Broken Melody von Last_Tear (Can't you hear my voice?) ================================================================================ Kapitel 7: Our Scars Part 1 --------------------------- Langsam strecke ich eine Hand in den Himmel, betrachte die Sonne - sie erscheint so weit weg. Und doch ist es hier so hell…“Hey, Masa? Ich finds doof, dass wir nich fliegen können.“, stelle ich seufzend fest, bevor ich mich auf den Bauch drehe um meinen besten Freund anzusehen, welcher nur genervt die Augen verdreht. „Und ich finds doof, dass du nicht die Klappe halten kannst.“ Er sieht nicht mal auf, sondern konzentriert sich weiter auf das Bild vor ihm. Den Farben nach zu urteilen, soll es wohl ein Charakter aus Dragonball darstellen, vermutlich Son Goku. „Du bist gemein.“ Schmollend strecke ich ihm die Zunge raus und stehe auf um mich zu strecken, während er nur die Augen verdreht. „Kannst du nicht wen anders nerven?“ Jetzt hebe ich langsam eine Augenbraue, lasse den Blick schweifen - klar, der Park ist nicht leer, wir haben nur das Glück dass wir uns eine relativ ruhige Stelle gesucht haben. Na ja, so ruhig es eben sein kann, wenn unsere Mütter auf der nächsten Bank sitzen, sich angeregt unterhalten und ab und an ein wachsames Auge auf uns haben. „Will ich nicht!“ Damit habe ich ihm bereits das Blatt Papier geklaut und laufe lachend weg - er ist für einige Sekunden perplex, dann folgt er mir. „Miyu! Gib das sofort wieder her!“ Ich renne so lange, bis ich vor lachen nicht mehr kann und mich an einen Baum abstützen muss, wo er mich einholt. Dieses Mal ist er es der schmollt, sogar dann noch als ich ihm seine Zeichnung freiwillig wieder gegeben habe. „Du bist echt so doof…!“ Ich bin viel zu sehr außer Atem um ihm zu antworten, weswegen ich mich nur an den Baum lehne und grinse, es dauert nicht lange, bis er selbst wieder ruhiger ist und schließlich gehen wir zusammen zurück, dass er seine Stifte aufsammeln und diese mit seiner Zeichnung zu seiner Mutter bringen kann. Eigentlich ist es ein Wunder dass wir den Tag draußen verbringen können, aber heute ist schulfrei. Und weil unsere Mütter beide Hausfrauen sind, war es nicht so schwer sie zu überreden, in den Park zu gehen. Vor allem weil die Sonne scheint und wir beide versprochen haben, unsere Übungen zu machen, sobald wir zuhause sind. Ich gerate ins Grübeln, während Masas Mutter ihn für seine Zeichenkünste lobt auch wenn sie nicht damit zufrieden ist, was er gezeichnet hat. Sie hat Pläne für ihn - er könnte Architekt werden. Oder Modedesigner. Aber wehe er verdient später nicht gut. Ich muss seufzen, als mir bewusst wird, dass auch meine Eltern bereits den Rest meines Lebens geplant haben. Die Schule abschließen, mit möglichst vielen, hilfreichen Wahlfächern wie Kochen, Blumen binden und Nähen. Alles um eine perfekte Ehefrau werden zu können, die ihren Mann glücklich macht. Wie meine Mutter. Auch wenn mein Vater kaum zuhause ist, weil er sich ständig auf Geschäftsreise befindet, beklagt sie sich nie. Stattdessen kauft sie teure Kleidung aus dem Ausland und versucht mir die Vorteile daran zu erklären. Als ich in die Seite gestupst werde, zucke ich erstmal zusammen, bevor ich Masa vorwurfsvoll ansehe, der nur unschuldig grinst. „Komm schon, lass uns noch etwas schaukeln, ja?“ Kurz sehe ich zu meiner Mutter auf, welche nickt, dann renne ich los, ohne Masa die Chance zu geben, aufzuholen. Wir haben zwar auch eine Schaukel im Garten, aber zuhause komme ich kaum dazu, diese zu nutzen. Zu viele Hausaufgaben und Hausarbeiten die mich davon abhalten. Meine Mutter ist überzeugt, dass ich es nie schaffen werde, einen Mann zu finden, wenn ich nicht kochen und backen kann. Um sicher zu gehen, dass ich mich später nicht komplett dämlich anstelle in meinen Wahlfächern, versucht sie jetzt schon, mir so viel beizubringen wie möglich. Meistens gehorche ich sogar, weil es weniger anstrengend ist, als zu versuchen mit ihr zu argumentieren. Drei Mal die Woche habe ich zusätzlich Englischunterricht bei einer netten, ausländischen Studentin. Sie heißt Mary und vermutlich hat meine Mutter sie nur eingestellt, weil sie nicht aussieht wie ein Ausländer mit den braunen Haaren und ihren dunklen Augen. Aber ich mag sie - sie bringt mir manchmal Süßigkeiten mit. Und sie schafft es jeden zum Lachen zu bringen, weil sie so eine positive Ausstrahlung hat. Das Klingeln des Weckers reißt mich aus dem Schlaf und murrend taste ich nach dem Gerät auf dem Nachttisch - ein Mal kräftig draufgehauen und schon ist Ruhe. Damit habe ich mich bereits auf die andere Seite gedreht um genüßlich weiterzuschlafen. Es ist doch viel zu früh um aufzustehen. Allerdings habe ich die Rechnung nicht mit meiner Mutter gemacht, welche keine fünf Minuten später die Tür aufreißt und mit einem lauten „Miyu!“ Ins Zimmer stürmt. Automatisch mache ich mich noch kleiner unter der Decke, was jedoch nicht hilft, da sie mir diese im nächsten Moment auch schon entrissen hat. „Steh gefälligst auf! Wenn du zu spät kommst…“ Oh oh. Wenn das so anfängt, weiß ich schon wo es endet. Mein Vater wird davon hören, mir das Taschengeld streichen und so weiter und so weiter. Seufzend verdrehe ich die Augen, während ich mich langsam aufsetze und ordentlich strecke. „Jaja. Bin schon wach.“ Sie schnaubt und ich spüre nur zu deutlich, dass das kein angenehmer Tag werden wird. Seit Beginn der Mittelschulzeit ist meine Mutter angespannter und strenger geworden und ich hasse es. Davor konnte ich noch halbwegs vernünftig mit ihr reden, jetzt dreht sich alles um meine Noten. Und die Kurse die ich nach der Schule besuche. Der einzige Lichtblick den ich habe, ist Masa. Wir gehen nach wie vor in die gleiche Klasse und er hat sich auch für den Kochkurs angemeldet, sehr zum Missfallen seiner Mutter. Aber nachdem er trotzdem noch Fußball spielt nebenbei, sagt sie nichts dagegen. Zum Glück überschneiden die zwei AGs sich nicht. Während ich ins Bad gehe um mich zu duschen und anzuziehen, ist meine Mutter bereits in die Küche verschwunden, vermutlich um mein Mittagessen noch mal hübsch zu dekorieren. Ich finde es ja nett von ihr, dass sie immer daran denkt, mir etwas zu essen mit zu geben, aber sie vergisst auch immer, dass ich vom Kochkurs Essen mitbringe. Und manchmal ist es auch frustrierend, den Unterschied zu sehen, zwischen ihrem Essen und meinem Essen - auch wenn es gleich schmeckt. Ich schaffe es nicht, ein Bento annähernd so niedlich zu gestalten wie sie es tut. Ein schnelles Frühstück später renne ich fast aus dem Haus, zum Glück wartet Masa an der Straßenecke auf mich und stellt keine Fragen. Er hätte sowieso keine Antwort bekommen. Den restlichen Weg zur Schule legen wir schweigend zurück, während sich uns noch ein paar Klassenkameraden anschließen, welche Masa schließlich in ein Gespräch verwickeln - es scheint über das nächste Spiel ihrer Mannschaft zu gehen und ich drifte in Gedanken ab. Natürlich werde ich wieder da sein, um ihn anzufeuern. Wie jedes Mal. Aber Masa hat mir die Daten immer noch mal schriftlich gegeben, dass ich sie nicht vergessen kann. Wir kommen sogar gerade noch so pünktlich und ich seufze tief auf, während ich mich auf meinen Platz fallen lasse und die Augen schließe. Wie die Zeit vergeht. Noch zwei Jahre bis zur Oberschule und langsam wird es Ernst. Meine Mutter liegt mir bereits in den Ohren, dass ich mich entscheiden soll, wohin ich gehen will, aber meine Gedanken kreisen um ein ganz anderes Thema. Dieses Schuljahr wurde eine neue AG gegründet und ich habe mich eingeschrieben, ohne darüber nachzudenken. Sollte meine Mutter davon Wind bekommen, könnte es wahnsinnig viel Ärger geben. Aber ich genieße es - nach so vielen Jahren hab ich endlich etwas gefunden, das mir wirklich Spaß macht. Singen. Etwas, dass eine zukünftige Hausfrau ganz sicher nicht brauchen wird. Nur wie kann ich es meiner Mutter begreifbar machen, dass es das ist, was mich durch die Schulzeit bringt? Meine Noten sind nicht unbedingt schlecht, aber ich langweile mich in den meisten Fächern, vor allem in Englisch. Dadurch, dass ich bereits der Klasse voraus bin, habe ich allerdings auch Verantwortung gegenüber meinen Mitschülern und muss ihnen helfen, was die Aussprache angeht. Trotzdem ist es nichts, was mich wirklich fordern würde. Also muss ich es ertragen und hoffen, dass die Zeit schneller umgeht. „Hey, Miyu-chan.“ Als ich müde von meinen Hausaufgaben aufsehe, steht Masa vor mir und ich runzle die Stirn. „Wie bist du denn hier reingekommen?“ Er lässt sich lachend auf den Boden fallen und grinst mich geheimnisvoll an, während er eine Tafel Schokolade aus der Hosentasche zieht. „Bleibt mein Geheimnis. Aber ich dachte, dir könnte eine Pause nicht schaden.“ Mit großen Augen starre ich auf die Schokolade - Masa durfte immer Schokolade essen, im Gegensatz zu mir. Meine Mutter hatte sie mir verboten mit dem Argument dass ich dadurch unreine Haut bekommen würde - für den Rest meines Lebens. Und dann würde mich nie ein Mann heiraten wollen. Selbst jetzt habe ich diesen Satz immer noch im Kopf. „Deine Mutter ist einkaufen, wenn wir schnell sind, bemerkt sie gar nichts.“ Er grinst, als hätte er im Lotto gewonnen und ich schlage mein Mathebuch zu, um aufzuspringen. „Ich hab ne bessere Idee, pack die mal wieder ein.“ Für gewöhnlich lässt meine Mutter mich nie allein zuhause, aber vielleicht dachte sie, dass Masa schon dafür sorgen wird, dass ich weiter an meinen Hausaufgaben arbeite. Sie kennt ihn nur nicht so gut ich. Fünf Minuten später habe ich mich komplett umgezogen, Taschengeld, Handy und Hausschlüssel in meine Lieblingstasche geschmissen und mit Masa das Haus verlassen. Auf dem Weg zur Bahnstation teilen wir uns die Schokolade und er fragt nicht mal, wo ich hin will. Vielleicht weiß er es ja auch bereits. Aber ich ertrage es nur eine bestimmte Zeit lang zuhause eingesperrt zu sein und auch wenn es vermutlich Hausarrest geben wird, es ist mir völlig egal. Es ist Samstagnachmittag, also nichts ungewöhnliches für uns, unterwegs zu sein. Das wärs ja noch, dass ein Polizist mich irgendwann einsammelt und nach hause bringt - ich glaube, dann würde meine Mutter einen Herzinfarkt bekommen. Während wir durch die Innenstadt von Tokyo streifen, kommen wir an einem Gitarristen vorbei und ich kann nicht anders, als stehen zu bleiben. Er scheint vielleicht zehn Jahre älter als ich zu sein, Mitte Zwanzig und grinst mich an, während er spielt. Masa bleibt ebenfalls stehen, runzelt jedoch die Stirn. Je länger wir allerdings stehen, und zuhören, desto mehr ändert sich sein Gesichtsausdruck bis er vollkommen entspannt wirkt. Nachdem das Lied endet, unterhalten wir uns etwas und mir wird nur wieder klar, wie schwer erreichbar mein Ziel eigentlich ist. Wenn ich weiterhin singen will, muss ich mich anstrengen. Der Gitarrist hatte sich uns als Yuu vorgestellt, grinst allerdings schief auf meine Nachfrage hin ob er eine Band hat. Offenbar ist das Musikbusiness viel härter als ich dachte. Vor allem sein gut gemeinter Ratschlag schneidet in mein Herz. „Entweder du bekommst einen guten Job oder du entscheidest dich für die Musik. Beides zusammen ist unmöglich zu bewältigen.“ Nachdem wir uns verabschiedet haben, weiß ich plötzlich nicht mehr, ob es so eine gute Idee ist, weiterhin zu singen. Ich habe damit zwar im Kindergartenalter angefangen, aber wenn es mich davon abhält, eine Arbeit zu finden, bei der ich gut verdienen kann? Vielleicht sollte ich die Musik einfach vergessen. Der Tag scheint nicht mehr so freundlich zu sein und auch, dass Masa mich auf ein Eis einlädt, hilft nicht gegen das beklemmende Gefühl in meiner Brust. Ich habe nie groß darüber nachgedacht, wie schwer es ist, eine Band zu finden oder in der Musikbranche Fuß zu fassen. Ich dachte, gut zu sein, reicht. Offenbar habe ich mich gründlich getäuscht. Lustlos stochere ich in meinem Eisbecher herum, meine Mutter hatte Recht. Ich muss mich mehr auf die anderen Fächer konzentrieren, mir eine Oberschule suchen, die mir hilft mich auf das zu konzentrieren was mich im Leben weiter bringt. Mehr nicht. Vielleicht habe ich Glück und lerne so dann wirklich einen netten Mann kennen, den ich heiraten kann. „Miyu? Ich denke du solltest dich davon nicht runter ziehen lassen. Du hast eine wunderschöne Stimme.“ Masa lächelt mich aufmunternd an, aber ich verziehe das Gesicht. Dämlicher, bester Freund. Klar, dass er das sagen muss. Wie als hätte er meine Gedanken gelesen, schüttelt er jedoch den Kopf. „Ich meins ernst. Sing weiter, Miyu. Wenigstens einer von uns soll das tun können, was ihm Spaß macht.“ Jetzt hebe ich doch beide Augenbrauen. Wie ist das denn gemeint? „Huh?“ Masa zuckt seufzend mit den Schultern, während er die Tischplatte anstarrt und mir endlich den wahren Grund verrät, wieso er überhaupt vorbei gekommen ist. Nämlich nicht um mich vom Lernen abzuhalten. Sondern weil er Unterstützung braucht. „Ich bin aus dem Team geflogen…Kein Fußball mehr für mich.“ Jetzt verstehe ich wirklich nichts mehr - er war doch immer gut. Einer der besten Stürmer der Schule… Allerdings bricht alles aus um ihm heraus, bevor ich weiter nachfragen kann und ich höre nur stumm zu. Jetzt ist es von Vorteil, dass wir einen Tisch ziemlich weit in einer Ecke haben, hier kann uns niemand belauschen. „Ich glaub, ich bin schwul.“ Er erzählt mir von ihrem Training, dass er beim Duschen einen Ständer hatte und das ganze Team nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Der Lehrer hat ihn rausgeschmissen, weil er es den anderen Jungs nicht zumuten kann, mit so jemandem im Team zu spielen. Je mehr ich höre, desto wütender werde ich - was soll der Scheiß denn bitte? „Deswegen bist du doch kein anderer Mensch…“ Völlig verwirrt ziehe ich ihn in meine Arme um ihn eng an mich heran zu drücken - im Moment zählt es nicht, wo wir sind. Ich will ihn einfach nur beschützen und dafür sorgen, dass diese Idioten ihm nie wieder zu nahe kommen können. Vielleicht bin ich voreingenommen weil ich ihn mein Leben lang kenne, aber er ist immer noch der gleiche Masa mit dem ich mich im Kindergarten gestritten habe. Dessen Bild ich zerrissen habe, woraufhin er mich geschubst hatte und ich mit einem blauen Fleck nach hause kam. Der Idiot, der mich ausgelacht hat, als ich das erste Mal ein rosa Kleid getragen habe, woraufhin ich ihn geschlagen hatte. Der Junge, der mich damals in den Arm genommen hat, als ich bei einer Matheprüfung gnadenlos versagt hatte. Er ist immer noch mein bester Freund, völlig egal ob er auf Männer steht oder Frauen oder beides. „Wehe du spannst mir meinen zukünftigen Ehemann aus…“ Das bringt ihn zum Lachen und irgendwie schaffen wir es, die Stimmung wieder zu kippen und unser Eis zu essen. Lange verbringen wir nicht mehr in der Stadt, immerhin müssen wir beide zum Abendessen zusammen sein. Aber als wir an einem Gachaautomaten vorbei kommen, bleibe ich noch mal stehen. Mit meinem restlichen Kleingeld schaffe ich es, uns zwei Hello Kitty Figuren zu angeln und Masa schüttelt amüsiert den Kopf, als ich ihm eine davon überreiche. „Du bist bescheuert.“ Lachend strecke ich ihm die Zunge heraus, während ich meine Figur in meine Handtasche packe. „Du erträgst mich trotzdem, also falsches Argument.“ Den Rückweg bis nach hause ziehen wir uns gegenseitig auf und ich bin mir sicher, dass ich seit Jahren nicht mehr so viel gelacht habe an einem Tag. Bevor wir uns trennen geben wir uns noch ein Versprechen - er wird mich beim singen unterstützen und ich bin dabei, sich selbst zu finden. „Wenns Ärger gibt, ruf mich an.“ Er nickt nur, umarmt mich noch mal kurz und dann verschwindet er ins Haus und ich mache mich daran, die restlichen Meter zu meinem Elternhaus ebenfalls noch zu bewältigen. Je näher ich komme, desto schwerer fällt es mir allerdings, mich zu bewegen - einfach hoffen, dass meine Mutter nichts gemerkt hat. Das dürfte sonst richtig hässlichen Streit geben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)