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Of being a fairy

Die Fee in Spe
von

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Knospe

Wenn Oliver ganz ehrlich war, hatte er von der ersten halben Stunde des Films kaum etwas mitbekommen. Sein Hirn war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, abzuwägen, ob er seine Freunde einweihen sollte. Vermutlich wäre seine Familie darüber nicht begeistert, zumal sie ihn eindringlich gewarnt hatte, wie gefährlich es war, sich jemandem anzuvertrauen, falls doch jemand plauderte. Aber könnte er das überhaupt vor Thomas und Nicole geheim halten? Die Zwei kannten ihn so gut wie sonst niemand. Selbst Anita, die er viel weniger kannte, hatte schon bemerkt, dass er abgelenkt war. Mit etwas Glück könnte er das gegenüber Nicole und Thomas darauf schieben, dass er ein bisschen verknallt in Anita war, doch früher oder später, da war er sich sicher, würden die Zwei ahnen, dass etwas nicht stimmte. Es war zum Haareraufen!

Bunte Bilder flackerten über die Kinoleinwand und hätte irgendjemand Oliver gefragt, woher denn auf einmal dieser Drache kam, er hätte es nicht sagen können. Oliver hatte nur eine sehr grobe Vorstellung, worum es in dem Film überhaupt ging. Ebensogut hätte ein brutaler Horrorsplatter laufen können oder die kitschigste romantische Komödie, die Hollywood zu fabrizieren wusste. Wie von selbst wanderte Olivers Blick zur Seite, zu Anita, die das zum Glück nicht bemerkte. Ebensowenig wie die Butter in ihrem Mundwinkel. Ein verstohlenes Grinsen huschte über Olivers Züge. Wären sie beide ein Paar, er würde die Butter einfach wegwischen, doch dazu hatte er im Moment nicht den Mut. Oliver zwang sich, wieder nach vorne zu schauen. Nicht, dass ihn noch jemand dabei ertappte, wie er Anita anstarrte. Diese Peinlichkeit würde er nach diesem bisher so verkorksten Wochenende nicht auch noch überleben. Dass Nicole längst bemerkt hatte, dass er über mehr als nur seine Gefühle für Anita grübelte, ahnte Oliver dabei nicht. Ebensowenig, dass Nicole längst Pläne gemacht hatte, um ihnen allen den Abend noch ein wenig zu versüßen. Sie kannte Oliver nämlich gut genug, um zu wissen, dass er einfach zusähe, wie die Gruppe sich nach dem Kinobesuch aufteilte, während er damit seine Chance verschenkte, Anita näher zu kommen. Jungs waren solche Idioten! Was für ein Glück, dass sie da war. Dafür hatte es sich gelohnt, auch fast zu spät zu kommen.
 

“Der Film war wirklich aufregend!”, ereiferte sich Anita und Oliver nickte aus reinem Reflex. Zumindest für die zweite Hälfte des Films stimmte das auf jeden Fall. Nur hatte er da schon fast nichts mehr verstanden, weil er während der ersten Hälfte fast nichts mitbekommen hatte. “Besonders gut hat mir die Szene gefallen, als Raymond sich plötzlich gegen Lisette und Cole wandte. Damit hätte ich einfach nie gerechnet! Ich war total sicher, dass Lisette die Verräterin wäre”, mischte sich Thomas in das Gespräch ein. “Habt ihr eigentlich auch das Ei bemerkt, das man ganz kurz sieht, während Lisette und Cole weglaufen? Wette, es gibt eine Fortsetzung.” “Eine? Du meinst zwei”, lachte Anita ungehemmt und meinte dann: “Das machen sie doch meistens so. Gibt es eigentlich eine Buchvorlage? Weiß das einer von euch?” Dieses Mal war es Nicole, die nickte. “Jap, gibt es. Ich habe die Romane sogar daheim. Meine Mutter hat sie vor einigen Jahren gelesen. Wenn du willst, leihe ich sie dir”, bot sie Anita an.

Oliver wünschte, er hätte die Bücher gelesen. Dann könnte er jetzt besser mitreden. Stattdessen war er schon froh, dass er überhaupt wusste, von welchen Charakteren seine Freunde hier sprachen. “Aber du musst auf Oliver warten. Ich hab ihm versprochen, dass er die Bücher zuerst kriegt”, grinste Nicole. Oliver stutzte. Natürlich hatte er nicht einmal gewusst, dass es Bücher zu diesem Film gab, doch im Stillen dankte er Nicole tausendfach dafür, dass sie ihn mit ihren Worten gut vor Anita dastehen ließ, auch wenn es ihm ein wenig peinlich war. “I-ist schon gut. Wenn du willst, kannst du sie zuerst lesen, Anita”, winkte er eilig ab. “Ach was, schon gut. Lies du ruhig zuerst. Aber wehe du spoilerst mich”, gab diese grinsend zurück. Lachend hob Oliver eine Hand wie zu einem feierlichen Schwur. “Du erfährst kein Wort von mir, versprochen.” "He, aber wehe ihr spoilert uns, wenn ihr alle Bände gelesen habt", mischte sich Thomas ein, dem auch gedämmert war, was Nicole hier einfädelte, die sofort mit einstimmte. "Genau, es sind nämlich fünf Bücher. Behaltet also hübsch alles für euch oder fachsimpelt ohne uns." Anita und Oliver lachten gleichzeitig. "Einverstanden, einverstanden", grinste Oliver seine beiden Freunde an. Was wäre er nur ohne die beiden?
 

Seit er denken konnte, war er schon mit Thomas und Nicole befreundet. Sie hatten alles zusammen durchgemacht. Kindergarten, Grundschule und schließlich die Aufteilung in neue Klassen. Zum Glück hatte man das Trio nie getrennt. Ohne die beiden hätte sich Oliver ziemlich einsam gefühlt und nicht anders wäre es auch Thomas und Nicole ergangen. Die Drei teilten einfach alles und hatten keine Geheimnisse voreinander. Als Thomas heimlich eine Maus adoptiert hatte, die er aus den Fängen der Nachbarskatze befreit hatte, hatten Nicole und Oliver geholfen, das kleine Tier zu verstecken und zu füttern, ohne dass Thomas' Eltern davon Wind bekamen. Letzen Endes waren sie leider dennoch aufgeflogen und hatten das Tier zusammen mit Thomas' Vater im Garten freigelassen. Als sich Nicole Hals über Kopf in Mark verliebt hatte, waren Thomas und er die ersten gewesen, denen sie sich anvertraute. Beide hatten für Nicole Spione gespielt und versucht, alles mögliche über Mark herauszukriegen. Das war so weit gegangen, dass Jonathan, ein Mitschüler von Mark, sogar gedacht hatte, Thomas wolle mit Mark anbandeln. Noch heute zog Nicole Thomas gerne damit auf, dem das nach wie vor tierisch peinlich war.

Und genauso hatte Oliver seinen Freunden ganz offen erzählt, dass er sich in Anita verguckt hatte, als er sich dessen bewusst wurde. Nicole hatte ihn nur ausgelacht, sehr zur Verwunderung der beiden Jungs. Das sei doch absolut offensichtlich gewesen. Sie wisse das schon seit Wochen, hatte Nicole großspurig kundgetan. Sie hatte jedoch nie auch nur den kleinsten Ton darüber verlauten lassen - niemandem gegenüber. Ebensowenig Thomas, der sogar versprochen hatte, sich mal bei seinen älteren Schwestern zu erkunden, wie man denn am besten ein Mädchen anspräche. Oliver wusste, dass er das nicht leichtfertig dahersagte, denn zweifellos müsste Thomas sich dafür allerlei Spott von Janina und Valerie anhören, die ihren süßen kleinen Bruder zu gerne neckten.

Nein, seinen Freunden konnte er blind vertrauen und dazu zählte er auch Anita, auch wenn Oliver klar war, dass er sie betreffend eine rosarote Brille trug. Anita war zwar in erster Linie Nicoles Freundin, doch sie verstanden sich alle zusammen ziemlich gut und wenn er ganz ehrlich mit sich war, wollte er vielleicht auch einfach nur, dass sie dazu gehörte und er sich auch ihr anvertrauen konnte. Immerhin würde so ein Geheimnis sie doch zusammenschweißen, oder? Auf der anderen Seite war die Vorstellung, ihr sagen zu müssen, dass er eine verdammte Fee war - selbst in seinem Kopf klang das schrecklich kitschig und falsch - so dermaßen unangenehm, dass Oliver sich schon jetzt auf den Mond wünschte. Hoffentlich würden seine Freunde ihm das überhaupt glauben.
 

Oliver atmete tief durch. Er hatte keine Ahnung, wie er das Thema am besten anschneiden sollte. Und wo. Hier auf offener Straße vor dem Kino erschien ihm allerdings nicht die beste Idee. "Habt ihr vielleicht Lust, noch irgendwo hinzugehen? Vielleicht etwas essen? Mäcces?", schlug er hörbar unsicher vor. Nicoles Grinsen wurde breiter. Das war ihr Stichwort. "Oh, das hätte ich fast vergessen. Meine Ma hatte für ihren Mädelsabend einen kleinen Raum in der Karaoke-Bar nicht weit von hier reserviert, aber Zwei haben wohl abgesagt. Wenn wir wollen, können wir die Reservierung nutzen." Zufällig war davon natürlich überhaupt nichts. Immerhin hatte sie, einer spontanen Eingebung folgend, den Raum selbst noch vor dem Kinobesuch reserviert. Nicole warf einen vielsagenden Blick zu Thomas, der wie ertappt dreinsah. Es war kein Geheimnis, wie sehr Thomas es hasste, zu singen. Zugegeben: Er war wirklich unmusikalisch wie ein Stück Brot. "J-ja, klingt gut. Was sagt ihr?", stammelte Thomas nun aber und sah eilig von Nicole zu Oliver und Anita. "Klar, wieso nicht?" Oliver zuckte mit den Schultern. Schlimmer zum Idioten machen als Thomas konnte er sich dabei ja nicht und immerhin würden sie in dem kleinen Raum nicht belauscht, sodass er seinen Freunden dort erzählen konnte, was ihm auf der Seele lag. "Ich war noch nie beim Karaoke", meinte Anita zögerlich, nickte dann aber. "Solange sich keiner beschwert, wenn ich schief singe, bin ich dabei." "Prima. Es ist auch wirklich nicht weit. Gleich hier um die Ecke. Sie haben da übrigens auch superleckere Kartoffelecken mit so einem Kräuter-Dip", meinte Nicole gut gelaunt, sich bei Anita einhakend und diese mit sich ziehend, damit diese es sich auch ja nicht anders überlegte.

"Smith... Smith..." Der Angestellte der Karaoke-Bar ließ seinen Finger über einen dicken Kalender wandern, dann nickte er, murmelte etwas Unverständliches, reichte Nicole dann aber einen Schlüssel über die Glastheke. "Möchtet ihr schon etwas zu Trinken bestellen? Dann könnt ihr es direkt mitnehmen", leierte der junge Mann herunter. Ihm war anzumerken, dass das einzige, was ihn an seinem Job interessierte, der Feierabend war. "Wir nehmen vier Cola mit", entschied Nicole kurzerhand und steuerte dabei schon den Kühlschrank neben der Theke an, um die Flaschen selbst herauszuholen. "Wir brauchen auch keine Einweisung. Ich kenne mich aus", flötete Nicole gut gelaunt weiter, während ihre drei Freunde etwas bedröppelt herumstanden. "Alles klar. Dann wünsch ich viel Spaß. Ich geb euch fünf Minuten vor Schluss eurer Session Bescheid."
 

Kaum, dass die Tür hinter ihm zugefallen war, dämmerte Oliver auch schon, dass hier nicht der Zufall, sondern Nicole am Werk war. Die saß schon neben Thomas, sodass nur noch neben Anita Platz war. Unsicher ließ er sich auf das dunkle Leder sinken. "Bevor wir anfangen...", begann er leise, "gibt es da noch etwas, das ich euch sagen muss." Nicole horchte merklich auf. Oliver ahnte, worauf sie hoffte, doch das hier würde ganz sicher kein Liebesgeständnis an Anita werden. "Meine Familie hat mir am Wochenende etwas erzählt", druckte er herum. Thomas grinste. "Etwa ein dunkles Familiengeheimnis?" Er ahnte ja nicht, wie nahe er damit der Wahrheit kam. "So ähnlich?", gab Oliver ausweichend zurück, seufzte dann und griff nach seiner Cola, nahm einen großen Schluck und begann dann stockend von der Familienfeier zu berichten.

"Naja", endet Oliver schließlich. "Das ist es jedenfalls. Sie sagen, ich bin eine Fee und hätte ich nicht die Flügel von Oma gesehen, ich würds nicht glauben. Echt nicht! Aber sie waren wirklich echt", beteuerte er, von einem seiner Freunde zum nächsten schauend. Nach Thomas' kleinem Scherz über das dunkle Familiengeheimnis hatte keiner mehr etwas gesagt, so offenkundig war der Ernst in Olivers Stimme gewesen. Jetzt, wo alles raus war, fühlte er sich fast etwas erleichtert, obwohl er nicht wusste, was seine Freunde eigentlich mit diesem Wissen anfangen sollten, wenn sie ihm denn überhaupt glaubten. "Also...", ergriff Thomas schließlich als erster das Wort, "kaufen wir dir jetzt Zauberstab und Tutu?" Schweigen legte sich über die Gruppe, dann prustete Oliver los und vertrieb die Anspannung damit. "Wag es ja nicht!" Thomas fiel ins Lachen ein. "Was sonstg? Beglitterst du mich?" Am liebsten hätte Oliver etwas nach seinem Freund geworfen, doch im Grunde war er heilfroh, dass Thomas das Ganze so gelassen nahm. Nicole kicherte leise in sich hinein und auch Anita lachte jetzt. "Wir werden das niemandem erzählen. Du bist immer noch du", befand Anita lächelnd und am liebsten hätte Oliver sie sofort in die Arme geschlossen, so dankbar war er ihr für diese Worte und dafür, dass ausgerechnet sie sie aussprach. Für Oliver war das Fee-Problem damit gefühlt schon halb erledigt. Immerhin änderte sich ja sonst nichts, oder? Alles blieb beim Alten. Er lebte sein Leben weiter, brauchte keine Geheimnisse vor seinen Freunden haben und vielleicht, nur vielleicht, fände er ja den Mut, Anita nach einem Date zu fragen.



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