Liebe macht blind von peri (Die & Kaoru) ================================================================================ Kapitel 2: Blaue Flecken. ------------------------- Kommentar: Um ganz ehrlich zu sein... so viele Nerven wie mich dieses Kapitel auch gekostet hat, ich mag es nicht besonders xD Ich glaube die Gedankengänge sind schwer nachvollziehbar, zu abgehackt und alles ist zu kuddelmuddelig, was es ja im Grunde auch sein soll, weil Die ja vollkommen durch den Wind ist, aber ach... ich weiß auch nicht. Was denkt ihr? Außerdem: Wer den Ursprung meines Lieblings-Witzes in diesem Kapitel herausfinden kann, der verdient meinen Respekt, ein Eis und 'nen Poké-Orden XD Ich weiß nicht, wie lange ich schon renne. Weiß nicht, wie weit ich bereits gelaufen bin, doch erscheint es mir meilenweit. Aber ich laufe weiter, obwohl ich schon längst nicht mehr kann, obwohl meine Füße mich schon längst nicht mehr tragen wollen, bei jedem Meter darauf hoffend irgendwo doch noch einen roten Bus zu erspähen, der gerade um irgendeine Ecke biegt oder an irgendeiner Ampel auf Grün wartet, oder auf irgendeinem Parkplatz auf mich wartet, die Türen schon für mich geöffnet und Kaoru steht davor, läuft auf mich zu, als er mich erkennt und empfängt mich mit Tränen in den Augen und sagt mir wie sehr er mich vermisst und sich Sorgen gemacht hat und... Okay, ich weiß. Hier wird's extrem unlogisch. Mein Herzschlag dröhnt laut in meinem surrenden Kopf, während meine Schritte immer schwankender werden. Ich kann nicht mehr, bin völlig am Ende. "Du solltest mehr Sport machen", spuken mir wieder diese elenden Worte im Gedächtnis rum. Gedanklich scheuche ich sie weg. Ich mache wahrlich genug Sport. Ich halte mich fit mit Sex, das muss reichen. Hat es schon immer. Trotzdem tut mir jedes Gefäß weh und das Blut sprudelt nur so durch meine Venen. Pudding-Beine verweigern ihren Dienst und ich breche endgültig entkräftet auf einer Bank zusammen, die glücklicherweise rein zufällig da ist und mich auffängt. Wenn nicht alles so schmerzen und meine verdammten Fußsohlen nicht so brennen würden, würde ich behaupten, ich wäre bereits tot. Kurz vorm Abnippeln trifft's aber wohl eher. Herzmassage wär jetzt was Feines. Einmal Wiederbelebung bitte, Herr Ober. Ich verliere meinen Verstand oder habe wohl einfach zu viel Humor. Meine Kehle brennt, dürstet nach einer kühlen Erfrischung. Und was ist eigentlich mit meiner Lunge los? Ach ja, zugeteert. In meiner Lunge ist eine Straße, haha. Uuuh... MANNOOOO. Ich will nach Hause in Dreigottesnamen. Wo zum Henker bin ich hier überhaupt? Erstmal das Gesicht vom Holz lösen, an dem es festgeklebt ist. Hechelnd von der Überanstrengung bei gefühlten +35°C im Schatten wie ein Irrer herumgelaufen zu sein, blinzele ich der grellen Vormittagssonne entgegen, schaue mich um, suche nach irgendwelchen Anhaltspunkten, die mir Auskunft geben könnten, wo ich mich befinde. Ausländische Schilder soll mal wer verstehen. Ich bin in mitten der Stadt und doch im Nirgendwo. Um mich herum überall Menschen und dennoch bin ich mutterseelenallein. Ich spüre das dringende Bedürfnis zu schreien. Aus Frust, aus Verzweiflung und Planlosigkeit. Wie man mich nur vergessen kann, ist mir immer noch schleierhaft. Es fällt doch auf, wenn ich fehle. Vermisst denn keiner eine quirlige Grinsekatze? Es will mir einfach nicht in den Schädel. Ich hab keine Lust mehr. Vielleicht bleibe ich jetzt einfach hier. Genau. Braucht mich anscheinend eh niemand, dann kann ich auch gleich bleiben, wo ich bin. Fange ein neues Leben an oder so. Aber ohne Kaoru kann ich nicht leben. Nicht mal daran denken will ich. Mit einem Ächzen rappel ich mich ganz von der Bank auf. Da ich hier, wie es scheint, warten kann, bis mich entweder die Sonne zu einem Häufchen Asche verbrannt hat oder irgendwann Geier über mir kreisen, beschließe ich eben das Einzige zu machen, was mir nun übrig bleibt. ~*~*~ Vier Stunden später. Völlig zerlumpt, durchgeschwitzt bis auf die Knochen und am Ende meiner körperlichen und geistigen Kräfte stehe ich vor unserer Crew vor unserem Hotel. Meine Nerven liegen blank, meine Finger zittern immer noch von der hellen Panik von vor einer Stunde und das Haar klebt mir im Gesicht, fühlt sich fettig und stumpf an, als ich es fortstreiche. Auch meine Stimme ist zittrig, klingt rau, raspelnd. Weinerlich blubbert nun alles aus meinem Mund hervor, während ich ein diabolisches Grinsen auf Kaorus Lippen erkennen kann, das mir jedoch ein Rätsel bleibt. "...und dann bin ich mit dem stickigen Linienbus... und dann hab ich mich verlaufen... und dann bin ich in die brechend volle S-Bahn und da haben mich dann irgendwelche Fans erkannt und dann... hab ich ein Taxi genommen und dann hab ich euch gesucht, aber nicht gefunden... dann bin ich getrampt, wurde beklaut, bin den Rest zu Fuß gerannt und... jetzt bin ich endlich hier..." "Warum hast du nicht einfach angerufen?" ". . ." ~*~*~ Ich habe mich kaum getraut, als Kaoru das gesagt hat, doch habe dennoch meine Hand vorsichtig in die enge Hosentasche geschoben, nur um mit den Fingerspitzen das warme Plastik zu berühren, das sich tatsächlich bereits den ganzen Tag dort befunden hat. Wozu hat man denn eigentlich ein Handy, wenn man es nicht benutzt?, frag ich mich selbst, würde mir am liebsten die Hand gegen die Stirn schlagen und will nur noch in dem Sitz der Bank versinken, während wir in dem Speisesaal unseres Hotels auf unser Mittagessen warten. Immerhin bin ich dazu noch rechtzeitig angekommen. Da der Bus im Stau feststeckte, bin ich sogar fast schneller gewesen, hätte ich mich nicht kurz vorher in der Straße geirrt. Erstmal eine rauchen jetzt. Ich hab arges Lungenbedürfnis nach den Stunden voller Entzug, weil ich die Packung, die ich mithatte schon nach einer Stunde aufgeraucht hatte. Neben mir auf der Eckbank sitzt Kyo, gegenüber Shinya, der seinen ganzen Stapel Lernbücher mitgeschleppt hat. Im Bus stolpere ich ständig über seinen Kram. Ja, es sind so viele Bücher. Zumindest sitzt er nicht wie dort mit Kopfhörern am Tisch und lauscht den Stimmen, die ihm auf Englisch irgendetwas vorsagen und er brabbelt es dann nachher nach. Scheint wohl sein einziger Weg zu sein, Ruhe vor dem ganzen Kindergartentheater zu haben. Kermit lernt Englisch. Ich lach später. Bin anderweitig beschäftigt - mit Rauchen und Zuhören. Kyo erzählt mir irgendwas von Kino und Star Wars und ich penn gleich weg. Vielleicht landet mein Gesicht ja gleich in der Vorspeise, weil mein Hals den Kopf vor lauter Überanstrengung nicht mehr halten kann. Sonst schlafe ich doch immer nur bei Kaorus Geblubber ein, wenn er sich mal wieder inhaltlich verliert, aber der ganze Tag fing schon so bescheuert an und ist nicht mal halb vorbei und... ich weiß gar nicht wie ich es heute Abend noch schaffen soll überhaupt meine Gitarre zu halten, geschweigedenn darauf zu spielen. Kaoru kann es sich erlauben auf der Bühne zu schlafen, aber ich... das geht nicht! Mir merkt man das doch sofort an, wenn ich geistig abwesend bin. Hätte ich bloß Geld gehabt, um die letzten paar Kilometer mit dem Taxi zu fahren, aber man musste mich ja mitten in der Stadt beklauen. Meine Füße fühlen sich so eklig taub an und sind das da an meinen Hacken etwa Blasen, die gegen den Schuh drücken? Ich drücke die Zigarette aus, die viel zu schnell zu Asche wurde, und knabber stattdessen an einem Stück trockenem Brot herum, höre Kyo nur mit halbem Ohr zu, was mir im Moment auch irgendwie leid tut, weil er so extatisch wirkt und ich nur nicke und hin und wieder monoton antworten kann. Auf die andere Seite des Tisches schielend erspähe ich Kaoru, der an seinem Getränk nippt und mit Nora redet. Keine Ahnung über was, mein Gehirn vernimmt in dem ganzen Gebrabbel um mich herum nur noch die Stimme, die mir grad was von Laserschwertern und Imperatoren erzählt. Mein Leben in diesen Augenblicken ist wie zu lang gebratenes Fleisch: Unglaublich zäh. Die Vorspeise kommt und trotz meines im Grunde gewaltigen Hungers stochere ich nur im Essen herum. Ich hätte gute Lust mich mit der Gabel zu erstechen. Aber ich will den anderen nicht den Appetit verderben. Ausgequetscht über meine abenteuerliche Reise haben sie mich noch nicht wirklich und es ist wohl eben genau das, was mich noch mehr wurmt als alles andere, dass sie diese Dreistigkeit besitzen und es einfach totschweigen, stattdessen über andere Belanglosigkeiten faseln. Ich werfe die Gabel in das Salatschüsselchen, stemme mich aus meiner halb liegenden Sitzposition zwischen den Bankwänden hoch und pfeffere es - meinen Missmut, meine Enttäuschung und Fassungslosigkeit - über die mangelnde Emphatie meiner sogenannten Freunde und Arbeitskollegen, einfach in die Runde, in der es schon beim Wurf meines Besteckes ganz still wird. "Hat mich denn keiner von euch vermisst?!" Betretenes Schweigen. Mehr nicht. Nur abgestandene Luft und zugeklebte Münder. "Ihr verfluchten Bastarde..." Kyos Hand landet auf meiner Schulter. "Die... Das war doch nur'n Versehen." "Kommt vor", zwitschert Toshiya und bröselt mit dem Brot alles auf dem Tisch voll. "Ja, kommt in den bestorganisiertesten Bands vor", spricht Kyo weiter. "Und letztlich biste ja auch wieder bei uns angekommen." "Aber mir hätte wer weiß was passieren können!" "Wenn du dein Handy benutzt hättest, nicht." Aua. Warum muss Kaoru das jetzt schon wieder einwerfen, dass es mich wie ein Stein an der Schläfe trifft? Jetzt hab ich keinen Bock mehr. Diskutiere lieber gar nicht erst, nehme es einfach so hin wie es ist. Ende gut, alles gut, oder wie oder was? Warum hat mich eigentlich keiner angerufen? DAS ist doch mal die Frage. Oder haben die es bis zum Schluss nicht gemerkt, dass ich fehle? Und die wollen treue Freunde sein? Für diesen Freundschaftsdienst bedanke ich mich recht herzlich. Pah. Ich durchbohre den Salat mit der Gabel, die ich wieder in den Händen halte und stopfe mir das Grünzeug in den Mund. Obwohl es nur aus Cellulose und Wasser besteht und nicht mal Vitamine enthält und man theoretischerweise auch Klopapier fressen könnte, das wohl ebenso viel Nährwert besitzt und vielleicht sogar noch besser schmeckt. Keinen Schimmer warum ich gerade daran denken muss. Die haben mich nicht mal in den Bus einsteigen sehen und sind trotzdem ohne mich losgefahren. "Jetzt stell dich nicht an wie in kleines Mädchen", hör ich Toshiyas Lachen von schräg gegenüber. "Wenn du nur endlich mal lernen würdest, wie man mit einem Mobilfunkgerät umgeht." Quatsch Kaoru halt noch nach dem Maul. Schleimer. "Och, Die. Jetzt zieh die Mundwinkel doch mal wieder nach oben!" Ich schlage seine Finger weg, die mir quer über den Tisch ins Gesicht grabbeln wollen. "Ach, setz dich doch auf'n Besen und zisch ab." Irgendwann ist auch mal gut. Auf 'ner toten Sau prügelt man nicht noch herum. Toshiya begreift das nicht. Stichelt öfters einfach weiter dazwischen. Der Hauptgang wird serviert und ich beginne zu stopfen. Kann das Essen nicht schnell vorbei sein? Ich will hier weg. Will ins Bett oder von mir aus auch 'ne Stadtrundfahrt machen, aber ich mag nicht länger mit der Crew, der Band auf einem engen Raum zusammen sein. Ich fühl mich unter ihren Blicken wie eine Spinne unterm Glas. Ja, hier sitzt der Volltrottel, schaut mal alle her. Bloß Kaoru straft mich mit Nichtachtung. Für etwas, an dem ich ganz offensichtlich nicht Schuld bin. Oder was weiß ich eigentlich welcher Schuh ihn heute schon wieder drückt. Kann ich denn in seinen Kopf gucken? Aber das hätte er wohl gern, dass ich jetzt den ganzen Tag mit herunterhängenden Mundwinkeln herumlaufe und mich von der Ungehobeltheit fertigmachen lasse, griesgrämig bleibe und somit nicht in Topform bin für meinen Job, damit er dann nach dem Konzert genau über das wieder motzen kann. Aber nichts da! Die Gedanken wurden augenblicklich aus meinem Gedächtnis gelöscht. Sie waren bösartig, könnten vielleicht mein System zum Zusammenbruch bringen. Zu gefährlich sie auf der Festplatte zu speichern. Ich schiebe das ganz einfach weit weg, die gesamten Geschehnisse dieses Tages, und mache Kaoru einen Strich durch die Rechnung, in dem ich auf den Knopf in meinem Kopf drücke, auf dem Don't worry, be happy steht. Ein großer Schluck vom Bier und ich schalte von verwundbar auf 'Ist mir doch egal, da steh ich drüber'-Modus um. Ja, ich kann das. Schutzschilde aktiviert. ~*~*~ Ich gebe zu, mein Hirn hat sich verabschiedet. Nein, ich will nichts hören, ich weiß ganz genau, dass ich kurz vor der Einlieferung in die Klapsmühle stehe. Deswegen habe ich mich, nachdem ich dem Mittagessen entkommen konnte, anders als sonst auch in meine Schlafkoje im Bus zurückgezogen, weil es direkt nach dem Essen auch schon zur Halle ging. Nichts mit duschen und so. Nach ein, zwei Stunden Schlaf sieht die Welt jetzt wieder ganz anders aus und ich kann wieder frei atmen, ohne paranoid zu werden oder mich von den Vorfällen am Morgen und Mittag verfolgen zu lassen. Da sich niemand dafür interessiert, ziehe ich mit dem einfach gleich. Alles ist normal, alles ist so wie immer, den Rest bilde ich mir ein. Mehr als eine Entschuldigung bekomme ich eben nicht. Immerhin etwas, ich gebe mich damit zufrieden. Wichtiger ist, dass ich fröhlich bin. Der späte Soundcheck, der folgt, tut mir gut. Es ist herrlich meine Gitarre aus den Verstärkern dröhnen zu hören. Es bringt mein Blut in Vorfreude auf die Show heute Abend zum Kochen. Ich spüre wie diese positive Energie mich durchflutet und mich mit einem Strahlen von der Bühne spazieren lässt, dass man heute Morgen noch im Keim erstickte. Obwohl ich immer noch leicht angematscht bin, bin ich guter Dinge. Nach dem Konzert werden sie mich zwar in den Bus tragen müssen, weil ich dann nicht mehr gehen kann vor Erschöpfung, aber was soll's? Hauptsache Spaß und den werde ich haben und mir nicht mehr nehmen lassen. Nicht mehr allzu lange bis zum Auftritt. Wie kriege ich die Zeit nun rum? Die Aufregung und nach all den Jahren auch immer noch das Lampenfieber treiben mich stets nach draußen, um mich abzulenken. Aber meine Kraft brauch ich für später. Im Kopf schwirren mir alle Melodien und Akkorde herum, die beim Abstellen der Gitarre nicht aus der Welt sind und begleiten mich, während ich mir die Bühne noch mal von unten, also aus Fansicht, anschaue. Schließlich will ich wissen, in was für einem Winkel man mich später beäugen wird. Die Halle hier gefällt mir, sie hat eine schnuckelige, kleine Bar im hinteren Teil, die sogar ganze Sitzecken mit sich bringt. Wirklich bequem sehen die Sofas jedoch nicht aus. Ich schau mich um. Ein paar Roadies sind hinter mir immer noch am Werkeln, Toshiya macht sich in dieser Sekunde mit unserem Übersetzter auf den Weg in die Innenstadt und so watschel ich mal hinüber zur Bar, um mir eine Erfrischung zu holen. Dabei fällt mein Augenmerk auf Kaoru, der seit dem Mittagessen kein weiteres Wort mit mir gewechselt hat. Sitzt da recht einsam in der gemütlichen Ecke an einem Tisch, die Ellenbogen auf die Holzplatte gestützt, schiebt mit einer Hand rastlos den Aschenbecher vor sich her, führt die Finger der andere Hand immer wieder zu den Lippen zurück, raucht geistesabwesend und starrt beinahe beschwörend sein Handy an, das vor ihm auf dem Tisch liegt. Bereits von hier aus kann ich seine Nachdenklichkeit fast greifen. Schwer liegt sie in der Luft. Und die Falten, die sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet haben, springen mich schon durch den halben Raum an. Ich runzle meine sonst so glatte Stirn und blicke ihn für eine Weile nur an. Dieser Blick kommt mir bekannt vor... und doch ist er mir fremd. Sieht so aus, als könnte da jemand Ablenkung und Gesellschaft brauchen. Gut, dass genau jetzt der Barkeeper auf den Plan tritt und mich, wie ich hier an der Bar lehne, natürlich fragt, was ich denn haben möchte. Auf Englisch ordere ich zwei Flaschen Bier, lege ihm das Geld auf den Tresen und schreite hinüber zu Kaoru, der immer noch genauso finster dreinblickt. Braucht wohl wirklich ein bisschen Aufpeppelung, dabei bin ich doch eigentlich derjenige, den man hier peppeln müsste. Naja... Mit einem meiner schönsten und breitesten Lächeln pflanze ich mich gegenüber von dem alten Stinkstiefel und schiebe ihm eine Flasche vor die Nase. "Sag hallo zu den Bierflaschen~!" "Die sind doch nicht lebendig..." "Du auch nicht, aber wir reden jeden Tag." Oh Gott, seine Mundwinkel hängen ja noch tiefer als die Hosen von Kyo. Und meine Präsenz scheint das auch nicht gerade zu bessern. Doch ich lächel unablässig weiter, jedoch vorsichtshalber mit runtergeschraubter Leuchtkraft. "Was'n los?", frag ich erst einmal vorsichtig an. "Nichts." "Nichts sieht aber irgendwie anders aus." "Es ist aber wirklich nichts", murrt er nur und gibt seinem Glimmstängel den Gnadenstoß im Kippenfriedhof des Aschenbechers. Sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass ihn etwas ganz gehörig beschäftigt. Veralbern kann ich mich alleine. Aber wenn er meint... Ich nippe an meinem Bier und deute auf das, das ich ihm mitgebracht habe. "Probier mal. Ist eisgekühlt." "Mmmh." Ich höre das jetzt einfach mal als Danke, wenn er die Zähne schon nicht auseinander kriegt. Das Gesicht zu ihm gewandt, sehe ich ihm dabei zu, wie seine schmalen Finger das dunkle Glas der Flasche umfassen, es hochheben und zu seinem Mund führen. Warum meine Augen nun verfolgen wie er trinkt, weiß ich nicht. Auch nicht, warum mir plötzlich ganz anders wird, als ich ihn beobachte, wie er das kalte Bier hinunterschluckt und seine Kehle, sein Adamsapfel, sich dabei nahezu graziös bewegt. Er blinzelt mich an. Mist, er hat meinen Blick bemerkt. Noch offensichtlicher geht es auch gar nicht mehr, bin ich denn übergeschnappt? Warum beim Jupiter werd ich jetzt auch noch rot? Ist es schon so weit mit mir, dass ich nicht einmal mehr zusehen kann, wie er was trinkt? Reif für die Männer in den weißen Kitteln bin ich, sag ich doch! Mmmh, wie wohl Kaoru in nichts außer einem weißen Arztkittel aussehen würde...? NEIN. Schluss! Aus jetzt! Böse! Ganz böse, Die. Ab auf die stille Treppe mit dir! Für heute ist mein Pensum an Fettnäpfchen bereits bestens erfüllt; noch mehr Peinlichkeiten wären von fatalem Ausmaß. Ich quäle das Lächeln zurück auf mein Gesicht, doch es wirkt alles andere als überzeugend. Kaorus Mund verzieht sich, seine Stirn kräuselt sich gefährlich. Doch wider all meinen Erwartungen bleibt der fiese Spruch, mit dem ich so felsenfest gerechnet hatte, aus. Eigenartig. Irgendetwas stimmt doch wirklich nicht mit ihm. Aber seine dunklen Augen geben wenig Aufschluss darüber, was in seinem Kopf vorgeht. Ganz im Gegenteil, ein Blick in sie und das Verwirrungs-Labyrinth, in dem ich herumirre, wurde wieder um weitere tausend Quadratmeter erweitert. Hastig nippe ich an meinem Bier, habe den Blick von seinem fortgerissen. Vielleicht wäre es besser, ich lenke schnell ab. "Sag mal..." "Hm?" "Habt ihr mich denn wirklich nicht vermisst?" Ja, verdammt, ich komm einfach nicht über das Thema hinweg, obwohl ich das noch vorhin behauptet habe. Ich schaue wieder auf. Kaoru hat sich zurückgelehnt, schiebt unruhig wieder alle Gegenstände auf dem Tisch vor sich her. Etwas fragend erwidert er mein Blinzeln, obwohl er weiß, was ich meine. "Na, als ihr ohne mich losgefahren seid." "Beschäftigt dich, ne?" "Ja." "Sollte es aber nicht." "Tut es aber." Ein undefinierbares Seufzen verlässt seine Lippen und er stubst den Plastikaschenbecher mit dem Finger weg. Ich murmle vor mich hin, kann einfach nicht verbergen, dass es mir sehr wohl etwas ausmacht und ich mich nach wie vor fühle wie der Depp vom Dienst. Mal ganz zu schweigen von der Enttäuschung, die in mir wuchert wie Unkraut. "Ich weiß, ich bin nicht immer ganz einfach, aber ihr... ihr lasst mich einfach sitzen! Und herumirren wie eine verlorene Seele..." "Hey..." Kaorus Stimme hört sich merkwürdig einfühlsam an. Es kommt mir falsch vor. "Ich weiß wie du dich jetzt fühlst." "Woher willst du denn bitteschön wissen, wie ich mich fühle?!" Gott, das klang jetzt bitterer als es sollte. So wollte ich nicht klingen. Ich kann es richtig in seinem Gesicht sehen. Wie das Fünkchen Mitleid, was dort noch bis eben war, so grob ausgetreten wird von meinen Worten. "Richtig... Bis dann." Groß wie Teller werden meine Augen, als er plötzlich seinen Kram packt. Beinahe mit den Händen fassen, kann ich seine Laune, seine kalte Schulter, die mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagt. Und innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde ist sein Platz gegenüber von mir leer und er ist weg, raus aus der Halle. Was bleibt, ist nur noch seine Bierflasche vor mir. Aber so einfach kommt der mir nicht davon! Dieses Mal ist meine Reaktion schneller als die einer Schildkröte. Ich springe auf, reiße noch fast die Flaschen mit herunter, stürme aus der Halle und ihm nach. Am Ende des Ganges sehe ich ihn, wie er just in diesem Moment um die Ecke biegen will. "Hey!" Meine Stimme hallt laut von den posterbehangenen Wänden wider, meine profillosen Schuhe finden auf dem glatten Boden kaum Halt, beinahe wäre ich gegen den Pappaufsteller geknallt, der sich mir kampfeslustig in den Weg stellt. Glücklicherweise kriege ich die Kurve noch und schlittere daran vorbei. "Tut mir leid! Ich meinte das nicht so!" "Doch, du meintest es genau so", blafft er ohne sich umzudrehen oder anzuhalten. Also dackel ich weiter hinter ihm her. "Nein. Es... es ist mir nur so rausgerutscht." "Aha." "Ich hab halt 'nen total beschissenen Tag, da sag ich sowas Doofes schon mal. Es tut mir leid. Kaoru. Jetzt bleib doch mal stehen." "Ich hab keine Zeit." "Das stimmt doch gar nicht!" "Ja, aber ich würde jetzt gerne so tun, als ob." "Was ist das denn bitteschön für eine Logik?" "Meine Logik geht dich nichts an." "Geht sie sehr wohl! Ich mach mir schließlich Sorgen." "Oh Gott. Sorgen sollte man sich eher über alle machen, die was mit dir zu tun haben." "Hey!" "..." "Warte.... Da gehörst du doch auch zu!" "Ach, verdammt." "Kaoru!" "WAS?" Das Wort schallt laut durch die Gänge und klingelt noch in meinem Kopf nach. "...jetzt hör auf mich anzupflaumen und vor mir wegzurennen!" "Ich renn doch gar nicht weg!" "Nein, du spazierst nur in einem für dich äußerst ungewöhnlich schnellen Tempo durch irgendwelche seltsamen Flure in diesem Gebäude, in die wir weder hingehören noch hineindürfen." "..." "Kaoru, verdammt noch mal." Ich kann nichts dafür, dass ich so weinerlich klinge. "Ich bin eben so dumm. Es tut mir leid. Es ist aber auch so viel auf einmal. Mein Kopf ist so klein." Endlich bleibt er stehen. Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt. "Weißt du was?" "Was denn?" "Bei Ausredenplätzchen kannst du 'ne richtige Naschkatze sein." Ich plustere mich auf. "Waaas?" Das ist ja wohl die Härte! Da er wieder herumgewirbelt ist und erneut versucht abschwirren, setzte ich meine Verfolgung fort. Das lasse ich nicht auf mir sitzen! "Willst du damit etwa behauptet, ich würde mich rausreden?!" "Nein, wie könnte ich." "Ich rede mich nicht raus!" "Nie." "Das ist wirklich so!" "Natürlich." "Hör auf mich zu verspotten!" "Tut mir leid, ist angeboren." "Was zum?!" "Is' noch was?" Langsam bin ich es satt nur auf seinen Rücken und die schmalen Schultern zu starren, hinter ihm herzurennen mit meinen Blasen an den Füßen, während er unbeirrt einfach weiterstolziert und keine Anstalten macht mal anzuhalten. Hundertprozentig hat er sich eh schon längst verlaufen. "Ja. Könntest du vielleicht mal anhalten?" Ich stolpere ein paar Treppen hoch, lasse ihn nicht aus den Augen, als er eine Tür aufstößt. "Kein Anschluss unter dieser Nummer." "Das ist nicht lustig. Es tut mir wirklich leid." "Der gewünschte Gesprächspartner ist zur Zeit nicht erreichbar." "Es tut mir leeeheeeiiid! Soll ich es dir vielleicht noch aufschreiben und per Brieftaube zukommen lassen oder soll ich es dir vielleicht vortanzen?" "Ja, ja, ja. Ist gut jetzt. Ich hab's ja verstanden." "Das sagst du nur, weil hier 'ne Sackgasse ist." In der Tat endet der Weg genau hier, da wir mittlerweile auf dem Dach stehen und Kaoru an dem Geländer lehnt, nach dem alles nur noch bergab geht. Er dreht den Kopf, blickt über die Schulter, hinunter in die Tiefe, dann sieht er mich wieder an, hat ein Bein angewinkelt als würde er es jede Sekunde über das Geländer schwingen. Ich glotze ihn ungläubig an, als es in seinen Augen eigenartig zu blitzen beginnt und sein Haar so wild vom Wind zerzaust wird. "...das wagst du nicht." "Zwing mich nicht dazu." "Bist du jetzt völlig durchgeknallt?!" "...nein, ich wollte nur deine Reaktion und deinen belämmerten Gesichtsausdruck sehen." Mit zwei Schritten steht er vor mir und lächelt als wäre was in seinem Bier gewesen. Ich glotze nur weiter. "Jetzt guck nicht so, ich hab nur Spaß gemacht", sagt er achselzuckend und schnippst mir gegen die Stirn. "Außerdem... vergebe ich dir. War ja nichts. Musst dich nicht entschuldigen." "Und warum zum Teufel bist du dann weggerannt?" "Brauchte frische Luft." Als ob er gewusst hätte, wohin der Weg führt. Sein Verhalten ergibt keinen Sinn und das weiß er auch ganz genau. Benimmt sich so seltsam, dass mir vor lauter Verwirrung bald noch der Kopf platzt. Während ich noch versuche zu kapieren, was in seinem kranken Schädel vor sich geht, da lehnt er bereits wieder über dem Geländer und blickt hinab. Wo ich schon mal hier oben bin, tu ich es ihm einfach gleich, stelle mich neben ihn und atme tief durch. "Ist die Sache damit jetzt gegessen?" "Mmmh", brummt er und nickt, sieht nicht zu mir, sondern über die Gebäude. Von der Seite her mustere ich ihn, doch sein Blick bleibt unbeirrt überall nur nicht auf mich gerichtet. Ich ziehe die stickige, dünne Luft, die Kaoru als frisch bezeichnet, tief in meine Lungen ein. Es ist so schwül hier draußen. Mein Kopf sinkt auf meine Brust und ich hänge mich mit dem Oberkörper über das Geländer. So weit oben sind wir im Grunde dann doch nicht. Kaum drei, vier Stockwerke über dem Boden. Dennoch weht hier eine laue Brise die unser Haar in alle Richtungen verweht und die Sonne hat immer noch genug Strahlkraft, um auf der Haut zu brennen. Unter uns stehen sich die Fans die Beine in den Bauch. Man hört das Lachen und die gute Laune, die unten in der Schlange herrscht; sie steht widersprüchlich zu unser gedrückten Stimmung. Das erinnert mich wieder an den Auftritt, den ich in der Hektik vom Kaoru-Hinterherlaufen verdrängt habe. Warum lassen mich all die Gedanken bloß nicht mehr los? Es reicht doch, dass ich Kaorus Wort regelmäßig auf die Goldwaage legen muss, was höchstwahrscheinlich auch ein Grund meines geistigen Bankrottes ist... Es ist völlig aus dem Stehgreif gegriffen, aber je länger ich ihn von der Seite betrachte, umso mehr will ich ihn berühren. Sein Haar oder seine Wange streicheln. Einfach nur seine Hand greifen und sie fest halten... Eine so simple Berührung, die trotzdem wundervoll sein kann. Sie drückt Zusammengehörigkeit, Verbundenheit aus, wird oft als viel zu selbstverständlich hingenommen. Wie viel bedeutet ein flüchtiges Streifen von Haut an Haut? Oh Mann, ich werd kitschig. Unterdrückte Gefühle sind scheiße. "Uuuuh." Meine Hände halten sich an dem Stahl fest und ich lehne mich mit gespannten Armen nach hinten. Den Kopf in den Nacken gelegt starre ich in den blauen Himmel. Kaoru gibt einen fragenden Ton von sich und sieht zu mir. "Kopfweh", stöhne ich, lasse dabei den Kopf kreisen und weiß, dass das nur die halbe Wahrheit ist. "Lass uns wieder rein. Vielleicht besser so." Gib doch ruhig zu, dass es dir hier draußen zu stickig ist und du wirklich nur geflohen bist, denk ich und kaue auf meiner Lippe rum. Ich löse die Hände vom Geländer und folge ihm ohne weitere Einwände in Richtung Tür und Treppen. ~*~*~ Innerhalb weniger Zeit befinden wir uns in der Halle selbst. Um genauer zu sein hinter der Bühne. Nachdem ich mir eine Zigarette angezündet, in den Auftrittsklamotten gewühlt, und mich dann wieder an Kaorus Seite geklebt habe, taucht auch Kyo auf, der wohl bis gerade eben mit dem Ohr seine Matratze im Tourbus abgehorcht hat. "Gut geschlafen?", frage ich, als ich ihn sehe, beuge mich nach hinten und grinse zur Begrüßung. "Danke. Ausgezeichnet." "Schöne Träume gehabt?" Sieht ganz so aus, als würde ihm genau jetzt bei dieser Frage ein Schauer über den Rücken laufen. "Nein, ganz und gar nicht. Albträume. Ich habe davon geträumt, mir würde irgendwas Widerliches mein komplettes Gesicht abschlabbern und mir anschließend noch die Zunge in den Hals stecken." "Das hast du nicht geträumt. Das war bestimmt Die." "...was?!" Entsetzt starre ich Kaoru an, der sich gerade einen abgackert. "Blödmann." "Ich dachte, du stehst drauf." "Was?! Worauf?" "Auf Kerle." "Was? Ja. Nein. Irgendwie. Zur Hälfte. Ja. Ich mein NEIN. Doch nicht auf Kyo! Pfui Teufel!" "...danke gleichfalls." "Sorry, ist nicht persönlich gemeint." "Schon gut", winkt Kyo ab und gibt uns den 'Wie in der Anstalt hier'-Blick. Kaorus Gesicht wird derweil von einem fetten Grinsen nahezu gespalten. "Behaupten kannst du ja viel, aber kannst du auch beweisen, dass du es nicht doch warst?" Ich kann nur die Augen zurück in den Kopf rollen. "Ich war die ganze Zeit bei dir, du Pfosten." "Und davor?" "Du willst also Beweise, hm? Ich küsse nicht wie eine verdammte Bulldogge. Und wenn du mir das nicht glaubst, dann kann ich es dir ja mal gerne vorführen. Na, wie wär's?" "Nein danke, mir ist schon schlecht." War ja klar, dass das kommt. Ich hör gar nicht mehr hin. Lieber rauche ich meine Kippe auf und zerre dann das T-shirt, dass ich mir vorhin gekrallt habe, vom Bügel. Das alte Shirt muss weichen, fliegt auf den Wäscheberg zurück, das saubere, neue wird über meinen Kopf gestülpt und legt sich weich an meine Haut. So mag ich das. Unterdessen hat Kyo sich gesetzt, wippt vor mir auf dem Stuhl, kaut auf einer Kullihülle rum und malt den Leuten in dem Musikmagazin in seiner Hand Schnurrbärte, Narben und schwarze Zähne. Kaoru wiederum flattert mit unserer heutigen Setlist in den Finger herum, an deren Erstellung er dieses Mal nicht beteiligt war, da er durch Abwesenheit glänzte, die sonst eigentlich immer mir zuteil kommt. Wiederholt überfliegen seine Augen die gedruckten Linien, wie eine letzte Kontrolle. Seine hochgezogene Augenbraue spricht für sich. "Zugegeben", erhebt er seine Stimme wichtigtuerisch, während er bedeutungsvoll nichtssagend mit dem Blatt Papier vor meinem Gesicht rumfuchtelt. "Als ich von der Auswahl der Songs erfahren habe, hielt ich diese erst für Unfug, doch jetzt, wo ich darüber nachdacht habe, hat sich meine Meinung geändert..." Nun schrauben sich auch meine Brauen in die Höhe. "Ah ja, du hast also darüber nachgedacht." "Ja, würde ich mal mehr über dich nachdenken, würde ich jetzt nicht hier neben dir stehen." Ich verdrehe die Augen. "Ich weiß Bescheid, Kaoru. Ich verstehe jetzt!" "Das ist schön." Das Papier wandert etwas zerknittert vom Durchschütteln zurück an die Pinnwand, in die er Heftzwecken bohrt. Danach streicht er es glatt und wendet sich ab. "Willst du denn gar nicht wissen, was ich verstehe?" "Nein. Hauptsache, du verstehst überhaupt was. Das reicht mir schon." Ringrichter, Tiefschlag! Tiefschlag!! Doch da ist der Gong. Aus! Aus durch K.O. in der vierten Runde! Ich sehe ihm nach, wie er gemütlich davon dackelt, murmle dabei missmutig: "So ein Idiot." Hinter mir raschelt Kyo mit dem Magazin und spricht mit dem Plastik im Mund. "Naja. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich." "Ach, halt die Klappe." ~*~*~ Ekstase. Ich spiele mir die Seele aus dem Leib. Nicht ohne Grund nennt man Gitaristen auch Seitenquäler. Harte, schnelle Bässe, laut, wummernd. Dröhnende Gitarren, markdurchzitternd, diabolisch, mal sanft, mal kreischend, trommelfellzerfetztend. Schriller, herzzerfetzender Gesang, sehnsüchtig, hassdurchflutet, fragend. Hundertzwanzig Prozent von Anfang an. Wasser durchflutet mein Haar, sprenkelt mein Gesicht in einer kurzen Pause zwischen den Songs. Die einzelnen Tropfen laufen an meiner aufgeheizten Haut herunter. Ich glühe wie ein Ofen. Aus der zweiten Flasche nehme ich einen Schluck und werfe sie dann ins Publikum. Tief durchatmen und weiter geht's. Wie ein Schnellzug ohne Bremsen spiele ich hingebungsvoll, trotz meiner brennenden Knochen, die nur zusammenbrechen und meinen schlappen Körper zu Boden zwingen wollen. Doch ich erlaube es ihm nicht, zwinge mich selber über meine Grenze, nach der es nur noch steiler nach oben geht und nur noch mehr Adrenalin durch mich pumpt. Für die nächsten Minuten, in denen Rock durch meine Adern strömt. ~*~*~ Kaoru strahlt vor Freude. Hinter der Bühne, während der Pause ist sein Lächeln mitunter am Unantastbarsten. Er sprüht vor Energie. Wie wir alle. Wir sind high, gierig auf mehr, obwohl wir uns schon jetzt die Innereien aus dem Leib schwitzen und erste Anzeichen von Erschöpfung sich breit machen. Besonders, wenn sich eine Tour dem Höhepunkt zuneigt. Ich mag sein Lächeln. Es ist ein schüchterndes, herzerwärmendes Aufgehen einer Sonne, die mich zum leisen Schmelzen bringt. Und wenn ich neben ihm stehe, dann kann ich seine Ausstrahlung beinahe mit meinen Fingern berühren. Konzerte steigern sein Selbstbewusstsein ins Unermessliche. All die Fans, die ihm ihre Hände entgegenstrecken, sie lassen ihn zu Bestform auflaufen. Ihre gute Stimmung hebt ihn in höhere Sphäre, er thront über ihnen, spielt seine Spielchen, gibt sich präsent, doch unerreichbar. Er ist der König, sie liegen ihm zu Füßen. Nur für ein Fünkchen Aufmerksamkeit, einen Blick, ein kleines, flüchtig über seine Lippen huschendes Lächeln. Auf meiner Seite kriege ich das kaum mit. Blicke in seine Richtung zu werfen, dafür finde ich selten Zeit. Schließlich spielt sich bei mir im Prinzip genau das Gleiche ab und auf der Bühne muss ich arbeiten und den Teil meines Hirns mal für einen Moment abschalten, der immerzu an ihn denkt. Einen gelegentlichen Gang herüber zu ihm lasse ich mir dennoch nicht nehmen. Und in der Ekstase, im Rausch der Musik ist so einiges erlaubt - dort fühle ich mich ihm auf abstruse Weise nah. Ich habe mich schon immer gefragt, warum ich ausgerechnet für ihn so stark empfinde. Was macht ihn so besonders? Warum ist er anders als all die anderen? Es gibt so viele Menschen auf diesem Planeten und ich muss ausgerechnet dem Mann verfallen, der am entferntesten von allen ist. Dennoch scheint er so zum Greifen nah, als müsste ich nur meine Hand nach ihm ausstrecken. Doch ich greife durch ihn hindurch. Er ist so wenig zu fassen wie der Wind. Ich stehe an der Absperrung, er auf der Bühne. Ich bin nicht wie er. Er ist nicht wie ich. Und trotzdem sind wir uns in manchen Dingen so gleich, oft auch erschreckend ähnlich. Sind wie zwei Magneten, die sich anziehen und sich doch immer wieder abstoßen. Wir leben aneinander vorbei. Ich hasse es wie sehr ich ihn liebe. Ich hasse und liebe es, wenn mir jedes kleine, nette Wort, jeder liebe Blick, jedes noch so schmale, süße Lächeln Hoffnungen macht und mir letztlich nur vor Augen führt, wie sehr sich meine zerbrechlichen Glieder schon in seinem Spinnennetz verheddert haben. Kaoru tritt mit kleinen Schritten neben mich, zieht an seiner Pausenzigarette und bläst den Rauch durch gekräuselte Lippen wieder heraus. "Na, alles klar soweit?" Strahlende Schönheit, aah, ich bin geblendet von deinem Lächeln! Was für einen Scheiß denke ich hier eigentlich? "Jep, alles bestens. Und bei dir? Wie ist deine erste Reihe so?" "Vorzüglich." "Vorzüglich?" "Jaaa, deliziös", nickt er gespielt ernst und nimmt einen tiefen Zug. "Hochfein. Durchaus sehr delikat." Nun bringt er mich aber zum Lachen und ich verschlucke mich fast am Rauch meiner eigenen Zigarette. "Hast du etwa schon probiert?" "Mmh, später vielleicht. Und deine?" Um ehrlich zu sein, habe ich überhaupt nicht wirklich darauf geachtet. Man sieht wen an und eigentlich doch durch ihn durch, weil man mit den Gedanken so weit weg ist. Bei der Sache schon, aufs Spielen konzentriert, aber das war's auch schon. "Ausgesprochen gut heute Abend," erwidere ich breit lächelnd. Ich bin ein erbärmlicher Lügner. Das ist doppeldeutig. Ich kann schlecht lügen und ich bin grässlich, weil ich ihm so offen ins Gesicht lüge. Als ob es ihn jemals eifersüchtig machen würde, würde ich von jemand anderem schwärmen. Als ob er sich schlecht fühlen würde, weil ich glücklicher wirke als er. Oder lüge ich, weil ich nicht offen vor ihm zugeben kann, dass alles, woran ich denken kann, nur er ist? "Cool. Und sonst alles okay? Hältst du es noch durch oder bist du schon erschöpft?" Kaoru redet mit mir so normal, dass es mich stutzig macht. Hatte ich erwähnt, dass der Mann mich in den Wahnsinn treibt? Man weiß nie woran man in der nächsten Sekunde ist. "Noch ist alles relativ okay. Bin ein bisschen neben der Spur, aber the show must go on, nicht wahr?" "Richtige Einstellung!", nickt er bekräftigend mit der Kippe zwischen die Lippen geklemmt und klopft auf meine Schulter, so dass das Bier in meiner Flasche leicht zu schwappen beginnt. Gott, ich zieh mir lieber hundert doofe Sprüche rein, als eine solch widerliche Freundschaftsgeste. Kumpel, das drückt sie aus. Ich will mich ihr entziehen, doch ich verstecke meinen Ekel, damit ich ihn nicht wieder vor den Kopf stoße. Und ich verdränge, spiele sogar mit, indem ich ihn anlächle, das Klopfen mit einem Klaps auf seinen Rücken erwidere. Ich lüge nicht nur ihn, sondern auch mich selbst an. "Kommste dann? Ich glaub es geht schon weiter", sage ich, nehme die Kippe aus meinem Mund, deute auf Toshiya, der bester Laune an mir vorbei schreitet, zurück auf die Bühne. "Oh! Ja. Ich hab gepennt", gluckst Kaoru, greift den Aschenbecher und hält ihn danach auch mir hin. "Na dann! Auf geht's!" "Yo! Let's rock." Damit wende ich mich ab und trete mit dem Bier in meiner Hand auch den Rückweg auf die Bühne an, kehre an meinen Platz zurück. Jetzt werden meine Fans erstmal eine Extraportion Aufmerksamkeit von mir kriegen! Mein schönstes Lächeln werde ich ihnen schenken. Heute Nacht werde ich glänzen und strahlen, wundervoll, voller Leidenschaft sein für sie. Werde mir ihre Gesichter gut einprägen, damit ich selig einschlafen kann nach der Show und süße Träume von ihnen habe. Jaa... ...manchmal lieben wir jemanden so sehr, dass wir das Gefühl betäuben müssen, weil wir, wenn wir es zuließen, daran ersticken würden. ~*~*~ Regenschwere Wolken ziehen am Horizont auf. Kein gutes Zeichen... Aber ich bin nicht abergläubisch. Es ruckelt und rackelt im Bus auf dem Platz auf dem ich sitze. Leises Brummen und unverständliche Stimmen dringen an meine Ohren wie von weit her, wie durch Watte. Grell scheinen mir die letzten Strahlen der versinkenden Abendsonne in mein Gesicht, blenden meine vor Erschöpfung brennenden Augen. Ich blinzele schwach und ausgelaugt ins Licht, lasse meine Lider langsam zugleiten. Mein Kopf, zu schwer ihn aufrecht zu halten, fällt auf die Seite. Er fällt ganz sanft. Der warme, angenehme Duft von leicht verflogenem Aftershave kitzelt in meiner Nase, reizt meine langsam erlahmenden Sinne. Eine Schwere zerrt meine Augenlider weiter in die Tiefe, klebt sie fest zu. Mein Geist wird so träge und versinkt in dem Gefühl von Wärme und Müdigkeit durchströmt, überwältigt zu werden. Ich schlafe ein. Bei ihm. Bei Kaoru. Zum ersten Mal... Unschuldig und doch schuldig. So schuldig... Er drückt mich nicht weg. »If loving you is wrong... ...I don't want to be right.« ____________ To be (or not to be) continued? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)