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Nur ein Spiel

von

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„Hylianisches Blut“

Am frühen Morgen hingen graue, hässliche Wolkenfetzen über der gemütlichen Jugendherberge, erinnerten mit einem spöttischen Wind an die Ereignisse des Vortages. Ein ächzendes Getöse dröhnte über den Parkplatz vor den Bungalows, als der gelbe, verbeulte PKW von Kevin McMayor auf einen Abschleppwagen geschoben wurde. Mit verschränkten Armen lehnte Link an der schmutzigen Hauswand und ließ seinen Blick zu den wenigen Personen schweifen, die an dem Wagen herum werkten. Es waren größtenteils Freunde und Kumpels von Kevin, aber auch Sian Johnson, der eigenartige, junge Kerl, die geholfen hatten den Wagen zu bewegen. Als die Arbeit getan war, winkte Kevin dem jungen Helden kurz zu, verabschiedete sich mit Gesten, worauf der grünbemützte Jugendliche nickte.

Als der Wagen in Richtung des kühlen, fleckigen Sonnenaufgangs die Anlage von Leon Johnson verließ, blickte der Heroe mit einem Seufzen hinterher. Es erschien ihm, als waren die Menschen in seiner Umgebung hilflos ausgeliefert, versuchten das zu retten und geradezubiegen, was möglich war, aber mehr konnten die meisten nicht leisten. Kevin konnte nicht kämpfen, sich dem Bösen stellen, genauso wenig wie Links Mitbewohner Patrick und Tommy. Alle hatten sie furchtbar geschlafen und die Themen von gestern nagten an ihnen…

,Kein Wort bezüglich des gestrigen Abends war gefallen und das war gut so‘, entschied Link. Freudlos kaute er auf einem Kaugummi herum, schloss die tiefblauen Augen sinnierend und als er jene wieder öffnete, trat plötzlich Sian Johnson, der merkwürdige Sohn des Campinhabers, vor ihm, so nah, dass Link automatisch zurückwich und sich den Hinterkopf an der Mauer anschlug.

„Argh… bist du noch ganz knusper, verdammt!“, murrte der Heroe und rieb sich tölpelhaft seinen Hinterkopf, zog dabei das Basecape herunter und richtete seine Frisur.

Gelassen grinsend trat der rotäugige Bursche vor Link und sah ihn mit seinen geheimnisvollen Seelenspiegeln an. Es war wie, als flackerte ein altes Feuer in seinen Augen, brannte sich durch alle Festungen einer Seele, wie ein Spion wanderte das Gespür in Sian Johnsons Blicken tief hinein in das Herz seines Betrachters. „Du hast es erlebt, nicht wahr?“

Link zwinkerte und verlor sich beinahe in dem rötlichen Leuchten von Sians Augenfarbe. Er öffnete seinen Mund einen schmalen Spalt, nicht sicher, was er darauf erwidern sollte.

„Du hast die Verseuchung der Dunkelheit erfahren…“, sprach Sian leise. Seine Stimme bekam Risse, als fürchtete er sich, obwohl Link sich nicht vorstellen konnte, wovor dieser bewegliche und kämpferische Bursche Angst haben musste.

„Was meinst du damit?“

Seufzend richtete der Irländer seinen Blick in Richtung des grauen Himmels. „Manchmal sind es Schatten der Nacht, manchmal ein Unheil, das in den Wäldern haust und wenn es niemand erwartet, werden es Menschen sein…“

„Hör‘ auf diesen Mist zu reden und sag‘ mir, was du überhaupt von mir willst!“ Streitsüchtig trat Link vor den jungen Mann und war nur wenige Zentimeter von diesen mysteriösen Augen entfernt. „Du hast gesagt, du wüsstest etwas, hast gesagt, du wüsstest über Zelda und mich Bescheid und nennst dich einen Beobachter. Weißt du etwas über die seltsamen Geschehnisse in Irland?“

„Ich kann es sehen und ertragen…“, murmelte der Jugendliche, wich zurück und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Als einer der wenigen kann ich es erkennen…“ Er drehte Link seine Rückseite zu und starrte zu Boden. „Heute fährt ein Bus nach Killarney … Wenn du Antworten willst, nimm‘ diesen Bus.“ Und damit ließ er Link in einem unguten Gefühl zurück.
 

Gegen Mittag ging der Bus, den Link ohne zu zögern nehmen wollte. Killarney war die nächstgrößere Stadt und eine Möglichkeit für Link Reisesouvenirs zu finden. Wenn er also nebenbei Antworten erhalten könnte, würde er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mit einem Rucksack auf dem Rücken wartete Link auf den roten Bus, den er von Weitem erkennen konnte. Mit gemächlicher Geschwindigkeit bewegte sich jener rote Fleck über die Straßen zwischen den grünen Hügeln. In dem Moment hasteten Patrick und Tommy aus dem Bungalow, knallten die Tür zu und hüpften eiligst an die Bushaltestelle.

„Wir fahren mit!“, rief Patrick, während Tommy wie eine Klette an ihm hing.

Der grünbemützte Jugendliche seufzte und konnte seinen Mitbewohnern ihr Vorhaben schließlich nicht ausreden, obwohl er sich gewünscht hätte alleine zu fahren.

„Hey, Link“, meinte der blonde, lange Kerl und wirkte verändert seit gestern Abend. Link wusste nicht, ob es daran lag, dass er die Ereignisse von gestern verdrängte, oder ob das Erscheinen seines Stalkerin schlimmer war als die grusligen Geschichten über die Wölfe.

„Hi, ihr wollt auch nach Killarney fahren?“

„Jap, wir wollen uns die Stadt anschauen, vielleicht was einkaufen.“

„Ja, ich eventuell auch…“, murmelte Link halbherzig. Er hatte andere Ziele, sicherlich.

Gerade da fuhr der Bus vor und Link ließ sich im hinteren Bereich auf einen Platz sinken, fläzte sich gelassen in den Sitz und lehnte den blonden Kopf gegen die Fensterscheibe. Er stopfte sich gräuliche Kopfhörer in seine Ohren und starrte trübsinnig in das Blau des Himmels. Pat hatte ihm letztens einen Zelda- Soundtrack ausgeliehen, Klänge aus einem fernen Abenteuer und Melodien von dem Anbeginn Hyrules, wo einst die Ballade der Göttin erklungen war. Die Augen schließend versuchte Link sich gehen zu lassen, wollte entführt werden von beruhigenden Harfe- und Okarinaklängen, von einem Orchester, das die Welten verband…

Zelda spukte wieder durch seine Gehirnwindungen und half ihm zurück zu einem kleinen, echten Grinsen. Ihre Augen leuchteten mit diesem geheimen Licht, das er noch immer nicht fassen konnte. Ihre himmelblauen Augen, belegt von einem schwachen Schatten wie eine graue Wolke vor einem sonnigen Gemüt. Sein Herz machte einen Aussetzer, ein kleiner Stich, der ihm etwas verraten wollte über das, was er vergaß. Beinahe qualvoll drängten sich die Bilder der Prinzessin in seinen Gedanken auf, riefen ihn mit stillen Blicken aus wunderschönen, saphirblauen Augen, bis er den Kopf schüttelte, die Kopfhörer aus den Ohren zog und sich die Augen rieb. ,Das war allmählich nicht mehr normal‘, schimpfte er in Gedanken. Er sehnte sich beinahe wahnsinnig nach ihr, sehnte sich nach ihrer Nähe, nach ihrer Stimme. Nur eine Schifffahrt und eine kleine Reise mit dem Zug trennten ihn von ihr. Was war das im Vergleich zu Zeldas Aufenthalt in einer anderen Welt?

Sein Blick wanderte dann perplex zu einer weiteren Gestalt, die in den Bus einstieg. Sian Johnson, der merkwürdige Typ mit den roten Augen, trat mit leicht gebückter Haltung und seinem rätselhaften Grinsen vor ihn und fragte, ob der Platz neben ihm noch frei war. Link bejahte, wollte er doch schließlich Antworten, die Sian Johnson, ihm vielleicht geben konnte.

Verdutzt spürte Link erneut einen Stich in seinem Herzen, machte ihn nervös und unsicher, während es sich der aschblonde Irländer auf dem Platz neben ihm bequem machte. Eine eigenartige Stimmung lag in der Luft, machte das Schweigen der beiden Kerle unerträglich. Dann startete der Busfahrer den Motor und sie fuhren aus dem Camp heraus. Die Straße war holprig und die Busfahrt nichts für schlichte Gemüter. Mit einem raschen Tempo lenkte der Fahrer den alten Bus durch enge Straßen, die nicht für derartige Fahrzeuge konstruiert worden waren, fuhr nah an der steilen, felsigen Meeresküste entlang, wo keine Absperrung angebracht war. Link wusste nicht, ob der Wolfangriff oder diese Fahrt schlimmer waren…
 

Ab und an wanderten die tiefblauen Augen des Helden neugierig zu seinem Platznachbarn, ab und an starrte Sian mit seinen mysteriösen Augen zurück. Als Link sich auf die Lippe biss, sich nervös durch das dunkelblonde, wilde Haar strich, bemerkte der Irländer, wie schwer es dem Helden fiel ihn anzusprechen, zu sagen, was gesagt werden musste. Krampfhaft schien Link zu überlegen, wie er Sian in ein Gespräch verwickeln konnte, grübelte zwanghaft, wie er beginnen sollte.

„Wie gefällt es dir eigentlich im schönen Irland, Link“, fragte Sian dann und riss den Siebzehnjährigen aus seinen Grübeleien.

Dankbar musterte der Heroe den durchtrainierten Schönling neben sich. „Sehr gut“, murmelte er. „Also… eigentlich ist das nicht ganz richtig.“

Sian beäugte ihn argwöhnisch. „Eigentlich… gefällt es den meisten Menschen in Irland recht gut… aber das muss nicht auf dich zutreffen.“

Link seufzte und an seinem Ton konnte man deutlich hören, wie unzufrieden er mit dieser Bemerkung war. „Jetzt hör‘ mal, Sian…“, begann er und fand es seltsam den Namen des Burschen auszusprechen. „Du hast mir Antworten versprochen, bitte rede nicht um den heißen Brei.“ Ein weiteres Mal durchbohrte Link mit seinen tiefblauen Augen die des Irländers.

„Dann sag‘ mir, was du wissen willst“, erwiderte der Bursche schwach und blickte etwas unsicher zu Links Mitbewohnern, die auf der Bankreihe hinter ihnen saßen. „Wir müssen das Ganze nicht so spannend machen.“

„Also gut“, meinte Link. „Ich finde es einfach seltsam, dass selbst hier in Irland, weit weg von der Kirche Schicksalshorts, merkwürdige Dinge geschehen und, um ehrlich zu sein, macht es mich stutzig, woher du so viel weißt. Ich kenne dich nicht und ich glaube nicht, dass du mich wirklich kennst.“ Er verschränkte die Arme um seinen Missmut auszudrücken.

„Ich habe nie behauptet dich zu kennen. Ich sagte lediglich, dass ich einige Dinge über dich und Zelda weiß.“

„Ja… aber woher?“

Gelassen wischte sich Sian seine aschblonden Haare aus dem Gesicht. „Ich denke nicht, dass es gut ist, wenn du das hier erfährst, wo Dutzende Ohren zu hören können.“

Link sah streitsüchtig drein. „Hey, Moment mal, du hast gemeint, du gibst mir Antworten hier im Bus nach Killarney, nur deswegen fahre ich überhaupt mit.“

„Manche Antworten zeigen sich nicht in Gestalt von Worten“, murmelte Sian.

Eine stichelnde Bitterkeit drängte sich dem Heroen auf, als der Irländer diese Worte sprach. Wollte Sian ihn irreführen oder für dumm verkaufen? Wozu diese eigensinnige Sprache? „Das war auch keine Antwort für mich…“, seufzte Link. „Glaubst du, ich habe Zeit für solche Spielchen? Es gibt genügend offene Fragen und Dinge, die ich herausfinden muss. Du hältst mich auf mit deinen rätselhaften Worten.“

Sian schloss geheimnistuerisch die rotschillernden Augen, legte den Kopf in den Nacken und lächelte genügsam. „Es ist wohl eher so, dass du dir selbst im Weg stehst, Link. Niemand hat dich gezwungen nach Irland zu reisen und Zelda in Schicksalshort zurückzulassen. Du wolltest etwas hier finden, vielleicht hast du es gespürt, aber konntest es für dich nicht einmal benennen. Und es gibt niemanden, der dich hier festhält, du kannst jederzeit entscheiden zu gehen. Du wirst etwas Geduld haben müssen um zu finden, was du suchst.“

„Das klingt so einfach, wenn du das sagst“, murmelte der Held.

„Es könnte so einfach sein, wenn du vor einigen Antworten nicht weglaufen würdest. Es gibt einige Dinge, die dir klar sind, ohne dass du es wahrhaben willst.“

„Was meinst du damit?“ Er durchbohrte die geheimnisvollen Augen seiner neuen Bekanntschaft mit weiteren Zweifeln. Sian wollte gerade den Mund öffnen, als der Bus mit einem zermürbenden Reifenquietschen stoppte. Durch die Wucht des plötzlichen Halts knallten sowohl Sian, als auch Link und seine beiden hinter ihnen sitzenden Mitbewohner nach vorne. Sich den Schädel reibend erhob sich der Heroe kurz und schaute nach dem Grund des plötzlichen Stopps und sah zwei lustige, sommersprossige Mädchen, wie auch Patricks Stalkerin außerhalb auf der engen Straße, hinter dem Bus her stürmend. Sie mussten an der letzten Haltestelle den Bus verpasst haben, stiegen laut diskutierend ein und dankten dem Busfahrer. Die Blicke der beiden irischen Damen fielen zu Link, Sian und den beiden anderen. Auffällig kichernd setzten sie sich in die Nähe der zwei gutaussehenden Kerle. Und schließlich trampelte noch die Stalkerin Patrizia in den Bus und stand erstarrt im Gang, als sie Patrick entdeckte. Zögerlich blickte sie zu Boden, bis sie sich von ihren scheinbaren Cousinen auf einen Sitzplatz zerren ließ.

„Kennst du die beiden?“, sagte Link und deutete dümmlich, und verlegen grinsend zu den zwei Irinen, ignorierte aber die dritte im Bunde.

„Ja, die wohnen beide in der Nähe der Jugendherberge.“

„Aha“, sagte Link daraufhin. Er erinnerte sich, dass er die beiden Damen an einem der ersten Tage hier in Irland bereits gesehen hatte.

„Du hast wohl Lust auf einen Urlaubsflirt?“, lachte der Rotäugige.

„Ich?“ Und Link deutete fragend mit einem Zeigefinger auf seine verwunderte Miene.

„Ja, wer denn sonst? Rede ich denn sonst noch mit jemandem?“

Link musste mehrfach über die Frage nachdenken, ehe er sie verstand. „Ähm… nein…“, babbelte er. „Also… natürlich habe ich kein Interesse. Ich hab’ bloß gefragt, weil die beiden uns zu gewunken haben.“

„Die eine ist Marla, die andere heißt Mirette. Ich war mit beiden schon zusammen“, meinte Sian abfällig. „Aber es wurde nie etwas Ernstes, ich habe keinen Bock auf längere Beziehungen, zumindest zurzeit nicht.“

„Du lässt ja echt nichts anbrennen, was?“, sagte Link mit großen Augen und legte seine Hände entspannend hinter den Kopf, während Sian mit den Schultern zuckte und lachte. „Was hast du denn erwartet? Ich genieße mein Leben, alles davon, solltest du im Übrigen auch tun…“

„Was willst du damit andeuten?“

Aber der Irländer winkte ab und unterließ es mit einem Grinsen darauf zu antworten. Link pustete einen Luftstrom an seinen Haaransatz und fühlte sich angegriffen durch Sians Worte. Es ärgerte ihn, dass sich dieser junge Bursche so wissend über alles äußerte, was sein Leben auf der Erde betraf. Er hatte zwar behauptet, dass er ihn nicht kannte, aber es wirkte eher so, als ob Sian in dieser Hinsicht nicht aufrichtig war. Ob Sian zu der Vergangenheit Hyrules gehörte?
 

Der Bus fuhr weiter, durchquerte einen kleinen Waldabschnitt mit riesigen Löchern in der kleinen leeren Straße. Mit jedem Meter fragte sich Link, wann die Reifen platzten… Sian schien die Holperfahrt kaum etwas auszumachen. Gelassen saß er auf seinem Platz, hatte die Augen geschlossen und schien zu meditieren. Mehrmals schielte der Heroe in sein Gesicht, überlegte, wie er das Gespräch mit dem merkwürdigen Irländer erneut aufgreifen konnte.

„Nun frag‘ mich doch einfach, Link“, sprach er mit seiner monotonen und doch melodischen Stimme. Dann öffnete er eines seiner roten Augen spielerisch. „Was interessiert dich?“

Link zwinkerte und wusste zunächst nicht, was er fragen sollte, als sein Mund schneller war als sein Kopf und die Worte nur so aus ihm heraussprudelten. „Du wohnst in diesem Schloss auf dem Hügel?“

„Ja, das tue ich.“

„Bist du adliger Abstammung? Oder wie kommt das?“

„Ja, bin ich. Aber eigentlich interessiert mich das recht wenig. Mein Vater hat sich seinen Adelstitel bereits aberkannt.“

„Stimmt. Davon habe ich schon gehört. Und warum, ich meine, was ist an einem Titel so falsch, damit man sich diesen aberkennt?“

Sian nickte. „Ich weiß, was du denkst. Es braucht einen Grund, eine Schuld, sich einen Titel wieder abzuerkennen.“

Auch Link nickte.

„Ja, vielleicht trifft das auf meinen Vater zu. Wenn man einen Titel nicht verdient hat, sollte man diesen verschmähen, anstatt sich zu Unrecht damit zu kleiden. Ebenso könnte man eine Maske tragen, die etwas wiedergibt, das man niemals gewesen ist, nur um der Wahrheit zu entfliehen.“

Link zwinkerte, biss sich auf die Lippe und fühlte sich peinlich berührt angesichts des Gedankens, dass er Sian bitten sollte verständlicher zu reden… Denn der sonst so kluge und wissbegierige Held hatte nichts verstanden. Der grünbemützte Jugendliche grinste betreten und hatte für einen Moment das Gefühl, dieses verworrene Gerede hätte er irgendwann schon mal gehört. Es kam ihm unheimlich vertraut vor, schlich sich durch seine Gedankengänge wie eine alte Melodie…

Als Link den Burschen neben sich irritiert musterte, sprach jener klar: „Er denkt einfach, er hat den Titel nicht verdient.“

„Okay.“

„Was, okay?“

„Ich habe endlich kapiert, was du gesagt hast.“

„Ach so.“ Sian zog eine eingeschnappte Schnute und drehte sich weg.

Der junge Held kratzte sich verwundert an einer Augenbraue. ,Irgendwie eine komische Situation‘, dachte er. Es war so vertraut mit Sian zu plaudern, so angenehm und gleichzeitig verwirrend. Der Held seufzte, als sich erneut eine schweigsame Stimmung über die beiden jungen Burschen senkte. Aus seinen Augenwinkeln beobachtete Link seinen neuen Bekannten, der erneut wie in Trance die Augen geschlossen hielt. Sian Johnson war ein hübscher Kerl mit ebenmäßigen, symmetrischen Gesichtszügen und seine tiefroten Augen wirkten wie ein fernes Feuer, geheimnisvoll und herausfordernd. ,Es war kein Wunder, dass er bereits so viele Freundinnen gehabt hatte‘, dachte Link. Er zwinkerte angesichts seiner peinlichen Gedanken, die ihn nervös werden ließen. Aber er musste zugeben, dass, wenn er sich für Männer interessieren würde, er Sian sicherlich attraktiv finden würde…

Der Bus bretterte erneut über eine holprige, enge Straße, die gefährlich dicht an einem steilen Ufer entlangging. Im sonnigen Hintergrund schwappte das blaue, riesige Meer an steile Brandungen, verschlang alles, was sich näher wagte.

Und während Link den aschblonden Irländer betrachtete, und er Hunderte weitere Fragen auf seiner Zunge hatte, entschied er sich endlich das Thema anzusprechen, was ihn seit langer Zeit quälte. Wenn Sian ein Beobachter war, der ein beinahe hellseherisches Wissen hatte, dann könnte er Details über Zeldas Erscheinen auf der Erde wissen. Link legte ihm eine Hand auf die Schulter, nicht sicher, ob der Bursche schlief. „Sian… ich hab‘ noch mehr Fragen.“

Er grinste hinterhältig. „Es würde mich wundern, wenn es anders wäre.“

Der Held seufzte und in seinen tiefblauen Augen lag eine ergreifende Sehnsucht, die Sian faszinierte. „Es geht um Zelda… eigentlich geht es die ganze Zeit um sie… Ich muss mehr über sie wissen.“

„Weißt du denn noch nicht genug?“

„Was meinst du damit schon wieder?“ Link verdrehte die Augäpfel murrend.

„Du weißt, wie wichtig sie für dich ist. Du weißt, dass sie ein unbeschreiblich gutes Herz hat und wunderschön ist. Du weißt, dass sie leidet wegen einer Vergangenheit, die sie nicht loslässt. Was brauchst du noch?“

„Nun rede nicht dauernd alles mit deiner eigenartigen Weise schön. Es ist überhaupt nichts klar und wenn du weißt, dass sie leidet und Angst hat, findest du das etwa richtig?“ Links Tonfall war energischer als er es beabsichtig hatte. Er zügelte sich, als Patrick im Hintergrund grummelte. Sian deutete ebenfalls nach hinten und führte einen Zeigefinger an seine Lippen. „Nicht so laut, Link. Du willst doch nicht, dass Unbeteiligte in alles eingeweiht werden, oder?“

Er schüttelte den Kopf, aber auch mit dieser Antwort war er nicht zufrieden. „Sian, versteh‘ doch, ich muss mehr über die Vergangenheit wissen. Erst dann kann ich Zelda helfen.“ Genervt verschränkte der grünbemützte Jugendliche die Arme. „Du hast keine Vorstellung davon, wie schwer das alles für sie ist…“, murmelte er. Und nun, da er sich bemühte leise zu reden, klangen seine Worte wie ein ersticktes Winseln. „Ich muss wissen, was mit Hyrule ist. Ich muss wissen, warum Zelda in dieser Welt gelandet ist, wo sie vorher scheinbar in Hyrule war und warum ich nicht dort bin!“

Patrick reckte in dem Augenblick seinen Kopf nach vorne, hatte er das Wort des alten Phantasielandes aus dem Gespräch herausgehört und spitzte seine Ohren auffällig. „Redet ihr über das Zeldaspiel? Kann ich mitreden?“, fragte er unverblümt.

Link seufzte, lehnte sich frustriert in den Sitz und blickte für viele Minuten aus dem Fenster. Sian schwieg und schüttelte den Kopf, ein Schimmer von tiefem Mitgefühl in seinen feurigen Seelenspiegeln.
 

„Du wirst die Antworten auf deine Fragen sehr bald erhalten und vielleicht ist es sogar möglich, dass du deine Erinnerungen zurückerlangst“, meinte Sian nach einer Weile sehr leise.

„Meine Erinnerungen?“, murmelte Link ungläubig. „Bin ich denn wirklich der Held Hyrules?“

„Deine Seele ist die des legendären Heroen… du bist der Held reinkarniert, der in unzähligen Schlachten das Böse in seine Schranken verwiesen hat, auch wenn du nicht immer lebend aus den Schlachten hervorgehen konntest.“

„Das erwarte ich auch nicht…“, meinte Link und war selbst überrascht über seine eigenen Worte. Dass er einen Kampf nicht überleben konnte, darüber hatte er nie wirklich nachgedacht, aber es war dennoch selbstverständlich für ihn. Er hatte niemals erwartet ein glückliches, sorgloses Leben zu führen, auch ohne sein bisheriges Wissen. Ein Teil von ihm wusste, dass er kämpfen musste und ein Teil von ihm war sich einem möglichen Tod in jungen Jahren bewusst.

Dann murmelte Sian etwas, das der blauäugige Jugendliche unmöglich verstehen konnte. Er sprach in einer anderen Sprache, ein melodisches, rundes Wortspiel, das ihm irgendwie gefiel und schmeichelte. Ihm wurde irgendwie warm ums Herz bei Sians Worten in einer fernen Sprache, auch wenn es sie nicht verstehen konnte.

„Was bedeutet das?“, meinte er neugierig.

Sian meinte, noch leiser, als zuvor. „Das bedeutet Link auf Hylianisch.“

Die tiefblauen Augen des Heroen wurden immer größer und er sah freudig erregt drein. „Hylianisch? Wow, du kannst diese Sprache sprechen? Woher?“, sprudelte es aus seinem Mund.

„Mein Vater hat mir diese Sprache beigebracht.“

„Hyrule gibt es also wirklich“, sagte der Held, nun mit einem elegischen Ton in seiner Stimme. „Das ist… einfach überwältigend. Wenn es Hyrule wirklich gibt… dann…“

„Link… das ist leider nicht ganz richtig“, unterbrach ihn Sian trübsinnig. „Zelda oder Impa haben dir darüber vielleicht noch nichts erzählt…“

Geschockt durchbohrte der Heroe seinen neuen Bekannten mit seinen schönen tiefblauen Heldenaugen. Er war in seinem Leben vielleicht noch nie so schockiert gewesen. „Wie…“, brachte er über die Lippen. Als er die blutroten Augen von Sian musterte und er darin die scheußliche Wahrheit fand, sah er kopfhängerisch aus dem Fenster und wollte sich am liebsten in dem stürmischen Meer fern der Küste ertränken. Er ahnte, was der Irländer neben ihm erklären wollte. Natürlich gab es einen Grund, dass er und Zelda auf der Erde lebten… natürlich gab es eine Ursache, dass seine Prinzessin so verbittert war… und dieser Grund war grausam. „Hyrule existiert nicht mehr…“, sprach er schwach. „Das wolltest du sagen, nicht wahr?“ Sian nickte mitleiderweckend.

„Hyrule ist nicht mehr da…“, wiederholte Link um es zu begreifen. Er legte seine linke Hand auf den Mund und musste den Gedanken erst einmal verdauen. Hyrule existierte nicht mehr… das klang wie ein grausames Urteil, ein Befehl, den nur Götter aussprechen konnten. Und irgendwo in seiner aufrichtigen Seele spürte der vergessene Heroe einen Stich, als er die Wahrheit in seine Gedanken zog. Er sah für Sekundenbruchteile eine Welt, die drohte in gespenstischen Nebeln zu versinken… eine reine, geheiligte Welt, die niemand so kannte wie er, wurde leblos… einsam und stumm… Und in seinem Herzen tat es weh.

„Es tut mir leid, Link…“, sprach Sian entschuldigend, als könnten seine Worte irgendetwas retten. „Hyrule gab es einmal, das ist Tatsache, aber heute besteht es nur noch aus Schatten, aus Unsichtbarkeit und Dunkelheit, in welcher sich kein Leben mehr aufhält. Es wäre wohl besser gewesen, du hättest es jetzt noch nicht erfahren.“

„Nein, es ist okay“, sprach er fester und starrte dabei ins Leere. „Es hätte mir schon eher klar sein müssen… warum sonst sollte Zelda bei dem Gedanken an die Vergangenheit so traurig sein. Es ist etwas Schlimmes passiert, schätze ich.“

„Ja… es war…“, stotterte Sian und das erste Mal wirkte er wahrhaft unsicher. „Es kann niemand erklären…“, endete der Irländer. Er nahm eine sonderbare gebückte Haltung ein und duckte sich auf seinem Sitz, als wollte er sich schützen.

„War ich daran beteiligt, dass es nicht mehr existiert? Habe ich versagt?“ Link schloss sinnierend die Augen bei jenem abscheulichen Gedanken.

„Link…“

„Ist das, was in den Spielen passiert, Realität?“, bohrte er nach. „Das, was in diesem Hyrule Historia steht? Ist das wahr?“

Sian schnaubte entrüstet.

„Vergiss‘ die Fragen“, murmelte Link und rieb sich die Stirn. Das alles, was er hier erfuhr, fühlte sich nicht nur bitter an, es betäubte ihn beinahe.

In dem Moment bewegte sich Pats Kopf nach vorne, der das Wort Hyrule aus dem Gespräch herausgehört hatte. „Jetzt könnt ihr es nicht mehr leugnen, ihr redet die ganze Zeit über das Zeldaspiel! Habt ihr heiße Infos zu dem neuen Abenteuer in Hyrule?“ Link rieb sich weiterhin die Stirn und wollte seinen Kopf am liebsten gegen die Glasscheibe donnern. Was sollte er zu Patrick Fanatismus auch sagen? Dass es ihn mittlerweile aufregte und es unpassend war? Er konnte ihm jawohl kaum erzählen, dass die ,Legende von Zelda‘ nicht nur erfunden war…

„Hey, Link, ich hab‘ sogar das Hyrule Historia mit dabei!“, sprach er erheitert. „Und in der Zeitlinie sind einige Epochen, wo Nintendo nur einen Strich gezeichnet hat. Meinst du, dort werden neue Abenteuer vom legendären Helden eingeordnet?“

„Woher soll ich das wissen, Pat!“, meinte er scharf und drehte seinen roten Kopf zu ihm.

Als der Zeldafan die trübsinnigen Augen seines Mitbewohners sah, wich er irritiert zurück. „Entschuldige…“, sprach er benommen und blickte zu Sian, der ebenfalls schlechte Laune zu haben schien.

„Tut mir leid, Patrick, ich hab‘ jetzt schlichtweg keine Lust über dieses bescheuerte Spiel zu reden“, entgegnete Link.

„Ähm… macht ja nix“, sprach er und steckte seine Nase wieder in den dicken Wälzer vor sich.

Erneut legte sich ein unheimliches Schweigen über Sian und Link, obwohl beide so viel zu erzählen hatten. Als der aschblonde Irländer weitere Erklärungen anstimmen wollte, winkte Link ab. Er machte ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter und seufzte leicht. „Ich habe mir immer eingebildet… von dem Tag an, als ich Zelda fand, ich würde das alte Land einmal vor meinen eigenen Augen sehen können. Gott, ich war so dumm…“

Daraufhin meinte Sian mit einem Zwinkern: „Kopf hoch. Es gab immer Hoffnung, und es gibt sie noch. Wer weiß, was die Zukunft bringt.“

Der unerkannte Heroe schloss seine leuchtenden Augen und lächelte schwach. „Ja… wer weiß.“
 

Der Bus hielt inzwischen in Killarney und der Großteil der Leute verließ die Fahrgelegenheit. Als Link aus dem Bus ausstieg und die Sonne am Horizont glühend funkelte, bedeckte dennoch ein Schatten der Melancholie und Zweifel sein Gesicht und die tiefblauen Augen, wo in selbst ausweglosen Situationen das Licht legendären Mutes leuchtete. Er ignorierte seine Bungalowmitbewohner und sah den seltsamen, jungen Burschen Sian Johnson ohne ein Wort des Abschieds die Straße hinunter laufen, bis er in einer Seitengasse verschwand. Er hatte ihm so viel über Hyrule berichtet und nun machte er sich einfach aus dem Staub? Andererseits, so dachte Link, und steckte die Hände in die Hosentaschen, war er vielleicht genau das, was er vorgegeben hatte zu sein. Ein Beobachter… Und einer, der die Ereignisse nur beobachtete, war nicht daran interessiert sich einzubringen, etwas zu retten oder etwas zu zerstören…

Plötzlich wurde Link von den zwei sommersprossigen Irinnen angesprochen, die ebenfalls den Bus verließen und von der kurzhaarigen Patrizia, die mit seinem neuen Bekannten Patrick etwas zu klären hatte, begleitet wurden. Womöglich waren dies die beiden Cousinen, von denen sie gesprochen hatte. Aber… es war dennoch auffällig, dass sie Patrick erneut hinterher lief.

„Hello, nice to meet you“, sagte die eine lachshaarige Dame, die hübscheste der drei Cousinen, grinste und reichte Link eine vielversprechende Hand. „I’m Mitrette“, sagte sie interessiert. Es war selbst für den naiven Link eindeutig zu erkennen, woran sie interessiert war.

„Ähm… Hi…“, meinte Link verlegen und kratzte sich dusslig am Kopf. Er hatte das Gefühl, dass er, seitdem er Zelda kannte, noch begehrter war in der Damenwelt… oder er konnte es jetzt erst richtig erkennen.

„And my name is Marla”, sprach das andere Mädchen, die ebenfalls lachsfarbene Haare besaß, aber gut einen Kopf kleiner war als die andere und etwas kräftiger gebaut. Auch sie schien Interesse an Link zu haben, sah dann grinsend auf und funkelte mit silbergrauen Augen. Sie reichte Link eine Hand, als aber Patrizia eine Phrase in schlecht verständlichem Englisch vor sich hin brabbelte und die beiden vorbei schob. Anscheinend wollte sie nicht nur ihre eigene Haut retten, nicht erneut in einem schlechten Licht vor Patrick dastehen, sondern auch ihre Cousinen belehren. „We must go on…“, murmelte sie. Marla und Mitrette folgten ihr, blickten aber beide zurück zu Link und warfen ihm einen Kussmund zu. Dümmlich sah Link hinterher, verbot sich erneut einen Urlaubsflirt zu wagen und dachte sofort an Zelda… Marla und Mitrette schiene beide ganz nett und zwei lebenslustige Mädchen zu sein, die ihn ablenken konnten. Und eine solche Ablenkung hatte etwas sehr Positives an sich. Allein der Gedanke fühlte sich beschämend und irgendwie falsch an. Link hüstelte und sah den drei Damen noch einmal hinterher. Ohne es zu wollen begann er sie zu vergleichen… Und wenn er jene Mädchen mit seiner Prinzessin verglich, musste er zugeben, dass sie ihr hinsichtlich Anmut, Charme und Rätselhaftigkeit nicht standhalten konnten.

Der junge Held verabschiedete sich von seinen Zimmergenossen und hatte das Ziel ein wenig alleine durch die Stadt zu trotten, seinen Kopf frei zu kriegen und überlegte sogar, den Aufenthalt in Irland abzubrechen. Was sollte er hier, wo er die ganze Zeit nur noch an Zelda denken konnte. Nein, er fing sogar schon an sie mit anderen Mädchen zu vergleichen! Konnte er damit nicht aufhören, befahl er sich! ,Das ist falsch‘, summte es in seinem Kopf. Wo sollte das enden, wenn er anfing, seine Prinzessin wie eine Göttin anzuhimmeln?!
 

Und so schlenderte der Heroe ein wenig durch das belebte Städtchen, beobachtete die Welt und versuchte die Schönheit des Alltags wahrzunehmen so wie früher. Er konnte Patrick und Tommy sehen, die in einem Einkaufscenter Blödsinn anstellten, in CDs hinein hörten, in einem Videospielabteil WiiU und Playstation- Spiele zockten. Er konnte die drei Mädchen von vorher in einem Bekleidungsgeschäft sehen, erleben, wie sie lachten, Spaß hatten Kleider zu probieren, die nicht in ihrer Preisklasse lagen, und es wurde ihm klar, dass er Zelda so noch nie gesehen hatte. Sie war niemals ausgegangen, genoss das Leben nicht und jetzt wusste er auch den Grund dafür. Es lag an der Welt, die sie abgöttisch geliebt hatte und scheinbar nicht beschützen konnte…

Hyrule war untergegangen und tot… der Gedanke war für Link so schwer zu verdauen…
 

Schließlich suchte der Held ein wenig Ruhe in einem Park, der etwas außerhalb der Stadt lag, lehnte sich an einen knorrigen Laubbaum und starrte gedankenverloren in das Blau des Himmels, das von Farbe und Milde den Augen Zeldas so sehr glich. Und genauso wie ihre Augen, so sah er immer deutlicher, war auch der Horizont von einem leichten Schatten belegt, einer Finsternis, leicht giftig, und besorgniserregend.

Er schloss die Augen und sah so ernst aus, gleichzeitig so konzentriert, als würde er meditieren. Sein Gesicht wirkte angespannt aber frisch… und in seinen Gedanken tobte ein Sturm… für kurze Augenblicke konnte er eintauchen in eine andere Zeit. Er sah einen stahlgrauen Turm auf hoher See und das rauschende, mächtige Meer schwappte zerstörerisch an herbes Felsengestein, wo jener Turm errichtet war. Er hörte einen Ruf von Weiten, spürte ein Gefühl der Freiheit mit jenem Bild in seinen Gedanken… und irgendwo dort rief es ihn. ,Link, rief es… Link…‘

Tatsächlich stand gerade in dem Augenblick jemand vor ihm und rief seinen Namen. „Hey, Link, du Schlafmütze“, lachte Patrick van der Hohen, der mit Tommy im Schlepptau einige Burger, Knabbereien und Coladosen gekauft hatte und diese hier auf der gemütlichen Weise verspeisen wollte. „Wir dachten schon, du wärst verloren gegangen“, sagte er und nahm mit Tommy Platz.

„Wie spät ist es eigentlich?“

„Kaffeezeit“, meinte Tommy und stopfte sich fettige Hähnchennuggets in den Mund.

Link gähnte und streckte sich, zum Glück hatte er nicht wieder den halben Tag verschlafen…

„Hey, schau’ her.“ Und Pat schlug eine Zeitschrift auf, die er sich vorher in einem Videospielgeschäft gekauft hatte. „Ist das nicht genial?“ Seine Begeisterung sprach Bände, ließ erahnen, wie sehr er sich auf das neue Zeldaspiel freute. Seit einigen Wochen kursierten wieder einmal Gerüchte in der Videospielszene, dass Nintendo mit der Fertigstellung eines neuen Zeldateils vorangeschritten wäre und nun waren die ersten Artworks des neuen Heroen im grünen Gewand veröffentlicht.

„Das ist der neue Link. Sieht echt cool aus, oder?“ Der Held der alten Welt betrachtete sich das Bild genau und erstaunte ebenso. Da war ein Bursche im grünen, stattlichen Gewand, das sehr detailreich erschien. Da waren Besonderheiten an der Tunika, feine Stickereien. Selbst das Leder des Gürtels und der Riemen des Schwertes, in kupferfarbenen Tönen, hatte Muster und hylianische Symbole aufgedruckt. Und das Gesicht des gereiften Heroen war leicht kantig, ebenmäßig, mit meerblauen Augen, die Mut und Erfahrung im Kampf ausdrückten. Sein Gesicht war menschlich, sogar Ansätze eines Bartes konnte man vermuten. Das war nicht mehr die kindische Figur eines grünbemützten Zwerges, dieser Bursche auf dem Artwork war ein Krieger.

„Diese Spielfigur wird immer menschlicher. Ja, ich finde auch dass er… cool aussieht“, murmelte Link und hatte einige neue Gedanken in seinem Kopf. Neben einem leicht trotzigen: ,Hey, ich, oder eine andere Reinkarnation von mir, sehen cool aus‘, fragte er sich, welche Grausamkeiten jener Held wohl durchmachen musste.

Pat neigte seinen Kopf und erwiderte: „Aber sonderlich glücklich scheinst du nicht zu wirken, dabei dachte ich, du wärst wirklich ein Zeldafan.“

„Ist doch egal, was ich davon halte… das Masterschwert ist das aber nicht, oder?“ Und Link betrachtete sich eine raffiniert gearbeitete, leicht geschwungene Klinge mit Runen und feinen goldenen Mustern.

„Weiß nicht… aber es sieht nicht danach aus.“

„Und hast du auch eine Idee, worum es im neuen Spiel geht?“

„Leider nicht… Aber man kann doch Vermutungen anstellen, oder?“

Der blonde Kerl wirkte überrascht und sagte: „Vermutungen?“

Pat packte das Heft wieder weg und machte sich neben dem Helden auf der Wiese breit, während Tommy einen Burger nach dem anderen in sich hineinstopfte.

„Nun… ja“, meinte Pat, „Zelda wird doch sicherlich auch im neuen Spiel dabei sein.“

„Zelda… ja“, lächelte Link. „Ein Hyrule ohne sie ist kein Hyrule…“

„Sie ist echt die coolste Videospielprinzessin, meinst du nicht auch?“, schwärmte Patrick.

„Ja, es gibt keine Bessere“, stimmte Link zu.

„Ich persönlich mag die Twilight-Prinzessin Zelda am meisten, ihr merkt man an, dass sie kämpfen und Entscheidungen treffen kann und sie kapituliert, gibt alles für ihr Volk und geht dafür ins Exil. Sie ist schlichtweg edel.“

,Gott‘, wie absurd, dachte Link. Er unterhielt sich mit einem Fan einer Videospielserie, der keine Ahnung hatte, dass ,The Legend of Zelda‘ tatsächlich keine Erfindung, kein Märchen, war. „Hey, kann ich vielleicht doch mal in das ,Hyrule Historia‘ schauen?“ Er wollte nicht noch länger über seine Prinzessin nachdenken, der Gedanke machte ihn nicht nur traurig, sondern frustrierte ihn mittlerweile. Er musste sich entscheiden, entweder er blieb hier und lenkte sich ab, so wie es sein Plan war, oder er reiste ab und verbrachte Zeit mit ihr…

„Sicher, schau‘ in das Buch, tu‘ dir keinen Zwang an, hätte mich auch gewundert, wenn du nicht interessiert wärst. Ich dachte, du wärst Zeldafan?“ Patrick richtete sich auf und kramte nach dem schweren Buch.

„Bin ich ja auch… in gewisser Weise.“ Und er grinste das erste Mal seit dem Gespräch mit Sian. Neugierig schlug Link das ,Hyrule Historia‘ auf und betrachtete sich die Zeitlinie.

„Glaubst du, das war schon alles von Hyrules legendärer Geschichte? Ich meine, so wie Nintendo das hier abgebildet hat“, meinte Patrick. „Ich vermute, das ganze revidiert sich wieder, wenn weitere Spiele erscheinen“, setzte er hinzu und beantwortete seine eigene Frage grinsend.

„Ja, vielleicht gibt es noch andere Zeitpfade“, meinte Link und empfand eine unangenehme Sorge, als er sich ansah, wo sich die Zeitlinie dreiteilte. Er blätterte weiter, überflog die Seiten und verlor sich ein wenig.

„Stell‘ dir mal vor, es gäbe eine moderne Zeit… und der grünbemützte Held kämpft mit modernen Schusswaffen!“ Patricks Begeisterung für das Spiel schien nicht abzubrechen. „Oder stell‘ dir eine Welt vor, in der Link und Zelda verheiratet sind und sie einen Thronfolger zeugen.“

„Äh… was?“ Link hatte nur mit halbem Ohr zugehört, aber dies ging ihm nun doch an die Nieren. Was interessierte einen Menschen, der nichts mit Hyrule zu tun hatte, ob Zelda irgendwelche Thronfolger zeugte! Er bemühte sich nicht auszurasten und steckte seine Nase wieder in die Lektüre.

„Ich hab‘ mich auch manchmal gefragt, was direkt nach Windwaker passierte oder direkt nach Skyward Sword? Meinst du die Göttin Hylia und Link wurden zusammen glücklich? Und der Todbringer blieb verbannt?“

„Hey, Pat, ich bin da nicht so… so…“ Er wusste nicht einmal wie er es erklären sollte. Er war nicht interessiert an jede Menge Theorien über die Zukunft von Zelda oder Link. Er musste erst einmal mit sich selbst besser zurechtkommen, wie um Himmels Willen sollte er da an irgendeine Zukunft denken?

„Und denk‘ an die ganzen Fanfics! Manchmal frage ich mich, wie Link auf diese ganzen Romanzen mit Shiek, Dark-Link, Zelda oder Malon reagieren würde?“ Plötzlich lachte der Zeldafan befreiend auf. „Stell‘ dir vor, neulich habe ich doch eine Fanfic von Link und Impa entdeckt. Kannst du dir vorstellen, dass die beiden in die Kiste springen?“

Das plötzliche käseweiße, schockierte Gesicht von Link bemerkte nicht nur Patrick, sondern auch Tommy. Link runzelte die Stirn, öffnete schwach seinen Mund und plötzlich verzog sich sein Gesicht vor Ekel. „Kneif‘ mich bitte mal…“, sprach er. „Es gibt Leute, die Impa und… mi… und…“ Er piepste und bedeckte mit einer Hand seine Augen. „Sag‘ mir, dass das nicht wahr ist“, bat er und stützte den Kopf in beide Hände. „Mit dieser…“ Er wollte das Wort ,Horrorbraut‘ benutzen, das Sara für die Bezeichnung von Ines benutzt hatte. Aber dafür mochte er Impa nun doch zu sehr.

„Hey, das ist ja noch nicht mal das Schlimmste… es gibt noch weitaus krassere Ideen in der Fangemeinde.“

„Dann sollte der Held doch lieber bei der Prinzessin bleiben“, mischte sich Tommy ein. „Oder nicht?“ Er leckte sich Ketchup von den Fingerspitzen. Innerlich dankte Link dem ahnungslosen Tommy für seinen Einwurf. Noch mehr wollte der heimliche Heroe nicht hören.

„Ist wohl noch die plausibelste Möglichkeit, ich meine, die beiden haben doch irgendwas miteinander. Wenn man sich in so vielen Leben immer wieder begegnet, heißt das nicht, man ist füreinander bestimmt?“, meinte auch Pat. Der Gedanke, das musste Link zugeben, war nicht nur irritierend, sondern angsteinflößend. Aber Pat hatte Recht. Wenn er zwei Seelen kennen würde, die sich immer wieder begegnen, um gemeinsam zu kämpfen, um für einander einzustehen, für einander da zu sein, und vielleicht sogar für den anderen zu sterben, würde er auch annehmen, diese beiden gehörten zusammen…

„Aber das heißt noch nicht, dass die beiden auch Liebe empfinden… ich meine, diese Art von Liebe… ich meine, Seelenverwandtschaft…“ Er brach nervös ab und wusste nicht mehr, wie er das, was er sagen wollte, formulieren sollte. „… Zelda und dieser Link sind sicherlich Freunde… in den meisten Leben, aber deswegen schlafen sie nicht miteinander.“ Er verschränkte die Arme trotzig und ärgerte sich über den Blödsinn, den er gestammelt hatte.

„Nun ja, weißt du“, murmelte Patrick. „Von den ganzen möglichen Pairings, kann ich mir abgesehen von Zelda als seine Traumfrau, das mit Shiek-“ Und er deutete im Hyrule Historia auf eine Seite, auf welcher Shiek abgebildet war. „- noch am ehesten vorstellen. Und weißt du warum?“ Link schüttelte mit dem Kopf und seine tiefblauen Augen blieben bei dem vermummten Shiekah haften. „Weil Shiek Zelda ist!“, betonte er jubelnd.

,Weil Shiek Zelda ist‘, hallte es in Links Gedanken nach, während er sich die Zeichnung betrachtete. Shiek, dieser lange, hübsche Kerl mit den geheimnisvollen, rubinroten Augen, sportlich und agil, rätselhaft in seinen Worten, oftmals trübsinnig wirkend. Und ein weiteres Mal zerbrach das vorgegaukelte Bild einer unechten Welt in Links Herzen. Es war Shiek… Sofort dachte er an Sian Johnson, den Typen, der einiges über Zelda wusste und sich einen Beobachter nannte. ,Beim lieben Gott im Himmel, Sian ist Shiek‘, dachte Link.

Sein Herz machte einen Aussetzer, nun, da sich die Wahrheit ein weiteres Mal zeigte. Sian war ein Beobachter, der Informationen übermittelte, genauso wie Shiek im Zeldaspiel. Aber wie war das möglich? Zelda war in Schicksalshort und sie hatte mit dieser Familie Johnson doch garantiert nichts zu tun? Ines würde ihn niemals über Zeldas Aufenthalt in der Villa belügen. Oder war Zelda hierher gereist, um bei ihm zu sein?

Link schlug das Buch dröhnend zu, sodass es Patrick und Tommy erschreckte. „Verdammter Mist!“, rief er. „Ich muss unbedingt zurück nach Hause.“ Er sprang auf und verstand die halbe Welt nicht mehr. Konnte es sein, dass er sich es nur einbildete? Vielleicht war Sian doch nicht Shiek!

„Wie? Willst du zurück zum Camp?“, meinte Tommy.

Link nickte ohne weiteres und nahm seinen Rucksack auf den Rücken. Er fuhr sich durch das wilde, blonde Haar und richtete seine tiefblauen Augen in die Ferne. Auch hier, nahe der gemütlichen Parkanlage, war der Wald nicht weit entfernt. Und dort wo sich die vielen Laubwälder verdichteten, trat ein kleines Mädchen mit himmelblauem Kleid hervor, winkte ihm zu und hüpfte dann in seine Richtung. Es war die Kleine mit der vorwitzigen, quietschenden Kinderstimme, den giftgrünen Augen und den zwei blonden Zöpfen. Das Mädchen, das ihm Feen gezeigt und seine Hoffnung gestärkt hatte. Heiter gestimmt hüpfte sie in seine Richtung und er trat geduldig in ihre. Tommy und Patrick folgten ihm neugierig.

„Was machst du hier?“, meinte er und versuchte so wenig wie möglich Aufsehen zu erregen. Er war sehr bedacht in seiner Wortwahl.

„Gleich so unfreundlich, du grünbemützter Held. Eine höfliche Begrüßung hätte ich mir gewünscht, dafür, dass ich auf dich und Zelda aufpasse“, quiekte sie und umarmte seine Beine.

Er fühlte sich unpässlich und peinlich vor Patrick und Tommy, die sich nur ratlos anblickten. Dann grinste der gedemütigte Heroe, brachte einige schnelle Erklärungen über seine Lippen wie jene, dass er das Mädchen daher kannte, weil er vorhin ihre Katze vom Baum geholt hatte. Er sprang auf und nahm sie leichtfertig unter seinen Arm und schleifte sie einige Meter davon. „Sag’ mal, spinnst du? Willst du, dass die anderen herausfinden, wer ich bin? Verflucht, überleg’ das nächste Mal gefälligst, was du sagst!“ Empört setzte er das kleine Geschöpf auf den Boden. „Also, was willst du?“ Er kniete nieder, sodass er ihre Seelenspiegel mustern konnte.

Das Mädchen zog eine Schnute und schien eingeschnappt zu sein. „Ich mach’ mir doch nur Sorgen um dich, Linky. Na gut… tz… tz… dann verschwinde ich wieder und ich sag‘ dir auch nicht, weswegen ich eigentlich hier bin.“ Damit drehte sie sich um und hüpfte einige Meter weiter. „Übrigens… Zelda vermisst dich ganz schön.“

Link war kurzum sprachlos, dass dieser kleine Schutzengel so viel wusste. Und der Gedanke an den wunderschönen, blonden Engel, der in Schicksalshort auf seine Rückkehr wartete, überzeugte ihn zur Genüge. „Okay, okay, ich entschuldige mich, dass ich gleich so aufbrausend war. Und trotzdem kannst du nicht einfach aus dem Nichts hier auftauchen, während meine beiden Zimmerkollegen hier sind und aus dem Nähkästchen plaudern. Wenn die anderen herausfinden, dass ich tatsächlich Link bin, bin ich geliefert.“

„Wäre das so schlimm?“

„Wie?“

„Sag‘ schon, was wäre daran so schlimm, dass zwei Jugendliche wüssten, wer du bist?“

Link zwinkerte und starrte das Mädchen unverhohlen an. Irgendwie hatte er gerade den Faden verloren. Ja… warum eigentlich?

„Das Problem ist wohl, dass du selbst nicht daran glaubst, der Held Hyrules zu sein, deshalb traust du es auch keinem anderen zu. Du zweifelst, dass andere an dich glauben würden, wenn du es zugeben müsstest. Du fühlst dich nicht bereit und nicht in der Lage ein Krieger zu sein, der ein Land retten kann.“

Jetzt hatte sie ihn eiskalt erwischt und es tat innerlich weh. Mit wenigen Worten steckte sie ihn in die Tasche und führte ihm seine Fehler vor Augen. Er sackte noch mehr in sich zusammen und wusste darauf nichts zu erwidern. Sie tätschelte sein vergrämtes Gesicht und zwinkerte ihm entgegen. „Es gibt einen Weg, wie du mehr Selbstbewusstsein für das, was du bist, finden kannst.“

„Verflucht! Und was soll das sein?“

„Der Kampf“, sprach sie und ihre roten Wangenbäckchen leuchteten beinahe.

„Der Kampf…“ Ungläubig musterte er sie.

„Ja… Und dafür solltest du so schnell wie möglich wieder in die Jugendherberge gehen“, sagte sie dann ein wenig leise, während ihre grünen, leuchtenden Augen ihn anstrahlten.

„Ich war ohnehin auf dem Weg dorthin, aber das ist meine eigene Entscheidung“, stellte er klar.

„Du hast keine Wahl“, sprach sie.

Link verleierte die Augen und sah dann ebenso mit Überzeugung in das runde Kindergesicht. „Und was wäre, wenn ich nicht auf dich höre“, meinte er, und verschränkte erneut die Arme trotzig.

„Nun…“, sprach sie zuversichtlich und hatte nun eine Spur Hinterhältigkeit in ihrem Blick. „Wenn du nicht auf mich hörst, zwinge ich dich dazu.“

Link grinste und hielt sich den Bauch, als er anfing zu lachen. „Du… du willst mich dazu zwingen? Haha… ich glaube nicht, dass du Mittel und Wege hast, das zu vollbringen.“ Und Link lachte sich halb tot. Doch bevor er begriff, was geschah, hüpfte das kleine Geschöpf heiter und sichtlich gut gelaunt auf Pat und Trolli zu. Links Blick wandelte sich allmählich. Die wollte doch nicht etwa…? Sie stand nun vor seinen Zimmergenossen und plapperte irgendwas munter daher. Der junge Held verzog entsetzt sein Gesicht. Dieser kleine freche Knirps wollte Pat und Trolli doch nicht etwa Geheimnisse auf die Nase binden?

Link rannte zu ihnen rüber, und sagte laut: „Ich nehme gleich den ersten Bus ins Camp.“ Mit diesem schlagkräftigen Argument hatte das Geschöpf ihn überzeugt. Grinsend hüpfte sie in Richtung Bäume, winkte Link noch einmal zu und war dann im Dickicht der Wälder verschwunden.

„Sag’ mal, Link, findest du nicht, dass das gerade seltsam war“, meinte Pat.

„Ach die… ja.“ Krampfhaft suchte der Held nach einer Antwort und räusperte sich verdächtig. „Die… also… na ja, die hat…“ Er machte eine unangenehme Pause und hatte dann die zündende Idee. „Seit ich vorhin ihre Katze vom Baum geholt habe, bin ich wohl sowas wie ihr Idol… oder Held…“ Bei den Göttinnen, hoffentlich kaufte Pat ihm das ab.

„Egal, wir gehen auf jeden Fall mit ins Camp“, sagte Patrick dann und schien die merkwürdige Ausrede aufs Erste zu ignorieren. „Okay. Schauen wir mal, wann der Bus fährt?“ Damit liefen sie aus dem Park hinaus, in Richtung Bushaltestelle.
 

Als sie aber vor dem Plan standen, stellten sie fest, dass sie über eine Stunde Zeit hatten. „Na, toll. Und was machen wir jetzt noch“, sagte Trolli, weniger begeistert über die Situation.

Links Blick wanderte dann zu einem seltsam wirkenden Laden. In dessen Schaufenster waren alle möglichen zum Teil heruntergekommenen, einer Reparatur würdigen, Gegenstände aufgetürmt. Ein riesiger vergilbter Globus, Mörser und Schälchen, Traumfänger, sogar Kleidungsstücke. „Leute, wir könnten doch noch mal einen Blick darein werfen.“ Und Link deutete auf den Laden, der in den Augen der anderen äußerst unheimlich wirkte.

„Was willst du denn da drin?“, sprach Tommy und wirkte sonderbar nervös.

„Eigentlich nichts, nur meine Zeit vertrödeln.“

Wenn auch ein wenig wiederwillig, folgten sie dem grünbemützten jungen Kerl, der es mit seinem göttlichen Mut häufig zu genau nahm, in den Laden.

Sie öffneten die klapprige Tür und sogleich ertönte der Klang eines hölzernen Glockenspiels. Klang… klang… Die Ladentür fiel knarrend zu und die drei sahen sich in dem Geschäft um. Überall standen dunkelbraune Regale mit den eigentümlichsten Dingen. Uhren, die nervend tickten. Ketten und Lederhüte. Vermutlich ein Second- Hand- Geschäft…

Link sah um sich, mit dem Gedanken, dass er ein solches Geschäft irgendwann schon einmal gesehen hatte. Vielleicht in einer Vergangenheit… oder im Traum. Der Raum war erfüllt von stickiger Finsternis, die Luft war abgestanden und verbraucht. Räucherstäbchen brachten ein eigenwilliges Harzaroma, vielleicht Olibanum, in den Raum. An der Kasse stand eine alte Öllampe, die einen aussaugenden Schein in den Raum zimmerte und Staubkörnchen sichtbar machte. Die jungen Kerle betrachteten sich schweigend die merkwürdigen Gegenstände auf den Regalen. Einige alte Schatullen, Kerzen, verzierte Vasen aus Ton, muffelnde Kleidungsstücke…

Hinter der Kasse saß eine alte Frau mit langer Nase und einer Katze auf dem Arm. Sie sah Link mit einem tiefgründigen Blick an. Er starrte zurück, vermutete graues Haar unter ihrem dicken, selbst gehäkelten Kopftuch.

Derweil hatte Pat etwas entdeckt, was er wohl unbedingt haben wollte. „Ähm, entschuldigen Sie. Was kostet diese Kette?“ Und er deutete auf eine kleine Holzschatulle mit silbernen Einschlägen, in welcher ein kleines goldenes Amulett lag. Ein hübscher runder Anhänger mit einem goldenen, verzierten Triforce in der Mitte. Link betrachtete sich aufgeregt das Schmuckstück und wünschte sich innerlich, er hätte es zuerst entdeckt. Er hatte fast das Gefühl, er hatte dieses Medaillon irgendwie schon einmal gesehen, berührt oder möglicherweise besessen.

„Das ist ein unverkäufliches Muster… zu mindestens für dich… hihi“, sprach die alte Frau. Ihre Stimme erklang und unterstrich mit einem kratzigen, hohen und schiefem Ton die unheimliche, hexenartige Wirkung ihrer Gestalt.

„Wieso ist sie unverkäuflich? Ist sie so teuer?“

„Nein, das Schmuckstück hat auf seinen wahren Besitzer gewartet… lange… Jahrhunderte, viel zu lange… hihi.“ Damit wanderten ihre Augen zu Link. Sie lächelte ihn verschmitzt an. „Ich kann es dir leider nicht verkaufen, weil es bereits von jemandem bezahlt wurde.“

Pat sah beleidigt drein und meinte: „Schade.“

Jetzt mischte sich Link ein. „Ich hätte trotzdem gerne mal gewusst, was es gekostet hat?“ Sie rutschte näher, sodass die Spitze ihrer langen Nase beinahe in Links Gesicht ragte.

„Hylianisches Blut, mein Freund.“

Der unerkannte Held wich erschrocken zurück und spürte eine Schweißperle an seiner Stirn hinab wandern.

Tommy mit dem Mäusegesicht war inzwischen aus dem Laden verschwunden und schien aus irgendeinem Grund bei dem Anblick dieser gutmütigen Hexe Angst zu haben. Zaghaft blickte er sich auf der leergefegten Straße um, schaute zurück zu dem Laden und sah die beiden Kerle sich immer noch mit der Frau unterhalten. ,Die Gelegenheit’, dachte Tommy und setzte sich unauffällig auf eine Eisenbank neben zwei, drei alten Bäumen. Er piepste ungewöhnlich leise einige Formeln herunter, die niemand verstehen konnte und plötzlich, so verstand man, wenn man genau hinblickte, dass Tommy nicht mehr alleine auf dieser Bank saß. Ein Beobachter konnte niemanden sehen, aber eine aufmerksame Seele verstand das Unvermeidliche.
 

„Keine Sorge“, sagte die alte Dame in dem Ladengeschäft leise zu Link gewandt. „Dieses Schmuckstück hat keinen Preis, weil es selbst dafür zu wertvoll ist.“ Sie nahm die Schatulle und packte sie in eine kleine Tüte. Link und Pat wunderten sich, was das jetzt sollte. Sie reichte dem unerkannten Heroen die Tüte und lächelte. „Du hast schon einmal etwas von mir gekauft…“ In dem Augenblick fiel es dem Heroen wieder ein. Das war dieselbe Dame, die ihm damals das Zeldaspiel verkauft hatte und dann spurlos verschwunden war.

„Du hast dieses Abzeichen mit deiner Seele bezahlt, mein Freund“, sagte sie dann, auffallend ruhig. „Es wird Zeit, dass es wieder in die Hände seiner Besitzer gelangt.“

Pat war nicht nur sprachlos, sondern kam sich unheimlich veralbert vor. Verflucht, was sollte dieses dumme Gerede. Er hatte es zuerst entdeckt. Beleidigt stapfte er von Dannen. „Das darf jawohl nicht wahr sein“, brummte er und schlug die Ladentür hinter sich zu.

„Link, ich rate dir… sehr gut darauf aufzupassen. Es tut mir leid, dass dein Freund sich wegen dem Schmuckstück falsche Hoffnungen gemacht hat. Aber jemand sagte mir, ich solle es dir geben, und hat es bezahlt.“

Der grünbemützte Jugendliche blieb wie angewurzelt stehen. „Und wer… hat es bezahlt?“

„Wenn ich dir das sagen würde, würdest du es nicht verstehen… hihi.“

„Und wie hat er es bezahlt?“

„Würdest du denn deinen eigenen Besitz noch einmal bezahlen?“

Link schwieg und wusste sofort, was er mit dem Amulett tun würde.

„Ich danke Ihnen“, sagte er und verschwand. Der um ein Amulett bereicherte Jugendliche trat heraus und sah, wie Pat beleidigt mit Trolli auf einer Bank saß und auf den Bus wartete.

„Pat… Sorry wegen dem Medaillon. Aber ich kann mir denken, wer das gewesen ist und es bezahlt hat.“

Dann stand Pat van der Hohen auf und sagte frustriert: „Verdammt noch mal, Link. Ich bin nicht verärgert wegen dem Amulett. Ich habe so etwas ähnliches schon zu Hause. Eigentlich habe ich bloß ein komisches Gefühl bei dem, was diese Hexe gesagt hat, von wegen hylianisches Blut, die ist doch total übergeschnappt. Nicht mehr alle Tassen im Schrank, diese Tussi. Was bildet die sich denn eigentlich ein? Ich finde das unmöglich. Die wollte uns bestimmt gewaltig veräppeln. Wer weiß, wie die rausgefunden hat, dass wir Zeldafans sind.“ Und Pat hörte mit seinem Wutausbruch nicht mehr auf, beschimpfte die arme Verkäuferin weiterhin, aber… und das kam Link gerade Recht, machte er ihm keinen Vorwurf, weder wegen der komischen Göre im Park, noch wegen dem Amulett. Aber der junge Heroe sollte nicht ignorieren, dass es Menschen in seiner Umgebung gab, die ebenso die Wahrheit sehen wollten, die sich in der Welt hin und wieder zeigte. Link sollte nicht voreilig über die Fähigkeiten eines einfachen Jugendlichen urteilen, der doch schon lange ahnte, dass mit Link vieles nicht stimmte…
 

Als der Bus heranfuhr, hatte Pat seinen Redeschwall immer noch nicht gestoppt und warf sogar dem Busfahrer ein grimmiges Gesicht zu. Eingeschnappt setzte er sich auf die hinterste Sitzreihe und schaute aus dem Fenster. Trolli setzte sich neben Link und starrte fast schon bekümmert vor sich hin. „Was’ n los?“, meinte Link, da Tommy ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter zog.

„Nichts weiter“, meinte er und schüttelte abwinkend den Kopf, was für den Heroen hieß, dass Tommy nicht drüber reden wollte.

Der Bus fuhr langsam in Richtung Camp.
 

Doch als drei Jugendliche aus dem knallroten Bus ausstiegen, war hier in dem Camp nichts so wie es sein sollte. Unzählige Leute standen um den See und unterhielten sich aufgeregt, tuschelnd. Link rannte panisch in Richtung Sees, spürte den Anflug von Gefahr in seiner nahen Umgebung. War die Zeit gekommen für einen weiteren wirklichen Kampf gegen ein Wesen aus der Zeit, aus der Welt, die vergessen wurde und nur noch als ein Grab am Rande der Wirklichkeit existierte? Stoßend und schiebend versuchte er sich durch die dicht zusammengedrängten Menschenmassen durchzuzwängen. Entsetzte Gesichter. Bleiche Gesichtszüge… Link verfolgte die entsetzten Blicke der vielen Schaulustigen und wanderte mit den ersten, blauen Augen zu dem Grund des Sees. Doch der See, so schön kristallklar und rein, er einst war, besaß nichts mehr von seiner einstigen Anmut und Schönheit. Vollkommen ausgetrocknet lag der einstige See wie eine hässliche offene Wunde zwischen den grünen Hügeln. Link lauschte dem Gespräch einiger Leute, die sehr beunruhigt schienen. „Das waren sicherlich die Geister, die in letzter Zeit auf der ganzen Welt ihr Unwesen treiben.“

„Jaja. Jetzt geht es uns genauso wie allen Menschen auf der Welt. Wir werden konfrontiert mit den seltsamsten Ereignissen. Erst die Angriffe der Wölfe, jetzt der See. Ich frage mich, was als nächstes kommt.“

Link mischte sich in das Gespräch mit ein: „Ähm. Entschuldigen Sie, was ist denn eigentlich passiert?“

„Wenn wir dir das erzählen, wirst du es uns nicht glauben können.“

„Nun, erzählen Sie schon… kann’ doch nicht so schlimm sein.“ Nur wenn er herausfinden konnte, was geschehen war, könnte er vielleicht handeln.

„Doch, das ist es. Einige Jugendliche aus dem Camp sind vor einigen Minuten darin herumgeschwommen. Plötzlich aber tauchten sie alle ab. Zuerst dachte jeder, es sei nur Spaß… Aber sie tauchten nicht wieder auf.“ Link hörte gespannt zu. „Und als dann drei weitere Leute, die nach den Jugendlichen sehen wollten, ebenso nicht mehr auftauchten… wurde es unheimlich. Dann begann rasch der Wasserspiegel zu sinken, bis kein Tropfen mehr im See war.“

„Und was ist mit den Leuten“, fragte Link, innerlich aufgewühlt und besorgt.

„Sie sind alle spurlos verschwunden.“

Links ozeanblaue Augen wanderten entsetzt zu den rissigen Steinplatten des Sees. Was ging hier vor sich? Hatte etwa das Böse seine Hände im Spiel?

In dem Augenblick kamen auch schon Trolli und Pat angestürmt. „Na, Link. Hast du’s schon gehört?“

„Ja, hab’ ich.“ Verdammt, hatte dieses kleine Mädchen ihm genau das sagen wollen? Hätte er diese Menschen retten können? Link überkam Schuldbewusstsein, das er, genauso wenig, wie den Anflug von Wut darüber, nicht verstehen konnte.

Am anderen Ufer stand Sian, der dem Helden einen ernsteren, strengen Blick zu warf und dann nickte. Link hatte verstanden… Er hechtete zum Bungalow, legte seinen Rucksack und die Triforcekette ab, nahm hastig sein Schwert und einige Wurfsterne aus dem Schrank, verstaute diese in einem langen, reißfesten Beutel und ging wieder zum See. In dem Moment kamen auch schon Feuerwehr und Polizei mit lautem Getöse angefahren. Sie sperrten unverzüglich den See ab.
 

Einige Zeit verging und die Schaulustigen verzogen sich allmählich. Link stand wieder wie angewurzelt am See und untersuchte mit seinen scharfen Augen den feuchten Grund. Irgendeinen Hinweis musste es doch geben. Diese Menschen konnten nicht spurlos verschwunden sein. Pat sah den siebzehnjährigen, tollkühnen Menschen mit einem sehr misstrauischen Blick nach, während Trolli über alle Berge verschwunden schien.

Plötzlich hatte Link etwas entdeckt und er sprang über die Absperrung, kletterte dann entgegen der Warnungen einiger schimpfender Leute am Hang des Sees hinunter auf den Grund.

„Link“, rief Pat, „Läufst du noch rund? Hey, das ist gefährlich. Hast du so wenig Freude an deinem eigenen Leben? Bleib’ stehen!“ Doch jener reagierte nicht auf die warnenden Rufe. „So ein Holzkopf!“, brummte Pat.

Der junge Mann mit dem grünen Basecape lief inzwischen gelassen am Grund des Sees entlang, schaute mal nach rechts, dann nach links und wieder nach vorne. Vorhin hatte er doch eine kleine Erhebung entdeckt, in welcher so etwas wie ein Eingang in einen unterirdischen Bereich sein konnte. Sicherlich war hierdurch das Wasser abgelaufen. Link lief noch einige Meter und blickte zurück. Er hatte sich äußerst weit vom Ufer entfernt und sah Pat ihm einen Vogel zeigen… Link schüttelte den Kopf und ließ sich nicht beeindrucken. Erneut sah er um sich. Da, sagte eine Stimme in seinem Kopf und er fand tatsächlich ein kleines Loch im schwarzglänzenden Lavagestein, in das mindestens zwei Leute passten. Also gut. Mit einem letzten Anflug der Vernunft, der erstarb, kniete Link nieder und kroch in die breite Öffnung…



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