Mondtanzritual von Lady_of_D (Summoners return) ================================================================================ Kapitel 1: Magician's Left Hand ------------------------------- "Ein Gewitter zieht auf", Chikaraga sieht in den Himmel. Ein paar flauschige Wolken haben sich dazugesellt - nichts Ungewöhnliches für einen Herbstmorgen. Doch meine Freundin weiß es besser. Auch wenn sie eine Prophezeiungsmagierin in Ausbildung ist, liegt es bereits in ihrer Natur, unmittelbare Veränderungen wahrzunehmen. Sobald Chikaragas Fähigkeiten einsetzen, verändert sich ihr Blick. Aus der mädchenhaften jungen Frau mit den blauen Augen und der orange-roten wuscheligen Mähne, die ihr bis zu den Schultern geht, wird schlagartig die ernste Magierin. Ihre Kräfte sind von Beginn an dazu bestimmt, zu wachsen und zu einer Macht heran zu reifen, die ihr eines Tages die Position ihres Vaters zuteil werden lassen wird. Als Mitglied des Prophezeiungszirkels wird sie bald die Zukunft wahren und schützen. Das ist ihr Schicksal. Derweil klammere ich mich an meine Tasche und sehe auf die Straße. Chikaragas Bus sollte in wenigen Minuten eintreffen. "Was hast du heute vor?", frage ich sie. Chikaraga seufzt: "Lernen. Vater sagt, ich soll in die städtische Bibliothek gehen und mir Allgemeinwissen aneignen. Als ob mir das irgendwie weiterhilft." Sie tritt einen Stein beiseite, dass er direkt auf der Straße landet. Ich sehe dem runden grauen Gegenstand hinterher. "Dein Vater wird sich sicherlich etwas dabei denken." "Der will mich doch nur foltern. Meint, ich nehme meine Rolle nicht ernst genug." Sie zieht einen Schmollmund. Einmal habe ich Chikaraga in die Akademie begleiten dürfen. Natürlich nicht bis in die Lehrhallen! Dies ist meinem Stand nicht würdig. Das heißt: ich bin es nicht würdig. Ich bin eine Magidoll. Von den niederen Ständen gehöre ich zu dem Prestigeträchtigsten. Mein Schicksal liegt darin, auf meinen Meisterhexer zu warten. Das sind Magier höchsten Ranges, welche die Macht besitzen, über die Elemente zu herrschen und die Zauber der Welt zu erlernen. Sie unterteilen sich in Hexer des Lichts und der Finsternis. Wobei keines der beiden Attribute preisgibt, auf wessen Seite sie stehen. Die Wahl haben sie selbst zu treffen. Um ihre Macht vollständig bündeln und entfalten zu können, gibt es Magidolls wie mich. Jede ist mit einer eigenen Fähigkeit geboren, die nur zu Tage tritt, wenn sie von ihrem Meisterhexer gefunden und aufgenommen wird. Es liegt in der Natur des Meisterhexers sich von seiner Magidoll angezogen zu fühlen, so wie die ihre darin liegt, sich allein auf Grund seiner Existenz lebendig zu fühlen. Der Bus fährt in die Haltebucht. Er gibt ein eisiges Quietschen von sich, dass sich Chikaraga beide Ohren zuhält. "Brauchst du noch etwas?" fragt sie mich und deutet dabei auf ihre Umhängetasche. Ich schüttle dankend den Kopf. "Mein Bus kommt auch gleich, und danach habe ich ja keinen großen Weg zu laufen. Behalt` ruhig deinen Schirm. Du wirst ihn selbst brauchen." Ich lächle sie an, dass Chikaraga zurück lächelt und mir zum Abschied winkt, als sie bereits im Bus sitzt und dieser sich in Bewegung setzt. Aus der Ferne dröhnt ein Donnerschlag. Was für ein Timing. In Sekundenschnelle hat sich der Himmel in Grau gehüllt, kühler Wind bläst mir durch die leichte Kapuzenjacke. Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet und der Wettervorhersage glaube ich nach dem letzten Sommer auch nicht mehr. Diese hatte jede Woche aufs Neue eine Kaltfront beschworen. Aber nichts dergleichen war passiert. Nun steigen die ersten Tropfen vom Himmel. Einer fällt mir direkt auf das Haupt. Wenigstens ist mein Bus pünktlich und lässt mich ins Trockene, bevor der Platzregen einsetzt. "Die Fahrkarte, Magidoll", raunt mich der Busfahrer an. Stumm hole ich meine Karte aus der Jackentasche und setze mich ebenso wortlos in die hinterste Reihe. Magidolls haben alle etwas gemeinsam: Unsere türkisfarbenen großen Augen sind unverkennbar. Einige behaupten, sie haben etwas Leeres oder gar Seelenloses. Dass sie im Geheimen darüber sprechen, ist keine Neuigkeit. Dass sie es offen aussprechen, liegt daran, dass eine Magidoll ohne ihren Meister nichts Wert ist. Und solange sie keinem Meister zugehörig ist, kann man sie behandeln wie einem beliebt. Die Hände auf den Schoß gelegt, beobachte ich die riesigen Regentropfen, die an die Fensterscheibe klatschen. Wie Trommelschläge hämmert der Klang in meine Ohren. Ich habe so meine Zweifel, ob ich die hundert Meter bis zum Cafè trocken überstehen werde. Der Bus hält an der Kreuzung zum Unterhaltungsviertel. Ich steige aus und spüre wie der Regen durch meine Stiefeletten hindurch sickert. Meine Beine setzen sich in Bewegung, schnell renne ich auf die andere Straßenseite. Ich nehme die Seitentür des Little Maid und betrete den Personalbereich des Cafés. "Kiku!", winkt mir Sakura zu, die soeben an Tisch zehn eine Bestellung aufgenommen hat. Die tollpatschige Blondine kommt mit einem Handtuch herbeigeeilt. Ein dickes Grinsen hängt an ihrem Mondgesicht. "Du wirst nicht glauben, wer hier ist", aufgeregt hüpft sie umher. Vorsichtig rubbel ich mir die Haare trocken, bevor ich mir die Bluse meiner Uniform zuknöpfe. Wie es der Name des Cafés offenbart, sind die Outfits der Mitarbeiter in kostümierter Mädchenbekleidung ganz und gar einer Maid nachempfunden. Unsere ballonartigen Röcke mit rosé-weißer Spitze bedecken geradeso unsere Oberschenkel und die rosa gestreiften Blusen sind eher auf den üppigen Vorbau einer Frau zugeschnitten. Mir ist es ehrlich gesagt egal, wie ich aussehe... oder was ich tue. Als ich den Job als Kellnerin angenommen habe, war ich kaum volljährig. Nachdem aus meinem Zuhause keines der Magidolls übrig geblieben war, da eine nach der anderen von ihrem Meister gefunden wurde, verließ ich das Heimatdorf und zog in die Hauptstadt, suchte mir eine kleine Wohnung und besorgte mir einen Job, wie es die Leute ohne besondere Fähigkeiten taten. "Ein Meisterhexer sitzt in unserem Café. Kannst du dir vorstellen, wie der Chef aus dem Häuschen ist", piepst Sakura. Ich halte inne. "Woher weißt du das", flüstere ich und zupfe mir den Rock zurecht. Sakura tritt näher an mich heran und flüsterte mir ins Ohr: "Ich kann sein Zeichen am Nacken sehen." Mit dem linken Zeigefinger deutet sie auf den äußersten Tisch. Erst jetzt fällt mir auf, dass das Little Maid bis auf den letzten Tisch ausgebucht ist. Dort am äußeren Tisch, von dem man eine gute Sicht auf den Biergarten und seine Kirschbäume hat, sitzt er. Ich kann sein Profil ausmachen: Dunkelbraunes Haar, dessen Pony leicht über die Augen geht. Leicht fransig fällt es ihm ins Gesicht. Seine Augen scheinen aus der Ferne dunkel (was auch an der schlechten Beleuchtung des Little Maid liegen könnte). Er sieht aus dem Fenster, die Hände stützen das Kinn, die Ellenbogen sind auf dem Tisch. Sein weißes Hemd hat er an den Armen hochgekrempelt, dass man seine dunklen Härchen sehen kann. Der oberste Knopf scheint nicht zugeknöpft, dass man freie Sicht auf seinen Nacken hat. Da ist es. Auf der rechten Seite ragt es aus dem Schulterblatt hervor: Ein lilafarbenes Zeichen in Magierschrift verfasst. Ich verstehe weder die Sprache, noch kann ich die Zeichen lesen, aber die tief eingeritzten Linien geben keinen Zweifel. Er ist ein Meisterhexer. "Du hast Recht", bestätige ich das Unübersehbare. Sakura grinst mich an. "Und?", sie zieht das Wort wie eine Endlosschleife, "könnte das dein Meisterhexer sein?" Perplex sehe ich sie an. Also darum diese Aufregung. "Na das kann doch gut möglich sein", sie stemmt die Hände in die Hüften, "warum sollte jemand wie er in so ein Café kommen. Ganz ehrlich. Da gibt es doch weitaus Bessere. Und bisher hat sich noch keiner von denen bei uns verirrt." Natürlich hat sie nicht unrecht. Es ist mehr als sonderbar, dass eine derart angesehene Person dieses Café besucht. Ich muss auch zugeben, dass mein Puls in die Höhe geschossen ist; ein natürlicher Instinkt meinerseits. Ein weiteres Mal sehe ich zu dem jungen Hexenmeister, der sich seitdem nicht von der Stelle gerührt hat. "Was macht ihr zwei da hinten?!", unser Chef kommt brüllend in den Personalbereich. Sein Melonenkopf nimmt eine glühende Farbe an. Wir verneigen uns entschuldigend und eilen an ihm vorbei. Ich nehme Stift und Papier zur Hand und bediene die Tische zwanzig bis vierzig. An den Wochentagen teilen Sakura und ich die Tische untereinander auf. Wir sind die einzigen Kellnerinnen des Little Maids - außer an den Wochenenden und Feiertagen, an denen eine Oberschülerin als Hilfskraft ihr Taschengeld aufbessert. Der Chef steht in der Regel hinterm Tresen, schenkt die Getränke aus und kümmert sich ab und an um das Geschirr, wenn es ihm in den Kram passt. Mir fällt auf, dass die Kunden ebenfalls aufgeregt in Richtung des Ehrengastes blicken. Unenentwegt huschen Augenpaare zu dem Meisterhexer, der von all dem nichts mitzubekommen scheint. Einige tuscheln. Die Mädchen kichern. "Hey, Magidoll", ruft mich ein männlicher Gast. Er schnippt mit dem Finger, während der andere Arm um dessen Freundin gelegt ist. Sein Blick ist herablassend und selbstgefällig. "Der Tisch ist dreckig." Ich komme an den Tisch, kann aber nichts dergleichen erkennen. "Verzeihen Sie, Sir, aber ich kann keine schmutzige Stelle finden." "Dann musst du blind sein", entgegnet er und kippt das halbleere Colaglas vor sich um. Die Zuckerflüssigkeit verteilt sich auf den gesamten Tisch und tropft den Rand hinunter. Ich zücke ein trockenes Wischtuch aus der Tasche meiner Schürze und sauge zunächst die Cola aus dem Tisch heraus. Es ist schließlich nicht so, als ob so etwas das erste Mal passiert. Als ich mich hinknie und den Boden reinige, kann ich einen Blick auf den Meisterhexer erhaschen. Er nippt an seinen Kaffee und starrt weiterhin aus dem Fenster. Aus dieser Position sehe ich ihn noch besser und auf einmal kommt es mir so vor, als hätte ich ihn schon einmal gesehen. "Seid ihr immer so langsam?", blafft mich der Gast an, während sich seine Freundin noch enger an ihn schmiegt. "Es ist gleich erledigt, Sir." Ich sammle die Tücher ein und erhebe mich. Mit einer tiefen Verbeugung entferne ich mich von Tisch einundzwanzig und werfe die Tücher in den Müll. Beim Vorbeilaufen streicht mir Sakura über den Innenarm. Mit einer weiteren Handbewegung deutet sie darauf hin, in der nächsten freien Minute mit mir sprechen zu wollen. Aber so bald scheint das nicht der Fall zu sein. Das Stimmengewirr der Leute wird immer undeutlicher. Für kurze Zeit fühle ich mich wie in einer Bahnhofshalle, nur der Zettel in der einen und der Stift in der anderen Hand erinnern mich daran, dass ich meine Arbeit zu erledigen habe. Noch nie musste ich derart zügig den Bestellungen nachgehen. Zwischendrin werde ich immer wieder gefragt, ob der Mann am Fensterplatz hier öfter vorbeischaut. Mein Drang zur Ehrlichkeit beschert mir ein paar unbefriedigte und enttäuschte Gesichter. "Irgendwie scheint der Kerl versteinert zu sein", schmollt Sakura, als wir beide vor der Kaffeemaschine stehen und den aufdampfenden Milchschaum dabei beobachten, wie er in das hohe Glas fließt. "Ich dachte wirklich, er sein wegen dir hergekommen." "Ich weiß, dass er nicht mein Meister sein kann", ich nehme den Latte Macchiato aus der Maschine und stelle einen neuen Pott hinein, "als ich ihn richtig sehen konnte, hatte ich das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben." "Und?" "Das war vor ein paar Monaten. Nicht weit von meinem Zuhause. Er stand an der Ampel. Nichts Besonderes." "Und dann?", Sakura füllt neue Kaffeebohnen in den Behälter - völlig unnötig. "Ich stellte mich neben ihn und wartete, dass es grün wird. Die Ampel schaltete um, er ging." "Das war's?!", ruft die Blondine, dass ich ihr den Mund zuhalte. Einige sehen in unsere Richtung. Der Chef funkelt uns finster an. Ich nehme zügig die beiden Bestellungen zur Hand und eile an den Tisch, der direkt hinter dem des Meisterhexers ist. Ich sehe, wie sich sein Gesicht in der Scheibe spiegelt, dass ich mir für einen Moment einbilden kann, seine Augen sehen mich an. Nicht seufzen, ermahne ich mich und stelle die Gläser vor die Kunden. Mein Gesicht fühlt sich heiß an; ich möchte mich jetzt nicht im Spiegel betrachten. In dem Moment steckt er die rechte Hand in die Jeanstasche und kramt einen Schein heraus. Er legt ihn auf den Tisch - neben seine Kaffeetasse - und erhebt sich. Wortlos verlässt er das Little Maid und ich fühle mich an den Tag zurückversetzt, als er einfach über die Straße an mir vorbeigelaufen ist und meinen letzten Funken Hoffnung mit sich gezogen hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)