Broken Melody von Last_Tear (Can't you hear my voice?) ================================================================================ Kapitel 2: Fall --------------- Fünf Jahre Zuvor Summend streiche ich mir eine blaue Haarsträhne aus der Stirn, bevor ich zu unserer Bassistin sehe - zur Feier des Tages hat sie ihre Haare komplett weiß gebleicht und mit einer gefühlten Tonne Haarspray zu Spikes gedreht, dass ich mir sicher bin, sie würde diese gut als Mordwaffe einsetzen können. Wenn sie denn wollen würde. Und das wird wohl von der Stimmung des Publikums abhängen…Ich muss grinsen, während ich mir eine Zigarette anzünde und den Rauch in den Nachthimmel blase - es ist frisch draußen, aber noch nicht kalt und hier ist es wenigstens ruhiger als in dem Club in dem wir in knapp zehn Minuten auftreten werden. „Hey, Lilith.“ Fragend sehe ich zu unserem Drummer, bevor ich ihm wortlos eine Zigarette und mein Feuerzeug überreiche und er grinst mich nur unschuldig an, während er sich seine Beute anzündet und ich muss seufzen. „Wann lernst du endlich dass du nicht ständig hübsche Mädchen anschnorren kannst?“ Er jedoch lacht nur und zuckt mit den Schultern, während er sich an die Backsteinmauer neben mir lehnt und mit den Augenbrauen wippt. „Aber es funktioniert doch.“ „Wenn das deine Auffassung von hübsch ist, müssen wir uns echt unterhalten…“ Damit hat unsere Bassistin ihre Aufmerksamkeit ihrem Freund gewidmet und ich muss lachen, während ich mir eine der blauen Locken um den Finger wickle und zwischen den Beiden hin und her sehe. „Aw, kein Grund zu streiten ihr seid immer noch das niedlichste Paar das ich kenne.“ Was sogar stimmt - obwohl die Beiden sich fast schon zu häufig streiten, halten sie auch zusammen wie Pech und Schwefel - und schaffen es meist sogar, Privatleben und Bandleben voneinander zu trennen ohne Probleme. „Siehst du Baby…“ Er grinst nur wieder unschuldig, woraufhin sie ihm den Mittelfinger zeigt, allerdings nicht ohne ein grinsendes „Go to Hell.“, hinzu zu fügen, dem er sofort nach kommt - indem er sie an der Hüfte packt und an sich zieht um sie küssen zu können, während ich mich elegant aus dem Weg drehe. Vielleicht war das auch einer der Gründe für die Wahl ihres Namens in der Band - Hell. Wobei ihr Freund nicht besser ist, nur dass sein Name noch weniger kreativ war als ihrer - Purgatory. Eigentlich wollte er sich zuerst ja Michael nennen, wie der Erzengel, aber die Idee wurde ihm zum Glück ausgetrieben, denn ich glaube, dann hätte ich ihn auf der Bühne niemals ernst nehmen können. Er sieht nämlich so gar nicht aus wie ein Engel - mit seinen dunkelroten, kinnlangen Haaren und dem Sidecut - eher wie ein kleiner Junge der versucht auf Badbody zu machen. Was irgendwie ja auch stimmt, immerhin ist er erst neunzehn…So in Gedanken versunken zucke ich leicht zusammen als plötzlich unser Gitarrist neben mir steht und ich schlage ihm sanft gegen den Arm, bevor ich meine aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher vor mir ausdrücke. „Wenn du schnorren willst, kommst du zu spät.“ Er jedoch schnaubt nur und schüttelt den Kopf, bevor er die Arme vor der Brust verschränkt. „Wollte nur wissen, was euch so lang aufhält.“ Ich muss lachen und zupfe neckisch an seinen langen, schwarzen Haaren, bevor ich die Arme um ihn lege und zu ihm aufsehen muss. „Ach das Übliche…“ Er hebt eine Augenbraue, während wir uns für einige Sekunden einfach nur anstarren - mit den schwarz umrandeten Augen und den geschlitzten, roten Kontaktlinsen wirkt er fast gefährlich und ich muss schlucken - für gewöhnlich kommen wir uns nicht so nahe, obwohl uns jeder aufzieht, dass wir das perfekte Paar wären. „Jo, Luzifer, irgendwann solltet ihr euch auch mal richtig küssen, weißt du?“ Schnaubend wende ich den Blick ab - ja, Hell hat den Moment perfekt zerstört und ich verschwinde wortlos zurück in die Halle um noch einen großen Schluck zu trinken, während unser Gitarrist mir nachsieht und leise fluchend die Augen verdreht. „Dass du nicht ein Mal deine große Klappe halten kannst!“ Hell zuckt nur unbeeindruckt mit den Schultern bevor sie mir in die Halle folgt und die Jungs allein zurück lässt. Keine fünf Minuten später ist das alles vergessen als wir die Bühne betreten und ich mir grinsend das Mikrofon schnappe, die Reaktionen des Publikums tief in mich aufnehmend. Das wird unsere Nacht auch wenn wir kaum genug Geld damit verdienen um die Studiomiete bezahlen zu können, wir machen das aus Spaß. Und um die Leute zu schockieren. „I Hope you are ready for End of Existenz - Welcome to the Afterlife.“ Ich lächle sanft, während ich diese Worte fast ins Mikrofon hauche - niemand würde auf die Idee kommen, dass ich in der Lage bin, männlichen Death Metal Sängern Konkurrenz zu machen. Niemand - bis auf meine Band - und im nächsten Moment habe ich die Aufmerksamkeit aller männlichen Zuschauer sicher - ich habe lange geübt um so gut zu sein und einen ordentlichen Deathgrowl hinzubekommen. Und das zahlt sich jetzt aus. Das Ende unseres Auftritts kommt viel zu schnell - ich bin immer noch berauscht davon, wie viel Jubel wir wirklich bekommen haben dieses Mal - es war um einiges mehr als sonst und ja, vielleicht hat Hell auch Recht - dass wir uns einfach nicht mehr ermutigen lassen sollen, selbst wenn niemand für unseren Auftritt kommt. Immerhin schaffen wir es auch so, Köpfe zu verdrehen und Aufmerksamkeit zu bekommen und lachend lehne ich mich mehr an Luzifer, bevor wir mit Bier anstoßen - wir haben uns an einen kleinen Tisch in der Ecke zurück gezogen um zu feiern. Auch wenn die Luft im Club stickig ist und man kaum ein Wort verstehen kann - es ist egal, wir sind glücklich und das kann uns keiner nehmen. Auch wenn wir die Instrumente zurück ins Studio bringen müssen - das hat alles Zeit bis morgen. Heute kann uns nichts mehr passieren oder irgendwer uns etwas anhaben. Das Bier fließt in Strömen, wir lachen über eigentlich alles und irgendwann kommt es wie es kommen muss und ich versinke mit Luzifer in einem heißen Zungenkuss. Weder er noch ich sind zu dem Zeitpunkt auch nur irgendwie in der Lage zu verstehen, was wir hier tun und dass wir die Band gefährden könnten und Hell sowie Purgatory sind keine große Hilfe weil sie uns eher noch anfeuern. Den Rest des Abends oder besser der Nacht verbringen wir damit hemmungslos zu knutschen und als ich am nächsten Tag die Augen wieder aufschlage, liegen wir nackt zusammen im Bett und ich möchte meinen Kopf gegen die Wand schlagen. Vielleicht würden die Schmerzen dann auch aufhören? Ich kann mich an nichts mehr erinnern, aber dass wir beide nackt sind und mir der ganze Körper weh tut, reicht mir als Beweis dass da mehr war, als es sollte. Irgendwie schaffe ich es sogar ins Bad, wo ich mich fast sofort herzhaft übergeben muss. Was habe ich nur getan? Ich hatte mir immer geschworen, Bandleben und Privatleben zu trennen, mich nicht in den Strudel hinein ziehen zu lassen und das zu vermischen und jetzt weiß ich nicht mal wie es weiter gehen soll. Vermutlich bleibt mir sowieso keine andere Wahl als zu warten - und dann das Beste aus der Situation zu machen. Wenn ich mich nur erinnern könnte, wie wir nach hause gekommen sind… Eine Schmerztablette und gefühlt drei Liter Wasser später fühle ich mich zumindest in der Lage, die Kaffeemaschine an zu machen und duschen zu gehen - wo mich der nächste Schock erwartet. Mein Körper ist über und über mit Knutschflecken bedeckt - kein Wunder, dass mir alles weh tut. Nur zu gerne würde ich jetzt im Erdboden versinken - das darf einfach alles nicht wahr sein! Nachdem ich meine und seine Klamotten vom Boden gesammelt und in die Waschmaschine geworfen habe, vergrabe ich mich in einem meiner oversized Bandhoodies und mache es mir mit meiner großen Kaffeetasse auf dem Balkon bequem, wo ich zuerst seufzend in meine Tasse puste und dann leise fluchend gegen das Geländer schlage. Ich weiß doch nicht mal, wie ich mich ihm gegenüber jetzt verhalten soll - ich weiß, dass ich ihn nicht liebe. Aber ob es ihm genug ist zu hören dass ich mich habe mit reißen lassen? Was wenn er die Band auseinander reißt, nur wegen Sex? Einem dummen One-Night-Stand? Ein leises Schluchzen verlässt meine Lippen und bevor ich mich versehe, weine ich in meinen Kaffee und es gibt nichts, dass ich dagegen tun kann. Ich liebe meine Band - es war immer mein Traum, Musik zu machen und ich singe seit ich ein kleines Mädchen bin, aber bisher hatte mir nie jemand eine Chance gegeben. Immer wieder wurde mir gesagt, dass es Schwachsinn ist, dass Sängerinnen es nicht weit bringen in der Musikbranche, dass ich aufgeben soll. Und dass Death Metal keine Musikrichtung für ein Mädchen ist, dass ich mir eine nette Gruppe suchen sollen um Popmusik zu machen - und mir dann einen netten Mann zu suchen, der sich um mich kümmert für den Rest meines Lebens, den ich glücklich mache, indem ich die perfekte Hausfrau bin und Kinder auf die Welt bringe…Ein Schrei verlässt meine Lippen - ich weiß dass ich meine Nachbarn verstöre, aber ich kann nicht anders, weil es sich anfühlt als würde ich sonst ersticken. Eine Hand auf meiner Schulter lässt mich nur leicht zusammen zucken aber ich weine bereits zu sehr um mich noch darum zu kümmern ob jemand meine Tür eingetreten hat oder nicht. Als ich meinen Namen höre, schüttele ich nur den Kopf und muss im nächsten Moment meine Kaffeetasse los lassen, welche mir mit sanfter Gewalt abgenommen und auf den kleinen Tisch neben mir gestellt wird, bevor ich an jemanden gezogen werde und schluchzend das Gesicht an der Brust meines Gitarristen vergrabe. Es dauert Minuten bis ich wieder so weit ruhig bin, dass ich ihm nach drinnen und in die Küche folgen kann, wo ich mich gerade noch so davon abhalte, erneut auf etwas ein zu schlagen. „Hey, Lil…“ Müde schüttle ich den Kopf, bevor ich ihn einfach nur stumm ansehe - er sieht aus wie ich mich fühle. Komplett beschissen und übermüdet, aber weniger zerbissen. Und ich habe den Bonus dass ich zumindest Schmerzmittel geschluckt habe. „Ich bin nicht in Stimmung, Akira.“ „Ich weiß.“ Dabei klingt er so traurig, dass es mir das Herz zerreißt - verdammt, ich hatte Recht. Die nächsten Minuten stehen wir uns einfach nur schweigend gegenüber, bis ich ihm zumindest Klamotten von mir leihe, dass er nicht nur in Shorts herum stehen muss, bis die Waschmaschine fertig ist und danach beschließen wir einstimmig, zu Starbucks zu gehen und uns dort Kaffee zu holen. Er zahlt und wir reden, während ich bereits Hells Stimme im Kopf habe, die mir einzureden versucht, dass ich ihm eine Chance geben sollte. Dass es gar nicht so schlimm werden wird, mit zwei Paaren in der Band. Dass das Leben immerhin weiter geht und dass ich mir Stress um nichts mache, wie immer eigentlich. Im Endeffekt hat er mir Zeit eingeräumt in der ich versuchen soll mir klar zu werden was ich will, bevor wir uns in irgendetwas verrennen und zu müde um zu protestieren, kann ich nur zustimmen. Wir verbringen den restlichen Tag noch miteinander, bis er Abends in seinen frisch gewaschenen Klamotten geht - als wir uns verabschieden, sieht er aus wie ein kleiner Junge, dessen Welpe überfahren wurde und trotzdem schaffe ich es, standhaft zu bleiben und nicht nach zu geben, immerhin wären das keine echten Gefühle gewesen, sondern nur Mitleid. Und er verdient doch etwas mehr als das. „Lass dir von Ayumi bitte nichts einreden, was du nicht willst, ja?“ Ich nicke nur stumm, während ich gegen den Kloß in meinem Hals ankämpfe - wenn er nur wüsste, dass sie längst in meinem Kopf ist! „Und von Kai auch nicht…“ Damit hat er mich kurz umarmt und ich nicke erneut, während ich die Umarmung schwach erwidere und zulasse, dass er mir noch einen Kuss auf die Lippen drückt. Wenn er nur wüsste, dass meine Gedanken sich längst im Kreis drehen, ich es nicht stoppen kann und die Tatsache dass ich die Nacht allein verbringen werde es nur noch schlimmer machen wird, aber ich schaffe es nicht etwas zu sagen, ihn anzuflehen, zu bleiben, weil ich ihm keine falschen Hoffnungen machen will und kaum dass die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss fällt, sinke ich auf die Knie und fange erneut an zu weinen. Wieso muss es so weh tun? Und wieso habe ich das Gefühl, dass ich alles zu verlieren beginne und alles unter meinen Fingern zerbricht wie Glas? Als wäre mein ganzes Leben bisher nichts weiter gewesen als nur eine Ansammlung von Schneekugeln, die jetzt zerfallen und nicht mehr zusammen zu setzen sind. Wie soll das nur weiterhin funktionieren können? Irgendwann hab ich mich ausgeweint und stehe schwankend auf - ich werde nicht hier bleiben, es fühlt sich jetzt schon an, als ob die Wände näher und näher kommen und mich erdrücken. Umgezogen und geschminkt fühle ich mich schon viel besser - vor allem weil ich mich so im Spiegel nicht mehr erkenne. Und wenn ich nicht ich bin, dann muss ich keine Verantwortung dafür übernehmen was passiert. Auch wenn die zerrissene Jeans eine scheiß Idee war wie ich merke als ich auf die Straße trete und unter einem kühlen Windhauch erschaudere - wozu gibt es denn Alkohol? Der wird schon dafür sorgen, dass mir warm wird. Zwar streife ich mehr oder weniger unentschlossen durch die Stadt, allerdings bleibe ich an einer kleinen Untergrundkneipe hängen - ich kann mich nicht erinnern, schon mal hier gewesen zu sein - was perfekt ist, denn so ist die Chance sehr gering, dass ich jemanden treffen könnte den ich kenne und während ich mich schließlich auf einen Stuhl an der Bar nieder lasse, muss ich grinsen. Es ist das Unvernünftigste was ich tun könnte - vor meinen Problemen davon rennen - aber es funktioniert. Zwei Drinks später bemerke ich sogar die Musik im Hintergrund - sie kommt mir bekannt vor, aber ich komme nicht auf den Sänger, weswegen ich schließlich nur seufzend meine Zigaretten aus der Tasche ziehe und das Päckchen vor mir auf dem Tresen hin und her schiebe, unentschlossen. Ich sollte eigentlich überhaupt nicht rauchen, meine Stimme klingt schon kaputt genug, aber mir ist so nach einer Zigarette. Trotzdem, es war heute schon anstrengend genug zu reden…Leicht runzle ich die Stirn, bevor ich die Packung etwas zu energisch anstupse und sie damit direkt gegen das Glas meines Nebenmannes schiebe, woraufhin wir wohl beide etwas erschrocken schauen, bevor ich lachen muss. Ups. „Tut mir leid…“ Verlegen ziehe ich die Schachtel zu mir zurück, er hingegen schenkt mir nur ein Grinsen, während er leicht mit den Augenbrauen wippt. „Versteh schon, es ist schwer aufzuhören, was?“ Ich nicke nur und würde am Liebsten im Erdboden versinken - na ja so kann man wohl auch neue Bekanntschaften schließen. „Was hältst du davon wenn ich dir einen Drink ausgebe und wir es uns etwas bequemer machen?“ Kurz überlege ich, bevor ich mit den Schultern zucke - ich habe sowieso nichts zu verlieren. Geschweige denn, dass ich die Nacht irgendetwas vor hatte und in Gesellschaft zu trinken ist doch um einiges besser als das allein zu tun. Und vielleicht verschwinden dann endlich die Gedanken in meinem Kopf, die mir einreden wollen, dass die Band zum Scheitern verurteilt ist. Mit unseren Getränken machen wir es uns an einem kleinen Tisch in der Ecke bequem und ich nippe langsam an meinem Tequila Sunrise, bevor ich mich wieder auf mein Gegenüber konzentriere. „Wie kommt es dass so eine hübsche Frau allein versucht sich zu betrinken?“ Ich muss grinsen bei seinen Worten - mit den langen, roten Haaren könnte man ihn selbst gut für eine Frau halten, wenn ihm nicht die weiblichen Rundungen fehlen würden und ich zucke nur mit den Schultern, bevor ich den Kopf leicht schief lege. „Wer sagt, dass ich allein bin?“ Er zögert kurz, lässt den Blick schweifen - viel zu offensichtlich - und konzentriert sich dann wieder auf mich, während ich schon längst kichern muss - egal wer er ist, er scheint eine passende Gesellschaft zu sein für den Abend. „Deine Augen. Sie wirken so traurig und einsam.“ Lachend nehme ich noch einen Schluck von meinem Cocktail, tätschele ihm den Arm. „Gewonnen.“ Womit ich nicht gerechnet habe ist dass er meine Hand von seinem Arm nimmt um mir einen Handkuss zu geben, woraufhin ich nur fragend beide Augenbrauen hebe. „Auf einen schönen Abend, Mylady. Nenn mich Machi.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)