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Actio est reactio

von Nerdherzen und den physikalischen Gesetzen ihrer Eroberung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Song für dieses Kapitel: Bird Set Free by Sia :)

Have some Fluff! <3 Komplett anzeigen

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Bird Set Free

Wir sitzen zu viert auf meinem Bett, Julius und ich jeweils außen. Ich hab Feli neben mir, was mich erleichtert, weil ich neben Cem wahrscheinlich gestorben wäre und immer noch sehr bemüht bin, Julius nicht allzu sehr auf die Pelle zu rücken. Was nach meiner Erkenntnis von vor zehn Minuten noch schwieriger geworden ist, als ohnehin schon.
 

Mein Kopf schwirrt, mein Herz ist immer noch am Hämmern und alles in mir kribbelt.
 

Verliebt.
 

Ich hab mich verliebt.
 

Wie konnte das passieren? Und dann auch noch in Julius? Und wieso muss es mir in so einem bekloppten Moment klar werden? Weil er eine beschissene Pizza für mich bestellt? Das ist doch absurd.
 

Das ist alles absurd.
 

Ich will nicht verliebt sein. Schon gar nicht in einen guten Freund.
 

Fuck. Fuckfuckfuck.
 

»Gebt mir euer Geld, damit ich die Pizza gleich bezahlen kann«, sagt Julius von der anderen Seite des Bettes. Es steht kein bisschen zur Debatte, dass ich derjenige bin, der zur Tür geht, weil ich hier wohne. Julius weiß, dass ich nicht gerne mit Fremden rede und die Tür öffne. Also macht er es einfach.
 

Mein Herz überschlägt sich, während Feli und Cem nach Geld kramen.
 

»Kann ich von deiner scharfen Pizza probieren?«, will Feli wissen, nachdem sie Julius sechs Euro gegeben hat.
 

Ich erinnere mich an Julius‘ Leid, als er von meiner Pizza abgebissen hat und muss lächeln.
 

»Sie ist wirklich sehr scharf«, sage ich leise.
 

»Ist sie. Mir ist fast die Zunge abgefallen«, bestätigt Julius meine Worte. Feli lacht.
 

»Vielleicht bist du auch einfach nur ein Weichei?«, stichelt sie amüsiert. Julius sieht empört aus und schlägt mit einem Kissen nach ihr. Feli versteckt sich halb auf meinem Schoß und ich halte die Luft an, weil der plötzliche Körperkontakt unerwartet kommt. Aber nicht ungewollt.
 

Immerhin bin ich jetzt seit einer Woche auf Entzug, weil Julius tabu ist. Meine Arme legen sich automatisch um Feli und sie gibt ein erstauntes »Oh« von sich, ehe sie sich zufrieden gegen mich lehnt und in meinen Armen hängen bleibt.
 

Cem und Julius starren uns beide an, als würden sie gerne etwas sagen. Julius‘ Gesicht verzieht sich einen Augenblick lang und ich schlucke, aber er sagt nichts und boxt Cem gegen den Arm. Einfach so. Cem ist nicht begeistert.
 

»Alter, fick dich«, mault Cem und schlägt ihn direkt zurück. Feli giggelt leise und platziert ihren Kopf in meiner Halsbeuge.
 

»Hmm... das ist ziemlich gut«, murmelt sie zufrieden und ich muss lächeln.
 

»Ja. Schon«, gebe ich leise zurück und streiche ihr sachte übers Haar. Als es an der Tür klingelt, steht Julius hastig von Bett auf und wirft uns einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Aber ich bin ein egoistischer Mistsack und behalte Feli in meinen Armen. Körperkontakt nach so langer Zeit fühlt sich einfach zu gut an und ich fühle ein bisschen von der Anspannung aus mir heraus sickern, während Felis Finger meinen Unterarm streicheln.
 

Feli und ich lösen uns voneinander, nachdem wir unsere Pizza bekommen haben. Ich lasse sie von meiner Pizza abbeißen und sie trinkt einen halben Liter Wasser hinterher. Cem kommt besser klar, aber er klagt darüber, dass er kaum noch irgendwas schmecken kann, wenn es so scharf ist.
 

Ich genieße es, mit Feli zu kuscheln, als der Film startet, aber ich vermisse Julius ganz schrecklich. Ich vermisse sein weiches Haar und wie gut er riecht und die ganz bestimmte Art und Weise, wie seine Finger Muster auf meine nackte Haut malen. Mein Brustkorb fühlt sich an, als würde er in Flammen stehen, während ich darüber nachdenke. Und es liegt definitiv nicht an meiner sehr scharfen Pizza.
 

»Leider sind jetzt schon zu viele schöne Menschen in diesem Film«, sagt Feli neben mir.
 

»Und du hast noch nicht mal Winston Duke gesehen«, gebe ich zurück.
 

»Sag Bescheid, wenn er auftaucht«, flüstert Feli, während sie ein weiteres Stück ihrer Pizza Hawaii in den Mund nimmt.
 

»Gibt’s Leute in dem Film, die man nicht gerne vögeln möchte?«, will Cem wissen, als Erik Killmonger zum ersten Mal eingeblendet wird. Ich muss lachen und verschlucke mich fast an meiner Pizza.
 

»Also. Die beiden weißen Kerle, die mitspielen, sind definitiv nicht so Bombe«, erkläre ich ihm. Cem lacht sehr gehässig.
 

»Richtig! Spielen nicht Bilbo und Gollum mit? Mit denen würd ich in keine dunkle Ecke verschwinden«, sagt er und Feli kichert neben mir.
 

Obwohl ich den DVD-Abend eigentlich gerne abgesagt hätte, ist es gut, dass die Drei hier sind. Gesellschaft hilft. Felis Körperkontakt hilft. Ich habe einen Arm um sie gelegt, nachdem wir mit unseren Pizzen fertig waren und jetzt ist sie sehr gemütlich in meine Armbeuge gekuschelt und streicht gelegentlich abwesend mit der Hand über meinen Bauch.
 

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Cem und Julius immer mal wieder die Köpfe zu uns herumdrehen. Feli scheint es auch irgendwann spitz zu kriegen.
 

»Wollt ihr auch?«, fragt sie strahlend und streckt den Arm, der nicht auf meinem Bauch liegt, nach Cem aus. Cem sieht einen Augenblick lang aus, als wäre er eigentlich zu cool, als dass er mit seinen Freunden kuscheln wollen würde.
 

Aber letztendlich zuckt er mit den Schultern, rutscht näher an Feli heran und zerrt Julius schlichtweg mit sich, sodass wir alle seitlich eine Kette bilden. Cems Kopf ruht jetzt auf Felis Bauch, während Julius ihn von hinten löffelt. Hin und wieder hebt Feli ihre freie Hand und streicht Julius übers Haar.
 

Ein sehr warmes Gefühl macht sich in mir breit.
 

Ich hab diese Leute hier gefunden. Fast ganz alleine. Und jetzt ist es beinahe so, als wäre ich zu Hause. Ich schließe kurz die Augen und genieße die Linderung der elenden Apathie, die sich seit Wochen in mir breit macht. Als Ororo zu uns aufs Bett springt und versucht von Felis Pizzarest zu essen, ist der Kuschelhaufen perfekt. Sie rollt sich auf Julius‘ Hüfte ein wie ein kleiner Fellball und Julius sieht sehr zufrieden mit sich und der Welt aus.
 

»Also M’Baku ist dein Ding, ja?«, fragt Feli mich amüsiert.
 

Ich schnaube und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
 

»Hast du ihn gesehen? Wer würde da nicht gern auf dem Schoß sitzen?«
 

Julius gibt ein Geräusch von sich, dass klingt, als würde er jeden Augenblick einen Erstickungstod erleiden und Cem lacht so laut, dass das ganze Bett wackelt und Ororo fast von Julius‘ Hüfte rutscht.
 

»Ich würde definitiv auf Eriks Schoß sitzen«, erklärt Cem breit grinsend.
 

»Irgendwie wundert mich das nicht«, gebe ich zurück und werfe ihm einen verschmitzten Blick zu. Cem wird rot und hüstelt leise vor sich hin. Meine Augen huschen zu Julius hinüber, der dunkelrot im Gesicht ist und sich halb hinter Cems Schulter versteckt. Vielleicht ist ihm all das sexuelle Innuendo ein bisschen viel des Guten.
 

»Ich will ja nichts sagen, aber die beste Kandidatin, um auf ihrem Schoß zu sitzen, ist Okoye«, meint Feli nach einer Weile und drei Köpfe drehen sich zu ihr um. »Was? Habt ihr sie mit ihrem Speer gesehen?«
 

»Vielleicht müssen wir noch mal drüber reden, wie hetero du eigentlich bist«, sagt Cem bedächtig und Feli kichert gegen meine Schulter.
 

»Gute Frage, nächste Frage. Ich hab keine Ahnung«, sagt sie bestens gelaunt.
 

Als Erik Killmonger sich zum ersten Mal auszieht, hört man eindeutig, wie Cem leise röchelt und ich muss lachen. Es bricht aus mir heraus wie ein frisch geschlüpftes Küken aus einer Eierschale und ich versuche mir auf die Unterlippe zu beißen, um es zu unterdrücken, aber es hört nicht auf.
 

Mein Herz fühlt sich so leicht an, wie schon lange nicht mehr. Die letzten Wochen hat es sich so angefühlt, als hätte ich das Lachen verlernt—und ich weiß, dass das melodramatisch klingt, aber immer, wenn ich in depressiven Episoden stecke, fühlt es sich an, als wäre Lachen einfach nicht mehr möglich.
 

Als der Film zu Ende ist, weiß Feli immer noch nicht, ob sie auf Frauen oder Männer oder eine Mischung steht, aber sie weiß, dass sie dringend was Schokoladiges möchte, also biete ich ihr an, Instantpudding zu kochen. Während ich in der Küche stehe und über meine Gefühle nachdenke, singe ich ein Lied von Sia, das ich neu für mich entdeckt habe.
 

»Yes, there's a scream inside that we are frightened

We hold on so tight, but I don't wanna die, no

I don't wanna die, I don't wanna die«
 

Ich bringe langsam Milch zum Kochen und schneide die Tüte mit dem Pulver darin auf, während ich vor mich hinsinge. Ein Rascheln hinter mir lässt mich abrupt abbrechen und mich umdrehen.
 

Julius, Cem und Feli stehen alle im Türrahmen zur Küche und starren mich an, als wäre ich eine Erscheinung.
 

»Was?«, frage ich. Meine Wangen sind ganz heiß und ich schlucke verlegen. Beinahe vergesse ich, die Milch weiter umzurühren.
 

»Du hast gesungen«, sagt Feli. Sie klingt eindeutig hingerissen.
 

»Ihr habt mich alle schon singen hören«, murmele ich peinlich berührt und schütte das Pulver in den Topf, ehe ich anfange, mit einem Schneebesen darin zu rühren.
 

»Heißt nicht, dass es nicht trotzdem was Besonderes ist«, sagt Julius heiser. Ich ziehe verlegen die Schultern hoch, ignoriere das aufgeregte Stolpern in meinem Brustkorb, und atme ein paar Mal tief ein. Wenn ich mit diesen Leuten kuscheln und Scherze darüber machen kann, auf was für einem Schoß ich gerne sitzen würde, dann kann ich sicher auch nüchtern vor ihnen singen.
 

» And I don't care if I sing off key

I find myself in my melodies

I sing for love, I sing for me

I shout it out like a bird set free«
 

Die Drei bleiben einfach im Türrahmen stehen, während ich Pudding koche und Sia singe. Es scheint mir, dass sie sehr andächtig lauschen und sich kaum rühren, als würde das den Zauber meines momentan erwachten Selbstbewusstseins brechen.
 

Als der Pudding fertig ist, teilen wir ihn zu viert direkt aus dem Topf mit vier Löffeln, während Jurassic Park läuft. Während Feli und Cem darüber streiten, welche Puddingsorte am besten ist, werfe ich Julius einen Blick zu, den er aus ernsten Augen erwidert. Wir schauen uns mehrere Momente einfach nur schweigend an, Julius mit einem Löffel Pudding auf halbem Weg zum Mund.
 

»Danke«, forme ich lautlos mit den Lippen und Julius schafft ein halbes Lächeln, ehe er den Löffel hastig in den Mund schiebt und seinen Blick abwendet.
 

*
 

Am Sonntag gehe ich zum ersten Mal nach Wochen wieder Laufen. Ich schaffe bei weitem nicht so viel Strecke wie beim letzten Mal und kriege am Ende einen halben Kreislaufkollaps—natürlich, weil ich viel zu wenig gegessen habe—aber es ist trotzdem ein gutes Gefühl. Und ich habe auf eigenen Antrieb das Haus verlassen.
 

Ich schaffe es zu duschen und eine kurze Skype-Session mit meinen Freunden und als die Wohnungstür aufgeschlossen wird, denke ich zunächste, dass es mein Vater ist. Aber stattdessen habe ich im nächsten Augenblick Julius, Feli und Cem im Flur stehen, allesamt mit Rucksäcken bewaffnet. Sie sehen aus, als hätten sie eine Mission.
 

»Hausaufgabengruppe!«, sagt Feli überschwänglich und drückt mich sehr fest an sich. Ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll, während die Drei es sich auf meinem Fußboden gemütlich machen und ihre Schulsachen ausbreiten, als wäre das normal. Als wären wir ohnehin verabredet gewesen.
 

»Ähm«, sage ich etwas verloren.
 

»Ich brauche dringend Hilfe mit diesem Mathescheiß«, sagt Cem und wedelt mit einer losen Zettelsammlung, die mich sehr an den ursprünglichen Zustand von Julius‘ Unterlagen erinnern.
 

»Ich muss noch irgendwas essen«, sage ich verwirrt, immer noch nicht ganz in der Lage, die Situation zu begreifen.
 

»Ich schieb dir Lasagne in den Ofen«, sagt Julius ohne Umschweife und hastet aus dem Zimmer. Ich stehe im Türrahmen wie ein Trottel und es dauert mehrere Sekunden, bis ich zu mir komme. Dann lasse ich mich im Schneidersitz neben Cem nieder und werfe einen Blick auf seine Matheaufgaben.
 

»Mathe LK«, murmele ich.
 

»Jap. Eine große Fehlentscheidung meinerseits«, sagt Cem bestens gelaunt und reicht mir die Unterlagen, damit ich sie mir ansehen kann. Feli hat Französisch-Vokabeln vor sich ausgebreitet und sieht aus, als würde sie schon seit zwei Stunden hier sitzen und lernen.
 

Julius.
 

Julius hat die beiden hierher geschleift. Er hat sie vermutlich von irgendwelchen anderen sonntäglichen Plänen abgeworben und mir hierher gebracht, weil ihm aufgefallen ist, wie hilfreich diese Art der Gesellschaft für mich ist.
 

Meine Kehle zieht sich zu und die Matheaufgaben verschwimmen ein wenig vor meinen Augen. Ich schiebe meine Brille nach oben und schlucke mehrmals, um mich zu beruhigen, dann versuche ich mich angestrengt auf die Matheaufgaben vor mir zu konzentrieren.
 

Niemand redet darüber, dass wir noch nie vorher zu viert Hausaufgaben gemacht haben. Niemand erwähnt, dass das hier irgendwie ungewöhnlich und neu ist.
 

Aber ich schaffe tatsächlich anteilig meine angehäuften Deutsch- und Französischhausaufgaben und kriege es gebacken, Cem bei seinen Mathehausaufgaben zu helfen, auch wenn ich mich erst in das Thema reinfuchsen muss.
 

Ich würde gerne mit Julius darüber reden, was in seinem Kopf vorgeht, aber irgendwie habe ich auch ein wenig Bammel mit ihm alleine zu sein. Deswegen sage ich nichts, als die Drei sich gegen Abend verabschieden—nach noch mehr Pudding und Star Wars Episode VII—und ich mich wieder allein mit Ororo in meinem Zimmer finde.
 

Ich kann körperlich spüren, dass es wieder bergauf geht mit mir. Es ist ein bisschen so, als wäre ich wochenlang in dicke Watte gewickelt gewesen und jetzt langsam werde ich ausgepackt. Mein Schlafrhythmus erholt sich langsam aber sicher—statt gar nicht zu schlafen oder volle dreizehn Stunden schlafe ich von Sonntag auf Montag sieben Stunden.
 

Ich verbringe den Vormittag mit noch mehr Hausaufgaben, einem kurzen Spaziergang und einem Berg Backwaren, den ich beim Bäcker um die Ecke einkaufe, als ich von meinem Spaziergang zurück nach Hause komme.
 

Weil Montag ist und montags Training stattfindet, weiß ich, dass Julius und Cem lange in der Schule sind und ich würde mich ohnehin nicht trauen, sie zu fragen, ob sie vorbei kommen möchten. Aber wie es sich herausstellt, muss ich das auch gar, weil ich um zwei eine Nachricht von Feli bekomme, die fragt, ob sie vorbeikommen kann.
 

Und so geht es die ganze Woche weiter.
 

Ich schlafe um die sechs, sieben Stunden, gehe raus und esse und so viel ich herunterkriegen kann. Wenn die Schule aus ist, taucht mindestens einer der Drei bei mir auf, um mit mir die zweite Tageshälfte zu verbringen. Niemand erwähnt mit einem Sterbenswörtchen, dass es darum geht, mir mit meinen Depressionen zu helfen.
 

Am Donnerstag gehen wir zu viert einkaufen, um zu kochen. Wie Julius erklärt, kann er kaum anständige Pfannkuchen selber machen und Feli hat es laut ihrer eigenen Aussage bereits geschafft, eine Mikrowelle in Brand zu stecken.
 

Also bleibt der Großteil der Arbeit an Cem und mir hängen.
 

»Alter, wenn du drei kleinere Geschwister hast, lernst du irgendwann Essen zu machen«, erklärt Cem. Ich nicke verständnisvoll.
 

»Gilt auch, wenn du einen Vater hast, der sich nicht drum schert, ob du verhungerst oder nicht. Selber kochen ist die einzige Lösung«, füge ich hinzu.
 

Cem und ich stoßen unsere Fäuste gegeneinander, während Feli und Julius betreten dreinsehen, weil sie kaum eine Zwiebel schälen können.
 

»Ihr könnt Möhren schälen? Und Wasser für Reis auf’n Herd packen«, sagt Cem großzügig und bewirft Julius gut gelaunt mit insgesamt sechs Mohrrüben, von denen Julius nur zwei fangen kann, ehe er nicht mehr genug Hand frei hat für die anderen. Feli lacht so sehr, dass ihr die Tränen kommen und sie beinahe einen Topf mit Wasser auf dem Fußboden verteilt.
 

Julius beim Möhrenschälen zuzusehen ist ein Abenteuer. Er sieht aus, als hätte er noch einen Sparschäler gehalten und raspelt sich mehr die eigenen Finger ab, als die Schale der Mohrrübe, die er schälen soll.
 

»Ok, das ist—lass mich—«, sage ich und strecke meine Finger aus, um ihm zu zeigen, wie er die blöde Möhre am besten schälen kann. Dass dabei unsere Hände sich berühren, habe ich im Affekt irgendwie nicht bedacht. Mein Herz rutscht mir in die Hose, aber ich denke, dass es jetzt auch komisch wäre, einen Rückzieher zu machen.
 

Also legen meine Finger sich vorsichtig um Julius‘ Hände und ich zeige ihm, wie man Mohrrüben schält. Sein Gesicht ist knallrot und es ist plötzlich verdächtig still in der Küche. Alles, was man noch hören kann, ist das Geräusch des Schälers, der Bahn für Bahn die Schale von der Möhre zieht.
 

Ich schlucke und versuche mich nicht allzu sehr darauf zu konzentrieren, wie meine Finger kribbeln, weil sie Julius‘ Hände halten.
 

Als ich meine Hände zurückziehe, hält Julius ganze dreißig Sekunden inne, die Möhre in seinen Händen, das Gesicht so dunkelrot, dass ich kaum noch seine Sommersprossen sehen kann. Cem räuspert sich überdeutlich und wendet sich dann wieder dem Hähnchen zu, das er gerade schneidet.
 

Felis Augen huschen abwechselnd zu Julius‘ und meinem Gesicht und ich weiß, dass ich zwar nicht knallrot bin, aber wahrscheinlich aussehe, als hätte jemand mir ein paar Backpfeifen verpasst.
 

Fuck.
 

Ich konzentriere mich so gut ich kann auf die Zwiebeln, den Knoblauch und die Chilischote vor mir und schaue niemanden an, während meine Gedanken sich um das Gefühl von Julius‘ Händen unter meinen Fingern drehen. Wenn man bedenkt, wie nah ich Julius schon gewesen bin, ist das absolut bescheuert. Aber das war bevor ich mit einer Abrissbirne voller Gefühle mitten im Gesicht getroffen worden bin, und jetzt ist plötzlich jeder Zentimeter Haut Zunder und Julius ist ein einziger, großer Waldbrand.
 

Ich kann nicht fassen, dass ich mich ein zweites Mal in einen Fußballkapitän verknallt habe, auch wenn ich sagen muss, dass die Gefühle gegenüber Moritz nichts sind im Vergleich zu dem, was gerade in mir passiert.
 

»Bist du mit deinen Hausaufgaben jetzt auf dem neusten Stand?«, fragt Feli in die Stille hinein und ich bin sehr dankbar über die Ablenkung.
 

»Mir fehlen noch Bio und Geschichte«, gebe ich zurück. Feli lehnt an meinem Stuhl und nachdem ich meine Chilischote fertig gehackt habe, lege ich einen Arm um ihre Hüfte und lehne meinen Kopf gegen ihre Seite.
 

»Au, fuck«, ertönt es vom Platz gegenüber und ich schaue auf. Julius hat seinen Finger im Mund und eine der Möhren vollgeblutet, weil er sich offenbar in den Finger geschnitten hat.
 

»Ok, mach Platz, Dornröschen, ich schäl die scheiß Möhren«, sagt Cem empört und schiebt Julius beiseite, um nach den Möhren zu greifen. Ich stehe hastig auf und greife nach Julius‘ Hand.
 

»Ich hol ein Pflaster«, sage ich, nachdem ich den Schnitt unter die Lupe genommen habe und lasse Julius‘ Hand los, um ins Bad zu huschen und ein Pflaster zu zu holen. Als ich zurück komme, hat Cem die Möhren fast fertig geschält und geschnitten und wirft Julius halb amüsierte, halb fassungslose Blicke zu. Julius hat wieder den Finger im Mund.
 

Ich versuche krampfhaft nicht darüber nachzudenken, wie das wäre, wenn es mein Finger in Julius‘ Mund wäre und greife erneut nach seiner Hand, um vorsichtig das Pflaster auf die Schnittwunde zu kleben.
 

»Danke«, sagt Julius kleinlaut.
 

»Wenigstens hast du andere Talente«, sagt Cem großmütig und haut Julius kumpelhaft auf den Rücken, ehe er aufsteht und anfängt, einige der Zutaten in die Pfanne zu schmeißen. Ich gehe zum Herd und helfe, den Reis ins kochende Wasser zu schütten.
 

Mein Herz hämmert immer noch von der Berührung unserer Finger. Ich hab das Gefühl, aus meiner eigenen Haut kriechen zu wollen. Ich will Julius umarmen, ich will meine Finger in seinem Haar vergraben, ich will, dass er auf mir oder neben mir oder unter mir liegt, ich will ihn küssen
 

Fuck.
 

Cem betrachtet mich von der Seite, seine Augen sind leicht verengt und er sieht aus, als würde er angestrengt über etwas nachdenken. Ich beobachte krampfhaft, wie er Hähnchen, Zwiebeln und Knoblauch brät und sehe ihn absichtlich nicht an, aus Angst, dass er direkt in meinen Augen lesen kann, worüber ich nachgedacht habe.
 

»Hey, Tamino«, kommt Julius‘ Stimme von hinter mir.
 

»Hm?«
 

»Kommst du Montag wieder in die Schule?«
 

Ich denke kurz darüber nach und lausche in mich hinein. Die letzte Woche war... gut. Besser. Viel besser als davor. Julius hat das geschafft.
 

Mein Herz schwillt auf die doppelte Größe an und ich hole tief Luft.
 

»Ja. Ja, ich denk schon.«
 

»Cool«, entgegnet Julius und ich höre das Lächeln in seiner Stimme.



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Kommentare zu diesem Kapitel (11)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  EmilieJasminR
2019-06-07T21:36:48+00:00 07.06.2019 23:36
Hey du Liebe, ich habe leider zur Zeit nicht die Ruhe einen ausführlichen Kommentar zu schreiben (Abschlussarbeit, yay!), aber ich wollte dich doch wissen lassen, dass ich die Entwicklung mit Spannung verfolge und immer wieder unglaublich glücklich bin, wenn du so schnell so viel schreibst! Hut ab dafür! Auch wenn ich mich jetzt nicht so häufig melde, lese ich doch immer mit (und checke zwei Mal am Tag ob es ein neues Kapitel gab, damit ich es sofort lese ;)) Alles Liebe dir!
Antwort von:  EmilieJasminR
07.06.2019 23:40
Oh, was ich aber doch noch mal aussagen muss: Ich liebe die Freundschaft in diesem Kapitel! Finde es echt gigantisch, wie die für einander da sind und dass du das beschreibst- habe das Gefühl die Freundschaften haben mindestens so viel Raum wie der Liebeskram und das ist leider so selten, dass es von mir dafür nochmal ein ausdrückliches Lob gibt!
Antwort von:  Ur
08.06.2019 09:50
Oooh, viel Erfolg mit deiner Abschlussarbeit! Kein Stress wegen Kommentaren, ich freu mich, dass du noch liest und es dir Freude bereitet :) Und jaa, Freundschaftsfluff ist mir so wichtig, es sollte eine gute Mischung aus romantischen Fluff und Freundschaftsfluff sein, dann bin ich glücklich :D Danke für deine lieben Worte <3
Von: abgemeldet
2019-06-07T16:48:48+00:00 07.06.2019 18:48
I don’t do comments!!
Aber ich muss es sagen: ich liebe deine Charaktere. Sie sind so echt und voller flaws und liebenswert und ich hätte sie so gerne als Freunde in meinem Leben.
Auf jeden Fall wollte ich dir einfach nur mal schnell danken. Für Feli, die nicht weiß welche sexuelle Orientierung sie hat und dass es ihr recht wurscht ist. Für Tamino, der so stark für seine Freunde ist auch wenns ihn danach wieder total umhaut. Für Julius, der genau wie ich versucht seinem Bauchgefühl zu folgen und so gar nicht verarbeitet kriegt was da los ist, was diese ganzen lgbtq+ Begriffe bedeuten und nicht wusste, dass ihm eigentlich was bei seinen bisherigen Freundschaften gefehlt hat. Und für Cem, den ich einfach ganz wunderbar finde, weil er so gelassen und doch sensibel ist. Der sich alle Mühe gibt mit seinen „neuen“ Freunden obwohl ihn das Ganze wahrscheinlich 3 mal die Woche total überfordert.
Ich finde mich in jedem von ihnen ein Stückchen wieder und fühle mich so wunderbar repräsentiert (vorallem in Juls) wie es in keinem anderen Medium (TV, Film, Bücher) der Fall war.
Dies gilt für die meisten deiner eigenen Stories, aber diese hier beinhaltet so viele schwierige Themen, die du sehr gut darstellst, dass mir die Worte fehlen um wirklich zu verdeutlichen was sie mir bedeutet.

Also nochmals danke und ich kann es gar nicht erwarten zu lesen wie es mit Juls und Tamino und all ihren geliebten Mitmenschen weiter geht.
Antwort von:  Ur
07.06.2019 20:04
Awww, vielen, vielen Dank für deine lieben Worte! Ich freu mich wahnsinnig, dass du dich in meinen Babies wiederfindest, genau dafür sind sie da (und genauso sind sie entstanden, weil ich all diese Leute irgendwie kenne und all diese Leute irgendwie selber bin). Es bedeutet mir also sehr viel, dass du so gut mit ihnen mitfühlen kannst <3 Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, so einen lieben Kommentar zu schreiben!
Von:  Deedochan
2019-06-03T21:38:45+00:00 03.06.2019 23:38

Antwort von:  Ur
04.06.2019 06:19
:)
Von:  MiuAyumi
2019-06-03T10:40:51+00:00 03.06.2019 12:40
Oh gott ey, neue Kapitel gesehen und gleich Happy QvQ für mich persönlich wie ne Belohnung für die harte Con Vorbereitungen ... Ich Danke dir TvT""

Und jetzt wo es wieder bergauf geht bin ich sooooo erleichtert...... kurzzeitig dachte ich, oh mein gott, das ist wie so ein moment im leben wo alles schief läuft und man weiß, es wird nie mehr so wie vorher...

Dieses Kapitel ist so... Gyaaah <3 spätestens als Tamino anfängt zu singen war für mich jeder zweifel weg und ich wusste jetzt wird wieder alles gut qvq love it! Danke auch für dieses lied, für immer eine verbindung mit Tamino TvT

Die größte Süßigkeit ist für mich einfach Juls... so unbeholfen und macht trotzdem alles irgendwie dann doch wieder richtig.

Uffff all dieses gefühlchaos.... es nimmt einen so mit!
Ich liebe deine Sachen. TvT Danke für deine Geschichten, ich sage es viel zu selten.

- Döni <3
Antwort von:  Ur
03.06.2019 19:55
Ich freu mich, dass es dich so glücklich gemacht hat :D Und das, obwohl noch so ein Gedühlschaos herrscht ;) Vielen Dank für den lieben Kommentar <3
Von:  FreeWolf
2019-06-02T07:42:30+00:00 02.06.2019 09:42
Ich weiß nicht, ob mein armes gebrochenes aich so langsam wieder erholt wie Tamino, aber ich habe jetzt definitiv zu viel Sia gehört dank dir und dieses Kapitel dreimal gelesen, weil es einfach too many feels sind. <3 Ich habe so viele Lieblingsmomente, aber ich glaube der liebste ist am Schluss, an dem Tamino meint, er würde am liebsten aus seiner eigenen Haut kriechen. Ich bin gespannt wie es ihm zurück in der Schule ergehen wird.
Antwort von:  Ur
02.06.2019 09:45
Freut mich, dass Sia dir gefallen hat :D Ich hab das Lied auch sehr oft gehört in den letzten Tagen ;) Danke für die lieben Worte <3
Von: Karma
2019-06-01T20:02:18+00:00 01.06.2019 22:02
Aaaaawwwww!
*selig vor mich hin seufz*
Das, genau das hab ich gebraucht heute nach einem elendig langen Arbeitstag voller nerviger Anfragen.
<3
Es ist schön zu sehen, dass Feli, Cem und Julius so gesehen der zweite Teil von Taminos Freundes-Truppe sind, die ihm helfen können, wenn's ihm dreckig geht. Und es ist schön, dass es ihm wieder besser geht, auch wenn er sich mit seinen Gefühlen rumschlägt und nicht ahnt, dass er nicht der Einzige ist.
^_____^

Allerdings muss ich sagen, dass du schuld bist, dass meine arme Katze gerade Hals über Kopf ins Schlafzimmer geflohen ist. Bei dem Waldbrand konnte ich mir ein - leider sehr lautes - peinliches Quietschen nicht verkneifen und hab Queen Mamba damit einen gehörigen Schrecken eingejagt. Aber ich werd sie später mit Kraulen und Leckerchen schon wieder besänftigen können. Und bei so einer süßen Erklärung sei mir dieser Fauxpas verziehen.
;)

Bin schon gespannt, wie's jetzt weitergeht.
*___*
Antwort von:  Ur
01.06.2019 22:05
Es tut mir leid für deine Katze, aber ich bin sehr froh, dass du so quietschen musstest :D Und dass ich deinen Arbeitstag etwas abfedern konnte! Wie immer danke für deine lieben Worte <3
Antwort von: Karma
01.06.2019 22:10
Ihro Maujestät hat schon geruht, mir zu verzeihen, sie hängt gerade auf meinem Schoß und kuschelt den Laptop.
XD
Zum Glück ist sie nicht nachtragend.
:)
Und gern geschehen.
^_____^
Von:  Yamasha
2019-06-01T17:57:26+00:00 01.06.2019 19:57
So süß ❤️ mich freut es unheimlich, dass Tamino jetzt so tolle neue Freund*Innen gefunden hat, mit denen es fast so ist wie mit Noah, Anni und Lotta. Und dass sie alles einfach so hinnehmen und so. Einfach toll. ❤️ Ich fühle mich ganz flauschig.
Antwort von:  Ur
01.06.2019 19:59
Flauschigkeit! Was für ein gutes Gefühl, um es in anderen auszulösen :D Danke fürs Kommentieren!
Von:  Sei512
2019-06-01T16:02:35+00:00 01.06.2019 18:02
Oh mein Gott, Sonne, Wärme, ein kühles Getränk und dann entdecke ich ein neues Kapitel von dir. Der Nachmittag kann nicht mehr besser werden. Und ja verdammt da haben wir den Fluff...zumindest ein bisschen. Und Glitzer. Ach endlich. Meine Nerven... Es ist so süß zu lesen. Wie sehr sich Juls in Zeug legt um Tamino aus seinen Schneckenhaus zu bekommen. Es ist so Zucker wie sie zusammen kuscheln. Einfach nur perfekt. Auch wenn die Erkenntnis langsam kommt das vielleicht Juls auch in in verliebt ist. Warum sollte man sonst rot werden? Und alle anderen schon mehr ahnen als die beiden... Oh Mann... Aber das Gespräch auf dem Bett über wem mit wem vögelt ein Traum. Gott habe ich gelacht.
Ich bin gespannt wann Tamino endlich mit Juls redet. Aber wie ich dich kenne wirst du uns noch etwas auf die Folter spannen?

Liebe Grüße Sei
Antwort von:  Ur
01.06.2019 18:06
Du kennst mich so gut :D Ein bisschen Folter muss sein ;) Ich freu mich, dass ich deinen ohnehin schon guten Tag noch ein wenig versüßen konnte! Danke fürs Kommentieren ^-^
Von:  chaos-kao
2019-06-01T10:45:00+00:00 01.06.2019 12:45
Haach ja, die beiden sind einfach sooo putzig. Ist nur echt ungewohnt, dass sie auf nun schon so lange auf Abstand sind, sich kaum berühren und kaum miteinander sprechen. Wenigstens geht es Tamino dank den drei anderen nun wieder besser. Ich hätte auch gerne solche Freunde ^^
Antwort von:  Ur
01.06.2019 17:28
The Power Of Friendship ist immer eine der wichtigsten, treibenden Kräfte in all meinem Kram :'D *streut platonisches Konfetti* Für die beiden ist es auch sehr ungewohnt, aber hey, schon mehr Anfassen als im letzten Kapitel :D Babysteps! Danke fürs Kommentieren :)


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