Now You See Me von Morwen (Thor & Loki) ================================================================================ Als Thor seinen Bruder das nächste Mal wiedersah, war es an einem Ort, an dem er definitiv nicht mit ihm gerechnet hatte. Es war ein kühler, aber sonniger Nachmittag im Spätherbst, und Thor hatte sich auf einen gemütlichen Spaziergang mit Jane durch die Innenstadt von San Francisco gefreut. Obwohl sie schon vor längerer Zeit in Freundschaft auseinandergegangen waren, hatten sie doch noch immer Kontakt zueinander, und als Jane, die mittlerweile an der Westküste arbeitete, ihn über das Wochenende zum Sightseeing eingeladen hatte, hatte er nicht nein gesagt. Loki war seit dem Kampf im Central Park verschollen und Thor sehnte sich nach Ablenkung. Als Janes Anruf gekommen war, hatte er darum nicht lange gezögert und sich unverzüglich auf den Weg gemacht. Zwei Stunden nach seiner Ankunft in San Francisco bekam er einen Anruf aus dem Avengers-Hauptquartier. „Uhm“, machte Steve, was nie ein gutes Zeichen war. Thor seufzte. So viel zu dem Spaziergang. „Was ist es dieses Mal?“ „Es sieht aus, als hätte eine uns bislang unbekannte Alienspezies weite Teile der Menschheit unterwandert“, berichtete Steve. „Fury hielt es anscheinend für eine gute Idee, bis zum denkbar letzten Moment zu warten, um uns darüber in Kenntnis zu setzen, und heute ist der Tag, an dem der Feind kollektiv zuschlagen wird, insbesondere in den Großstädten. Ich habe den Rest des Teams so gut es geht über das Land verteilt, aber es wird knapp werden. Halte dich bereit und sei auf der Hut. Sie können aussehen wie jeder von uns.“ Thor starrte das Telefon noch für eine halbe Minute an, nachdem Steve sich schon längst verabschiedet hatte, bevor er es kopfschüttelnd wieder weglegte. „Thor? Dein Gesichtsausdruck macht mir Sorgen“, sagte Jane, als er zu ihr ins Wohnzimmer zurückkehrte. „Womit haben wir es nun schon wieder zu tun?“ „Mit einer Kriegerrasse aus dem All, die die Menschheit infiltriert hat“, erwiderte Thor. „Offenbar nennen sie sich Skrull.“ „Okay“, sagte Jane und fuhr sich seufzend mit den Fingern durch die Haare. „Ich geh dann mal meine Stiefel anziehen und den Taser aus dem Schlafzimmer holen.“ Thor schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Plötzlich wusste er wieder, warum er sie geliebt hatte.   Unter anderen Umständen hätte die Golden Gate Bridge einen malerischen Hintergrund abgegeben, nicht jedoch, wenn sich San Francisco in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Steve hatte nicht gelogen – sie konnten in der Tat wie jeder aussehen, und sie waren wahnsinnig stark. Die menschliche Bevölkerung hatte kaum eine Chance. Oder hätte kaum eine Chance gehabt, wäre die Anzahl von Skrulls im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung nicht so gering gewesen, dass sich die Kämpfe auf ein knappes Dutzend Schlachtfelder innerhalb der Stadt beschränkten. Doch trotz ihrer geringen Menge war der Schaden, den sie anrichteten, immer noch enorm, und Thor und Jane hatten alle Hände voll zu tun, ihn zu begrenzen. „Geh nur!“, rief Jane ihm schließlich zu, in einer Hand ihren Taser, in der anderen eine Leuchtpistole. „Wenn wir uns aufteilen, schaffen wir mehr!“ „Bist du dir sicher?“, fragte Thor besorgt. „Der Feind könnte überall lauern.“ „Wir haben diesen Planeten schon beschützt, bevor du hier aufgetaucht bist“, entgegnete Jane sanft und legte eine Hand an seine Wange. „Wir werden schon zurechtkommen.“ Sie umarmte ihn kurz. „Bis später!“, rief sie dann und lief los. Thor sah ihr für einen Moment nach. Er wusste, dass sie Recht hatte, und dass sie kompetent genug war, sich zu verteidigen. Es war nicht länger seine Aufgabe, sie zu beschützen, sondern darauf zu vertrauen, dass sie es auch selbst tun konnte. Thor traf seine Entscheidung. Dann wandte er sich ab und begab sich auf das nächste Schlachtfeld.   Er hatte gerade ein Dutzend halbwüchsiger Skrulls auf einem der öffentlichen Spielplätze außer Gefecht gesetzt und war zum nächsten Einsatzort unterwegs, als er einen kalten Hauch im Nacken spürte. Thor konnte sich gerade rechtzeitig ducken, bevor ein Speer aus Eis über ihn hinwegflog, der ihn durchbohrt hätte, hätte er auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu spät reagiert. „Clever“, hörte er die vertraute Stimme seines Bruders. Eine Mischung aus Verachtung und kaum unterdrückter Wut schwang in ihr mit. „Das Aussehen eines Avengers anzunehmen, um das Vertrauen der Bevölkerung zu erringen...“ „Loki?!“ Thor fuhr herum – und tatsächlich. Sein Bruder stand vor ihm, die Arme vor der Brust verschränkt und wie immer tadellos in einen schwarzen Anzug gekleidet. „Was tust du hier?“ „Dasselbe könnte ich dich fragen, Skrull-Abschaum!“ Loki streckte die Hand aus und eine weitere Lanze aus Eis begann sich darin zu materialisieren. „Wie kannst du es wagen, dich für einen Prinzen von Asgard auszugeben?“ „Moment mal – Prinz?“ Trotz der drohenden Geste seines Bruders musste Thor plötzlich die Stirn runzeln. „Soweit ich weiß, bin ich immer noch König!“ „Wo kein Volk ist, da ist auch kein König“, erwiderte Loki kühl. Doch Thors Worte ließen ihn innehalten. Misstrauisch zog er die Augenbrauen zusammen. „Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit sagst? Welchen Grund hätte Thor, allein nach San Francisco zu kommen?“ „Auch Avengers machen Urlaub, Bruder“, sagte Thor und lächelte schief, froh darüber, dass Loki ihn zumindest für den Moment nicht länger umbringen wollte. „Ist das so“, entgegnete Loki und richtete die Lanze auf seine Kehle. Eilig ließ Thor Sturmbrecher fallen und hob seine Hände. „Wenn du tatsächlich mein Bruder bist, und nicht nur ein Betrüger, der sein Gesicht trägt, dann erzähl mir etwas, was nur er wissen kann!“ Etwas, was nur Loki und ihm bekannt war...? Thor konnte auf mehr als tausend Jahre zurückblicken, die sie Seite an Seite verbracht hatten. Er musste darum nicht lange überlegen, bis ihm etwas einfiel. „Wir waren kaum vierhundert Jahre alt“, erzählte er und sah Loki ruhig in die Augen, „und spielten gemeinsam in dem wilden Garten vor den Toren der Stadt. Ich hatte über Wochen hinweg mehrere Gruben gegraben, um einen Eber zu fangen, obwohl es in dem Teil des Gartens keine wilden Tiere gab, wie du nicht müde wurdest zu betonen. Aber ich wollte nicht auf dich hören, und so hast du dir einen Spaß daraus gemacht, die Gruben mit Illusionen zu verbergen. Als wir uns auf den Heimweg machten, fiel ich in eine der Gruben, die du getarnt hattest, und brach mir den Arm. Du hast dich so erschrocken, dass du geweint hast, bevor du mich wieder herausgezogen und auf dem Rücken zurück zum Palast getragen hast.“ Loki sah ihn aus großen Augen an. Dann ließ er die Lanze langsam wieder sinken. „Ich erinnere mich“, sagte er leise. „Ich hatte solche Angst vor der Reaktion unserer Eltern... doch Vater schüttelte nur den Kopf und Mutter nahm uns in die Arme, bevor sie dich zu den Heilern brachte. Ich habe mir lange Zeit nicht dafür verzeihen können, dass mein Streich dir Schmerzen bereitet hat.“ „Loki, du warst damals wie heute mein Bruder und mein bester Freund“, erwiderte Thor und lächelte. „Und damals wie heute habe ich dir nie Vorwürfe deswegen gemacht.“ Die Waffe in Lokis Hand begann zu schmelzen und er ließ ihre Überreste achtlos zu Boden fallen. „... du bist es wirklich“, sagte Loki mit einem Anflug von Erstaunen. Dann weiteten sich seine Augen mit einem Mal vor Entsetzen. „Und ich hätte dich fast durchbohrt...!“ Thor rieb sich verlegen den Nacken. „Schon vergessen“, meinte er. „Außerdem wäre es nicht das erste Mal gewesen...“ Loki machte eine halb betroffene, halb vorwurfsvolle Miene bei diesen Worten, doch um seine Mundwinkel spielte ein Lächeln. „Nun, was nicht ist, kann noch werden“, drohte er, doch sein spöttischer Tonfall machte Thor klar, dass er es nicht ernst meinte. Stattdessen nickte er hinüber zu der geschmolzenen Lanze. „Du hast weiter mit deinen Kräften experimentiert, sehe ich.“ Loki zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. „Ich dachte mir, wenn ich sie schon habe, sollte ich sie auch sinnvoll nutzen.“ Thor nickte. Dann verzog sich sein Mund zu einem Grinsen. „Es wäre mir eine Ehre, Bruder, würdest du sie mir im Kampf demonstrieren“, sagte er und richtete den Blick auf eine Reihe von Feuern, die nur wenige Straßenzüge weiter brannten. Schreie und Schüsse machten deutlich, dass dort heftig gekämpft wurde. Lokis Augen begannen zu funkeln, als sie seinem Blick folgten. „Oh“, erwiderte er, „die Ehre wäre ganz meinerseits...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)