, das war Unsinn… oder vielleicht Silber? Quatsch, dann wäre ich schon lange nur noch Staub, … aber vielleicht hatte er mir irgendeinen komischen Fremdkörper in den Bauch eingesetzt, als er ihn geöffnet hatte… Hätte ich das nicht gemerkt? Oder, war es vielleicht Gift!? Er musste seinen Finger vergiftet haben, so wie dieser eine Typ berichtet hatte, der mit der Narbe! Hä? Ne, Schwachsinn, ich hatte ja gar keine Narbe! Meine Fresse, Hirn, jetzt mach schon! Denk!

Ich seufzte gequält, setzte meine nackten Füße neben dem Bett auf den Boden und verlagerte mein Körpergewicht darauf. Wenn ich schon nicht denken konnte, wollte ich wenigstens Lyz hinterhergehen. Ich versuchte aufzustehen, doch dann gaben meine Beine nach und ich plumpste direkt wieder auf die durchgeschwitzte Matratze zurück.

Ich schlug die Hände über dem Gesicht zusammen. Scheiße, was Rova auch immer mit mir angestellt hatte, ich würde elendig in meinem Zimmer verrecken, wenn ich ihn nicht schnell fand. Vielleicht wollte sich Lyz ja mit ihm treffen. Ein guter Einfall, wenn auch mein einziger.

Ich ortete einfach ihr Handy. Sie war in Richtung Mensa unterwegs, also wagte ich einen zweiten Versuch auf meinen Beinen stehen zu können, musste ja irgendwie. Diesmal fand ich Halt und fasste ein wenig Mut. Vielleicht würde ich es mit letzter Kraft bis zur Mensa schaffen.
 

Nur sehr langsam schleppte ich mich Schritt für Schritt voran, musste mich an Häuserwände anlehnen und die Schmerzen in meiner Brust unterdrücken, die auf meinen kompletten Körper ausstrahlten. Rova machte keine halben Sachen. Was auch immer es war, ich spürte, dass ich bald daran krepieren würde. Ich brauchte Hilfe. Rova, mein Herr, … er musste mir helfen. Aber wieso sollte er? Es war doch sein Werk... scheiße… scheiße…
 

Mit jedem Schritt wurde es schwieriger und ich langsamer. Von der Mensa trennten mich nur noch zwei Querstraßen, doch ich brauchte eine Pause und lehnte mich an eine kalte, raue Hausfassade. Erst dachte ich, ich hätte es mir nur eingebildet, als er plötzlich neben mir auftauchte, der Mann, nach dem ich so verzweifelt suchte. Ich hatte ihn nicht einmal kommen sehen. Naja, eigentlich sah ich fast gar nichts mehr.

An die Hauswand gelehnt konnte ich mich gerade noch so auf den Beinen halten, aber den Kopf anzuheben schien schon außerhalb meiner Möglichkeiten, also sah ich weiterhin nur seine gepflegten, braunen Lederschuhe an.

„… Hoheit“,

stöhnte ich kaum hörbar.

„Das ist einfach nur erbärmlich, Alexander. Wie konntest du mich nur so enttäuschen und dann auch noch glauben, ich würde dir helfen?“

Angewidert wandte er sich von mir ab und lief achtlos weiter. Rova wollte mich allein auf der Straße verenden lassen wie ein räudiges Tier. Mein Körper zuckte vor Trauer und Verzweiflung, als ich begriff, dass mein erhabener Herr keine Verwendung mehr für mich hatte. Das war schrecklich. Ich hatte alles verloren, alles zerstört, was ich besaß.

Dabei wollte ich Lyz doch noch einmal wiedersehen. Mehr noch, ich wollte dafür sorgen, dass sie ein angenehmes Leben unter Rova führen konnte, doch dazu musste ICH leben. Nein, so durfte es nicht enden. Mein Herr musste mir helfen. Wenn ich ihm bewies, wie stark ich war, vielleicht… würde er dann Gnade zeigen? Dieser letzte Hoffnungsschimmer trieb mich voran, mich weiter hinter ihm herzuschleppen. Er war schon ganzes Stück weit weg, doch irgendwann blieb er stehen, kam zu mir zurück und sagte verblüfft:

„Dass du dich überhaupt noch bewegen kannst, ist bemerkenswert. Weißt du, du bist der erste Feldtest dieses Giftes. Ich hatte geglaubt, es wirke schneller, also ist es entweder nicht so wirksam wie ich dachte oder du hast einen ungeheuren Lebenswillen. Deine Obduktion wird es zeigen. Also dann, Lebwohl Alexander.“

Also war es doch Gift und wie ich ihn kannte, hatte er auch ein Gegengift hergestellt.

„Gib… mich nicht… auf!“,

flüsterte ich laut genug für seine empfindlichen Ohren, doch er schnaubte abschätzig, wendete sich wieder ab und schritt weiter in Richtung Mensa davon. Ich sank zu Boden, ohne Hoffnung auf Rettung. Obwohl sich mein Körper verkrampfte, als würde ich weinen, kamen keine Tränen…
 

Ich erschrak, als mir plötzlich eine Krähe am Fuß herum pickte, die ich nicht imstande war fortzujagen. Zu ihr gesellte sich noch eine weitere, doch ich hörte das Geschrei von einer viel größeren Anzahl von ihnen. Angestrengt hob ich den Kopf an und sah eine ganze Schar von Vögeln, die sich entlang Rovas Weg auf den Bäumen und Dachrinnen niedergelassen hatten. Ob er sie gerufen hatte, damit sie meine Leiche fleddern konnten? Mein Herr konnte so unfassbar grausam sein. Warum half mir eigentlich keiner? Und überhaupt, warum war verdammt nochmal niemand auf dieser scheiß Straße?

Nun würde ich Lyz also doch mit Rova allein lassen müssen… mit ihm, seinem fehlenden Einfühlungsvermögen und seinen Launen. Sie verhielt sich ihm gegenüber so zurückhaltend und ließ sich so viel gefallen. Was würde er ihr nur alles antun, ohne überhaupt zu bemerken, dass er ihr unendliches Leid zufügte? Sie würde an ihm zerbrechen. Ohne mich würde sie ihn nicht ertragen können… sie… sie war auf mich angewiesen. Ich musste sie doch aufbauen, wenn sie wieder anfing, sich selbst zu hassen. Durch meinen Gedanken an sie beschleunigte sich mein Herzschlag, was unfassbar weh tat. Mein ganzer Körper zog sich zusammen, doch anstatt danach zu versagen, erlangte ich eine letzte Welle neuer Kraft.

Ich witterte schon lange nichts mehr, hörte fast nur noch das Rauschen des Blutes in meinem Kopf und sah auch fast nichts mehr, aber was ich da vor mir glaubte zu erkennen, war wohl der Eingang der Mensa. Gehörte diese Stimme in der Ferne zu Lyz?

Wie genau ich die letzten Meter zurücklegte, wusste ich nicht. Nur für den Bruchteil einer Sekunde bekam ich ein Bild von einem Raum vor mir und wusste dadurch, dass ich mich näherte.
 

Ich hörte Lyz' flehende Stimme und brach in mich zusammen. Ich hatte es geschafft und das machte mich so glücklich. Auf einmal sah ich Rova ganz nah vor mir, der mich aufrecht zog und mir ein Röhrchen überreichte. Schmerzen fühlte ich inzwischen schon keine mehr, nur noch Taubheit in meinen Gliedern und ein dumpfes Reißen in der Brust, das sich immer weiter zu entfernen schien. Ich nahm meine restlichen Sinne zusammen, um das Röhrchen zu öffnen und auszutrinken, ein kleines Wunder. Dann rutschte ich wieder nach unten.

Da sich die Stimmen entfernten, bedeutete das wahrscheinlich, sie ließen mich allein zurück…


 

Erst Stunden später erlangte ich das Bewusstsein wieder, als mich ein Fremder rüttelte und mich fragte, ob ich okay sei. Ich strich mir die klebrigen Haare aus dem Gesicht und sah ihn an. Ein Studi und hinter ihm noch einer mit einem Handy in der Hand. Damit er nicht den Notruf anrief, keuchte ich:

„Geht schon, … ich muss mich nur ein bisschen ausruhen.“

„Wie kann man sich nur so die Kante geben, Alter? Du hast es zu Silvester echt krachen lassen, was?“,

kicherte der hilfsbereite Kerl, der mir danach auf die Beine half.

„Könnte man so sagen“,

hauchte ich unter Schmerzen, die aber auszuhalten waren. Die beiden Jungs waren so nett, mich ins Wohnheim zu begleiten, ohne aufdringliche Fragen zu stellen. Wo ich gerade dachte, die ganze Welt hätte sich gegen mich verschworen, war das mein erster neuer Lichtblick.

Den kompletten folgenden Tag lag verbrachte ich im Bett. Das Gift neutralisierte sich langsam in meinem Körper, aber manche Symptome blieben länger als andere. Zum Beispiel quälten mich noch ziemliche Gliederschmerzen und Ermattung… Das schlechte Gewissen war wie ein hübsches kleines I-Tüpfelchen.
 

Ich saß auf meinem Bett, das mich an mein Prinzesschen und auch an mein Verbrechen erinnerte. Sie musste es gewesen sein, die mich in der Mensa gerettet hatte, schließlich stand Rovas Entschluss fest, mich sterbend zurückzulassen. Ob ich es jemals über die Lippen bringen würde, zu fragen, wieso sie das getan hatte? Ich zweifelte daran.

Natürlich war ich auch nach seinem Tötungsversuch noch Rovas Diener, aber ob mein Auftrag noch galt, Lyz zu observieren, war mir nicht so ganz klar. Ich sah auf mein Handy, auf dem nicht eine einzige Nachricht war. Weder hatte sich Lyz nach mir erkundigt, noch hatte mein Herr seinen Auftrag zurückgezogen. Es war ein merkwürdiger Schwebezustand, in dem ich mich da befand, der dieses zermürbende Gefühl in mir noch weiter verschlimmerte. Ich war allein, hilflos, perspektivlos… einfach nur noch am Arsch, also blieb mir nur eine Sache zu tun: meine Schwester anzurufen.
 

Meine Schwester Carla war die Rettung in meiner Not. Ich wusste nicht, was ich ohne sie getan hätte.

Zuerst reagierte sie geschockt und wollte sofort zu mir kommen. Sie war darauf und dran, aufzulegen und ihre Sachen zu packen. Irgendwie schaffte ich es aber, sie zu beruhigen und sie schaffte es, mit ihrer positiven Art, mich zu beruhigen.

„Geht es dir auch wirklich wieder gut? Bist du sicher, dass du alleine klarkommst, kleiner Bruder?“,

wiederholte sie besorgt. Ich war inzwischen so gefasst, dass ich wieder Hoffnung schöpfen konnte. Ich hatte mich auf mein Bett gelegt und hielt mit einer Hand meine Augen verdeckt, weil das Licht an diesem Tag mehr blendete als sonst. Nicht, dass es sonderlich hell gewesen wäre.

„Ja, alles gut. Mein Herr rettet mich nicht vor dem Tod, um mich danach doch umzubringen. Es wird schon irgendwie werden. Ich weiß nur nicht, wie ich mich verhalten soll. Wie wird er jetzt mit mir umgehen?“

„Na, als einfachen Diener wird er dich nicht mehr betrachten, da kannst du dir sicher sein.“

„Ja, was viel Besseres. Er nimmt mich jetzt als Bedrohung wahr“,

antwortete ich wenig erfreut, doch sie insistierte:

„Sieh es doch nicht so negativ! Der Lucard nimmt dich nun als Mann und als Kämpfer wahr. Er wird vorsichtiger mit dir sein, dir aber vielleicht auch anspruchsvollere Aufgaben übertragen. Und denk an deine Liebste. Natürlich hat sie dich gerettet, wer denn sonst? Ich hab dir gesagt, dass sie deine Zähne lieben wird. Vielleicht warst du etwas zu grob, aber das wird sie dir verzeihen. Du bist ein Vampir. Sowas erwartet man von dir. Mach dich also nicht verrückt, ja, Alejandro?“

„Na, ich weiß nicht. Sie ist heulend vor mir weggelaufen und hat sich danach nicht mehr bei mir blicken lassen“,

erwiderte ich skeptisch, doch sie blieb stur bei ihrer Meinung.

„Ja, weil sie der Lucard unter Druck setzt. Sie kann auch nicht machen, was sie will, das weißt du doch. Geweint hat sie nur, weil sie endlich verstanden hat, dass ihr alle Vampire seid. Das ist im ersten Moment wahrscheinlich ziemlich erschreckend.“

„Deine Weltsicht möcht ich haben, Carla“,

warf ich sogar etwas erheitert ein. Sie wurde immer aufbrausender.

„Ach, komm schon. Genau das ist doch deine Weltsicht. Du packst das Leben, so wie es ist. Das hast du schon immer getan und alle hinter dir zurückgelassen. Als nächstes ist der Lucard dran.“

„Entschuldige, aber das ist Schwachsinn, Carla. Rova ist übermächtig, scheiße, der Mann hat mich um ein Haar fast umgebracht. Ich leg mich bestimmt nicht nochmal mit ihm an, das kann ich dir versprechen.“

Ich hatte mich inzwischen auf meinem Bett aufgesetzt, da sie begann, mich aufzuregen mit ihrem sinnlosen Aktionismus. Jetzt kam sie aber erst richtig in Fahrt und hielt mir einen Vortrag, bei dem ich manchmal nachdenken musste, was die Worte bedeuteten, so schnell brabbelte sie auf Spanisch.

„Du willst dich kurz vorm Ziel zurückziehen? Glaubst du wirklich, deine Princesa würde den Lucard bevorzugen, wenn sie die Wahl hätte? Mit wem hat sie denn ihre ganze Zeit verbracht? Mir ihm etwa? Er hat ja nicht mal welche! Immerzu versuchst du dich mit ihm zu vergleichen, aber du kannst nicht mächtiger, blonder und reicher sein als er. Das ist es am Ende sowieso nicht, was sie will!“

„Sondern? Was ist es denn, das eine Frau haben will?“

So langsam ging sie mir auf den Keks. Ich hatte geglaubt, der Rückzug sei meine einzige Option und nun fing sie wieder damit an, ich solle angreifen. Sie schwieg einen Moment lang und antworte dann überlegt:

„Einen Mann, auf den sie sich verlassen kann, zum Anschmiegen, der sie beschützt, sie zum Lachen bringt, der ihr zuhört, wenn sie Sorgen hat.“

Ich seufzte.

„Das klingt mehr nach mir als nach meinem Herrn.“

„Ganz genau. Steh zu dir, mein Alejandro, denn du bist die bessere Partie. Wenn du es langsamer angehen lassen willst, dann tu das, aber gib dich nicht auf. Ich habe schon oft genug von monogamen Vampiren gehört, die nach dem Verlust ihrer Partnerin vereinsamt sind.“

„Ähm, ja, das trifft auf meinen Herrn zu…, deshalb hab ich ja solche Gewissensbisse. Aber egal, danke Carla. Du hast mir sehr geholfen“,

waren meine letzten Worte, bevor ich auflegte. Ich ließ mich wieder nach hinten auf mein Bett fallen und bewertete die Lage neu. Dass Rova mir nicht geschrieben und mich nicht besucht hatte, konnte ich auch als gutes Zeichen deuten. Lyz war an diesem Morgen auch nicht zur Vorlesung gegangen, vielleicht weil ich sie nicht abgeholt hatte. Möglicherweise wartete sie auf ein Zeichen von mir.



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