Nur ein Spiel von Faylen7 ================================================================================ Kapitel 115: Der Turm, wo er wartet... -------------------------------------- Um Links Nase wehte ein frischer, salziger Wind. Und als sich seine tiefblauen Augen öffneten, fand er sich an einem alten Ufer Hyrules wieder. Die Möwen schickten ihre vertrauten Gesänge in seine Richtung und nur wenige Meter vor ihm schlug die Gischt tobend an steile, abgetragene Felsklippen. Hinter ihm herrschten weite, grüne Wiesen vor und nirgends gab es einen Weg oder eine Markierung, die ihm Orientierung bot. Es war ein Tag, an dem der Himmel mit dicken, grauen Wolken bedeckt war und nur ab und an gleißende Lichtstrahlen durch die Wolkendecke drangen. In Richtung Osten ragte ein alter Turm, erbaut auf einem flachen Felsen inmitten der See in die Höhe. Ein Triforce auf grünem Hintergrund war auf dem Banner bestickt, der im heftigen Sturm flackerte. ,Wo bin ich gelandet?’, dachte Link. Er wusste noch, dass er das Elixier getrunken hatte. Und nun? Er warf einen Blick hinab ans Ufer. Ein Boot lag dort ankernd, sogar mit einem Steuermann, der Link zuwinkte. Der junge Held erwiderte die Geste und schielte genauer zu dem in braunen, zerflederten Umhang gekleideten Mann, der sogleich in das Boot hüpfte. Irgendetwas an diesem Kerl war mysteriös, mächtig, ja beinahe aufregend... Und ein steiniger Weg führte direkt vor Links markanter Heroennase hinab. Ungeduldig hüpfte er auf seine Beine, klopfte den Staub von seiner grünen Tunika und griff sich in die blonden Haare, die der Wind in sein Gesicht blies. Verwundert wanderten seine Hände zu einer grünen Stoffmütze, die er auf dem Schädel hatte. Rasch nahm er sie ab, betrachtete sie von jeder Seite und wog die Kopfbedeckung in seinen Händen. ,Ich bin also ich... oder doch noch nicht gänzlich’, dachte er zweifelnd. Er pfropfte die Mütze wieder auf seinen Kopf und wand sich in Richtung des steinigen Weges. Irgendetwas sagte ihm, dass er auf das Meer hinausfahren müsste, dort zu diesem hohen Turm inmitten der stürmischen See. Zu dieser kleinen verwunschenen Festung, wo ein stolzer Banner, stehend für das Triforcefragment des Mutes, nach dem wahren Helden rief. Ohne weiter zu überlegen setzte er seine Beine in Bewegung, hetzte den steinigen Pfad hinab und schaute hoffnungsvoll zu dem Turm, der sich zu nähern schien. Auf halber Strecke stützte er sich kurz auf seinen Knien ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Plötzlich wurde er von zwei warmen Armen umschlungen. Mit blassrosa Stoff bezogene Händen umarmten seinen durchtrainierten Bauch und ein sanfter Satz von so wundersamen, süßen Lippen ließ ihn entspannen. „Nicht so schnell, mein Held.“ Verdutzt drehte er sich um und erblickte seine Prinzessin ermutigend lächelnd in ihrer königlichen Tracht direkt vor ihm stehend. Sie lächelte so schön und irgendwie so friedvoll wie noch nie. Es war so anmutig, wie das lange, feine Kleid sich um ihren Körper wand. „Zelda...“, brachte er hervor und riss sie gleich noch einmal innig in seine Arme. Das Kleid war so dünn, dass er Angst hatte, sie würde hier am kalten Ufer Hyrules frieren. „Was machst du hier, ich dachte du wärst...“ Sie rückte wenige Zentimeter von seiner Brust, an die er sie drückte, blieb aber wärmend in seinen Armen. „Schsch...“ Sie legte einen Zeigefinger auf seine blassen Lippen und fuhr hinab zu seinem Kinn. „Ich bin immer bei dir, habe immer eine Verbindung zu dir, mein Held. Auch deswegen...“ Sie streichelte seinen linken Handrücken und verwies auf das Triforce, das hell leuchtete. „Ich muss dir noch etwas sagen, bevor du dich zu dem dunklen Turm begibst, wo... er... auf dich warten wird“, meinte sie dann. „Wer wartet dort auf dem Meer?“ Link nahm ihre Hände in seine und küsste diese. „Jemand, den du vermisst hast“, meinte sie andeutungsvoll und küsste ihn sehnsüchtig auf seine Lippen. „Aber, wer es ist, wirst du in wenigen Minuten erkennen.“ „Du möchtest mir noch etwas sagen...“, murmelte er und streichelte durch das seidene Haar, das er von ihr so liebte. Sie nickte. „Hab’ keine Angst vor dir selbst, Link... und erinnere dich mit Mut, mit Hoffnung an das, was damals war.“ „Keine Sorge, Zeldaschatz, ich habe keine Zweifel mehr...“ „Wirklich?“, fragte sie sanft. Er grinste tapfer. „Rick hat sie mir ausgeredet.“ Zelda lachte leise auf. „Rick...“ „Ich weiß jetzt, dass wir eine Zukunft haben werden, meine Prinzessin“, sprach er leise und drückte sie noch einmal innig in seine Arme. „Aber dafür muss ich mich jetzt auf den Weg machen.“ Sie schloss die Augen und drückte noch einen kleinen Kuss auf seine Lippen. „Ich werde immer auf dich warten, mein Held.“ Sie trat einige Schritte rückwärts, lächelte und legte ihre Hände verschränkt auf die Brust. „Ich liebe dich, Link.“ „Ich liebe dich seit ich denken kann, Zelda...“ Sie lächelte tiefgehend. Und mit diesem Satz, drehte er sich um, folgte weiterhin dem steinigen Weg, bis er außer Atem vor dem Boot stand. Von weitem sah das Boot ziemlich klein und unbrauchbar aus. Aber dies schien ein Irrtum zu sein. Die Verkleidung des Bootes war intakt und die Paddeln waren ebenso in gutem Zustand. Gerade da kam der vermummte Mann aus dem Boot gehüpft. Sein Umhang war an manchen Stellen verdreckt und hatte viele Flicken. Die Kapuze lag soweit über seinem Haupt und hing soweit hinab, dass Link nicht einmal seine Augen erkennen konnte. „Fahrt Ihr hinaus zu dem Turm?“, fragte Link und wurde immer misstrauischer bezüglich der Gestalt. Aber er musste diesen Versuch wagen. Eine andere Möglichkeit als mit dem Boot hinauszufahren gab es nicht. „Ja, in der Tat“, sprach sein Gegenüber rau. Seine Stimme war vertraut, auch wenn man deutlich hören konnte, dass er seine Stimme verstellte. „Würdet Ihr erlauben, dass ich mitfahre?“, fragte Link und schielte beunruhigt zu den grauen Wolken, die den Sturm fortwährend ankündigten. „Was zahlt Ihr als Preis?“ Link sah auf und überlegte. Hastig durchwühlte er seine Taschen und fand nicht einen Rubin darin. Nur die Okarina der Zeit fiel in seine Hände. Aber er konnte doch nicht diesen teuren Schatz als Zahlungsmittel missbrauchen. Zelda würde ihn köpfen, wenn er diesen königlichen Schatz verscherbeln würde. „Ich verlange die Okarina“, sagte der Mann düster und reckte eine mit Handschuh umhüllte linke Hand dem Heroen entgegen. „Ist dir die Reise zum Turm dieses Opfer wert?“ Link stutzte. Was wollte dieser Händler, der womöglich seinen Lebensunterhalt mit billigen Bootsfahrten verdiente, mit der Okarina der Zeit? Sorgsam betrachtete Link die Okarina und versuchte unter die dunkelbraune Kapuze des Mannes zu schielen. „Die Okarina kann ich nicht hergeben“, sagte Link versichernd. „Kann ich etwas anderes als Zahlungsmittel entrichten?“ Der Mann in seiner Kutte schüttelte den Kopf. „Ich will diese Okarina, oder sonst verleihe ich dir das Boot nicht. Gib’ sie schon her, immerhin steht dir noch Wichtigeres bevor.“ Der Kerl klang unduldsam und leicht gereizt. Aber woher wusste er, dass Link noch viel vor sich hatte, was sonst niemand schaffen konnte? „Ich verbinde viel mit dieser Okarina...“, argumentierte Link. Es erinnerte ihn immer an Zelda... „Ich ebenso“, antwortete der verkleidete Mann. „Auch ich besaß einst eine Okarina.“ „Aber... mein teuerster Freund gab sie mir.“ „Nur ein Freund?“, erwiderte er spitz, so als wüsste der Kerl genau, dass der teure Freund mehr war als bloß ein Freund. Link schwieg daraufhin und überreichte das Flöteninstrument nur schweren Herzens. „Gute Wahl“, murrte der Kerl und stieg in das knarrende Boot ein. Link folgte und das Boot schwamm in gleichmäßigem, ruhigen Bewegungen hinauf auf die See. Näher und näher rückte der hohe, dunkle Turm, in welchem oberen Stockwerk sich viele langgezogene Fenster befanden. Aber nirgends drang ein Licht aus dem Gemäuer und auch sonst deutete nichts daraufhin, dass hier jemand lebte. „Lebt auf dieser kleinen Insel jemand?“, fragte Link leise, traute sich aus irgendeinem Grund fast nicht, diesen Kerl vor ihm anzusprechen. Irgendetwas Mysteriöses, Großartiges umgab ihn. „Nein, nur manchmal sucht der Besitzer dieses Turms dort seine Ruhe. Dann, wenn seine Pflichten ihn überfordern oder er einfach mal Stille und die Einsamkeit sucht. Aber innerhalb von wenigen Tagen vermisst er dann immer seine Liebste und kehrt zurück in die Hauptstadt Hyrules. Gelegentlich nimmt er seine Gemahlin auch mit hierher. Eine wunderschöne Lady, für die man sterben könnte. Und am schönsten ist es hier im Herbst... man kann vom Turm aus die bunten Bäume der östlichen Wälder entdecken, wenn man durch das Fernrohr sieht. Das Leben ist sehr friedvoll hier.“ Link stützte seine Hände ans Kinn und blickte erstaunt nach vorne. Trotz der unheimlichen Aura, die den Mann umgab, war da etwas Herzensgutes, dass von ihm ausging. Vertrautheit. Verständnis. „Wer ist der Mann, der dort lebt?“ Darauf schüttelte der Mann, der vermutlich auch zu den Hylianern gehörte, den Kopf. „Ich kenne seinen Namen nicht... und viele Leute in der Gegend sagen, er wäre zwar ein sehr bekannter Mann, der sich für die Völker Hyrules einsetzt, aber seinen Namen kennt man hier nicht. Vielleicht ist das auch gut so.“ Link nickte und starrte hinauf an das östliche Himmelszelt. Dunkle Wolken zogen von dort heran. Wenn sie den Turm erreicht hätten, würde wahrscheinlich ein Sturm heraufziehen. Besser der dienstleistende Bootsfahrer beeilte sich. „Ihr wisst ziemlich viel über den Mann, der hier manchmal seine Tage verbringt“, meinte Link. „Man beobachtet die Leute eben, wenn man am Ufer auf Kundschaft wartet. Viele wollen gerne aufs Meer fahren, dabei unterschätzen sie das Wetter und die Meeresströmungen gewaltig. Von daher bin ich manchmal wachsam und mache die Hylianer darauf aufmerksam, wie gefährlich ein Sturm sein kann. Ebenso wie die Stürme, die in der eigenen Seele leben. Ihr seht so aus, als hätte Euer Sturm schon lange begonnen. Und Ihr steht nun vor dem Auge des Sturmes.“ Verwundert richtete Link seine ganze Aufmerksamkeit auf sein Gegenüber. Lebenserfahrung. Weisheit. Melancholie. Soviel spiegelte sich in den Worten dieses Mannes. In dem Moment durchbrach ein gleißender Blitz den stürmischen Himmel und kündigte den Donner an, der folgte. Zorn der Götter nannte man Gewitter hier in Hyrule. Und die Leute in ihren Heimen, oder die Männer in ihren Kneipen bei hylianischen Gesängen erzählten dann immer von irgendwelchen kleinen Zwistes, die die Göttinnen untereinander auszutragen hatten. „Der Sturm naht...“, sprach der Mann andächtig. „Ein Gewitter kann beruhigend sein... wenn man weiß, dass es viel Schlimmeres gibt.“ Da war soviel Melancholie in seinen Worten, dass Link immer neugieriger wurde, wer eigentlich vor ihm saß. „Warum sagt Ihr das?“ Daraufhin stoppte der Mann das Boot und schielte mit dunkelleuchtenden Augen unter der Kapuze hervor. „Sein Schicksal wählt man hier in Hyrule nicht. Und selbst wenn man es wählen könnte, so sollte man dies nicht leichtfertig tun. Aber folgt man seinem Schicksal, so hat man viele Hürden zu meistern, erst Recht, wenn Bedeutsames Blut in den Adern fließt.“ „Ich weiß nicht, worauf Ihr hinaus wollt.“ Er lachte daraufhin und trieb das Boot weiter voran. Sein Lachen war lebendig, nicht so wie seine augenscheinliche Unnahbarkeit. „Ganz einfach... Bedeutsames Blut ist meist mit Blutvergießen verbunden. Darum kann es Schlimmeres geben, das eine Seele überstehen muss als ein einfaches Gewitter.“ Link nickte einsichtig. Gerade da legte das Boot an dem schmalen Ufer der Insel an. Ein Ring aus Gischt umgab die kleine Insel, die aus flachem, glatten Felsgestein bestand. Das salzige Meerwasser schlug immer wieder sanft an die steilen Hänge des Turms. Links Augen wanderten an den dunklen Steinquadern hinauf und blieben an einem dunklen Eisentor haften, welches mit Striemen von Rost durchzogen war. Eine schmale Holztreppe führte außen hinauf zu eben diesem Eingang. ,So, was jetzt?’, dachte er sich. Ratsuchend drehte er sich zu dem Mann um, der ihn begleitet hatte. Rasch wand sich Link nach hinten, schaute zu jeden Zipfel der Insel, aber der seltsame Fremdling war wie vom Erdboden verschluckt worden. ,Na Prima’, murrte der junge Held in Gedanken. Wo war der Kerl hin verschwunden. Aber seltsamerweise lag das Boot nach wie vor am Ufer. Einige kühle Tropfen fielen vom Himmel als die dunklen Wolken nahten. Blitze zuckten vorüber und vereinigten sich mit dem Donner, der sogleich die Geschöpfe Hyrules erschaudern ließ. Mühsam zerrte sich Link am Geländer der Treppe nach oben, umweht von einem eisigen, starken Wind, der ihn mitreißen wollte. Er war fast vollständig durchgeweicht, als er das große Tor erreichte. Er klopfte mit beiden Fäusten dagegen und bat um Eintritt. Doch niemand antwortete... Ohnehin war der Innenraum nicht erleuchtet, was darauf hindeutete, dass niemand in dem Turm hauste. Umso unsinniger, dass Link überhaupt hierher gekommen war. Vielleicht war es auch einfach nur so eine Neugierde, oder Intuition. Jedenfalls fackelte Link nicht mehr lange, hatte ohnehin keine Lust noch länger in dem nassen Regen zustehen. Er schob das Tor einfach auf, trat geschwind hinein und schloss es wieder. Er schüttelte sich, rieb sich seine erkühlten Arme und atmete mehrmals mit Erleichterung ein und aus. Ungemein still war es hier drin, obwohl draußen ein garstiger Sturm tobte. Links tiefblaue Augen wanderten erforschend durch den Raum. Ob es hier in dieser Schwärze irgendwo eine Lichtquelle gab? Zaghaft tastete er sich voran, spürte anhand von Formen einen runden Tisch und zwei gepolsterte Stühle in der Zimmermitte. Auf dem glatten, antiken Tisch stand etwas. Ja, die Formen ergaben Sinn. Da waren spitze Kanten. Eine runde Fläche und Karten. Ein Spiel? Sachte schlich Link hinüber an die Wand direkt vor ihm, entdeckte so etwas wie einen alten Sekretär. Er tastete nach einer Kerze und fand stattdessen einen ganzen Kerzenständer. Na gut, eine Lichtquelle hatte er gefunden. Wo war hier ein Streichholz? Link stolperte weiter und gelangte an ein schlichtes, aber wunderbar weiches Ehebett. Seufzend ließ er sich hintenüber sinken und schlug seine Arme hinter den Kopf. Irgendwie fühlte er sich wohl hier. Dieser Ort war so wunderbar, dass er sofort einschlafen könnte. Wenn doch nur Zelda auch hier wäre, träumte er. Zelda... Genüsslich roch er an den sauberen Lacken, die erst frisch gewaschen sein mussten. Er schwelgte ihn geheimen Sehnsüchten, verzehrte sich nach Zeldas Lippen, ihren Händen, nach ihrem Körper... Seufzend schüttelte er den Kopf. Irgendetwas an diesem Ort verführte ihn dazu, nur noch an Zeldas zu denken, obwohl er einen Auftrag hier hatte. Link schloss nur kurz seine Augen und als er sie wieder öffnete war der Raum wärmend und gemütlich von zwei dickstämmigen Kerzen und dem Kerzenständer an der anderen Wand erleuchtet. Das musste Magie sein, dachte Link. Er hüpfte wieder auf die Beine und schaute sich noch genauer um. Tatsächlich. Auf dem Tisch stand das legendäre Spiel der Sieben Weisen. Das Spiel, welches Link so gerne mit Zelda spielte. An einer anderen Wand hing eine ganze Ausrüstung. Drei Schwerter, eine Axt. Pfeile in einem Köcher verborgen. Eine Tunika hing dort, die dieselbe grüne Farbe trug wie seine. Sein Blick schwang wieder zu dem Sekretär. Dort waren einige Bücher gestapelt und eine Menge Pergamentblätter mit irgendwelchen hylianischen Schriftzeichen. Einige waren mit Zeldas Unterschrift gezeichnet. Aber das Absurdeste war, dass unter einigen der Verträge sein eigener Name stand. Sir Link? Was war das denn? Link hielt das Stück Pergament näher an seinen Kopf um das Unfassbare zu glauben. Ein gewisser Sir Link unterzeichnete hier frohlockend irgendwelche Verträge. Ja klar... Das konnte nur ein übler Scherz sein. Sorgsam tupfte Link über die wenigen Buchstaben seines Namens und fand dieses Geschehnis zu verrückt, um es nur ansatzweise verstehen zu können. Tatsächlich schrieb dieser Sir Link in der gleichen Handschrift wie er selbst... Der junge Heroe musste plötzlich lauthals lachen und blickte ungläubig zu einer weiteren Entdeckung. Ein mit Ölfarbe gemaltes Bild seiner Prinzessin stand auf diesem Tisch. Sie hatte eine Krone mit teuren Edelsteinen in ihrem goldblonden Haar und lächelte, als ob sie alles Glück der Welt erfahren hatte. Noch nie hatte sie so gelächelt. Es rührte Link zunehmend, sänftigte ihn und ließ ihn ruhiger werden. Doch was war das? Neben Zeldas Bild standen zwei weitere. Eines mit einem kleinen Jungengesicht, der blonde Haare trug und so aussah wie Klein-Link. Das andere Bild zeigte ein kleines Mädchen mit gelockten hellblonden Haaren. Das Mädchen hatte tiefblaue Augen, so wie er selbst... Neugierig betrachtete Link die Bilder von jeder Seite. Harkenia und Lia? Ihm wurde in Sekundenschnelle so warm ums Herz, und er fühlte sich gleichzeitig so durch den Wind, dass er sich auf den Stuhl sinken lassen musste. Diese Kinder... ,Wo bin ich nur?’, fragte er sich und hielt das Bild des kleinen Mädchens schockiert in den Händen. Es war irgendwie die Art und Weise, wie dieses Mädchen ihn aus dem Bild heraus anblickte, der ihn wissen ließ, dass er eine Verbindung zu ihr hatte. Verbundenheit... Zuneigung... Liebe... In dem Moment wurde der junge Heroe durch irgendetwas abgelenkt. Sorgfältig besah er sich jede Ecke des Zimmers. Seine Augen blieben bei der Ausrüstung haften. Der elegante Einhänder wackelte plötzlich, als ob ihn jemand gerade erst dort hingehängt hätte. Dabei hing er vorhin schon an seinem Platz. Link trat näher und strich neugierig über den glänzenden Stahl. Und noch etwas rückte in sein Aufmerksamkeitsfeld. Der braune Umhang des Fremden, der ihn hierher gebracht hatte. Jener Umhang hing nun sorgfältig ebenso an einem Haken. Das war schräg. Hauste dieser Fremdling etwa hier? Erlaubte er sich einen Scherz mit ihm? Was hatte dieser Kerl mit Zelda und was hat dieser Kerl überhaupt mit ihm zu schaffen? Misstrauisch untersuchte der junge Heroe die dunkle Wand direkt vor seiner spitzen Heldennase. Er klopfte einige Male dagegen und seine Vermutung bestätigte sich. Hinter der Wand musste sich ein Zugang befinden, der ihn womöglich wieder nach unten bringen würde. Link kniete nieder und entdeckte im schwachen Kerzenlicht, wie sich eine unauffällige kleine schwarze Tür nur ganz undeutlich von dem dunklen Mauerwerk abhob. Sorgfältig öffnete er ein winziges Schloss und kroch auf allen vieren durch die kindsgroße Pforte. Wie von Geisterhand fiel das Türchen zu und der junge Heroe befand sich in einem schmalen Schacht mit einer Wendeltreppe, der ihn hinab in die Tiefe führte. Neugierig wie immer, krallte sich Link eine Fackel von der Wand und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Auf halber Strecke gelangte ein sanftes Flötenspielen an seine spitzen Ohren. Zart waren sie. Dumpf und magisch. Töne erschaffen von der kostbarsten Okarina, die es in Hyrule gab. Der Okarina der Zeit, die angeblich von der Zeit selbst geformt sein sollte. Abrupt blieb Link stehen. Seine blauen Augen schillerten so dunkel, man hatte das Gefühl das tiefblau wäre von Schatten verschluckt worden. Er kannte sogar das Lied, wusste aus irgendeinem Grund, dass dieses Lied das Bedeutsamste seines ganzen Schicksals war. Es war die Melodie, die dem Helden der Zeit gebührte. Im Hintergrund spielt die Flöte die Hymne der Zeit. Aufgeregt tapste Link die Treppenstufen hinab. Das konnte eigentlich nur Zelda sein, die diese Melodie mit ihren sanften Händen spielte. Wer sonst kannte die wahre Natur dieses Musikstückes außer Link selbst? Als die Treppenstufen endeten fand sich Link in einem hohen Gewölbe wieder. Außerhalb tobte noch immer das Gewitter erbarmungslos und versprühte seine gleißendhellen Funken in den Innenraum. Auch die Flötentöne wurden lauter und klangen beinah gehaltlos und nichtig angesichts des heftigen Donnergrollens um den Turm herum. Link trat langsam näher, hielt die lodernde Fackel warnend vor sich und erschrak in dem Augenblick, da er die Person, sitzend auf einem großen Stein, erkannte. Ungläubig stand Link genau vor ihm. Seinem rechtschaffenen Gesicht. Seinem wahren Ich. Er trug ein edles Heldengewand. Aus sattem Grün. Kunstvolle Stickereien waren in dem teuren Stoff verarbeitet. Sein Gesicht war konzentriert und angespannt, während er die Töne auf seiner Okarina erschuf. Ja, der Jugendliche, der noch immer die Fackel in der Hand hielt, verstand. Deshalb also verband dieser Mann soviel mit der Okarina der Zeit und deshalb verhielt er sich so merkwürdig, als er Link über das Meer geleitete. Er wollte seine Tarnung nicht zu früh auffliegen lassen... Kein Zweifel. Dies war der legendäre Held der Zeit, der irgendwo in seiner eigenen Seele schlummerte. Dies war Link, der Ganondorf bezwingen konnte. Träge öffneten sich seine Augen, während die letzten dumpfen Töne der Okarina, die auf der Zeit spielte, im Rauschen des Windes untergingen. Mit einem ernsten, kampfbereiten Grinsen starrte das wahre Gesicht des legendären Helden in die ungläubigen des Jugendlichen, der vor Schreck die Fackel fallen ließ. Wortlos stand er da, beeindruckt und gefangen von diesem Ehrgeiz, diesem erschreckenden Mut, in den Augen seines Gegenübers. „Es wurde Zeit, dass du kommst!“, sagte der wahre Held der Zeit, nun nicht mehr mit verstellter Stimme. Nein, nun klang jene genauso wie die des Jugendlichen, der sein wahres Ich vergessen hatte. „Du bist... Ich?“, sprach der unwissende Jugendliche, der wie in einen Spiegel zu starren schien. Sein wahres Ich sprang geschwind auf die Beine und hängte den Kopf schief. „Ich habe dir nun wahrlich genügend Hinweise gegeben. Was meinst du, ist das hier für ein Ort?“ Der wahre Held verschränkte seine Arme. Sprachlos blickte Link zu Boden und stotterte: „Ich... weiß nicht so... genau.“ Darauf lachte der andere und grinste unverschämt. „Haben dich die Bilder von Harkenia und Lia so sehr verunsichert?“ Link war derweil irgendwie knapp vorm Herzkasper. Er ließ sich einfach zu Boden sinken und stützte den Kopf an seinen Händen ab. „Ich bin du... alles, was du hier siehst, gehört dir...“ Der wahre Held drehte dem Jugendlichen den Rücken zu und lächelte. „Diese Dimension kannst du erschaffen, wenn du nur willst. Du könntest hier mit Prinzessin Zelda eure erste gemeinsame Nacht in Hyrule erleben, du könntest hier ab und an die Einsamkeit finden, die dir ein Leben bei Hofe nicht mehr bieten kann. Aber diese Zukunft erfordert einige Opfer, vor allem von dir. Alles liegt bei dir.“ Erste Nacht, dachte der Jugendliche schamhaft. Irgendwie ließ ihn der Gedanke schon wieder so zappelig und nervös werden, obwohl es doch langsam keinerlei Beschämendes mehr darstellte. „Wo sind wir jetzt genau?“, fragte ein ungläubiger Link. „Zuhause...“, murmelte der andere. „Aber die Frage ist nicht ganz richtig. Eigentlich müsstest du fragen, wo du bist. Denn ich bin du.“ Verärgert sprang Link auf die Füße und griff seinem Gegenüber energisch am Kragen. „Ach ja? Wenn ich du wäre, warum habe ich dann zugelassen, dass Zelda von diesem Dreckschwein entführt wird? Warum hast du nichts getan? Warum hast du Zelda nicht gerettet?“ Link zürnte vor Angst und Wut. Er rüttelte sein wahres Ich, fauchte ihn an, beschuldigte ihn gnadenlos: „Ganon hat Zelda! Nur, weil du nicht aufwachen wolltest. Du bist ein verdammter Feigling!“ Auf diese Bemerkung bekam Link eine saftige Ohrfeige von dem im edlen Gewand gekleideten Helden der Zeit. „Wofür war das?“ „Für deinen kindischen Hohlkopf!“ Der Held der Zeit lief hin und her. Seine tiefblauen Augen waren erschütternd wach, so eindringlich, dass sich der Jugendliche vor diesem Blick fürchtete. „Bin ich dir Rechenschaft schuldig? Du hast die gesamte Zeit geschlafen. Hätte ich nicht ab und an eingegriffen, wäre Zelda schon lange durch deine Unzuverlässigkeit gestorben.“ Link griff sich an seine Stirn und schloss die Augen. „Du bist eingegriffen? Wann?“ Ein Lachen drang durch die Luft, gefolgt von einem weiteren Kopfschütteln. „Wann immer es nötig war, um dich oder deine Liebende zu beschützen.“ Link ging in dem Moment ein Licht auf. Die vielen Blackouts. Seine plötzliche gnadenlose Kämpferseite. War das ein Eingreifen von dem wahren Helden? „Die Blackouts?“ „Es waren keine Blackouts, sondern so etwas wie Seelensprünge. Für wenige Minuten warst du nicht mehr der Erdenbürger. Du warst ich...“ „Aber wie kann das sein? Bin ich denn nicht du?“ Erneut standen sich die beiden gegenüber, sahen aus wie perfekte Zwillinge und doch lag in den Augen etwas sehr, sehr unterschiedliches... „Natürlich bist du ich... aber du musst dich erst wieder erinnern. Um das ganze einfacher zu machen, habe ich dich hierher geschickt, an einen Ort der Phantasie. Einen Ort einer möglichen Zukunft für mich... und für dich... aber vor allem für Zelda.“ Das Lächeln des Helden wurde verträumter und verträumter, als der Name der Prinzessin über seine Lippen kam. „Du liebst sie... und ich liebe sie.“ Link nickte beschämt. „Und was muss ich jetzt tun, damit ich mich erinnern kann?“ Der Held der Zeit hängte den Kopf schon wieder schief, setzte einige Finger an sein Kinn und meinte entschlossen: „Nun, ich sehe einige Möglichkeiten deine Erinnerungen wieder... aufzufrischen, aber einige sind sicherlich nicht ganz schmerzfrei, vielleicht nicht für deinen Körper, aber für deine Seele.“ Der Sprechende schnipste elegant mit den Fingern. Sogleich veränderte sich die Szenerie und Link fand sich in alten, wenigbeleuchteten Katakomben wieder. Dort in der mächtigen Zitadelle der Zeit, wo das Masterschwert auf den wahren Helden wartete. Auch das Schwert steckte tief und fest in seinem Stein, atmete, flüsterte. „Du hörst die Stimme des Schwertes, obwohl dir Ganondorf eingeredet hat, du könntest es nicht führen.“, sprach es klar und sachlich hinter ihm. Link brauchte sich nicht umdrehen, erkannte er doch seine eigene Stimme in dem Hylianer hinter ihm. „Du hast es schon einmal in deinen Händen gehalten, erinnerst du dich?“, sagte er. Nachdenklich wand sich Link nach hinten und erforschte die ungeheure Tapferkeit in den tiefblauen Augen seines wahren Ichs. Es stimmte, dachte Link. Ja, er hatte das Schwert einmal berührt, zu jenem Zeitpunkt als Zelda und er das Elixier des Lichts aus dem alten Tempel bringen mussten. Vor wenigen Wochen, als ihr Abenteuer in Hyrule begann. „Also warum denkst du, das Schwert gehorcht dir nicht?“ Link zuckte mit den Schultern, hatte er doch kein entsprechendes Argument darauf. „Probier es. Teste dich...“, flüsterte der Held der Zeit und trat einige Schritte rückwärts. Zaghaft trat Link an die alte, von Weisen geschmiedete Waffe heran. Seine Fingerspitzen zitterten, während sie sich langsam auf das lederne Schwertheft legten. Er kannte das Gefühl. Diese angenehme Empfindung von der Macht des Masterschwertes durchströmt zu werden, spürte einen Druck wachsen, irgendwo in seinen Erinnerungen. Die Bilder kamen plötzlich und intrusiv. Bilder eines blutigen Masterschwertes, eingekleidet von schwarzem Blut. Kälte. Tod... Der Jugendliche wich erschrocken zurück, seine Hände betasteten nicht länger das alte, sagenumwobene Schwert des wahren Helden. Nicht einmal das Schwert und sein Podest lagen vor seinen tiefblauen Augen. Unter Links unschuldiger Berührung war das alte, meisterhafte Schwert wie ein lebendiges Geschöpf zu Staub zerfallen. Er sackte zu Boden, strich mit seinen Fingerspitzen in dem kalten Aschehaufen umher bis der Wind die Asche hinfort trug... Eine starke Hand packte ihn am Kragen und im nächsten Moment standen beide Heldengestalten wieder in dem Turm, wo der wahre Held der Zeit auf einen Teil seiner selbst wartete. „Was ist passiert?“, meinte Link, der noch unwissend über seine eigene Vergangenheit nach der Wahrheit suchte. „Das Masterschwert...“, entkam es geschockt aus Links Mund. Aber der wahre Held schüttelte bloß den Kopf. „Ja, es zerfiel zu Staub... aber nicht, weil du es nicht führen kannst, sondern weil du glaubst, dass du es nicht kannst. Dein einziges Problem ist, dass du dich von Ganondorfs Geschwätz beeindrucken lassen hast.“ Der wahre Held der Zeit ballte seine linke Faust und schickte einen goldenen Lichtregen umher. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass dich das Schwert nicht annehmen würde? Dein Herz ist rein, Link. Du bist der Held, der diese Welt in diesem Zeitalter vor der uralten Finsternis Ganons bewahren wird.“ „Warum fühle ich mich dann so hilflos?“ Der Jugendliche stützte sich auf alle viere und reckte sein Haupt in Richtung der Lichtfunken, die der wahre Held in die Stille schickte. „Das ist es... wir müssen deine Hilflosigkeit besiegen, indem wir deine Erinnerungen zurückholen, bevor Mitternacht vorbei ist.“ „Und wie?“ Link kniff seine Augen zusammen und schämte sich schon beinahe für seine Armseligkeit. „Lass’ den Kopf nicht so hängen. Mir scheint, als war das Masterschwert der falsche Ansatz für deine Erinnerungen. Nun gut, versuchen wir uns am nächsten Schritt.“ Nachdenkend und mit einer ausgeprägten Falte auf der Stirn lief der junge Mann hin und her, bis er wiederum schnipste. Ein Lächeln zeigte sich auf dessen jungen, frischen Gesicht. „Wusstest du, dass es Tradition ist, jedes Mädchen, das in die Königsfamilie hineingeboren wird, Zelda zu nennen?“ „Nein...“, murrte Link genervt. Wen interessierte diese Nebensächlichkeit, wo es um das Überleben aller ging? „Ich jedoch wünschte mir ein Mädchen, das ich benennen darf...“, sprach der Held leise. „Ein Mädchen, das so aussieht wie seine Mama Zelda... Familie ist das schönste Geschenk, das man erhalten kann.“ Seine Stimme wurde richtig weich entgegen der anfänglichen Unnahbarkeit und der Strenge, die er verkörperte. „Ich habe mir immer ein Mädchen gewünscht...“ Er schloss seine Augen. „... das meine Augen trägt...“ Verwirrend, dachte Link. Wohin wollte dieser Held ihn damit führen? Sicherlich, auch er wünschte sich eine Zukunft, ja, eine Familie mit Zelda, aber er hatte bisher noch nie glauben können, das dieses Glück vielleicht schon vor der Tür stehen könnte. „Ich durfte sie nach mir benennen und gab ihr den Namen Lia...“, endete er. Erneut schnipste der Heroe mit den Fingern und getragen von der Magie des Mutes schwand der Raum erneut, formte sich, änderte sich, bis Link in einem kleinen Kämmerchen mit Wiege stand. Seidene, leichte Vorhänge wehten von Fenster hinein und brachten ihm Kunde über einen milden Frühling im magischen Hyrule. Der süße Duft der Steppe hing in der Luft. Vorsichtig, so leise wie möglich tapste Link näher an die Wiege und erblickte das wohl märchenhafteste kleine Wesen darin, welches er jemals erblickt hatte. Ein Baby lag darin, kaum ein Jahr alt, schlief ruhig und friedvoll, bis es ihre tiefblauen Augen öffnete. Es war ein Mädchen, das ahnte Link an dem rosa Nachtkleidchen, das es trug. Er blickte sich um, fand aber keine Tür, die ihn aus dem Raum bringen konnte. Auch gab es niemanden sonst, nur dieses winzige Geschöpf und ihn. Es strahlte ihn an. Ihre kleinen Kinderarme streckten sich ihm entgegen, als wollten sie etwas von ihm. Unverständliche Babbellaute entkamen ihren Lippen, aber sie lachte. Na toll, dachte Link. Er hatte nun wahrlich keine Ahnung von Kindern, er wusste ja noch nicht einmal wie man ein Baby richtig im Arm hielt. Und nun stand er hier vor der Wiege der kleinen Lia, von der der Held der Zeit sogar ein Ölbild in diesem Turm stehen hatte. Link schloss die Augen, überwand seine Angst, er könnte diesem kleinen Wesen irgendwie wehtun und begann ihre kleinen Kinderwangen zu streicheln. Es fühlte sich irgendwie grausam an, so grausam... die Wangen dieses Kindes zu streicheln, das vielleicht sein eigenes in irgendeiner Zukunft darstellte, wenn er nicht als Held versagen würde. Wie vergänglich sie war... dieses kleine Mädchen. Wie unglaublich zerbrechlich sie war, ebenso wie die Zukunft, die allein von Link abhing. Eine Träne tropfte von Links Augenwinkeln. Golden war sie. So golden wie sein Fragment des Mutes... Lia, dieses Baby, würde niemals existieren, wenn er nicht kämpfen, wenn er sich nicht endlich erinnern würde. Weitere Tränen tropften und erneut kamen schmerzhaften Bilder aus den Erinnerungen, die weit, sehr weit zurücklagen, vor Link wie dichte Nebelgebilde in einem verschlingenden Meer tanzten. Undeutlich waren sie. Nur hinterlegt mit Schmerz... furchtbarem Schmerz... „Es tut mir leid...“, murmelte er. „Verzeih’ mir, dass ich nicht weiß, wie ich mich erinnern soll...“ Als er das Kind ein weiteres Mal berühren und vielleicht sogar auf seine Arme heben wollte, zerfiel auch es zu Staub, hörte auf zu sein, schwand mit Links weiterem Fehlgriff auf seine Erinnerungen. Aufgelöst, geschockt, fand sich Link wieder in dem alten Turm. Er fühlte sich so schwer, als ob Steine auf sein Herz drücken würden. „Ich konnte sie nicht... beschützen...“, sprach er trüb und hämmerte mit der linken Faust auf den Boden. „Lia... sie ist doch so klein und unschuldig... sie ist einfach zu Staub geworden.“ Der Held der Zeit schnaufte, hatte aber den Eindruck, das dieser Versuch Links Erinnerungen wiederherzustellen schon näher das Ziel rammte als der vorherige. Vielleicht war Seelenschmerz das beste Mittel um sich zu erinnern. Vielleicht war der rastlose Schmerz alter Narben das der einzige Weg. „Hör’ mir zu, Link.“ Kreidebleich sah er auf, schämte sich nun noch mehr für sich selbst. „Ich glaube, wir sind einen Schritt weiter.“ „Was soll das heißen? Willst du mich fertig machen, damit ich mir irgendwelche wahnsinnigen Hirngespinste einbilde? Denn so weit bringst du mich noch.“ Wut war es nun, die aus ihm herauskroch. „Beruhige dich. Du besitzt etwas, dass du noch nicht gelesen hast... etwas sehr Kostbares... einen Brief, den Zelda geschrieben hat. Lies ihn jetzt.“ Zaghaft durchsuchte der Jugendliche seine Gürteltaschen und pflanzte sich auf den großen Felsen, der hier inmitten des feuchten Gewölbes stand. Er las die ersten Zeilen mit Bedacht, las die Überschrift noch einmal und wusste, an wen dieser Brief damals adressiert wurde. „An die Seele, dich ich liebe...“ Links tiefblauen Augen füllten sich mit Wärme, ertranken beinahe an diesem einfühlsamen Adressat. Wann hatte Zelda diesen Brief wohl geschrieben, fragte er sich. Er blickte auf und erschrak an dem eisigen Blick, den der Held der Zeit in seiner Unverwundbarkeit umherwarf. „Lies ihn!“, sagte er scharf, duldete anscheinend keine weiteren Ausflüchte und hob seinen linken Arm auf das Papier deutend. Link seufzte und ließ seine Augen wieder auf Zeldas einzigartige Handschrift wandern. „Wir waren Kinder, Leidende, Erwachsene und vielleicht noch mehr als Freunde...“, hieß es in dem Brief. Ein trauriges Lächeln umspielte Links Lippen. Mehr als Freunde waren sie immer, gewiss. Und während er las, so bemerkte er nicht das leise, sich anschleichende Gefühl, das ihn nun einholte. Es waren keine Bilder wie vorher, die sich in seine Gedanken schlichen. Es waren Gefühle, Erfahrungen, tiefe Sehnsüchte, die sich damals nicht erfüllen konnten. Er stoppte das Lesen. Seine Hände zitterten und Link wusste nicht den Grund dafür, konnte er nicht ahnen, dass dieser Brief den Schlüssel zu einer riesigen, grausamen Vergangenheit symbolisieren sollte. „Lies weiter!“, forderte der Held der Zeit. Unsicher setzte Link sein Tun fort, starrte auf die wunderschönen Buchstaben, geschrieben mit schwarzer Tinte, und doch hielt ihn etwas zurück. Angst vor der Erinnerung. Angst vor dem selbst... Sein Atem ging schneller. Sein Herz pochte unleugbar, ahnte um die Welle der Erinnerungen, die sich in wenigen Sekunden unhaltbar ausbreiten würde. „Und doch... so hoffe ich, solltest du diese Zeilen eines Tages lesen, dann möchte ich, dass du mich verstehst, für die Entscheidungen, die ich treffe, mit dem Wissen, dass sie dich traurig stimmen werden.“ Trauer. Schwere grausame Trauer... Zeldas Entscheidungen riefen ihn heim. Zeldas Pflichten. Ihre Gefühle, tief verborgen in ihren himmelblauen Augen, erzählten sie ihm immer soviel von ihrer Liebe. Es brannte innerlich, bis Link das kostbare Pergament an manchen Stellen zu grob anfasste. Seine Vernunft versagte und das Jetzt arbeitete rückwärts. „Hör’ nicht auf“, fauchte der Held mit seiner Stimme im Hintergrund. „Lies weiter! Weiter!“ Link holte hektisch Luft, las weiter, zwang sich, fühlte, wie die Worte in seiner Seele schlitzten, fühlte sein wahres Ich näherkommen. „Neue Wege und Pfade sind dir beschieden und ich bitte dich, trauere nicht um deine Seelenverwandte, die sah, ohne die Augen zu öffnen, die fühlte, ohne zu empfinden und die dich liebte, ohne an diese Liebe glauben zu können.“ „Nein!“, schrie Link, hob den Blick vom Blatt Papier. Schmerz... nicht enden wollender Schmerz. Es nistete sich ein, saugte an seinem jetzigen Ich, zerstörte es langsam, löschte es. Er würde an diese Liebe glauben, er würde immer daran glauben. Er würde sterben... nur für diese Liebe... Blut tropfte von seinen Augen, vermischt mit dem Wasser vorher. Er ließ dem Schmerz freien Lauf, die eine Seelenfindung verlangte. Ohne Zweifel ließ er sich führen, als seine Augen leerer wurden. Und im Hintergrund dröhnte diese Stimme: „Lies weiter. Immer weiter!“ „Geh’ den neuen Weg und erinnere dich, aber bitte vergiss’ mich. Denn ich kann nicht sein, ich kann nicht mit dir sein und ich werde niemals sein können, was wir uns beide wünschen.“ Hass... Glück... Wahrheit... sie riefen ihn zurück. Wie der gefährliche Sturm außerhalb brausten die Erinnerungen in ihm, stießen mit Blitzschlägen nieder und ertränkten die Seele mit gewaltigen Regenmassen. Der Sturm war nah... der Sturm in der eigenen Seele. ,Lass’ mich gehen. Lass’ mich allein, winselte die zerrissene Seele, die sich vor ihren eigenen Erinnerungen fürchtete. „... und so schreibe ich hier die Worte nieder, die ich nicht über meine Lippen tragen werde. Worte, die ich, wenn Hyrule endet, für immer in mir versiegeln werde. Ich liebe dich. Es gab keinen Moment, in welchem ich anders empfand. Und so sage ich es mit geschriebenen, stummen Worten erneut. Ich liebe dich... und ich verlange nur diese eine kleine Bitte. Mehr entsinne ich nicht für mich oder für uns: Vergiss’ mich... Werde glücklich an einem anderen Ort, wo das Schicksal dir nicht seine Grausamkeit aufzwingt. Vergiss mich... In ewiger Liebe, Prinzessin Zelda...“ Ein grölender Schrei zerriss die Stille in dem Turm, wo er wartete, wo das wahre Ich auf Erfüllung wartete. Link ließ den Brief fallen, krümmte sich, bis ein weiterer ahnungsvoller Schrei aus seiner Kehle stieß. Er wusste es, er wusste, dass es war und dass er selbst als ein Teil davon die Geschehnisse zu verantworten hatte. Er erinnerte sich... an alles... ,Komm’ zu mir. Komm’ nach Hause...’, rief eine innere Stimme. ,Wehr’ dich nicht gegen dich selbst. Komm’ nach Hause...’ Im Hintergrund raschelte nur noch die Stimme des Helden der Zeit, der an Links verwundete Seele trat, ihm eine Hand auf die Stirn legte und leise und sanft, wie ein besitzergreifender Geist in ihn überging... Und eine Sache hatte dieser Geist noch zu erledigen, bevor er sich auf den Weg zu Ganon machte. Nur eine Kleinigkeit für eine andere Realität. Für eine andere Zukunft. Links tiefblaue Augen öffneten sich schnell, wurden geblendet von goldenen, ja fast weißem Kerzenlicht. Er blickte um sich, fühlte eine schwere Last auf seiner Seele, die er schon lange vergessen hatte. Er versuchte sich zu orientieren und doch war im selben Moment alles so klar. Er war hier. In Zeldas Gemächern am letzten Tag Hyrules. Kurz nach ihrem ersten Kuss in der gläsernen Wanne. Er wusste nun, wann sie diesen Brief geschrieben hatte. Damals... nach dem leidenschaftlichen Kuss, den sie beide teilten. Denn jetzt war er erneut hier, in genau der Situation, die ihre Beziehung zu einander erst so fatal und so missverständlich werden ließ. Nachdenklich saß Zelda vor ihrem Schreibtisch, wunderschön, gekleidet in samtenen Dunkelblau... Er wusste, dass sie geweint hatte. Er wusste es einfach. Die Tränen waren auf den Brief getropft, den er gerade erst lesen durfte. „Wegen vorhin...“, begann Link und er wusste doch, dass er einst schon einmal mit diesen zwei Wörtern begonnen hatte. „Ich meine das, was geschehen ist...“, setzte er hinzu, genau wie damals kamen die Worte über seine Lippen, doch diesmal würde er alles anders machen. Er würde es richtig machen. Langsam trat er näher und seine braunen Lederstiefel klapperten verräterisch. Zelda erhob sich, stützte ihre Hände auf ihrem antiken Schreibtisch ab und holte Luft für die Worte, die Link doch schon kannte. Aber er würde ihr widersprechen, er würde sie daran hindern, ihn abzuweisen. Er nahm ihr das Wort, bevor sie mit ihrer grantigen Gefühlskälte beginnen konnte. „Ich weiß, was du sagen willst: Vergiss’ diesen Kuss, Link. Es war nur ein dummer Ausrutscher, auch von meiner Seite. Ich wollte wohl lediglich wissen, wie es sich anfühlt, einen Mann zu küssen.“ Entsetzt wand sie sich zu ihm. Ihr Blick glich jenem, als er ihr nach den Feuerstürmen in der Steppe seine Lippen aufgezwungen hatte. „Aber du weißt besser als ich... dass dies eine schmerzhafte Lüge ist, Zelda...“ Er trat näher, spürte einen verbitterten Hauch von Eis, den Zelda ausströmte. Aber er würde sich davon nicht einschüchtern lassen. Nicht mehr. Zelda war nun leichenblass. Vor Schreck musste sie sich auf den Stuhl sinken lassen und starrte ungehemmt in die verliebten, butterweichen Blicke, die Link ihr schickte. „Ich weiß, du liebst mich, meine Prinzessin“, murmelte er und kniete vor ihr nieder. „Darum sage ich dir jetzt, ehrlich und mit allem, was ich dir schenken kann... Ich liebe dich genauso... Ich liebe dich, Zelda, Prinzessin von Hyrule...“ Noch im selben Augenblick begann Zelda hemmungslos zu weinen, presste ihre Hände an die Augen, aber es nützte nichts. Sie weinte vor Glück... Sie ließ sich zu ihm auf die Knie sinken, betätschelte sein Gesicht, als müsste sie prüfen, ob er nicht nur eine Sinnestäuschung war. „Und darum bitte ich dich, lass’ uns für eine gemeinsame Zukunft kämpfen, denn sie ist nicht unmöglich. Nein...“ Link lächelte und lehnte seine Stirn gegen ihre. „... nein... denn sie steht schon fast vor unserer Tür...“ Damit küsste er sie, fühlte ihre Kälte schwinden, fühlte sich selbst bereit. Bereit für den Kampf und bereit dafür sein wahres Ich anzunehmen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)