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Selbstmord ist keine Lösung......oder?

von

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Gedanken und Gespräche

Ronald hatte sich kein Stück verändert. Er trug seine Haare immer noch genauso wie am ersten Tag ihrer Ausbildung, trug seinen Anzug noch genauso wie auf der Campania und schleppte immer noch diesen äußerst unhandlichen Rasenmäher mit sich herum.
 

Nur sein Gesichtsausdruck hatte sich drastisch verändert, denn Carina konnte sich nicht daran erinnern, dass er sie in der Vergangenheit schon einmal derartig entsetzt angestarrt hatte.
 

Warum zur Hölle hatte sie ihn nicht bemerkt? Hatte sie nicht aufgepasst? War sie so in ihre Unterhaltung mit Grell vertieft gewesen, dass sie nicht auf die Signaturen in ihrer unmittelbaren Umgebung geachtet hatte?
 

Nein, das konnte nicht sein. Auch Grell war von dem Auftauchen des jungen Todesgottes mehr als nur überrascht worden. Zumindest er hätte ihn doch spüren müssen. Es sei denn…
 

Carina fluchte innerlich. Natürlich. Ronald musste sich einfach direkt in diesem Park materialisiert haben. Nichts Ungewöhnliches, Carina hatte das während ihrer Schichten auch öfters mal gemacht. Parks wie dieser hier lagen oft sehr zentral, eigentlich also die perfekte Lösung um schnellstmöglich das gewünschte Ziel zu erreichen. „Warum ausgerechnet Ronald? Warum nicht ein Shinigami, der mich nicht kennt und nur für eine Begleitung von Grell gehalten hätte?“
 

Aber es nützte nichts, sich die Frage „Was wäre gewesen, wenn…“ zu stellen. Jetzt war das Kind in den Brunnen gefallen. Ronald hatte sie gesehen und natürlich sofort erkannt. Immerhin hatte sie weder die Zeit gehabt abzuhauen, noch sich vielleicht ein anderes Aussehen zu verpassen. Lediglich die blauen Augen mussten ihm unbekannt sein, aber das war auch schon alles. „Was hat Grell gerade eben noch gesagt? Schlimmer kann der Tag eh nicht mehr werden? Weit gefehlt, mein Lieber!“
 

Noch schlimmer hätte es sie wirklich nur treffen können, wenn William persönlich hier aufgetaucht wäre…
 

Ronalds fassungsloser Blick glitt von Carina zu Grell und wieder zurück. Die 19-Jährige konnte es in seinem Kopf quasi rattern sehen, als er versuchte sich einen Reim auf diese ganze Sache zu machen, aber zu keinem endgültigen Ergebnis kam. Fakt war, dass sie seit Monaten verschwunden war. Vermutlich mittlerweile als tot galt. Fakt war aber leider genauso, dass er sie gerade dabei erwischt hatte, wie sie seelenruhig mit Grell durch einen Park in London geschlendert war.
 

„Verfluchte Scheiße!“
 

„Carina?“, sprach Ronald nochmals ihren Namen aus, nicht minder ungläubig klingend als beim ersten Mal. Angesprochene biss sich auf die Unterlippe. „… Hallo Ronald“, brachte sie schließlich hilflos hervor. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. Tausend mögliche Szenarien, wie diese Situation weiter verlaufen könnte, spielten sich nahezu gleichzeitig in ihrem Kopf ab. Sie hatte absolut keine Ahnung, was sie jetzt tun sollte. Ronald scheinbar auch nicht.
 

Einer jedoch schien bereits ganz genau zu wissen, was jetzt zu tun war. Bevor einer der beiden jungen Todesgötter reagieren konnte, stand Grell plötzlich genau vor seinem Kollegen und schlug ihm den Griff seiner Death Scythe – Carina hatte nicht einmal mitbekommen, dass er sie gezogen hatte – mit voller Wucht seitlich gegen den Schädel. „Was zum-“, rief die 19-Jährige schockiert, als Ronald sofort wie ein Stein zu Boden fiel. Offensichtlich bewusstlos und mit einer stark blutenden Platzwunde am Kopf. „Grell, was sollte das?“
 

„Was das sollte? Ich habe ihn vorübergehend außer Gefecht gesetzt, was sonst?“ „Das sehe ich. Aber war das wirklich notwendig? Wir hätten doch auch mit ihm reden-“ „Damit er mittendrin abhaut und alles William steckt? Vergiss es, das Risiko gehe ich nicht ein“, unterbrach er sie, kniete sich neben Ronalds erschlafften Körper und warf ihn sich über die Schulter. „Nimm du seine Death Scythe mit. Wir bringen ihn vorerst ins Bestattungsinstitut, dann sehen wir weiter.“
 

Carina gehorchte, stöhnte aber trotzdem missbilligend auf. „Cedric wird mich umbringen“, gab sie von sich und folgte Grell schnellen Schrittes über die Straße. „Das, meine Liebe, hast du dir selbst zuzuschreiben.“ „Wer hätte denn auch ahnen können, dass er sich zufällig genau dann in den Park teleportiert, wenn wir dort durchgehen? Die Wahrscheinlichkeit war relativ gering.“ „Tja, aber sie war da und bei deinem Pech, was du ja immer wie magisch anziehst, hat das scheinbar schon ausgereicht.“ „Aber das ist höhere Gewalt“, protestierte sie schwach und hätte am liebsten die Arme vor der Brust verschränkt, wenn dieser dämliche Rasenmäher nicht wäre. „Jetzt müssen wir uns erstmal um andere Dinge Sorgen machen.“ „Du meinst abgesehen davon, dass ich morgen mit einem Mann sprechen werde, der versucht hat sich umzubringen, und der Tatsache, dass ein ehemaliger Erzengel hinter mir her ist?“, fragte sie sarkastisch nach und gab ihrem Mentor damit deutlich zu verstehen, dass Ronald gerade wirklich nicht ihre größte Sorge darstellte. Wobei sie auch nicht wirklich wusste, ob Samael ihre größte Sorge war, wenn sie an das bevorstehende Gespräch mit Cedric dachte…
 

Nach nur wenigen Minuten kam ihr neues Zuhause in Sichtweite und Carina wurde von Sekunde zu Sekunde angespannter. Zu ihrer Erleichterung stellte sie jedoch direkt nach Betreten fest, dass sich der Bestatter zurzeit im Keller aufhielt und somit nicht direkt Ronald zu Gesicht bekam. Wenigstens eine gute Sache, denn so konnte sie ihn vielleicht schonend darauf vorbereiten. „Falls das denn überhaupt noch möglich ist.“
 

„Warte hier“, sagte sie zu Grell und ging mit einem flauen Gefühl im Magen langsam die Treppenstufen hinunter. Cedric bemerkte sie sofort, als sie sich wortlos gegen den Türrahmen lehnte, sah aber dennoch nicht von seiner Arbeit in Form einer älteren Männerleiche auf. Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht. „Musstest du Grell jedes kleinste Detail erläutern oder warum wart ihr so lange weg?“ Er amüsierte sich sichtlich. Zu schade, dass sich das gleich schlagartig ändern würde, dachte Carina.
 

Der Silberhaarige hob gleich darauf verwundert den Kopf, als die Mutter seiner Tochter immer noch keinen Ton von sich gab. Das Grinsen wich ihm langsam von den Lippen, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. Carina schluckte. „Ähm“, begann sie vorsichtig, räusperte sich einmal und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, das Cedric ihr keine Sekunde lang abkaufte, „es gibt da etwas, was ich dir sagen muss…“
 

William massierte sich mit seiner linken Hand die Stirn, um die stechenden Kopfschmerzen in seinen Schläfen zumindest ein wenig abzumildern, während seine gelbgrünen Augen mit finsterem Blick das Papier in seiner rechten Hand taxierten. „Das darf ja wohl nicht wahr sein“, ging es ihm durch den Kopf, als er immer und immer wieder die Überstundenaufstellung seiner Mitarbeiter durchging. Allein beim Anblick der Zahlen sank seine schlechte Laune auf den Tiefpunkt, immerhin hatten sie die erlaubte Anzahl längst überschritten. Und er, William T. Spears, konnte nicht einmal etwas dagegen sagen, denn auch er selbst lag schon weit über dem erlaubten Rahmen, schrieb sich die Stunden nicht einmal mehr richtig auf. Wie hatte ausgerechnet ihm das nur passieren können?
 

Ein schweres Seufzen drang über seine Lippen. Damit seine Leute diese ganzen Überstunden irgendwann einmal abbauen konnten, müssten mindestens 5 neue Todesgötter in ihrer Abteilung anfangen und momentan sah es diesbezüglich eher mager aus. Wäre er noch ein Mensch und würde ein normales Unternehmen leiten, dann wäre die Sache schon deutlich leichter. Aber leider konnte er als Todesgott ja schlecht eine Stellenausschreibung in Auftrag geben, das wäre dann wohl wirklich doch zu viel des Guten. „Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir, es würden mehr Menschen Selbstmord begehen…“
 

Sogleich verabscheute er sich für seine eigenen Gedanken. Nur, weil er selbst vor langer Zeit so irrational gehandelt hatte, hieß das noch lange nicht, dass anderen so etwas ebenfalls widerfahren sollte. Es passierte schon oft genug. William würde es nie zugeben und sich anmerken lassen erst recht nicht, aber es traf ihn dennoch jedes Mal, wenn ein Neuling in ihre Reihen kam. Bei manchen war es nur Mitgefühl, bei anderen stellte er sich unweigerlich die Frage nach dem Warum. Wenn er beispielsweise an Ronald Knox oder sogar an Grells Schülerin zurückdachte, dann kam er einfach nicht drumherum sich zu fragen, was den beiden in ihrem Leben widerfahren sein musste, dass sie es sich bereits so früh genommen hatten.
 

Nicht, dass es ihn etwas angehen würde. Nein, er selbst war immer schon der Meinung gewesen, dass jeder Shinigami sein früherer menschliches Leben besser für sich behalten sollte. Denn so belastete es wenigstens nur einen selbst und nicht auch noch andere Todesgötter, die ohnehin schon ihre eigene Bürde zu tragen hatten.
 

„Wenn ich jetzt schon über so etwas nachdenke, raubt mir die Arbeit wirklich langsam den Verstand.“ Und das war ja noch nicht alles. Momentan liefen hier einige Dinge eindeutig verkehrt. Denn der eigentliche Grund, warum sie alle viel zu viel arbeiten mussten, war ja bis zum heutigen Tage nicht geklärt worden. Mit dem Verschwinden von Grells Schülerin hatte es angefangen. Ein paar Monate danach war eine der Mitarbeiterinnen hinter der Rezeption ebenfalls spurlos verschwunden und jetzt hatte es scheinbar auch noch Mr. Crow – einen Lehrer, den er wirklich sehr schätzte – erwischt. Das alle paar Jahre mal ein Shinigami spurlos verschwand: in Ordnung. Nun ja, nicht in Ordnung, aber nachvollziehbar, wenn man an das ganze dämonische Ungeziefer dachte, was draußen rumlief. Aber gleich drei Todesgötter in einem Jahr? Nein, irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.
 

Und William wäre verdammt, wenn er nicht herausfinden würde, was!
 

„Wenn das Dämonen waren, die einen großangelegten Angriff planen, dann gnade ihnen Gott“, dachte er und meinte das durchaus wörtlich. Es wäre immerhin nicht das erste Mal, dass sich Shinigami und Engel verbünden würden, um eine Invasion durch die Hölle abzuwehren. Zwischen ihnen herrschte so etwas ähnliches wie ein stilles Friedensabkommen. Beide Parteien ließen sich gegenseitig in Ruhe und unterstützten sich im Ernstfall. Etwas, was William sogar ganz recht war. Engel waren mächtig und die Anzahl der Dämonen überstieg leider die der Shinigami…
 

Während er die Überstundenaufstellung auf einen seiner unzähligen Stapel legte, kam ihm plötzlich Grell in den Sinn, den er – zu seiner eigenen größten Überraschung – kaum noch zu Gesicht bekam. Was ihn allerdings noch viel mehr überraschte war die Tatsache, dass er sich gar nicht wirklich darüber freuen konnte, obwohl der rothaarige Todesgott ihm sonst doch immer so auf die Nerven gegangen war.
 

„Der Tod seiner Schülerin muss ihm schwer zugesetzt haben.“ Kein Wunder. Soweit er wusste, hatten Carina und Grell sich hervorragend verstanden und das war bei dem… nun ja… “speziellem“ Verhalten des Rothaarigen wahrlich nicht oft der Fall. Zudem hatte er wirklich viel Arbeit und Mühe in das Training der jungen Frau gesteckt, was William zum einen damals mehr als nur positiv überrascht hatte und zum anderen hatte die Blondine defintiv einen guten Job gemacht. 1120 Seelen in 5 Wochen war wirklich ein erstrebenswertes Ergebnis und dabei hatte sie nicht einmal viele Überstunden gemacht. Die Kritik, die er ihr bei der praktischen Prüfung mit auf den Weg gegeben hatte, hatte sie sich scheinbar tatsächlich zu Herzen genommen. Wie er gesagt hatte, mit ein wenig Übung hatte sie ihre Zeit deutlich verbessert. Wenn die Schnitterin noch hier wäre, dann hätte er sicherlich ein Problem weniger…
 

„Seit sie verschwunden ist, ist Sutcliff praktisch ständig auf Achse. Ob er in seiner Freizeit immer noch nach ihr sucht?“ Übermäßige Besuche in die Menschenwelt außerhalb der Arbeitszeit waren natürlich streng verboten, aber William hatte bereits vor Jahrzehnten aufgehört Grell diesbezüglich belehren zu wollen. Es brachte ja ohnehin nichts. Und vielleicht war das sogar besser, als wenn der Reaper sich vor Kummer in seinem Zimmer einschließen würde.
 

Er seufzte erneut und schüttelte dann den Kopf. „Konzentrier dich auf die Arbeit, William“, rügte er sich selbst, rückte die Brille auf der Nase zurecht und beugte sich erneut über seinen Schreibtisch. Mittlerweile war es immerhin später Nachmittag und er musste noch so einiges Liegengebliebenes aufarbeiten. Lösungsansätze konnte er auch noch suchen, wenn er heute Abend im Bett lag…
 

„Dich kann man wirklich keine Sekunde allein lassen“, raunte der Bestatter wütend und schaute auf den immer noch bewusstlosen Todesgott hinab, der nun mit einem Verband um den Kopf in seiner Küche auf einem Stuhl saß – na ja, oder eher hing, wären da nicht die Stahlketten um seinen Oberkörper gewesen. „Ich habe das doch nicht mit Absicht gemacht“, erwiderte Carina kleinlaut, im Versuch einer Rechtfertigung. Gelbgrüne Augen funkelten sie an. „Glaub mir“, sagte er so leise, das die 19-Jährige eine Gänsehaut bekam. „Hättest du das mit Absicht gemacht, dann hätten wir beide ein Problem miteinander.“
 

Grell warf ihr einen so deutlichen Blick zu, dass sie seine unausgesprochenen Worte praktisch in ihrem Kopf widerhallen hörte. „Ich habe es dir ja gesagt.“
 

„Das mit Ronald war ein bedauerlicher Zufall und das andere… ich konnte ihn doch nicht einfach zu einem Shinigami werden lassen.“ Cedric legte sich fassungslos eine Hand an die Stirn. „Es ist nicht das erste Mal, dass ich es dir sage, aber deine Menschlichkeit und der damit einhergehende Helferkomplex sind faszinierend. Faszinierend und schrecklich nervtötend.“
 

Carina verschränkte die Arme in einer klaren Abwehrhaltung. „Ich habe keinen Helferkomplex.“ Der Silberhaarige hob seine rechte Hand und hielt ihr den Daumen entgegen. „Das Mädchen damals auf dem Ball im Weston College“, begann er seine Aufzählung und hob unmittelbar danach den Zeigefinger, „Elizabeth Midford“, schließlich folgte der Mittelfinger, „und jetzt auch noch diesen Sterling.“ Sie wurde rot. „Das waren alles Situationen, in die ich versehentlich reingeschlittert bin.“ „Natürlich“, antwortete der Undertaker sarkastisch. „Und als würde diese Aktion nicht schon reichen, schleppst du mir jetzt auch noch diesen Bengel ins Haus.“
 

Sein Blick verdunkelte sich, als die Schnitterin daraufhin doch tatsächlich die Dreistigkeit besaß mit den Augen zu rollen. Das würde noch ein Nachspiel haben, so viel stand fest. Scheinbar musste er der jungen Frau ein paar Manieren beibringen…
 

„Was uns wieder zu der Frage zurückbringt, was wir jetzt mit ihm machen“, sagte Grell. Die drei Shinigami schauten den Vierten im Bunde schweigend an, mehrere lange Sekunden herrschte angespannte Stille. Dann öffnete der Bestatter den Mund.
 

„Wir müssen ihn umbringen.“
 

„Wie werden ihnen nicht umbringen“, sagten Grell und Carina wie aus einem Munde, während letztere dem Vater ihrer Tochter einen teils schockierten, teils ungläubigen Blick zuwarf. Das konnte doch wohl nicht sein Ernst sein. Aber scheinbar doch, denn er erwiderte ihren Blick ernst und ohne die Spur eines Grinsens. „Vergiss nicht, wozu er fähig ist“, flüsterte ihr Unterbewusstsein ihr zu und sie schluckte. Ja, sie würde sich in dieser Beziehung auf jeden Fall noch beweisen müssen. Der Gedanke erfüllte sie allerdings nicht mit Furcht, nein. Vielmehr verspürte sie Aufregung. Es würde definitiv nicht langweilig mit Cedric werden!
 

„Du kannst nicht einfach jeden umbringen, der vielleicht Probleme verursachen könnte. Du bist nicht Sebastian“, sagte sie scharf. „Und was schlägst du stattdessen vor? Ihn laufen lassen?“ Carina zögerte. „Wie sollten zuerst mit ihm sprechen und dann entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Das ist nicht die beste Lösung, aber die einzige, mit der ich leben kann.“ „Ich stimme Carina zu“, sagte Grell mit vor der Brust verschränkten Armen. „Wir können ihn nicht einfach umbringen, während er hilf- und wehrlos hier auf dem Stuhl sitzt. Zudem würde William wohl einen Nervenzusammenbruch bekommen, wenn noch jemand verschwinden würde. Und ich habe wirklich keine Lust noch mehr Überstunden zu machen.“
 

Carina hob eine Augenbraue. „Das sind die Gründe, warum du ihn nicht töten willst? Ernsthaft?“, fragte sie mit einem trockenen Unterton, woraufhin Grell lediglich mit den Schultern zuckte. „Ich mag Ronald, keine Frage. Aber wenn ich mich zwischen seinem Kopf und deinem entscheiden muss, dann dürfte es wohl klar sein, auf welchen meine Wahl fällt.“ „Endlich mal jemand, der ähnlich denkt wie ich“, murmelte Cedric. Grell grinste ihn an, doch das bekam Carina schon gar nicht mehr mit. Ihr Augenmerk hatte sich auf Ronald gerichtet, der sich nun langsam regte und schließlich mit einem leisen Stöhnen zu sich kam. Seine Augen flatterten zweimal, dann schlug er sie auf und starrte mit verklärten Pupillen genau in ihr Gesicht. Wäre er kein Shinigami, hätte er sicherlich eine Gehirnerschütterung davongetragen, wenn nicht sogar einen Schädelbruch.
 

Je klarer die gelbgrünen Pupillen jedoch wurden, desto größer wurden Ronalds Augen. Etwas, was Cedric äußerst amüsant fand. „Willkommen zurück“, meinte er und sofort wandte sich der Blick ihres ehemaligen Klassenkameraden ihm zu. Jetzt wurden seine Seelenspiegel groß wie Untertassen. Carina konnte es ihm nicht verdenken.
 

„Was zur Hölle…“, keuchte der junge Todesgott und stemmte sich automatisch gegen die Fesseln, die ihn an Ort und Stelle hielten. Für einen kurzen Moment huschte offenkundige Panik über sein Gesicht, die die Schnitterin zusammenzucken ließ. Sie wusste ziemlich genau, wie sich das anfühlte und jetzt selber diejenige zu sein, die am anderen Ende stand, gefiel ihr ganz und gar nicht. Wie hatte Crow das nur genießen können?
 

„Bleib ruhig“, begann Carina vorsichtig. „Wir wollen nur reden.“ Ronald schaute sie wütend an. „Und dafür schlagt ihr mich nieder?“ „Das war nicht meine Idee“, antwortete sie mit einem Seufzen in Grells Richtung. „Ich wünchte, ich hätte es nicht tun müssen, aber ich konnte nicht riskieren, dass du sofort zu William rennst“, erwiderte Grell ernst. Jetzt wirkte Ronald beleidigt. „Für wen hältst du mich eigentlich? Wenn hier einer von uns beiden immer direkt zu William rennt, dann ja wohl du.“
 

Carina grinste. „Wo er Recht hat…“, sagte sie und hörte ihren besten Freund gleich darauf laut schnauben. „Aber lieb von dir, dass du für mich immer eine Ausnahme gemacht hast“, fügte sie schnell hinzu und der Rothaarige wirkte sogleich ein wenig besänftigt.
 

„Würde mir jetzt endlich mal jemand erklären, was hier überhaupt los ist?“, warf Ronald aufgebracht in den Raum und starrte wieder Carina an. „Du lebst ganz offensichtlich. Warum bist du einfach so abgehauen? Und was macht der Tattergreis hier?“ „Vorsicht, Bürschchen“, entgegnete der Bestatter warnend und warf seiner Partnerin einen erbosten Blick zu, als diese leise kicherte. Die Blondine biss sich auf die Wangeninnenseite, konnte sich das Grinsen aber nicht ganz verkneifen. Damals auf der Campania hatte Ronald den Undertaker ebenfalls so genannt. Der Ausdruck war unpassend, keine Frage, aber rein theoretisch zutreffend.
 

„Es tut mir wirklich leid, dass du in diese Situation gekommen bist, Ronald. Das ist meine Schuld.“ Bedauern stand ihr ins Gesicht geschrieben und das erkannte auch der gefesselte Shinigami. Die Wut wich ein wenig aus seinen Zügen. „Erklär mir einfach endlich, was hier vor sich geht.“
 

Carina öffnete gerade den Mund, als ein protestierendes Weinen an ihre Ohren drang. Während Ronald irritiert blinzelte, wandte sie sich an den Totengräber. „Könntest du vielleicht-“, fing sie an, doch da nickte Cedric bereits und verschwand lautlos nach oben. „Was zur Hölle…“, sagte der junge Mann nun schon zum zweiten Mal und wirkte von Sekunde zu Sekunde verwirrter.
 

Die 19-Jährige seufzte und wechselte mit Grell einen kurzen Blick, der zustimmend nickte. „Das war Lily“, sagte sie und zögerte kurz. „Meine Tochter.“ Ronalds Augen schienen aus ihren Höhlen hervorzuquellen, so weit riss er sie auf. „Deine… deine was???“
 

„Meine Tochter“, wiederholte Carina und schluckte. „Sie ist jetzt fast einen Monat alt.“ Ronald glotzte sie fassungslos an. „Du hast dich schwängern lassen? Von wem?“ Carina runzelte irritiert die Stirn. „Du scheinst nicht überrascht zu sein. Also weißt du, dass Shinigami fruchtbar sind?“ Er nickte, was der Schnitterin irgendwie überhaupt nicht passte. „Na toll“, entgegnete sie genervt. „Und woher bitteschön? Im Unterricht wurde das nicht mit einem Wort erwähnt.“ „Nun ja“, sagte er und lächelte charmant, „ich habe da so einige Frauenbekanntschaften im Dispatch und bekomme dadurch so einiges mit.“ „Warum wundert mich das jetzt nicht?“, fragte sie trocken in die Runde, ohne überhaupt eine Antwort zu erwarten.
 

„Du hast meine Frage von vorhin nicht beantwortet. Wer ist der Vater?“ Grell und Carina schwiegen eine Sekunde zu lang und prompt breitete sich Entsetzen auf der Miene des Shinigami aus, als die Erkenntnis ihn traf. „Nicht dein Ernst? Der verdammte Deserteur?“ „Wenigstens nennt er ihn nicht mehr Tattergreis“, dachte Carina, während sie sich auf die Unterlippe biss. Das wäre dann doch arg seltsam gewesen.
 

„Glaub mir, Ronald, ich war auch überrascht“, erwiderte Grell trocken. „Nicht hilfreich, Grell“, stellte seine beste Freundin genervt fest. „Wie konntest du mit ihm ins Bett gehen? Nachdem, was er alles auf der Campania getan hat? Nachdem er dich sogar entführt hat?“ „Das… ist alles nicht so schnell erklärt“, begann sie unsicher und wurde gleich darauf von Ronalds sarkastischem Schnauben unterbrochen. „So wie ich das sehe hast du alle Zeit der Welt, um es mir zu erklären. Ist ja nicht so, als könnte ich weglaufen.“
 

Grell lachte und sogar Carina musste kurz schmunzeln. „Na schön“, sagte sie und setzte sich nun ebenfalls auf einen der Küchenstühle. „Dann fange ich am besten ganz von vorne an.“
 

Und das tat sie tatsächlich. Sie erzählte ihrem ehemaligen Klassenkameraden von ihrer Zeitreise, wie der Bestatter sie aufgenommen hatte und wie sie schließlich Selbstmord begangen hatte. Sie deckte auf, was wirklich während der Zeit ihrer “Entführung“ geschehen war, wie sie anschließend herausgefunden hatte, dass sie schwanger war und deswegen dem Dispatch den Rücken gekehrt hatte. Wie Grell und Alice ihr beigestanden hatten und nach den langen Monaten endlich Lily zur Welt kam. Ronalds Augen wurden von Minute zu Minute größer und als sie dann endlich zu dem Teil mit ihrem gemeinsamen Lehrer kam, verlor sein Gesicht alle Farbe.
 

„Mr. Crow hat das alles wirklich getan?“, fragte er krächzend und sah bestürtzt die Narbe auf Carinas Rücken an, die sie ihm bereitwillig zeigte. „Ja, hat er. Ich war dabei“, sagte Grell wütend und knöpfte das schlichte Kleid der 19-Jährigen wieder zu. Er hatte immer noch das Gefühl innerlich zu explodieren, sobald er an dieses widerwärtige Schwein dachte. Ronald schluckte.
 

„Jetzt kapiere ich es“, sagte er langsam und Carina runzelte irritiert die Stirn. „Was meinst du?“, fragte sie. „Na ja… Obwohl wir Shinigami nach Abschluss unserer Ausbildung körperlich nicht mehr älter werden, hast du dich doch sehr verändert. Der Ausdruck in deinen Augen, dein ganzes Auftreten… ist einfach viel erwachsener als damals.“ Er zuckte kurz mit den Schultern. „Kein Wunder, wenn man bedenkt, was du alles durchgemacht hast.“
 

Carina schwieg. Was sollte sie dazu auch sagen? Es stimmte, was der Todesgott sagte. Manchmal fühlte sie sich viel älter, als sie eigentlich war.
 

„Und das mit der Zeitreise erklärt auch so einiges“, stöhnte er und ließ seinen Hinterkopf gegen die Stuhllehne fallen, als es ihm klar wurde. „Dass du dich gar nicht über die Existenz meines Rasenmähers gewundert hast. Oder dass du gesagt hast, ich solle gegenüber Grells Verhalten mehr Toleranz zeigen, weil so etwas in einem Jahrhundert normal sein wird.“ Die 19-Jährige nickte. „Ja, im Jahr 2015 ist es tatsächlich so.“ „2015… ich fasse es einfach nicht“, sagte Ronald, während Grell ein „Was freue ich mich schon darauf“ von sich gab.
 

„Jetzt verstehst du vielleicht, warum Grell so reagiert hat. Er wollte dafür sorgen, dass der Dispatch weiterhin nichts von meinem Verbleib erfährt.“ Sie schaute ihn ernst an, aber auch ein wenig flehentlich. „Alles, was ich momentan will, ist hier in Frieden zu leben. Meine Tochter aufwachsen zu sehen und mit dem Mann zusammenzubleiben, den ich liebe. Kannst du das nicht verstehen?“
 

Die gelbgrünen Augen des jungen Mannes nahmen plötzlich einen seltsam bitteren Ausdruck an. „Doch“, sagte er und schaute zu Boden. „Das kann ich. Mehr, als du dir vielleicht vorstellen kannst.“
 

Für einen unglaublich kurzen Moment lag Carina die Frage auf der Zunge, was vor seinem Selbstmord passiert war, dass er bei diesem Thema so seltsam guckte. Aber sie verkniff es sich. Nichts davon ging sie etwas an.
 

Eine ganze Minute herrschte angespanntes Schweigen, dann sagte Ronald schließlich: „Nur, dass ihr es wisst: Ich bin immer noch sauer, dass ihr gedacht habt ich würde gleich zu William rennen.“ Er seufzte. „Ihr könnt die Fesseln abmachen. Ich werde niemandem etwas verraten, versprochen.“ Carina und Grell wechselten einen ernsten Blick miteinander. Die Blondine beugte sich ein Stück vor, sodass ihr Gesicht dicht vor Ronald schwebte. „Können wir dir vertrauen?“, fragte sie leise und der junge Mann tat das, was er oft tat. Er lächelte charmant, wenn auch ein wenig zurückhaltender als früher. „Ich weiß nicht, ob es dir schon aufgefallen ist, Carina, aber es hatte einen Grund warum ich dich immer wieder nach einem Date gefragt habe. Ich mag dich.“ Er blickte ihr stur in die Augen. „Ich habe keinerlei Interesse daran, dass du in Schwierigkeiten kommst. Wirklich nicht.“
 

Die Schnitterin hatte ihm während seinem Vortrag ununterbrochen in die Augen gesehen und nicht eine einzige Lüge darin entdeckt. Ein erleichterter Laut entfuhr ihren Lippen. „Gut“, antwortete sie leise und lächelte. Ein kurzer Blick zu Grell genügte und er zückte den Schlüssel, um die Ketten zu lösen. Ronald stöhnte im wahrsten Sinne des Wortes befreit auf, als er seine Arme wieder vollständig bewegen konnte. „Ich mag dich auch, Ronald. Nicht im Sinne von Liebe, aber als Kamerad. Bitte lass mich diese Entscheidung nicht bereuen.“ Der junge Todesgott lächelte ebenfalls und ergriff die ihm dargebotene Hand. „Keine Sorge, ich kann meinen Mund halten. Außerdem war ich schon immer der Meinung, dass Regeln dazu da sind, um auch mal gebrochen zu werden. Dem Dispatch ein wenig auf der Nase herumzutanzen kann ganz gewiss nicht schaden.“
 

Grell brach in Gelächter aus. „Der Meinung bin ich seit fast einem Jahrhundert, Schätzchen“, sagte er. Ihr neuer Verbündeter schaute seine ehemalige Kollegin mit erhobener Augenbraue an. „Und den hast du wirklich zum Patenonkel deiner Tochter gemacht? Sicher, dass das eine kluge Entscheidung war?“ „Vorsicht, Bürchschen“, wiederholte sie Cedrics Worte von vorhin, jedoch mehr in einem amüsierten Tonfall.
 

„Allerdings gibt es da immer noch ein klitzekleines Problem“, warf Ronald plötzlich in den Raum, ohne auf Carinas Worte einzugehen. „Wie soll ich William diese Platzwunde an meinem Kopf erklären? Sie wird zwar bis spätestens morgen verheilt sein, aber so lange kann ich mit meiner Berichterstattung nicht warten.“ „Stimmt, das würde nur unnötigen Verdacht erregen“, murmelte Carina. „Und nachdem, was Grell mir alles erzählt hat, ist William momentan sowieso nicht in bester Stimmung, richtig?“ „Du hast ja keine Ahnung“, stöhnte Ronald.
 

„Jetzt macht euch mal locker“, sagte Grell ruhig und zuckte einmal abtuend mit den Schultern. „Ich sage ihm einfach, dass es meine Schuld war, das reicht William doch meistens schon aus. Ich habe dir bei einer besonders hartnäckigen Seele geholfen und habe dich dann einfach aus Versehen am Kopf erwischt.“ Carina runzelte die Stirn. „Und das ist in Ordnung für dich? William wird ganz sicherlich nicht begeistert sein.“ Grell lächelte müde und zuckte nochmals mit den Schultern. „Ich bin es ja inzwischen gewohnt.“
 

„Na, wenn das so ist“, meinte Ronald und grinste, nun wieder bestens gelaunt. „Dann mach ich mich mal auf den Weg. Du solltest dich dann aber vielleicht für später bereit halten, werter Kollege“, sprach er Grell an. „William wird sicherlich mit dir sprechen wollen.“ Grell grinste nun auch und zwinkerte dem Jüngeren einmal spielerisch zu. „Wenigstens etwas Gutes an der ganzen Sache.“
 

Der junge Schnitter verdrehte kurz die Augen und wandte sich der Tür zu, blieb dann aber noch einmal stehen, um sich gleich darauf noch ein letztes Mal Carina zuzuwenden. „Darf ich… dich denn vielleicht ab und zu besuchen? Um zumindest in Kontakt zu bleiben?“ Die 19-Jährige blinzelte einmal, dann breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus. „Das würde mich freuen, Ronald.“
 

Angesprochener lächelte nun ebenfalls, zwinkerte ihr kurz zu und verschwand im nächsten Moment durch die Tür. Wenige Sekunden später verkündete die Türglocke sein Verlassen des Bestattungsinstituts.
 

Sofort stieß Grell ein lautes, erleichtertes Seufzen hervor. „Großer Gott, da haben wir noch einmal Glück gehabt.“ „Du sagst es“, erwiderte Carina und schloss erschöpft die Augen. Dieses Gespräch hatte sie deutlich mehr Nerven gekostet als der Mist, der davor passiert war. „Wir können wirklich froh sein, dass es Ronald war und nicht William. Grell, es tut mir wirklich leid, dass du jetzt dafür den Kopf hinhalten musst.“ Der Rothaarige winkte ab. „Mach dir darüber mal keine Sorgen. Das macht mir wirklich nichts aus. Ich würde wirklich alles tun, um dich und mein Patenkind zu schützen.“
 

Die junge Mutter lächelte gerührt und wollte sich gerade vom Stuhl erheben, als Cedric in die Küche kam. Seine Augen richteten sich sofort auf den nun leeren Platz, wo bis vor kurzem noch Ronald gesessen hatte, und nahmen einen finsteren Ausdruck an. „Ihr habt ihn gehen lassen?“, stieß er wütend hervor und funkelte die anderen beiden Shinigami im Raum abwechseln an. „Ja, haben wir“, erwiderte Carina, die sich von den Blicken des Silberhaarigen nicht mehr einschüchtern ließ. Er würde sich daran gewöhnen müssen, dass sie nicht immer nach seiner Pfeife tanzte.
 

„Und mit welcher Begründung bitteschön?“, fragte er gefährlich leise, woraufhin sich auf Grells Stirn ein dünner Schweißfilm bildete. Carina jedoch zuckte nicht mit der Wimper, kam lediglich innerlich ein wenig ins Schwitzen. „Weil er uns nicht verraten wird“, antwortete sie ruhig. „Und bevor du fragst: Ja, ich bin mir sicher. Ich kenne Ronald, er wird uns nicht ans Messer liefern.“ „Wie kannst du dir da so sicher sein?“ „Ich möchte ihm vertrauen.“ „Du möchtest ihm also vertrauen, ja? Das bedeutet im Umkehrschluss, dass du es noch nicht zu hundert Prozent tust?“ Carina zögerte kurz, doch das reichte dem Bestatter bereits. „Ich hoffe, du kannst es verantworten, wenn heute noch ein ganzes Dutzend Shinigami hier auftaucht“, schleuderte er ihr entgegen. Trotz regte sich in der jungen Frau. „Das wird nicht passieren. Und weißt du auch warum? Weil weder ich, noch Ronald jemanden direkt über die Klinge springen lassen.“
 

Grells Blick wechselte von Satz zu Satz zwischen den beiden Streitenden hin und her. Herrje, und diese beiden waren wirklich seit heute morgen ein Paar? Offiziell zumindest, denn eigentlich gehörten sie inoffiziell schon viel länger zueinander. Na ja, aber wie hieß es so schön? Gegensätze zogen sich scheinbar wirklich an. Und es gab ja immer noch so etwas wie Versöhnungssex.
 

„Jetzt beruhigt euch doch mal. Undy, Carina hat Recht. Ronald wird uns nicht verraten, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Niemals könnte der Junge so überzeugend lügen.“ Doch der Undertaker ignorierte Grell eiskalt. „Hat der Bursche dir schöne Augen gemacht oder warum bist du so von ihm überzeugt?“, knurrte er, woraufhin Carina ihn mit erhobenen Augenbrauen ansah. Ohne, dass sie es verhindern konnte, entwich ihr ein Lachen. „Kann es sein, dass du eifersüchtig bist, Cedric?“ Sie lachte erneut, doch jeglicher weitere Laut blieb ihr abrupt im Hals stecken, als der Vater ihrer Tochter sie am Oberarm packte und sie näher an sich zog, sodass sie nun zu ihm hinauf sehen musste. „Überspann den Bogen nicht, Carina.“ Eine deutliche Warnung lag in seiner Stimme.
 

„Okay“, sagte Grell langsam, „ich glaube, ich gehe dann mal besser. Bis morgen, Carina.“ Angesprochene brummte einmal zustimmend, wandte ihren Blick aber zu keiner Sekunde von dem Silberhaarigen ab. Erst, als auch ihr bester Freund das Institut verlassen hatte, wandte sie sich von Cedric ab und machte Anstalten die Treppe nach oben hinaufzugehen. „Wo willst du hin?“, fragte er und Carina konnte seinen verblüfften Blick auf sich spüren. „Ich gehe Lily stillen. Und nein, diese kindische Diskussion werde ich nicht fortführen.“ „Ach, ich bin kindisch? Weil ich mir Sorgen um unsere Sicherheit mache?“ „Nein“, fauchte die Blondine und drehte sich auf der Treppe um, die Wut stand ihr nun klar und deutlich ins Gesicht geschrieben, „deine Eifersucht auf jemanden, den ich bestimmt an die hundert Mal abgewiesen habe, ist kindisch. Genauso wie die Tatsache, dass du meinem Urteilsvermögen anscheinend kein Stück vertraust.“
 

Jetzt explodierte sie richtig. „Ich mag jung sein, viel jünger als du, das stimmt. Aber jung ist nicht gleich dumm. Und glaubst du nicht vielleicht, dass dieses ganze Dutzend Shinigami, von dem du eben gesprochen hast, schon längst hier wäre, wenn Ronald uns verraten hätte?“ „Ich habe nie gesagt, dass du dumm bist, ganz im Gegenteil“, erwiderte der Bestatter, dessen Augen sich etwas geweitet hatten, aufgrund dieses plötzlichen Wutausbruchs. „Nur unvorsichtig.“ „Ist das in diesem Fall nicht dasselbe?“, schnaubte sie und ging jetzt tatsächlich nach oben.
 

Musste Cedric ihr denn immer wieder vor Augen führen, dass er alles so viel besser konnte als sie? In einer Beziehung sollte man doch auf einer gemeinsamen Ebene stehen. Aber seit sie in das Bestattungsinstitut zurückgekehrt war, kam sich die Blondine von Tag zu Tag nutzloser vor. Natürlich, sie kümmerte sich um Lily und den Haushalt, aber das war nie in ihrem gesamten Leben ihr Ziel gewesen. „Ich wollte immer eine Familie, ja. Aber eine einfache Hausfrau werden wollte ich ganz sicher nicht.“
 

Sobald die Sache mit Samael überstanden war und Lily ein wenig älter sein würde, würde sie sich um einen neuen Job bemühen. Sie hatte zwar noch überhaupt keine Vorstellung davon in welche Richtung das Ganze gehen sollte, aber irgendetwas würde sich schon finden lassen.
 

„Und es ist mir wirklich scheißegal, was Cedric davon hält“, dachte sie zornig.
 

Dieser stand immer noch in der Küche, an genau der gleichen Stelle wo Carina ihn zurückgelassen hatte. Mittlerweile tat ihm seine letzte Reaktion ein wenig leid. Sicherlich, die junge Frau hatte für die beiden Aktionen von heute Mittag definitiv eine kleine Strafe verdient, aber dass er ihre Entscheidung nicht respektiert und sie im Zuge dessen nicht ernst genommen hatte, war im Nachhinein betrachtet deutlich sein Fehler gewesen. Außerdem hatte sie Recht gehabt. Hätte der Grünschnabel sie verraten, dann wäre längst eine halbe Armee an Todesgöttern hier aufgetaucht, um ihn und Carina festzunehmen.
 

Ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Carina und er waren nun einmal beide Sturköpfe, solche Streitigkeiten würden also immer wieder mal vorkommen. Nicht, dass ihn das großartig störte, denn so wurde es zumindest niemals langweilig. Zudem war er es selbst einfach nicht gewohnt, dass man sich über seine Meinung hinwegsetzte. Immerhin konnte er sehr deutlich werden, wie es die Kämpfe auf der Campania bereits bewiesen hatten.
 

„Ich sollte mich nachher bei ihr entschuldigen, wenn sie wieder runter kommt“, dachte er und räumte ein wenig in der Küche auf, bevor er sich an den Tisch setzte und ein paar neue Einträge in sein Notizbuch vornahm.
 

Carina kam allerdings nicht runter. Nach gut einer Stunde – es war inzwischen 20 Uhr – begann der Bestatter sich Sorgen zu machen. Gut, sie war wütend gewesen, aber gleich so wütend?
 

„Carina?“, rief er fragend nach oben, erhielt jedoch keine Antwort. Jetzt verwandelte sich die Sorge in Panik. Automatisch fragte er sich ob es möglich war, dass Samael sich hier Zutritt verschaffte, ohne dass er selbst es mitbekam. „Nein, so mächtig ist nicht einmal er“, dachte Cedric, ging aber dennoch mit schnellen Schritten die Treppe hoch. Doch als er einen Blick ins Schlafzimmer warf, lösten sich all seine Sorgen in Luft auf. Ein sanfter Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er Carina tief und fest schlafend auf dem Bett vorfand, in ihren herabgesunkenen Händen ein aufgeschlagenes Buch. Nicht einmal umgezogen hatte sie sich. Der Tag schien sie mehr geschafft zu haben, als er vermutet hatte…
 

Mit einem leises Lachen trat er an das Bett heran und nahm ihr das Buch ab, um es auf dem kleinen Nachttischen abzulegen. Dann rüttelte er sanft an ihrer Schulter. „Carina, zieh dich wenigstens noch um. Du willst doch nicht die ganze Nacht in diesen Sachen schlafen, oder?“, sagte er zu der jungen Frau, die nun blinzelnd und vollkommen desorintiert aufwachte. Sie brummte etwas Unverständliches, erhob sich vom Bett und zog sich mit unkoordinierten Bewegungen – immer noch im Halbschlaf – um.
 

Der Silberhaarige schlug die Bettdecke zurück, sodass sie eine Minute später ohne Probleme darunter schlüpfen konnte. „Es tut mir leid, was ich gerade eben gesagt habe. Ich habe ein wenig überreagiert.“ „Schon gut“, murmelte sie und schloss wieder die Augen, grub sich gleichzeitig tiefer in die Decke ein. „War ja auch nicht ganz unschuldig daran…“
 

„Ja, allerdings“, erwiderte er und grinste, denn die Blondine schlief bereits wieder tief und fest. Er drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und verließ auf leisen Sohlen das Schlafzimmer. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass Carina heute so früh ins Bett gegangen war, dachte der Undertaker und sein Grinsen wurde eine Spur breiter. Sie würde ihre Kraft für morgen definitiv brauchen…
 

Carina erwachte bereits sehr früh am nächsten Morgen. Kein Wunder, sie hatte so viel geschlafen wie schon lange nicht mehr. Dunkel erinnerte sie sich daran, dass Cedric sich bei ihr entschuldigt hatte und dass er die beiden Male, als Lily in der Nacht aufgewacht war, zu ihr gesagt hatte, dass sie liegen bleiben und das Baby ihm überlassen sollte. Sie lächelte und schaute auf den Mann an ihrer Seite hinab, der nach wie vor schlief. Vorsichtig gab sie ihm einen Kuss auf die Schläfe und erhob sich dann lautlos, um schon ein paar Sachen zu erledigen. Heute Mittag würde sie immerhin keine Zeit dazu haben, denn dann würde sie erst einmal mit Grell zusammen zurückgehen und die Sache mit Emmas Ehemann klären. Sie war ja schon gespannt darauf zu erfahren, was hinter seinem Selbstmordversuch steckte.
 

Grundsätzlich konnte sie sich viele Sachen vorstellen, aber fast jedes Problem ließ sich doch irgendwie lösen. „Es sei denn, er hat eine unheilbare Krankheit oder so…“ Das wäre wohl wirklich das Worst Case Szenario und im Sinne von Emma und ihrem ungeborenen Kind hoffte Carina, dass das nicht zutraf.
 

In Gedanken über die möglichen Ausgänge der Situation versunken, erledigte Carina nach und nach die Aufgaben, die sie sich für heute vorgenommen hatte. Sie wusch die Wäsche, hängte die alte ab – um anschließend gleich neue aufzuhängen – putzte kurz durch den Eingangsbereich, in dem sich bereits wieder eine beachtliche Menge an Staub angesammelt hatte und ging anschließend kurz nach oben, um zuerst sich und dann Lily zu baden. Nachdem das kleine Mädchen sauber, satt und wieder tief schlafend in ihrer Wiege lag, ging die 19-Jährige auf direktem Weg in die Küche, um das Frühstück fertig zu machen. Cedric würde sicherlich nicht mehr lange auf sich warten lassen und ein wenig sollte es auch Wiedergutmachung für den gestrigen Tag sein.
 

„Er macht ja schon einiges mit mir mit“, dachte sie sich und deckte in aller Seelenruhe den Esstisch. Gerade als sie die letzte Zutat ablegte, schlangen sich zwei Arme um ihren Bauch und zogen sie nach hinten, gegen einen harten Oberkörper. „Guten Morgen“, wisperte Cedric ihr mit rauer Stimme ins Ohr und eine Gänsehaut breitete sich in ihrem Nacken aus. Leicht wandte sie den Kopf und erkannte, dass der Bestatter nichts weiter trug als seine Unterwäsche. Augenblicklich wurde ihr Hals eine Spur trockener. Hmmm, das war doch mal ein genüßlicher Anblick so früh am Tag…
 

„Guten Morgen“, antwortete sie und nahm gerne den Kuss in Empfang, den der Silberhaarige ihr auf den Mund drückte. „Möchtest du frühstücken? Ich bin gerade fertig geworden.“ Seine gelbgrünen Augen schweiften kurz über den Tisch und wanderten dann wieder zurück zu der jungen Frau, die sich nun in seinen Armen herumdrehte, um sich nicht den Nacken verrenken zu müssen. „Ehrlich gesagt habe ich gerade Hunger auf etwas ganz anderes“, raunte er ihr leise ins Ohr und küsste sie erneut auf den Mund, dieses Mal allerdings wesentlich fester und besitzergreifender.
 

Carina keuchte leise in seinen Mund hinein und klammerte sich an seinen Oberarmen fest, während sein Körper sie dichter gegen die Tischkante drängte. Verlangen und Begierde stand beiden Todesgöttern nun überdeutlich ins Gesicht geschrieben. Sie warf ihm einen wissenden Blick zu und stieß ihre Hüfte nach vorne, direkt gegen seine wachsende Erektion. Ein leises Grollen entwich daraufhin seinen Lippen, während er die Geste erwiderte und sich an ihr rieb. Auf der Stelle fühlte die Schnitterin, wie sie feucht wurde.
 

„Nicht“, keuchte sie und löste sich schwer atmend von dem Silberhaarigen, „nicht hier, Cedric.“ „Sag das doch gleich“, raunte er ihr ins Ohr, denn bei ihrem ersten Wort hatte er fast schon befürchtet, dass sie dieses nette Spielchen nicht weiterführen wollte. In einer fließenden Bewegung packte er mit beiden Händen ihren Po und hob sie hoch. Sogleich schlang sie haltesuchend ihre Beine um ihn und stöhnte, als seine Hände begannen das feste Fleich ihres Hinterns zu kneten. „Schlafzimmer. Jetzt“, zischte sie in sein Ohr und atmete erleichtert auf, als er keine Sekunde zögerte und mit ihr auf den Armen begann die Treppe nach oben hochzugehen. Zufrieden vergrub sie ihr Gesicht in seinem Nacken und sog den unvergleichlichen Duft ein, der Cedric anhaftete. Dabei übersah sie allerdings auch leider das diebische Grinsen auf seinem Gesicht.
 

Oh, sie hatte ja keine Ahnung, was er heute noch alles mit ihr anstellen würde…



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Hitsugaya
2019-04-21T10:40:46+00:00 21.04.2019 12:40
Echt tolles Kapitel. Richtig gut geschrieben. Ich freue mich immer wenn ein neues Kapitel kommt. :)
Von:  lula-chan
2019-04-16T14:32:31+00:00 16.04.2019 16:32
Ein tolles Kapitel. Gut geschrieben. Gefällt mir. Zum Glück ist das mit Ronald nochmal gut ausgegangen. Das hätte sonst für einige Probleme gesorgt.

LG


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