Glücksverfluchte von Lazoo (Die Champions von Asteria) ================================================================================ Kapitel 10: Sturz der schwarzen Witwe ------------------------------------- Zu behaupten, dass sich Saito Moji unsicher dabei fühlte, einen Fremden in den Hungerkäfig und noch dazu den Todestrakt einzuschleusen, war eine gewagte Untertreibung. Die Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und das Kauen auf seinem Daumennagel zur Beruhigung funktionierte in keinster Weise. Er wusste auch nicht, was ihn mehr fürchtete: Die Tatsache, dass ein solches Vergehen ihn mindestens den Posten, eventuell sogar den Kopf kosten würde, wenn man sie erwischte oder die Person an sich, die ihn begleitete, während sie durch die feuchten Gänge des alten Kellergewölbes gingen, vorsichtig, auf dass niemand auf den plattgetretenen Treppen ausrutschen würde. „W-wisst ihr... M-Meister Rovari meinte, es wäre ein Mensch, der mich begleiten sollte“, stammelte er und schaute halb nach hinten in das finster dreinblickende Gesicht, das jede seiner Bewegungen genaustens festhielt. Er hatte diesen Mann – einen Kitzune mit schlohweißem Haar – schon des öfteren im Fuchsbau gesehen. Er beobachtete immer alles ganz genau und nahm sich verdächtig verhaltender Personen an, eine Art Wachmann. Und wie Saito es mitbekam, ein verdammt guter, der nie falsch lag und dem niemand entkam. Bei der Stadtwache würde er sicherlich sprunghaft Karriere machen, aber dort hielt man nichts vom Fuchsbau und diejenigen, die sich dort vergnügten, taten dies im Stillen. „Es gab eine Planänderung im letzten Moment“, grummelte der Besucher und deutete Saito, sich auf den Weg vor ihm zu konzentrieren. „Nichts worüber Ihr Euch Gedanken machen müsst.“ „A-aber Ihr wollt sie doch nicht rausholen, oder? A-aus dem Todestrakt meine ich. Ich will keinen Ärger!“ „Wenn Ihr keinen Ärger wolltet, hättet Ihr weniger spielen und mehr gewissenhaft arbeiten sollen. Oder zumindest Eure Schulden ehrlich bezahlen, dann würde Euch das alles erspart bleiben. Aber keine Angst. Wir werden keine Unschuldigen gefährden, sondern wollen nur ein Wort mit der schwarzen Witwe wechseln.“ Saito wusste nicht ob ein paar Worte wechseln vielleicht für etwas anderes stand, also hoffte er einfach darauf, dass der Kitzune genau das meinte, was er sagte. Er wollte sich nicht mit den Leuten im Fuchsbau anlegen... hoffentlich war gerade niemand vor Ort, um sich an Mirabelle zu vergehen. Wer wusste schon, wie ein Freund von ihr darauf reagieren würde. Die Wände des Todestrakts rochen nach dem Salz des Meeres und durch die offenen Zellmauern rauschte der Wind. Die Luft hier unten war für ein unterirdisches Gefängnis erstaunlich gut und auch gab es noch immer ausreichend Licht, denn man konnte guten Gewissens in jede Zelle ein offenes Fenster einbauen, ohne Angst zu haben, dass die Insassen flohen. Denn auf Fensterseite ging es in die todbringende Tiefe des Umikashu-Riffes und selbst wenn einen die spitzen Felsen, die einst singende Wassernixen waren, nicht zerstückelten, so taten es spätestens die Taikan im offenen Meer – wenn man denn nicht bis dahin von der Strömung ertränkt wurde. Ob aus dem Fenster oder aus der Tür – wenn man einmal im Todestrakt saß, war das eigene Ende nur eine Frage der Zeit. Und so warteten die meisten Insassen geduldig auf ihr Schicksal, denn es ging ihnen auch im Todestrakt relativ gut – insbesondere seit Folter an Insassen geächtet wurde und der neue Oberst befahl, dass auch Todeskandidaten zumindest eine anständige Mahlzeit am Tag zustand. Mirabelle Renarchasse indes – seit ihrer Verhaftung besser bekannt als die berüchtigte schwarze Witwe – war eine Ausnahme. Um einen Ausbruch zu verhindern, wurde sie nicht nur in einem isolierten Bereich mit mehrfach verschlossener Stahltür, sondern noch dazu mit magischen, von der Decke hängenden Bannketten an Armen und Hals festgeschnallt, die bei Bedarf hoch und runter gekurbelt werden konnten. Die meiste Zeit fristete die Kitzune so entweder kniend oder stehend. Sitzen oder liegen waren ihr nicht erlaubt. Und weil sie so wehrlos und zu ihrem Übel noch dazu nicht nur der erste weibliche Häftling seit einer langen Zeit, sondern noch dazu eine echte Augenweide war, hatten die Wärter am laufenden Band ihren sexuellen Frust an ihr ausgelassen. So kniete sie da, als die beiden Männer sie durch die verstärkten Stäbe aus Eisenbambus ansahen: Die nackte Haut von undefinierbarem Schmutz und Schmissen übersät, das schöne, rostrote Fell verfilzt und zerzaust, sichtlich ausgehungert, und das Kinn leblos auf der Brust abgestützt, sodass nur das schwache Auf und Ab ihrer Schultern einen Hinweis darauf gab, dass sie noch atmete. Aus ihrer Richtung stank es erbärmlich nach Schweiß, Blut, Fäkalien und abgestandenem Sex, sodass Saito die Nase rümpfte und sich kurz wegdrehen musste. Wussten die Dämonen, was der letzte mit ihr angestellt hatte. Der Kitzune hingegen verzog keine Miene, was ihn doch etwas verwunderte, sagte man den Fuchsmenschen doch verschärfte Sinne nach. „Weckt sie auf und wascht sie ein wenig“, befahl er kurz und bündig, aber mit einem Unterton, der nur allzu deutlich machte, dass Widerworte unerwünscht waren. Seufzend füllte der Wärter zwei Eimer mit kaltem Wasser aus dem Brunnen an der hinteren Wand, gab ein paar Seifenstücke in den ersten und wartete bis diese sich komplett aufgelöst hatten. Dann öffnete er die Zellentür und übergoss den ersten Eimer mit der Lauge direkt auf Mirabelle, die sofort aus ihrem Schlaf hochschreckte und sich prustend umsah. Der Wächter gab ihr keine Zeit sich zu orientieren, da erwischte sie schon ein zweiter Schwall, vor dem sie duckte, als wären es Schläge. Verängstigt kauerte sie zusammen und schrie einen spitzen Schrei aus, als das kalte Wasser sie fast ertränkte. Triefend zitterte sie am ganzen Körper und schluchzte laut auf. „Halt die Klappe und richte dich anständig auf, Miststück! Du hast Besuch, also benimm dich!“, knurrte Saito und zerrte sie an ihren Ohren nach oben, was die Kitzune vor Schmerz aufjaulen ließ. Die klaren, topasgelben Augen glitzerten hell, ob des Tränenfilms in ihnen, während sie den Raum absuchte und die Person vor ihr fixierte. „Sh-Shiro?“, stammelte sie kläglich und heiser, als hätte sie sich schon lange ihre Stimme aus dem Hals geschrien. Schwach streckte sie die Arme aus, als hoffte sie darauf, den Mann hinter dem Gitter so berühren zu können, auch wenn er unerreichbar war. „Lass den Mist!“, brüllte der Wärter und rammte seine Faust in ihren Bauch, sodass sie wieder zusammensackte. „Niemand hat Mitleid mit dir, also hör auf das gequälte Füchslein zu spielen!“ Mirabelle Renarchasse, die sonst den Inbegriff von Stolz, Eleganz und Stärke darstellte und als schwarze Witwe ohne Übertreibung mit dem Mädchen in Scharlachrot und Celica in Konkurrenz treten konnte, wenn es um den Titel „gefährlichste Frau Asterias“ ging, schien gebrochen und erinnerte in diesem Moment eher an ein verletztes Kind als an eine gestandene Mörderin. Und etwas daran machte Shiro äußerst misstrauisch... „Sie gehört ganz Euch“, antwortete der Wärter kleinlaut und wich dem Blick des Kitzune, der ihn ein gutes Stück überragte, eingeschüchtert aus. Die Dreistigkeit, die er bei Mirabelle an den Tag legte, war bei Shiro verloren, wahrscheinlich wiegte er sich in das verräterische Gefühl der Sicherheit, weil die schöne Kitzune in Ketten lag und so erschöpft wirkte. „Also wenn Ihr mit ihr reden wollt, dann...“ „Lasst uns allein“, unterbrach Shiro und funkelte den Wärter an. „M-mein Herr, ich bitte um Verständnis. Das ist zu riskant für mich, Euch mit ihr allein zu lassen...“ „Ich habe Euch mein Wort gegeben, oder nicht? Und mein Wort halte ich auch. Stellt Euch einfach vor die Tür, dann können wir nicht entkommen. Außerdem... es ist doch besser, wenn Ihr schmiere steht, oder sehe ich das verkehrt?“ Ohne weitere Widerworte machte Saito Moji auf dem Absatz kehrt. Es würde wohl am besten für seine Gesundheit sein, darauf zu hören. Still verließ er den Raum und verriegelte die große Tür. „Ist... ist er weg?“, presste Mirabelle heraus, als müsste sie die Tränen vehement zurückhalten. „Ja...“ „Na den Göttern sei Dank“, rief sie da plötzlich wie ausgewechselt, richtete sich auf, streckte sich einmal durch, als wollte sie nach der Decke greifen und legte sich dann mit einem lauten Seufzen in die Ketten, sodass sie in großen Bögen vor- und zurückschwang. Shiro schüttelte den Kopf, dennoch zuckten seine Mundwinkel kurz nach oben. Sie war anscheinend sehr wohl noch ganz die Alte. „Ich hatte schon die Sorge, ich müsste diese lächerliche Scharade die ganze Zeit aufrecht halten. Eins sage ich dir, das zarte Pflänzchen zu spielen ist wirklich anstrengend.“ „Warum tut Ihr das dann überhaupt?“, fragte der weißhaarige Fuchsmensch und lehnte sich die arme verschränkt gegen die Wand. Fast hätte er ihr das Schauspiel geglaubt, doch die flickenübersähte Tätowierung von Kiga, der Fresserin, prangerte nicht ohne Grund auf dem Bauch der schönen Kitzune. Sie hatte wahrscheinlich schon viel grausameres erlebt. „Weil ich Sex selbst mit Fesselspielen und Erniedrigung – was ja für gewöhnlich so gar nicht mein Stil ist – nach wie vor jeder Folter vorziehe. Zugegeben diese Jammerlappen sind in keinem von beidem wirklich gut. Weißt du, was das schreckliche an einfallslosen Sadisten ist?“ „Dass sie Sadisten sind?“ „Dass sie einfallslos sind!“, antwortete sie lautstark und riss die Arme genervt hoch. „Die Zeit zieht sich ins Endlose, wenn man ums Verrecken nicht anständig befriedigt wird! Und diese kleinen Mistkäfer wagen es noch dazu, mich zu verhöhnen und zu bespucken! Eigentlich sollten die Bengel mir die Füße küssen, dass ich sie auf meine Spielwiese lasse! Ich fühle mich gekränkt, kannst du dir das vorstellen?! Und dann noch diese götterverdammten Ketten! Rauben mir meine Kräfte und quälen Kigas Geist! Es ist zum Kotzen, Shiro! ZUM KOTZEN!“ „Meisterin Renarchasse, nicht so laut. Ihr wollt doch nicht, dass Euer Schauspiel vorzeitig auffliegt?“ Nach wie vor reagierte Shiro mit einer grenzwertigen Indifferenz der schönen Frau gegenüber, aber auch wenn sie ihm nicht auf einer erotischen Basis eine Reaktion entlocken konnte, so spürte sie nur allzu gut, dass der junge Mann sie trotzdem genau fixierte und jeden Schritt von ihr verfolgte. Er misstraute ihr, das wusste sie. „Nun, Shiro... So sehr ich mich auch über Besuch freue, der nicht meine unschöne Situation ausnutzen möchte, bin ich doch überrascht, dass ausgerechnet du hier stehst. Nicht einmal meine eigene Tochter hat sich hier blicken lassen.“ „Ich wäre auch nicht gekommen, das war Meister Hunters Idee.“ Die Kitzune zuckte aufmerksam mit den Ohren und bekam große Augen. Ein überdimensionales Grinsen der Freude machte sich auf ihrem Gesicht breit, das ihre erwachsene Eleganz in kindliche Jugend verwandelte und ihre zarten Sommersproßen aufleuchten ließ. „Ezra ist wieder zuhause?!“ „Er ist in der Frühe angekommen. Er wäre selbst gekommen, aber es gab eine spontane Planänderung.“ „Jetzt bin ich gekränkt! Eine Planänderung, die ihn dazu bringt, eine Freundin in ihrer größten Not nicht einmal zu besuchen?“ „So wie es aussieht... Ich rede nicht lang um den heißen Brei herum. Er braucht Eure Hilfe.“ „Ach wirklich?“, der Blick der Kitzune verdunkelte sich, während sie sich begierig über die Lippen leckte. „Nun... ich kann mir denken was er will... Aber das kostet was... Und du kannst dir doch denken, was ich will...“ Shiro knirschte mit den Zähnen. Von wegen Realistin. Sie würde um ihre Freiheit betteln. Nein, nicht betteln... sie würde sie verlangen. „In der aktuellen Situation können wir Euch nicht zur Flucht verhelfen. Das würde uns alle nur in Gefahr bringen.“ „Dann ist dein alter Herr aber von seiner Pilgerreise eindeutig nicht klüger zurückgekommen. Rache und sowas alles ist ja ein netter Preis, aber ich muss auch an meinen eigenen Hals denken... davon, dass der Verräter von euch abgemurkst wird, habe ich nichts. Wenn das also alles gewesen ist, langweilst du mich fast noch mehr als diese Dorftrottel und ich habe dir nichts mehr zu sagen“, antwortete die Kitzune gleichgültig, drehte dem Besucher den Rücken zu und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Shiro atmete schwer aus und fuhr sich durch das kurze Haar. Es verwunderte ihn in keinster Weise, dass sie nicht zur Kooperation bereit war. Mehr noch war er auch nicht die Person, mit der sie gerade sprechen wollte. Dass sie sich gekränkt fühlte, das war nicht einfach nur eine Behauptung. Sie und Ezra führten zwar mittlerweile eine rein geschäftliche Beziehung – mit etwas, das entfernt an eine Freundschaft erinnerte als Beisatz – jedoch war diese nach dem Verlust seiner ersten Frau eine äußerst intime gewesen und obwohl es sehr unwahrscheinlich war und Ezra keinerlei Anzeichen in diese Richtung zeigte, behauptete Mirabelle auch nicht selten, dass er Mirakos Vater sein könnte. Was sie allerdings wirklich störte, war nicht die Tatsache, dass er nicht hier war, sondern dass jemand anderes als er sie so schutzlos sah. Daher sprang sie mit Shiro auch gerade wahrscheinlich abweisender um, als gut für sie war. Und weil sie den Kitzune nicht so ohne weiteres um den Finger wickeln konnte. Aber wenn er ihr nichts entlocken konnte, unterstrich das nur seine Unfähigkeit als Hunters Adjutant und das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Wenn er sie an den Haken bringen wollte, musste er sich etwas überlegen... „Es war eine Frau“, fing er nochmal ruhig an und lehnte sich an die Gitterstäbe. Die Ohren der Kitzune zuckten kurz und sie blickte über ihre Schulter. „Was war eine Frau?“, fragte sie stöhnend, doch konnte ihren Anflug von Neugier nicht wirklich verbergen. „Eine Frau ist der Grund, warum Meister Hunter nicht kommen konnte.“ Ein lautes Lachen entwich ihr und sie drehte sich auf dem Absatz um. Ihr Grinsen war von lüstern in gehässig überheblich umgesprungen. „So ein Unfug! Du willst mir sagen, dass der alte Süßholzraspler dem Charme eines Weibes nun doch wieder erliegen konnte?“ „Ist das so schwer zu glauben?“ Es war vielleicht nicht die ganze Wahrheit, aber auch durchaus keine Lüge und so konnte Shiro seine wahren Absichten gut verstecken: Er musste Mirabelles Stolz angreifen, damit sie ihm half. Und wie es aussah, sollte sein Vorhaben von Erfolg gekrönt sein: Die Mine der Frau verdunkelte sich zunehmend und das Grinsen wich einem abwertenden Blick. Zwar würde es seinen Herrn in Meisterin Renarchasses Gunst rapide fallen lassen, doch wenn es dabei half, dass sie ihm selbst wohlgesonnener war, erschien es ihm nur recht und billig. „Und wer ist die kleine Schlampe?“ „Die Gespielin seines Partners aus Lyn'A'Tischal. Er wird nicht offen um sie buhlen, aber ich habe genau gesehen, wie er sie anschmachtet.“ „Du kannst viel erzählen...“ „Vor allem die Wahrheit“, sprach er siegessicher und drückte sich von den Stangen ab. „Ich dachte nur es interessiert Euch... Und keine Sorge: Laut Meister Hunter werdet ihr wohl noch bis nach der Hochzeit überleben. Vielleicht schafft er es ja mal unterdessen Euch zu besuchen. Wenn er nicht zu sehr beschäftigt ist mit... naja Ihr wisst was ich meine.“ „Shiro warte!“ Mirabelle hatte sich in die Ketten gehangen und atmete schwer. Mit der linken Hand, fuhr sie sich durch das verfilzte Haar und stöhnte leicht. Sie zögerte, lehnte sich wieder vor und schaute ihren Artgenossen mit einem resigniertem... fast schon traurigen Blick an. „...Was willst du wissen?“ „Ich würde erstmal damit anfangen, wissen zu wollen, wer Euch das alles angetan hat.“ Sie lachte abwertend und drehte den Kopf zur Seite. „Meinst du das hier?“, fragte sie und deutete auf ihren geschundenen Körper. „Das kannst du dir doch denken... glaubst du ich merke mir den Namen der ganzen hässlichen Vögel, die mich schon genommen haben? Ich habe ihnen Spitznamen nach ihren Deformationen gegeben, weswegen sie wahrscheinlich in diesem Keller arbeiten müssen. Fischauge, Krummbein, Zahnlückchen...“ „Zahnlückchen?“ „So heißt deine Begleitung. Ein verweichlichter Frühspritzer der mir eine verpassen muss, damit er sich nicht so jämmerlich danach fühlt. Und er steht auf Zungenküsse. Jetzt rate mal wie ich auf seinen Namen gekommen bin...“ „So... hatte ich das eigentlich nicht gemeint“, bemerkte Shiro kleinlaut und schaute zu Boden. „Du hast mich gefragt und ich habe dir Auskunft gegeben“, antwortete sie und einen Moment klang es so, als würde sie verächtlich lachen, doch dann verlor ihre Stimme den Ton und auch sie schlug die Augen nieder. „Ob du es glaubst oder nicht, aber das hier macht mir auch keinen Spaß, Shiro... Ich will hier einfach nur weg...“ Er hatte nie erwartet, dass so eine Tortur an jemanden spurlos vorübergehen könnte und sicherlich wäre jede andere Frau – und gewiss auch jeder Mann – schon längst in Pein, Verzweiflung und Schuld zerbrochen, aber dennoch... es hatte ihn fast schon erschreckt, dieses Zittern in der Stimme der schwarzen Witwe zu hören – eine Frau, die eigentlich niemals eine andere Gefühlsregung zeigte als vielleicht Lust. „Was war schiefgegangen?“, fragte er nach einem Moment betretenen Schweigens: „In der Nacht als Ihr das Haus verlassen hattet, sagtet Ihr noch zu mir, Ihr hättet einen Auftrag. Drei Tage später erfahren wir, dass Ihr im Hungerkäfig sitzt. Und was ist dazwischen passiert?“ Mirabelle stöhnte laut auf und legte sich in die Eisen. „Ich warne dich vor, das ist keine sonderlich ruhmreiche Geschichte... na ja, offensichtlich... kennst du Okabe Hangyaku?“ „ Okabe Hangyaku der aktuelle Geschäftsführer der Isla Shinju Eisenbahngesellschaft?“ „Nein, Okabe Hangyaku der Toilettenputzer der weißen Rose! Natürlich meine ich den Chef der ISE!“ Shiro umgriff das Gitter fester und kniff die Augen zusammen. „Wollt Ihr mir sagen... das er Euer Ziel in jener Nacht war?“ „Wo denkst du hin? Er war mein Auftraggeber. Mein Ziel war der aktuelle Oberst der Stadtwache... Luren Beauroux.“ „Nun glaube ich Euch nicht!“, gab Shiro zurück und verschränkte die Arme. „Also ich bin ja vieles, aber sicherlich keine Lügnerin. Was hätte ich auch davon?“ Darauf wusste der Kitzune keine Antwort, wollte sich aber auch nicht mit dieser Aussage zufriedengeben. Was Mirabelle hier beschrieb konnte mit Fug und Recht als Staatsstreich bezeichnet werden, immerhin war Oberst Beauroux der Gouverneurstochter versprochen worden. „Und was hat die ISE davon den Oberst der Stadtwache umbringen zu lassen? Noch dazu von der gefürchteten schwarzen Witwe?“ „Du glaubst, meine Auftraggeber würden mir großartig erzählen, warum sie diesen und jenen tot sehen wollen? Fakt ist, dass er von unserer misslichen Lage nur allzu gut Bescheid wusste und mir einen ganzen Haufen Asterid dafür bot. Aber warum er mich ausgerechnet auf Luren Beauroux angesetzt hat?“ Mit einem kurzen Schulterzucken beantwortete sie sich ihre Frage selbst. „Ich bin die Kugel Shiro, nicht der Abzug. Wenn euch derlei interessiert, werdet ihr ihn wohl selbst fragen müssen... Und bestellt direkt schöne Grüße von mir, wenn ihr das tut. Das muss reichen, mehr kann und will ich dir nicht sagen.“ Shiro verbeugte sich tief und murmelte einen kurzen Dank. Es war nicht viel, aber es würde wohl durchaus ausreichen, um weiterzukommen. „Was wollt Ihr nun von mir? Für diese Aussage?“ Die schöne Kitzune hob den Kopf und schaute Shiro zum ersten Mal richtig ins Gesicht, seit sie zu sprechen angefangen hatte. Ihre topasgelben Augen schimmerten in der Finsternis hell und klar, die Schultern bebten leicht. „Bring Mirako zu mir. Ich will sie noch einmal sehen, bevor ich sterbe. Und wenn du das tust... dann bring mir auch etwas, um mich zu bedecken. Ich will nicht, dass sie mich so sieht.“ „Ist das wirklich alles?“, hakte Shiro misstrauisch nach und kniff die Augen zusammen, was bei seinem Gegenüber zu einem süffisanten Schnappen führte. „Ich verstehe schon... Ich habe Mira nie irgendeine Form von Nähe gegeben, willst du jetzt sagen... mag schon sein, dass ich eine schlechte Mutter bin. Aber sie ist und bleibt mein eigen Fleisch und Blut. Und auch wenn ich mich niemals wieder Kinder haben will, heißt das nicht, dass ich sie nicht liebe... wirst du das für mich tun?“ „Natürlich... wenn das Euer Wunsch ist. Ich werde das möglich machen.“ „Danke...“, Belle nickte leicht. „Leb wohl, Shiro...“ „Ihr auch, Meisterin Renarchasse.“ Mit diesen Worten wollte sich Shiro schon umdrehen, da wurde er jedoch noch einmal aufgehalten. „Ein letzter kostenloser Tipp noch!“, sprach die Gefangene mahnend. „Nehmt euch vor dem Oberst in Acht! Er hatte meine Maskerade mit Leichtigkeit durchschaut und mich überwältigt. Er ist stark. Sehr stark sogar!“ „Stärker als Meister Hunter?“ „Es geht nicht immer nur um physische Kraft! Oberst Beauroux ist scharfsinnig und kompromisslos. Und anders als Ezra hat dieser Mann Prinzipien, denen er treu bleibt. Er und seine geliebte Prinzessin – und auch das Königshaus von Cher Enfant – führen vielleicht wirklich das ehrliche Bestreben, Asteria seine alte Ordnung vor der großen Explosion zu geben. Dann wäre die Zeit von Harpyienmüttern, Karawanenkaisern, rotgekleideter Terroristinnen... und auch unsere Zeit endgültig vorbei.“ Die Worte vernehmend huschte ein dünnes, fast schon mitleidiges Lächeln auf Shiros Gesicht und er schüttelte den Kopf, während er kehrt machte. „Ich halte mich da an Meister Hunters Worte“, sprach er zum Abschied: „Unter dem Mantel seiner Zivilisation war dieses Land schon immer wild. Und er muss es wissen.“ Erleichterung huschte auf Saito Mojis Gesicht, als er endlich das erlösende Quietschen der Tür hörte und sah, dass der Kitzune allein aus der Zelle trat. Jede Sekunde, die er in dieser Stille allein hocken musste, hatte ihn immer nervöser gemacht, ausmalend darüber, was geschehen würde, wenn man ihn nun doch belogen und der schwarzen Witwe zur Flucht verholfen hätte. „H-habt ihr soweit endlich alles besprochen?“, fragte er unsicher, nachdem der Kitzune nur einen Moment dastand und sich schnaubend die Augen rieb. Zur Antwort bekam er einen Blick aus den Winkeln der ihm einen Kloß tief in den Rachen schob. Das Animalische in den Augen der Kitzune war für alle anderen Rassen äußerst faszinierend, aber man konnte sich nicht sicher sein, ob sie einen nicht im nächsten Moment auffressen würden. Auch wenn sie von allen wilden Mutantenvölkern, die seit der großen Explosion das Licht der Welt erblickten, das mit Abstand zivilisierteste waren, so blieben sie dennoch genau das: Wilde. Und wer wusste schon, wozu sie fähig waren. „Haben wir...“, sprach der Weißhaarige schließlich und drehte sich weg. Die erdrückende Last fiel endlich vom Wachmann ab. Noch nie in seinem Leben hatte er seine Entscheidungen so sehr bereut wie an diesem Abend. Aber wenigstens war es nun vorbei... Dann riss ein plötzlicher Druck in der Leistengegend die Luft aus seinem Körper und ein blitzartiger Schmerz zerschoss seinen Verstand. Unter seinem Tränenfilm erkannte er ein Knie, das sich tief in seine Kronjuwelen bohrte. Dann verließ ihn jegliche Kraft und er kippte zur Seite, ringte um jeden Atemzug, als würde Kiga, die Fresserin, persönlich das Leben aus ihm saugen. „Wieso...“, keuchte er, während die befellte Hand ihn am Kragen packte und der minzige Atem des Kitzune ihm entgegenschoss. „Ich werde demnächst mit einer Freundin vorbeikommen, um Mirabelle zu besuchen. Bis dahin wird sie sich nicht mehr in diesem desolatem Zustand befinden.“ „W-w-wie soll ich das anstellen?“, wimmerte er. „Das ist mir egal. Das hier ist auch keine Anweisung, sondern eine Drohung. Macht daraus was Ihr wollt.“ Dann richtete der Kitzune den Mann auf und strich ihm über das Gesicht, schaute in seine Augen und fuhr mit dem Daumen über die rauen Lippen. Belle hatte eindeutig übertrieben mit Deformationen. Für einen Moment biss sich der Fuchsmensch auf die seinen, dann ließ er von ihm ab und warf ihn auf den Boden. „Zahnlückchen...“ schnaubte er: „Ein hübsches Gesicht wie das Eure sollte besser auf sich achten. Schade, dass ich Männer wie Euch nicht ausstehen kann...“ „Sch-schade?“ „Schade für Euch... Sonst würde ich nachsichtiger sein. Meine Drohung ist klar. Ich habe mir deinen Namen gemerkt...Saito Moji.“ Dann legte der Kitzune seinen Umhang um, zog die Kapuze tief ins Gesicht und ließ den Wachmann auf dem Boden kauernd zurück. Das hier... war definitiv der schlimmste Tag seines Lebens. In der wiederkehrenden Stille des pechschwarzen Käfigs, die nur durch das schwache Rauschen der Wellen und dem gelegentlichen Klackern der Ketten an Belles Körper unterbrochen wurde, schlich sich langsam ein giftiges Kichern, das sich mehr und mehr zu einem gehässigen Lachen entwickelte. Lüstern leckte sich die Kitzune über ihre Lippen und grinste schief. „Shiro... für jemanden, der Frauen misstraut, bist du erstaunlich gutgläubig, wenn man ein bisschen auf die Tränendrüse drückt...“, murmelte sie. Es war kein Zufall, dass sie ihre Tochter sehen wollte. Mirako wusste, was in solchen Fällen zu tun ist. Gut, Ezra wird es Belle wohl sicherlich übel nehmen, wenn sie seinen Schützling zum Komplizen machte, aber da muss er dann durch. Immerhin ist sie ja auch wegen Shiros Unfähigkeit erst hier gelandet. Unter keinen Umständen würde sie am Kreuz sterben. Die schwarze Witwe mag vielleicht gestolpert sein, aber gestürzt war sie noch lange nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)