[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 21: Vol. 1 - "Onii-chan" Arc: Da war etwas und ich wünschte, ich wüsste es nicht. ----------------------------------------------------------------------------------------- Ich rutschte aus und fiel. Es regnete und das Stahl war viel zu glitschig als dass ich hätte irgendwie die Balance halten können. Ich hörte mich schreien, bevor mich die Schwerkraft ruckartig herunterzog. Weg von diesem vertrauten Gebäude, welches aussah, wie die... Mittelschule. Dieses Wort hatte ich Ewigkeiten nicht mehr benutzt, ich zweifelte daran, es überhaupt jemals in den Mund genommen zu haben. Der Fall schien gar nicht mehr aufzuhören, der eiskalte Herbstwind umgab meinen ganzen Körper und ich nahm jeden Reiz stärker war, als er tatsächlich war. Alles kam viel zu schnell und gleichzeitig wahr alles um mich herum so unendlich langsam. Ich drehte den Kopf flüchtig auf den nassen Betonboden, der Schulhof des Worts, das ich mir so lange so sagen verbot, ich wüsste nur so gern weshalb. Ein dumpfer Knall wurde von meinen Ohren registriert, als ich nicht genau wusste, wie und worauf ich eigentlich landete. Das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich meine Beine nicht mehr spürte, ich um Hüfte und Bauch rundum blutete und mir mein Hinterkopf unglaublich wehtat. Ich wollte schreien, vielleicht hatte ich das auch, aber ich hörte nichts, ich spürte nur. Für einen Moment glaubte ich zu spüren, wie es gerade mit mir zu Ende ging, nicht nur für diesen Moment. Das ist es also. So fühlt es sich an zu sterben. Das dachte ich, und bevor alles schwarz wurde, hörte ich unlogischerweise noch ein letztes Mal dieses ekelhafte Geräusch meines Aufpralls und darauf folgend, das Blut, das mir aus der Magengegend spritzte. Dann bewegte sich nichts mehr und alles Gefühl aus meinem Körper verebbte. Die Perspektive änderte sich plötzlich und ich sah diesen blutigen Jungen, der sich vom Schuldach stürzte und jetzt qualvoll verblutete. Diese elendig sterbende Person, das war ich. "Aaaaahhhhh!!!!!", schreie ich, als ich aufschrecke und mir kalter Schweiß ausbricht.   Was zur Hölle war das denn? Okay, so ein bisschen hätte ich es mir ja denken können, aber... es noch einmal so zu erleben, ist einfach schrecklich! Ich habe trotz aller Wünsche, meine Vergangenheit zu erfahren, nie gewollt, so verstört zu werden. Ich habe es nicht wahrhaben wollen. Nicht ansatzweise. Ich habe gehofft, die Wahrheit würde nicht so grausam aussehen. Auch wenn ich eine Ahnung gehabt haben konnte, was ich getan habe, habe ich mich immer versucht, einfach nur zu vergessen und ein normaler Mensch zu sein. Das habe ich geschafft. Was ich aber nicht schaffe, und das kann generell kein Mensch auf diesem Planeten, ist, meinen Schatten hinter mir zu lassen. Ich atme immer noch unruhig und höre das Adrenalin mit dem meinem Blut durch meine Adern rasen. Dann stimmt es also. Ich habe mich umgebracht. Oder es zumindest versucht. Aber für mich ist es dasselbe wie wirklich zu sterben. Weil ich selbst weiß, dass ich, egal wie man es dreht und wendet, und dafür brauche ich keine Erinnerungen, so oder so niemals wieder die gleichr Person sein werde wie im mir unbekannten Damals. Den alten Elvis gibt es nicht mehr. Und da ist dann noch Idris, der meint, die Seite an mir zu sein, die alles beendet hat. Die Seite an mir, die sterben wollte. Ich kann mir vorstellen, dass meine Augen vor meinem Tod sowohl rot als auch grün waren. Dass es stimmt, dass ich nur noch ein Schatten meiner Selbst bin. Und nicht Idris es war, der mich getötet hat, sondern dass ich es war, der egoistisch genug war, von der Bildfläche zu verschwinden. Der Schultag zieht sich elendig und öde in die Länge und ich versuche dabei nicht an diese verdammte Narbe zu denken, dessen Hintergrund ich zu verdrängen versuche. Endlich ist er vorbei, ich will gerade gehen, da hält mich Shuichiro auf.   "Hey, Kyokei-chan, kommst du heute mit zu diesem Maid Cafe? Hanako-chan wollte es uns unbedingt zeigen und Failman-chan hat wohl auch was damit zu tun, und du magst sie doch so sehr, und-",   "Ersteres hätte wirklich gereicht, danke, und ja, warum nicht?", antworte ich so reserviert und gleichgültig wie möglich. Es ist mir überhaupt nicht gleichgültig. "Willkommen zu Hause, verehrtester Meister!", begrüßen unsere Gang Chika und Hanazawa.   In diesem Aufzug sehen sie wirklich unglaublich aus, egal, wie stark der Kontrast von dem schwarz-weißen Kleid und Chikas grünen Haaren auch sein mag.   "Cool, nicht wahr? Die beiden sehen echt scharf aus, oder?", freut sich Akira über diesen Anblick.   "Ganz besonders Chika-chan~!", flüstert er mir ins Ohr und bockst mich in die Seite.   "Mann, Akira, das ist doch Hanazawa-san gegenüber nicht fair!", gebe ich zurück und versuche es nicht so aussehen zu lassen, als wäre mir Chikas Erscheinungsbild peinlich. Sie sieht wirklich, wenn nicht sogar viel schöner aus, als Akira es je beschreiben könnte. Aber das gebe ich niemals zu.   "Ist noch nichts dabei, ihr seid doch schließlich ein Liebespaar und so'n Zeug...", denkt Shuichiro laut und starrt die Zimmerpflanze an. "Was... meinst du wirklich?", verlegen sehe ich auf den Fußboden. Ich habe mit keiner Silbe auch nur annähernd an meinen Beziehungsstatus gedacht, seit Chika in unserer Klasse ist.   "Darüber habe ich irgendwie auch nicht wirklich nachgedacht. Manche Dinge brauchen einfach keine Worte.", meint Chika naiv mit einem Lächeln. Das war zwar schön poetisch wie niedlich, aber wie ich meine Gang kenne, wird sie das missverstehen in drei, zwei, eins:   "Waaaaas?! Kyocchi, hattet ihr beiden etwa schon Sex?!", ruft Akira durch alle vier Wände, so laut auch nicht, aber laut genug. Mein Kopf brennt und ich bin zu verlegen, um darauf einzugehen. Der Kyokei, den Akira kennt, würde knallrot sofort vom Gegenteil reden und ihm fragen, was ihm einfiele, so etwas zu behaupten. Aber dieser Kyokei hatte auch noch nie in Betracht gezogen, sich etwas Naheliegendes wie Petting auch nur vorzustellen. Nicht nur das, da gab es auch niemandem, für den ich bestätigen musste, es nicht mit dieser Person getrieben zu haben. Schlagartig suchen mich die Erinnerungen an die halbausgezogene Chika in meinem durchwühlten Bett heim und ich werde rot.   "Du gehst aber ran, Kyokei-chan, das hätte ich wirklich nicht von dir erwartet.", Shuichiro ist gerade auch keine Hilfe und während Akira sich weiter über mich lustig macht, drohe ich, den Verstand zu verlieren.   "Das reicht jetzt, ihr beiden, wir sind hier an einem öffentlichen Ort, an dem wir nicht darüber reden sollten. Ob gemacht oder nicht, ich schätze eher nicht, geht uns nichts an. Der arme Kyokei-san ist schon ganz rot, lassen wir ihn.", erst jetzt registriere ich Kaishis Hand auf meiner Schulter, die er wahrscheinlich nach Shuichiros Satz dort platziert hatte. Shuichiro und Akira sehen erst einander, dann mich und dann Kaishi an.   "Hast recht, tut uns leid, Kyokei-chan.", entschuldigt Shuichiro sich schuldbewusst. "Hehe, also ich bereue gar nichts.", schmunzelt Akira schelmisch.   "Wie soll eine Hohlbirne auch bereuen können, Egaoshita-san?", fragt Kaishi grinsend.   "Du bist echt fies, Mann!", reagiert Akira.   "Okay, das reicht jetzt, kommt, wir stehen schon gefühlt eine halbe Stunde am Eingang. Suchen wir uns einen Platz.", beende ich die Diskussion und setzen uns hin. -Nach all dem- "Warte, Kaishi!", raune ich, bevor Kaishi und Shuichiro gehen.   "Also wegen vorhin, danke!", Kaishi schaut mich kurz eindringlich an, als ob er die Wahrheit nun doch hinterfragt. Dann lächelt er und sagt:   "Nichts zu danken, irgendwer musste dich ja retten!", die beiden verschwinden hinter der nächsten Ecke und Akira macht ebenfalls Anstalten, nach Hause zu gehen.   "Bis dann, Kyocchi! Ciao, Failman! Haut rein, ihr Turteltauben!", lautet seine Verabschiedung, ehe er uns verlässt und ich mit Chika zusammen vereinsame. Als mein Blick zum Gesicht meiner neugewonnenen Freundin wandert, verwirrt mich der Ausdruck ihrer Augen. Es scheint sich ein Nebel über die sonst so strahlend goldenen Sonnen gelegt zu haben. Abwesend schaut sie noch immer Richtung Akira, der längst nicht mehr da ist, um uns zuzuwinken. In ihrem Gesicht zeichnet sich eine seltsame Mischung aus Trauer, Argwohn und Machtlosigkeit ab. Nicht wissend, was in ihr vorgeht, tippe ich ihr mit dem Zeigefinger in die Wange, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.   "Das kommt vielleicht überraschend, aber kann es sein, dass Akira und du, wie wir beide früher, so etwas wie alte Freunde seid oder so?", kaum hat diese dumme Frage meinen Mund verlassen, weiten sich ihre Augen und ich deute diese neue Mimik ihrerseits unsicher als Überraschung. Sie senkt den Blick und schüttelt dann rasch den Kopf.   "Wir sind keine Freunde.", flüstert sie.   Ich spiele mit dem Gedanken, die Frage falsch verpackt zu haben, da der Begriff Freunde vielleicht doch ein wenig übertrieben war. Bekannte wäre ja auch eine Option gewesen. Aber wären sie bloß Bekannte, würde sie nicht so schauen. Sie wäre... gefühlsneutraler. Es hätte einen Streit geben können, der die beiden Freunde auseinandergerissen und nur die Leiche ihrer Freundschaft hinterlassen hat. Damit hätte sich auch ihre Trauer erklären lassen können. Aber sie sind keine Freunde. "Ich weiß, dass mein Verhalten absolut daneben ist.", sie holt Luft.   "Egaoshita-kun gibt sich so eine Mühe, mit allen Spaß zu haben und ein fröhlicher Zeitgenosse wie Freund zu sein. Ihr seid alle mit ihm befreundet und er mit euch. Sogar Hanazawa-chan scheint ihn nicht auf dem Kieker zu haben. Nur ich... schaffe es einfach nicht, mit ihm warm zu werden. Obwohl er dein bester Freund ist, Ellie... ist er mir unangenehm, ohne... ohne mir auch nur ein Haar gekrümmt zu haben. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Es ist doch die Aufgabe, der festen Freundin, den besten Freund des festen Freundes zu mögen. Aber... mein Körper bricht unter dieser Aufgabe schlichtweg zusammen. Ich... ich bin so eine Idiotin...", völlig überwältigt von diesem langen Text sehe ich dabei zu, wie ihr Körper zittert und ihr Tränen die Wange hinunterlaufen.   Sie... weint. Weint, nur weil sie es nicht schafft, meinetwegen mit jemandem befreundet zu sein. Eine natürliche Barriere, wie manche Menschen sie nun einmal haben. Es gibt Begegnungen, die von der ersten Sekunde an eine Kriegserklärung bedeuten. Eigenschaften, oder die ganze Person selbst, die traurige Erinnerungen wachrufen, die Verletzungen im Herzen aufreißen, selbst wenn dieses versuchen sollte, zu verzeihen. Das ist ein willkürlicher Mechanismus von unserem Körper ausgehend, ein Vorgang, gegen den das Herz nahezu keine Chance hat. Meine Hand berührt ihre Wange, streicht eine Träne von ihrem Auge. Im nächsten Moment ziehe ich sie am mich und drücke meine Lippen auf ihre. Was dieser Kuss für eine Bedeutung hat, kann ich nicht genau sagen. Es ist meine Art, ihr zu sagen, dass sie ihre Probleme nicht allein zu bewältigen braucht. Meine Art, ihr zu sagen, dass ich für sie da bin, weil ich keine Worte finde, dies auszusprechen. Der Kuss schmeckt nach Tränen. Ich ramme ihr meine Zunge in den Hals und drücke ihren Körper fester an meinen. Küsse und drücke sie so fest, dass sie keinen weiteren Gedanken an die Einsamkeit verliert. Chika wimmert leicht unter meiner Offensive, als ich merke, dass es für die Öffentlichkeit ein wenig zu heftig wird. Im Hintergrund sehe ich ein kleines Kind auf uns zeigen, während die Mutter seine Augen vor uns verdeckt und mir einen missbilligenden Blick zuwirft. Ich ziehe mich etwas zurück und verschnaufe etwas. Auch Chika ringt nach der Luft, die ich ihr abgeschürt habe.   "Alles in Ordnung? Es tut mir leid, wenn ich dir in irgendeiner Weise unsensibel war.", entschuldige ich mich und wische den Rest Tränen mit beiden Daumen weg. Sie schüttelt in meinen Händen den Kopf.   "Das ist es nicht.", Chika sieht mir in die Augen. "Ich habe nur nicht damit gerechnet, so hart geküsst zu werden, nachdem ich gerade gestanden habe, was für eine Zumutung einer Freundin ich bis eben gewesen bin. Du hast mich sehr überrascht, Ellie.", Chika lächelt.   "Chika. Bitte tu mir den Gefallen und zwinge dich für mich nicht zu Überstürzungen. Ich verstehe das Prinzip der natürlichen Feindschaft. Ich kenne das, wenn man einer Person zunächst skeptisch oder sogar verhasst gegenübertritt. Das muss nicht heißen, dass sich das nicht ändern kann. Du bist liebevoll, nett und glaubst an die Herzen der Menschen. Dass auch du an deine Grenzen kommst, ist völlig akzeptabel. Du kannst es ändern.", doch ehe Chika etwas darauf erwidern kann, weiche ich zurück und fahre mir durch die Haare vor Scham.   "Ellie?", sagt sie verwirrt meinen Namen, als sie nicht versteht, wie sehr ich mich gerade schäme.   "Versteh das bloß nicht falsch, ich meine, was ich sage. Jedoch... ist das aus deiner Perspektive sicher schwer, von mir einfach stumpf zu hören, dass es besser wird. Ich bin nicht gut darin. So etwas mit Mitgefühl zu sagen. Dabei nicht an mich zu denken. Von außen hin scheine ich keine Gefühle zu haben. Ich kann dich mein Herz nicht lesen lassen, wenn ich nichts sage. Es ist so schwer, zu zeigen, was in einem vorgeht und die Zähne auseinanderzukriegen, wenn es um einen selbst geht. Ich habe dir nie gesagt, dass ich Angst habe, dich durch meine Kaltherzigkeit zu verlieren. Du hast keine Ahnung, wie hart es für Menschen ist, wenn sie den Gegenüber nicht verstehen. Ich habe keine Ahnung, wie du trotz allem an meinen Gefühlen für dich festhalten kannst, Chika.",   "Ellie, also wirklich. Chika zieht meine Hand aus meinen Haaren, sodass ich sie ansehe.   "Du hast Gefühle. Und dass ich an sie glauben kann, liegt nur daran, dass du mir zuerst gezeigt hast, wie. Tu dir selbst doch nicht so weh, als ob du nie den Mut gehabt hättest, es mir zu gestehen. Selbst wenn du mir wortlos nicht mitteilen kannst, was du fühlst, weiß ich Bescheid. Du hast nämlich Gefühle.", ich zucke zusammen, als ich ihre Wärme auf meiner Brust fühle und sich mein Herz daraufhin erschrocken an ihre Hand schmiegt.   "Ich fühle sie. Und bis ich sie sehen kann, warte ich, Ellie." Dann verschwinden die beiden hinter der nächsten Kreuzung und ich bleibe allein zurück. Mir fällt ein, dass ich mich noch bei Tante Akane melden sollte, nach dem Vorfall mit dem Motorrad und Keita. Der Himmel ist genauso trüb wie an jenem Tag und wie in dem Traum von letzter Nacht. In dem ich mich selbst in den Tod stürzte. Ein kalter Schauer lässt mich am ganzen Körper erzittern und ich gehe weiter meine Wege, in der gescheiterten Disziplin, nicht an meine alte Wunden zu denken dessen Narben ich nicht wahrhaben will. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)