Actio est reactio von Ur (von Nerdherzen und den physikalischen Gesetzen ihrer Eroberung) ================================================================================ Kapitel 15: Fotos und Fragen ---------------------------- Als Tamino mir die Tür öffnet, trägt er eine graue Jogginghose und ein ärmelloses Oberteil und ich starre ganze drei Sekunden auf Taminos nackte Oberarme, ehe ich ihm einen Sechserträger Bier entgegenstrecke, der nicht mehr in meinen Rucksack gepasst hat. Tamino hat Muskeln. Ich hatte diesen Verdacht ja schon vorher, aber jetzt habe ich den Beweis gesehen. Wo kommen die her? Wozu hat er sie überhaupt? Und warum denke ich peinlich obsessiv über Taminos Oberarmmuskeln nach? In meinem Gehirn erklingt etwas, das verdächtig nach Cems Lachen klingt. Tamino nimmt den Sechserträger entgegen und tritt beiseite, damit ich hereinkommen kann. Ich kicke meine Schuhe von den Füßen, setze meinen Rucksack ab und krame die Flasche Rum hervor. »Danke für mein Abi«, platzt es aus mir heraus. Tamino blinzelt. Er hat immer noch den Sechserträger im Arm und stellt ihn behutsam auf den Boden. Dann nimmt er vorsichtig den Rum entgegen, als wäre es ein wahnsinnig kostbares Geschenk und ich fühle mich so dämlich, dass ich eigentlich gerne meinen Kopf gegen die Wand hauen würde. »Gern geschehen«, sagt er leise und lächelt mich an. Er hat ziemlich lange Finger. Wahrscheinlich normal, wenn man so ein langer Lulatsch ist. »So… rein theoretisch… darf man dich umarmen?« Oh, was zum Teufel. Julius. WAS. ZUM. TEUFEL? Ich beiße mir auf die Zunge und klatsche mir eine Hand aufs Gesicht. Wow. Es ist offiziell. Taminos Gegenwart verwandelt mich in einen sozial inkompetenten Vollpfosten. Taminos Augen haben sich leicht geweitet und er klammert sich jetzt an seine Rumflasche, als wäre sie ein Rettungsseil. Toll. Ich hab unser erstes Nicht-Nachhilfe-Treffen gleich nach wenigen Sekunden ruiniert. Ich bin so dämlich, dämlich, dämlich… »Ähm… theoretisch… ja? Aber ich hatte seit… also… vielleicht nach ein paar Gläsern Rum?«, stammelt Tamino. Ich nehme die Hand vom Gesicht. »Oh. Ok. Ähm… ok«, sage ich geistreich. Wir starren uns ein paar Sekunden lang an, dann greife ich meinen Rucksack und Tamino setzt sich ebenfalls in Bewegung. Wir gehen in sein Zimmer und ich packe die Kekse aus, halte sie ihm hin und hole den zweiten Sechserträger aus meinem Rucksack. »Ich tu das alles eben in den Gefrierschrank. Du kannst dir schon mal eine Pizza aussuchen?«, sagt Tamino. Er sieht immer noch nervös aus gibt mir einen Flyer für einen Pizzabringdienst. Die Kekse hält er fest, als wären sie etwas sehr Kostbares. Ich glaube, es sind die gleichen Kekse, die Mari letztes Mal auch gebacken hatte. Als Tamino krank war. Tamino trägt die zwei Sechserträger und den Rum in die Küche und ich betrachte den Flyer. Aus unerfindlichen Gründen wünsche ich mir einen Knopf im Ohr, durch den ich mit Mari reden kann, damit sie mir Tipps geben kann. Dann wiederum möchte ich ihr lieber niemals erzählen, wie ich Tamino total stumpf gefragt habe, ob man ihn umarmen kann. Das werde ich mit ins Grab nehmen. »Wir können erst ab fünf bestellen, vorher liefern die nicht«, erklärt Tamino, als er wiederkommt. Ich habe mich aufs Bett fallen lassen und studiere aufmerksam die verschiedenen Pizzaangebote. »Man kann Ben&Jerry’s bestellen«, sage ich. »Ja. Ich hoffe, das kommt bei dir nicht auf die Pizza?« »Was? Nein! Was?« Tamino gluckst leise und setzt sich neben mich aufs Bett. Es sieht ganz so aus, als hätte er mir meine dumme Frage nicht übel genommen. Unsere Oberarme berühren sich fast. Hatte ich schon erwähnt, dass seine nackt sind? Er hat recht viele Leberflecke, die man auf seiner braunen Haut nicht ganz so deutlich sieht, wie es auf meiner weißen Haut der Fall wäre. Zwei davon sitzen direkt nebeneinander in seiner Armbeuge. »Hey, ich kenne jemanden, der Pfirsich auf seine Pizza legt, also…« »Oh mein Gott«, sage ich entgeistert. »Das ist das ekligste, was ich je gehört habe!« Tamino lacht. »Das sage ich Anni auch immer. Aber sie meint, es wäre der Renner. Beim letzten Mal Raclette hat sie Hack und Banane und Cocktailsoße in ihr Pfännchen gemacht und behauptet, es wäre das Beste, was sie je gegessen hat«, erklärt Tamino. »Ist Anni die, der ich bei Skype gewunken hab?«, will ich wissen. »Nee. Das war Lotta. Hier…«, sagt er und kramt sein Handy hervor und wischt ein bisschen darauf herum, bis ich schließlich ein Foto unter die Nase gehalten bekomme. Es ist ein Selfie, auf das kaum alle vier Menschen gepasst haben, die darauf zu sehen sind. Offenbar hat Tamino das Handy gehalten, denn von ihm ist eigentlich nur die Augen- und Stirnpartie im Vordergrund zu sehen. Das Bild sieht aus, als wäre es ihm am wichtigsten gewesen, seine Freunde zu erwischen und das ist ihm gelungen. Ich erkenne das Mädchen von dem Skype-Anruf. Ihre roten Locken sind unverkennbar und sie ist die einzige weiße Person auf dem Foto. Sie hat sogar noch mehr Sommersprossen als ich und es sieht aus, als hätte sie das gemeistert, was Mari als perfekten Lidstrich bezeichnen würde. Direkt neben ihr sieht man das Gesicht eines schwarzen Jungen im Bild. Er hat viel dunklere Haut als Tamino, aber genauso weiße Zähne und sein linkes Ohr zieren mehrere Ohrringe. Das asiatische Mädchen muss Anni mit den komischen Essgewohnheiten sein. Sie streckt der Kamera die Zunge heraus und sorgt dafür, dass Taminos halber Kopf Hasenohren auf dem Foto hat. »Das ist Anni«, sagt Tamino und zeigt auf sie. »Lotta und Noah.« »Ohhh«, sage ich, als mir ein Licht aufgeht, »das Lied, das du gesungen hast, heißt eigentlich gar nichts mit Lotta!« Tamino hüstelt leise. »Nee. Eigentlich heißt es ‚Für Sarah‘. Ich habs ein bisschen abgeändert«, erklärt er sichtlich peinlich berührt. Ich frage mich, ob er verlegen ist, weil er seiner Freundin Liebeslieder singt, oder weil ich das Singen überhaupt erwähnt habe. Tamino greift nach der Büchse mit den Keksen, die er auf dem Nachtschrank abgestellt hat. Er hält mir die Dose hin und ich schnappe mir einen Keks. Für einen Moment essen wir schweigend Maris Wunderwerke. »Ok, es ist so…«, sagt Tamino und ich setze mich ein bisschen gerader hin und drehe den Kopf so, dass ich Tamino anschauen kann. Er sieht nervös aus. »Wenn ich Rum trinke, wäre es cool, wenn du… Es gibt ein paar Themen, die du vielleicht… können wir nicht über Eltern oder Fußball reden, wenn ich besoffen bin?« Er sieht aus, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen. »Kein Ding«, sage ich lässig. Als würde ich mich kein bisschen darüber wundern. Es ist mir noch nie passiert, dass irgendwer mir gesagt hat, dass ein bestimmtes Thema Tabu ist, bevor es mit dem Saufen überhaupt losgegangen ist. Cem würde einfach »Halt’s Maul, Juls«, sagen, wenn ich mit irgendwas anfange, worüber er nicht reden will. »Danke«, sagt Tamino leise und bietet mir noch einen Keks an. Ich nehme einen. »Seit wann kennst du Spock?«, will er dann wissen. Ich erkenne ein Ablenkungsmanöver, wenn ich es vor mir habe. »Mari hat mich gezwungen, ein paar von den alten Filmen anzugucken«, sage ich. Tamino hebt prompt eine seiner Augenbrauen. »Ok, ok. Ich mach es freiwillig!«, gebe ich zu und hebe die Hände. Tamino schmunzelt. »Siehste. Geht doch, Star Wars und Star Trek zu mögen«, meint er zufrieden und schiebt sich noch einen Keks in den Mund. Wir verbringen die nächste halbe Stunde damit, über Kirk und Spock zu reden und noch ein paar mehr Kekse zu essen. Wenn das so weiter geht, schaffe ich meine Pizza nicht mehr. Maris Kekse sind echt lecker. »Haben sie diesen ganzen Film über Khan nicht neu gemacht?«, frage ich Tamino. Tamino rümpft tatsächlich die Nase. Oh mein Gott. Er sieht aus wie ein Babytier. Scheiße, ich brauche dringend mein erstes Bier. »Ja. Aber… naja. Sagen wir, ich bin nicht so der Fan von den neuen Filmen«, meint Tamino. Ich grinse breit. »Ok, wie groß ist dein Bedürfnis, so richtig über die neuen Filme abzukacken? Jetzt, in diesem Moment?«, frage ich amüsiert. »Hey! Ich kann mich zusammenreißen!« Ich schnaube. »Ich frag dich nach drei Gläsern Rum noch mal«, verspreche ich und Tamino grinst tatsächlich, als hätte er nichts dagegen, angetrunken darüber zu motzen, warum er die neuen Star Trek Filme scheiße findet. Ich frage mich, ob ich Tamino schon mal Schimpfwörter hab sagen hören, aber ich glaube nicht. »Vielleicht solltest du die neuen Filme einfach selber angucken und dir selber eine Meinung bilden«, sagt Tamino und nimmt den Flyer entgegen, den ich ihm reiche. Während er sich eine Pizza aussucht, habe ich Gelegenheit mir darüber Gedanken zu machen, warum Tamino nicht über Fußball reden will. Eltern, ok. Gekauft. Sein Vater ist ein Arschloch, mein Vater ist ein Arschloch. Ist vermutlich nicht der peppigste Partytalk. Aber Fußball? Will er da speziell wegen mir nicht drüber reden? Findet er mein Hobby so kacke? Das macht nicht so richtig Sinn. Aber ich habe keine andere Idee und fragen kann ich auch nicht, weil Tamino extra gesagt hat, dass er nicht darüber reden will. Ich denke darüber nach, ob insgeheim alle Leute so rätselhaft sind und man es bei den meisten nur nicht so sehr merkt, weil sie es besser verstecken. Dann wiederum habe ich letzte Woche Markus dabei beobachtet, wie er besoffen fünf Minuten lang eine Tür aufmachen wollte, die Cem offensichtlich von draußen zugehalten hat. Ich kann mir also nicht vorstellen, dass das Gehirn von Markus auch nur ansatzweise so komplex ist, wie das von Tamino. »Ich will die mit Hollandaise-Soße und Döner«, sage ich. Tamino schnaubt und schüttelt den Kopf. »Das ist nicht so weit entfernt von Pfirsich«, meint er. »Pf, ich bitte dich! Döner auf Pizza ist geil. Und Hollandaise schmeckt zu allem!« »Ich sollte dich Anni vorstellen. Wahrscheinlich seid ihr Seelenverwandte«, sagt Tamino und legt den Flyer. »Wenn du damit fertig bist, mich für meinen exquisiten Geschmack zu dissen, kannst du mir ja sagen, was du auf deine Pizza willst«, gebe ich zurück und verschränke die Arme vor der Brust. »Scharfe Salami und Pepperoni.« »Hardcore.« »Jap. Ich bestell auch mit extra Chili.« »Was!? Hast du keine Angst um deine Zunge?« »Nee. Ich ess gerne scharf.« »Darf ich probieren?« »Hast du keine Angst um deine Zunge?« »Haha, sehr witzig!« Es ist erstaunlich einfach mit Tamino zu reden, selbst wenn wir keine Nachhilfe machen. Ich habe ihm immer noch nicht gesagt, dass meine Mutter von ihm wissen will, wie viele zusätzliche Nachhilfestunden sie ihm bezahlen soll, weil er mir diese Sprachnachrichten geschickt hat. Die ich übrigens immer noch auf dem Handy habe. Pünktlich um fünf bestellt Tamino unsere Pizza übers Internet. »Wär’s für dich ok, die Tür aufzumachen und zu bezahlen, wenn die Pizza kommt?«, fragt er mich zögerlich. Ich muss mir abgewöhnen, jeden Satz, den Tamino sagt, zu hinterfragen. Das wäre natürlich einfacher, wenn ich ihn besser kennen würde. So stehe ich einfach nur auf dem Schlauch und versuche, nicht allzu verwirrt auszusehen. »Ok. Kein Problem«, sage ich deshalb. Tamino sieht sehr erleichtert aus und ich sehe, wie er beruhigt ausatmet. »Cool. Danke«, murmelt er. Dann. »Bier?« Ich grinse ihn sehr breit an. »Unbedingt. Und die nächste Folge. Oder einen von den neuen Filmen«, gebe ich zurück. Tamino schnaubt. »Für die Filme brauche ich mehr Rum«, sagt Tamino entschieden und verschwindet dann in die Küche, um unseren Alkohol zu besorgen. Ich nutze die Pause, um mich noch ein wenig in Taminos Zimmer umzusehen. Die letzten Male, als ich hier war, haben wir sehr pflichtschuldig gelernt und ich hatte keine Gelegenheit, mir die hunderte von Büchern anzusehen, oder die ganzen DVDs. Es gibt auch jede Menge Fotos im Zimmer verteilt – auf der Fensterbank, in den Regalen, über dem Bett, an der Tür. Die meisten der Fotos sind von den drei Freunden, die Tamino mir vorhin bereits gezeigt hat. Man sieht die Vier – oder jeweils nur drei von ihnen – in verschiedenen Altersstufen, von etwa elf an aufwärts. Noah ist sogar noch größer als Tamino und etwa doppelt so breit. Es gibt mehrere Bilder davon, wie Noah einen der Drei anderen trägt. Anni sitzt mehrfach auf seinen Schultern, es gibt ein Bild, auf dem er beide Mädchen im Arm hat. Sie lachen und ihre Beine baumeln in der Luft. Und dann ist da ein Bild, auf dem Noah Tamino im Brautstil auf dem Arm hat. Beide müssen etwa fünfzehn oder sechzehn sein und beide strahlen freudig in die Kamera. So hab ich Tamino definitiv noch nie strahlen sehen. Auf allen Bildern, auf denen er zu sehen ist, sieht er so glücklich aus, dass die Bilder mich geradezu anleuchten. Ich betrachte ein Foto, das auf dem Schreibtisch steht. Alle vier Freunde liegen auf zwei nebeneinander platzierten Matratzen auf dem Boden, dicht aneinander gekuschelt, und schlafen offenbar ganz friedlich. Tamino hält Annis Hand, Lottas Kopf liegt in Noahs Armbeuge – sie liegen so verknotet ineinander, dass man sie vermutlich auseinander sortieren könnte. Ich frage mich, wer das Foto gemacht hat. Tamino sieht friedlich aus, sein Mund ist leicht geöffnet, Noahs Hand liegt in seinem wuscheligen Haar. Vielleicht braucht er nur für Umarmungen von mir ein paar Gläser Rum. Ein Bild im Bücherregal erregt meine Aufmerksamkeit. Tamino ist darauf etwa zehn Jahre alt. Er sitzt auf dem Schoß von einer sehr hübschen, schwarzen Frau, die mit ihm gemeinsam ein Buch liest, dessen Cover man auf dem Bild nicht erkennen kann. Man erkennt sofort, dass das seine Mutter sein muss, weil sie ihm ungeheuer ähnlich sieht. Auf dem Bild direkt daneben sieht man die beiden mit einer älteren, ebenfalls schwarzen Frau. Tamino ist auf dem Bild bereits größer als die beiden, aber er kann nicht älter als vierzehn sein. Seine Oma und seine Mutter haben dasselbe, liebevolle Lächeln im Gesicht, Tamino grinst zufrieden in die Kamera. Ich bin gerade dabei mir Gedanken darüber zu machen, wo Taminos Mutter wohl abgeblieben ist, als Tamino zurück ins Zimmer kommt und ich hastig so tue, als würde ich mich mit seinen Büchern beschäftigen. »Gibt’s ein Regal mit Lieblingsbüchern?«, frage ich, um meine Tarnung zu verfestigen. Tamino hat eine Flasche Cola unter dem Arm, den Rum in der einen und einen Sechserträger in der anderen Hand. »Im linken Regal ganz oben und dann bis zum dritten Brett«, erklärt Tamino lächelnd und stellt den Alkohol auf den Nachtschrank. »Drei Reihen voll? Wow«, murmele ich. »Es gibt so viele gute Bücher, ich kann mich schlecht entscheiden«, erklärt Tamino und wuselt dann wieder aus dem Zimmer – vermutlich, um sich ein Glas zu besorgen. »Denk an die Chips!«, rufe ich ihm hinterher und schaue mir nun tatsächlich die Bücher im linken Regal an. Einige Titel davon kenne ich. Ich hab schon mal von Douglas Adams gehört und Momo haben Mari und ich früher auch gerne gelesen. Die meisten der Bücher sind auf Englisch, einige auch auf Französisch und vor allem viele Kinderbücher sind auf Deutsch. Ich muss mich nicht groß anstrengen, um mir vorzustellen, wie viele meiner Mannschaftskameraden darauf reagieren würden, dass Tamino einige Kinderbücher im Regal stehen hat. Dann wiederum fänden viele von denen es sicherlich uncool, dass er überhaupt so viele Bücher im Regal hat. Ich ziehe wahllos ein Buch aus dem Regal, um den Klappentext zu lesen. Der Titel klingt sehr pompös. »Aristotle and Dante discover the secrets of the universe«. Als Tamino zurück kommt – mit Chips, einem Glas und einem Flaschenöffner – und mich mit dem Buch in der Hand sieht, bleibt er kurz stehen und stutzt. Dann wird er rot. Ich schaue wieder auf den Buchrücken und frage mich, was an dem Buch ihn so verlegen macht. Es sieht ziemlich normal aus, also lese ich die Zusammenfassung. »Aristotle is an angry teen with a brother in prison. Dante is a know-it-all who has an unusual way of looking at the world. When the two meet at the swimming pool, they seem to have nothing in common. But as the loners start spending time together, they discover that they share a special friendship—the kind that changes lives and lasts a lifetime. And it is through this friendship that Ari and Dante will learn the most important truths about themselves and the kind of people they want to be.« Ich hebe meine Augenbrauen. Maris Stimme lacht in meinem Kopf und erklärt mir, dass es klingt, als hätte jemand ein Buch über mich und Tamino geschrieben. »Ich dachte, es wäre was Philosophisches«, sage ich, während Tamino seine Bettdecke zur Seite schiebt, damit wir auf dem Bett Platz finden. »Es ist nicht über Philosophie, aber es ist schon recht philosophisch«, meint Tamino. Klingt sehr mysteriös. Ich drehe es in der Hand und betrachte den roten Jeep auf dem Cover und den Sternenhimmel darüber. Ein Buch über Freundschaft, was? Huh. Ich stelle es vorsichtig wieder ins Regal und nehme mir im Stillen vor, es beizeiten zu lesen. Vielleicht gibt es eine deutsche Übersetzung, damit ein Schwachkopf wie ich nicht fünf Jahre braucht, um es durchzubekommen. Als es an der Tür klingelt, drückt Tamino mir einen fünfzig Euro Schein in die Hand und kramt nach seinen Deep Space Nine DVDs. Ich nehme die Pizzen von einer jungen Türkin entgegen, die mir zuzwinkert, als ich ihr zwei Euro Trinkgeld gebe. Nicht, dass das mein Geld ist, aber Tamino hat gesagt, wir hätten auch fünf Pizzen bestellen können, also gehe ich davon aus, dass das ok ist. Ich kann mir vorstellen, dass es ihm ein bisschen egal ist, was mit dem Geld seines Vaters passiert. Tamino startet die nächste Folge und wir setzen uns mit unseren Pizzen aufs Bett und essen sie mit Fingern. Ich bekunde Empörung darüber, dass noch keine Klingonen vorgekommen sind und Tamino gluckst heiter. »Später gibt es mehr Klingonen«, verspricht er. Wir probieren von der Pizza des jeweils anderen und während ich mir Luft zufächere und nach Bier zum nachspülen verlange, verzieht Tamino angesichts meiner großartigen Hollandaise-Soße das Gesicht. Er nimmt sich sein erstes Glas Rum Cola und ich kriege ich ein Bier und wir spülen beide den Geschmack der Pizza herunter. Meine Zunge fühlt sich an, als stünde sie in Flammen und ich hab keine Ahnung, wie Tamino das essen kann, ohne Feuer zu speien. »Wenn wir jedes Mal trinken, wenn Odo und Quark streiten, sind wir innerhalb von zwei Folgen dicht«, sage ich grinsend. »Und jedes Mal, wenn ein Bajoraner jemandem ans Ohr greift.« »Und jedes Mal, wenn Kira super pissig ist.« »Jedes Mal, wenn Dax über Spaß redet.« »Eins für jedes Mal, wenn die Erwerbsregeln zitiert werden.« »Wenn wir das alles durchziehen, sind wir schon nach einer Folge total hacke«, erklärt Tamino und nimmt noch einen großen Schluck aus seinem Glas. Dann greift er zu seinem letzten Stück Pizza. Mein Herz macht einen sehr merkwürdigen Salto beim Gedanken daran, wie viele Gläser Rum genug sind, um Tamino zu umarmen. Ich denke an die ganzen Fotos, die ich vorhin angesehen habe und versuche nicht enttäuscht darüber zu sein, dass Tamino sonst anscheinend sehr begeistert von Umarmungen ist. Ich frage mich, ob ich selber eigentlich begeistert von Umarmungen bin. Mari und meine Mutter umarmen mich regelmäßig. Cem ist auch ein ziemlich grabbeliger Typ, der immer mal die Hand auf meine Schulter legt, mir auf den Rücken haut und mir ein High Five gibt. Von all dem wahnsinnig maskulinen Rumgekuschel auf dem Fußballfeld muss ich ja gar nicht erst reden. Manche der Mädchen aus dem Jahrgang umarmen mich zur Begrüßung. Ich denke, dass ich Umarmungen schon ok finde, aber ich hab definitiv noch nie vorher irgendwen angesehen und gedacht: Ja. Den Menschen will ich total dringend umarmen. Zu unserer eigenen Sicherheit halten wir uns nicht an die eben erwähnten Trinkspielregeln, weil wir sonst vermutlich beide recht schnell einer Alkoholvergiftung nahe kommen würden und ich einen Vorteil habe, weil mein Getränk nicht so hochprozentig ist wie das von Tamino. Er hat einen ordentlich Zug drauf und braucht nicht lange, bis er zwei Gläser ausgetrunken hat – und seine Mischung nähert sich einem 50/50 Verhältnis an, als er sein drittes Glas einschenkt. Ich frage mich, ob Tamino regelmäßig mit seinen Freunden getrunken hat, bevor er hierhergekommen ist. Es muss super kacke sein, alle Leute, die man mag, zurückzulassen und dann alleine in einer neuen Stadt zu stranden. Ich hätte da überhaupt keinen Bock drauf. Und so kurz vorm Abi hätte so ein Umzug meine Chancen zur Zulassen garantiert gekillt. »Weißt du noch, wie du dachtest, dass ich was von deiner Schwester will?«, fragt Tamino schmunzelnd kurz vorm Ende seines dritten Glases. Ich bin erst bei meiner zweiten Flasche Bier und beschließe, dass ich mich nicht abhängen lassen kann. Also trinke ich den Rest auf ex und greife mir die nächste Flasche. »Hey! Hätte ja sein können! Sie sieht ziemlich gut aus«, sage ich grinsend. »Ja, schon«, meint er und dreht den Kopf, um mich zu mustern. Mir wird warm. Muss am Bier liegen. Ich frage mich, was hinter seiner Brille vor sich geht. Vielleicht vergleicht er Mari und mich gerade und kommt zu dem Schluss, dass sie trotz der Zwillingssache die besseren Gene bekommen hat. »Aber sie ist sowas von lesbisch«, sage ich grinsend Richtung Decke. »Ja, hat sie erwähnt. Sie hat ein Foto von sich und Linda geschickt.« »Die beiden sind eklig klebrig miteinander. Wie ein glückliches Ehepaar.« »Kenn ich. Anni und Noah sind auch… klebrig eklig. Also, eigentlich finde ich es nicht eklig. Es ist ziemlich süß.« Ich grinse und frage mich, ob Noah und Anni auch sagen würden, dass Lotta und Tamino klebrig zusammen sind. Ich meine, wer seiner Freundin über Skype Liebeslieder vorsingt, ist wahrscheinlich genauso zuckrig wie Mari und Linda. »Wenn du mir von deinem Rum was abgibst, kann ich deinen Alkoholpegel vielleicht einholen«, sage ich dann, statt eine amüsierte Bemerkung über Tamino und Lotta zu machen. Eigentlich war es ja keins der beiden Tabuthemen, aber ich habe aus unerfindlichen Gründen nicht wirklich Lust, darüber zu reden, wie niedlich Lotta und Tamino miteinander sind. »Klar. Die ganze Flasche kann ich eh nicht trinken.« »Ach nein?« »Nee. Bin nicht mehr im Training«, sagt Tamino und er macht schon wieder diese Sache mit der Spock-Augenbraue und das macht wiederum irgendwas mit meinen Eingeweiden. Weiß der Geier, was meine inneren Organe mit Taminos Augenbraue haben. »Soso, du warst also mal so richtig im Training, ja«, sage ich. Tamino reicht mir vollkommen unfeierlich die Flasche Rum und ich nehme das als Aufforderung, aus der Pulle zu trinken, da ich kein Glas habe. Ich nehme zwei große Schlucke und verziehe das Gesicht. »Boah«, sage ich und schüttele mich. Tamino grinst, setzt die Flasche an und trinkt. Er schaudert kein bisschen und streckt mir die Zunge raus. »Ja, du bist ein krasser Typ«, sage ich lachend und greife wieder nach meinem Bier. »Noch eine Folge, oder hattest du genug Rum für einen der Filme?«, frage ich. Tamino scheint darüber nachzudenken. Er hat den ganzen Abend noch nicht an seinen Fingern herum gekaut, was ich für ein gutes Zeichen halte. Wir sitzen mittlerweile ziemlich nah beieinander und ich frage mich, ob ihn das stört. Wenn ich noch ein kleines bisschen weiter nach rechts rutsche, berühren sich unsere Schultern. Ich hab ein kurzärmeliges Shirt an, Tamino immer noch sein ärmelloses Oberteil. Ich schlucke und trinke zur Ablenkung eine weitere halbe Flasche Bier in wenigen Zügen. »Vielleicht hatte ich genug Rum. Aber du wirst den Film nicht in Ruhe sehen können. Ich kommentiere alles, was mir nicht gefällt und fluche womöglich. Ununterbrochen.« »Auf Klingonisch?«, frage ich grinsend. Tamino lacht und hält sich hastig die Hand vor den Mund, als wäre es ihm peinlich. »Wenn du möchtest«, sagt er und schaut mich an. Sein Gesichtsausdruck ist so… offen, dass ich mir einen bekloppten Moment lang wünsche, dass wir einfach jedes Mal Alkohol trinken könnten, damit er mich noch mehr so ansieht. Als wäre ich nicht sein natürlicher Fressfeind, sondern einfach nur ein anderer Typ, der Star Trek doch nicht so scheiße findet, wie ursprünglich gedacht. Vielleicht ein potentieller Freund. Ich sollte wirklich Ari und Dante lesen. »Ja, dringend. Hau den Film rein und fluch auf Klingonisch«, sage ich und Tamino kichert. KICHERT. Und rutscht vom Bett, um den Film aus seinem Regal zu fischen. Ich leere mein Bier und greife sofort nach dem nächsten. Ein Bier noch, nehme ich mir im Stillen vor, dann frage ich nach dieser Umarmung. Hosted by Animexx e.V. 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