[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 1: Vol. 1 - "Hinedere" Arc: Die Welt, in der ich lebe. -------------------------------------------------------------- Eine Schicht aus Eis ummantelt meine Knochen. Das ist, wie es sich anfühlt. Nichts als Kälte umgibt mich und gleichzeitig verbrenne ich. Ich spüre mich schwer nach Luft ringen. Meine Lungen bersten dabei fast. Schweiß läuft meine Schläfe hinab, in meinem Hals herrscht nichts als staubtrockene Dürre. Mein Kopf schmerzt unerträglich und mir ist, als müsste ich mich übergeben. In absoluter Aufruhr schlägt mein Herz so schnell, dass ich befürchte, es überschlägt sich sogleich.   Absturz, Absturz, Absturz!   Beim kopflosen Versuch, nach Tabletten zu greifen, werfe ich den mundtoten Wecker zu Boden und die Tablettenpackung gleich mit.   Zu früh, zu erbärmlich, zu unbefriedigend!   Das Gesicht immer noch in der einen Hand vergraben, suche ich den Boden mit der anderen nach den Tabletten ab.   Nicht so! Nicht jetzt! Er darf so nicht sterben!   Die Packung erfolgreich in meiner Hand spürend, hole ich sie hervor, richte mich auf und nehme welche.   Vorsichtig entfaltet die Wirkung ihren Zauber und der Körper entspannt sich wieder. Alles sieht wieder so aus, wie man es in Ordnung nennt.   Wie viele das sind, weiß ich nicht genau, aber solange die Zahl nicht im zweistelligen Bereich liegt, wird der seltsame Junge vermutlich noch unter ihnen weilen.   Sein Leben wurde erneut verlängert. Wäre das eben jetzt das Ende gewesen, hätten meine Schmerzen auch auf diese Weise ihr Ende gefunden. So, wie ich ihn gerade gerettet habe, habe ich meine Schmerzen auf eine Weise beendet, die auch weiterhin meine Effizienz erfordert.   Die furchtbare Unordnung in meinem Innern legt sich etwas und ich fühle mich wieder so, wie ich mich immer fühle. Mein bis in über beide Ohren schlagendes Herz lässt sich weniger unerträglich ertragen und der Geruch von Schweiß und Tränenflüssigkeit versichert mir, dass ich auch dieses Mal nicht versagt habe.   “Netter Versuch, Alter, fast hättest du mich. Wäre das eben auch nur einen einzigen verdammten Deut schlimmer gewesen, wäre das hier wirklich das Ende gewesen.”, flüstere ich leise zu mir selbst, wissend dass jemand zuhört und hämisch über mich lacht.   Dieser Schlaf war hundsmiserabel, unterirdisch, um mal ganz genau zu sein. Es war schon wieder einer Träume. Träume, die eigentlich überhaupt keine sind. Einbruch in meinen Seelenfrieden, auflauernde Patrouille, Heimsuchung, nenn es, wie du willst. Vorkommnisse wie diese sind reines Gift für jemanden wie mich. Für jemanden wie mich, der in dieser Welt niemals vorgesehen war zu existieren. Die damit einhergehende Erschöpfung, die ich aus diesem Dasein heraus empfinde, wird dadurch zu einer herzzerreißenden Last, mit der zu leben ich nicht stark genug bin. Warum ich ich so komisch betont habe? Weil vom Jungen, der da liegt, nur das Fleisch übrig ist und ich als Parasit nach zwei Jahren endgültig aufgegeben habe, das zu bekommen, was diesen Menschen von mir unterscheidet. Es vergeht kein Tag, an dem mir das nicht bewusst ist und es vergehen noch weniger Tage, an denen ich nicht mein Bestes gebe, trotz dieser Tatsache. Ich sehe aus dem Fenster und streiche eine verklebte Strähne aus dem Gesicht.   “Die Sonne scheint, das Aquarium ist sauber.¹”, murmle ich belanglos vor mich hin, einfach, weil ich es kann.   Ebenso belanglos schaue ich zu mir herab, wie ich da verschwitzt und ekelerregend verweile wie ausgeschissen.    “Aber ich bin es nicht.”, seufze ich, zwinge mich aus den Federn und mache mich auf den Weg in die Dusche.   Ich lebe und tue so, als wenn es weder die Narbe, die mich ziert, noch die Amnesie, noch die zusammenhangslosen Sequenzen aus meinem vermeintlichen Leben, je gegeben hätte.   Ich ziehe mich aus, schließe die Glastür hinter mir und gebe mich dem eiskalten Wasser hin. Ein erschrockenes Quietschen entfährt mir, aber schlussendlich ertrage den Kälteschock "wie ein Mann".  Ich habe mal im Fernsehen gehört, wie das jemand sagt.  Wie immer gewöhne ich mich langsam an die gnadenlose Temperatur und fange an, sie zu genießen.  Das kalte Wasser entfacht seine Wirkung.  Es erfasst meine Haut, wäscht den Schweiß von ihr und taut mich aus dem Schlaf aus. Ich schließe die Augen und seufze. In der Dusche, nass, nackt und verletzlich die Augen zu schließen, fühlt sich auf eine verstörende Art gut an. Ich spüre, wie ich wach werde und mein Kreislauf angekurbelt wird. Es ist wieder einer der Momente, in denen ich die Existenz in ihrer vollen Heftigkeit spüre. Die neutrale Temperatur des Boden unter meinen Füßen. Die kalten Wandfliesen hinter meinem Rücken.  Das Blut, dass in seinen alltäglichen Stundenkilometern durch meinen Körper schießt. Als wäre allein das Haften von Fleisch auf Knochen schon eine Schwerstarbeit. Ich werde wach. System fährt hoch. Dies kann einige Minuten dauern. Dann öffne ich die Augen und drehe das Wasser ab.  Ich bin wach. Ich bin startklar. Auf einen weiteren weiteren effizienten Tag.   Bereit, mich der Außenwelt aufs Neue auszusetzen, steige ich aus der Dusche und begegne dem Gesicht im Spiegel. Ich putze die Zähne, kämme die Haare und trage Deo auf. Schließlich wische ich die letzten Reste Zahnpasta aus diesem Gesicht und finde, dass ich so unter die Leute treten kann. Die Morgenhygiene ist wichtig für Menschen, die unter andere Menschen treten.  Alles erledigt verlasse ich die Wohnung.  Gefrühstückt habe ich nicht. Ich werde mir wohl unterwegs was holen müssen.  Als ich draußen bin, checke ich seine Nachrichten im Gehen. Eine Sprachnachricht vom Bruder des Jungen. Sogar noch brandneu.   "Morgen, Bruder, sorry, dass ich dich nicht wecken konnte, die Party von Hide ging irgendwie länger als wir erwartet haben und dann war da das Bier, ich bin eingeschlafen und... Du kennst die Geschichte, ich habe es gestern nicht nicht Hause geschafft. Muss zur Uni, bye!",   Über diese Sprachnachricht kann ich nur den Kopf schütteln. Welcher Vollpfosten geht denn bitte feiern und lässt sich volllaufen, wenn er am Morgen darauf wieder früh raus muss? Ach ja, dieser Kerl. Irrationaler Vollidiot, denke ich und folge dem unsichtbaren Pfeil, der mich zur Schule bringt.   ***   Bei der Kreuzung treffe ich, wie auch an fast jedem anderen Schultag auf die zierliche, blonde Schönheit, die meinen Schulweg ein Stück weit teilt. Hanako Hanazawa, man kennt sich und man kennt sich auch nicht. Als sie mich sieht, funkelt sie mich wie immer kurz böse an, ehe sie wieder so tut als wäre ich nicht da. Da gibt es kein “Hallo.” oder “Guten Tag.”, wir fragen einander auch nicht, wie gut oder schlecht wir jeweils geschlafen haben. Wir sprechen nicht besonders viel oder vertraut miteinander. Weder sie noch ich haben ein besonders großes Bedürfnis dazu. Aber sie erweckt heute irgendwie einen besonders wütenden Eindruck, weswegen ich frage:   “Und, wie waren deine Ferien so?”,   “Was interessiert es dich?”,   “Der Punkt geht an dich.”,   Stille. Es wäre sinnvoll, an der Stelle zu erwidern, dass sie "mich" nicht besonders mag. Was nicht besonders tragisch ist, weil ich sie auch nicht besonders mag. Sie ist hübsch, mehr Nettes kann ich über sie nicht sagen. Zickig, herablassend und eingebildet zu sein, wirkt nicht gerade anziehend und trotzdem hört sie einfach nicht damit auf. Es ist ja nicht so, als hätte ich ihr irgendwas angetan oder so. Ich kann Tsundere² nicht ausstehen.   “Kyokei-chan³! Hanazawa-san⁴!”, höre ich den Softie unserer Gruppe nach uns schreien, als er und die anderen zwei der Gang auf uns stoßen. Shuichiro Fujisawa, ein guter Freund des Jungen. Das Küken unserer Gang.   “Guten Morgen, Fujisawa-kun.⁵”, begrüßt sie ihn und sieht viel freundlicher aus als wenn sie mit mir spricht.   “Kyokei-san, du kannst ja immer noch keine Krawatten anständig binden.”, macht sich der Schlaue von uns sanft über mich lustig. Kaishi Kazukawa, ebenfalls ein guter Freund des Jungen. Der Vernünftige in unserer Gang.   “Ich gab mein Bestes.”, kontere ich.   “Ach, Kyocchi⁶, da gibt es Wichtigeres. Wie zum Beispiel, endlich mit der süßen Hanazawa auszugehen!”, macht sich der Idiot von einem Sozusagen-Anführers bemerkbar. Akira Egaoshita, erklärte sich selbst zum besten Freund des Jungen. Der unabdingbare Idiot in unserer Gang.   “Du spinnst ja wohl komplett, Egaoshita-kun! Was soll ich denn mit so einem?!”, schimpft das Mädchen und wird rot.   “Ach, komm schon, habt euch nicht so, wir sind jetzt im dritten Jahr der Oberschule. Da könntet ihr ruhig ein bisschen lustiger drauf sein.”,   “Wie schon gesagt, da läuft nichts zwischen uns!”, lasse ich ihn nur geringfügig strenger wissen, während Hanazawa, wie es ihrer Art entspricht, es förmlich ausspuckt.   “Ich fände es nicht schlimm.”, denkt Shuichiro “laut”.   “Fujisawa-kun, ich zeig’s dir gleich!”, droht sie, dieser erschreckt sich und versteckt sich hinter Kaishi.   “Dann lass uns mal zur Schule gehen, ihr überreifen Kindsköpfe.”, schlägt dieser vor und das tun wir dann auch.   Diese Leute sind gewollt oder ungewollt fester Bestandteil dieses Lebens. Sie sind Nebencharaktere, die ein bisschen weniger irrelevant sind. Hauptcharaktere, sozusagen.   Wir kommen an der Schule an. Wir wissen, wo wir hin müssen. Zu den Schildern, auf denen steht, wer in welcher Klasse ist. Ein paar bekannte und ein paar unbekannte Gesichter drehen sich nach mir um, als ich in ihrem Blickfeld erscheine. Sie winken, ich winke zurück. Die wenigen Ausnahmen, die mich nicht begrüßen, laufen entweder rot an, eilen weiter oder tun beides gleichzeitig. Auch das ist völlig bedeutungslos. Es ist nun einmal die Welt, in der ich lebe. Wir drängeln uns so vorsichtig wie es geht weiter nach vorne, um erkennen zu können, in welche Klasse wir müssen. Als ich noch ein wenig näher trete, stoße ich aus Versehen mit einem Mädchen zusammen. Gerade will ich mich bei dem Mädchen entschuldigen, da kommt es mir diesbezüglich zuvor.   "Bitte verzeih, ich habe dich nicht bemerkt. Einen guten Morgen, Kyokei-kun.", begrüßt mich das Mädchen, welches sich als Otosaka herausstellt.    "Das war mein Fehler. Guten Morgen ebenfalls, Otosaka.", erwidere ich. Rei Otosaka, ich kenne sie oberflächlich.   "Wie es scheint, sind wir dieses Jahr in einer Klasse.", lässt sie mich wissen und ihre Mundwinkel ziehen sich leicht nach oben.   "Wie es scheint, sind wir das.", wiederhole ich quasi, was sie gesagt hat, weil mir nicht einfällt, was ich sonst tun sollte und mir das eigentlich relativ egal ist.   "Ich frage mich, ob ich es auch dieses Jahr schaffe, Klassensprecherin zu sein, jetzt wo wir im letzten Jahr sind.", seufzt sie leise, ohne dass es meines Erachtens nach einen Grund dafür gäbe.   "Ich wüsste nicht, warum es dieses Jahr anders sein sollte. Schließlich ist es dieselbe Otosaka, von der wir da sprechen.", gebe ich unüberlegt einen Kommentar ab, der aber so einen Einfluss auf ihr sogenanntes Empfinden hat, dass das Strahlen ihrer Augen sich in meine Netzhaut einbrennt.   "Das denkst du wirklich? Das freut mich sehr.", sagt sie und das überhaupt nicht so aufgedreht wie ein verliebtes Mädchen oder ein kleines Kind, sondern einfach wie jemand, der schlicht und ergreifend einfach das ist, was man "glücklich" nennt.   "Es ist nichts dabei, die Wahrheit zu sagen, egal wie sie aussieht.", finde ich und hoffe, mich bald aus der Affäre ziehen zu können.   "Genau aus diesem Grund hast du keine Freundin.", findet sie zurück und grinst dabei verschmitzt. Nebencharaktere, die können manchmal wirklich genauso anstrengend sein.   ***   Klasse 3-6⁷ also. Wer weiß, vielleicht werde ich trotz all der leichten Enttäuschungen und niedrigen Erwartungen im Leben am Ende das, was man "glücklich" nennt. Immer reden alle von diesem Glück. Aber was heißt das eigentlich?  Immerhin uns der Schulabschluss bevor, immer wenn davon die Rede ist, sind alle so... verrückt. Die aus dem dritten Jahr, die ich die letzten beiden Male den Schulabschluss habe machen sehen, haben immer gelacht und geweint. Sie waren emotional. Sie waren das, was man "menschlich" nennt. Aber was heißt das eigentlich?   Im für uns vorhergesehenen Klassenzimmer angekommen, setzt sich Hanazawa an den erstbesten Platz an der Tür vorne hin, während ich mit den Beatles⁸ vier Plätze in der hintersten Reihe als die unseren erkläre. Wo wir gerade bei den Beatles sind, der Vorname des Jungen ist übrigens Elvis. Elvis Kyokei. Das ist mein voller Ernst. Wie der Gitarrist, dem King of Rock'n'Roll, der Mann, der mit ein paar anderen die Musikwelt eroberte, nur um dann einen Herztod zu sterben. Und nein, Kyokei ist tatsächlich sein Nach- und nicht sein Vorname. Die meisten, die seinen Nachnamen hören, glauben zunächst entweder, dass sei ein Künstlername oder sie denken an diesen einen Kampfroboter⁹ aus diesem Spiel für die PlayStation. Eine komische Kombination zu einem komischen Namen, aber beschwer dich doch bei den Eltern des Jungen, wenn du gewillt bist, deine Zeit zu verschwenden.   Katsuoka-sensei¹⁰ begrüßt die Klasse, der Tag nimmt seinen Lauf. Die Frau am Pult sagt ein paar Dinge, es wird getuschelt und draußen zwitschern die Vögel zu dem Fall der Kirschblüten. Viele glauben, sie würde Vergänglichkeit symbolisieren. Ob das stimmt oder nicht, kann meines Erachtens nach jeder für sich selbst entscheiden. Aber wie auch immer. Es gab eine Zeit, in der ich mir eingebildet hatte, der Junge, den sie alle sehen, eines Tages tatsächlich werden zu können. Die Erinnerungen zu bekommen, die mich von ihm unterscheiden. Seine Vergangenheit. Ich dachte, wenn ich wüsste, was er gedacht, was er gesehen, was er getan hätte, würde es leichter sein, sich durch seine Welt zu bewegen. Dass ich mich besser verhalten könnte wie er es tun würde, wüsste ich, wer seine Freunde waren, was seine Träume waren, was er alles mochte und was er alles verabscheute. Ob es in seinem Leben so etwas wie den sogenannten ersten Kuss, das sogenannte erste Mal und die sogenannte erste Liebe gab. Ich wollte den Menschen, den ich ersetze, wirklich so gut kennen, als wäre ich er. Als wäre ich selbst dieser Junge. Mit dessen Gesicht die Menschen mich wiedererkennen. Mit dessen Händen ich nach Dingen greifen, sie erschaffen, sie zerstören kann. Mit dessen Penis ich jeden Tag pinkeln gehe. Es war egal, dass ich nicht wusste, ob ich, falls ich mich an sein Leben erinnern würde, als Parasit verschwinden oder zu einer neuen Kreatur werden würde, die die Eigenschaften von sowohl des Parasiten als auch des Jungen in sich vereinte und mir der Gedanke, um ehrlich zu sein, ziemlich Angst eingejagt hatte. Das war alles, was ich hatte. Und bis es soweit war, tat ich einfach, was man von mir wollte. Ich war gehorsam und zog die Fäden der Puppe, während ich trotz allem, daran glaubte, eines Tages mit ebendieser Puppe eins zu werden. Ich dachte, wenn es erst einmal so weit sein würde, würde ich dann weitersehen. Das einzige Problem bei diesem Wunsch war sein Verfallsdatum. Zwei Jahre nach der Einlieferung des Jungen ins Krankenhaus, sagte man mir, dass ich mich vermutlich nicht mehr erinnern werde. Die Leichtigkeit, mit der ich den einzigen Traum, den ich jemals hatte, aufgab, überrascht mich, um ehrlich zu sein, bis zum heutigen Tag.   Versteh mich nicht falsch, ich höre immer noch zu. Okay, ehrlich gesagt, nein, eigentlich tue ich das nicht. Ich kann hören, was sie sagt, darauf eingehen, wenn die Situation es erfordert, aber um ehrlich zu sein könnte es mich im Moment nicht weniger interessieren.  Obwohl ich physisch für das Leben auf dem Land, der Welt gemacht bin, fühlt es sich an, als befänden sich mein Herz und mein Verstand an einem Ort weit weg von hier. Weil ich darauf programmiert und nicht dazu befugt bin, den Posten von Elvis Kyokei zu verlassen.  Ich tue Freunden und Familie von Elvis den Gefallen und gebe mein Bestes, meine Pflicht zu tun und diesen Platz einzunehmen. Das jährt sich bald. In wenigen Monaten tue ich das seit drei Jahren. Und ein wenig später bin ich offiziell ein erwachsener Mann, der tun kann, wonach mir der Sinn steht. Wie dieser Sinn aussehen soll, wie ich leben soll - ein ganz normales Leben - , weiß ich nicht. Ich kenne nur das hier. Den monotonen Alltag als Gastarbeiter unter den Menschen. Und eines Tages wird es vielleicht schwerer.  Was will ich tun, die nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahre?  Wie lange ertrage ich es, sein Leben bis zum Schluss zu führen, nur um zu behaupten, dass es genug ist, dass ich mein Bestes gegeben habe?  Wenn ich wie heute morgen fast an meinem bloßen Dasein sterbe, weil ich es nicht ertrage? Belüge ich mich selbst, wenn ich sage, dass ich bis in alle Ewigkeit damit zufrieden bin?  Wie sieht das Leben einer solchen Person aus? Werde ich mich der Einsamkeit widmen und vielleicht sogar reich? Wie Bruce Wayne oder so? Denke ich an die Vorlage eines der Norm entsprechenden Lebens und suche mir eine Frau? Werde ich Kinder haben? Werden die eventuell genauso wie ich sein und wäre ich verpflichtet, ihnen Fragen zu beantworten, die ich mir nicht einmal selbst beantworten kann? Wäre jemand wie ich ein guter Ehemann Schrägstrich Vater? Und viel wichtiger… würde irgendeine Frau da draußen, in der großen weiten Welt unter acht Milliarden Menschen, mich - den fleischgewordenen Roboter, den heimlichen Parasiten, ohne Mimik, Sinn im Leben und abgestumpft, eines Tages als den Betrüger entlarven und dennoch als das akzeptieren, was er ist? Jemanden wie mich, der eine andere Person aus ihrem Platz gedrängt, sie quasi indirekt umgebracht hat und den hinter dieser fremden Hülle niemand jemals finden wird - wirklich genauso nehmen und lieben, wie ich bin?   Und als hätte ich irgendwas mit diesem Gedanken provoziert, zerreißt ein Knall meinen Gedankenfluss wie ein Wolf das Schaf.   “V-verzeihung, Katsuoka-sensei, t-tut mir aufrichtig leid! Ich hatte nicht vor, am ersten Tag direkt- Aua!”, der Störenfried fällt hin und erschreckt unsere Lehrerin.   “Ist alles in Ordnung mit dir? Das war ein ganz schön kräftiger Klang!”, diese daraufhin.   “Tut mir leid, tut mir leid, tut mir-, Mann, ist mir schwindelig…”, stöhnt der Störenfried, der sich als vollbusiges Mädchen herausstellt.   Als dieses seinen Kopf hebt und ihr Blick sich mit dem meinen kreuzt, ringt sie dramatisch nach Luft.   “Ellie, du hier?!”, haucht sie fast tonlos. “Wie wild ist das denn? Du glaubst nicht, wie sehr ich dich sehen wollte! Das ist so lange her, ich muss mich erstmal beruhigen. Ich atme und atme und hoffe, du erinnerst dich noch. Ich zumindest tue es. Wie könnte ich auch nicht? Das ist wie Schicksal! Wie Nutellabrot auf dem Teppich! Wie auch immer, das wird langsam peinlich und ich wollte nur sagen, wie froh ich bin, dich wiederzusehen.”, mit einem Lächeln im Gesicht sackt sie in sich zusammen wie ein Spielzeug ohne Batterien.   “Failman-san? Failman-san! Grundgütiger, sie ist bewusstlos!”, bemerkt Katsuoka-sensei ebenfalls und versucht, diese irgendwie zurückzuholen.   Als das nichts wird, steht sie wieder auf und sieht mich an.    “Kyokei-kun, kennst du dieses Mädchen?”, will sie wissen und schaut so, wie man es verstört nennt.   “Das nicht, jedoch scheint es an mir hängenzubleiben, wenn ich es schon bin, dem sie so einen komischen Spitznamen gibt.”, nicht wissend, was ich da tue, stehe ich von meinem Platz auf und knie mich zu dem bewusstlosen Frauenkörper runter. Ich lege zwei Finger an ihren Hals und bestätige, dass sie auf jeden Fall noch lebt.   “Ich bringe sie nach draußen. Ich weiß nicht, wie ernst es ist, aber auf jeden Fall kann sie hier nicht liegen bleiben.”, lasse ich die Lehrerin wissen, greife nach dem Arm des Mädchens und ziehe ihren ziemlich schweren Körper mit der Eleganz eines Baupraktikanten in die Freiheit.   ***   Im Flur, etwa fünfzehn Meter weit weg vom Klassenzimmer geht mir schlussendlich die Kondition aus. Dieser Körper ist nicht gerade für sportliche Aktivitäten vorhergesehen. Diese Aktivitäten sind viel zu selten, als dass es sich lohnen würde, ihn zu stählern. Kraftlos lasse ich mich neben ihr auf den Hintern fallen und verschnaufe kurz. Mein Blick streift sie von Kopf bis Fuß, als sie da liegt und ihre Augen zucken. Verdammt moosgrüne Haare, braungebrannte Haut, keine Ahnung ob echt oder nicht. Sie trägt ihre Schuluniform nicht ganz regelkonform, aber das ist ihre Sache. Den Rock etwas kurz, die Strümpfe umso länger. Da ist etwas Haut von ihren Schenkeln zwischen dem Rock und ihren Strümpfen, an der mein Blick unbewusst hängenbleibt. Ich schüttle den Kopf und schaue woanders hin. Das sind also die ungeahnten Kräfte des Zettai Ryouiki¹¹. Mir fällt die Tasche am Gürtel um ihre Hüfte auf. Mir kommt die Idee, dort nach einer Lösung zu suchen, aber ehe ich es schaffe, diese zu öffnen und weiterzukommen, hält mich eine schnelle Hand genau davon jedoch ab. Es ist ihre Hand, die das tut.   “Es geht mir schon wieder viel besser!”, piepst ihre zarte Stimme und sie sieht mich entschlossen an.   Sie lässt von meiner Hand ab und starrt mich an. Das Gold ihrer Augen glänzt geradezu wie echtes Gold dabei.   “Wie auch immer, wir sollten langsam zurück gehen.”, meine ich und stehe schließlich auf. “Du hast Katsuoka-sensei schließlich einen ziemlichen Schrecken eingejagt und es wäre komisch, wenn wir auch jetzt wieder negativ auffallen würden.”, zögerlich steht sie auf und sieht mich wieder an. Irgendwas an ihrem Blick sieht nicht so aus, als wäre alles mit ihr in Ordnung.   “Kann ich dir eine Frage stellen?”, frage ich unnötigerweise, weil das an sich ebenfalls eine Frage ist.   “Gerne! Was auch immer du fragen willst, Ellie!”, erlaubt sie es mir und grinst wieder ihr sanftes Grinsen.   “Wer um alles in der Welt bist du eigentlich?”, ihr unschuldiger Blick weicht daraufhin einen über allen Maßen geschockten.   “Tja, das ist wohl der Abend, an dem die Schlampen sterben.” - Stewie Griffin, Family Guy Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)