Broken Melody von Last_Tear (Can't you hear my voice?) ================================================================================ Kapitel 11: Coincidence ----------------------- Nach Japan zurück zu gehen war ein Fehler. Das wird mir jeden Tag erneut bewusst. Aber ich hätte auch nicht länger in Amerika bleiben können. Die ganzen letzten Jahre waren hart, aber notwendig und ohne Aya hätte ich wohl schon im ersten Jahr alles hingeworfen. Sie war es, die mir den Rücken gestärkt hat. Ihre Liebe hat mir die Kraft gegeben, die ich gebraucht hatte um über meinen Schatten zu springen und zu singen. Sie hatte die Kontakte geknüpft, mir Gesangslehrer vorgestellt und mir geholfen, mein Englisch zu verbessern. Allerdings hatte sie sich auch dazu entschieden, in Amerika zu bleiben und ich weiß nicht ob unsere Beziehung daran zerbrochen ist oder ob es die Tatsache ist, dass meine Schuldgefühle immer noch heftig an mir nagen. Während ich den Blick über die vertrauten Gebäude schweifen lasse, kann ich nicht anders, als mich zu fragen ob es überhaupt einen Sinn hat, dass ich wieder nach Japan zurück gekehrt bin. Noch dazu, weil ich hier vollkommen auf mich allein gestellt bin nachdem ich meine Eltern damals Hals über Kopf verlassen habe. Momentan habe ich nicht mal eine Wohnung, sondern wohne immer noch in einem Hotel, dank dem Geld dass ich in Amerika verdient habe. Aber es wird nicht ewig reichen. Und ich werde nicht ewig mich vor anderen Menschen verstecken können. Trotzdem erscheint mir die Stadt mit jedem Schritt mehr und mehr fremd, bis ich stehen bleiben muss weil sich alles um mich zu drehen begonnen hat. Vielleicht sollte ich einfach wieder zurück ins Hotel gehen und mich nicht weiter drum kümmern, eine Band zu finden. Aber welchen Sinn hätte es denn wenn ich nur hier her gekommen wäre, um einen eintönigen Job anzunehmen und diesen für den Rest meines Lebens zu ertragen? Zum Glück vergeht der Schwindel nach einigen Minuten und ich kann meinen Weg fortsetzen. Es ist das erste Mal, dass ich eine der berühmten Untergrundbars betrete und ich lasse nervös den Blick schweifen, während ich die schwere Lederjacke enger um meine Schultern ziehe. Sie ist das letzte Geschenk welches ich von Aya bekommen habe und ich fühle mich sicherer wenn ich sie trage. Als wäre sie ein Schutzschild der mich von der realen Welt trennt. Auf dem Weg zur Theke folgen mir einige Blicke und mein Magen beginnt Loopings zu drehen - aber ich bin eindeutig zu weit gekommen um jetzt wieder zu verschwinden. Nachdem ich mir ein Bier bestellt habe, fühle ich mich zumindest halbwegs sicher, allerdings springe ich schon fast vom Stuhl als der Barkeeper mich anspricht. „Na, gehörst du auch zu einer von den Bands?“ Ich greife wortlos nach dem Bier um einen großen Schluck zu trinken, bevor ich den Kopf schüttle. „Hättest aber bestimmt Potential mit dem Auftreten.“ Er grinst mich an und ich hebe langsam eine Augenbraue, bevor ich dunkelrot anlaufe als mir bewusst wird, dass er auf meine blauen Haare und das dunkle Make-up anspielt. „Habt ihr Flyer von Bands die noch Mitglieder suchen?“ Er nickt und ich atme erleichtert auf. Drei Wochen später stehe ich vor einer herunter gekommenen Garage und drücke den Flyer aus der Bar an meine Brust. Zu sagen dass ich nervös bin, ist untertrieben. Von den ganzen Bands die noch Mitglieder suchten, gab es nur drei, welche eine Position als Sänger ausgeschrieben hatten. Zwei der Bands habe ich bereits kennen gelernt und sie haben sich für einen anderen Sänger entschieden, aber jetzt habe ich endlich mal ein gutes Gefühl. Es gibt nur eins, das mir wirklich Angst macht. Dass sie mich nicht akzeptieren werden, weil ich eine Frau bin. Weil ich zu sehr in die Visual Kei Richtung gehe, zu dunkles Make-up trage. Und weil die schwarze zerrissene Jeans zusammen mit einem alten Dir en Grey Shirt und der schwarzen Lederjacke vermutlich zu viel ist. Aber das sind die Klamotten, in denen ich mich sicher fühle und sein kann, wie ich bin. Trotzdem beginnt die Nervosität mich zu überwältigen und mit einem leisen Fluch ziehe ich meine Packung Zigaretten aus der Tasche und drehe mich seitlich gegen den aufkommenden Wind um sie anzuzünden. Ich bin gerade dazu gekommen, einen Zug zu nehmen, als eine dunkle Stimme mich zusammen zucken lässt. „Na, nervös?“ Vor Schreck lasse ich das Feuerzeug fallen und wir bücken uns beide danach, wobei mein Gegenüber im Endeffekt schneller ist und es mir mit einem unschuldigen Grinsen im Gesicht in die Hand drückt. „Sorry, Schönheit. Dachte nicht dass sich auch Frauen für Rock und Metal interessieren.“ Ich verziehe das Gesicht bei seinen Worten - wie kann jemand so gut aussehen und gleichzeitig so dämlich sein? Er lacht, fährt sich durch die Haare und mustert mich, während ich stumm rauche und ihn mit einem bösen Blick bedenke, bis er zu merken scheint, dass sein Kommentar unangebracht war. Zumindest hat er den Anstand, zu Boden zu sehen und ein leises „Entschuldige.“, zu murmeln. So weit, so gut. Als die Minuten jedoch vergehen und ich nur schweigend weiter vor mich hin rauche, scheint er zu merken, dass ich absolut nicht beeindruckt bin und räuspert sich etwas. Direkt danach hält er mir die Hand entgegen und sieht schuldbewusst drein. „Können wir nochmal von vorne anfangen? Ayumi sagt mir auch, dass ich immer viel zu direkt bin und mein Sinn für Humor grenzwertig ist…“ Für einen Moment starre ich auf seine Hand, bevor ich sie annehme und ihm ein knappes Lächeln schenke. „Ok. Du bekommst eine zweite Chance. Aber wehe du versaust es nochmal…“ Lachend schüttelt er den Kopf, bevor er sich selbst eine Packung Zigaretten aus der Tasche zieht und eine anzündet. „Nein, ein Mal reicht mir völlig. Du bist aber auch anders, als die, die schon hier waren. Die waren nicht so taff.“ Er lacht erneut und ich schlage ihm reflexartig gegen den Oberarm, weil er mich an Masa erinnert. Für einen kurzen Moment starren wir uns gegenseitig an, bevor er erneut lachen muss. „Du gefällst mir.“ Am Liebsten würde ich jetzt im Erdboden versinken, allerdings kommt es gar nicht so weit, weil eine junge Frau sich uns nähert, welche absolut nicht begeistert wirkt. „Du sollst deine Freundinnen nicht mit hierher bringen, Akira, wie oft noch?! Das wird nie was mit der Band wenn du zu beschäftigt bist mit Knutschen!“ Ein Glück habe ich die aufgerauchte Zigarette bereits ausgetreten, denn sonst wäre sie mir spätestens jetzt aus der Hand gefallen. Was ein Auftritt. Sie erinnert mich an Aya, aber ganz offensichtlich weiß sie genau, was sie will. Akira grinst nur amüsiert, während sie sich vor ihm aufbaut, ich jedoch suche immer noch nach den passenden Worten. Nur weil er gut aussieht, macht ihn das doch nicht sofort zu einem potentiellen Date. Davon ab beginne ich mich zu fragen, auf welchen Typ Frau er steht - und ob er wirklich so einen hohen Verschleiss hat, wie angedeutet…“Uhm…“ Ich bekomme einen Todesblick, zusammen mit einer abfälligen Handbewegung, bevor sie sich von Akira löst und mir zuwendet. „Du hast doch gehört dass du gehen darfst. Wir warten auf eine Sängerin, da können wir keine Ablenkung gebrauchen!“ Jetzt liegt es an mir zu lachen - ganz offensichtlich ist sie es gewohnt, sich durchzusetzen. Genau das, was ich brauche. „Hi, ich bin Lilith und ich bin hier um zu singen.“ Ihr fallen fast die Augen aus dem Kopf, während Akira ihr lachend auf die Schulter klopft. „Tja, Ayumi, schließ nie von dir auf Andere.“ Sie wirft ihm einen Todesblick zu, bevor sie mich ansieht und dann beginnt mich von Kopf bis Fuß zu mustern. „Ok. Du bist anders als der Rest.“ Vielleicht hätte ich beginnen sollen eine Liste zu führen, wie oft ich diesen Satz gehört habe, seit ich wieder in Japan bin. In Amerika gab es vielleicht auch blöde Blicke, aber hier ist es schlimmer. Natürlich. Weil ich mich hier deutlich von der Gesellschaft abgrenze. „Ist das ein Problem? Ich dachte es geht um meine Stimme, nicht um mein Aussehen.“ Ayumi zuckt mit den Schultern, bevor sie einen Blick mit Akira wechselt und dann nickt. „Ok. Wir lassen uns überraschen.“ Damit dreht sie sich um und verschwindet in der Garage, woraufhin ich nur eine Augenbraue hebe. Akira grinst mich an und ich folge ihm schließlich seufzend. Was für eine Chaotenbande. Das Innere der Garage jedoch ist genau so eingerichtet wie ich es mir vorgestellt habe. Ein altes, schwarzes Sofa steht an der linken Wand, davor ein Tisch mit mehreren Energydosen. An der langen Wand ist das Drumset aufgebaut und rechts stehen mehrere Verstärker. Ein Kabelsalat auf dem Boden und mehrere Dreifachsteckdosen, was mich grinsen lässt. Es ist wirklich ein übles Klischee aber entspricht eben auch genau meinen Vorstellungen. „Sorry dass Kai noch nicht da ist, aber das gibt dir ja Gelegenheit unsere Songs erstmal durchzulesen.“ Damit drückt mir Ayumi bereits einen Stapel Zettel in die Hand und ich überfliege diese mit gerunzelter Stirn. „Damit seid ihr wirklich aufgetreten?“ Sie tauscht einen Blick mit Akira, bevor sie den Kopf schüttelt und das Gesicht verzieht. „Wollten. Dann ist der Bastard plötzlich abgehauen, weil er meinte, wir würden es ja eh nicht schaffen, was zu reißen und dass ihm das zu blöd ist.“ Ayumi zuckt mit den Schultern, lässt sich aufs Sofa fallen und schnaubt leise, was mich grinsen lässt. Daher weht der Wind also. Langsam überfliege ich die Texte, bevor ich mit gehobener Augenbraue Ayumi ansehe, danach zu Akira. „Ok. Ich fix euch den Mist, ihr könnt eure Musik behalten, aber ich sing meine eigenen Texte…DAS ist Schrott.“ Damit lasse ich die Papiere auf den kleinen Tisch vor Ayumi klatschen und verziehe das Gesicht. „Nein, im Ernst. Die sind richtig schlecht, kein Wunder dass der Kerl abgehauen ist.“ „Wer ist abgehauen?“ Etwas überrascht sehe ich zu dem Jungen auf, welcher gerade die Garage betreten hat und er grinst mich unschuldig an. „Hey, ich bin Kai. Redet ihr über Riku?“ Er streckt mir die Hand entgegen und schmunzelnd drücke ich sie kurz. „Lilith.“ Ayumi rollt mit den Augen - das scheint auch eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen zu sein, bevor sie Kai am Kragen schnappt um ihn zu küssen. „Niemand redet über diesen Versager und du kommst genau rechtzeitig. Lilith wollte gerade anfangen zu singen.“ Ein amüsiertes Schnauben verlässt meine Lippen, aber dann zucke ich mit den Schultern und muss seufzen. „Klingt super. Sind eure Instrumente gestimmt?“ Ayumi nickt und wie auf ein geheimes Zeichen hin verteilen sich die drei und Akira drückt mir ein Mikrofon in die Hand. „Sing erstmal einen von unseren Texten, dann sehen wir obs überhaupt passt.“ Ich nicke stumm und atme tief durch. Jetzt geht es ums Ganze. Ich weiß, dass ich Zeit habe, eine Band zu finden, aber etwas in mir sagt mir, dass ich sie schon gefunden habe und dass ich mit diesen drei Menschen eine tolle Zukunft haben werde. „Wir fangen mit „Material Love“ an.“ Kurz durchsuche ich den Stapel Texte nach dem richtigen Lied, bevor ich eine Augenbraue hebe - oh je. Na wenn das keine Herausforderung wird. Groß nachdenken kann ich allerdings nicht mehr, weil Kai auch schon beginnt den Takt vorzugeben und auch wenn der Text mir unbekannt ist, die dazu gehörige Melodie reicht um mich mitzureißen. Es kommt mir vor wie Stunden, die wir zusammen spielen, ich singe Texte, die keinen Sinn ergeben nur um alles aus meiner Stimme heraus zu holen, bis die Musik stoppt und ich schweratmend das Mikrofon sinken lasse, mir nebenbei langsam eine Haarsträhne aus der Stirn streiche. Wow. Das war durchaus intensiv, aber ich bereue nichts. Ich habe mein Bestes gegeben. Für einige Momente herrscht Stille im Raum, dann löst sich Ayumi von ihrem Bass und lacht amüsiert auf. „Ich denke ich hab genug gehört. Kai, Aki, wir haben unsere Sängerin.“ Sie grinst mich an und ich brauche ein paar Sekunden bis mir bewusst wird, was sie gesagt hat. Danach kann ich nicht anders, als ihr lachend um den Hals zu fallen und sie eng an mich zu drücken. „Danke! Ihr werdet das nicht bereuen, echt nicht.“ Akira hebt beide Augenbrauen, während Kai einfach nur lachend den Kopf schüttelt. „Super. Dann brauchen wir ja nur noch einen vernünftigen Bandnamen.“ Ayumi zuckt mit den Schultern und ich sehe kurz in die Runde, bevor ich tief durchatmen muss. „Was haltet ihr von End of Existenz?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)