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Of being a fairy

Die Fee in Spe
von

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Erblühen

Stöhnend ließ sich Oliver auf den Schreibtisch sinken, während Thomas neben ihm nur lachte. “Stell dich nicht so an. Soo schwer war der Test nun auch wieder nicht.” Den finsteren Blick, den er dafür von Oliver und Nicole gleichermaßen erntete, ignorierte er geflissentlich, wenn er ihn denn bemerkte. “Nicht jeder von uns ist ein verdammtes Genie”, brummte Nicole unwillig, sich zu den beiden Jungs herum drehend, die hinter ihr saßen. “Was habt ihr bei der vierten Aufgabe geschrieben? Mir fiel da überhaupt nichts ein.” Das war der Moment, in dem Oliver sich aus dem Gespräch ausklinkte. Wenn er jetzt noch hören musste, welche Lösung Thomas hatte - und die wäre sicherlich richtig - würde ihm direkt noch übler. Nein, dann ließ er das Unheil lieber auf sich zukommen und machte sich nicht weiter verrückt. Was dachte sich Mr. Fitzgerald auch dabei, andauernd diese unangekündigten Tests zu schreiben? Und immer an einem Freitag in der letzten Stunde! Man könnte beinahe glauben, er hätte nichts Besseres zu tun, als seine Schüler auf diese Weise zu quälen.

Wie von selbst wanderte Olivers Blick an Nicole und Thomas, die noch intensiv diskutierten, was denn nun die richtige Antwort für die vierte Aufgabe war, zu Anita. Seit zwei Jahren gingen sie nun schon in die gleiche Klasse, doch mehr als ein paar flüchtige Worte hatten sie beide nicht gewechselt. Eben das, was nötig war, wenn man sich zufällig im Flur begegnete oder doch mal bei einer Gruppenarbeit im selben Team war, was selten genug passierte, denn üblicherweise hatte er dafür Thomas und Nicole.

Leise seufzte Oliver in sich hinein, den Blick weiter auf Anita geheftet, die diesen scheinbar nicht bemerkte, denn sie unterhielt sich eindringlich mit Brandon. Eigentlich ein netter Kerl, doch uneigentlich mochte Oliver ihn nicht. Ständig lungerte er in Anitas Nähe herum. Ein Kindheitsfreund, hatte ihm Nicole gesteckt. Sie war lose mit Anita befreundet und ließ es sich nicht nehmen, Oliver regelmäßig damit aufzuziehen, dass er sich nicht traute, Anita doch einfach mal zu einem Treffen einzuladen. Ihren Neckereien zum Trotz hatte sie ihn jedoch auch nie verraten und Stillschweigen darüber bewahrt, dass Oliver in Anita verknallt war. Das hielt er Nicole wirklich zugute. Sie mochte wie eine Plaudertasche wirken, die achtlos über alles plapperte, was ihr unterkam, aber Wichtiges war bei ihr absolut sicher aufgehoben.
 

“He, Oliver? Erde an Oliver!” Verdattert riss er seinen Blick von Anita los und starrte Thomas an, der so breit grinste, dass Oliver ahnte, dass das nicht das erste Mal gewesen war, dass sein bester Freund ihn angesprochen hatte. “Da war wohl jemand… abgelenkt”, flötete Nicole feixend und warf einen demonstrativen Blick in Anitas Richtung. “Autsch!” Thomas war ihr auf den Fuß getreten, um sie zum Schweigen zu bringen. Schmollend legte Nicole ihren Kopf auf Olivers Tisch ab. “Hast du Lust, heut Abend ins Kino zu gehen? Es läuft dieser neue Streifen mit Lesley Tanner an. Du weißt schon, dieser Film über eine Apokalypse mit Zentauren und Elfen?” Verständnislos starrte Oliver Thomas an. Der seufzte nur leise. “Wir haben letzte Woche erst drüber gesprochen? The Art of the Chosen?”, hakte er nach, doch bei Oliver wollte der Groschen einfach nicht fallen. Klang für ihn nach einem Fantasystreifen und damit konnte er eigentlich nicht viel anfangen.

Ein breites Grinsen legte sich über Nicoles Züge. “Er ist in Gedanken eben noch ganz bei Anii~” “Psht!”, unterbrach Oliver sie hastig, drehte sich doch eben jene Anita gerade zu ihnen um. “Ihr wollt in The Art of the Chosen? Der Film soll wirklich gut sein.” “Komm doch mit, wenn du möchtest”, bot Nicole direkt an. Oliver biss sich auf die Zunge. Eigentlich hatte er gerade absagen wollen, doch Nicoles Frage könnte seine Meinung über den Film ziemlich schnell ändern. Seufzend schüttelte Anita den Kopf. “Ich kann leider nicht. Sorry.” “Dann verlegen wir das doch”, schlug Oliver vor. Sein Mund fühlte sich so trocken an, als habe er auf einer Socke gelutscht, so nervös war er. “Wie passt Sonntag?” “Sonntag ist ok”, nickte Thomas sofort und auch Nicole und Anita stimmten zu. “Dann treffen wir uns eine Viertelstunde vorher am Kino?”, fragte Nicole in die Runde. “Klingt gut. Das wird super.” Anitas Grinsen genügte, um dafür zu sorgen, dass in Olivers Magen ein Schwarm Schmetterlinge aufstob.

Dass etwas sehr ähnliches gerade nur wenige Meter entfernt vor dem Klassenfenster passierte, fiel zwar den vier Teenagern nicht auf, dafür aber einer Klassenkameradin, die mit großen Augen bestaunte, wie ein gutes Dutzend hellgelber Zitronenfalter einen kümmerlichen Busch umkreiste, in dessen Ästen Müll hing und der schon seit Urzeiten keine Blüte mehr erlebt hatte, weil er so stiefmütterlich behandelt wurde. Jetzt aber hatte er kleine zarte Blüten von sattem Rot ausgebildet und damit die Schmetterlinge angelockt, die um die frischen Blätter herumtanzten. In Verbindung mit einem Mitschüler hätte die junge Frau am Fenster dieses Wunder aber wohl nie gebracht.
 

Hätte Oliver geahnt, was das Wochenende für ihn bereit hielt, er hätte seinen Freunden nicht zugesagt und auch Anita hätte daran nichts geändert. Wie üblich hatten sich nicht nur seine Großeltern eingefunden, sondern auch Tanten und Onkel. Beinahe konnte er noch von Glück sagen, dass seine Familie nicht besonders groß war. Was ihm jedoch auffiel, war, dass alle einen ziemlichen Wirbel machten. Als wäre der 17. Geburtstag etwas besonderes. Darüber konnte Oliver wirklich nur den Kopf schütteln. Beinahe ergeben ließ er es über sich ergehen, als er die Kerzen auf einer Torte ausblasen musste und schließlich ein Dutzend Geschenke öffnete, während ihm seine Großmutter, die neben ihm saß, über die Schulter sah.

Als seine Mutter jedoch ungewohnt ernst innehielt, anstatt die Torte anzuschneiden, war er der Einzige, den dies zu überraschen schien. “Es gibt da etwas, das wir alle hier dir sagen müssen”, begann schließlich seine Großmutter in einem Tonfall, den sie sonst anschlug, wenn sie wissen wollte, ob ihr über alles geliebter Enkel denn nun endlich eine Freundin habe. Oliver runzelte die Stirn und sah in die Runde. Immer mehr hatte er das Gefühl, dass jeder hier im Raum genau wusste, worum es ging und nur er im Dunkeln tappte. “Was ist los?”, verlangte er zu wissen.

Die Züge seiner Großmutter entspannten sich, als sie nun nach seiner Hand griff. “Oliver, wir alle hier lieben dich sehr.” “Ich weiß”, entgegnete er nun schon lauernd. Oh Gott, wollten sie ihm etwa sagen, dass er adoptiert war? So klang es zumindest für ihn. Was sonst sollte es sein? “Es ist so, dass du einer ganz besonderen Familie angehörst”, fuhr seine Großmutter fort. Oliver nickte wie automatisch. Dass seine Familie besonders war, hätte er nie abgestritten, auch wenn er die Bezeichnung “schrullig” passender gefunden hätte. “Es ist so, dass wir keine Menschen sind. Oder zumindest… nicht alle von uns”, erklärte sie betont ruhig und erntete von Oliver doch nur verwirrte Blicke. “Oliver”, mischte sich nun auch seine Mutter ein. “Wir sind Feen.”
 

Oliver kannte keine Sache, die seine Mutter hätte sagen können und ihn mehr hätte verwirren können. Er hatte mit allem möglichen gerechnet. Etwas wie Adoption oder dass sein Vater gar nicht wirklich sein Vater war. Auch, dass er eigentlich einen Zwilling gehabt hatte oder etwas in der Art hätte Oliver begreifen können, doch Feen? Wie er das Wort auch wendete, es wollte in seinem Kopf einfach keinen Sinn machen. Nichts davon machte Sinn. Wie durch einen Schleier hindurch konnte er hören, wie seine Mutter und seine Großmutter versuchten, sich zu erklären, doch die Worte kamen nicht wirklich bei ihm an. “Was für ein Unfug”, schloss er schließlich ganz abrupt, doch ein nagender Zweifel blieb, als er die Blicke seiner Familie bemerkte. Alle sahen ihn an. Freundlich, verständnisvoll und überhaupt nicht so, als wäre hier ein riesiger Scherz im Gange.

“Ich weiß, das muss sehr verwirrend sein, Oliver”, ergriff schließlich sein Onkel das Wort. “Als wir es erfahren haben, konnten wir es auch erst nicht glauben, aber es ist wahr. Marthas Familie hat uns ins Vertrauen gezogen, damit wir dir beistehen können und du nicht das Gefühl hast, vor deiner eigenen Familie ein Geheimnis haben zu müssen.” Anscheinend war ihm anzusehen, dass er noch immer nicht so richtig wusste, was er von all dem halten sollte, denn seine Großmutter tätschelte ihm mitfühlend die Hand. “Das ist für alle erst einmal schwer zu glauben. Ich denke, am besten ist, wir zeigen es dir.” Seine Mutter löste sich von ihm und holte von der Fensterbank eine Zimmerpflanze. Ihre Blüte war geschlossen, doch das änderte sich sofort, kaum, dass sie in seine Nähe kam. Oliver konnte dabei zusehen, wie sich die große weiße Blüte entfaltete. Verwirrt sah er von der Pflanze zu seiner Mutter. “Was ist damit?”

Neben ihm schüttelte seine Großmutter den Kopf. “Ich denke, du brauchst einen richtigen Beweis.” Sie hatten ihren Satz gerade erst beendet, da schimmerten unübersehbar große schillernde Flügel, die Oliver an einen Schmetterling erinnerten oder an eine Libelle. Fassungslos starrte er die Flügel an, wollte die Hand ausstrecken um sie zu berühren, glaubte jedoch im Grunde nicht, dass das möglich war. Das musste ein Trick sein! Doch wider seiner Erwartungen, griff Oliver nicht ins Leere, sondern spürte eine glatte kühle Oberfläche unter seinen Fingern, ehe die Schwingen verblassten bis es war, als wären sie nie da gewesen.
 

Fassungslos starrte Oliver in die Runde. Was sich ihm in der nächsten Stunde offenbarte, überforderte ihn hoffnungslos und hätte man ihn am Abend gefragt, woran er sich erinnerte, wäre die Antwort ernüchternd kurz gewesen. Er war Nachkomme einer Fee. Mütterlicherseits. Feen erwachten im Alter von 17 Jahren. Feen hatte es schon immer gegeben, aber sie verbargen sich unter Menschen. Sie hatten Flügel und konnten Blumen blühen lassen. Soweit im Groben. Seine Mutter und ihre Schwester hatten noch sehr viel mehr erzählt, doch Oliver hatte sich nichts davon merken können. Zu sehr saß der Schock ihm in den Gliedern.

Eine Fee. Wie verdammt absurd war das bitte?! Und wieso traf es ihn als Jungen überhaupt?! Sollten Feen nicht nur Frauen sein? Bei Feen musste er sofort an diese kitschigen, kleinen Gestalten aus Fantasy-Romanen denken, die über Blumenwiesen flatterten und dabei albern kicherten. Das wäre so ziemlich das letzte, was er sein wollte. So etwas mochte sich ein fünfjähriges Mädchen wünschen, er aber ganz bestimmt nicht. “Du wirst sehen, es wird sich gar nicht so viel ändern. Es kann wundervoll sein, eine Fee zu sein”, hatte seine Großmutter ihm gesagt, doch schon jetzt erschien es ihm wie der blanke Horror. Wie sollte er das geheim halten? Würde er auch solche Flügel kriegen? Konnte er das nicht einfach ignorieren? Insgeheim nämlich nahm sich Oliver genau das vor. Er würde einfach sein ganz normales Leben weiterleben. Als hätt er nicht auch so genug um die Ohren. Er und eine Fee? Nein, ganz sicher nicht.



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