Liebe macht blind von peri (Die & Kaoru) ================================================================================ Kapitel 9: Die Kunst des Verlaufens. ------------------------------------ Kommentar: Kkkkcch; hier meldet sich aus den tiefsten Tiefen der Versenkung die olle Peri von ihren widerlichen Schreibblockaden zurück. Der größte Kreativitätsblocker ist nach wie vor dieses verfluchte real-life. Und vielleicht musste ich auch erst einen bestimmten Status an Gereiztheit erreichen, um überhaupt in der Lage zu sein dieses Kapitel zu schreiben. Wie dem auch sei, ich hoffe, ihr seid mir nicht allzu böse. Ich weiß, Kapitel 9 hat irrsinnig lange gebraucht und es tut mir aufrichtig leid! ._. Selbst in der Hotellobby riecht es noch nach dem unverkennbaren modrigen Geruch des Regens. Ich atme tief ein, doch meine innere Unruhe will und will nicht aus meinen Knochen weichen. Sie klebt an mir und lässt sich partout nicht abschütteln. Die Blätter der Pflanzen neben den Fahrstühlen wiegen sich leicht im Windzug, der durch die geöffneten Empfangstüren strömt, als wir eintreten. Kaoru hat seinen Regenschirm zugeklappt und hält ihn von sich weg. Während er ihn an der Rezeption abgibt, da er ganz offensichtlich nur geliehen war, schiele ich herüber zu den Automaten neben den Aufzügen. Einer bietet Getränke an, der andere kleine abgepackte Snacks. Nicht zu vergleichen mit den Jidouhanbaiki in meinem Heimatland, aber bei näherem Betrachten doch ganz ähnlich. Aus meiner hinteren Hosentasche krame ich mein Portmonee hervor und begutachte die angebotenen Köstlichkeiten. Schließlich fällt meine Entscheidung auf ein Tütchen Knabberzeugs. Ich werfe gerade meine ausländischen Münzen in den Schlitz ein und habe auf die breite Taste gedrückt, da erscheint Kaoru neben mir. "Du solltest wirklich schleunigst in trockene Klamotten schlüpfen." Er greift in das Ausgabefach und reicht mir meinen Snack. Das Wechselgeld jedoch begutachtet er einen kurzen Augenblick lang, bevor es mir dann ebenfalls entgegenhält. "Schon seltsam wie sich die Münzen hier anfassen", sagt er wie zu sich selbst und drückt bereits auf den Rufknopf des Aufzugs. Was genau ich nun mit dieser Information anfangen soll, weiß ich nicht. Doch es ist dieses merkwürdige Gefühl in mir, welches dieser simple Satz in mir hinterlässt, das mich nachdenklich macht. Die Art und Weise wie er Sätze einwirft, die nicht verlangen, dass man auf sie eingeht, die nur dazu dienen, dass seine momentanen Gedanken seinen Kopf verlassen - mir gefällt sie. Mir gefällt es von seinen Beobachtungen zu hören, mögen sie auch noch so nebensächlich sein. Man kann ihm so einiges vorwerfen, aber nicht, dass er die Welt um sich herum nicht wahrnimmt. Und diese Erkenntnis wiederum gibt mir wirklich zu Denken. In diesem Moment kommt der Fahrstuhl bereits im Erdgeschoss an und seine Türen öffnen sich, um uns Eintritt zu gewähren. Kaum, dass ich mit Kaoru eingestiegen bin, wirft er mir einen Seitenblick zu, den ich meine schon mal irgendwann gesehen zu haben. Wenn ich mich doch bloß erinnern würde wann. Mein Kopf ist zu müde, um überhaupt noch richtig zu arbeiten. Ich bin froh, wenn ich mich endgültig in mein Bett werfen und bis zum nächsten Morgen durchschlafen kann. Und bloß nicht mehr daran denken muss, was ich heute wieder alles von mir gegeben habe und mir das Hirn darüber zermartern muss, was er mir für Rätsel aufgibt. Die Fahrstuhltüren schließen sich lautlos. Lässig an die Wand gelehnt, betätige ich den Schalter direkt neben mir mit der leuchtenden 11 drauf. Die Kabine setzt sich in Gang, Kaorus Finger sind tief vergraben in seinen Hosentaschen. Die Kette, die an seinen Gürtellaschen baumelt, klimpert leise unter dem unablässigem Wippen seines Beines. Es ist wie als würde er einer Melodie folgen, die nur er zu hören scheint. Oder es ist Nervosität. Ich betrachte ihn aus den Augenwinkeln, während der Fahrstuhl sich sanft nach oben wiegt. Als er seine dunkle Stimme erhebt, sind meine Ohren gespitzt. "Hör mal, Die... Worüber ich vorhin mit dir reden wollte, das-" Ich werde wohl nie erfahren, was nach diesen 'das' kommt. Plötzlich beginnt die gesamte enge Kabine zu ruckeln und rackeln, als hätte ein Erdbeben sie erfasst. Ein lautes Knirschen von Metall gegen Metall zerreißt die Luft und der gesamte Aufzug macht einen harten Ruck zur Seite, zerrt uns so heftig den Boden unter den Füßen weg, dass keine Zeit mehr bleibt sich auch nur irgendwo festzukrallen. Die Wände sind zu glatt, um dort Halt zu finden. Unsanft lande ich auf meiner Hüfte. Aufjaulend finde ich mich mit dem Gesicht am Boden wieder. "Was zur Hölle war das?", höre ich Kaorus ungehaltenes Fluchen von der anderen Ecke des Fahrstuhls. Er, ebenfalls mit der Stirn am Boden, rappelt sich langsam wieder auf. "Ein... Erdbeben vielleicht?" "In diesem Land?!" "Ich hab keine Ahnung." Um ehrlich zu sein, hab ich noch bis vor weniger als dreißig Minuten die Nacht mit Cocktails in der Hand verbracht und kann mich nun beim besten Willen nicht mehr darin erinnern, in welchem Land wir gerade eigentlich sind. Und so gut war ich auch nicht in Geographie. Als täte das jetzt auch nur irgendwas zur Sache. "So ein Mist!" Während ich kurz abgedriftet war, hat Kaoru den Notfall-Knopf betätigt. Jedoch scheint dieser nicht seinen gewünschten Effekt nach sich zu ziehen. Ein weiteres Mal presst Kaoru seinen Daumen auf den Knopf. Nach dreißig Sekunden noch einmal. Sogar ein viertes und fünftes Mal, doch es rührt sich rein gar nichts. Keine Stimme meldet sich aus dem Lautsprecher und keine Lampe leuchtet mehr am Schalterbrett. Das Licht über unseren Köpfen flackert, hält sich bisher tapfer gegen einen Ausfall; aber die Frage ist, wie lange noch. "Vielleicht sollten wir oben durch die Luke aussteigen?" "Ich hab gehört, das sei noch viel gefährlich als einfach in der Kabine zu bleiben. Wenn eines von den Stahlseilen reist, zerteilt es dich glatt in der Mitte." "Reißende Stahlseile... sehr ermutigend... Zwischen welchen Stockwerken stecken wir wohl?", frage ich sehr leise. "Ich weiß nicht. Vielleicht zwischen dem fünften und sechsten?" Wir blicken uns in der gleichen Sekunde an. Und als hätten wir exakt das Gleiche gedacht, beginnen wir urplötzlich gemeinsam laut zu rufen, uns irgendwie bemerkbar zu machen, gegen den Stahlkasten anzubrüllen, gegen die kahlen Wände zu prügeln, bis die Handballen rot und wund sind, die Kehle trocken und heiser. Es sind einsame Hilfeschreie. Allesamt werden sie verschluckt. Nach unserem Lärm bleibt nichts zurück außer eine langanhaltende, eisige Stille, die es schafft, dass sich meine Eingeweide benommen zusammenziehen. Ich schlucke schwer, starre die Aufzugstüren an, die sich weder wie erhofft öffnen noch irgendein Geräusch von außerhalb vernehmen lassen. Was solche Situationen anbelangt, bin ich nicht sonderlich kreativ. Ich kann mir jederlei Melodien ausdenken und sie in Töne umsetzen, aber mir vorstellen, was ich tun soll, wenn ich in einem Aufzug feststecke... dafür hat mein Steuerungssystem keinerlei Vorschläge. Diese Software fehlt ganz einfach. Mein ganzer Kopf kommt mir selbst allmählich vor wie ein langsamer alter Computer. Ich laufe noch mit Windows98. Während Kaoru natürlich bereits Windows7 installiert hat und noch vor mir die nächste Phase erreicht. Es ist die Wut, die wie aus heiterem Himmel von ihm Besitz ergreift. Fluchend schlägt er gegen die Notfall-Taste, so energisch, dass ich fürchte er könnte sich dabei ernsthaft verletzen. Doch nach wie vor rührt sich nichts. Ein letztes Mal scheppert seine geballte Faust auf den Knopf. "Hör auf, das bringt doch nichts..." "Besser als nur hier rumzusitzen und zu warten", schnauzt er aufgebracht, reibt sich seine demolierte Hand und rennt wie ein Tiger in einem Käfig umher. "Und was, wenn sie uns nicht finden?" "Früher oder später wird jemand merken müssen, dass wir hier drin sind." Vielleicht habe ich schon viel zu früh das Stadium der Resignation erreicht. "Aber wann soll das sein? Wir müssen morgen weiterreisen." "Wie spät haben wir es?" Kaoru wirft einen raschen Blick auf seine Armbanduhr, hält dabei an. "Kurz nach halb drei. Bis die ersten Hotelangestellten kommen, sind es noch Stunden." "Der Nachtdienst leistet ja auch wirklich tolle Arbeit." Mein Blick schweift nach oben, inspiziert die Wände. "Haben Aufzüge nicht normalerweise Überwachungskameras? Siehst du irgendwo eine?" Zu zweit stehen wir da, die Köpfe in den Nacken gelegt, suchen angestrengt nach einer Kameralinse irgendwo in diesen zwei Quadratmetern Raum. Doch vergeblich. "Nichts. Gar nichts", brummt Kaoru und lässt seinen Rücken frustriert gegen die Wand krachen, rutscht langsam an ihr herunter, bis er auf dem Boden hockt. Sein Kinn fällt auf seine Brust und das Haar bedeckt seine Augen. Ein Seufzen aus den Tiefen meiner Lunge entweicht meinen Lippen und auch ich lasse mich niedersinken. "Und nun?" "Was 'nun'?", knurrt er neben mir. "Hast du es schon mit dem Handy probiert?" "Ja. Kein Empfang. Natürlich. Wie könnte es auch anders sein bei dem ganzen Metall." "Scheiße..." Wir sitzen im Schlamassel. Ziemlich tief sogar. Wir beide wissen das. Doch zu diesem Zeitpunkt mag das keiner von uns beiden laut aussprechen. Aus Angst vielleicht, dass sich die auswegslose Situation auch zu einer solchen manifestiert. Im Grunde genommen, müsste ich mich nun freuen. Wir sind auf engstem Raum miteinander eingeschlossen, umgeben von nackten Stahlwänden. Selbst, wenn er es wollte, könnte er mir nicht entfliehen. So gesehen ist er mir ausgeliefert. Oder ich ihm. Je nachdem wie man die Sache betrachten möchte. Dass ich an so etwas überhaupt noch zu denken vermag. Man möchte meinen, dass sich in Anbetracht der vorhandenen Tatsachen andere, viel wichtigere Dinge in den Vordergrund schieben, und nichtsdestotrotz schweifen meine Gedanken ab. Die Versuchung ist zu groß, aber anders betrachtet, ist mein Kopf auch lange nicht mehr klar. Was tun wir, wenn wir hier wirklich bis zum frühen Morgen sitzen sollten? Ich hatte mindestens vier Bier und andere lustige, bunte Gesöffe. Ich kann hier unmöglich die ganze Nacht ausharren. "Kaoru...?" Er hebt seinen Blick. "Ja?" "Ich... hab zu viel getrunken", gestehe ich leise. Keine Antwort. "Ich weiß nicht... ob ich das, was ich heute alles getrunken habe, auch bei mir behalten kann..." "Oh, erspar mir das bitte." Ich starre meine Zehenspitzen an. Dass die Übelkeit mich einholt, hat mir gerade noch gefehlt. Was meinen Zustand angeht, so bin ich erstaunlicherweise relativ nüchtern. Nicht mehr ganz klar im Kopf sicherlich, aber dennoch nicht betrunken, dafür, dass ich mir wirklich so einiges hinter die Binde gekippt habe in dem Club. "Ich weiß um meine Nervigkeit. Ignorier mich einfach", nuschel ich vor mich hin, lege mich auf den unbequemen Untergrund, diese kalte Metallplatte. "Quatsch nicht." Ein Schnaufen kommt aus seiner Ecke. Dann ein schwermütiges Seufzen. Bedächtig schaut er zu mir herüber, mustert mich für einen Augenblick mit zusammengezogenen Augenbrauen, bevor er schwach in meine Richtung nickt. "Du blutest." Ich blinzele, sehe verwundert an mir herunter. Tatsächlich fehlt ein Stück Haut an meinem rechten Unterarm. Muss ihn mir wohl aufgeschürft haben, als ich fiel. Jetzt, wo ich die Wunde entdeckt habe, beginnt sie auch unverzüglich zu brennen. Unbewusst ziehe ich die Luft scharf durch die Zähne ein. "Ach verdammt." Heute ist wieder mal ein Scheißtag. Und Kaoru verfällt auch wieder in tiefstes Schweigen, hat die Augen geschlossen und die Arme vor dem Brustkorb verschränkt. Dabei war der Eisklotz gerade erst geschmolzen und er nett zu mir. Jetzt das. Womöglich ist mit der Gefangenschaft im Aufzug die Furcht zurückgekehrt, dass ich, wenn er zu lieb zu mir ist, meine Beherrschung verliere und meine Prinzipien über den Haufen werfe, nicht gegen seinen Willen über ihn herzufallen. Wenn ich das so in meinem Kopf vor mich hin spreche, klingt das noch viel dämlicher. Aber ich bin auch nicht auf die Welt gekommen, um allwissend pseudotiefsinnige Dinge von mir zu geben. Mir reicht mein kleiner bescheidener Beruf als Rockstar. Ich mache Exkurse in die verworrensten Wirrungen meines Oberstübchens und Kaoru sitzt bloß da wie ein in sich zusammengefallener Windbeutel. In diesen Augenblicken wird mir schmerzhaft klar, wie laut und erdrückend Stille doch sein kann. Selbst das sonst so leise Sirren der Oberlichter wird zum ohrenbetäubenden Dröhnen. Ich fühle mich wie kurz vor der Häutung. Dieser Körper ist schon längst zu klein geworden für dieses Herz. Kann ich nicht einfach mein Leben hier speichern und was ausprobieren und wenn es schiefgeht wieder hierher zurückkehren? Ah, ich bin so ein Trottel, dass ich mich in jemanden verliebe, der so höchst desinteressiert an meiner Liebe ist, aber mir trotz allem das Gefühl gibt, dass er sich um mich sorgt und manchmal auch als wäre er von mir angezogen. Eine einzige Person sollte nicht so einen Effekt auf mich haben. Das ist nicht fair. Es ist in meiner unmittelbaren Reichweite und doch sind meine Arme zu kurz, um es zu fassen. Wie außerordentlich töricht von mir. Nicht einmal in eintausend Jahren würde er mich ansehen. Besonders jetzt nicht, wo er seine neue Freundin hat. Ich weiß nicht, ob und wie sehr ich sie überhaupt beneiden kann. Höchstwahrscheinlich nicht sonderlich, da er ihr bestimmt noch nicht einmal gesagt hat, dass er sie liebt. Weil er sie nicht lieben kann. Nicht nach so kurzer Zeit. So rede ich es mir zumindest ein. Obwohl ich nicht mal weiß, wie lange die beiden tatsächlich schon zusammen sind. Drei Monate? Vier? Mein Gehirn macht einen Satz in meiner Hirnschale. In einem Aufzug stecken geblieben zu sein - was für ein paradoxer, fieser, abscheulicher Zufall. Aus den Augenwinkeln luschere ich zu ihm herüber. Er wirkt so eingeschlossene in seine ganz eigene Welt. Ein Hauch von Verwegenheit umgibt ihn, wenn er sich nicht rührt und das einzige, was seinen Körper zu unbewussten Bewegungen bringt, sein Atem ist. Wenn er doch bloß nicht so Gottverdammt umwerfend aussehen würde. So Gottverdammt wie mein perfektes Gegenstück, so Gottverdammt seelenverwandt sein würde. Vielleicht würde ich dann besser damit klar kommen. Oder vielleicht will ich das auch einfach nur glauben. Ich habe das Gefühl, ich müsste diese Stille brechen, diesen Bann über uns. Egal mit welchen Worten, nur muss ich es endlich schaffen, dass wir uns nicht mehr pausenlos im Kreis drehen. Oder in einem Sumpf aus Gewohnheiten steckenbleiben, in dem wir nichts anderes tun außer ständig aneinander zu geraten. "Kaoru, du..." Ich weiß nicht, wo das hinführt, aber ich weiß schon jetzt, wie es ausgeht. "Du kannst mir das nicht verübeln; ich ertrag das nicht, verstehst du?" Er hebt den Kopf, dreht ihn zu mir herüber. "Was denn?" Das war zu abrupt, zu sehr aus dem Stehgreif gegriffen. Er kann nichts dafür, dass ich wahnsinnig bin. Oder zumindest wahnsinnig betrunken. So scheint es mir. Wo wir dabei sind - wollte ich nicht aufhören ständig dem Alkohol mein Fehlbenehmen in die Schuhe zu schieben? "Ich... Ach, ich weiß auch nicht." Ich Feigling. Trete ich jetzt doch den Rückweg an. "Du bist seltsam, Die." Als wüsste ich das nicht selbst. "Du weißt ganz genau woran das liegt...", brummel ich meinen nicht existenten Bart. "Ja, mag schon sein." "Du machst es mir aber auch wirklich nicht leicht." "Ist es denn wirklich so schwer?" "Von deinem Standpunkt ausgesehen sicherlich nicht." "Und was macht dich da so sicher?" "Nichts bei dir macht mich jemals sicher." Ein kurzer Lacher entweicht seiner Lunge, während er ausatmet. "Du weichst meiner Frage aus." "Ich mein... du musst nicht die ganze Zeit aufpassen, was du sagst und das jedes Wort ein komplett falsches sein könnte." "Ich glaube deine Wahrnehmung ist arg gestört." "Was zum-? Na, besten Dank auch!" "Nein, im Ernst. Du musst aufpassen, was du sagst? Ist es nicht jedes meiner Worte, was auf die Goldwaage gelegt wird?" Empört öffne ich den Mund, um etwas darauf zu erwidern, schließe ihn jedoch sofort wieder. Im Prinzip hat er Recht. Das wissen wir beide. "Aber", nehme ich das Gespräch nach wenigen Sekunden, in denen meine Gehirnzahnräder verzweifelt nach einem Gegenargument suchen, wieder auf, "du kannst dich frei äußern. Du kannst direkt sein. Auf den Punkt." "Ach? Du nicht?" Das schlägt mich vor den Kopf. "Nein, ich nicht." "Warum nicht?" "Ich.. Was... Verdammt, was soll ich dir denn sagen?" "Ich weiß nicht, was möchtest du mir sagen?" "Das weißt du ganz genau." "Du weichst meiner Frage schon wieder aus." "Weil du ganz genau weißt, was die Antwort darauf ist." "Na und? Dann hör ich sie eben noch mal." "Das ist Schwachsinn." "Nein, Schwachsinn ist, dass du es mir nicht einfach ins Gesicht sagst." "Verdammt noch mal, was willst du denn von mir hören?! Tut mir leid, aber ich habe mich in dich verliebt.?!" Die Welt ist kein Wunschkonzert. Und man sollte wissen, wann es besser ist, aufzuhören zu wünschen. Warum muss ich mich auch immer in die abwegigsten Dinge verbeißen? Dieses Herz lernt wohl nie dazu. "Vielleicht." "Viel...leicht...?" Vielleicht. Vielleicht sagt der. Es ist ja auch genau so einfach. "Und... das war's jetzt oder wie?" "Das war's", erwidert Kaoru so trocken wie Heizungsluft. "Oder hast du noch etwas hinzuzufügen?" "Arschloch", stoße ich aus und schleudere meine Sonnenbrille quer durch den ganzen Raum und ihm an die Birne. Vielleicht... Vielleicht... Vielleicht hilft es ja, ihm etwas Hartes gegen den Kopf zu hauen. Doch er lacht bloß und ich wünschte, ich hätte gerade noch mehr zur Hand, was ich ihm ins Gesicht pfeffern könnte. Unruhig wippe ich mit dem Fuß, betrachte das leichte Lächeln, das sich um seine Mundwinkel kräuselt, nur verständnislos und mit Abscheu. Mein Herz liegt hier auf dem Schleifstein und niemanden schert's. Meine Augen drehen eine Ehrenrunde in meinem Kopf. Das ist alles so irrsinnig. Das ist so absurd, dass es doch überhaupt nicht real sein kann. Sowas sieht man doch sonst immer nur in Filmen. Aber manchmal schreibt das Leben selbst die abwegigsten Geschichten. Auch wenn diese reichlich dämlich ist. Sich in dich zu verlieben ist unsinnig. Denn du siehst mich nicht. Du kannst mich auch gar nicht sehen. Ich bin wie das strahlendste Rot auf diesem Planeten. Ein satter, kräftiger Farbton. Doch für deine Katzenaugen bin ich unsichtbar. In ihnen gehe ich unter in einem Meer aus faden Blautönen. "Sag mal..." Es wundert mich, dass doch tatsächlich er das Gespräch wieder aufnimmt. "Warum warst du eigentlich in diesem Club? Ich dachte, Toshiya hätte jemanden für dich aufgerissen. War sie nicht nach deinem Geschmack?" Macht ihm das Spaß? Mich jetzt auch noch nach sowas zu fragen... "Wenn du es genau wissen willst, sie ist nicht aufgetaucht. Da, jetzt hast du was zum Lachen." "Na, zum Lachen finde ich das nicht gerade. Findest du es zum Lachen?" Ich runzle die Stirn, betrachte Kaoru abschätzend, kratze mich nachdenklich am Nacken. "Naja... Ehrlich gesagt habe ich mir noch gar keinen so großen Kopf darum gemacht." "Es ist dir also egal?" "Mmh. Ja." "Also warst du bloß so in dem Club, um dich zu betrinken?" "Ich hatte gar nicht vor mich zu betrinken!", antworte ich patzig. "Ist das hier ein Verhör?" Kaoru spielt mit meiner Sonnenbrille herum, klappt die Bügel nach innen und wieder nach außen, beschmiert dabei die Gläser mit seinen Daumen. "Nein, das ist es nicht..." "Ich war wegen jemand anderem da." "Ich weiß." "Scheint ganz so, als wärst du letzten Endes doch allwissend." Es fällt schwer die Bitterkeit verschlossen zu halten. Die Schultern hebend erwidert er: "Wenn du das sagst..." und macht damit Andeutungen diese Unterhaltung im Sand zerlaufen zu lassen. Doch das lasse ich nicht zu, dass er sich einfach so aus der Affäre zieht. Ein verächtlicher Ton, der sich meiner Kontrolle entzieht, purzelt über meine Zunge. "Ganz im Stillen hältst du dich doch selbst dafür." Eine Ader an Kaorus Stirn beginnt merklich zu zucken. "Ach? Tue ich das?" "Hast du dich in letzter Zeit schon mal im Spiegel angesehen?" "Was hat das damit zu tun?" "Wenn du mal einen Blick in den Spiegel getan hättest, hättest du gesehen wie Egozentrik in dir feste Formen angenommen hat." Schon längst hat die Ermüdung von meinem Körper Besitz ergriffen. Bester Nährboden für meine Streitlust. Ich habe meine Zunge nicht mehr im Zaum. Letztlich wird der Jähzorn mir wohl immer zum Verhängnis werden. "Ah, und über deine Selbstgefälligkeit reden wir hier nicht?" "Mein Ego ist gerade mal so groß, dass es in eine Zigarettenschachtel passt. Deines hingegen..." Ich mache eine weite, schwungvolle Geste mit meinen Armen. "...woooah - reicht von hier bis zum Südpol. Mit dem du ganz nebenbei auch deine frostige Art teilst." "Und weißt du, womit du deine Art teilst? Mit der eines wildgewordenen kranken Affens." "Was zum?! Du vergleichst mich mit einem Affen? Einem... Affen?!" Mein Mund ist bitterböse verzogen, meine Oberlippe stößt an meine Nasenspitze und meine Arme bilden vor meinem Brustkorb eine verkrampfte Mauer. "Jetzt komm mal wieder runter. Als wäre dieser Vergleich an den Haaren herbeigezogen." "Ich zieh hier auch gleich mal was an den Haaren herbei. Nämlich dich!" "Wenn du handgreiflich werden willst, dann tu's doch. Wenn du das Echo vertragen kannst." "Ach, dann ist das hier jetzt also ein Egokampf, oder was?! Bitte, den kannst du haben!" "Weißt du was, Die? Es wäre wirklich schön, wenn du dich einfach nur verpissen würdest." Ich knirsche mit den Zähnen. "Selbst, wenn wir nicht hier drin feststecken würden, würde ich dir den Gefallen nicht tun." Der alte Grundsatz 'Auge um Auge' macht schließlich alle blind, das wusste schon Martin Luther King. "Weißt du, was mich am meisten ankotzt?", sage ich und donnere meine Faust unachtsam gegen die Wand. "Dass du ständig deine Farben wechselt. Wie ein verdammtes Chamäleon. Wie soll ich denn da jemals wissen, woran ich überhaupt bin?!" "Du würdest dir einen wesentlichen Teil deines Kummers sparen, indem du einfach mal aufhörst dich in alles so hineinzusteigern!" "Ich bräuchte auch einfach keinen Kummer mehr zu haben, wenn du aufhören würdest mich wie den letzten Dreck zu behandeln und mich vor Leuten bloßzustellen und... Weißt du, was echt nervt?!" "Mit dir in dieser Buchse gefangen zu sein und dir dabei zuzuhören wie du über dein armseliges Leben rumjammerst?" Was... für ein verdammtes Arschloch. Nicht einmal ein Wort oder ein Satz fällt mir in meinem Zorn noch ein. Die blanke Leere lässt jegliche Äußerung zurück in meinen Schlund sinken, doch ballen sich meine Hände zu Fäusten. Verdammst seist du und verdammt seien meine törichten Gefühle für dich. Wie konnte dieses Herz nur jemals seinen Sinn in deiner Präsenz verlieren? Die Zwiespältigkeit und die Lächerlichkeit meiner Dummheit. Blutstau... Wutstau. Ein sicheres Mittel, die Leute aufzubringen und ihnen böse Gedanken in den Kopf zu setzen, ist, sie lange warten zu lassen. Ich weiß nicht, ob ich wütend auf ihn bin, weil er so ist oder ob ich wütend auf mich bin, weil ich so bin. "Von allen Dingen, Die, von all den verdammten Dingen, die du verloren hast, vermisse ich deinen Verstand am meisten." Mein Blut kocht so hart in meinen Gefäßen, dass die Pumpe nicht mehr hinterherkommt, sich stattdessen entscheidet von meinen Lungenflügeln zerpresst zu werden, die sich in diesem Augenblick mit Luft füllen, die ich wutentbrannt durch meine Nüstern ziehe. Ich habe das Gefühl, als ich hätte ich mich verlaufen. Vollkommen verrannt. Als hätte ich nicht darauf geachtet, wo meine Füße mich unablässig hingetragen haben. Hart, mit einem dumpfen Geräusch, trifft meine Handkante auf die kalte Metallwand. Der ebenso dumpfe Schmerz lässt nicht allzu lange auf sich warten. Vergessen ist, was ich eben noch sagen wollte. Vergessen, wovon ich fand, dass es echt nervt. ~*~*~ "Wie lange willst du noch da hinten in der Ecke schmollen?" Es muss über eine halbe Stunde vergangen sein. Dennoch kommt es mir vor, als würde sich die Zeit wieder ziehen wie alter Kaugummi. Abgewandt, mit dem Rücken zu Kaoru, hocke ich auf dem Boden, fummle an dem nutzlosen Handy rum, schenke dem ungehobelten Kerl kaum zwei Meter von mir entfernt keine Beachtung. "Das geht dich gar nichts an." "Oh Mann, jetzt benimm dich nicht wie ein Kind." "Wenn du mich wie ein Kind behandelst, dann kann ich mich auch wie eines benehmen." Aus mir spricht der bloße Trotz. Außerdem knurrt mir der Magen. Das Knabberzeug war schneller leer, als ich gucken konnte. In diesem festgesteckten Aufzug ist es so wunderschön wie in einer Konservendose. Fehlt nur noch, dass die Stahlseile reißen. Dann befänden wir uns wohl schnurstracks im Keller. Aber da hält sich ja auch schon meine Stimmung auf. Zum Glück ist wenigstens meine Kleidung wieder trocken. "Jetzt tu nicht so, als hätte ich dir irgendwas furchtbar schlimmes angetan", brummt es von der Seite. Ich wünschte so sehr ich könnte es, aber ich kann es nicht auf mir sitzen lassen. "Also würdest du das von vorhin nicht als absichtliche Verletzung ansehen?!" Sein unbeherrschtes Seufzen drückt einmal mehr aus, dass er am liebsten gar nicht erst auf diese Frage antworten würde. "Das Einzige, was hier verletzt ist, ist dein Stolz, du verdammter Gockel." "Du nennst mich Gockel?!" "Du könntest jede habe, jeden einzigen, nur mich nicht und das wurmt dich ungemein. Ist es nicht so?" Was soll ich dem entgegensetzen? Er presst die Luft aus seinen Lungen wie ein Drache der Feuer speit. "Sag mal, stellst du dich absichtlich so dumm oder bist du wirklich so blöd?" Die Lippen fest aufeinander gepresst, starre ich Löcher in meine Knie, die kaum merklich zittern. "Herr Gott noch mal, jetzt stell dich nicht so an. Wir sind doch beide Kerle. Sollten wir uns nicht da auch so benehmen? Sollten wir nicht-" "Kaoru... Ich... liebe dich." Vermutlich nicht der geeignetste Zeitpunkt, um ihm meine Liebe zu gestehen. Und genauso starrt er mich in dieser Sekunde auch an. Wenigstens schafft er es den aufgeklappten Mund mit einiger Anstrengung wieder zu schließen. Das kam jetzt zu plötzlich. Was zum Geier mache ich hier eigentlich? - schreit mein Verstand. Doch der hat hier schon lange nichts mehr zu melden. "Du... weißt ganz genau, dass ich... auch sehr viel... Sympathie für dich empfinde." Das klingt beinahe, als würde es ihm leid tun. Doch seine Stimme klingt gequetscht, als würde es ihn unendliche Anstrengung kosten überhaupt etwas hervorzubringen und sich nicht gleich an der Decke selbst zu erhängen - wenn es sein muss mit seiner überdimensionalen Kreuzkette. Da ist sie - diese peinliche Stille und die Situation, wo Worte nicht mehr ausreichen. Sein Verhalten ergibt keinen Sinn. "Sym... Sympathie?" "...ja?" Warum um alles in der Welt hört sich das an, als würde er das nur sagen, damit ich endlich meine vorlaute Fresse halte? "Sympathie." "Ja." "Sympathie...", wiederhole ich mit einem bitterbösen Lacher, beiße mir auf die Unterlippe, bevor ich dann die Augen aufreiße und ihn wohl anstarre wie ein aufgebrachter Ochse. "Sag mal... Willst du mich eigentlich verarschen?!" "Was denn?!", faucht er, denn er hat erkannt, was für einen Blödsinn er da gerade von sich gegeben hat, springt auf die Beine, gestikuliert wild mit den Armen rum. "Was soll ich denn sonst sagen?! Ich kann keinem mit einem Penis bestückten Mensch sagen, dass ich ihn liebe!" "Bist du... völlig irre?! Du hasst mich! Und was zur... Was zur Hölle?! Heißt das, wenn ich mir den Schwanz abschneide, würdest du dich eventuell dazu bereiterklären mich zu lieben?!" Die Tatsache, dass er schweigt, konzentriert an die Decke schaut und allen Ernstes auch noch darüber nachzudenken scheint, macht mich noch viel wütender als ich es vorher war. "Kaoru! Herr Gott noch mal!" "Jetzt stell dich nicht so an! Ich hab nicht gesagt, dass ich dich nicht mag. Ich steh nur nicht... auf den Teil zwischen... du weißt schon!" "Sprich es doch aus, du Arsch. Schwanz, Schwanz, Schwanz, SCHWANZ." "Jetzt hör auf damit!", herrscht er mich an und schüttelt sich. Wohl vor Ekel. "Nein. Werd ich nicht, denn du hast ganz offensichtlich eine Homophobie." "Hab ich gar nicht!" "Versuch gar nicht erst es abzustreiten!" Mit zu Schlitzen verengten Augen gehe ich einen Schritt auf ihn zu, den Zeigefinger gegen sein Brustbein gepresst. Kaoru wischt meine Hand unwirsch fort. "Ich hab keine Homophobie!" "Ach nein? Hat der liebe Herr Niikura nicht? Dann passiert es wohl rein zufällig, dass dir vor Abscheu ständig die Haare zu Berge stehen, wenn ich mich dir auch nur nähere?!" "Ich kann es nicht leiden, wenn man mir so zu Leibe rückt. Verdammt noch mal, wäre ich homophob, wäre ich sicherlich aufgesprungen und hätte mich auf der Stelle übergeben, als du mich vor ein paar Tagen nachts einfach geküsst hast, als du gedacht hast, ich würde schlafen und könnte dein dämliches Gesäusel nicht hören!" Ich kann nicht fassen, was meine Ohren da hören. Wäre das hier ein Trickfilm, wäre ich Tom und Kaoru Jerry, dann hätte ich so eben einen Stein, einen Amboss und ein Klavier auf den Schädel bekommen. Mein Sprachzentrum ist mit einem Mal zertrümmert. Da stehe ich nun, taumele rückwärts, bis ich nicht mehr rückwärts taumeln kann. Den Rücken zur Wand, den Kopf in Unglaube schüttelnd, stottere ich Laute vor mich hin. "Du... warst wach...?" Wie kann das sein? Warum? Warum hab ich es nicht gemerkt? Wie konnte ich tatsächlich glauben, er hätte es nicht gemerkt? Das Brennen in meinem Herzen, als würde ich es mir auf Asphalt aufschürfen, macht mich schlagartig kampfunfähig. Zu viele Gedanken, Wahnvorstellungen prasseln auf mich ein. Kaoru ist doch wie die Wüste und ich wie ein Schneeschauer - das passt einfach nicht. Beides kann augenscheinlich nicht im gleichen Raum miteinander existieren, ohne eine Katastrophe zu verursachen. Und doch tun sich hier Abgründe auf, Hoffnungen machen sich breit, an die ich nichtmals mehr selbst im Fiebertraum gedacht hätte. Klebrig haften sie an den Synapsen, machen mich gefühllos, wo ich überquellen müsste vor Empfindungen. Es gibt Gedanken, die sollte man nicht denken und trotzdem verschwenden wir abertausende davon in unserem Leben. Doch ist der Gedanke wirklich verschwendet, wenn ich mir wünsche sein zu sein? Und wenn es die Möglichkeit gäbe, dass er gar nicht so ist, wie er es mir vorzugaukeln versucht? "Warum... warst du wach..." Zu sprechen, obwohl man weiß, dass jedes Wort, das einem nun entweicht, die Dinge noch viel schlimmer machen kann, ist wahrlich ein Fluch. "Ich... bin aufgewacht, als du mich angegrabbelt hast..." Es ist ein tiefes Grummeln, ein Hauch von Verlegenheit legt sich auf seine Wangen, sein Blick geht in die mir am entfernteste Fahrstuhlecke. Ich geb auf. Ich verstehe diese Welt nicht mehr. "Warum hast du mich nicht weggedrückt...?" Dachte, diese Frage hätte sich nur in meinem Kopf gebildet, doch als Kaoru plötzlich darauf antwortet, bemerke ich, dass ich sie tatsächlich laut ausgespochen habe. Die von Nachdenkfalten zerfurchte Stirn unterstreicht seine Worte nur noch. "Ich weiß es nicht." Und es erscheint mir wie der erste wahre Satz, der heute ausgesprochen wird. "Kaoru... Ich..." Krampfhaft versuche ich das Thema umzulenken. Weg von meinen unbedachten, nicht verstandesgelenkten Äußerungen, die uns beiden Unbehagen bereiten. "Warum... um alles in der Welt hast du mich eigentlich aufgesammelt? Vorhin... Du hättest mich einfach im Regen stehen lassen können. Ich hätte es verdient gehabt. Und dann wären wir jetzt auch gar nicht hier..." Betroffen sehe ich zu Boden. "Ich habe das Gefühl, dass ich es... nach all dem blöden Quatsche, dass ich dir in den vergangenen Wochen entgegengeschleudert habe, nicht einmal mehr wert bin, dass du mich ansiehst." "Was redest du da bloß für einen Unsinn..." Fast zu einem Flüstern ist seine Stimme geworden. In dieser Tonlage hört sie sich noch viel rauer an. "Du hast betrübt ausgesehen." Ich hebe meinen Blick, blinzele schwerfällig durch das dichte dunkle Haar vor meinen Augen. "Ich hab mir Sorgen gemacht." Er zuckt mit den Schultern, während er seinen Kopf zu mir dreht. Raunt mir zu wie ein grummliger alter Bär, den man aus den seligen Tiefen seines Winterschlafes gezerrt hat. Mir wird um die Zerbrechlichkeit dieses Moments bewusst, um seine subtile Sanftheit und der umhüllenden Wärme, die von diesem Mann am anderen Ende dieses Metallkäfigs auf einmal ausgeht. Beinahe könnte man sie übersehen, hat er doch nach wie vor seine altbekannte Raubeinigkeit an sich. Aber ich bilde mir das nicht nur ein. In der harten Schale ist mit einem Mal ein Riss. Und ein Satz schießt mir durch den Kopf. Seine Unmittelbarkeit so scharf wie die Schneide eines Dolchs. Wie... wie nur, kann ich verleugnen, was ich nicht verleugnen will? "Du hast dir Sorgen gemacht...", wiederhole ich seinen Satz halblaut vor mich hin, als würde er dadurch erst real werden. Ich lasse mich an der Wand heruntergleiten, muss sitzen, strecke die Beine von mir. Zu meiner Überraschung setzt Kaoru sich neben mich. Ich seufze. Mein Körper erfleht den rauchigen Geschmack einer Zigarette. Auf meine Zungespitze legt sich die Bitterkeit des Qualms, die ich sonst immer durch meine Lungen ziehe. Eine flüchtige Erinnerung. "Eine quarzen wäre jetzt nicht schlecht, nicht wahr?", sagt er, als hätte er meine Gedanken gelesen, und lacht sehr leise und unbeholfen. Ich blicke ihn an. "Jaaa..." Und muss lächeln. "Das alles ist doch irre." Bestätigend nickt Kaoru, wippt mit seiner Schuhspitze. "Ich bin es. Du ist es. Wir sind es. Diese Situation ist es... Ich mein... wer ist denn schon so bescheuert und bleibt mitten in der Nacht in einem Aufzug stecken? Und das ausgerechnet dann, wenn man mindestens ein Fass Alkohol getrunken hat, der nicht nur auf die Blase, sondern noch viel mehr aufs Gehirn drückt. Und dann macht man sich auch noch zum Affen. Wenn man das nicht schon sein ganzes Leben lang gemacht hat. Und das vor dem, vor dem man doch gut dastehen möchte. Und sei's drum auf welcher Seite man steht oder in welchem Team man spielt. Verdammt, eine Zigarette wäre nun wirklich der Knaller." Das kratzige, halb nach innen hallende Lachen von Kaoru ist so schön. "Ich weiß..." Und plötzlich hat er aus seiner Hosentasche ein zerknittertes Päckchen Billigkippen hervorgezaubert. Wie macht er das nur ständig? "Kannst die ganze Packung haben. Sie schmecken nicht besonders gut, aber..." Das, was nach dem aber kommt, warte ich gar nicht erst ab. Ich ergreife die Schachtel und ziehe eine Zigarette heraus. Hastig tatsche ich meine Taschen nach einem Feuerzeug ab. Natürlich ist Kaoru schneller, hat seines bereits hergezogen und hält mir die Flamme hin. Der erste Zug erscheint mir himmlisch. Der Rauch verlässt in einem großen Schwall meine Lippen. "Vielleicht geht jetzt wenigstens der Feueralarm los und jemand kommt, um uns hier rauszuholen." "Oder aber wir haben so eben unser Schicksal besiegelt und werden an unserem eigens gemachten Qualm ersticken." Wir blicken einander an... und prusten gleichzeitig los. Um ein Haar hätte ich mich vor Lachen am Rauch verschluckt. Zur Sicherheit entwendet Kaoru mir die Zigarette, zieht selbst daran, obwohl er nicht minder laut lachen muss. "Das hört sich jetzt vielleicht doof an...", gluckst er und wedelt mit der freien Hand eine Wolke davon. "Aber... ich würde mit niemanden lieber zusammen sterben als mit dir." Erst bleibt mir das Gelächter im Halse stecken und ich starre ihn an - sein Profil, sein Schmunzeln - dann jedoch muss ich über diese Aussage ebenfalls lächeln. "Schon etwas makaber jetzt darüber zu reden, findest du nicht?" "Mag schon sein..." Unsere Blicke treffen sich. "Aber wenn es so wäre und wir beide würden hier elendig verenden...", stoppt er mitten im Satz, schüttelt den dunklen Haarschopf mit noch immer gekräuselten Lippen, bevor er dann ganz ernst wird. "...dann könnte ich es mir nicht verzeihen, vorher nicht noch das getan zu haben." Da sitze ich wie ein unwissendes Kind an seiner Seite und frage mich noch überrumpelt, was er denn wohl mit 'das' meinen könnte, als er sich zu mir beugt und seine tätowierte Hand bereits ihren Weg auf meine Wange gefunden hat. Ich weiß nicht, was er da macht, aber ich glaube, ich verliere den Verstand. Wozu sind eigentlich Träume gut, wenn sie nicht ein wenig unrealistisch sind? Seine Nähe ist so warm, sein Atem berührt meine Haut. Und die Fingerkuppen, die mein Gesicht streichen... Die Nackenhaare erheben sich zur Standing-Ovation. Ich frage mich, wie man den Faden nur so verlieren kann. Verlaufen ist im Grunde nichts Schlimmes, oder? Man findet nur etwas, was man eigentlich überhaupt nicht gesucht hat. Ist die Lösung denn so leicht, dass man Angst vor der Antwort hat? Seine Lippen pressen gegen die meinen, so unerwartet, so sinnesraubend, dass mir schwindlig wird. Meine Augen weiten sich, werden riesengroß. Bin wie erstarrt, perplex. Und doch hämmern tausend Fragen wirr und kreischend durch jede Ecke meines Kopfes, in dem Sirenen aufheulen, die vor dem Großbrand warnen, der in diesen Sekunden in meinem Körper auszubrechen droht. So viele Fragen, peitschend und markversteinernd. So viele, doch eine schreit am grellsten: Wer bist du und was hast du bloß mit Kaoru gemacht? ____________ To be (or not to be) continued. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)