Liebe macht blind von peri (Die & Kaoru) ================================================================================ Kapitel 13: Von Aufzügen und Treppenstufen. ------------------------------------------- Mit Müh und Not habe ich es geschafft mein Mittagessen runterzuwürgen. Erstaunlich, wie sehr mir der heutige Tag bereits auf den Magen geschlagen ist. Dabei war das Letzte, was ich gestern gegessen und von dem ich bis vorhin gezehrt habe, ein paar Snacks aus dem Hotelautomaten, welche nun wirklich herzlich wenig nahrhaft sind. Eine Rolle Toilettenpapier hätte wahrscheinlich mehr Brennwert als diese krümeligen, ungesalzenen Kartoffelchips. Trotzdem ist mir der Hunger während des Essens vergangen. Habe nur noch gegessen, weil ich essen muss. Und jetzt fühle ich mich zu voll, um mich überhaupt bewegen zu wollen. Das Essen hier drüber macht mich immer regelrecht kaputt. Ich vermisse japanisches Essen. Ich sehne mich nach einer guten Miso-Suppe mit Tofu. Nach einem herzhaften Käseomlette. Auch wenn mir gerade speiübel ist. Unsere Gesellschaft verlässt den Speisesaal. Zwar bin ich mal wieder hauptsächlich mit mir selbst und meinem eigenen kleinen Minikosmos beschäftigt, aber was für gemischte Gefühle auch bei den anderen herrschen, ist mir nicht entgangen. Die seltsamen Geschehnisse von heute Vormittag sind an keinem so recht vorübergegangen. Dass jemand all unsere Kontaktdaten zu besitzen scheint und uns an der Nase herumgeführt hat, hat nicht nur für Verwirrung gesorgt, sondern auf Seiten des Managements auch allgemeine Besorgnis erregt. Als ich Nora auf dem Weg hinaus darauf anspreche, erklärt sie mir, dass unsere internationale Tourbegleitung ihr gegenüber lockerer darauf reagiert zu haben scheint. "Ich glaube, die denken das war nur ein Scherz und dass es einer von uns gewesen ist." "Denkst du das denn auch?", frage ich, mich vorsichtig an teilweise vollbesetzten Tischen vorbei bugsierend, um nicht irgendeinen grimmig dreinblickenden Ausländer beim Suppeschlürfen anzurempeln. "Ich weiß es nicht. Unter westlichen Bands ist es wohl gar nicht so ungewöhnlich, sich solche Art von Streichen auf Tour zu spielen. Aber der Manager hat trotzdem versucht den Anruf zurückzuverfolgen. Allerdings ohne Erfolg. Herr Masuda sagt, wir sollten unbekannte Nummern vorsichtshalber ignorieren, und dass weiterhin versucht wird, der Sache auf den Grund zu gehen." Da ich nicht recht weiß, was ich darauf erwidern soll, nicke ich bloß. Wir sind die Letzten, die den Saal verlassen und zu dem Rest der Gruppe bei den Fahrstühlen aufschließen. Weiter vorne erspähe ich Kaorus dunklen Hinterkopf zwischen den Roadies hervorlugen. Neben ihm steht Toshiya, der in dieser Sekunde über seine Schulter zu uns herüberblickt, sich jedoch hastig, nervös blinzend, wieder von uns abwendet. Ich kann beobachten, wie sich Noras Oberlippe ganz langsam in einer Mischung aus Schmollen und Verärgerung zu kräuseln beginnt, während ihre Augen winzige Blitze in Richtung Toshiya abfeuern. Nachdenklich, mit mir selber ringend, reibe ich meinen Nacken. Ich schnalze mit der Zunge und halte ihr kurzentschlossen die Schachtel Pralinen hin. Noras weitgeöffnete Augen starren mich verdattert an. Als würde ich ihr gerade eine fette warzige Kröte entgegenstrecken. "Was ist das?" "Für dich", entgegne ich so trocken wie nur irgend möglich und mache eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf gen Fahrstuhl. "Von Toshiya. Es tut ihm leid, was er von dir verlangt hat. Traut sich nicht, es dir selbst zu geben." Immer noch glotzt sie mich wie perplex an. Langsam wird es mir unangenehm. Ich komme mir vor, als wäre ich wieder in der Oberstufe und würde einem Mädchen zum White Day etwas Süßes zur Bestätigung ihrer Gefühle schenken. "Nun nimm schon." Ohne noch länger zu fackeln, drücke ich ihr die Schokolade einfach in die Hände, bevor ich noch rot anlaufe und die Situation noch falscher aussieht, als sie es eh schon tut. "Es tut ihm leid...?", fragt sie mit solch Unglauben in der Stimme, dass es ich mich ernsthaft wunder, wie ungeschickt und unmöglich sich Toshiya ihr gegenüber eigentlich verhalten hat. "Ja. Und nicht nur, weil er seinen Schuhen nachtrauert." "Nach... trauert?" "Sag mal, hast du 'nen Papagei verschluckt?" Die Schlange vor uns wird kürzer, nachdem sich bereits einige mit dem Fahrstuhl nach oben begeben haben, und ich schließe zwei Schritte auf. "Nein. Aber warum nachtrauert? Ich habe sie ihm doch vor die Tür gestellt." "Vor die Tür gestellt??" "Wer ist jetzt der Papagei...", höre ich Nora leise in ihren nicht vorhandenen Bart nuscheln; das Knistern der Plastikverpackung der Pralinen in ihren Fingern verschluckt ihre Worte beinahe. "Ich wollte sie ihm persönlich überreichen, als ich heute Früh mein Zimmer verlassen habe, aber er hat die Tür nicht aufgemacht - ich glaube es war zu früh und er hat noch geschlafen - also habe ich sie ihm davor gestellt." "Tja..." Ich kratze mich an der Wange. Soeben verschwinden Toshiya, Shinya, Kyo, Herr Masuda und die Roadies hinter sich schließenden Fahrstuhltüren. "Dann muss sie jemand geklaut haben." "Nicht dein Ernst?!" "Wäre nicht das erste Mal, dass wir auf Tour beklaut werden." Ich sollte nicht lachen, aber irgendwie passieren uns immer so dämliche Sachen und somit kann ich einfach nicht anders. Wer würde schon ein paar durchgegaste Schuhe in einem Hotel stehlen? Vielleicht irgendein kleptomanisch veranlagter Fan. "Und was mache ich jetzt?" Bedröppelt sieht Nora zu mir hoch, während ich mir gerade die Sonnenbrille ins Haar stecke. "Dich freuen, dass es nicht Kaorus oder Kyos Schuhe waren." Mit den Fingern zupfe ich mein T-Shirt zurecht. Da sie mich erneut nur anstarrt, schiebe ich noch nach: "Keine Sorge, ich werd's ihm schon an deiner Stelle verklickern. Er ist sowieso mucksig, dass ich ohne ihn Shoppen gegangen bin. Dann suchen wir ihm halt in der nächsten Stadt ein neues Paar aus. Halb so wild." Durch mein aufmunterndes Grinsen beruhigt, stößt sie einen kurzen Seufzer aus. "Danke. Und Danke für die Pralinen." Sie zeigt auf einen Aufzug, der gegenwärtig wieder unten angekommen ist und bereits von weiteren Mitgliedern unseres Staffs bestiegen wird. "Nehmen wir den auch?" Kurz überlege ich, ob ich sie darin einweihen soll, was mir vergangene Nacht in dieser Blechbüchse widerfahren ist - natürlich ohne die pikanten Details - entschließe mich dann jedoch dagegen und antworte: "Geh ruhig schon vor, ich wollte mir noch was aus dem Snack-Automaten da vorne ziehen." "Ganz wie du willst." Damit flitzt sie achselzuckend rüber in den Fahrstuhl, dessen Türen gerade noch von einem internationalen Tourbegleiter für sie offen gehalten werden. Sofort mischt sich ihre Stimme in das muntere englische Gebrabbel im Innenraum. ka-chunk, die Türen schließen sich und ich stehe alleine im Foyer. ~*~*~ Zwar war es nur ein Vorwand, um Nora nicht erklären zu müssen, warum ich nach dem gestrigen Horror im Fahrstuhl des Grauens, den ich immer noch nicht mental überwunden habe, keinen Fuß mehr in ihn zu setzen gedenke, aber jetzt stehe ich tatsächlich vor dem Automaten und werfe eine Münze hinein. So wie vor knapp zwölf Stunden. Mit einem Schokoriegel bewaffnet, wende ich mich dem Treppenhaus zu. Ich übertrete die Schwelle der Feuerschutztür und will soeben nach links gen Aufstieg abbiegen, als ich mitten in der Bewegung erstarre. Auf der zweiten Stufe, mit dem Rücken an die kitschig tapezierte Wand gelehnt, steht Kaoru. Abermals das Telefon in der Hand. Möglicherweise hatte er über Nacht einen schrecklichen Laborunfall, der ihn unwiderruflich mit seinem Mobilfunkgerät verschweißt hat. Oder warum hängt er schon wieder ununterbrochen mit der Nase im Display? Durch das dumpfe Geräusch meiner Schritte auf dem Teppichboden von mir Notiz nehmend, hebt sich sein zuvor angestrengt wirkender Blick und wandert zu mir herüber. Seit er mich und Toshiya vorhin aus seinem Zimmer gescheucht hat, haben wir einander nicht mehr in die Augen gesehen. Jetzt fühlt es sich so an, als würde alles Blut in meinen Wangen hinab in meine Zehenspitzen schießen. Da ich ihn anscheinend derzeit anglotze wie eine Kuh, wenn's donnert, hebt sich Stück für Stück seine rechte Augenbraue. Sein rechter Mundwinkel tut es ihr gleich. "Wie ich sehe, bist du auch aufs Treppenkraxlen umgestiegen." Sein strahlend schönes Lächeln blendet mir entgegen. Augenblicklich katapultiert sich das erst vor ein paar Sekunden abgesackte Blut wieder zurück in meine Wangen. Mich beschleicht das unwohle Gefühl, dass er mich hier abgepasst hat. Als hätte er genau gewusst, dass ich früher oder später hier auftauchen und die Treppe nehmen würde. Den Rücken von der Wand gelöst, schiebt er das Handy zurück in seine hintere Hosentasche. "Wollen wir zusammen hochgehen?" Ich schlucke. "Nur wenn du mir versprichst, mich nicht die Treppen runterzuschubsen und nachher versuchst es wie einen Unfall aussehen zu lassen." Kaorus warmes, herzhaftes Lachen erfüllt das gesamte Treppenhaus. Ich möchte mich auf den Boden schmeißen und mich in meinen eigenen Tränen wälzen, so schön klingt es in meinen Ohren. "Kann ich nicht versprechen", sagt er mit gekräuselten Lippen und dem Ausdruck eines frechen Katers in den Augen. Die Wahrheit ist, ich würde barfuß bis zum Mond latschen, wenn er mich darum bitten würde ihn dorthin zu begleiten. Trotzdem traue ich seinem Lachen nicht. Warum hat er so unverschämt gute Laune? Hat er nicht bis gerade eben noch ernst auf sein Handy geglotzt? Fuck, stimmt ja. Wie konnte ich das vergessen? Herr Brummbart hatte ja vergangene Nacht das Glück sich nach Herzenslust von seiner Freundin durchbügeln zu lassen. Kein Wunder. Danach würde ich auch strahlen wie'n Honigdachs. Erst steckt der mir im Aufzug seine Zunge in den Hals und dann vergnügt er sich auf seinem Zimmer mit wem anders! Verflucht sei diese scheiß moderne Technik. Ohne diese aufdringlich bimmelnden Funkfernsprecher wäre ich gestern derjenige gewesen, mit dem Kaoru Ehrenrunden auf der Liebesgondel gedreht hat und nicht Miho. Was auch immer das heißen mag. Ist mir doch egal. Vielleicht sollte ich Kaoru doch auf den Mond schießen. Im Handumdrehen würden sich alle meine Sorgen in Luft auflösen und wieder Normalität in mein Leben einkehren. Wie ich das dann allerdings meinen Bandkollegen erklären sollte, weiß ich auch nicht. Vielleicht würde es genügen in Zukunft Kaorus Gitarrenparts als Playback einzuspielen und auf der Bühne einen Pappaufsteller an seiner statt zu platzieren. Würde der Unterschied jemandem auffallen? Nein, das ist fies. Das klingt so, als würde sich Kaoru auf der Bühne gar nicht bewegen. Manchmal blinzelt er ja auch. Die Eifersucht grassiert in meinen Eingeweiden wie Schimmel auf einem alten Stück Brot. Dabei will ich sein Lächeln erwidern und mit ihm unbeschwert Seite an Seite nach oben schlendern. Was also bildet sich mein verqueres Gehirn ein, mir solch widerliche Gedanken einzupflanzen, die ich doch in mir vergraben will? Ebenso wie unser Kriegsbeil. Mir kommt es vor, als würden Minuten verstreichen, in denen ich bloß bärbeißig den Evakuierungsplan an der gegenüberliegenden Wand anschmolle, obgleich es vermutlich nur wenige Wimpernschläge sind. Ein Schwall aufgestaute Luft bringt meine Nasenflügel zum Erbeben. "Na gut, aber wer zuletzt oben ist, ist 'ne lahme Ente!" Ich bin mir ziemlich sicher, dass Kaoru meine Flunsch nicht entgangen ist, trotzdem lässt er sich davon nichts anmerken. Stattdessen erklingt erneut sein Lachen, dieses Mal in Form eines matten Glucksens. "Verstanden..." Unbeirrt stapfe ich schnellen Schrittes an ihm vorbei die Treppe hoch, dabei immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend. Die Plastikverpackung des Schokoriegels knistert in meinem Griff. Nachdem wir die Stockwerke unbehaglich schweigend erklommen haben und fast oben angekommen sind, erhebt Kaoru dicht hinter mir leicht aus der Puste plötzlich die Stimme. "Ich weiß, dass ist jetzt kein sonderlich guter Augenblick dafür", beginnt er, "aber ich muss dir unbedingt was sagen." "Wenn es Ausreden oder Entschuldigungen sind, will ich es nicht hören." "Das zwischen uns, das geht nur uns beide was an." Meine Schritte werden langsamer. Ich zögere. Dann bleibe ich doch stehen und drehe mich zu ihm um. Am liebsten würde ich sofort lospoltern, was zum Kuckuck er damit meint, aber er kommt mir zuvor, ehe ich Luft holen kann. "Hör zu." Er steht zwei Stufen unter mir, blickt mit seinen tiefschwarzen Augen zu mir herauf. Ich bin verunsichert, warte darauf, dass er weiterspricht. "Was ich gestern getan habe..." "Ich verstehe nicht-?" "Können wir uns darüber unterhalten, wenn wir alleine sind?" "Wir... sind gerade allein." Mit skeptisch hochgezogener Augenbraue blickt Kaoru über seine Schulter und im Treppenhaus herum, während durch die geschlossene Feuerschutztür des Stockwerks unter uns gedämpftes Teenagergejohle zu uns hinauf dringt. "Ich meine wirklich allein." "Und warum fängst du dann ausgerechnet damit an, wenn wir im Treppenhaus stehen?" "Weil ich es dir heute Morgen nicht sagen konnte. Und ich es dir gleich, wenn wir wieder stundenlang im Bus sitzen, auch nicht mehr sagen kann. Also... Können wir später reden? Unter vier Augen. Alleine. Vielleicht in meinem Hotelzimmer?" Der giftige Gedankencocktail in meinem Kopf beginnt sich erneut zu einem reißenden Strudel zu formen. Wie mechanisch antworte ich: "Okay." "Kannst du solange warten?" Kann ich solange warten, fragt der mich... Ich warte schon so lange auf diesen Zug, der nicht ankommen will, dass ich das Gefühl habe von Anfang an am falschen Bahnhof gestanden zu haben. "Kaoru... Ich hab es satt, dass wir uns andauernd an die Köpfe kriegen." "Ich auch." Da ist sie wieder. Diese Anspannung zwischen uns. Und ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Am liebsten würde ich ihn erwürgen. Am liebsten würde ich ihn umarmen. Am liebsten würde ich ihn so fest umarmen, dass ich ihn erwürge. So voller Wut, so voller Sehnsucht nach ihm bin ich. Stattdessen bringe ich mal wieder nichts Vernünftiges hervor, murre bloß kleinlaut die Kitschtapete neben mir an: "Dann ist ja gut..." Als mir kurz darauf der scharfe Geruch von Kaorus Rasierwasser in der Nase kitzelt und ich meinen Blick wieder von ihr löse, sehe ich gerade noch Kaoru lässig an mir vorbeitigern. Erneut mit diesen gekräuselten Lippen. Dichter an mir als am Geländer. Für den Bruchteil einer Sekunde streift sein Handrücken den meinen. "Na, dann komm. Oder willst du ein lahmer Esel sein?" Wie eine zu eng gewordene Maske platzt der düstere Ausdruck mit ohrenbetäubendem Scheppern von meinem Gesicht. "Eine Ente! Eine lahme Ente hab ich gesagt!" "Tatsächlich? Aber für mich siehst du viel mehr nach einem Esel a-" Was tun meine Hände da? Warum gehorchen sie meinem Körper nicht? Ich greife nach seinem schmalen Handgelenk, erwische es ohne Mühe und ziehe es zu mir heran, ihn zu mir herum. Er, der nun eine Stufe über mir steht. Er, der nun auf Augenhöhe mit mir ist. Er, dessen warme Haut von meiner Handfläche umschlossen wird. Er, dessen Pupillen sich vor Schreck kaum merklich weiten, dessen Lippen sich einen Spalt öffnen, dem für einen Moment das süffisante Lächeln entglitten ist. Er, der mich Esel nennt. Ich stopfe ihm den Schokoriegel in seine verflucht weiche Hand, remple ihn mit der Schulter beiseite und dränge mich an ihm vorbei die Treppe hoch, sanft - will ja nicht, dass er mir gleich wie ein spiddeliger Ast in zwei Teile zerbricht - und stratze die letzten Stufen zu unserem Stockwerk hoch, wo ich die Tür in den Flur aufstoße und mich schwungvoll nochmal zu ihm umdrehe. "Quak quak, Kaoru." Frech stecke ich ihm die Zunge raus, während er immer noch stocksteif, den Schokoriegel haltend, unten steht und zu mit heraufgafft. Ich hätte ihn gerade auch küssen können. Ich hoffe, er weiß das. ____________ To be (or not to be) continued. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)