Liebe macht blind von peri (Die & Kaoru) ================================================================================ Kapitel 7: Verlierer/Gewinner ----------------------------- Kommentar: Tut mir leid, dass es etwas länger gedauert hat. Dieses Kapitel wollte irgendwie nicht so brav fließen, wie ich es gedacht hatte. Der Titel ist auch recht lahm, mir wollte partout kein schöner einfallen. Und ehrlich gesagt habe ich nicht den blassesten Schimmer, warum dieses Kapitel so lang geworden ist o_o; Grauenhaft. Ein simples Wort mit zehn Buchstaben, das diese komplette Tour absolut perfekt beschreibt und zusammenfasst. Seit Dienstag befinden wir uns wieder auf der Straße. Die Pause hat sehr gut getan, uns allen. Ich habe viel Sightseeing machen können und mich auch sonst bestens amüsiert, neue Kraft schöpfen können. Auch mein Gleichgewicht habe ich wieder gefunden, nach meinem Absturz versucht Alkohol zu meiden - was mir zugegebenermaßen leider nur mittelmäßig gelungen ist. Alles scheint immer noch beim Alten zu sein, nur noch viel verwirrender, und mich lassen die Gedanken nicht los, was Kaoru mit seiner Freundin in der Freizeit getan hat, als ich ihn nicht beschatten konnte. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß - was für ein Gott verdammter Schwachsinn. Es ist Samstag, es ist früh, wir sitzen im ruckelnden Bus und im Grunde befindet sich zur Zeit alles eher im Grünen Bereich. Wenn man es jedoch genauer betrachtet, verändert sich das Bild. Nachdem die Tourwoche vor der Pause für mich bereits eine der schrecklichsten seit einer Ewigkeit war, droht auch diese nicht allzu besser zu werden. Nein, es geht nicht darum, dass mich wieder einmal alle phasenweise absichtlich ignorieren, wenn ich meine Ausrutscher habe. Nein, es ist nicht die Tatsache, dass ich vor ein paar Tagen wieder eine total hirnlose Auseinandersetzung mit Kaoru hatte. Nein, es hat wirklich nichts damit zu tun, dass Shinya mich mal wieder zu Tode genervt hat mit seinem Gefrage über Englische Grammatik und Aussprache. Nein, Toshiyas neutrales Verhalten und Rumsticheln ist nicht der Grund. Nein, nicht mal Kyo, der mich wie ein kleines Kind behandelt und nicht wie jemand, der auch gut auf sich allein aufpassen kann, ist dafür verantwortlich. Nein, nein, nein... Es ist viel schlimmer. Ich hatte schon seit genau drei Monaten keinen Sex mehr!! Notfall. Ausnahmezustand. Alarmstufe ROT. Was ist nur passiert? Hab ich etwa meinen Charme verloren oder meine Anziehungskraft oder meinen Sexappeal oder... einfach ALLES?! Horrorvisionen bilden sich vor meinem inneren Auge und verfestigen sich nach und nach immer mehr zu einem klaren Bild. Hundertprozentig liegt es daran, dass ich älter werde... Oh mein Gott, nein, ich BIN alt! Jetzt und zum allerersten Mal verstehe ich wie sich Kaoru fühlen muss. Mein Kopf knallt mit Überschallgeschwindigkeit auf die steinharte Tischkante vor mir. Die Arme über dem Kopf verschränkt, so liege ich hier und winsele wie ein geprügelter Hund. Ich bin alt. Ein alter Mann, der nie wieder irgendwelche heißen Mädchen oder Kerle abkriegen wird... Wie konnte das nur passieren? So einfach über Nacht? Was ist denn nur los auf einmal? Warum ausgerechnet jetzt? "Die? Alles okay bei dir?" Kaorus dunkle Stimme findet den Weg an meine Ohren. "Ich werde alt...", jammere ich rum, vergrabe meinen Kopf tiefer unter den Armen und im Pulli. Doch das Einzige, was von ihm zurückkommt, ist ein spöttisches Lachen. "Ach, komm schon. Wir alle werden älter." "Du bist überhaupt keine Hilfe." "Was soll ich denn sonst tun? Dich bemitleiden?" "Hört sich doch für den Anfang schon mal ganz nett an..." Grummelnd presse ich meine Nase gegen die kalte Tischplatte, die sich bald schon wegen meines heißen Atems erwärmt. Es besteht überhaupt kein Grund dazu aufzublicken, ich weiß ganz genau, dass Kaoru mich angafft mit diesem absolut verfolgenden Ausdruck auf seinem Gesicht. Zu hören wie er gegenüber von mir Platz nimmt, zu spüren wie er eine seiner Hände behutsam auf mein Haar legt und es leicht zerstrubbelt, tut so gut an diesem Morgen im immer noch fahrenden Tourbus. Aber natürlich hält dieser Moment nicht lange an. "Also Die, wenn du dich unwohl fühlst, dann solltest du etwas ändern." Gaaah. Hallo weltverbessernder Psychiater-Kaoru! Ich will tot umfallen. Jetzt. "Selbstmitleid bringt dich kein Stück weiter", sagt er und ist ach-so-hilfreich. "Nicht?" "Die, was willst du-?" "Sex." Ein genervter Laut dringt aus Kaorus Mund. "Ich meinte: Was willst du ändern, du Kartoffelkopf?" "Ich will ändern, dass ich wieder Sex habe." Ist das denn so schwer zu kapieren? "Du scherzt, oder?" "Glaub mir, ich bin viel zu verzweifelt, um zu scherzen." Kaoru räuspert sich - wahrscheinlich mehr aus dem Grund, weil er bezweifelt, dass ich wirklich ein Gehirn besitze, welches den sonstigen Hohlraum in meinem Schädel füllt, als dass er wirklich einen Frosch im Hals hat. Obwohl er in letzter Zeit oft einen Frosch in seinem Hals hat. Das und diese ganze Husten, Schnauben, Schnarchen, Schnorcheln Geschichte. Ein Zeichen des Verfalls vielleicht... Oh nein, ich will nicht das gleiche Schicksal erleiden! "Also..." Ich höre das Schnappen seines Feuerzeugs, wie er an der Zigarette zieht, die er gerade eben angezündet hat, und wie er den Rauch nur den Bruchteil einer Sekunde später wieder sanft ausbläst. Der Geruch ist sofort überall in der Luft, während er einfach mit der Kippe zwischen den Lippen weiterredet. "Du willst Sex. Irgendwelche speziellen Wünsche?" Die Tatsache ignorierend, dass diese Unterhaltung vollkommen absurd ist in Anbetracht der Tatsachen wie es zwischen uns steht, antworte ich einfach ehrlich und trotzdem vage. "Ich bin nicht wählerisch..." "Willst du Sex mit mir?" Jetzt ist der Moment, in dem ich endlich meinen Hals etwas hochrecke, zu ihm aufschaue, um einen Blick auf ihn zu riskieren und trotzdem versuche ihn nicht mit riesigen Augen anzugaffen. "Wenn du dich anbietest, sicher." Meine Stimme zittert leicht. Kaoru grinst nur selbstgefällig. "Hör auf zu träumen." Sofort macht meine Stirn wieder Bekanntschaft mit der Tischplatte. Schon schlimm genug, dass er mich verspottet, aber muss er sich dabei auch noch so köstlich amüsieren?! Das ist makaber. "Wenn du es so dringend brauchst, dann geh doch ins Bordell." Schade, dass Blicke nicht töten können, sonst würde er jetzt tot über der Leitplanke hängen. "So dringend brauch ich's nun auch wieder nicht! Außerdem muss Die nicht für Sex bezahlen. Die ist derjenige, der für seine Dienste bezahlt werden sollte!" Mit den Augen rollend zieht Kaoru wieder an seiner Zigarette. "Du redest von dir selbst in der dritten Person mit einer Schnatterstimme. Das heißt du brauchst äußerst dringend jemanden, der dir das Hirn aus dem Schädel vögelt." "Bietest du dich nicht vielleicht doch an?" Mein Grinsen ist greller als eine Billionen Supernovas. "Lieber rasier ich mir die Eier." "Idiot." "Nein, du bist der Idiot. Du kennst das Sprichwort, Die: Wenn es geht wie eine Ente und redet wie eine Ente, dann ist mit Sicherheit eine Ente." "Fick dich, Kaoru. Fick dich einfach." "Immer noch besser als dich zu ficken." Damit steht Kaoru auf, wirft den Zigarettenstummel in den Aschenbecher und verzieht sich wieder in den hinteren Teil des Busses. Ignorant. Mir hängt's zum Halse raus, dass ich mir diesen Scheiß jeden Tag wieder aufs neue reinziehen muss. Freiwillig gibt sich das doch keiner, oder? Ich muss wahnsinnig sein, minderbemittelt, geistig zurückgeblieben. Aber das Arschloch zu spielen steht Kaoru nun mal nur allzu gut, wenn man weiß wie er eigentlich wirklich ist. Nichtsdestotrotz will ich gerade nichts lieber tun, als ihm in den Arsch zu treten. Voller Verzweiflung beiße ich in den Tisch. Nicht, dass es auch nur irgendwas ändert - außer, dass mir nun die Zähne höllisch wehtun - aber irgendwie muss ich doch all meine unterdrückten Aggressionen loswerden. Sie an dem Eisklotz da auszulassen, könnte mich Kopf und Kragen kosten. Wo zum Teufel ist eigentlich Toshiya, wenn man ihn mal braucht?! ~*~*~ So, und nun? Schon wieder zwei Stunden rum und noch keinen Schritt weiter mit meinem Plan. Wo krieg ich denn jetzt den geeigneten Bettpartner her? Die sprießen ja leider nicht wie Pilze aus dem Boden. Ja, ich hab gesagt, ich bin nicht wählerisch. Naja, ein bisschen vielleicht schon. Mit der oder dem Erstbesten spring ich auch nicht sofort in die Federn. Ich hab schließlich auch Anstand. Irgendwie muss die Chemie ja stimmen. Selbst, wenn es nur für eine Nacht ist. Hör ich mich gerade irgendwie menschenverachtend an? Obwohl mir auch grad wieder einfällt, dass wir heute nicht in einem Hotel übernachten. Zur Freude aller ist schlafen im Bus angesagt. Immerhin schlafe ich über Kaoru. Also meine Koje ist über seiner. Es hat sich wirklich gar nichts verändert und ich lerne auch nie dazu. Ganz gleich wie mit meinen Gefühlen Schlitten gefahren wird. Total stur oder total bescheuert. Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Natürlich, Kaoru ist nach wie vor bissig und fies zu mir, aber vielleicht hatte Kyo ja Recht und ich gehe tatsächlich selbst immer etwas zu weit. Ich habe versucht ein paar Gänge runter zu schrauben, nachdem ich mich für mein Verhalten in letzter Zeit doch reichlich schäme. Aber... Keiner von uns hier spielt auf irgendeine Art und Weise fair. Wir schummeln, wir betrügen und wir bluffen auch. Alles ist erlaubt und wer austeilt, muss auch einstecken können. Ich versuche meine Sicht auf alles etwas zu verändern und vielleicht zu begreifen, wie ich gewissen Situationen aus dem Weg gehen kann und wenn dies nicht klappen will, dann wenigstens, wo sich das Schlupfloch befindet, in das ich mich hineinpressen kann, sollte die Sintflut zurückkehren. Ja, ich bin selber Schuld, wenn ich nochmal auf die Fresse fliege. Damit kann ich leben. Ein paar blaue Flecken mehr oder weniger... Da ist eine Freundin, die es auszustechen gilt. Nie mehr will ich diese zerkratzende Verzweiflung spüren, die ich bei ihrem plötzliches Auftauchen fühlte. Toshiya meinte trocken sie wäre absolut ungefährlich. Was genau er damit aber sagen wollte, hat er mir natürlich nicht erklärt. Was Kaoru höchstpersönlich betrifft, nimmt er mich überhaupt nicht mehr ernst. So wie die ganze Zeit vorher auch schon. Im Prinzip hat sich sein ganzes Verhalten nicht einen Deut geändert. Nur meine Reaktion darauf dreht sich wie eine Fahne im Wind. Ich stolpere durch den Bus. Mein Gleichgewichtssinn scheint sich lange schon verabschiedet zu haben. Ich taumele hin und her, halte meine Bierdose fest umschlungen in meinen Fingern, bahne mir meinen Weg zurück vom Kühlschrank zu meinem Sitzplatz. Der Fernseher über unseren Köpfen spielt eine DVD ab, die ich in und auswendig kenne und so schenke ich dem flackernden Bild wenig Beachtung, hefte mein Augenpaar lieber auf die Fensterscheibe neben mir. Dahinter verbirgt sich jedoch nur eine triste Landschaft, die im dichten Nebel versinkt, der wie eine dicke Decke über den Feldern liegt. Ein kalter Schluck Bier fließt über meine Zunge, meinen Schlund hinab. Der Alkohol aktiviert sofort das Belohnungszentrum in meinem Hirn und ich schließe seufzend die Augen für eine Weile. Gegluckse dringt an meine Ohren. Dieser Film ist nun wirklich behämmert, aber meine Bandkollegen scheinen sich echt bis aufs Äußerste zu amüsieren. Unruhig rutsche ich auf dem gepolsterten Sitz hin und her. Vom vielen Sitzen schmerzt mein armes Hinterteil und auch mein Rücken beklagt sich ächzend, schickt unangenehme Stiche meine Wirbelsäule hinauf. Leichter Nieselregen klatscht gegen die Glasscheibe, gegen die ich meine Stirn gelehnt habe. Toshiyas Lachen vermischt sich mit dem von Kyo, während Shinya gegenüber von mir immerzu die Augen verdreht bei jedem Lacher, der von der linken Seite des Busses zu uns dringt, bevor er wieder hochkonzentriert die Buchstaben in seinem Lernbuch studiert. Erneut seufze ich kaum hörbar auf. Die Büchse an meinem Mund lecke ich gedankenversunken den Rand der kleinen Öffnung entlang, nur um dann ein Sekunde später erschrocken zurückzuschrecken, als das scharfe Metall erbarmungslos in meine Zungenspitze schneidet. Leise fluchend stelle ich die Dose vor mir auf den Tisch und berühre den kleinen, blutenden Riss, wobei ich gleichzeitig unzählige Bierspritzer auf meinen Shirt entdecke, welches ich eigentlich heute den ganzen Tag über tragen wollte. Shinya nimmt von meiner Ungeschicktheit nur mit einem flüchtigen, genervten Blick Notiz. Zeitgleich erhebe ich mich und klettere wieder zurück in den Gang. Natürlich kann ich mit diesen frischen Flecken auf meiner Kleidung nicht durch die Gegend rennen. Wie würde das denn aussehen? Also dackle ich mit bereits nacktem Oberkörper zurück in den hinteren Teil des Busses. Wie ich so im Gang hocke, meinen Koffer aus der schmalen Nische unter den Kojen hervorgezogen, und darin nach einem neuen Shirt herumwühle, erscheint auf leisen Sohlen Kaoru vor mir. "Was machst du denn schon wieder da?" Nur kurz schaue ich zu ihm auf, richte meine Aufmerksamkeit dann aber wieder auf meine Klamotten. "Ich suche." "Schon wieder deinen Verstand?" "Über diesen Witz lacht schon seit langem keiner mehr." Lässig lehnt er sich an die Kojen an der Seite. "Dabei ist es doch gar kein Witz." "Stimmt. Das einzige, was hier ein Witz ist, bist du. Musst du nicht grad jemand anderen belästigen?" Endlich ziehe ich das gesuchte T-Shirt aus dem Koffer. "Hey, das ist doch mein Satz. Haben wir nun, ohne dass ich es mitgekriegt habe, die Rollen getauscht?" Immer noch hockend drehe ich mich zu ihm. "Ja, Kaoru. Willkommen im Paralleluniversum." Keine Ahnung, woher das dreckige Grinsen kommt, das sich auf mein Lippen stiehlt. Vielleicht, weil sich in diesen Sekunden mein Kopf so ziemlich auf einer Höhe mit seinem Schritt befindet. Wäre da nicht noch der verflixte Koffer zwischen uns. "Müsstest du im Paralleluniversum nicht eigentlich gut aussehen?" War ja klar, dass jetzt sowas kommt. "Müsstest du im Paralleluniversum nicht eigentlich größer sein als ein Wäschekorb?" Zurück auf den Beinen, bäume ich mich vor ihm auf, mache mich im ganzen Gang breit. Bis zur Unkenntlichkeit verzieht sich Kaorus Gesicht. "Leck mich am Arsch." "Mit dem größten Vergnügen!" Für den Bruchteil einer Sekunde blinzelt er mich verstört an, hatte wohl nicht mal im Traum daran gedacht, dass meine Antwort wie aus der Pistole geschossen kommen würde. Aber dann bildet sich ein sonderbares Grinsen auf seinem Gesicht, das mir wahrlich Rätsel aufgibt. "Bei sexuellen Zweideutigkeiten bin ich wie immer ganz vorne dabei, nicht wahr?" Jetzt verwirrt er mich. "War das jetzt eine Aufforderung?" "Aber natürlich, Die. Spring rein in meine Koje und mach's dir bequem, mach dich schon mal frei und ich komm dann gleich mit 'ner Flasche Champagner und 'ner Tube Schlagsahne hinterher." "Sarkasmus scheint die einzige Sprache zu sein, die du flüssig sprechen kannst, hm?" "Aber du scheinst ja sowieso keine einzige Sprache zu verstehen, die ich spreche." "Du sprichst ja auch so viele." Und ich dachte, nur ich leide unter derartig konfusen Stimmungsschwankungen. Man könnte die Luft zwischen uns schneiden, so dick ist sie. In seinen Augen funkelt es, aber ich kann meine auch zu solchen fiesen Schlitzen verengen - kein Kunststück. "Lass mich mal durch", pflaumt er mich an, versucht sich an mir vorbeizuzwängen. "Nö", erwidere ich und mache mich demonstrativ noch breiter. "Du stehst im Weg." "Wie heißt das Zauberwort?" "Fick dich." Mein Gesicht wird lang wie das eines Pferdes. "Und das ist richtig~", zwitschert Kyo mit einem Mal völlig ungefragt von hinten. Schleppend drehe ich mich zu ihm um, wobei die feine Ader an meiner Stirn hektisch zu zucken beginnt. Über die Lehne des Sitzes gebeugt sitzt er da, neben ihm luschert auch Toshiya herüber. Es ist mir fast so, als wären wir hier sowas wie eine Zirkusattraktion. Nur mag ich es nicht sonderlich, wenn man mich mit solchen Blicken beäugt und nur sensationsgeil darauf wartet, dass Kaoru mir wieder verbal eins überbrät. "Streu nicht noch Salz in die Wunde!", keife ich und stubse Kyo hart gegen die Stirn, drücke ihn nach hinten, damit er sich wieder mit was anderem beschäftigt und sich aus meinen Angelegenheiten raushält. Seine Antwort beginnt mit einem Achselzucken. "Du rollst dich doch schon genug allein im Salz herum." "Sehr witzig. Als würde ich das freiwillig machen." "Tust du doch", wirft Toshiya auf einem Müsliriegel rumkauend ein. "Gar nicht wahr!" Genervt wippt Kaoru mit der Schuhspitze auf und ab, raschelt mit seinem Notizzettel rum. "Könntet ihr bitte mal damit aufhören?" "Danke!" Hach, wenigstens Kaoru findet auch, dass das hier Kindergarten ist. "Dies erbärmlichen Anblick ertragen zu müssen ist schon schlimm genug, da muss ich nicht auch noch über sein erbärmliches Leben hören." Mich trifft der Pfeil buchstäblich direkt ins Genick. Empört reiße ich meinen Mund auf, fasse diesen dreisten alten Sack wieder genau ins Auge, erhebe sogar mahnend meinen Finger, mit dem ich ihm wild vorm Gesicht rumfuchteln kann. "...hey! Schon mal drüber nachgedacht, wer Schuld daran ist?!" "Keine Zeit." Ich glaub's hackt mal wieder. "Du hast sogar genug Zeit um ellenlange Blog-Einträge zu schreiben! Verarsch mich nicht!" Kaoru quittiert das Ganze nur mit einem gleichgültigen Blick. Murrend gebe ich den Gang frei und lasse ihn an mir vorbei. An ihm beißt man sich wahrlich die Zähne aus. Jetzt hilft nur noch schnaufen. "Ich beobachte dich, Kaoru. Ich beobachte dich!" "Ja, ja..." Augenrollend und wirsch drückt er meine Hand zurück, die ich ihm noch weiterhin mahnend nachgeschickt habe. Danach pflanzt er sich geradewegs auf den freien Platz neben Shinya und breitet seinen Zettel auf dem Tisch aus. Zeitgleich hocke ich mich murrend wieder hin, um meinen Koffer zu schließen und ihn unter den Kojen zu verstauen. Zuerst ziehe ich mir aber das neue T-Shirt über, denn langsam wird es mir doch recht kühl oben rum. Überall auf meinem Oberkörper hat sich schon eine richtige Gänsehaut gebildet. Irgendwie komme ich aber nicht weit mit dem Drunterschieben meines Gepäcks, denn plötzlich klemmt irgendwas und es geht nicht weiter. Verdammt, jetzt muss ich mich an den dreckigen Teppich des Gangs kleben, damit ich da drunter gucken kann, um zu sehen, warum es nun nicht mehr passen will. Ich verdrehe just in dem Moment meinen Kopf und blinzle in diesen vollkommen unausgeleuchteten Bereich des Busses, als man mir auf einmal von hinten unsanft gegen den Hintern tritt. "Ey! Was wird das denn jetzt?" Sofort wirble ich herum, um den Übeltäter noch auf frischer Tat zu ertappen. Wie sich den Bruchteil einer Sekunde später herausstellt, ist es kein geringerer als Toshiya. Hätte ich mir irgendwie auch denken können. "Ich hab 'n Vorschlag für dich", verkündet er, während ich mir über den schmerzenden Po reibe und es aufgebe diesen bescheuerten Koffer noch irgendwie wieder an seinen rechtmäßigen Platz zurückzubefördern. Eine meiner Augenbrauen schraubt sich in die Höhe. "Und was soll das für einer sein?" Na, da bin ich ja mal gespannt wie ein Flitzebogen. "Du willst doch mal wieder jemanden für die Nacht haben, stimmt's?" "Du hast gelauscht." "Ich hab nicht gelauscht. Es ist unmöglich wegzuhören, wenn man im gleichen Bus mitfährt!" Alles Ausreden. Ich erhebe mich brummend und trete neben ihn. "Also, willst du nun jemanden oder nicht?" "Jaaah." Mit den Fingern grabbel ich mein Feuerzeug und Kippen vom Tisch, um mir eine längst überfällige Kippe anzuzünden. "Gut, ich hab da nämlich beim letzten Konzert ein Mädchen kennengelernt", beginnt Toshiya mit seiner Geschichte und betrachtet mich dabei, wie ich an meiner Zigarette ziehe. "Total süß, die Kleine, und 'n echtes Goldstück. Aber naja, wie sich rausstellte, stand sie gar nicht auf mich, sondern war mehr von dir angetan, hat mich aber trotzdem angebaggert, weißte?" Eine erhobene Augenbraue reicht hier wohl aus als Erwiderung. "Wie dem auch sei..." Er zieht eine Schnute, als ich nichts darauf erwidere. "Auf jeden Fall wird sie auch bei der nächsten Show dabei sein und ich hab ihr gesagt, dass ich ihr vielleicht helfen könnte an dich ranzukommen, da du zur Zeit ohnehin ziemlich depri bist-" "Ich bin nicht depri." "-und mal wieder jemanden gebrauchen könntest, der mit dir zusammen das Bett zum Beben bringt. Sie's 'n ziemlich heißer Feger." Mit halbem Ohr folge ich Toshiyas Worten, inhaliere den Rauch. "Das kannst du vergessen", schaltet sich Kyo neben uns auf seinem Sitzplatz in unsere Unterhaltung ein. "Hm?" Gleichzeitig drehen Toshiya und ich uns zu ihm um. "Wieso das?", kommt die Frage von Toshiya. "Na, weil Die keine dominanten Frauen gebrauchen kann." Irritiert blickt Toshiya mich an, mustert mich, als könne er in meinen Gesicht lesen, was für ein Typ Kerl ich bin und was ich gerne mag, wo man mich berühren muss und worauf ich stehe und wo ich anfangen muss zu keuchen und wie man mich um den Finger wickelt. "Was'n?!" "Wie, du kannst mit denen nichts anfangen?" Völlig verdattert beäugt er mich, doch ich rauche nur weiter unbeeindruckt und still vor mich hin, asche ab und an mal in dem Aschenbecher auf dem Tischchen zu meiner Linken ab. "Die gehen mir halt auf den Geist." "Und auf die Libido." Leises Lachen dringt aus Kyos Mund. "Was du schon wieder so alles weißt und durch die Gegend posaunst." "Hast du mir selbst erzählt, du Lauch. Und wir sind doch hier unter uns." Ich brumme als Erwiderung, ziehe erneut an meiner Zigarette und puste den Rauch in kleinen Ringen wieder aus. Unterdessen habe ich meinen Koffer aufgehoben, ihn ein Stück weit am Griff in den Gang getragen und halte dann inne. Es tönt ein lautes Scheppern durch die Luft, als ich meinen schweren Koffer plötzlich ganz einfach neben mir auf den Boden fallenlasse, um es mir dann mit meinem Hintern darauf bequem zu machen. Dabei schrickt Shinya leise quietschend von seinem Lernbuch auf und wirft es fast durch den halben Bus vor Schreck. Der Koffer ist irgendwie hart und ich hab auch keine Ahnung, warum ich mich gerade überhaupt auf ihn setze. Vielleicht einfach, damit niemand sagen kann, dass er hier im Weg steht, wo ich ihn schon nicht mehr zurückschieben kann. "Na gut", lacht Toshiya heiser und etwas unbeholfen. "Ist wohl nix dran zu ändern." Ich zucke mit den Schultern und asche ab. "Also soll ich euch jetzt lieber nicht verkuppeln?" "Nimm sie, Die. Ich rate dir dazu. Das ist vielleicht deine letzte Chance." Da wollte ich gerade antworten, da mischt sich Blödmann-Kaoru in dem Moment auch noch ungefragt und lachend in das Gespräch ein. Meine Lippen werden zu einer schmalen Linie, ich verschränke die Arme vor der Brust und ignoriere ihn schlichtweg. "Wenn sie wirklich so 'ne Süße ist... Versuchen kann man's ja mal." Jetzt bin ich aber wirklich froh, dass er dem Mann mit dem Ziegenbart unweit entfernt von uns ebenfalls keine Beachtung schenkt, sondern mich stattdessen angrinst. "Gut, dann stell ich sie dir nach dem nächsten Konzert vor. Kann ja sein, dass sie dir doch gefällt!" Einseitig lächelnd nicke ich, sehe aus dem Augenwinkel, wie Kaoru eine beleidigte Flunsch zieht und sich wieder seinen Notenblättern widmet, da keiner von uns beiden Anstalten macht auf seinen blöden Kommentar einzugehen. "Na toll, Die wird verkuppelt und was ist mit mir? Was krieg ich?" Den Ellenbogen auf den Tisch gelegt und den Kopf auf die Hand gestützt, stiert Kyo zu uns, die wir noch immer wie bestellt und nicht abgeholt im Gang des fahrenden Busses rumhängen, und schiebt beleidigt seine Unterlippe vor. "'ne Umarmung?", gluckst Toshiya und grinst ihn an, dass der Metalldraht über seinen Zähnen nur so im grellen Licht der Sonne funkelt, die sich auch endlich einmal sehen lässt. "Danke, ich verzichte." "Ach komm schon Kyo, ich weiß du willst es~" "Geh weg! Es ist zu heiß für Umarmungen. Ich guck jetzt den Film alleine weiter, wenn du kein Interesse mehr dran hast." Schnurstracks und schneller als Toshiya seine vier Buchstaben wieder auf seinen alten Sitzplatz zurückschwingen kann, hat Kyo bereits den Knopf auf der Fernbedienung betätigt und diese grässliche DVD läuft weiter. Die schwachen, aber immer noch warmen Strahlen, die durch das Fenster in mein Gesicht fallen, kitzeln an meiner Nasenspitze und ich verfolge das Geschehen gegenüber von mir schmunzelnd, bevor ich dann plötzlich auf meinem Köfferchen hin und her zu schwanken beginne. Wie aus heiterem Himmel überfällt mich mit einem Mal ein luftabschnürender Hustenreiz und ich keuche erschrocken auf. Es kribbelt und juckt gewaltig in meinem ganzen Hals. Erst, als ich aus voller Lunge gehustet habe, verschwindet das Kratzen so blitzartig, wie es aufgetaucht ist. Angeekelt werfe ich einen Blick in meine feuchte Hand, die ich beim Husten vor den Mund gehalten habe. Dabei entgeht mir nicht, dass Toshiya und Kyo mich mindestens genauso angewidert von der Seite her anstarren. "Ich hab ein Insekt verschluckt", krächze ich, halte zum Beweis meine Handfläche hoch auf der nun eine winzige Fliege klebt. "...Horst." Ich hebe nur die Schultern und lasse meine lieben Bandkollegen zurück, um mich widerwillig vom Koffer zu erheben und mich in die Toilettenkabine zu begeben, um meine dreckigen Hände zu waschen. Sowas hatte ich auch noch nie. Das mich ein so klitzekleines Tierchen beinahe zum Ersticken bringt. Ungläubig schüttle ich den Kopf und trockne meine Hände. Ein rascher Check meines Gesichtes zeigt mir, dass meine Haare nicht mehr richtig liegen. Ich seufze leise und kämme sie kurzum mit meinen Fingern durch. Sieht wohl wirklich so aus, als würde Toshiya mir dann bald so etwas wie ein Date verschaffen. Nur ohne Essen oder gemeinsames durch die Gegend laufen und dafür mit mehr Sex. Ein Sex-Date sozusagen. So weit bin ich also schon gesunken... dass ich mir von unserem Bassisten Billigware andrehen lassen muss. Und ich sag auch noch zu. Ich muss wirklich äußerst verzweifelt sein. Drei Monate nagen eben an einem so potenten Mann wie mir. Obwohl ich zugeben muss, dass ich wohl abgelehnt hätte, wäre Kaoru nicht dabei gewesen. Probieren wir es also mal auf die gute, alte Eifersuchtsnummer. Aber warum eigentlich? Ja, warum? Kann ich doch jetzt schon mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass es zu nichts und wieder nichts führt. Außer zu noch mehr blauen Flecken. Naja, selbst wenn dabei nicht das gewünschte Ergebnis herauskommt, so werde ich immer noch etwas weniger Druck auf dem Füller haben als jetzt. Argh, ich kann nicht glauben, dass ich so eine gequirrlte Scheiße wirklich denke. Schnell raus hier und so tun, als würde ich nicht heimlich irgendwas planen. Meine Pläne sind eh alle von vornerein zum Scheitern verurteilt. Ich bin eben verflucht. Vielleicht ahnt Kaoru es ja auch schon. Schließlich habe ich ihn gerade eben einfach gnadenlos mit Missachtung gestraft und wenn ich jetzt weiterhin so kühl zu ihm bin, denkt er noch, ich würde das absichtlich tun, was ja im Grunde auch meine Absicht ist, aber... Oh, wie ich meine Paranoia vermisst habe. Ich spaziere zurück in den vorderen Teil des Busses, mache davor jedoch einen kurzen Abstecher zum Kühlschrank. Der Hunger kneift und zwickt mich, das merke ich nicht nur an meinen seltsamen Gedankengängen. Außerdem könnte ich was Süßes vertragen. Die anderen unter Umständen vielleicht auch. Mit Unterzuckerung ist nicht zu spaßen! "Ratet mal, was ich habe!", zwitschere ich und werfe mich schwungvoll auf den Platz gegenüber von Kaoru. "Rinderwahn?" Meine Augäpfel drehen sich einmal im Kreis und ich will ihm am liebsten an seinem Bart ziehen. "Nein, ich hab Eis mitgebracht. Will jemand welches haben?" Gewissenhaft reiche ich jedem einzelnen ein frisches Eis am Stiel, bevor ich mich zurücklehne und die Verpackung von meinem entferne. Dabei erspähe ich auch das Bier, das ich vorhin ganz allein zurückgelassen habe. Das arme muss ja ganz fürchterliche Angst gehabt haben. Ich werde es von seinem Leid erlösen! In der einen Hand halte ich meinen Leckerbissen, mit der andere angle ich mir die Dose. Sogar Shinya macht nun mal eine Pause vom Lernen und knüllt das Plastikpapier zusammen, legt es neben das, was Kaoru auf die Tischplatte gelegt hat. Der nervige Film flimmert noch immer auf dem Bildschirm vor Kyo und Toshiya. Ich studiere Kaorus entspanntes Gesicht, während seine Zunge scheinbar gedankenverloren über die dünne Schokolade leckt unter der sich Vanilleeis verbirgt. Was für ein köstlicher Anblick. Allerdings nicht mehr, als er eine erschrockene Fratze zieht und sich ihm scheinbar die Zehennägel vor Ekel aufrollen. "Ist das Nusseis?" "Also, da auf der Verpackung Nüsse zu sehen sind, vermute ich doch mal stark, dass es nicht Kirscheis ist." Seine Grimasse wird noch unansehnlicher. "Ja, es ist Nusseis. Da sind Mandeln in der Schokolade. Da, da und... da." Ich deute mit dem Finger auf die einzelnen Stücke, die aus der Schokoschicht seines Eises hervorlugen, nachdem ich mein Bier kurz abgestellt habe. "Bäh." Seufzend zucke ich mit den Achseln. "Also meiner Meinung nach schmeckt das mit Mandel am besten." "Wenn ich nach deiner Meinung gefragt hätte, dann... Warte... Das wird nie passieren." "Haha. Gib's halt mir, wenn du es nicht magst." "Ich geb dir doch nicht mein Eis, wo ich schon dran geleckt habe!" "Hm? Warum nicht?" Jetzt muss ich aber doch blinzeln. "Na, weil das doch wie ein direkter Kuss wäre~", lacht Toshiya, der sich zu uns rübergebeugt hat, fast aus einem Sitz fällt dabei. "Sag mal, lauscht du schon wieder?!", fauche ich ihn an. "Ich lausche nicht! Ich muss das mit anhören!" "Was auch immer. Ich will das Eis nicht." "Wie? Wirfst du es weg?" Etwas verwundert beobachte ich Kaoru wie er sich von seinem Sitz quält, das Eis von sich weghält als wäre es radioaktiv verseucht. "Was für eine Verschwendung." "Also dir geb ich es auf gar keinen Fall!" "Jetzt stell dich halt nicht so an." Genervt stehe ich ebenfalls mit auf, stibitze ich ihm die Leckerei direkt vor der Nase weg, bevor er sie in die Tonne kloppen kann. "Was zum-? Was soll das? Hau mir doch nicht das Eis aus den Fingern! Nimm deine Hände da weg. Du sollst das nicht essen!" "Blah blah, Kaoru. Ich hör nur blah blah." Wie gut, dass ich größer bin, er nicht mehr an das Eis rankommt, als ich es hochhalte, und er mich mal gern haben kann, wenn es um solche Dinge geht. Als ob ich mir das hier entgehen lassen würde. Ich müsst ja schön blöd sein. "Maaaah, dann iss es halt und werd glücklich damit." Resignierend lässt er sich zurück an den Tisch plumpsen, während ich nur zufrieden grinse. "Danke~" "Keine Ahnung, warum du überhaupt so scharf darauf bist." "Na, das liegt doch auf der Hand." Dass ich ihm das echt erst noch erläutern muss, grenzt schon ans Lächerliche. "Liegt es?" "Ja." "Dann nenn mir den Grund, warum du so grell auf meine Spucke und Bakterien bist." "Eeeeeh. Weil..." Ich pflanze meinen Hintern ebenfalls wieder zurück auf meinen Platz. "Weil... weil... Na, weil halt!" "Das ist kein Grund." "'Weil halt' ist sehr wohl ein Grund!", verkünde ich lauthals, hätte beinahe wieder eine Biersauerei mit meinem ungeschickten Ellenbogen veranstaltet, und beiße voller Genuss in sein kaum angerührtes Eis. "Wo? Im Flachpfeifenland?!" Darauf antworte ich nur mit Kopfschütteln. Hab gerade beide Hände und den Mund voll zu tun. Selbst, wenn es nur Spucke und Bakterien sind: Toshiya hatte ganz recht, es ist und bleibt ein indirekter Kuss. Mit Kaoru. Eben dieser seufzt nur, muss uns anderen nun wohl oder übel beim Essen zu sehen und schmollt. Hingegen habe ich nun das, was ich wollte und genieße. So mag ich das doch gerne. Eins zu Null für mich. ~*~*~ Es ist mir beinahe so, als wäre dieser Tag wie im Flug vergangen, jetzt, wo ich an ihn zurückdenke. Und Sightseeing macht mich immer so schläfrig. Busfahrten ebenso. Und Shopping natürlich. Von allem habe ich für heute genug und ich hatte mich auch so auf mein warmes Bettchen gefreut. Auf erholsamen Schlaf ohne Albträume, damit ich morgen gut in Form für das Konzert bin. Das Gesicht auf meine Kissen gepresst, wälze ich mich aber nun doch wieder schlaflos herum. Trotz Decke ist mir kalt. Ich friere sogar. Auf meinem Rücken hat sich eine hartnäckige Gänsehaut gebildet. Meine Haare haben sich demonstrativ allesamt aufgestellt. Tiefer mummele ich mich in das dünne Stück Stoff ein. Es ist Sommer. Es ist warm im Tourbus. Mir sollten keine Schauer über den Rücken laufen und meine Zähne leise aufeinander klappern vor Kälte. Vielleicht werde ich krank. Vielleicht habe ich mich irgendwo angesteckt. Bloß wo ist die Frage. Um mich herum sind alle fit und bester Gesundheit. Es düsen keine Bazillen um mich herum. Und von Kaorus Eis kann es nicht kommen, da er nicht mal ansatzweise schwächelt. Gut möglich wäre aber auch, dass mein Körper schlichtweg spinnt. Es könnte auch daran liegen, dass mich diese Nähe Kaorus allmählich wieder verrückt macht. Im Bus so dicht bei einander zu schlafen, kann schon kirre machen. Mal davon abgesehen, dass man sich ständig wie auf Klassenfahrt fühlt. Verflixt, es muss wohl wieder drei Uhr nachts sein und ich bin geradewegs an der Tiefschlafphase vorbei und direkt in die Depression geschlittert. Ich hasse das. Dass man seinen Kopf aber auch nie ausschalten kann. Und die Nacht einfach nicht rumgehen will. Schwer seufzend rutsche ich in meiner kleinen Koje hin und her. Alle anderen um mich herum befinden sich schon längst im Land der Träume. Ich höre ihr schwaches Atmen und das leise Schnarchen. Beneidenswert. Unter mir brummt Kaoru leise vor sich hin. Ob er wohl damit aufhören würde, würde ich ihm Mund und Nase zuhalten? Höchstwahrscheinlich würde er dann daran ersticken. Oder mir einen Finger abbeißen. Aber vielleicht würde er nicht mehr brummen, wenn man ihn küssen würde. Nicht, dass diese tiefen vibrierenden Geräusche nervig wären, aber mir drängen sich einfach wieder unzählige absurde Fragen auf. Wie fest sein Schlaf wohl wirklich ist. Ich weiß nicht, wie es um ihn steht, aber ich würde davon aufwachen, würde man mich küssen. Wieder nestle ich in meiner Decke herum, denke unablässig an diesen Mann nur ein paar Zentimeter unter mir und wie es wohl wäre, wenn er mich wachküssen würde. Und wie es wohl wäre, würde er mich richtig küssen. Wonach schmecken seine Lippen wohl? Sind sie rau, etwas aufgesprungen oder ganz sanft? Ist er eher derjenige, der zuerst kleine Küsse haucht, vorsichtig an Lippen nippt oder verspielt daran knabbert oder aber direkt in die Vollen geht? In all den Jahren, die ich ihn kenne, habe ich ihn noch nie wirklich jemanden küssen sehen. Und das ist schon seltsam. Ja, er hatte mal ein paar Freundinnen, die ich auch zu Gesicht bekam, doch wenn Zärtlichkeiten in dieser Richtung ausgetauscht wurden, dann waren es oft nur Begrüßungs- oder Verabschiedungsküsse. Die anderen Male musste ich weggucken. Mehr als einen flüchtigen Blick erträgt mein Herz nicht, ohne zu zerbröseln. Das habe ich erst vor ein paar Tagen schmerzhaft feststellen müssen. Doch, ich wüsste es schon gern. Was für ein Kusstyp er ist... Und im Bett? Er mag's bestimmt zärtlich, intensiv - und manchmal herrlich verrückt. Ha, okay, jetzt schummle ich. Das habe ich mal irgendwo in einem Horoskop über Wassermänner gelesen. Über Schütze stand da auch was: Draufgängerisch, fröhlich, voller Eifer. Ja, so bin ich auch. Ist also doch was dran am Astro-Müll. Aber das hilft mir auch nicht weiter. Genug hab ich von ewigen Theorien und dem Nachdenken, dem Grübeln, wie ich mir den Kopf zerbreche. Praxis - das ist es, wonach ich mich in meinem tiefsten Inneren sehne, wonach es mich dürstet. Und keine Worte der Welt reichen aus, um zu beschreiben, was ich fühle, wenn ich ihn nur anschaue. Da klafft ein gewaltiges Loch in meinem Herzen, das nur er zu stopfen vermag. Er ist zwar oft genug in letzter Zeit unausstehlich zu mir, aber das ändert nichts an der Tatsache, das ich ihm mit Haut und Haar verfallen bin. Ich würde immer noch ihm gehören, selbst wenn ich ihn nie mehr wiedersehen könnte. Und ich will so gerne endlich mal spüren, wie es wäre mehr für ihn zu sein als nur ein lästiger Kollege, dessen Verhalten dem einer geistigverstörten Klette gleicht. Will wissen, wie es sich anfühlt, wenn er Liebe gibt, wenn er sich hingibt, wenn er sein Herz öffnet. Ich ziehe meinen Arm unter meinen Kopfkissen heraus, rolle mich auf die Seite, drücke das Bettzeug fort. Mit dem Handrücken streiche ich den Vorhang neben meinem Schlafplatz davon. Im Gang brennt sehr gedimmtes Licht, das alles nur schwach erhellt, gerade genug um sich des Nachts im Bus zurechtzufinden. So leise wie nur möglich krabble ich langsam aus meiner Schlafkoje, so dass ich mir nicht den Kopf an dem Brett über mir zertrümmere. Meine nackten Füße berühren den kühlen Boden und ich lasse mich auf die Knie sinken. Vorsichtig ziehe ich den Schlafvorhang an Kaorus Bett zur Seite. Wie verrückt beginnt mein Herz zu schlagen, als ich ihn direkt vor mir liegen sehe, die Augen geschlossen, friedlich schlafend. Er atmet flach und leise, durch die dünne Decke kann ich erkennen, wie sein Oberkörper sich leicht hebt und senkt. Feigling. Ich bin so ein Feigling. Kann meine Augen nicht von seinen blassen Lippen fortreißen, doch traue mich nicht mich zu ihm zu beugen und sie zu küssen. Er sieht so sanft aus, dass es mir das zitternde Herz in der Brust zerfetzt. Bei ihm liegen würde ich jetzt gerne, seine Wärme spüren. Doch ich hocke nur hier im Gang, kaum mehr am Leib als Boxershorts, und starre ihn wie in einem Bann einfach bloß an. So sehr. Ich will es so sehr. Ich strecke meine zittrige Hand aus, berühre sein weiches Haar kaum merklich, streichle liebevoll über es. Er lächelt im Schlaf. Und auch ich muss lächeln. Doch während seines von Glückseligkeit spricht, ist meines nur durchtränkt von Melancholie. So lieblich sieht er aus, wie er daliegt und scheinbar von etwas Schönem träumt. In mir zieht sich alles zusammen. Durchflutet ist mein Kopf von Gedanken, die sich nur um ihn drehen, voll von verpassten Chancen. In dieser Sekunde muss ich nichtmals Mut in mir zusammenraffen. Mein Körper gehorcht nicht länger dem Verstand. Es ist nur noch Impuls. Nur noch Sehnsucht. Vorgebeugt knie ich da, die Augen geschlossen, Blut rauscht laut durch jede meiner Adern. Mir ist so heiß, dass mir ganz schwindlig davon wird. Behutsam liegen meine Lippen auf Kaorus. Eine Sekunde, zwei und drei, dann vier und fünf... Als ich mich von ihm löse dreht sich alles flackernd im Kreis. Dröhnend wummert mein Herzschlag durch meinen ganzen Leib. Er hat es nicht gemerkt. Er ist nicht aufgewacht. Er schlummert nach wie vor friedlich schmunzelnd vor sich hin. Unfassbar. Meine Fingerspitzen tasten ungläubig über meine Lippen, meine Zunge leckt leicht darüber, als könnte sie die zarte Berührung immer noch darauf schmecken, als hätte sie sich dort eingebrannt. Mir ist so schwummrig. Ich glaube das nicht. Ich kann es nicht begreifen. Ich bin ein Dieb. Ich schäme mich nicht mal. Um meine Mundwinkel kräuselt sich ein verstohlenes Lächeln, bin wie im Rausch. Völlig benebelt, glücklich. Stundenlang könnte ich hier an seiner Seite sitzen, ihn noch stundenlang stumm betrachten und mich doch niemals an seinem Anblick sattsehen. Wenn er so selig träumt, wenn das schwache Licht einen sanften Schatten auf seinen Körper wirft, der halb von der Bettdecke umhüllt ist, einige Stellen seiner Haut strahlen lässt. Dann sieht er aus wie aus Porzellan... so blass und so zerbrechlich. Der Mund ist nun einen Spalt geöffnet, er atmet still, kaum hörbar. Dunkle Strähnen seines Haares fallen leicht in sein Gesicht. Kaoru erinnert mich an Schneewittchen. Ich muss leise in mich hineinlachen, noch während ich das denke und mich selbst für diesen Gedanken für bescheuert erkläre. Aber es ist wahr. Seine Haut wirkt so weiß wie Schnee, seine Lippen so rot wie Blut in diesem Licht. Und sein Haar ist so schwarz wie Ebenholz. Mir fallen die unsinnigsten Vergleiche ein, je länger ich ihn anblicke. Aber ist das nicht ganz natürlich? Plötzlich erinnert einen alles und jeder an eine geliebte Person. Es muss die Sehnsucht sein. Und vielleicht auch ein Stück weit die Detailverliebtheit. Die feinen Stoppeln über seinen Lippen, die kleinen Narben auf seinen Wangen, seine einmalige Nase, die dunklen Linien seiner Tattoos. All das macht ihn so real. Leider ist genau diese Realität hier - ebenso wie die auf der Bühne - eine verzerrte. Wir sind zwar beide hier, unsere Herzen schlagen genau jetzt im gleichen Takt, unsere Lippen haben einander berührt, und doch bin es mit Sicherheit nicht ich, der in seinen Träumen umhergeht und ihn lieblich lächeln lässt im Schlaf. Wie eine Katze auf Samtpfoten, so vorsichtig und lautlos streiche ich über seinen Kopf. "Ich liebe dich...", wispere ich, beuge mich leicht vor und hauche einen kaum spürbaren Kuss auf seine warme Stirn. "Ich liebe dich, Kaoru." Dann kehre ich leise zurück in meine Koje. ____________ To be (or not to be) continued. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)