Erinnerungen an ein Palastleben von C-T-Black ================================================================================ Kapitel 4: Die Rebellen ----------------------- Zwei Wochen. So lange war Kasumi bereits mit Keiji und seinen Soldaten unterwegs. Jeden Tag ging es weiter Richtung Westen und jeden Tag gewöhnte sie sich etwas mehr an ihre Situation. Von Keiji erfuhr sie viel über die Machtverhältnisse in ihrem Land. Von Kazuma viel über die Kultur und das Essen. Und von Benjiro… Sie hatte wirklich versucht ihrer Angst auf den Grund zu gehen, hatte auch versucht mit ihm zu sprechen, so wie auch er versucht hatte auf sie zuzugehen. Doch ihre Furcht war zu groß gewesen und so hatte jede Situation damit geendet, dass sie stumm und wie versteinert vor ihm stand nur um kurz darauf wegzulaufen. Sie ärgerte sich jedes Mal über ihre eigene Angst, doch sie konnte nichts dagegen tun. Es war, als würde sie in diesen Momenten nicht über ihren Körper verfügen können. So als hätte jemand anderes Macht über sie. Doch sie würde sicher nicht aufgeben. Das hatte sie sich fest vorgenommen. In den zwei Wochen, in denen sie nur zum Rasten und für die Nacht angehalten hatten, waren keine brauchbaren Erinnerungen zu Kasumi zurückgekehrt. Zumindest keine, die ihr etwas über ihre Herkunft sagten. Stattdessen erinnerte sie sich an Pflanzen und ihr Wirkung, wenn man sie kombinierte oder einzeln verwendete. Auch das Wissen über Yōkai kam zu ihr zurück. Über Arten und Eigenheiten. Was sie mochten oder verabscheuten. In ihrem früheren Leben musste sie sich viel mit diesen beiden Dingen auseinandergesetzt haben und auch wenn sie sich andere Erinnerungen sehnlicher wünschte, war sie mit diesen auch zufrieden. Alles war besser, als sich an nichts zu erinnern. Und so verbrachte sie viel Zeit damit, auf dem Weg Kräuter zu sammeln, die sie vielleicht später gebrauchen konnten. Außerdem konnte sie nicht den ganzen Tag auf dem Transportwagen mitfahren. Sie musste sich bewegen, sonst konnte sie am Abend vor lauter Rückenschmerze nicht mehr schlafen. Ein weiterer Vorteil, der mit dem Wissen über Pflanzen zu ihr zurückgekehrt war, war das Wissen um Pflanzen, die sie in ihrem Zustand bevorzugt essen sollte um ihr Kind bestmöglich zu versorgen. Und nicht nur das Kind, sondern auch die ganze Mannschaft. Sie hatte schon von Kazuma gehört, dass sie sich meistens von Fleisch und Reis ernährten, doch jetzt sorgte Kasumi dafür, dass sich alle etwas abwechslungsreicher ernährten um gesünder zu bleiben. Es war nur gut, dass Kazuma für die Versorgung der Soldaten zuständig war. So konnte sie ihren ‘großen Bruder‘ schnell davon überzeugen den Kochdienst mit ihr zu teilen. Allein schon die Tatsache, dass er dann noch mehr Zeit an ihrer Seite verbringen konnte, hatte ihn überzeugt. Bei dem Gedanken musste Kasumi Lächeln. Sie hatte sich erstaunlich schnell an Kazumas übermäßige Nähe und sein großes Aufmerksamkeitsbedürfnis gewöhnt und genoss mittlerweile sogar seine Gegenwart ungemein. Hin und wieder ritt sie auch hinter ihm auf seinem Pferd um ihren Rücken zu entlasten. Auch wenn sie dann eher im Schritt gingen als wild durch die Wälder zu preschen, wie er es sonst gerne tat. Doch sie schätzte auch Keijis ruhige Art, sein taktisch kluges Vorgehen und diese Aufmerksamkeit, die ihn immer an alles denken ließ. Dass er hin und wieder kopflos und wagemutig, fast verrückt, war, machte ihn dabei nur sympathischer. Er war jemand, den sie gerne als ‘großen Bruder‘ ansah. Vor allem, da er, mit Ausnahme von Benjiro, von allen am ehesten als dieser durchgehen konnte. Seine Weise Voraussicht hatten sie auch ohne einen Zwischenfall an ihr Ziel gebracht. Vor einer guten Stunde hatten sie am Rand eines Waldes ihr Lager aufgeschlagen. Es wurde auf einer Seite von einer Felswand geschützt und die offenen Seiten wurden bereits von einigen Soldaten bewacht. Bis zum nächsten Morgen würden sie hier rasten, bevor sie sich die Umgebung ansehen würden um schließlich die Rebellen aufzuspüren. Nachdem die Soldaten mit ihrem Abendessen versorgt waren, hatte sich Kasumi in den nahen Wald begeben um einige Kräuter zu sammeln. Natürlich immer in Sichtweite des Lagers, sonst hätte Kazuma sie nicht allein gehen lassen. Doch sie brauchte diese Momente für sich. Allein im Wald, um das Leben von diesem zu spüren, ohne dabei abgelenkt zu werden. Wenn es in sie hinein floss wie zähflüssiger Honig beruhigte sie das irgendwie. Gerade hatte sie an einem Baum einen prächtigen Pilz entdeckt, als es neben ihr im Gebüsch knackte. „Ja ich passe auf, dass ich mich nicht zu weit vom Lager entferne, Kazuma.“, sagte Kasumi amüsiert, doch es war nicht Kazuma, der aus dem Gebüsch trat sondern ein riesiger Oni. Er war mindestens zweieinhalb Meter groß und aus seinem wilden schwarzen Haar ragten zwei Hörner in den Himmel. Seine Haut war rot und er trug nur um die Hüfte das Fell eines Wildschweins oder etwas in dieser Richtung. Seine Augen glühten ebenfalls rot und als er Kasumi sah, streckte er eine, mit spitzen Klauen bewehrte, Hand nach ihr aus. Kasumi wollte schreien und davonlaufen, doch der Oni war erschreckend schnell und verschloss mit einer Hand ihren Mund, während er den anderen Arm um sie schlang um sie festzuhalten. Sie versuchte sich zwar zu wehren, doch gegen diese enorme Stärke kam sie nicht an. Im Gegenteil, der Oni hob sie auch noch hoch und trug sie ein Stück aus dem Wald. Nur damit sie sehen konnte, wie aus dem Nichts eine riesige Wand aus Wasser um ihr Lager herum erschien. Fasziniert von dem Anblick blieb der Oni stehen und ließ sogar die Hand von Kasumis Mund sinken. Doch an schreien war jetzt nicht mehr zu denken. Hinter dieser Wand aus Wasser waren ihre Freunde und mit Sicherheit hatten sie größere Probleme als sie jetzt hatte. „Bitte lass mich runter.“, bat sie deshalb nachdem sie sich wieder gefangen hatte. Der Oni brauchte einen Moment, bis er begriffen hatte, dass sie mit ihm gesprochen hatte, doch dann sah er sie überrascht an. Zu ihrer größten Verwunderung setzte er sie nach einem weiteren Moment tatsächlich auf den Boden. Doch als Kasumi sich entfernen wollte, griff er sie am Arm und hielt sie wieder fest. „Nicht weglaufen!“, befahl er mit einer tiefen Stimme, bevor er wieder auf die Wand aus Wasser sah. Leider war durch das Rauschen des Wassers nicht zu hören was dahinter vor sich ging. Doch Kasumi konnte sich nur zu gut vorstellen, dass sie alle überfallen wurden. „Danke, dass du mich runter gelassen hast.“, sagte sie nach kurzem zögern zu dem Oni. Auch wenn sie hier festgehalten wurde, so war er doch so nett gewesen sie runter zu lassen. Vielleicht würde sie mit den Angreifern reden können, wenn sie zu ihrem Kidnapper freundlich war. Wieder sah der Oni sie an und es sah so aus, als wollte er etwas erwidern, als der donnernde Galopp eines Pferdes ertönte und ihn verstummen ließ. Sein Blick ging in die Richtung des Geräusches und auch Kasumi sah sich nach dem Reiter um. Dieser näherte sich schnell. Ein schwarzes Pferd mit weißer Blesse galoppierte auf sie zu und kam nur wenige Meter vor ihnen zum Stehen. Zuerst hatte Kasumi den Reiter für einen Krieger gehalten, doch jetzt erkannte sie eine Frau in einer Samurai-Rüstung darauf. Sie trug Pfeil und Bogen bei sich und richtete die Spitze eines Pfeils direkt auf Kasumis Herz. „Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, rief die Frau vom Rücken des Pferdes, welches ungeduldig mit einem Huf scharrte. „Sie hat Bitte und Danke gesagt!“ Die Stimme des Oni hatte jetzt einen vollkommen anderen Ton. Sie war weich und sanft und er klang wie ein großes Kind, als er mit der Kriegerin sprach. Diese richtete ihren Blick kurz auf ihn und auch ihre Gesichtszüge wurden weicher. „Das hast du Gut gemacht Raidon, sie hier festzuhalten!“, lobt sie den Oni, bevor sie sich wieder an Kasumi wandte. Das Gesicht wieder mit Angriffslust gezeichnet. „Du warst also nett zu Raidon und dennoch marschiert ihr einfach so hier ein. Warum?“, fragte sie scharf und Kasumi war sich sicher, dass sie kurz davor war sie anzufauchen. Kasumi straffe ihre Schultern und stellte sich so gerade hin, wie es ihr möglich war. „Wir marschieren nirgendwo ein. Wir sind auf der Suche nach Rebellen und sobald wir sie gefunden haben, werden wir wieder gehen, also bitte tu den Männern nichts!“ Die Frau lachte. Es war ein Lachen, dass deutlich machte, dass sie ihr kein Wort glaubte. „Das ist ja höchst interessant… Raidon, bitte bring sie ins Schloss. Ich will mich mit ihr unterhalten sobald wir hier fertig sind!“ Sie sah Kasumi nicht an, als sie dem Oni den Befehl gab und ihren Blick dann auf die Wand aus Wasser richtete. Was auch immer hier vorging, diese Frau befehligte einige mächtige Yōkai und Kasumi befürchtete das Schlimmste. Wenn sie als Bedrohung angesehen wurden, dann würden die Männer vielleicht nicht heil davon kommen. „Bitte. Wir haben wirklich nichts Unrechtes vor!“, versuchte sie es deshalb noch einmal, doch die Frau reagierte nicht auf sie und Kasumi hatte keine Chance, als Raidon sie wieder hoch hob und davon trug. Es ging alles so schnell, dass sie dem Griff nicht entkommen konnte und obwohl sie versuchte sich zu wehren, kam sie nicht los. Sie schaffte es nur über die Schulter des Oni zu sehen. Die Wand aus Wasser begann langsam abzuflachen und das Letzte was sie sah, bevor ihr die Bäume die Sicht versperrten, war das komplett zerstörte Lager. „Was, wenn sie Kasumi etwas angetan haben? Wenn sie sie umgebracht haben? Ich würde es ihnen zutrauen!“ Kazumas Stimme war von Sorge und einer Spur Panik gezeichnet. Er stand an den Gitterstäben seiner Zelle, die Hände so fest um die Stäbe gelegt, dass seine Knöchel weiß hervorstanden. Keiji war sich fast sicher, dass Kazuma zu Boden gehen würde, wenn er die Hände von den Gitterstäben nahm. Er selbst saß auf einem umgedrehten Eimer in der Zelle am Ende eines langen Flurs. An diesen grenzten im gleichmäßigen Abstand weitere Zellen. Kazuma war in der zu seiner linken untergebracht und ihm gegenüber, zu Keijis rechten, ging Benjiro auf und ab. Seit sie hier drin aufgewacht waren, ging er wie ein wildes Tier an den Gitterstäben entlang. Er hasste es eingesperrt zu sein. Wenn er nicht dorthin gehen konnte, wohin er wollte, verlor er schnell die Geduld, doch Keiji war sich fast sicher, dass diese Zellen Yōkai-Sicher waren. Der Rest seiner Männer befand sich in Gruppenzellen weiter vorne in diesem Flur. Er war sich sicher, dass es sich bei den Angreifern um die gesuchten Rebellen handelte. Und diese wussten genau wen sie einzeln einsperren mussten und bei wem das nicht nötig war. Aber da sie nicht wussten wo genau sie sich befanden, wäre ein voreiliger Fluchtversucht kontraproduktiv. Es war nur klar, dass sie sich irgendwo unter der Erde befanden, denn die kleinen, vergitterten Fenster, befanden sich knapp unterhalb der Decke und lagen gerade einmal eine Handbreit über dem Erdboden dahinter. Seit sie aufgewacht waren, hatten sie keinen ihrer Angreifer mehr gesehen. Sicher wollten sie sie schmoren lassen, bis was auch immer geschah. Doch vielleicht fiel Keiji bis dahin ein Plan ein, wie sie hier alle raus kommen konnten. „Wir sollten uns alle erst einmal Beruhigen.“, sagte er an Kazuma gewandt. Doch sein Berater war alles andere als bereit sich zu beruhigen. Im Gegenteil. Er schlug mit der Faust gegen die Gitterstäbe, was allerdings nichts brachte, außer einem dumpfen Ton und einer schmerzenden Hand für ihn. „Wenn ich nur früher etwas gesehen hätte. Wenn ich schneller zu dir gekommen wäre…“ „Kazuma! Das reicht jetzt. Es ist nicht deine Schuld!“, wies Keiji ihn zurecht und er meinte es so. Sie alle hatten angenommen, dass ihr Lager sicher war. Keiji hatte die Gegend erkunden lassen und sie hatten Wachposten aufgestellt. Es war so friedlich gewesen… Bis Kazuma in sein Zelt gestürmt war, nur Sekunden nachdem er eine Vision gehabt hatte. Eine Vision von unendlich viel Wasser und unbekannten Angreifern. Sofort hatte Keiji alle zur Bereitschaft gerufen, doch noch währenddessen war diese undurchdringliche Wand aus Wasser aufgetaucht und hatte sie von allem abgeschnitten. Von allem, außer dieser Gruppe Yōkai, die sie überfallen hatte. Es waren auch einige Menschen darunter gewesen und sofort war Keiji klar gewesen, dass es sich um die gesuchten Rebellen handeln musste. Sie hatten gekämpft. Sich gewehrt. Doch am Ende hatten die Angreifer einfach diese Wand aus Wasser zusammenbrechen lassen. Das Wasser hatte sich daraufhin um ihre Köpfe gelegt und sie bis zur Bewusstlosigkeit darin gefangen gehalten. Für Kazuma war das besonders schrecklich gewesen. Sein Zittern konnte man jetzt noch erkennen, wenn man genau hinsah. Die Tatsache, dass er nicht schwimmen konnte, es nicht ertrug unter Wasser zu sein und bei der kleinsten Welle bereits Seekrank wurde, machte das nasse Element zu seinem schlimmsten Angstgegner. Und das Letzte was er wollte, war darin zu sterben. Aber seit sie wieder aufgewacht waren, wurde seine Angst größtenteils von der Sorge um Kasumi überdeckt. „Hättest du mich nicht gewarnt, wären wir vollkommen unvorbereitet diesen Rebellen gegenüber getreten. So konnten wir wenigstens unser Bestes geben. Deine Begabung ist und bleibt ein Segen, auch wenn sie nicht immer so funktioniert wie du es dir wünscht. Sie ist auf jeden Fall besser als nichts.“, versuchte Keiji seinen Freund wieder etwas aufzubauen. Kazuma nickte leicht, doch sein Blick ging ins Leere. Das zeigte nur zu deutlich, dass er in seiner Gedankenwelt versunken war und sich mehr Gedanken machte, als für ihn gut war. „Solange der Anführer dieser Rebellen kein Wolf ist, bin ich mir sicher, dass sich Kasumi ganz hervorragend aus ihrer Situation herausmanövrieren kann!“ Benjiros Worte ließen sowohl Keiji als auch Kazuma zu ihm hinüber sehen. Der Wolf war für einen Moment stehen geblieben und hatte die Unterarme auf eine Querverbindung der Gitterstäbe gestützt. Kazuma sah ungläubig zu Keiji hinüber, der seinem Blick begegnete. „Du hast das gerade auch gehört oder?“ Keiji nickte und beide sahen wieder zu Benjiro hinüber. „Hast du gerade wirklich versucht die Stimmung zu heben indem du einen Witz machst?“, fragte Kazuma erstaunt. Benjiros Augen blitzen und er knurrte seinen Gegenüber warnend an, bevor er sich vom Gitter abstieß und wieder begann auf und ab zu gehen. „Überlegt euch gefälligst einen Weg hier raus und hört auf Trübsal zu blasen.“, war seine gebrummte Antwort. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht sah Kazuma wieder zu Keiji. Dieser kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Jetzt war Kazuma bereit alles zu tun was nötig war. „Was ist dein Plan Keiji?“, fragte er aufgeregt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)