Selbstmord ist keine Lösung......oder? von LadyShihoin ================================================================================ Kapitel 84: Vertrauen und Misstrauen ------------------------------------ Carina konnte sich bei dem Auftauchen ihres Partners zwar das Schnauben verkneifen, aber das Rollen ihrer Augen war für alle Anwesenden deutlich sichtbar. „Was für eine Überraschung“, murmelte sie genervt und sah dabei zu, wie der Bestatter sich langsam vom Türrahmen löste und in das Arbeitszimmer hineinschlenderte. Seine gelbgrünen Augen lagen dabei auf ihr und die 19-Jährige hatte kein sonderlich großes Problem damit, seinen Blick gereizt zu erwidern. Konnte er sie denn nicht einmal etwas alleine erledigen lassen? Diese ständige Bevormundung ging ihr sowas von auf die Nerven! „Undertaker“, erwiderte Ciel und verschränkte in kindlich genervter Manier die Arme vor der Brust. „Sieht das hier für dich in irgendeiner Art und Weise nach einer Teeparty aus? Falls ja, dann solltest du dringend mal einen Arzt bezüglich deiner Augen aufsuchen.“ „Shinigami sind von Natur aus kurzsichtig, Mylord“, erinnerte Sebastian ihn mit einem falsch aufgesetzten Grinsen und der kleine Phantomhive reagierte sofort mit der gleichen falschen Freundlichkeit. „Ach ja, ich vergaß“, log er so dreist, dass selbst Carina leise hüsteln musste, um ihr kurzes Auflachen zu verbergen. „So? Wenn das hier keine Teeparty ist, was ist es denn dann?“, fragte der Silberhaarige grinsend nach und machte sich gar nicht erst die Mühe, seinen neugierigen Unterton zu verbergen. „Ich habe die beiden auf den neuesten Stand der Dinge gebracht“, antwortete Carina und erhob sich aus dem Sessel. „Ich denke, wir sind hier fertig?“, fragte sie an Ciel gewandt und der Junge nickte. „Haltet mich auch weiterhin auf dem Laufenden“, erwiderte er. „Solange das ebenfalls für Euch gilt, wird das das kleinste Problem sein“, entgegnete die junge Frau und lächelte zufrieden, als Ciel ihr ein zustimmendes Nicken schenkte. Ohne ein weiteres Wort schritt sie auf Cedric zu und gleich darauf an ihm vorbei. Wie sie es erwartet hatte, wandte sich auch der Shinigami sogleich um und schloss sich ihr an, nicht jedoch ohne noch ein fröhliches „Bis bald, Earl Phantomhive~“ in den Raum zu werfen. Er kicherte leise, als ein deutlich genervtes Seufzen die Antwort des jungen Phantomhives darstellte und schloss die Tür hinter sich. Die beiden Todesgötter gingen Seite an Seite und verließen das Haus stillschweigend. Sobald sie jedoch außer Sichtweite waren, warf Carina dem Vater ihrer Tochter einen mehr als nur dunklen Blick zu. „Kannst du mich nicht ein einziges Mal etwas alleine tun lassen?“, sprach sie ihre vorherigen Gedanken aus und beschleunigte vor lauter Wut ihre Schritte. Cedric passte sich ihr ohne zu zögern an. „Nicht, wenn es dein Leben in Gefahr bringt.“ „Och bitte“, stöhnte sie auf, „ich bin nicht ganz so hilflos, wie du es immer darstellst. Ich kann mich verteidigen und ich dachte eigentlich, dass dir das nach dem Kampf gegen Crow klar geworden sein dürfte. Und ja, ich wurde verletzt, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich ihn schlussendlich dennoch getötet habe und das ganz ohne deine Hilfe.“ „Dürfte ich jetzt auch einmal etwas dazu sagen?“, fragte er ruhig, als ihre aufgebrachte Stimme endlich verstummt war. „Sicher“, erwiderte Carina sarkastisch und deutete ihm mit einer Handbewegung an fortzufahren. So, wie sie den Mann neben ihr kannte, konnte sie sich jetzt wieder Vorträge darüber anhören, wie naiv sie war und- „Ich verspreche, dass ich dich in Zukunft alles eigenständig erledigen lasse.“ Carinas Kopf fuhr herum, als sie ihn fassungslos anstarrte. Was hatte er da gerade gesagt? „Das muss ein Traum sein“, dachte sie, denn seine Worte waren beinahe zu schön, um wahr zu sein. Der Undertaker grinste sie an und hob einen Zeigefinger. „Allerdings nur unter einer Bedingung.“ „Na, das klingt doch jetzt schon viel eher nach ihm.“ „Und welcher?“, fragte sie misstrauisch nach und blieb mitten auf dem Weg stehen, um ihn ganz genau beobachten zu können. „Ich werde dich machen lassen, was du willst. Wenn…“, sein Grinsen wurde breiter, „wenn du es schaffst mich in einem Kampf zu Boden zu ringen.“ Amüsiert beobachtete er, wie sich ihre Augen weiteten. „Soll das ein Scherz sein?“, brachte sie schließlich hervor und starrte ihn ungläubig an. „Keineswegs“, meinte er und setzte seinen Weg fort, Carina sogleich dicht neben sich. „Sobald ich am Boden liege oder von mir aus auch nur knie, halte ich mein Versprechen und du darfst draußen rumspazieren, wann und wie du möchtest.“ Die 19-Jährige schluckte. Sie hatte noch nie gegen Cedric gekämpft. Nicht wirklich jedenfalls, denn die kurze Konfrontation auf der Campania und die Rangelei im Weston College, die in ihrem zweiten gemeinsamen Kuss geendet hatte, konnte man wohl kaum wirklich als Kampf bezeichnen. Und Carina war nicht dumm. Sie wusste, dass der Totengräber stärker war als sie. Aber sie musste ihn ja nicht besiegen, sondern nur zu Boden bringen. Das musste doch machbar sein! „Na schön“, sagte sie schließlich. Ihr entging das kurze Aufblitzen in seinen Augen nicht und mittlerweile kannte sie ihn gut genug, um genau zu wissen was er gerade dachte. „Das hättest du wohl nicht gedacht, hmm? Das ich tatsächlich den Mumm dazu aufbringe gegen dich zu kämpfen. Geschweige denn einen Sieg in Erwägung zu ziehen.“ „Trifft sich sogar ganz gut, ich wollte ohnehin in den nächsten Tagen ein wenig mit Grell trainieren, um nach meiner Verletzung wieder in Form zu kommen. Was hältst du von heute in einer Woche?“ Sie sagte es ganz lässig, dabei machte sich bereits jetzt eine gewisse Nervosität in ihrem Inneren breit. Cedric im alltäglichen Leben oder sogar im Bett zu begegnen war eine Sache. Im Kampf jedoch konnte er durchaus auch eine andere Seite von sich zeigen. Carina hatte es bereits gesehen und eigentlich war sie nicht sonderlich scharf darauf, dass er sie mit dieser Seite an sich konfrontierte. Andererseits waren sie jetzt ein Paar. Sie wollte alle Seiten von ihm ergründen, auch die weniger guten. Und würde er in einem Kampf mit ihr nicht umgänglicher sein, als beispielsweise mit Sebastian? „Einverstanden“, meinte er. „Wenn Grell auf Lily aufpassen kann, dürfte das kein Problem sein.“ „Ja“, antwortete sie und schaute wieder geradeaus. Gerade spazierten sie durch den Wald, der das Phantomhive Anwesen von der Innenstadt Londons trennte. „Möglicherweise könnten wir auch noch Ronald um seine Hilfe bitten. Ich würde mich wohler fühlen, wenn zwei Männer auf sie aufpassen. Wer weiß, was Samael als nächstes plant.“ „Wenn der Grünschnabel sich einverstanden erklärt“, sagte Cedric in einem wenig begeisterten Tonfall und warf ihr einen kurzen Blick zu. „Du weißt aber schon, dass nichts davon, was Samael getan hat, deine Schuld ist, oder?“ „Spielt das eine Rolle?“, stellte sie bitter eine Gegenfrage und sah weiterhin stur nach vorne. „Es kommt auf das Gleiche hinaus.“ „Das mag stimmen, aber es macht immer noch einen ganz gewaltigen Unterschied. In der einen Variante machst du dir Vorwürfe und hast ein schlechtes Gewissen, in der anderen nicht.“ Er ergriff ihr Kinn und zwang sie ihn anzusehen, sodass sie beide stehen bleiben mussten. „Und ich bin definitiv für Variante Zwei“, endete er ernst und die gelbgrünen Augen der jungen Frau glänzten kurz, als sie sich seine Worte zu Herzen nahm. Sowohl Grell, als auch Cedric hatten ihr gesagt, dass sie nicht die Verantwortliche für diesen Vorfall war. Nicht einmal Ciel oder Sebastian hatten etwas anderes gesagt und das sollte schon etwas heißen. Bisher war tatsächlich sie die Einzige gewesen, die sich mit aller Macht eingeredet hatte, dass die alleinige Schuld sie traf. „Danke“, murmelte sie leise und lächelte leicht, als sie seine Aussage anerkannte. Er hatte Recht. Sie dürfte sich von diesem Mistkerl von einem Erzengel nicht so beeinflussen lassen. Denn das war genau das, was er wollte. Er lächelte nun ebenfalls und es war dieses eine fürsorgliche Lächeln von ihm, das ihr auf der Stelle Herzflattern bescherte. „Und jetzt ändere wieder deine Augenfarbe. Deine Haare sind nicht lang genug, um sie zu verstecken und außerdem mag ich deine blauen Seelenspiegel wesentlich lieber.“ Die Deutsche grinste und kam seiner Bitte schweigend nach. „Weißt du eigentlich, dass du der Einzige bist, der mir jemals solche Komplimente gemacht hat?“, fragte sie sanft und spürte gleich darauf seinen Daumen, der federleicht über ihren linken Wangenknochen strich. „Eine Schande“, erwiderte er und neigte den Kopf nach unten, um gleich darauf ihre Lippen mit den seinen einzufangen. Der Kuss währte nur kurz, war dafür aber umso intensiver. „Lass uns nach Hause gehen“, wisperte sie, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten und der Undertaker nickte, verschränkte ihre Hände ineinander. „Ja.“ „Das ging ja schnell“, meinte Grell und schaute von seinem schlafenden Patenkind auf, als die Eltern des kleinen Mädchens das Kinderzimmer betraten. „Ich habe doch gesagt, dass ich nur kurz etwas mit ihnen besprechen will. Aber ein gewisser Bestatter konnte es wohl keine Sekunde länger aushalten, mich allein in der großen weiten Welt umherschlendern zu lassen“, lautete ihre sarkastische Antwort, woraufhin Cedric zu kichern begann. „Schau mal, steht Lily dieses rote Halstuch nicht hervorragend?“, meinte Grell in diesem Moment und Carina rollte zum zweiten Mal am heutigen Tage mit den Augen. „Herzallerliebst“, gab sie zurück und konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen, als sie Grells missmutige Schnute sah. „Es sieht gut aus, Grell“, korrigierte sie sich und meinte es sogar ehrlich. Wobei sie auch befangen war. Ihrer Meinung nach sah Lily immer wunderschön aus, egal was sie trug. „Was hast du denn jetzt überhaupt mit dem Bengel und Sebas-chan besprochen?“, wollte ihr Mentor wissen und sofort wandte sich auch Cedric wieder dem Geschehen zu. „Das würde ich allerdings auch gerne wissen“, klinkte er sich in das Gespräch mit ein. „Ich habe ihnen Samaels ersten Zug mitgeteilt und Sebastian gefragt, ob sich das nach seinem Vater anhört.“ Sie schnaubte. „Scheinbar passt das ganz hervorragend zu ihm“, fuhr sie fort. Gleich darauf sah sie Cedric an. „Er hat mich außerdem gefragt, ob er dir vertrauen kann. Und mir.“ Der Silberhaarige zeigte keinerlei Reaktion außer einer hochgeschobenen Augenbraue. „Und?“, fragte er, was Carina die Augen verdrehen ließ. „Glaubst du, er hätte uns einfach so gehen lassen, wenn meine Antwort nicht zufriedenstellend ausgefallen wäre?“, stellte sie eine mürrische Gegenfrage und deutete den beiden Männern an das Kinderzimmer zu verlassen, um das schlafende Baby nicht aufzuwecken. Die Mundwinkel des Undertakers zuckten kurz. „Offensichtlich“, antwortete er amüsiert und wollte erneut etwas sagen, als unten die Türglocke ertönte. „Entschuldigt mich kurz“, sagte er und eilte mit seinem altbekannten Grinsen nach unten, um seine neue Kundschaft zu begrüßen. Carina betrat das gemeinsame Schlafzimmer und setzte sich seufzend auf das Bett, während sie sich müde über die Augen rieb. Die letzten Stunden hatten ihren Tribut gefordert und gefühlt konnte sie bereits wieder ins Bett gehen, dabei hatten sie gerade einmal 17 Uhr. „Du siehst müde aus“, sagte nun auch Grell, der ihr ins Schlafzimmer gefolgt war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Ich bin einfach nichts mehr gewohnt“, antwortete sie ihm. „Und das bringt mich auch gleich zum nächsten Punkt. Hast du in den nächsten Tagen Zeit, Grell? Ich muss mein Training dringend fortsetzen.“ „Hast du dich denn schon wieder von dem Kampf gegen Crow erholt?“, fragte der Rothaarige zweifelnd, woraufhin Carina ihn genervt ansah und auf sich selbst deutete. „Hallo? Shinigami?“ Grell schnaubte, konnte sich ein kurzes Auflachen aber nicht verkneifen. „Das ist mir schon klar, aber was ist mit deiner Narbe?“ „Der geht’s gut. Sie behindert mich nicht mehr in meinen Bewegungen, ist lediglich noch ein ungewohnter Anblick im Spiegel.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich muss dringend wieder mit dem Training anfangen. Nicht nur wegen Samael, sondern auch wegen dem Kampf nächste Woche.“ Grell hob eine seiner perfekt gezupften Augenbrauen. „Welcher Kampf bitteschön?“, fragte er verwirrt und die 19-Jährige erklärte ihm in knappen Worten, welchen Deal Cedric ihr vorgeschlagen hatte und dass sie darauf eingegangen war. „Ich fürchte“, begann er zweifelnd, nachdem sie geendet hatte, „das war eine deiner weniger guten Ideen, Carina.“ Angesprochene biss sich auf die Unterlippe. „Das fürchte ich leider auch“, gab sie zu und knetete nervös die Finger. „Halt mich für bescheuert, aber ich habe in seiner Gegenwart ständig das Gefühl mich beweisen zu müssen. Ich… ich schätze, ich will ihm einfach zeigen, dass ich nicht so hilflos bin, wie er glaubt.“ Sie seufzte schwer und fügte dann noch kleinlaut hinzu: „Ich will’s ihm einfach zeigen!“ Grell lächelte. „Morgen um 10 Uhr in Yorkshire?“ Carinas Augen leuchteten vorfreudig auf und sie schenkte ihrem Mentor ein breites Lächeln. „Um 10 Uhr“, bestätigte sie ihm und ließ sich mit dem Rücken voran auf das Bett fallen. „Was würde ich nur ohne dich machen, Grell?“ Der Todesgott hüstelte kurz. „Nun, ein paar Schläge einstecken, habe ich gehört?“, fragte er ganz unverbindlich und beobachtete gleich darauf, wie seine selbsternannte kleine Schwester irritiert die Stirn runzelte. „Schläge? Was für Schl-“, sie unterbrach sich selbst, als sie Grells neckendes Grinsen und seine wackelnden Augenbrauen sah. Einen Moment brauchte es noch, doch dann kam die Andeutung in vollem Umfang in ihrem Gehirn an. Sofort wurde sie knallrot, presste die Lippen zu einem weißen Strich zusammen und grollte laut. „Was hat er dir gesagt?“ „Och, eigentlich nicht viel“, begann er schadenfroh. „Nur, dass es dir gefallen hat.“ „Es hat mir nicht gefallen“, zischte sie sofort zurück und verschränkte die Arme in einer klaren Abwehrhaltung vor der Brust. „Jetzt verstehe ich zumindest, warum du so sauer warst“, seufzte Grell und schüttelte kurz mit dem Kopf. „Wenn er dein Ehemann wäre – und das ist er ja sozusagen fast schon – hätte er sogar jedes Recht dazu dich zu züchtigen.“ Carina starrte ihn mit einem finsteren Blick nieder. „Züchtigen“, wiederholte sie wütend. „Wenn ich das Wort allein schon höre! Dieses Jahrhundert ist wirklich das Allerletzte, das stelle ich immer häufiger fest. Solange es dieses Gesetz gibt, werde ich definitiv nicht heiraten, auf gar keinen Fall.“ Grell rollte mit den Augen. „Ach komm schon, Carina. Es ist ja nicht so, als könntest du dich im allerschlimmsten Fall nicht zur Wehr setzen. Und hättest du dich wirklich dagegen gewehrt, hätte er mit Sicherheit aufgehört.“ Erneut wurden ihre Wangen heiß. „Ich habe mich gewehrt“, murmelte sie und Grell warf ihr einen recht eindeutigen Blick zu. „Scheinbar nicht ernsthaft genug“, gluckste er, woraufhin die Blondine beschloss, dass sie ab diesem Zeitpunkt besser schweigen sollte. Bei dieser Unterhaltung konnte sie wohl nur verlieren… Also tat sie das, was sie schon immer gut gekonnt hatte: Sie wechselte abrupt das Thema. „Also, du hast gesagt, William hat dich angeschrien? Wie war das denn genau?“ Grell seufzte schwer. Das war nun eine Unterhaltung, bei der wiederum nur er verlieren konnte. Das Gespräch mit William lag gerade einmal einen Tag zurück und doch wünschte er sich bereits jetzt, dass er diese unangenehme Situation restlos aus seiner Erinnerung streichen könnte. Aber schließlich hatte Carina auch ihm immer die unschöneren Dinge anvertraut, die in ihrem Leben passiert waren. Wenn er es ihr nicht erzählen konnte, wem dann? „Na schön“, meinte er schließlich und seufzte erneut, dieses Mal theatralisch. „Alles fing damit an, dass ich in sein Büro kam und ihm den angeblichen Unfall mit Ronald geschildert habe…“ „Was zur Hölle ist in letzter Zeit nur los mit Ihnen, Sutcliff?“, keifte der schwarzhaarige Abteilungsleiter seinen rothaarigen Untergebenen an, der unter seinem strengen Blick tatsächlich sichtbar kleiner geworden war. „Es war doch nur ein klitzekleiner Unfall, Will“, begann Grell weinerlich. „Und ich habe mich doch sofort bei Ronald entschuldigt. Er war nicht halb so wütend, wie du es jetzt bist…“ „Weil er nicht einmal die Hälfte davon mitbekommt, was Sie ständig falsch machen, Sutcliff“, regte sein Gegenüber sich auf und schob sich in seiner Wut die Brille so heftig auf der Nase zurecht, dass das Gestell unsanft mit seiner Haut kollidierte. „Falsch? Was habe ich denn in letzter Zeit bitteschön falsch gemacht?“, begann nun auch der feminine Reaper lauter zu werden und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Wollen Sie die gesamte Liste?“, fragte William trocken, gab Grell aber keine Gelegenheit sich darüber zu wundern, dass der Schwarzhaarige gerade tatsächlich so etwas wie einen Witz gemacht hatte. „Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich keine Ahnung habe, wo Sie sich außerhalb Ihrer Schichten ständig herumtreiben, sind Sie auch gedanklich ständig abwesend. Sie hören mir nicht richtig zu, geben Ihre Berichte nie pünktlich ab und wenn ich sie dann endlich mal auf den Tisch bekomme, sind sie unvollständig oder völlig wirsch zusammengeschrieben. Und jetzt auch noch diese Sache mit Knox, was vollkommen untypisch für Sie ist!“ Er atmete einmal tief durch und rückte sich die Brille erneut zurecht. „Zurück also zu meiner anfänglichen Frage: Was zur Hölle ist los mit Ihnen, Sutcliff?“ Grell presste die Lippen zusammen und schwieg. Verdammt, was hatte er sich bloß gedacht? Natürlich hatte es William mit der Zeit auffallen müssen. William war der aufmerksamste Mensch bzw. Todesgott, den er kannte. Und damit meinte er leider nicht aufmerksam im Sinne von höflich und zuvorkommend, sondern wirklich darauf bezogen, dass dem Schwarzhaarigen so gut wie nichts entging. William, der während seines gesamten Vortrages gestanden hatte, ließ sich nun mit einem genervten Seufzen auf seinen Schreibtischstuhl sinken und verschränkte die Finger ineinander. Für einen kurzen Augenblick wirkte er furchtbar müde. „Grell“, begann er erneut und Angesprochener weitete schockiert die Augen, als er seinen Vornamen aus dem Mund des Mannes hörte, den er schon seit Jahrzehnten anbetete. Er konnte die Situationen, in denen William ihn in den letzten 10 Jahren mit seinem Vornamen angesprochen hatte, an einer Hand abzählen – das letzte Mal beispielsweise, als er ihm mitgeteilt hatte, dass die Suche nach Carina eingestellt werden würde. In jeder dieser Situationen war es um ernste Themen gegangen. So auch jetzt. „Es geht immer noch um deine Schülerin, richtig?“ Der Rotschopf zuckte zusammen und William fasste es als Bestätigung auf. „Das habe ich mir bereits gedacht.“ Er seufzte erneut. „Grell, das muss aufhören.“ „Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, stellte Grell sich dumm, merkte aber selbst, dass er dabei keine besonders gute Figur machte. „Du musst endlich einsehen, dass sie tot ist. Und dass du an ihrem Tod keine Schuld trägst. Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig für dich sein muss, aber-“ „Nichts kannst du“, unterbrach Grell ihn und war nun tatsächlich ehrlich zornig. William und Verständnis? Das er nicht lachte! Dem Schwarzhaarigen ging es doch nur um eines, nämlich dass er funktionierte. Er interessierte sich doch nur für seine Position als Schnitter. Grell selbst, er als Person, juckte ihn doch kein Stück. Und genau das würde er diesem Idioten auch jetzt sagen! „Wie solltest du das bitteschön verstehen? Soweit ich weiß, müsstest du dafür dazu in der Lage sein Gefühle nachvollziehen zu können oder sie überhaupt erst einmal zu besitzen. Ich kann nicht behaupten, dass du auch nur zu einem der beiden fähig bist. Solange in deiner Abteilung alles glatt läuft und du dich mit uns profilieren kannst, ist alles gut, aber sobald auch nur mal einer aus der Reihe tanzt, ist der ganze Friede Freude Eierkuchen Mist doch sofort vorbei. Ehrlich Will, ich mag ein Shinigami sein, aber ich bin keine Maschine. Ich bin immer noch ein fühlendes Wesen, verdammt nochmal! Ich habe keinerlei Probleme damit mir von dir etwas vorschreiben zu lassen, wenn es um meinen Job geht, aber bitte erspare mir doch diese Heuchelei, dass du wüsstest wie ich mich fühle. Denn das tust du nicht!“ Mit schwer gehendem Atem verstummte Grell schließlich und starrte den schwarzhaarigen Mann vor sich zornig an. Kein Muskel hatte sich während seines gesamten Vortrages in dem regungslosen Gesicht des Abteilungsleiters bewegt und doch hatte Grell irgendwie das Gefühl, dass eine der schmalen Augenbrauen kurz gezuckt hatte und so etwas wie ein verletzter Ausdruck durch diese dunklen gelbgrünen Augen gehuscht war. Aber das konnte nur eine Einbildung seinerseits gewesen sein. Unmöglich hatte er William mit diesen Worten verletzen können. Denn dazu hätte der Todesgott ihm gegenüber so etwas wie positive Gefühle besitzen müssen. Sicherlich, auch von Menschen, die einem egal waren, konnte man verletzt werden, aber William war nicht der Typ dafür sich solche Dinge anmerken zu lassen. Und erst Recht nicht vor ihm. Und obwohl er sich sicher war, sich die Anzeichen nur eingebildet zu haben, ergriff ihn doch sogleich ein schlechtes Gewissen. Und er hatte mehr als jemals zuvor das Gefühl, eine unsichtbare Linie übertreten zu haben. „Ungeachtet der Tatsache, dass ich dich nun berechtigterweise erneut zu einem Hausarrest verurteilen könnte – was ich mir bei unserem derzeitigen Fachkräftemangel leider nicht leisten kann – sage ich es dir noch einmal“, sprach William in vollkommen ruhigem Ton, was Grell beinahe noch zorniger machte, „Vergiss deine Schülerin endlich und konzentriere dich auf deine verdammte Arbeit! Damit wäre uns wirklich allen geholfen. Sobald sich die Situation wieder gebessert hat, hast du von mir aus noch die gesamte Unendlichkeit Zeit, um in angemessenem Maß um sie zu trauern.“ Grell klappte vor lauter Fassungslosigkeit der Mund auf. Das, was William ihm gerade gesagt hatte, bestätigte doch genau das, was er dem Schwarzhaarigen soeben selbst an den Kopf geklatscht hatte. „Ich geb’s auf“, dachte er. Bei diesem Gefühlslegastheniker waren doch wirklich Hopfen und Malz verloren. „Verstanden“, presste er also zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, drehte sich mit fliegendem Umhang um und verließ wütenden Schrittes das Büro. Von nun an würde er darauf achten seine Berichte pünktlich und vollständig abzugeben. Von nun an würde er seine Anzahl von Seelen pro Schicht noch steigern, sodass ein gewisser Jemand nichts an seiner Produktivität aussetzen konnte. Von nun an würde er genau darauf achten, was William zu ihm sagte und er würde sich wie der kleine vorbildliche Arbeiter benehmen, den der Schwarzhaarige sich so sehr wünschte. Aber, und das war in Grells Gedanken ein sehr großes Aber, von nun an würde er auch kein schlechtes Gewissen William gegenüber mehr haben. Er würde ihn weiterhin anlügen, er würde weiterhin dafür sorgen, dass Carina und ihre kleine Familie sicher und unerkannt blieben. Und es würde ihm nicht eine weitere verdammte Sekunde lang leid tun! Carina schaute ihn mit großen Augen an. „Jetzt schau nicht so“, murrte Grell und starrte zu Boden. „Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich es gewohnt bin von ihm so behandelt zu werden. Es ist alles g- Carina?“ Er unterbrach sich selbst, als die 19-Jährige im nächsten Moment abrupt ihre Arme um seinen Körper schlang und ihn fest umarmte. „Danke, Grell“, flüsterte sie leise an seinem Ohr und legte ihre Stirn an seine Schulter. „Es tut mir so leid. Ich weiß ganz genau, wie schwer es dir fällt ihn zu belügen. Glaub mir, das weiß ich wirklich.“ „Das mit Undy und dir ist aber etwas anderes“, murmelte Grell, der die Anspielung verstanden hatte. „Ihr seid füreinander bestimmt. Das mit William und mir… das ist nur eine lächerliche Wunschvorstellung von mir.“ Carina lachte leise und löste sich von ihrem besten Freund, um ihm direkt in die Augen zu sehen. Ihre rechte Hand lag dabei beruhigend auf seiner Wange. „Das habe ich damals auch gedacht. Wenn du mir vor einem Monat erzählt hättest, dass alles so kommen würde, wie es schlussendlich gekommen ist… ich hätte dir nicht ein einziges Wort geglaubt.“ Sie tätschelte ihm sanft die Wange. „Gib den Glauben nicht auf, Grell. Vielleicht steckt mehr hinter Williams Fassade, als du glaubst. Und falls nicht“, sie zuckte kurz mit den Schultern und grinste ihn aufmunternd an, „andere Mütter haben auch schöne Söhne.“ Der Rothaarige konnte nicht anders, er kicherte leise und funkelte die Blondine amüsiert an. „Du bist echt ein Sonderfall, weißt du das?“ Ein schelmisches Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. „21. Jahrhundert, schon vergessen?“ Es war bereits kurz vor Mitternacht, als Cedric endlich zu ihr ins Bett kam. Carina selbst hatte bereits vor 4 Stunden schlafen wollen, wurde allerdings in geringen Abständen von ihrer Tochter auf Trab gehalten. Scheinbar hatte das kleine Mädchen heute nicht vor, sie besonders viel schlafen zu lassen. „Alles erledigt?“, fragte sie ihn und spielte dabei auf seine Arbeit als Bestatter an. Er nickte und hob die Bettdecke hoch, um anschließend darunter zu schlüpfen. Mit dem Gesicht dem ihren zugewandt legte er sich seitlich hin. „Und du? Grell war noch recht lange hier, richtig?“ „Ja, wir haben noch über einige Dinge gesprochen“, sagte sie und schloss müde die Augen. „Kannst du die nächsten Tage vormittags ein paar Stunden auf Lily aufpassen? Grell und ich wollten wieder mit dem Training anfangen.“ Sie hörte ihn leise lachen. „Ja, das ist kein Problem. Aber das wird dir im Kampf gegen mich auch nicht weiterhelfen.“ Genervt öffnete sie ein Auge und starrte ihn damit böse an. „Nur zu deiner Information, ich wollte so oder so wieder mit dem Training anfangen. Das hat grundsätzlich gar nichts mit unserem kleinen Deal zu tun.“ „Aber du versprichst dir doch trotzdem etwas davon, oder etwa nicht?“ „Und wenn schon“, antwortete sie und verkniff sich den Zusatz, dass er sie bloß nicht unterschätzen sollte. Das sollte er nach all der Zeit, in der er sie mittlerweile bereits kannte, eigentlich selbst wissen. Beleidigt drehte sie ihm den Rücken zu und spürte gleich darauf, wie er näher an sie heranrutschte. „Das reicht“, sagte sie, als nur noch wenige Millimeter zwischen sie passten. „Nach der Aktion von heute morgen kannst du froh sein, dass ich dich überhaupt in dieses Bett lasse.“ Hinter ihr ertönte ein ausgelassenes Kichern und die Matratze wackelte leicht durch das amüsierte Zittern seines Körpers. „Du bist immer so nachtragend~“, schmollte er, was Carina leise schnauben ließ. „Gewöhn dich lieber dran“, entgegnete sie und begann gedanklich bereits ihre Rache zu planen, denn die hatte sie keineswegs vergessen. Ein kleines, vorfreudiges Grinsen breitete sich ungesehen auf ihren Lippen aus. Oh ja, Cedric würde noch früh genug bemerken, wie nachtragend sie wirklich sein konnte… William lag mit weit geöffneten Augen in seinem Bett und starrte seit mindestens einer halben Stunde ununterbrochen die weiße Decke seines Schlafzimmers an. Was war nur los mit ihm? Normalerweise hatte er nie Probleme einzuschlafen. Seit Jahrzehnten nicht. Heute hatte er sogar eine Stunde früher seinen Arbeitsplatz verlassen, obwohl er wahrlich noch genug Berichte und Akten auf seinem Schreibtisch liegen hatte, die dringend bearbeitet werden mussten. Das war ihm in seinem gesamten Arbeitsleben wahrlich noch nie passiert! Aber er hatte sich auf Teufel komm raus nicht konzentrieren können. Und daran war allein Grell Schuld! Seit der Rothaarige ihm am gestrigen Tage diese verfluchten Worte an den Kopf geschleudert hatte, drehten sich seine Gedanken einzig und allein nur noch darum. Nicht einmal seinen Kaffee hatte er in Ruhe trinken können, ohne die ganze Zeit die Stimme des aufgedrehten Reapers im Ohr zu haben. Soweit ich weiß, müsstest du dafür dazu in der Lage sein Gefühle nachvollziehen zu können oder sie überhaupt erst einmal zu besitzen. William konnte es so lange leugnen, wie er wollte, aber dieser Satz hatte etwas in seinem Inneren ausgelöst, was er längst vergessen geglaubt hatte. Und Grells abschließender Satz hatte das Ganze nicht besser gemacht. Aber bitte erspare mir doch diese Heuchelei, dass du wüsstest wie ich mich fühle. Denn das tust du nicht! Es hatte wehgetan. Es hatte wirklich wehgetan! Er biss die Zähne so fest zusammen, dass ein Knirschen in der Stille des Raumes widerhallte. Grell Sutcliff hatte ihn schon Nerven gekostet, seitdem sie sich kannten und William hatte sich auf seltsame Art und Weise sogar daran gewöhnt, aber noch nie, wirklich noch nie hatte der Rotschopf es geschafft… ihn zu verletzen. Allein die Tatsache, dass er dieses Wort denken musste, traf ihn hart. Verletzt… Ja, er war verletzt. Und es machte ihn wahnsinnig! Aber gleichzeitig stimmte es ihn auch überaus nachdenklich. Grell war oft aufbrausend, das stimmte. Aber noch nie hatte er sich so aufgeführt, jedenfalls nicht ihm gegenüber. Natürlich hatte es im Laufe der Jahre immer mal wieder Situationen gegeben, in denen er auch mal wütend geworden war, aber so weit gegangen, dass er seinen Vorgesetzten praktisch beleidigt hatte, war er bisher noch nicht. „Irgendetwas stimmt hier nicht“, murmelte der Schwarzhaarige in die Dunkelheit hinein und musste das Bedürfnis unterdrücken sich die Brille auf der Nase zurechtzurücken, die momentan aber ja auf seinem Nachttisch lag. Das letzte Mal, das er ebenfalls solche Vermutungen angestellt hatte, war gerade einmal etwas länger als ein Jahr her. Damals hatte Grell sich mit einer gewissen Angelina Dalles zusammengetan und sterbliche Frauen ermordet, die gar nicht auf der Liste gestanden hatten und deren Zeit somit eigentlich noch nicht gekommen gewesen war. Ein Regelverstoß, den William auf keiner Ebene tolerieren konnte, geschweige denn wollte. Zu der Zeit war er Grell gefolgt und hatte mit seinem Gefühl schließlich absolut richtig gelegen. „Und genauso wird es jetzt auch sein.“ Etwas war faul, das spürte er nur allzu deutlich. „Wenn Sutcliff wieder irgendwelche Regelverstöße ausheckt oder gar schon begangen hat, dann gnade ihm Gott“, dachte er zähneknirschend und schloss in der Hoffnung, dass doch bald der Schlaf kommen würde, genervt die Augen. Sobald er sich arbeitstechnisch ein wenig Zeit freigeschaufelt hatte, würde er der Sache auf den Grund gehen und zwar persönlich. Scheinbar war er in diesem Laden ja der Einzige, auf den man sich wirklich verlassen konnte. Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge, was aber auch größtenteils daran lag, dass Carina alle Hände voll zu tun hatte ihren Alltag zu stemmen. Neben dem täglichen Training mit Grell, das definitiv viel ihrer körperlichen und auch geistigen Kraft forderte, erledigte sie den Haushalt und kümmerte sich um Lily, wenn der Totengräber seiner Berufung nachging. Die Arbeit als „Hausfrau“ war zwar nicht besonders erfüllend für sie persönlich, aber sie war dennoch anstrengend. Mehr als einmal kam Carina der Gedanke, dass sie ihrer Mutter viel zu wenig dafür gedankt hatte, dass sie immer so viel für sie getan hatte. Etwas, was sie gedanklich auf die Liste der Dinge packte, die sie ihr sagen würde, sollten sie sich jemals wiedersehen. Natürlich war es bei ihrem streng durchtaktetem Tagesablauf keine große Überraschung, dass sie abends todmüde ins Bett fiel und zumeist erst wieder am nächsten Morgen aufwachte. Unnötig zu erwähnen, dass für Zärtlichkeiten jeglicher Art auch nicht sonderlich viel Zeit zur Verfügung stand. Cedric beschwerte sich zwar nicht, aber anhand seiner eindringlichen Küsse, die sie immer mal wieder zwischendurch miteinander teilten, bemerkte Carina dennoch, dass er sich mehr erhoffte. Ab und zu konnte sich sie nicht anders, als eine gewisse Schadenfreude darüber zu empfinden. Es war nicht so, dass sie Sexentzug als Strafe für ihn geplant hatte – nein, da war ihr bereits eine viel bessere Idee in den Sinn gekommen – aber es konnte ihm sicherlich nicht schaden. Sollte er doch denken, dass das ihre Rache war. Umso weniger würde er kommen sehen, was sie wirklich für ihn geplant hatte. Am liebsten würde sie ihren Plan sofort in die Tat umsetzen, aber ein wenig würde sie ihn noch schmoren lassen. Ein Grinsen umspielte ihre Mundwinkel. „Meine Geduld wird sich am Ende auszahlen.“ Doch einen entscheidenden Nachteil hatte ihr vielbeschäftigter Alltag dann doch: die Zeit raste. Plötzlich war eine ganze Woche vergangen und als Carina eines Morgens die Augen aufschlug wurde ihr klar, dass sie bereits in wenigen Stunden Cedric gegenüber stehen würde. In ihr machte sich eine merkwürdige Nervosität breit, die sie in der Form eigentlich nur von ihrer Abschlussprüfung her kannte. Auch damals hatte ihr Magen unentwegt Purzelbäume geschlagen. Ein tiefes Seufzen verließ ihre Kehle. „Warum hab ich mich darauf nochmal eingelassen?“, fragte sie sich gedanklich selbst und verfluchte sich in diesem Moment tausendfach selbst für diese Entscheidung, es ihm zeigen zu wollen. „Ruhig Blut“, murmelte sie. „Was kann schlimmstenfalls denn schon passieren? Ich verliere. Nein, ich mache mich komplett lächerlich.“ Sie seufzte erneut. Das waren ja großartige Aussichten… Dabei hatte sogar Grell gestern noch zu ihr gesagt, dass sie sich mit ihren Kampfkünsten definitiv vor niemandem verstecken musste. Ihr Körper hatte sich schnell wieder an das Training erinnert, was sie knapp nach Lilys Geburt durchgeführt hatte und dementsprechend zügig waren auch erste Erfolge sichtbar geworden. „Ich muss ihn nur auf seine Knie zwingen. Das kann nicht so schwer sein. Das schaffe ich.“ Mit neuer Zuversicht stand sie auf und begab sich für das morgendliche Frischmachen ins Badezimmer. Ihre übernatürlichen Sinne verrieten ihr, dass Cedric sich bereits im Keller befand, um sich mit ein paar seiner Gäste zu beschäftigen. Immerhin musste auch er sich die Zeit nehmen, um die Arbeit für ein paar Stunden ruhen zu lassen und das war in den letzten Tagen selten der Fall gewesen. Seit sich in London herumgesprochen hatte, dass das Bestattungsinstitut wieder geöffnet hatte, hatten sich die Aufträge beinahe verdoppelt. Etwas, was dem Undertaker laut eigener Aussage nicht unbekannt war, denn seine ursprüngliche monatliche Auftragszahl hatte er noch nicht wieder erreicht. Es war also durchaus noch Luft nach oben frei. „Allerdings kann es gerne so bleiben, wie es jetzt ist. So habe ich mehr Zeit für die Familie“, hatte er vor zwei Tagen zu ihr gesagt und damit einen Rotschimmer auf die Wangen der 19-Jährigen getrieben. Familie… Es war schön das aus seinem Mund zu hören. Zudem würden es ihm die anderen Bestattungsunternehmen, die sich ebenfalls zentral in London befanden, sicherlich danken, wenn er den einen oder anderen Auftrag ablehnte und ihnen somit etwas Arbeit übrig ließ. Die nächste halbe Stunde nutzte sie, um sich um ihre Tochter zu kümmern und gleichzeitig eine Kleinigkeit zu frühstücken. Zurück im Schlafzimmer öffnete sie beide Schranktüren und überlegte kurz, welche Kleidung für die heutigen Gegebenheiten am besten geeignet wäre. Nach wenigen Sekunden entschied sie sich für das Outfit, indem sie die meisten ihrer Kämpfe ausgefochten hatte. Die schwarze, eng anliegende Hose passte ihr immer noch wie angegossen, ebenso wie die weiße Bluse, deren obersten Knopf sie offen stehen ließ. Mit wenigen Handgriffen schnürte sie ihre schwarzen Stiefel, sodass sie fest an den Beinen anlagen und putzte sich im letzten Schritt noch ihre Brillengläser. Nicht, dass ihr ein störender Fleck in der Sicht noch zum Verhängnis wurde. Ihr Blick schweifte als nächstes zu ihrem Katana. Die Klinge ihrer Death Scythe glänzte, als sie sie kurz aus der Scheide zog und betrachtete. Beim letzten Mal, als sie ihre Waffe benutzt hatte, hatte sie damit Crow getötet. „Lass mich auch heute nicht im Stich“, flüsterte sie leise, schob das Schwert japanischen Ursprungs wieder zurück in seine Hülle und band es sich anschließend an der Hüfte fest. Kurz besah sie sich in dem großen Spiegel, der in der linken Seite der Schranktür eingelassen war. Sie lächelte ihrem Spiegelbild zu. „Los geht’s“, sagte sie in die Stille des Raumes hinein, drehte sich um und machte sich auf den Weg nach unten, wo Cedric schon auf sie warten würde. Bereit für den Kampf, dem sie beide entgegenfieberten. Und den keiner der beiden verlieren wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)