Selbstmord ist keine Lösung......oder? von LadyShihoin ================================================================================ Kapitel 79: Ein Unglück kommt selten allein ------------------------------------------- „Was soll das heißen, ihr seid jetzt zusammen?“, fragte Grell fassungslos und starrte seine beste Freundin ununterbrochen an, während diese gerade in dem schmalen Hinterhof, der an das Bestattungsinstitut angrenzte, die Wäsche zum Trocknen aufhing. Seit er mit eigenen Augen gesehen hatte, dass sie und der Silberhaarige sich geküsst hatten, waren gerade einmal 5 Minuten vergangen, aber seine Aufregung hatte sich zu keiner Sekunde gelegt. Vor allen Dingen, da Carina die Sache mal wieder abtat, als wäre es nichts Weltbewegendes. „Nun ja, du weißt schon“, sagte sie wage und befestigte nebenbei ein weißes Bettlacken mit zwei Wäscheklammern, „ein Paar… Lebensgefährten… zusammen halt“, endete sie lahm und griff nach einem von Cedrics weißen Hemden, um es ebenfalls aufzuhängen. „Vergiss es“, erwiderte der Rothaarige, ergriff mit seiner rechten Hand ihr Kinn und drehte ihren Kopf so, dass sie ihm direkt ins Gesicht sehen musste. „Ich will alles wissen, einfach alles! Bis ins kleinste Detail, verstanden? Das bist du mir einfach schuldig, nachdem, was ich schon alles mit euch beiden mitmachen musste.“ Sein Tonfall wurde gegen Ende hin fast schon ein wenig weinerlich und sorgte unweigerlich dafür, dass Carina aufseufzen musste. Na toll, jetzt hatte sie doch gar keine andere Wahl mehr… „Also gut“, meinte sie schließlich, nahm den nun leeren Wäschekorb hoch und kehrte wieder in die Küche zurück, Grell dicht auf ihren Versen. Genau in diesem Moment betrat auch Cedric wieder den Raum und warf den beiden anderen Todesgöttern ein Grinsen zu, das Carina Böses ahnen ließ. Und so kam es dann schließlich auch. „Na?“, fragte er und strich sie die langen, silbernen Haare aus der Stirn. „Hast du ihm schon berichtet, was für großartigen Sex wir gestern und heute hatten?“ Grell machte hinter ihr ein ersticktes Geräusch, als hätte er sich an seiner eigenen Spucke verschluckt. Carina hingegen spürte pulsierende Hitze in ihre Wangen steigen und warf dem Vater ihrer Tochter einen Blick zu, der deutlich aussagte, dass das gerade wirklich nicht hätte sein müssen. „Nein, habe ich noch nicht“, antwortete sie ebenso genervt, wie sie peinlich berührt war, und packte den rothaarigen Shinigami am Oberarm, um ihn hinter sich herzuziehen, genau an Cedric vorbei. „Wir gehen spazieren. Pass bitte auf Lily auf, ja?“, meinte sie und zog sich an der Haustür ihren Mantel an. „Gerne“, kicherte der Bestatter und wackelte gleichzeitig warnend mit einem Finger. „Aber stell bloß keinen Unsinn da draußen an.“ „Als ob ich jedes Mal Unsinn anstellen würde, sobald ich das Haus verlasse“, erwiderte sie schnippisch, schloss den letzten Knopf und verließ das Haus in die Februarkälte hinein, Grell immer noch hinter sich herziehend. Erst, als sie sich ein paar Meter vom Bestattungsinstitut entfernt hatten, ließ die Blondine ihren Begleiter los und der verschwendete keine Zeit, um seine Rede von vorhin wieder aufzunehmen. „Jetzt will ich erst recht wissen, was passiert ist“, schnaubte er und verschränkte die Arme beleidigt vor der Brust. Carina seufzte erneut. „Eigentlich gibt es da nicht wirklich viel zu erzählen“, meinte sie. „Nachdem du weg warst, haben wir zusammen gegessen und dann bin ich nach oben gegangen, um noch einmal nach Lily zu sehen. Als ich mich dann anschließend im Schlafzimmer umziehen wollte, ist mir aufgefallen, dass mein Nachthemd noch im Badezimmer liegt, also bin ich kurz rüber, um es zu holen. Ich wusste, dass er im Badezimmer war, also habe ich angeklopft und ihn um Erlaubnis gefragt eintreten zu dürfen.“ Grell grinste verschmitzt. „Lass mich raten. Er hat Ja gesagt und stand dann vollkommen nackt mitten im Raum?“ Carina schluckte kaum vernehmbar. „… in der Badewanne“, nuschelte sie schließlich, was dem Rothaarigen sofort ein Kichern entlockte. „Das kann ich mir bei ihm durchaus vorstellen“, erwiderte er, was Carina eine Augenbrauen heben ließ. „Ich würde es bevorzugen, wenn du dir meinen Freund nicht nackt vorstellst“, entgegnete sie trocken. Grell rollte mit den Augen. „Keine Angst, Süße, ich hab nicht das geringste Interesse. Aber ehrlich, Freund? Verlobter oder Ehemann würde sich wesentlich besser anhören, wenn du mich fragst.“ Die 19-Jährige errötete schwach, ließ seine Aussage allerdings unkommentiert. Ihrem besten Freund entging dies keinesfalls, doch auch er ließ das Thema sogleich fallen. „Und weiter?“, fragte er und bog mit ihr in einen der kleineren Parks in London ein. „Wie hast du reagiert?“ „Äußerlich so gut wie gar nicht. Ich schätze, genau das war es, was ihn schlussendlich genug verunsichert hat, um mich gleich darauf im Schlafzimmer darauf anzusprechen“, antwortete sie und erinnerte sich mit einem schiefen Lächeln an seine ernste Miene am gestrigen Abend zurück. „Er meinte, dass ich es ihm sagen muss, wenn ich kein Interesse mehr an ihm habe. Erst da habe ich gemerkt, wie meine Reaktion auf ihn gewirkt haben muss. Ich Idiotin.“ „Und dann?“, fragte Grell und hörte sich dabei fast wie ein kleines Kind an, das ungeduldig wissen wollte, wie die Gute-Nacht-Geschichte ausging. „Ich habe ihm gesagt, dass sich an meinen Gefühlen für ihn nicht das Geringste geändert hat“, sagte sie leise und konnte fast schon hören, wie in den gelbgrünen Augen ihres Mentors die Herzchen aufploppten. „Aww, das ist ja so süß“, quietschte er und legte sich beide Hände an die Wangen, während er leicht mit dem ganzen Körper hin und her tänzelte. Eine Reaktion, die Carina nicht sonderlich überraschte. „Ja“, hauchte sie und ein ehrliches Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Das war sicherlich ein Moment in ihrem Leben gewesen, den sie niemals vergessen würde. Egal, wie lange sie noch leben würde, ob einen Monat, ein Jahr oder ein Jahrhundert… Daran würde sie sich immer zurückerinnern. „Und dann habt ihr euch geküsst, richtig?“, frohlockte der Reaper und automatisch schossen Carina bestimmte Bilder durch den Kopf. „Ja… das auch“, meinte sie kurz angebunden und dachte daran, wie Cedric sie anschließend auf das Bett gedrückt hatte, ihre Beine gespreizt und sie genommen hatte. Hart. Und ihr hatte jede Sekunde davon gefallen. Selbst der Schmerz hatte etwas für sich gehabt. „Wann zur Hölle bin ich bitte zu einer Masochistin geworden?“ Grell hob eine Augenbraue. „Dank der Aussage deines Lovers von vorhin kann ich mir sehr gut vorstellen, was danach passiert ist“, sagte er trocken, zwinkerte ihr im nächsten Moment allerdings wieder bereits neckend zu. Carina schnaubte. „Ja, sein loses Mundwerk ist leider etwas, was ich in Kauf nehmen muss, wenn ich mit ihm zusammenbleibe.“ Sie warf ihrem besten Freund einen fragenden Blick zu. „Muss ich jetzt noch Details ausführen oder reicht dir die Aussage, dass es großartig war und ich mittlerweile wund bin?“ Grells Gesicht leuchtete auf wie eine rote Ampel. „Ich weiß gar nicht, was du hast“, murmelte er und verschränkte etwas beschämt die Arme vor der Brust. „Dein Mundwerk steht seinem nun wirklich in nichts nach.“ „Du hast ja keine Ahnung“, grinste sie. Sie plauderten weiter, während sie den Park durchquerten und schließlich gingen sie durch eine kleine Allee, die – wie Carina wusste – in 10 Minuten in ein Wohngebiet übergehen würde. „Ehrlich? So schlimm?“ „Ja“, seufzte Grell und massierte sich die Stirn. „Momentan herrscht in unserer Abteilung einfach das absolute Chaos. Seit ich im Dispatch arbeite, waren wir noch nie so unterbesetzt. Seelensammler scheint nicht mehr der bevorzugte Berufswunsch der Neulinge zu sein.“ „Niemand hat gesagt, dass der Job leicht ist“, antwortete Carina, fügte allerdings gleich darauf hinzu: „Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, was an den anderen Abteilungen so toll sein soll. Ich hätte mich da zu Tode gelangweilt. Na ja, vielleicht wollen welche in die Forensik wechseln oder so…“ „Bloß nicht“, stöhnte Grell. „Ich hab dir doch schon mal erzählt, dass dort nur Wahnsinnige arbeiten. Da muss man sich doch nur Othello ansehen, das sagt einem doch bereits alles, was man wissen muss.“ Die Blondine runzelte die Stirn. „Und wer soll dieser Othello nun wieder sein?“ „Einer der größten Freaks, der mir je über den Weg gelaufen ist“, maulte Grell und Carina konnte nicht anders, sie lachte. „Und das ausgerechnet aus deinem Mund“, schmunzelte sie, was unweigerlich dazu führte, dass ihr Mentor empört die Wangen aufplusterte. „Na, hör mal. Ich bin vielleicht speziell, aber ganz sicher kein Freak. Das ist ja wohl was vollkommen anderes!“ „Sei froh, dass ich dein Gesprächspartner bin und nicht William. Sonst könntest du dich spätestens jetzt auf eine ellenlange Diskussion einstellen“, lautete ihre Antwort. Grell verdrehte hinter seinen roten Brillengläsern genervt die Augen. „Pff, William. Hör mir bloß auf mit William.“ Carina starrte ihn daraufhin mehr als nur irritiert an. Was war denn jetzt los? „Ich liebe es ja eigentlich, wenn er so unterkühlt drauf ist, das weißt du. Aber in letzter Zeit benimmt er sich einfach nur noch unmöglich. Er schreit jeden an, der sein Büro betritt und niemand, absolut niemand, kann es ihm zurzeit recht machen. Dabei versuchen wir doch schon alles, um die fehlenden Leute auszugleichen und alle Seelen fristgerecht einzusammeln. Ich zum Beispiel lasse mir die Überstunden schon gar nicht mehr aufschreiben, weil ich sie eh niemals nehmen kann. Doch Mister Gutaussehend hat noch nicht mal dafür ein lobendes Wort übrig.“ „Was hast du erwartet? William hat ja nun wirklich noch nie zu der Sorte Mann gehört, die mit Komplimenten um sich schmeißt“, meinte Carina und begutachtete nebenbei interessiert den Baustil der kleinen, englischen Häuser, an denen sie nun vorbeigingen. „Wo du Recht hast“, seufzte er und zupfte sich die schwarzen Handschuhe von den Fingern, um anschließend seine leuchtend roten Fingernägel zu begutachten. „Ich glaube das Verschwinden von Crow hat ihm den letzten Rest Selbstbeherrschung geraubt. Kein Wunder, in letzter Zeit sind zu viele Shinigami verschwunden. Du, Crow und natürlich…“ Er ließ den Satz unbeendet, doch Carina wusste, dass er von Alice sprach. „Dann noch die Vorfälle mit Undertaker und die Tatsache, dass unser Dispatch auf der letzten Konferenz ziemlich durch den Dreck gezogen wurde… Und im Gegensatz zu uns beiden hat William keine Ahnung, was die Hintergründe sind und was überhaupt vor sich geht. Ich fürchte wirklich, dass ihm das alles mehr zusetzt, als er jemals zugeben würde.“ Auf eine seltsame Art und Weise bekam Carina plötzlich ein schlechtes Gewissen. Irgendwie ging fast alles von den genannten Punkten auf ihr Konto, obwohl sie natürlich absolut nichts dafür konnte. Dennoch, irgendwie wünschte sie sich, sie könne helfen. „Wenn ich euch helfen könnte, dann würde ich es tun“, sagte sie nun auch genau das, was sie dachte. „Aber wir wissen beide, dass meine Tage als Schnitterin gezählt sind. Nicht, dass ich es unendlich vermisse, aber irgendwie war ich doch ganz gut in dem, was ich tat.“ „Ganz gut?“, grinste Grell und verpasste der 19-Jährigen einen sanften Klaps auf den Hinterkopf. „Du warst die Beste in deinem Jahrgang. Stell dein Licht nicht immer so unter den Scheffel.“ Gerade, als Carina ein scherzhaftes „Ja, Sir“ entgegnen wollte, ertönte einige Häuser von ihnen entfernt ein lauter Schrei, der die friedliche Mittagsstille durchbrach. Beide Todesgötter zuckten vor Schreck zusammen und wandten gleichzeitig den Kopf nach vorne. Eine junge Frau, sicherlich nicht älter als Anfang 20, taumelte keuchend aus einem der Häuser heraus. Ihr rotbraunes Haar war ein wenig zerzaust, als wäre sie soeben erst aufgestanden, ihre grauen Augen blickten panisch von links nach rechts. Und sie war eindeutig schwanger, denn ein kleiner Babybauch zeichnete sich bereits unter dem dünnen Stoff des grünen Kleides ab, das sie trug. „Was zum Teufel…“, murmelte Grell verwirrt, während Carina stumm die werdende Mutter betrachtete, die vollkommen hektisch und willkürlich Menschen auf der Straße ansprach, nur um dann direkt zu den nächsten Spaziergängern weiter zu hechten. Die ehemalige Schnitterin spürte Wut in sich aufsteigen. Die Frau schien Hilfe zu brauchen, aber scheinbar interessiert das in diesem Viertel niemanden, denn alle Leute wandten sich sofort von ihr ab, ohne ihr überhaupt großartig zuzuhören. Bevor Grell sie in irgendeiner Weise aufhalten konnte, setzte sie sich bereits in Bewegung. „Carina, warte“, rief er ihr sofort hinterher, holte sie aber erst dann ein, als sie die junge Frau beinahe erreicht hatte. „Entschuldigen Sie“, begann die 19-Jährige und ergriff die Schwangere sanft an der Schulter. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Brauchen Sie vielleicht einen Arzt?“, fügte sie hinzu, als sie nun in das Gesicht der Fremden schauen konnte. Sie war kreidebleich. „Oh Gott sei Dank“, stammelte die junge Frau, erleichtert darüber, dass ihr endlich jemand zuhörte. „B-bitte helfen Sie mir, i-ich w-weiß einfach nicht, was ich machen soll.“ Sie brach in Tränen aus und ohne auch nur einen Blick auf Grell zu werfen wusste Carina, dass er das hier für eine äußerst schlechte Idee hielt. Shinigami sollten sich nicht in die Angelegenheiten von Menschen einmischen. Aber erstens war sie strenggenommen gar nicht mehr im Dienst und zweitens konnte sie doch nicht einfach an jemandem vorbeigehen, der so offensichtlich um Hilfe bat. Nein, so war sie nicht erzogen worden und so würde sie sich auch nicht verhalten. Das konnten die meisten anderen Menschen um sie herum schon ganz gut. „Was ist passiert?“, flüsterte sie leise, aber mit fester Stimme. „Wurden Sie überfallen? Ist noch jemand in Ihrem Haus?“ Nach wie vor war das ein rotes Tuch für Carina. Sollte ihre Vermutung tatsächlich zutreffen, dann konnte sich der Mann auf etwas gefasst machen. „Nein, es geht um meinen Mann“, rief die Schwangere verzweifelt und packte nun ihrerseits Carina an den Schultern, scheinbar nun mit neuem Selbstbewusstsein. „Bitte, Sie müssen mir helfen die Tür zum Badezimmer aufzubekommen. Er hat sich dort eingeschlossen und ich habe Angst, dass er sich etwas antun will.“ Die beiden Todesgötter erstarrten. Vollkommen fassungslos starrte Carina die Frau an und hoffte für einen unendlich langen Moment einfach, dass sie sich gerade verhört hatte. Aber ein Blick in Grells Gesicht sagte ihr, dass die Realität anders aussah. Was war es nur für eine traurige Ironie, dass ausgerechnet ihnen das passieren musste? „Okay“, beschloss die Blondine schließlich, nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, „Grell, wir gehen da rein.“ „Wir tun was?“, fragte Angesprochener geschockt, während die Dame vor ihnen erneut anfing zu weinen und immer wieder Worte des Dankes hervorstotterte. „Wir gehen da rein“, wiederholte die Schnitterin, obwohl sie wusste, dass Grell sie auch schon beim ersten Mal verstanden hatte. „Wo ist das Badezimmer?“ „I-im zweiten Stock. Warten Sie, ich werde es Ihnen zeigen“, sagte die besorgte Ehefrau, kam aber keinen Schritt weit. „Nein, Sie bleiben schön hier“, erwiderte die 19-Jährige in einem Befehlston, der sie selbst überraschte. „Aber“, begann die Betroffene zu diskutieren und schaute die Fremde vor sich aus geweiteten grauen Augen an, „es geht hier um meinen Mann“, hauchte sie schließlich mit gebrochener Stimme. Mitleid wallte in Carina auf. Natürlich konnte sie das nachvollziehen. Sie selbst würde sicherlich nicht anders handeln wollen, wenn es hier um Cedric gehen würde. „Wie heißen Sie?“, fragte sie, nun wieder in einer sanfteren Tonlage. „…Emma“, schniefte ihre Gegenüber und nahm fast wie in Trance das rote Taschentuch entgegen, das Grell ihr reichte. „E-Emma Sterling.“ „Gut, Emma, hör mir zu“, ergriff Carina erneut das Wort und ging kommentarlos zum Du über. „Ich kann verstehen, dass du wieder in euer Haus gehen willst, um deinem Mann zu helfen. Das kann ich wirklich. Aber bedenke, was du dort möglicherweise zu sehen bekommst. Im schlimmsten Falle.“ Emma erbleichte noch mehr, was die Todesgöttin dazu veranlasste ihre Hände zu ergreifen. „Denk an dein Baby. Die ganze Aufregung ist ohnehin schon nicht gut für euch beide. Ich möchte nicht riskieren, dass es noch schlimmer wird, verstehst du?“ Die Hand der jungen Frau legte sich sogleich auf ihren Bauch und Carina wusste automatisch, dass sie dies eher unbewusst tat. Auch sie hatte dies in der Schwangerschaft oft gemacht. Sie spürte Sympathie in sich aufsteigen. „Ich weiß, wir kennen uns nicht, aber vertrau mir und bleib hier. Mein bester Freund und ich werden jetzt in euer Haus gehen und nach deinem Mann schauen. Sobald wir mehr wissen, komme ich dich holen, in Ordnung?“ Die werdende Mutter schien einzusehen, dass Carina Recht hatte, denn sie nickte einmal schwach und lehnte sich dann zitternd gegen einen Laternenpfahl, der direkt vor besagtem Haus aus dem Beton ragte. Carina verlor keine weitere wertvolle Zeit und stürmte sofort die Treppen zur Haustür hoch. In solch einem Fall konnte jede Sekunde von entscheidender Bedeutung sein, das wusste sie. Jegliche Fragen, die ihr bezüglich der Vermutung Emmas, ihr Mann wolle sich etwas antun, auf der Zunge lagen, stellte sie daher vorerst hinten an. „Carina, ich halte das für gar keine gute Idee“, sagte Grell hinter ihr und folgte ihr nun auch noch die Treppe in den zweiten Stock nach oben. „Das ist mir bewusst, aber ich kann die Arme doch nicht einfach auf der Straße stehen lassen. Und mal abgesehen davon… wenn ich jemanden vor dem Schicksal bewahren kann ein Shinigami zu werden, dann werde ich das auch tun.“ „Ich verstehe dich ja“, gab der Rothaarige zu. „Aber wir müssen vorsichtig sein. Was, wenn er bereits tot ist oder gleich stirbt? Dann wäre jetzt gerade ein Shinigami bei ihm, um nach seinem Selbstmord sein Mentor zu werden. Und wenn wir entdeckt werden, insbesondere du, dann haben wir ein Problem.“ „Glaubst du, der Gedanke ist mir noch nicht gekommen? Ich unterdrücke bereits seit einigen Minuten meine Energiesignatur. Außerdem spüre ich hier niemand anderen. Du?“ „Nein, ich auch nicht“, seufzte Grell und fand sich damit ab, dass sie das Risiko scheinbar eingehen mussten. „Steht er denn auf der Liste?“ „Guter Vorschlag“, erwiderte er und zog das kleine Buch hervor. Auf diese Idee hätte er auch eigentlich selbst kommen können. „Sterling…Sterling… nein, steht er nicht.“ „Gut“, antworte Carina daraufhin nur und wandte sich dann wieder besagtem Zimmer zu. Die Tatsache, dass er nicht auf der Liste stand, ließ nur zwei Schlussfolgerungen zu. Entweder er hatte nie versucht sich etwas anzutun oder aber er hatte, würde aber nicht daran sterben. Eigentlich beides positive Aussichten, aber man konnte sich mit dieser blöden Liste nie zu 100 % sicher sein. Es konnten immer Fehler passieren… „Also los“, murmelte sie und klopfte fest gegen die verschlossene Badezimmertür. „Mr. Sterling?“, rief sie laut und horchte. Kein Geräusch ertönte hinter der Tür, nicht mal mit ihrem übermenschlichen Gehörsinn nahm sie die kleinste Regung wahr. Etwas, was überhaupt nicht zu ihrer Beruhigung beitrug. „Schön, dann eben mit Gewalt“, seufzte sie. Grell nickte ihr zu und eine Sekunde später traten die beiden synchron gegen die Tür. Das Holz splitterte, als sie aufflog und schief in den Angeln hängen blieb, doch das interessierte niemanden. Denn der Anblick, der sich ihnen jetzt bot, war weitaus schlimmer. „Oh Gott“, hauchte Carina und kniete im nächsten Moment bereits neben dem jungen Mann, der leblos gegen den Rand der Badewanne gelehnt dasaß. Auf den ersten Blick sah die Situation eigentlich nicht lebensbedrohlich aus. Folgte man aber dem rechten Arm, den er in der Badewanne platziert hatte, und dem Blut, das sich bereits in einer mittelgroßen Pfütze am Boden eben dieser angesammelt hatte und aus dem tiefen Schnitt am Handgelenk auch weiterhin in rauen Mengen austrat, dann sah die Lage schon ganz anders aus. Einige seiner wenigen tiefschwarzen Stirnfransen hingen ihm verschwitzt im Gesicht und betonten die abnormale Blässe seiner Haut nur noch, zweifelsohne herbeigerufen durch den hohen Blutverlust. Scheiße, das war sicherlich schon mehr als ein Liter… Carina zögerte etwa 2 Sekunden, um den Anblick für sich selbst zu verarbeiten, dann reagierte sie. Mit einem Satz stand sie auf und riss das erstbeste kleine Schränkchen im Raum auf. Nach weiteren 10 Sekunden wurde sie fündig. „Schnell, Grell, gib mir eins von deinen Taschentüchern“, sagte sie hektisch, kniete sich erneut neben den Bewusstlosen und legte die zwei Verbandsröllchen neben sich. Ihr Mentor reagierte nicht. „Grell, wir haben keine Zeit, um-“ Die Blondine brach ab, als sie in das kränklich bleiche Gesicht des rothaarigen Reapers schaute. Erst jetzt dämmerte es ihr. Auch er hatte damals diese Methode gewählt, um sich das Leben zu nehmen und jetzt wurde er auf besonders schmerzhafte Art wieder daran erinnert. „Grell, reiß dich zusammen“, rief sie laut, was ihren Freund wieder in die Gegenwart zurückholte. Er zuckte kurz zusammen, griff dann aber in seine Jackentasche und holte das gewünschte Tuch heraus. Carina riss es ihm aus der Hand, faltete es einmal in der Mitte und presste es sogleich als Wundauflage gegen die geöffnete Pulsader. Die nächsten Schritte sprulte sie einfach nur wie einen Film herunter. Sie wickelte einen der Verbände zweimal um die Wunde herum, dann legte sie die andere Verbandsrolle als Druckpolster auf die Wunde und benutzte abschließend den Rest des ersten Verbandes. „Okay“, sagte sie, um sich selbst zu beruhigen. „Druckverband ist angelegt, was kommt jetzt? Hochlagern“, beantwortete sie sich ihre eigene Frage, legte den Körper des Mannes vorsichtig auf den Boden und hielt den verletzten Arm nach oben. „Er muss in ein Krankenhaus. Er hat zwar noch nicht die Menge an Blut verloren, die zwingend lebensbedrohlich ist, aber die Wunde muss dringend genäht werden“, brachte Grell hervor und schluckte gleich darauf, um sich die ausgetrocknete Kehle zu befeuchten. Carina zögerte. Sie wusste, dass Grell Recht hatte, aber die Vorstellung behagte ihr dennoch nicht sonderlich. Abgesehen davon, dass zum jetzigen Zeitpunkt gerade einmal jede zweite Bluttransfusion erfolgreich verlief, weil die einzelnen Blutgruppen noch nicht erforscht worden waren, würden die Ärzte sofort erkennen, dass es sich hier um einen Selbstmordversuch handelte. Die Folge wäre mit ziemlicher Sicherheit die Einweisung in eine Anstalt und der Gedanke gefiel Carina überhaupt nicht. Jedenfalls nicht im jetzigen Jahrhundert. „Wir sollten seine Frau dazuholen. Sie muss entscheiden, was mit ihm geschehen soll“, sagte sie schließlich und Grell stand mit einem Nicken auf. „Gut, ich werde sie holen“, erwiderte er und Carina wusste, dass er mehr als nur froh war endlich diesem Raum verlassen zu können. Ihre Augen wanderten über das nach wie vor bleiche Gesicht des Bewusstlosen. Auch er war noch sehr jung, vielleicht nur ein paar Jahre älter als Emma. „Wäre er nicht so blass und hätte das halbe Badezimmer vollgeblutet, dann wäre er sicherlich ziemlich hübsch.“ Ja, seine Gesichtszüge sagten das in aller Deutlichkeit. Emma hatte sicherlich deutliche Konkurrenz gehabt. Trotzdem war sie bereits jetzt gespannt darauf zu erfahren, warum der junge Mann sich hatte umbringen wollen. „Seine Frau ist schwanger, verdammt“, dachte sie verärgert. Wären Grell und sie nicht vorbeigekommen, dann hätte das Kind seinen Vater niemals kennengelernt. Gut, er hatte nicht auf der Liste gestanden, also hätte der werdenden Mutter vermutlich doch noch irgendjemand auf der Straße geholfen, aber das war nicht der Punkt. „Hätte sie ihn so zu Gesicht bekommen…“ Das Ausmaß wollte Carina sich nicht einmal vorstellen. Geistesgegenwärtig sorgte sie schnell dafür, dass sich kein Blut mehr in der Badewanne befand. Auch diesen Anblick wollte sie der jungen Frau ersparen. Und sie war keine Sekunde zu früh damit dran, denn nur wenige Augenblicke später tauchte die Betroffene im Türrahmen auf. „Um Gottes Willen“, hauchte sie und sank gleich darauf neben ihrem Mann zu Boden, erneut in Tränen aufgelöst. Carina konnte es ihr nicht verdenken. „Er lebt, keine Sorge“, sagte sie, obwohl Grell ihr das sicherlich auch schon erklärt hatte. „Die Frage ist, ob sie möchten, dass er in ein Krankenhaus kommt.“ Die grauen Augen wurden ein wenig klarer, als Emma nachdachte. Scheinbar verstand sie, wie ernst die Lage war und was Carina mit ihrer Frage suggerierte. „Nein“, entschied sie sich relativ schnell und obwohl sie am ganzen Leib zitterte, war ihre Stimme nun fest. „Ich bin ausgebildete Hebamme, ich kann seine Wunde nähen.“ Carina atmete erleichtert aus. So kamen sie immerhin drum herum Cedric um Hilfe zu bitten, den sie bereits als Notfallplan im Hinterkopf gehabt hatte. Der Bestatter konnte immerhin mit Nadel und Faden umgehen wie kein Zweiter und- „Ach du Scheiße… Cedric“, fiel es ihr auf einmal siedendheiß wieder ein. „Aber stell bloß keinen Unsinn da draußen an.“ Sie schluckte. Streng genommen fiel einem Menschen das Leben zu retten sicherlich nicht in die Kategorie „Unsinn anstellen“, aber irgendwie bezweifelte sie, dass der Silberhaarige das genauso sah. Dabei konnte sie dieses Mal nun wirklich nichts dafür. „Da hab ich mich mal wieder in eine Scheiße hineinmanövriert. Großartig“, dachte sie mit einer gehörigen Portion Sarkasmus, während sie gleichzeitig stillschweigend dabei zusah, wie Emma mit geübten Handgriffen die Wunde ihres Mannes reinigte und anschließend mit einer sterilen Nadel verschloss. Scheinbar hatte die junge Frau sich wieder beruhigt, denn ihre Finger zitterten beim Nähen nicht ein einziges Mal, trotz der Tatsache, dass natürlich erneut eine beachtliche Menge Blut austrat. War Cedric auch so ruhig geblieben, als er die Schnittwunde an ihrem Rücken genäht hatte? Vermutlich, so wie sie ihn kannte. Emma desinfizierte das Handgelenk nach erledigter Arbeit erneut und legte abschließend einen neuen Verband an. Erst als auch das erledigt war, erlaubte sie es sich selbst den Schweiß von der Stirn abzuwischen und ein wenig in sich zusammenzusacken. „Du Idiot“, wisperte sie leise und legte ihre rechte Hand an seine linke Wange. „Charlie, du gottverdammter Idiot. Warum hast du das getan?“ Grell runzelte die Stirn. „Ich habe gedacht, dass du den Grund wüsstest. Sonst hättest du doch kaum so schnell etwas unternommen, als er sich im Badezimmer eingeschlossen hat oder nicht?“ „Nein“, erwiderte sie und zwei dicke Tränen rollten ihre Wangen hinab, die von den salzigen Spuren schon ganz gereizt waren. „Aber er benimmt sich schon seit Tagen so seltsam. Als ich ihm vor 3 Monaten gesagt habe, dass ich in der achten Woche schwanger bin, da hat er sich noch so gefreut. Doch seit vorletzter Woche ist er plötzlich wie ausgewechselt. Er lächelt nicht mehr, guckt mir nicht mehr in die Augen und jedes Mal, wenn ich ihn darauf angesprochen habe, dann hat er alles abgestritten und das Thema abrupt gewechselt. Aber ich wusste, dass ich mir das nicht nur einbilde. Wir kennen uns seit wir Kinder waren und ich erkenne, wenn ihn etwas bedrückt. Bisher konnten wir auch immer über alles reden, aber wie aus heiterem Himmel hat er mich auf einmal ausgeschlossen, einfach so! Und als ich dann gerade eben die verschlossene Badezimmertür bemerkt habe und er auf mein Klopfen und Rufen nicht mehr reagierte… da habe ich Panik bekommen“, schluchzte sie leise. Carina strich ihr beruhigend über den Rücken. „Ganz ruhig. Er lebt. Er ist am Leben, hörst du?“ Emma nickte und hickste einmal. „Grell, kannst du ihn in das Schlafzimmer tragen? Ich schätze bei der Menge an Blut, die er verloren hat, wird er sicherlich nicht vor morgen Mittag erwachen. Er sollte schlafen, damit sein Körper das verlorene Blut nachbilden kann. Und sorg bitte dafür, dass er auch im Bett bleiben wird, ja?“ Der Rothaarige nickte und hob den Bewusstlosen vorsichtig hoch, um anschließend aus dem Badezimmer zu verschwinden. „Komm Emma, ich setze dir einen Tee auf“, fuhr Carina sanft fort, nahm die aufgelöste Frau an den Schultern und verfrachtete sie im unteren Stockwerk auf ein gemütlich aussehendes Sofa. Schnell hatte sie auch die Küche gefunden und bereits 5 Minuten später stellte sie eine Tasse mit Kamillentee auf den kleinen Tisch vor der Sitzgelegenheit. „Er muss noch etwas ziehen, aber sollte helfen deine Nerven ein wenig zu beruhigen. Ich weiß, es ist schwer, aber-“ „Danke“, wurde sie mitten im Wort unterbrochen. Carina schaute mit größer werdenden Augen dabei zu, wie die Hebamme sich aufrichtete und dann das Haupt tief senkte, um sich vor ihr zu verbeugen. „Danke, dass ihr mir geholfen habt. Ich weiß nicht, wie ich das je wieder gutmachen kann. Mein Mann verdankt euch sein Leben und ich… ich weiß nicht, was ich sagen soll“, krächzte Emma leise und stammelte dann erneut ein leises Dankeschön. Die Schnitterin lächelte, wenn auch ein wenig betrübt. „Ich wünschte, ich könnte jetzt sagen, dass das selbstverständlich war, aber leider ist das nicht der Fall, wie wir vorher auf der Straße bedauerlicherweise feststellen mussten.“ Manche Menschen waren einfach nur auf ihr eigenes Wohl fixiert. Der Gedanke machte Carina krank. „Daher sage ich nur so viel: Gern geschehen. Ich bin froh, dass es deinem Mann gut geht. Kein Kind sollte ohne Vater aufwachsen.“ Emma lächelte nun ebenfalls leicht und strich sich über den gewölbten Unterleib. „Ja, das stimmt“, hauchte sie. „Ich danke dir, Carina. Das war doch dein Name, oder?“ Angesprochene nickte und wurde gleich darauf wieder eine Spur ernster. „Hör mal, Emma. Da gibt es etwas, was ich dir noch sagen muss. Ich habe keine Ahnung, wie es um die Psyche deines Mannes bestellt sein wird, wenn er morgen wieder zu sich kommen wird. Grell wird ihn in eurem Bett fixieren, damit er nicht weglaufen oder sich noch einmal etwas antun kann.“ Die Schwangere schluckte, gab aber mit einem Absenken ihres Kinns die stumme Zusage zu besagtem Vorgehen. „Das hört sich jetzt vielleicht seltsam an, aber ich würde gerne morgen noch einmal wiederkommen, um mit Charlie zu sprechen. Vielleicht bekomme ich ja etwas aus ihm heraus. Ich… kenne mich ein wenig mit suizidgefährdeten Menschen aus.“ „In Anbetracht der Tatsache, dass ich an meinen eigenen Ehemann wohl nicht mehr rankomme“, entgegnete Emma niedergeschlagen und wischte sich mit Grells Taschentuch abermals das Gesicht trocken, „rede mit ihm, wenn du das möchtest. Wenn… wenn du das wirklich möchtest und ich nicht zu aufdringlich bin und es nicht zu viel verlangt ist.“ Carina grinste. Emma Sterling schien eine sehr einfühlsame Person zu sein und erinnerte sie automatisch ein wenig an Alice. Auch die schwarzhaarige Shinigami hatte sich immer viel zu sehr um die Meinung und Gefühle der Menschen um sich herum gesorgt. „Ich möchte es“, bestätigte sie der besorgten Frau ein weiteres Mal und erhob sich langsam vom Sofa, als Grell die Treppe hinunterkam. Er nickte einmal zum Zeichen dafür, dass oben alles in Ordnung war und wandte sich dann seinerseits auch noch einmal an Emma. „Lass ihn am besten vorerst nicht mehr aus den Augen.“ „Das werde ich. Vielen, vielen Dank“, verbeugte sie sich jetzt auch vor Grell, der dies mit einem wirschen Handgefuchtel abtat und das Gesicht – scheinbar genervt – abwandte. Carina jedoch durchschaute seine Fassade und erkannte den leichten Rotschimmer auf seinen Wangenknochen. Sie wechselten noch ein paar abschließende Worte mit der Brünetten und verließen 5 Minuten später schließlich das kleine Häuschen. Es war, als würden sie in eine gänzlich andere Welt eintreten. Hier draußen ahnte niemand, was hinter diesen Türen heute beinahe passiert wäre. Dass eine Familie heute beinahe vollkommen auseinandergebrochen wäre… Die Welt war hart und grausam. Eine Lektion, die Carina während ihrer Zeit im Dispatch auf die harte Tour hatte lernen müssen. Und eine Erkenntnis, die sie leider immer wieder einholte. „Carina, das war keine gute Idee“, wiederholte Grell noch einmal das, was er ihr ganz zu Anfang schon einmal gesagt hatte. Die Blondine sah ihn ein wenig genervt an, während sie den Weg durch den Park zurücknahmen, den sie zuvor bereits gwählt hatten. „Wenigstens von dir hätte ich mir ein wenig mehr Verständnis erhofft, Grell. Es reicht mir schon, dass ich mir von Cedric nachher wieder was anhören darf.“ „Womit er nicht ganz Unrecht hätte“, sagte er, verschränkte die Arme vor der Brust und rümpfte kurz die Nase, wie es sonst nur tadelnde Mütter taten. „Es ist uns aus gutem Grund verboten sich in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen. Was, wenn unser Eingreifen Folgen hat? Was, wenn dieser Mann eigentlich sterben sollte und unseretwegen nun weiterlebt?“ „Grell, dass er nicht auf der Liste stand, kann tausend Ursachen haben. Vielleicht hätte ihn jemand anders geretten oder seine Frau hätte doch noch einen Weg gefunden, die Tür alleine zu öffnen. Oder er wäre vielleicht noch rechtzeitig zu sich gekommen und hätte es sich anders überlegt, um mit letzter Kraft die Tür aufzuschließen. Oder-“ „Oder er sollte sterben und die Verwaltung hat einen Fehler gemacht“, unterbrach Grell sie und grummelte noch ein leises „Wäre ja nicht das erste Mal“ hinterher. Carina hob eine Augenbraue. „Komm schon Grell, wie wahrscheinlich ist das bitte? Die Wahrscheinlichkeit liegt laut unserer Statistik unter 2 %. Wenn man jetzt noch darüber Bescheid weiß, dass Zeitreisende, die Selbstmord begangen haben, diese Statistik verfälschen, dann liegt der Prozentsatz wahrscheinlich sogar noch unter 1.“ Spöttisch hob sie nun auch noch die andere Augenbraue. „Oder willst du mir vielleicht jetzt auch noch sagen, dass es ja gut sein könnte, dass er ein Zeitreisender ist?“ „Nein, natürlich nicht“, antwortete der Rothaarige und plusterte ein wenig beleidigt die Wangen auf. „Ich glaube nicht an Klischees und das wäre es wohl, wenn ausgerechnet wir beide mal eben auf einen weiteren Zeitreisenden stoßen sollten.“ „Das wäre auch unmöglich. Emma meinte doch, dass sie sich seit ihrer Kindheit kennen. Falls er also nicht gerade als kleines Kind durch die Zeit gereist sein sollte, dann können wir das mit ziemlicher Sicherheit ausschließen. Mit Sicherheit hätte Crow es mir gegenüber erwähnt, wenn es solch einen Fall schon einmal gegeben hätte. Der wäre doch auch nicht davor zurückgeschreckt ein Kind zu foltern…“ „Stimmt, stimmt, da hast du schon Recht“, beeilte sich Grell zu sagen, als er den seltsamen Unterton seiner besten Freundin im letzten Satz vernahm. Sie sollte jetzt bitte nicht an ihre eigene Folter zurückdenken! Carina atmete einmal tief durch. „Fakt ist jedenfalls, dass er nicht auf der Liste stand und auch kein Shinigami aufgetaucht ist, um ihn bei seinem Tod – der sicherlich nicht mehr lange auf sich hätte warten lassen – in Empfang zu nehmen. Also mach dir bitte keinen Kopf, Grell. Ich bin mir sehr sicher, dass wir nichts ausgelöst haben, was für uns Folgen haben könnte.“ Der Shinigami wirkte nun tatsächlich ruhiger als zuvor. Carina schaffte es sowieso immer ihn in irgendeiner Art und Weise zu beruhigen und wenn sie dann auch noch mit so einer nicht zu leugnenden Logik um die Ecke kam, dann musste er erst recht einsehen, dass er wohl ein wenig überreagiert hatte. „Trotzdem solltest gerade du dich nicht zu sehr in die Angelegenheiten von Menschen einmischen“, grummelte er leise, immer noch die Arme vor der Brust verschränkt. „Du darfst nicht vergessen, dass du immer noch auf der Flucht bist, Carina.“ Angesprochene grinste. „Keine Sorge. Die größten Regelverstoße überlasse ich weiterhin gerne dir“, gluckste sie, was jetzt sogar Grell ein Kichern entlockte. „Genau, ich kann das nämlich viel besser als du“, sagte er und entblößte dabei seine spitzen Zähne. „Das steht wohl außer Frage“, erwiderte sie trocken. „Aber mittlerweile stehen wir uns bei Regelverstößen glaube ich in Nichts mehr nach. Ich kann Williams Stimme quasi in meinem Kopf hören.“ Die Blondine ahmte Williams Art vortrefflich nach, indem sie einen finsteren Gesichtsausdruck aufsetzte und die Stimme tadelnd tiefer verstellte. „Sutcliff, das ist alles nur Ihre Schuld. Als Mentor haben Sie eine Verantwortung Ihren Schülern gegenüber. Mir war von Anfang an klar, dass Sie einer solchen Vorbildsfunktion nicht gerecht werden können.“ Grell starrte sie monoton an. „… es ist gruselig, dass du ihn so gut nachmachen kannst, nur dass du es weißt.“ Sie lachten beide und die Anspannung, die in der Luft gelegen hatte, löste sich etwas. Das hielt bei Carina allerdings nicht sonderlich lange an, denn bei Grells nächsten Worten versteifte sie sich abrupt. „Jetzt musst du es nur noch Undy sagen.“ Die 19-Jährige stöhnte und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. „Das wird Ärger geben. Scheiße, was rede ich da. Das wird verdammt großen Ärger geben“, fluchte sie und raufte sich die Haare. „Ich will nicht sagen, dass du nicht in diese Situation gekommen wärst, wenn du auf mich gehört hättest, aber“, begann Grell und grinste sie breit an, „du wärst nicht in diese Situation gekommen, wenn du auf mich gehört hättest.“ Carina zog eine Schnute. „Jaja“, gab sie genervt zurück und kratzte sich etwas ratlos an der Stirn. „Was soll’s. Ich bin froh, dass ich einen Menschen davor bewahren konnte das gleiche Schicksal wie wir zu erleiden, also ist es schon gut so.“ „Wobei er vielleicht ein wenig dazu beigetragen hätte unser Personalproblem zu lösen“, seufzte der Rothaarige. „Grell“, stieß die 19-Jährige entrüstet hervor und starrte ihren besten Freund tadelnd an. „War ein Scherz, war ein Scherz“, fügte er schnell hinzu und hob abwehrend beide Hände. „Mein Gott, du verstehst heute ja auch wirklich gar keinen Spaß mehr.“ „Wundert dich das etwa?“, entgegnete sie trocken und rieb sich erneut über die Stirn. Nur zu gerne hätte sie den Shinigami jetzt auf seine Reaktion angesprochen, die er vorhin auf die aufgeschnittene Pulsader des jungen Mannes gezeigt hatte, aber sie war klug genug das nicht zu tun. Wenn Grell darüber sprechen wollte, dann würde er dies schon von selbst tun. Und egal, wann dieser Zeitpunkt sein würde: Wenn er käme, dann wäre Carina für ihn da. „Sieh es doch mal positiv. Noch schlimmer kann der Tag gar nicht mehr werden“, versuchte Grell sie aufzumuntern und lachte leise, was ihre Laune tatsächlich besserte. „Ja, allerdings“, lächelte sie nun auch und ließ ihre Augen über den Ausgang des Parks gleiten, der nun in Sichtweite rückte. „Und das ist auch gut so. Die eine dumme Aktion reicht schon. Eine weitere würde mir Cedric wohl kaum verzeihen.“ „Carina?“ Die Blondine stutzte und blieb abrupt stehen. Die Stimme, die gerade ungläubig ihren Namen ausgesprochen hatte, war nicht Grells gewesen. Alles in ihr erstarrte zu Stein, als sie plötzlich eine unverkennbare Aura hinter sich wahrnahm. Grell und sie drehten sich beide gleichzeitig um und beide verloren sie ebenso synchron alle Farbe im Gesicht. Doch während Grell nur hilflos die Augen weiten konnte, fand Carina dann doch noch ihre eigene Stimme wieder. „R…Ronald?“ Scheiße. Cedric würde sie sowas von umbringen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)