Liebe macht blind von peri (Die & Kaoru) ================================================================================ Kapitel 8: Gefühlsachterbahn. ----------------------------- Kommentar: Erstmal: Ach du Schande, ich hab nicht wirklich 9 Monate zum Updaten gebraucht, oder? Ihr dürft alle mit Steinen nach mir werfen, ich stell den Korb mal hier hin, okay? Es tut mir schrecklich leid, dieses Kapitel hat mir solche Schwierigkeiten bereitet... Geplant war etwas ganz anderes. Ich wollte es peppiger und lustiger machen, insgesamt etwas heiterer - irgendwie bin ich gescheitert. Mir wollte und wollte kein vernünftiger Anfang einfallen. Herausgekommen ist das hier. Aber immerhin ein bisschen Klartext - hoffe ich zumindest. Es ist wenigstens das bisher längste Kapitel. Meine Fingerknöchel schlagen klopfend gegen die Tür des Hotelzimmers. Vergeblich warte ich auf eine Reaktion. Wieder und wieder klopfe ich an, doch selbst nach dem zwanzigsten Versuch tut sich nichts. Frustriert lehne ich meine Stirn gegen das Holz, gebe einen weinerlich murrenden Laut von mir, der einfach so von meinen Lippen purzelt. Das hat doch alles keinen Sinn. Warum stehe ich hier überhaupt? Höchstwahrscheinlich ist er gar nicht da, ausgegangen oder so. Ich hätte vorher nachfragen sollen, was er für heute noch vorhat, dann würde ich jetzt bestimmt nicht wie blöde vor seinem Zimmer herumlungern und mir die Beine in den Bauch stehen. Schritte hallen hörbar von den Wänden wider. Neben mir taucht Kyo auf, schaut mit weit hochgehobener Augenbraue zu mir. "Warum klebst du an der Tür?" "Weil's lustig ist." Irgendwie war das jetzt patzig, das hab nicht nur ich mitbekommen. Mit hängendem Kopf löse ich mich von dem kalten Holz, um ihm einen Blick zuzuwerfen. "Tut mir leid." "Schon gut", winkt er ab und nickt zur Tür, während er weiterspricht. "Ganz offensichtlich hat er sich vom Acker gemacht." Grummelnd zerwuschel ich mein Haar, streiche es kurz darauf aber wieder glatt. "Das hab ich mittlerweile selbst gemerkt. Hat nicht mal ein Sterbenswörtchen gesagt." "Ist das denn so verwunderlich? Vielleicht ist er feiern gegangen. Toshiya erwähnte da sowas von einem 'coolen' Club zwei Straßen weiter." "Um die Uhrzeit? Das sieht ihm gar nicht ähnlich." In der Tat ist es erst kurz vor neun Uhr abends. Partyzeit beginnt für Kaoru nie vor kurz vor zwölf. Das wäre seine Jagdstunde hat er mir mal vor Jahren verklickert, als wir zusammen einen heben waren. Gelacht und gelallt hatte er da, dass die richtig gute Stimmung erst dann aufkommt, wenn der neue Tag angebrochen ist. Aber Kaoru muss nicht jagen, er hat doch seine große Beute schon gemacht. Normalerweise nutzt er den freien Abend oft zum Ausruhen und Ausschlafen, und wenn er doch feiern geht, dann immer in Begleitung, nie allein. Was sich unter unserer Tour-Gesellschaft herumsprach, war, dass viele für heute erst gegen zehn Uhr feiern gehen wollten. Mit wem sollte Kaoru also gegangen sein? Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, dass er Frust schiebt, keine bekannten Gesichter um sich herum haben will, nur säuft, um mal einen Moment lang nicht denken zu müssen. Aber das ist schlichtweg lächerlich. Sowas mache ich, aber doch nicht er. Was für einen Grund sollte er auch haben? "Geht Toshiya denn hin?" "Ich denke." "Du auch?" "Eigentlich wollte ich ja..." Kyo wirft einen flüchtigen Blick den Gang entlang, als wollte er sich vergewissern, dass sich niemand sonst in Hörweite befindet. Als sein Augenpaar wieder bei mir angekommen ist, fragt er: "Willst du denn hin?" Es reicht anscheinend nicht, dass mich ein Kerl absolut verwirrt, jetzt fängt er auch damit an sich rätselhaft zu verhalten und Sätze ins Nichts laufen zu lassen. "Naja, alkoholischen Getränken bin ich nun wirklich nicht abgeneigt und ein bisschen Feiern könnte auch nicht schaden." Seine Mundwinkel heben sich zu einem Grinsen. "Wie wär's denn, wenn wir dir dann endlich mal wieder was Nettes für die Nacht an Land ziehen? Mir ist zu Ohren gekommen, dass sich bei dir inzwischen jede Menge sexuelle Energie aufgestaut hat." "Das musste man dir erst sagen? Sieht man mir das nicht sofort an, weil's in Leuchtbuchstaben auf meiner Stirn eingraviert steht?" Fängt er jetzt allen Ernstes an mich auszulachen? Auf einmal schallt sein glucksendes Lachen durch den leeren Gang. So lustig war das nun auch wieder nicht, was ich da von mir gegeben habe. Die Wahrheit war es eben. "Einem ausgehungerten Tiger merkt man es an, wenn er ausgehungert ist, was?" "Tu nicht so, dir geht's doch genauso." Kyo streicht sich das blonde Haar aus der Stirn und lacht heiser. "Da hast du wohl Recht. Was ist eigentlich mit der Kleinen, die dir Toshiya so großzügig versprochen hat?" "Die ist nicht aufgetaucht. Hat es sich allen Anschein nach anders überlegt." "Ich dachte sie soll so auf dich abgefahren sein?" Ich zucke bloß mit den Achseln. Ein verächtlicher Laut verlässt Kyos einen Spalt breit geöffneten Mund. "Und sowas nennt sich dann treuer Fan." "Fans sind eben auch nicht das, was sie einmal waren. Aber sag mal, warum setzt du dich eigentlich auf so eine Durststrecke? Kannst mir nicht erzählen, dass sich in all der Zeit noch nichts bei dir ergeben hat. Noch nicht mal 'n nettes Gespräch oder so?" "Ausländerinnen haben andere Standards." "Das ist deine Ausrede?" "Meine eigenen Erwartungen sind vielleicht auch einfach zu hoch." "Das hört sich bekannt an", seufze ich und weiß genau wie einem zu hohe Erwartungen das ganze Leben versalzen können. "Heute Abend habe ich mir aber vorgenommen, dass sich das ändern muss", sagt er während wir den Gang hinunter zum Treppenhaus gehen. Ein schüchterndes, aber dennoch diebisches Grinsen spielt plötzlich um seine Lippen und er wirkt siegessicher. Im Gegensatz zu mir kann er das auch sein. An Charisma mangelt es uns beiden nicht, aber meine Beute ist nach wie vor mehr als nur immun gegen jegliche meiner Anstalten. Es ist die alte Leier. "Und bei dir im Übrigen auch. Also machen wir uns jetzt auf die Socken." "Das heißt, du willst mir beim Jagen helfen?" "Hast du vor den ganzen Abend nur Kaoru nachzusehen und nachzustellen?" "Naja, eigentlich..." "Ich weiß, ich weiß. Schon in Ordnung. Ich weiß doch, du bist vertraglich dazu verpflichtet Kaoru tagtäglich auf die Nerven zu gehen." "Wenn du das so sagt, hört es sich an als wäre ich wie ein kleines nörgelndes Kind." Der Schlag einer flachen Hand trifft mich am Rücken. "Genau das, Die. Genau das." "Hat das etwa auch Kaoru gesagt?" Innerlich schneide ich schon wieder unansehnliche Fratzen bei der Verschwendung eines Gedanken daran, wie man sich auf meine Kosten lustig zu machen pflegt. "Kommt dir denn sonst jemand in den Sinn?" Grummelnd stoße ich die Glastür zum Treppenhaus auf. "Manchmal frage ich mich allen Ernstes, warum er solche Dinge von sich gibt." "Weil er weiß, wie er die Wunden zum Jucken bringen kann." Ein kurzes Murren ist meine Antwort. Wenn er wüsste, wie Recht er damit hat. Es juckt zwar nur ein bisschen, aber dennoch hinterlässt jede noch so bescheuerte Bemerkung irgendwo in mir ein unangenehmes Brennen. Je öfter man in eine Kerbe haut, umso brüchiger wird das Holz ja auch. Ich nehme drei Stufen auf einmal und sehe zu, dass wir möglichst schnell hier raus und in die Bar kommen, in der ich mich dann quer über den Tresen schmeißen kann. Das Frustzentrum beginnt mit leiser, aber immer lauter werdender, hochgeschraubter Stimme nach Alkoholbetäubung zu kreischen. Und mittlerweile macht sich der Wunsch in mir breit mir außerdem noch Seelenbalsam zu krallen. Nur endlich was, um nicht mehr alleine einzuschlafen, mit dem Körper in ein leeres, kaltes Bett zu fallen und gezwungenermaßen meine Hände zu benutzen. ~*~*~ Die rauchige Luft strömt durch meine Lungen und kitzelt in meinem Hals. Draußen ergießt sich der Regen in dicken, kalten Tropfen auf die Stadt, durchnässt das grüne Laub der Bäume und besprenkelt Fensterscheiben. In meinen Haaren steckt die Nässe, auf meiner dünnen Lederjacke fließen noch die letzten Rinnsale herunter, als Kyo und ich in die stickige Wolke aus verbrauchter Luft eintauchen. Bereits am Eingang verliere ich ihn beinahe aus den Augen. Die Menschen fliehen in die Clubs, Bars und Kneipen und sorgen für eine undurchschaubare feiernde Masse, die lautstark vor sich hinbrabbelt und schnattert. "Der Laden ist offensichtlich drauf und dran aus allen Nähten zu platzen", raunt Kyo mir von hinten zu, während ich mir noch das feuchte Haar zurechtzuzupfen versuche. "Mir Jacke wie Hose. Als allererstes brauch ich einen Drink." Und zwar mehr als dringend. Diese Dancefloor-Musik halte ich beim besten Willen nicht lange nüchtern aus. Von allen Seiten her dröhnt sie aus den Lautsprechern, wummert selbst noch in der verdrehtesten Hirnwindung nach. Cooler Schuppen, beschissene Musik. Vielleicht sind meine Ohren zu verwöhnt von den Rockfestivals. Noch bevor ich einen Fuß vor den anderen setzen kann, packt Kyo mich grob am Ärmel und zerrt mich zurück, so dass ich ein, zwei Schritte nach hinten taumele. Bloß kurz nickt er herüber zur Schänke, doch offensichtlich genug, dass ich seinem Blick folge. "Bist du dir sicher, dass du das brauchst?" Meine Augen weiten sich unbewusst, als ich zwischen einer Horde gut gelaunter Einheimischer ein bekanntes, griesgrämiges Gesicht erkenne. Das Kaoru seinen Arsch bereits an der Bar parkt, konnte ich ja nicht wissen. Ich brumme lautlos vor mich hin, noch während ich ihn begaffe als wäre er eine Zirkusattraktion. Obwohl seine Erscheinung durchaus Ähnlichkeit mit der des Tigers vor dem brennenden Ring hat. In diesem Fall ist das feurige Hindernis aber nicht ein angezündeter Hulahoopreifen, sondern viel mehr ein bis zum Rand gefülltes Glas Bier. Wie gebannt starrt er in die gelbliche Flüssigkeit, regt sich dabei nicht einen Millimeter. Nicht mal, als zwei junge, kichernde Frauen ihn versehentlich anrempeln und sich kurz darauf angeduselt entschuldigen. "Er wirkt völlig weggetreten", spricht Kyo die Worte aus, die ich gerade gedacht habe, und schaut zu mir auf. Als könnte ich ihm nun den Grund dafür erklären. Ich hebe bloß meine Schultern, reibe mein Ohr, welches von dem grässlichen Bumbum, das sich auch noch Musik schimpft, schmerzt. "Ich brauch trotzdem immer noch 'nen Drink." Mit diesen Worten, die nun mehr wie ein mies getarnter Vorwand klingen, lasse ich Kyo zurück und stiefele hinüber zum Ausschank, der sich just in diesem Moment etwas leert. Ohne Probleme schiebe ich mich neben Kaoru. Ich weiß, unerwiderte Liebe lässt die Menschen lächerlich erscheinen. Doch heute Nacht ist es mir egal. Es ist mir egal, was er denkt. Ausnahmsweise bin ich nicht wegen ihm hier. Ich pflanze meinen eigenen Garten, anstatt darauf zu warten, dass jemand mir Blumen bringt. ...oder so ähnlich. Der Ausdruck, der sich auf seine scharfen Gesichtszüge legt, als ich meine Stimme erhebe und mir auf Englisch ebenfalls Hopfen und Malz bestelle und er sich daraufhin ruckartig zu mir dreht, bereitet mir dennoch Sorgen. Was hinter dieser Stirn vor sich geht, weiß wohl wirklich niemand zu sagen. Jedenfalls scheint er alles andere als freudig überrascht mich zwischen all den feiernden Leuten plötzlich direkt neben sich auftauchen zu sehen. Die Haut an seiner Nasenwurzel ist zerkräuselt, die Lippen verzogen zu einer dünnen Linie. "Scheiße, lassen die hier denn jeden rein?", sind die ersten Worte, die mich wie ein Knüppel an der Schläfe treffen. Unbeeindruckt von seinem Murren lehne ich mich an die Bar und bezahle mein Getränk. "Meine Anwesenheit bereitet dir wohl Kopfschmerzen." "Das ist nun wirklich unschwer zu übersehen." Sein Augenpaar richtet sich statt auf mich einzig auf den Wolkenbruch, der sich außerhalb des schmalen berieselten Fensters abspielt. Auch ich folge seinem Blick, doch kann ich dort wohl nicht das sehen, was er sieht. Ohne auf seine Worte einzugehen, führe ich das Bier an meine Lippen. Das wohltuende monotone Prasseln des Regens ist hier drinnen nicht mehr zu vernehmen. Zu laut ist die ohrenbetäubende Musik, die von allen Seiten auf uns einhämmert. Bunte, glitzernde Lichter, Leuchtreklame, die in meinem Augenwinkel in regelmäßigen Abständen in fremder Sprache aufflackert. Das Wasser verschluckt langsam die Welt dort draußen vor dem Fenster. Eine Weile betrachte ich ihn nur schweigsam von der Seite, studiere seine Regungen, seine Miene, die sich wie in Stein gemeißelt präsentiert. Ich atme hörbar aus, zwirbele mein Haar unruhig mit der freien Hand. Fernab von der weltlichen Realität, in der ich hier mit ihm feststecke, ziehen sich meine Gedanken wie zäher Brei. Es zu erklären, fällt mir schwer, doch da ist etwas, das wie ein düsterer Schatten an ihm klebt, etwas, das nicht ins Bild passt, ganz gleich wie sehr er sich bemüht, das niemand es bemerkt. Ich sorge mich nun mal und ich muss es wissen. "Alles klar bei dir?" "Hm? Warum fragst du?" "Weil du das Hotel einfach ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen, verlassen hast." "Ich bin keine fünf mehr." "Kaoru..." Endlich nimmt er einen Schluck von seinem Bier, das er bis dahin nicht angerührt hatte, schluckt umständlich und leckt sich den Schaum von den Lippen. "Mh?" Schwer seufzend blicke ich ihn an, mustere ihn und kann nicht glauben, dass er es tatsächlich vorzieht abweisend zu sein, mir vorzugaukeln da wäre nichts, was ihn bedrückt. "Ich glaube, es würde nicht nur mir einen riesigen Stein vom Herzen nehmen, sondern auch dir, wenn du mir sagen würdest, was mit dir los ist. Das hier sieht dir nicht ähnlich." "Ich habe nicht den leisten Schimmer, wovon du redest." "Und ich habe nicht den leisten Schimmer, warum du immer noch denkst ich wäre der gottverdammte Feind!" Mit hochgeschraubter Augenbraue stiert er mich entgeistert an, als meine Stimme plötzlich lauter wird als es nötig ist, selbst bei dieser nervigen Lautstärke. "...du hast echt nicht mehr alle Latten am Zaun." "Ich... was? Na hör mal! Meinst du, nur, weil ich tiefere Gefühle für dich empfinde, die du nicht erwidern kannst, kannst du nicht deinen Kummer und deine Gedanken mit mir teilen?" "Die..." "Wir waren doch mal Freunde, gute Kumpels! Wir haben jeden Scheiß zusammen bequatscht und waren wie Pech und Schwefel, Pinky und Brain, Dick und Doof, und heute kannst du mir nicht mal mehr genug vertrauen, um mich wissen zu lassen, was in deinem Dickschädel vor sich geht?!" "Die..." "Sind wir uns denn so fremd geworden, dass die einzigen Worte, die du noch mit mir austauschst sich entweder auf Musik, Arbeit und die Band oder aber auf spöttische Seitenstiche und widerwärtige sarkastische Bemerkungen begrenzen?!" "Die. Halt einfach nur deine Klappe." Hart knallt der Bierglasboden auf das Tischholz. Der Inhalt des Glasses verteilt sich in einer spritzenden Fontäne quer über die Theke, seine zitternden Hände. "Es ist nichts. Es geht mir bestens. Jedenfalls bis du gekommen bist. Würdest du mich jetzt bitte entschuldigen? Du machst mich wahnsinnig." Mit einem Ruck wirbelt er herum, an mir vorbei und ich sehe nichts weiter als seine Haare, die wie in Zeitlupe in der Luft eine Welle zeichnen und seinen Rücken, der kurz darauf in den Menschenmassen untergeht. Diese Klatsche war deutlich genug. Jedoch merke ich erst danach, was für eine gequirrlte Scheiße ich da soeben von mir gegeben habe. Es trifft mich unbarmherzig, wie ein Felsbrocken direkt gegen die Schläfe. Da, wo er noch vor einer Sekunde gestanden hat, klafft nun ein Loch, das ich noch nicht ganz begreife. Ich schlucke schwer und zimmere mir die flache Hand gegen die Stirn, in der Hoffnung, dass es irgendetwas bewirkt, aber es ist aussichtslos mit mir. Wütend auf mich selbst fluche ich in mich hinein. Mir absolut schleierhaft, wie ich bloß so taktlos sein konnte. Wo hab ich denn bloß meine Logik gelassen? Auf dem Hotelzimmer vergessen oder verloren, als Kaoru mir mit abwehrender Körperhaltung zu verstehen gab, dass das, was immer ihn auch bedrückt, nicht für meine Ohren bestimmt ist. Wiedermal könnte ich mir in den Hintern beißen. Ständig begehe ich den gleichen hirnrissigen Fehler. Wieso lerne ich denn nur nie daraus? Wie war das mit dem lächerlich? Lächerlich mache ich mich ganz gewiss. Immer und immer wieder. ~*~*~ Was hat Tomaten auf den Augen, Karotten in den Ohren und Stroh im Kopf? Richtig. Kaoru und ich. Ablenken wollte ich mich - war das, wenn man es genau nimmt, nicht der eigentliche Grund, warum wir in diese Bar gekommen sind? Aber Kaorus Präsenz ist allgegenwärtig. Selbst, wenn er mal nirgends zu sehen ist, so wie jetzt. Zwischen meinen Ohren surrt alles. Nichts trinken klappt mal wieder hervorragend. Bier. Kein Wunder, dass man es auch Krawallbrause nennt. Dazu fühle ich mich mehr oder minder hingerissen. Zu blöd nur, dass ich eigentlich nicht der Typ Kerl dafür bin. Jedoch nach dem vierten Bier, das den Weg hinunter, entlang meinem Schlund, in meinen Magen und letztlich in meinen guten Kumpel die Leber gefunden hat, regt sich in mir, in meinen Eingeweiden, die altbekannte unruhige Schlange, die mir bitterböse Dinge einflüstert, die ich nüchtern nie denken würde. "Es ist wirklich ein vermalledeites Hundsleben", stoße ich aus, werfe mich mit Wucht zurück gegen die Lehne des karminroten Sessels, der inmitten einer kleinen Sitzgruppe etwas abseits der Tanzfläche in der Lounge steht. "Bist das du, der da aus dir spricht oder bloß der Alkohol?" "Frag mich nicht. Frag meinen hohlen Schädel." "Am besten frag ich gar nicht mehr." Allein die Tatsache, dass Kyo mich wieder aufgesammelt hat, nachdem ich mich einmal mehr in die Nesseln gesetzt habe, grenzt an Heldentum. Dass er immer noch neben mir am Tisch verweilt wohl eher an Masochismus. Eine Zigarette zwischen den Lippen brumme ich missmutig vor mich hin. "Warum eigentlich ich? Ich bin niemand!" "Du hast dich da selbst reingeritten, also beschwer dich nicht. Außerdem ist die Nacht noch jung und noch alle Möglichkeiten offen. Wolltest du nicht Ablenkung? Deine verzogene Flunsch hilft auch nicht sonderlich dabei Frauen anzuziehen. Seit 'ner geraumen Stunde verscheuchst du konsequent alles, was rasierte Beine hat. Wie soll ich uns beiden denn da zum Erfolg verhelfen?" Sei es rhetorisch oder nicht rhetorisch gefragt, in meiner Magenkuhle beginnt ein dicker Stein hin und her zu rollen. "Die... Du stehst doch auch immer noch auf Frauen, oder?" "Ist das auch nur irgendwie relevant?" Er hebt die Schultern. "Ich frag ja bloß." "Natürlich ist mir klar, dass ich in meinem Zustand nicht gerade der Frauenmagnet bin, aber wenn dich meine Laune so stört, dann kannst du mich hier auch gerne alleine lassen. Ich komm schon zurecht." "Was passiert, wenn man dich alleine lässt, habe ich bereits oft genug erlebt. ...hey, sag mal, ist das da hinten nicht die Ursache für deinen schweren Gehirnschaden?" "Hey, was soll das denn heiß- ...bitte was?" Auf einmal ist meine luri-schluri-Stimmung wie weggeblasen und meine Augäpfel treten aus ihren Höhlen hervor. Unter Umständen sollte ich aufhören, den Fingerzeigen von Leuten zu folgen, denn in den meisten der Fällen geschieht kurz darauf eine wahre Katastrophe. Dieses Mal jedoch entscheidet das Unheil selbst sich bis auf geringen Abstand zu nähern, bis zu dem Punkt, an dem sich sogar unsere Augen treffen. "Was führt dich denn hier her?", kommen die Worte aus Kyos Mund, während Kaoru mit merkwürdig unbekannter Miene dasteht, als wäre das ganz selbstverständlich und mich mit seinen dunklen Pupillen ersticht. "Ich wollte zu Die." Mir rutscht sprichwörtlich das Herz aus dem Hosenschlitz, kugelt quer durch den Raum und zur Tür hinaus. "Ich glaube, darauf hat er sehnsüchtig gewartet." Unverblümt wie eh und je gibt Kyo das von sich; dabei entspricht es nicht mal der Wahrheit. "Mh ja, wie auch immer. Ich wollte mich nur entschuldigen." An dieser Stelle fehlen mir wirklich die Worte. Nicht mal für eine Grimasse reicht es noch. Umso dankbarer bin ich Kyo, dass er für mich antwortet. "Entschuldigen?" Ein Schatten huscht über Kaorus Gesichtszüge und er knurrt, sichtlich unerfreut darüber, dass er nicht mit mir allein reden kann. "Ich war vorhin etwas harsch zu ihm." Mein Kehlkopf fühlt sich dick und angeschwollen an. Da liegt diese bestimmte Anspannung in der Luft, die drauf und dran ist sich als tosendes Ungetüm zu manifestieren. "Entschuldigung angenommen", krächze ich und zünde mir beiläufig eine weitere Zigarette an, um mich abzulenken. "Kann ich mal mit dir alleine reden?" "Ich weiß nicht." Als wäre das das Stichwort gewesen, das gefehlt hat, erhebt sich Kyo urplötzlich von seinem Sitz. "Ich wollte mir sowieso gerade die Beine vertreten", sagt er achselzuckend, als er unsere verwirrten Blicke sieht, und macht keinen allzu großen Hehl daraus, dass das glatt gelogen ist. Binnen weniger Sekunden ist er auf und davon, hinterlässt nur einen leeren Platz, auf den sich auch direkt Kaoru fallen lässt. Die Arme vor dem Oberkörper verschränkt, mustert er mich, sitzt schweigend da. Wehleidig verziehe ich mein Gesicht. Es geht nie gut, wenn wir beide alleine sind. Gerade jetzt wäre es mir viel lieber, hätte sich Kyo nicht vom Acker gemacht. Blöder Mistkerl. In meinem Zustand bin ich wie eine tickende Zeitbombe. Der Glimmstängel zwischen meinen Fingern ist mein einziger Rettungsanker. Doch es ist egal wie verzweifelt ich daran ziehe, die Anspannung bleibt bestehen und ich kann Kaorus Blicken nicht länger ausweichen. "Über was wolltest du denn mit mir reden?", traue ich mich die Frage in den Raum zu werfen. "Es geht um eine Angelegenheit, die mir sehr am Herzen liegt. Um jemanden, der mir sehr am Herzen liegt." 'Seine Freundin' ist der erste Gedanke der mir scharf wie die Klinge eines Dolches in den Kopf schießt, ihn bestialisch spaltet. Und damit kommt er ausgerechnet zu mir. Zwar sagte ich, dass er mit seinen Gedanken und seinem Kummer zu mir kommen kann - habe ich mich doch vorhin genug darüber aufgeregt, dass er es eben nicht tut - aber wenn es um sie geht, bin ich mehr als offensichtlich nicht der richtige Ansprechpartner. Er bringt es ja nicht mal über sich ihren Namen über die Lippen zu bringen. Doch in seinen Augen spiegelt es sich klar und deutlich. Wer, wenn nicht seine Freundin, würde diesen melancholisch bitteren Ausdruck hervorrufen, der seine dunkle Iris leicht zum Schimmern bringt? Schien ihre Beziehungskrise nicht gerade erst vorüber? Höhnend hat man mir doch unter die Nase gerieben wie sehr und nahe sie sich stehen. Dieses widerliche Szenario, das meinen Alkoholabsturz zufolge hatte. Natürlich, ich wusste von Anfang an, dass da etwas nicht stimmt. Kaorus Alleingang in eine Bar, dazu noch in einem fremden Land. Aufgewühlt und erneutem Stress ausgesetzt; und jetzt ist er hier, unweit von mir entfernt, stiert mich an mit den Blicken einer Sphinx. Wie unsichtbare, eiskalte Hände legen sie sich um meinen Hals. Werden mich wohl auch erwürgen, wenn ich sein Rätsel nicht löse. "Ich könnte bei dieser Angelegenheit wirklich... deine Hilfe gebrauchen." "Meine Hilfe?" Es ist unmöglich, dass mein Ton noch ungläubiger klingen könnte. Ungewollt hat sich meine Stimme in die Höhe geschraubt. "Seit wann brauchst du meine Hilfe?" Anstatt mir zu sagen, worum es sich genau handelt oder auf mich einzugehen, seufzt er bloß schwer und streift sich durch die Haare. "Komm, es ist nur ein Gefallen." "Das letzte Mal, als du mich um einen Gefallen gebeten hast, habe ich mir fast einen Bruch gehoben." "Es ist aber wirklich wichtig." "Das sagst du jetzt." Wer weiß in welche missliche Lage er mich nun wieder bringen will. "Ach, komm schon. Hab ich dich jemals im Stich gelassen?" Ein bitteres, trockenes Lachen fällt von meinen Lippen. "Willst du, dass ich das beantworte oder soll ich einfach nur böse gucken?" Erneutes schweres Seufzen. "Jetzt hab dich nicht so. Ich entschuldige mich auch aufrichtig bei dir. Umarmen wir uns?" Es ist wie als schlüge er mir mit einem Spaten direkt vor die Stirn. Die Schlange in meiner Magenkuhle zischelt, faucht, rasselt. Erst ein hartes Schlucken, dann ein Satz den ich ausspucke. "...ich glaube, wir sind zu männlich dafür." In meiner Stimme klingt ganz deutlich mit, dass 'wir' in diesem Falle nichts Anderes bedeutet als 'du'. Dieses Mal ist es er, dessen Leib plötzlich zuckt, als hätte er sich einen Schlag an einem Elektrozaun geholt. Als hätte es ihn wirklich getroffen, was ich soeben von mir gegeben habe. Jedoch ziehe ich wieder voreilige Schlüsse. Warum sollte es ihn auch nur im Geringsten berührt haben? Höchstens, weil ich nicht direkt meine Hilfe bei seiner privaten Angelegenheit angekündigt habe. In mir ist alles ganz kaputt und aufgekratzt. Bin hin- und hergerissen zwischen Gefühlen für ihn, die nicht mehr zusammenpassen. Die an Wahnsinn grenzende Liebe, die Unterwürfigkeit, der geschundene Stolz, die funkensprühende Wut, die alles vergiftende Eifersucht, die Enttäuschung und das Gefühl nicht mehr zu wissen, was real, Einbildung, richtig oder falsch ist. Widersprüchlichkeit. Die Nervenenden flackern im epileptischen Takt. "Tut mir leid, ich wollte das nicht so-" "Ja, Kaoru. Mir tut es auch leid. Du bist ja nicht derjenige, der Tag ein, Tag aus mit Spott beschmissen wird und von dem dann noch verlangt wird zu helfen. Schön, bitte... Ja, ich hab gesagt, dass du mir dein Herz ausschütten sollst, aber ich will es nicht hören, wenn es bloß darum geht, dass du wieder Stress mit deiner Freundin hast. Und wenn du ganz ehrlich bist, weißt du genau, dass es abartig ist mit diesem Thema zu mir zu kommen. Ausgerechnet zu mir! Ja, ich liebe dich nun verdammt noch mal, aber deswegen musst du mir doch nicht absichtlich jeden Schritt zu einer Qual werden lassen, bloß weil du nicht damit umgehen kannst und vielleicht den Freund, den du einmal in mir hattest, vermisst." Entgeistert starrt er mich an. Es vergehen Sekunden, in denen die Welt wie erfroren scheint. Dann endlich Worte, die jedoch alles andere als befriedigen sind. "...wieviel hast du getrunken, Die?" Meine Hände beginnen vor Wut zu zittern. "Das ist alles, was du mir zu sagen hast?!" Alles dreht sich. In einem Raum voller Farben, die sich vermischen und neue schrille Farbengebilde formen. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Doch genau das tue ich. Die ganze Zeit. Und kann nicht aufhören. Ich kann einfach nicht. Ich kann... nicht... "Hast du mir überhaupt zugehört?" Es ist mir egal wie laut ich werde, wie unangebracht dieses Verhalten, dieses Thema an diesem Ort ist. Niemand wird die Worte verstehen, die ich ausspreche. Vielleicht nicht mal Kaoru. "Ja, ich kann es dir nicht mal verübeln, dass du mich so sehr hasst. Wie kann man so jemanden wie mich auch lieben?" "Die, du fängst schon wieder genauso an wie vorhin." "Ich sage dir nur, wo ich stehe." Und höchstwahrscheinlich ist es auch zu viel Klartext, der aus meinem Mund sprudelt. "Das musst du aber nicht!" "Allen Anschein nach schon, weil du jetzt hier bist und mit mir über deine Freundin sprechen willst!" "Es geht aber überhaupt nicht um meine Freundin." "Um was zur Hölle dann?!" "Um dich, du hirnverbrannter Idiot!" Jegliche Worte verkannten sich quer in meiner Kehle. Wir starren uns gegenseitig nieder. Etwas von dem Bild, dass ich von Kaoru hatte, beginnt zu bröckeln. Verpufft ist mit einem Schlag die Aggression, die noch vor dem Bruchteil einer Sekunde heiß in mir gelodert hat. Nichts, absolut gar nichts, bleibt mehr zurück. Dafür schlingt sich ein anderes Gefühl wie eine bitterkalte Kette um meine Gedärme und schickt Gallensäure meinen Hals hinauf. "Um mich...?", würge ich hervor und habe vergessen, wo oben und unten ist, wie mir geschieht und auch wie ich nur jemals wieder gut machen soll, was ich ihm entgegen geschleudert habe. Dieser Gedanke, mehr noch als die Überraschung Thema seines Anliegens zu sein, bringt mein Herz zum Zittern. Mein gesamter Körper bebt. Keine Spur mehr von der Wut. Wie als hätte man mich in den kalten Regen geschmissen, hat sich innerhalb von wenigen Wimperschlägen eine Welt komplett auf den Kopf gedreht. "Ja, um dich." "Wieso...?" "Ich glaube, das ist jetzt nicht mehr so wichtig." Ist das Schmerz, der hinter diesem dicken Brillenrahmen aufleuchtet? Ist das meine Schuld? Natürlich ist es das... Ohne es zu bemerken; bin ich auch nicht besser als er. Sein garstiges Auftreten der vergangenen Zeit hat einen Schutzmechanismus in mir hervorgebracht, welchen ich nicht unter Kontrolle habe. Ich kann seine wahren Beweggründe kaum noch erkennen. Kaoru ist der Mann, der sich in sanften Nebelschwaden immer mehr vor meinen Augen auflöst, bis ich schließlich nur erahnen kann, wo er irgendwann mal für mich stand. Ein 'Tut mir leid' ist zu schwach. Es ist unverzeihlich, dass ich ihn schon wieder vor den Kopf gestoßen habe. So wie er es sonst mit mir zu pflegen tut. Dabei wollte ich doch niemals gegen ihn kämpfen. Genau das tue ich aber wohl. Und ich kann nicht immer alles auf den Alkohol schieben. "Ich wollte dich nicht vor den Kopf stoßen..." Ausgesprochen klingt es noch erbärmlicher. Wir beide wissen, dass es unser Jähzorn ist, der uns so manches im Leben schwerer macht, als es an sich ist. In seinem Gesicht stehen die Sätze geschrieben, die es nicht wagen über seine Zunge zu rollen. Und da ist er wieder, der Eispanzer. Das Dichtmachen. "Vor den Kopf stoßen? Mich?" Das Lachen klingt falsch und aufgelegt. "Ich lach dann morgen, okay?" Aber die Augen erzählen eine ganz andere Geschichte. Wenn es eine Steigerung für Verwirrung gibt, dann tritt sie sicherlich in diesem Moment in Erscheinung. Unweigerlich presse ich meine Lippen zusammen, meine Zähne bohren sich in sie hinein. Nervöses Schweigen legt sich zwischen unser beider Leiber, die auf zwei verschiedeneren Ebenen gar nicht sein könnten. Kühles Schweigen. Es nistet sich nahezu bei uns ein. Und ehe ich mich versehe, erkenne ich uns beide im Regen stehend, obwohl wir uns doch in diesem Raum befinden. "Kaoru...", flüstere ich, doch weiter kommt meine Stimme nicht. Auf einmal ist es bloß sein Rücken, der mir noch zugewandt ist. "Ich muss jetzt gehen. Du hast bestimmt auch noch was Besseres vor", raunt er gepresst, und dabei zittert seine Hand schwach. Ich will etwas erwidern, doch meine Kehle scheint so trocken, dass sie wohl zerbersten würde, würde ich jetzt sprechen. Ganz zu schweigen davon, dass er mir keine Antwortmöglichkeit mehr gibt. Da geht er, lässt mich zurück. Mit einer beängstigenden Selbstverständlichkeit. Mit tausend verworrenen Gedanken, die wie aufgebrachte Bienen in meinem Schädel herumschwirren. Mit einem säuerlichen Druck in meinen Eingeweiden, in denen nichts bleibt außer dem Rumoren und der stechenden Frage, über was er mit mir hätte reden wollen, hatte ich meine Zunge doch bloß ein einziges Mal im Zaum gehabt... ~*~*~ Wieviel Zeit genau verflossen ist, seitdem ich mir mit meinen Worten erneut ins eigene Fleisch geschnitten habe, vermag ich nicht mehr zu sagen. Es müssen Stunden vergangen sein, in denen ich mich meinem Rausch hingab; aber was war und mit wem, nichts davon krieg ich mehr zusammen. Auch nicht, warum ich mich bloß wieder dem Alkohol hingeben habe und wie ich überhaupt hier hergekommen bin. Das alles ergibt keinen Sinn. Die laute Musik und die vielen Menschen, deren Gesichter verwaschen und konturenlos wirken, haben wahrlich etwas Gespenstisches an sich. Jetzt irre ich hier nahe der Bar herum wie ein Irrlicht und weiß nicht mal mehr wo links und rechts ist, weil ich mich zu oft hin und her gedreht hab. Als Gott den Orientierungssinn vergab, hatte ich mich verlaufen. Und von Kaoru ist immer noch keine Spur zu entdecken. Immer wenn man den mal braucht, ist der nicht da. Okay, was heißt hier brauchen. Ich brauch ihn ja nicht wirklich. Er mich ja auch nicht. Hat ja grad ausnahmsweise mal kein Problem, aber... neee, ich will den einfach sehen und mich an den kleben und mir wünschen, dass wir endlich aufhören uns wie im Tollhaus zu benehmen. Ah, ich hab 'n bisschen zu viel von dem lustigen bunten Gesöff gehabt. Hehehe. So viel nun auch wieder nicht. Ich bin leicht erheitert, aber nicht betrunken. Ich schwöre es! Ich kann genauso gerade denken wie ich gerade gehen kann! Ups. Dass ich jetzt mit diesen Frauen hier zusammengestoßen bin, sagt gar nichts! Oh, holla die Waldfee. Was sehen meine kurzsichtigen Augen. Für einen Moment bin ich vollkommen abgelenkt. Ein breites Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Ich hebe die Hand und lasse mich für eine Sekunde von den tiefblauen Augen der Frau vor mir fesseln. Sie scheint in dieser Sekunde ähnlich zu fühlen, denn genau diese hübschen Augen blicken tief in die meinen. Was bin ich heute wieder für ein Schelm! Ich grinse verstrahlt wie ein kleiner Junge beim Anblick von etwas Süßem. Goooott, ich hatte lange keinen Sex mehr. Schöne weibliche Rundungen ziehen mich eben an wie das Licht Motten. Nicht ganz so schlimm, aber naja... Im Gegensatz zu vielen Fans beim Meet-and-Greet vor einigen Tagen ist das hier doch wirklich mal schön anzusehen und vor allem schön zu riechen. Bild ich mir das ein oder duften beide nach unglaublich süßem Parfüm? Mein Geist ist ganz benebelt. Wer war noch mal der Typ in den ich eigentlich verknallt bin? Eeeh... Scherz. Ich bin heute schwanzgesteuert. Und mittlerweile ist mir egal wer, nur überhaupt wer. Mein Frust hat den Maximalwert erreicht. Trotz des akuten Verlustes an funktionierenden Hirnzellen und drohendem Boardcomputer-Absturzes kann ich mich wieder entsinnen, was ich vorhatte, bevor ich hier gelandet bin und nun von süßem Kichern abgelenkt werde. "Ähm..." Es ist nicht gut seine Sätze so zu beginnen, besonders nicht auf Japanisch. Jetzt muss ich auch noch Englisch reden. "Entschuldigung. Habt ihr zufällig Kaoru gesehen?" Okay, ich bin dumm. Warum frag ich das überhaupt? Ich nehme mal stark an, dass sowieso keine von den beiden Fan von Dir en grey ist, geschweigedenn uns überhaupt kennt. Trotzdem haben sie mich die ganze Zeit über gemustert und ihre Blicke an mich geheftet. Na klar, so einen heißen Japaner wie mich trifft man auch nicht alle Tage, ich weiß. ...ich hatte wirklich nicht zu viel Alkohol! Und warum rede ich eigentlich ständig mit mir selbst?! "Wer ist Kaoru?", fragt mich die erste mit brünettem Haar und legt ihren Kopf etwas schief, sieht mich abschätzend an, ohne mir dabei aber das Gefühl zu geben, es wäre unangenehm mit mir zu reden. Die Frau mit den blauen Augen beugt sich zu mir und lächelt sanft. "Wie sieht er denn aus?" Naja, gute Frage. "Wie ein Möchte-gern-Streber mit 'nem Durchschnitt von 5,6." War das jetzt zu böse? Aber die beiden scheinen sich köstlich darüber zu amüsieren und man sagt mir, mein Akzent wäre entzückend. Ist er das? Ich strenge mich wirklich an mit meinem Englisch. Jetzt gebe ich dem ganzen noch mal einen zweiten Anlauf und beginne Kaoru zu beschreiben, schließlich will ich ihn ja tatsächlich finden. "Ungefähr eins siebzig groß, dunkle schulterlange Haare, Kinnbärtchen, hohe Wangenknochen, schmale Schultern, tätowierte Arme, schwingt die Hüften, während er geht und trägt 'ne Brille mit dickem schwarzen Rand." Während die eine noch angestrengt nachzudenken scheint, bestätigt die andere bereits: "Ja, ich glaube, ich habe vorhin so einen Mann zur Hintertür rausgehen sehen." "Wirklich? Wann war das ungefähr?" "Vor etwa zehn Minuten vielleicht. Er schien es eilig zu haben, die Bar zu verlassen." Stirnrunzelnd blicke ich rüber zur Tür, durch die Kaoru wohl entfleucht sein muss, als meine Aufmerksamkeit flöten gegangen ist. "Naja, dann werd ich wohl mal-" Hart und schmerzend bleibt mir der Rest meines Satz im hinteren Teil meines Halses stecken. Direkt vor mir, so nahe, das der betäubende Duft des Damenparfüms meine Sinne tanzen lässt, steht plötzlich diese brünette Schönheit vor mir, strahlt mich mit einem bezaubernden Lächeln an und hat ihre zierliche Hand auf meinen Oberkörper gelegt. Und ich wünschte so sehr, dass ich sagen könnte, ich würde träumen und in Wahrheit wäre es Kaoru über den ich hier schwärme, aber es ist nur diese Ausländerin, bei deren Anblick aus dieser minimalen Distanz mir etwas zu schwindlig für meinen Geschmack wird. Ich bin mir sicher, sie hat gemerkt wie meine Augen jetzt praktisch in ihr Dekolletee gefallen sind. Zusätzlich rückt mir die Blauäugige mit einem Mal auch ungewöhlich nah auf den Pelz. Oh nein, das kann ich nun ganz und gar nicht gebrauchen. Also im gewissen Sinne schon, aber ich... ich... Ach, verfluchte Scheiße nochmal, ich bin doch auch nur ein Mann! Ich bekomme Schweißausbrüche. Einerseits flirten mich beide gerade ganz offensichtlich und unübersehbar an und das bestimmt nicht aus dem Grund, weil sie mit mir über die aktuelle Weltpolitik reden wollen. Ahahaha. Heilige Scheiße, ich möchte nicht sexuell so stark zu jemand anderem als Kaoru hingezogen sein. Aber diese Art und Weise wie sie mir beide in die Augen sehen, mich praktisch schon mit bloßen Blicken verschlingen und mir die Klamotten vom Leib reißen, während ich nur schlucken kann, mich so entsetzlich hart am Riemen reißen muss, lässt mich wahnsinnig werden. Und so übermäßig schüchtern bin ich normalerweise nicht. Die Frage schimmert beinahe in diesen Augen, liegt beinahe auf diesen kirschroten Lippen und ich kann sie schon in meinen Ohren klingen hören. Und was viel schlimmer ist, meine eigene Stimme wie sie ein 'ja' raunt, während meine Hände sich bereits ganz woanders befinden. Und das Karussell in meinem Schädel beginnt sich zu drehen, das Kino in meinem Kopf zeigt mir hämisch Bilder und Szenen, die diese Nacht dann für mich bereit halten würde. Zwei Frauen. Zwei. Ich habe die Wahl. Süßes oder Saures. Naschen oder verhungern. Oh Gott, ich hasse mich. Ich hasse mich so sehr. "Es... es tut mir wirklich leid. Ich muss jetzt wirklich meinen Freund suchen." Ich lächle nervös, versuche zu überspielen, dass jede Zelle meines Körper danach lechzt auf diese Verführung einzugehen. Es fällt mir schwer mich loszureißen, einen Schritt zurückzuweichen, in diese enttäuschten Gesichter zu blicken und dann die Flucht zu ergreifen. Ich bin so dumm. So unfassbar dumm. Dabei will ich doch eigentlich. Ich will wirklich und das ist das Dilemma an der Sache. Im Grunde war es mir doch oft egal und jetzt sollte es mir nur noch mehr egal sein, schließlich vergnügt sich Kaoru doch auch, also warum sollte nur ich mich zurückhalten? An meinen Gefühlen für ihn ändert das nichts. Es ist nur verdammter Sex. Mein Herz hängt trotzdem an ihm. Wir sind einander in keinster Weise verpflichtet. Warum kann ich es dann heute bloß nicht? Ausgerechnet heute. Vielleicht nicht nach all dem, was ich vor gar nicht allzu langer Zeit gesagt habe. Vielleicht nicht, weil ich eben diesem Mann, den ich doch liebe, nicht aufgeben wollte. Nicht um alles in der Welt. 'Die' muss ein anderes Wort für 'Vollidiot' sein. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Güterzug. Direkt dort, wo es am meisten wehtut. Direkt in meinen alkoholverseuchten Verstand, der mit einem stechenden Hieb wieder klar und nüchtern ist. Vorbei an dem Türsteher stolpere ich aus dem Club. Verdammt, was bin ich nur nur für ein gottverdammter Trottel! Kaorus Verhalten den ganzen Abend über. Kann ein einziger Mensch denn so viel Vakuum in seiner Birne haben? Wieso sehe ich es erst jetzt? Weshalb springen diese Scheuklappen erst jetzt wie eine Kruste von meinen Augen? Irgendwas beschäftigt ihn ungemein. Es muss sehr in seinem Kopf rumspuken und ihn nicht in Ruhe lassen, dass er sogar Ablenkung durch Alleinsein vorzog. Sein Abwehrverhalten - kann es sein, dass die Dinge, die ich nicht sehen kann und meinen Augen verborgen bleiben, eben diese sind, die der Wahrheit entsprechen? Also bin ich der Grund seiner Sorgen. Wäre das der Fall, würde ich es mir nicht verzeihen, dann auch noch so widerlich zu ihm gewesen zu sein, als er mit mir sprechen wollte. Als würde ich ihm nichts mehr bedeuten... Und sei es nur als Freund. Zwölf Jahre. Zwölf verfluchte Jahre, als würden diese ohne Stellenwert sein. Wenn er mit mir über mich sprechen will, dann sicherlich nicht, weil er mich als Feind sieht. Allein, dass ich das gesagt habe, macht mich wütend auf mich selbst. Doch diese Liebe macht mich blind, diese Angst vor weiteren Verletzungen. Nur, was bin ich wirklich für ihn? Wo stehen wir? Mit einem Bein im Abgrund oder trennt uns nur ein Stück von einer Besserung? Ich glaube, ich habe den Schlüssel gefunden. Es ist das Ertragen. Weder er noch ich können das einander verübeln. Letztlich muss es für ihn genauso schwer sein wie für mich. Es wird in der Tat vertrackt sein tagtäglich den richtigen Umgang mit mir zu finden und zu wissen, dass ich mehr für ihn empfinde als bloße Männerfreundschaft. Da den Mittelweg zwischen kalter Schulter und freundschaftlicher Herzlichkeit zu beschreiten, muss wahrlich mit immensen Anstrengungen verbunden sein, die ich mir wohl kaum vorzustellen vermochte. Und halte ich mir den Spiegel vor das Gesicht, so sehe ich, wie gierig ich gewesen bin, wie ich mich aufgezwängt habe, wo es ihm doch ganz offensichtlich soviel Unbehagen bereitet hat. Kein Wunder, dass er mich immer wieder auf Distanz zu halten versucht. Letztlich hatte Kyo vielleicht doch Recht: Ich sollte aufgeben. Nicht um meiner selbst Willen, aber wegen Kaoru. Sonst treiben wir den Dorn bloß noch tiefer in die Wunde, treiben den Keil noch mehr zwischen unsere einstige Freundschaft. Das ist leichter gesagt, als getan. Ich habe mich geirrt. Dabei war ich mir doch sicher, dass er mich hasst, dabei ist es wohl genau andersherum. Ich war mir sicher, ihn durchschaut zu haben - nur dieses eine Mal. Aber letztlich hat sich mir wieder gezeigt, dass ich im Prinzip gar nichts kapiert hatte und noch immer ratlos den Holzweg angestarrt habe. Draußen schlägt mir die kühle Luft ins Gesicht, sowie die enttäuschende Erkenntnis, dass ich mir selbst das Suchen in diesem Fall schenken kann. Er ist nicht hier draußen. Niemand steht am Eingang des Clubs unter. Keine Menschenseele zu sehen, die auch nur annähernd Japanisch aussieht. Hier draußen ist nichts, nur der stechende, kalte Regen, der sich fortwährend auf die Stadt ergießt und der trist-trüben Atmosphäre, die sich in meinem Brustkorb einnistet, besten Tribut zollt. Wummern und Dröhnen dringt aus dem kleinen Club hinter mir, wirkt mit einem Mal unwirklich und fremd. Das zischende Rauschen des Niederschlags betäubt meine Ohren, bis das behagliche Geräusch eins wird mit dem Brausen des warmen Blutes durch meine Gefäße. Ich atme tief durch, so tief, der Atemzug brennt in meinen Lugenflügeln. Drei, womöglich auch vier Schritte, vom Eingang entfernt, haben mich meine Beine zum Bürgersteig getragen. Es ist ganz anders als in den Räumen voller zusammengepferchter Menschen. Nicht, dass Menschenmassen ein neuer Anblick für mich wären. Ich vermag nicht zu sagen, was genau den Hebel in meinem Innersten auf ein Neues umgelegt hat. Vielleicht werde ich allmählich manisch-depressiv. Ich lege den Kopf zurück in den Nacken und will für den Moment einfach nur - wenn auch nur für Bruchstücke von Sekunden - den Schlamassel vergessen, in den ich mich stets bestens reinzureiten verstehe. Wie angenehm kühl sich die Tropfen auf meiner erhitzen Haut anfühlen. Die unzähligen kleinen Sprenkler wirken wie die Stiche einer Brennnessel. Bloß ohne die schmerzhaften Quaddeln, die eine Berührung mit ihren Brennhaare nachsichzieht. Eher erfrischend und belebend. Die Lider fest geschlossen, sauge ich den modrig, erdigen Geruch tief in mich ein. Ein surrealer Duft, der mich schaudern lässt. Jede Pore scheint leicht zu erzittern, als der Wind leise winselnd mein Haar zerzaust. Von den durchtränkten Blätter des Baumes über mir platscht es hart auf mich nieder. Ich schere mich einen feuchten Kericht um meine Haare. Menschen mit farbenfrohen Regenschirmen gehen vorbei, versteckt darunter. Die, die ohne Schutz sind, rennen. Ihre Fußstapfen bringen das Wasser in den Pfützen zum Beben, die Tropfen zum munteren Herumspringen. Kann es sein, dass ich dieses Gefühl bereits viel zu lange vermisst habe? Die Verbundenheit mit der Erde und die innere Ruhe, die damit verbunden ist. Langsam glätten sich die Wogen und meine Gefühlsachterbahn kommt zum Stehen. Der nasse Teer glitzert wie schwarzer Onyx; die Kreise, die die Regentropfen nach sich ziehen, scheinen wie von Geisterhand gemalt. Ganze Bäche und Flüsse bilden sich zu meinen Füßen. Längst ist der dünne Stoff der silbernen Chucks durchweicht, die Feuchte hat selbst Besitz von meinen Socken ergriffen. Ich fröstele. Die Nässe steckt bereits tief in meinen Knochen. Dennoch nimmt nichts diesem Regenerguss seine urige Schönheit, seine einlullende Wirkung. Doch das beruhigende Rieseln an meinen Wangen findet plötzlich ein abruptes Ende. Verwundert neige ich den Kopf ein paar Zentimeter zur Seite. Ein kastanienbrauner Schirm bedeckt mich nun, schützt mich vor weiteren kühlen Spritzern. Gehalten wird er von einer schmalen, tätowierten Hand, die zweifelsohne zu Kaoru gehört. "Du bist ganz nass." Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich in seiner bloßen Feststellung fast eine süße Besorgnis heraushören. Doch mein Gehirn filtert zumindest diese Fehlinformationen gewissenhaft heraus, bewahrt meinen Körper davor unnötige Endorphine auszuschütten. "Du wirst dich noch erkälten." Eine Lungenentzündung käme nun wahrlich ungünstig, dennoch vermag es mein Körper nicht sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Wie erstarrt, unfähig ihn auch nur anzublicken. Der scharfe Geruch seines Aftershaves sticht in meiner Nase. Zusammen, vermischt mit seinem ganz eigenen Duft, wird er zur toxischen Droge. "Du hast ja nicht mal eine Jacke an..." Ob es ihm überhaupt aufgefallen ist, dass er nahezu mit sich selbst redet? Irgendwie sind mir sämtliche Worte und Ausdrücke längst im Halse stecken geblieben im Verlauf des Abends. Zu viel Schwachsinn habe ich bereits von mir gegeben, zu heftig sind wir aneinander geraten. Umso unwirklicher kommt es mir vor, dass die Worte, die seinen Mund verlassen, so fürsorglich sind; dass er überhaupt erst auf mich zugekommen ist. Vielleicht ist das der Grund, warum mein Inneres keinerlei Regung zeigt. Betäubend ist das Gefühl, nicht zu wissen, wie ich mich nun verhalten soll. Ich wende mich zu ihm, blicke ihn an. Die Feuchtigkeit der Luft hat sein dunkles Haar zum Kräuseln gebracht. Sanft umspielt es seine Wangen, die von der frischen Luft einen lieblichen rosigen Schimmer bekommen haben. Ich weiß nicht, was er hier macht, was ihn zu mir getrieben hat. Niemals können wir in einander Köpfe schauen. Auch weiß ich nicht, warum ich jetzt, wo er bei mir steht, wieder alles vergessen habe, was zuvor rastlos in meinen Gedanken kreiste. Mein Geist ist wie leergefegt. In der Ferne grollt der Donner. Unterschwellig und bedrohlich. Trotzdem tut der Klang dieses Dröhnens meinem Herzen gut, ebenso wie Kaorus bloße Anwesenheit in diesem Moment. Ein leichtes Lächeln ziert seine Lippen, während er den Schirm immer noch behütend über mich hält, auf eine Reaktion von mir wartet, doch mich nicht dazu zwingt. Dabei habe ich seine Freundlichkeit nicht verdient. Sie passt nicht, ganz egal wie sehr ich es drehe. Ich brauche eine Pause von all dem. Ich kann einfach nicht mehr. Lange ruht mein Augenpaar auf seinen Gesichtszügen, die im fahlen Licht nahezu geschmeidig anmuten. "Lass uns zurück ins Hotel gehen, Die", sagt er und seine Stimme klingt dabei so herrlich zart, dass ich nichts weiter tun kann als schwach zu nicken und dicht an dicht mit ihm unter dem Regenschirm versteckt, den schmalen Gehweg entlang zurück zum Hotel zu wandern. ____________ To be (or not to be) continued. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)