Von La Sadie's zu Dir en Grey- Ein steiniger Weg von MarryDeLioncourt ================================================================================ Kapitel 14: Senju Kannon ------------------------ Kyo wollte sich nicht von seinen Freunden verabschieden. Nicht, weil er keinen Wert darauf legte, sondern, weil er ihnen nicht unter die Augen treten konnte. Er wollte ihnen nichts erklären müssen und zum Glück verstand Shinya seine Ängste. Nachdem der Sänger eine Tasche mit seinen wichtigsten Sachen zusammengepackt hatte, das hieß- Zeichenblock und Stifte, bequeme Hosen und Pullis, stiegen sie in Shinyas Wagen und fuhren los. Schon während der Fahrt arbeitete Kyo an seinem neusten Tattooentwurf weiter, den er sich vielleicht demnächst stechen lassen wollte. Die Freunde sprachen kaum miteinander, doch das war auch nicht nötig, denn der Drummer wusste, dass sein kleiner Warumono gerade ohnehin nicht sehr redselig sein würde. Er hoffte nur, dass sich Kyo wirklich ein bisschen erholen konnte. Nach etwa einer Stunde bog eine schmalere Straße nach links, in die Shinya hinein fuhr. Als weitere zwanzig Minuten verstrichen waren, erhob sich vor ihnen ein altertümliches Gehöft. Der Drummer parkte seinen Wagen im etwas matschigen Innenhof. Das Gepäck nahmen sie gleich mit. Eine breite Treppe, zu der sich links und rechts hohe vergoldete Säulen erhoben, führte zu einem Eingangsbereich, wo sie ein alter Mann in rotem Kimono und Glatze empfing. Er faltete die Hände vor der Brust und verbeugte sich zum Gruß. Die Freunde taten es ihm gleich. „Angenehm. Ich werde euch zu den Zimmern begleiten“, sagte der Alte mit tiefer, leicht kratziger Stimme. Die Einrichtung der Unterkunft fiel sehr spartanisch aus, doch war sie völlig ausreichend. Inmitten des Zimmers befand sich ein Esstisch und darum herum lagen Kissen. Der hintere Bereich wurde durch eine Schiebetür getrennt, wo die Schlafmatrazen lagen. Von dort aus gelangte man zu einer kleinen Terrasse, die einem einen wundervollen Blick auf die Berge bot. „Jeden Tag bereiten wir frisches Essen zu und ihr könnt kommen oder eure Mahlzeiten im Dorf unten einnehmen. Wie es euch beliebt. Wenn ihr etwas braucht, ich halte mich meist in der große Halle, im Tempel oder in den Gewächshäusern auf. Einen angenehmen Aufenthalt wünsche ich.“ Damit verabschiedete sich der Alte und ließ die Freunde allein. Trotz Kälte verzog sich Kyo auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen. Hier konnte er sich vielleicht tatsächlich ein bisschen entspannen, wie gut ihn Shinya doch kannte. Doch noch immer fühlte er sich mehr als schlecht und dieses Gefühl schnürte ihm fast die Luft ab. Er starrte hinaus in die Weite und wünschte sich an einen Ort, wo er vergessen konnte. Ein Ort, an dem er von vorne beginnen konnte. Ein Ort, an dem nicht zu viele Menschen lebten und es ihm möglich war, wieder mit sich ins Reine zu kommen, ohne dieses selbstzerstörerische Verhalten an den Tag zu legen. Schließlich hielt er es nicht länger aus, nur in die Ferne zu schauen. Kyo wollte dorthin. Deshalb sprang er auf, nahm zwei Treppen der Stufen auf einmal und rannte los. Einfach gerade aus. Kalte Luft peitschte ihm entgegen und er spürte, wie die eisige Kälte in seine Lungen kroch, doch dieser Rausch gab ihm mehr, als alles, was er in den letzten Wochen erlebt hatte. Ein leichtes Stechen in seinen Bronchien ließ ihn schließlich anhalten. Er lockerte sich etwas und rannte dann zurück.   Und so verbrachte der junge Sänger seine Tage. Trotz Wind und Schnee stand er jeden Morgen auf, um joggen zu gehen und anschließend in den Trainingsraum, wo er Gewichte stemmte oder seinen Körper trainierte. Seinen besten Freund traf er dann meist beim Essen oder auf dem Zimmer. „Tooru,…ich würde gerne über die Weihnachtsfeiertage zu meinen Eltern…wäre das in Ordnung für dich?“ Kyo zuckte nur mit den Schultern. „Klar. Kann dir das ja kaum verbieten.“ Shinya warf seinem Freund einen leicht vorwurfsvollen Blick zu. „Ich bleib nicht lange…nur ein oder zwei Tage, versprochen. Morgen früh fahre ich und komme baldmöglichst wieder.“ „Okay.“ Der Drummer zog seinen Sänger in eine lange Umarmung und küsste ihn auf die Stirn.   Als Kyo nach seinem morgendlichen Lauf wieder einmal allein auf der Terrasse hockte, bemerkte er, wie ihn jemand beobachtete. Der kleine Junge schien auch zum Tempel zu gehören. Der Sänger warf ihm einen bösen Blick zu, doch das schien den Jungen nicht abzuschrecken, denn er kam aus seinem Versteck hervor und schritt langsam auf Kyo zu. „Wie heißt du?“, fragte er mit fester noch kindlicher Stimme und dieses selbstbewusste Auftreten beeindruckte den Älteren. „Kyo und du?“ „Hiro. Du zeichnest gern oder? Ich hab dich schon oft zeichnen sehen und ich mag deine Bilder.“ „Danke. Kannst du auch zeichnen?“ „Nein, aber ich würde es gern können“, entgegnete Hiro voller Enthusiasmus. Kyo seufzte. Normalerweise hielt er sich fern von Kindern, aber Hiro schien ganz in Ordnung zu sein. Also nahm er ihn mit in sein Zimmer, suchte Papier und Stift heraus und begann zu zeichnen. Der Stift flitzte fast automatisch über das Blatt und schmerzlich stellte Kyo fest, dass sein Verstand das heraufbeschwor, was er am meisten vermisste. Kami. Er hielt kurz inne und legte den Stift beiseite. „Warum hörst du auf?“, fragte Hiro. „Ich mach mir einen Tee, willst du auch einen?“ Der Junge nickte, schnappte sich ein Papier und Kyos Stift von zuvor und begann ebenfalls etwas auf das leere Blatt zu kritzeln. Etwas belustigt schaute ihm der Sänger über die Schulter und stellte die heiße Teekanne und zwei Tassen auf den Tisch. „Wir sollten zuerst mit den kleinen Dingen beginnen. Du solltest mit den Augen anfangen. Wir üben jetzt Augen zeichnen.“ Kyo entzog ihm seine Skizze und malte verschiedene Augenpaare auf, die Hiro nachzeichnen sollte. Dabei stellte sich der Junge nicht mal dumm an. Von draußen ertönte die Stimme des Alten und Hiro schaute auf, erhob sich und öffnete die Schiebetür zum Flur. „Hier bin ich Opa…Kyo bringt mir gerade das Zeichnen bei.“ Mit den Armen auf dem Rücken verschränkt, schritt der Alte zum Zimmertür. „Dann ist ja gut. Es ist Zeit für dein Gebet. Du kannst später wiederkommen.“ Der Junge nickte. „Tut mir leid Opa, das hab ich ganz vergessen.“ „Du würdest sogar deinen Kopf vergessen, wenn der nicht angewachsen wäre“, tadelte der alte Mann seinen Enkel, welcher beschämt zu Boden schaute. Als die beiden schon fast außer Sichtweite waren, rannte ihnen Kyo nach und der Alte drehte sich überrascht um. „Ähm…kann ich…vielleicht mitkommen?“, stammelte der Sänger etwas unbeholfen und auf das Gesicht des Mönches schlich sich ein sanftes Lächeln und er nickte. Die Gebetshalle glich denen, die Kyo schon in Kyoto gesehen hatte. Hoch mit Säulen rechts und links. Ganz vorne des Raumes thronte eine goldene Buddhastatur auf einem Sockel und wirkte sehr respekteinflößend auf den Sänger. Er tat es dem alten Mönch und Hiro gleich, als sich die beiden auf den Boden knieten. Der Mönch murmelte etwas vor sich hin, hielt die Hände dabei vor der Brust und hatte seine Augen geschlossen. Kyo versuchte sich darauf einzulassen und schloss ebenfalls seine Augen. Und irgendwie fühlte er sich an diesem Ort sicher. Dieses Grauen, das in ihm wohnte schien sich wer weiß wohin verzogen zu haben und eine unbekannte Energie floss plötzlich durch seinen Körper. Erfüllte den jungen Mann mit neuen Lebensmut und diesem Gefühl gab er sich vollends hin. Nur das Raunen der Stimme des alten Mönches schien jetzt von Bedeutung. Nichts anderes. Und Kyo schaffte es sogar an nichts anderes zu denken. Ihm gelang es tatsächlich nach all den Qualen der letzten Tage an nichts zu denken und das tat unglaublich gut.   Seinen Entwurf hatte er nun fertig, deshalb fragte er, wie weit der Weg ins Dorf sei. „Etwa eine Meile“, antwortete der Alte. „Wissen Sie, ob es da ein Tattoostudio gibt?“ Ein geheimnisvoller Schatten legte sich auf das Gesicht des alten Mannes. „Dort nicht, aber hier mein Junge. Nicht vielen ist bekannt, dass unser Kloster auch die alte Tradition der Körperkunst weiterführt. Aber keine Angst, auch wir sind mit der Zeit gegangen und haben unsere Methoden etwas modernisiert.“ Das beeindruckte Kyo zutiefst und er folgte dem Mönch in ein kleines Häuschen, in dem sie einen anderen Mönch antrafen. „Kundschaft Sezuki.“ „Oh, ich bin erfreut. Wie kann ich helfen?“ Kyo zeigte dem jungen Mönch den etwas verknitterten Entwurf der Senju Kannon und dieser lächelte. „Ein schönes Motiv. Glaubst du an Gott?“ Der Dir en Grey Sänger zuckte mit den Schultern. „Ich bin nicht sicher…vielleicht glaubte ich einmal an ihn, doch ich fürchte, ich habe meinen Glauben verloren.“ „Und die Senju soll dir helfen ihn wieder zu finden?“ „Möglicherweise. Aber vielleicht soll sie mir auch nur dabei helfen, den Glauben an mich selbst wieder zu finden.“ „Möchtest du gleich beginnen? Wo soll die Tätowierung überhaupt hin?“ „Auf den Rücken“, antwortete Kyo kurz und knapp. Sezuki nickte, wies den Sänger an, sich bäuchlings auf die Pritsche zu legen, damit er mit seiner Arbeit beginnen konnte. Es dauerte eine Weile, bis die Farben in den Töpfchen gemischt waren und dann erklang das Surren der Nadel. Kyo schloss die Augen und spürte sogleich den lieblichen Schmerz. Und wieder beschwor im sein Gedächtnis diesen einen schlimmen Gedanken herauf. Er war ein grausamer Mensch und nicht normal, weil er auf Schmerzen stand. Nicht nur das, es turnte ihn an, anderen Qualen zuzufügen. Heftig biss er sich auf die Unterlippe und konzentrierte sich auf das Surren der Nadel. Er versuchte sich vorzustellen, wie die Farbe in seine Haut einzog und aus den Linien mehr und mehr ein Bild entstand. Das Bild der Senju Kannon, die seine Seele heilen sollte. Als würde er an einen solchen Schwachsinn glauben. Falls es einen Gott gab, würde dieser dann Taten wie die seinen, dulden? Wohl eher nicht. Nach fünf Stunden beendete Sezuki die erste Sitzung. „Ich fürchte du musst noch einmal wiederkommen. Möchtest du es sehen?“ „Gerne.“ Der junge Sänger schaute seinen Rücken im Spiegel an und ihm fehlten die Worte. Die feinen grazilen Linien übertrafen alles und er hätte vor Freude weinen können. „Ich danke dir. Es ist wundervoll.“   Kyo zog sich wieder in seinem Zimmer zurück. Morgen wollte Shinya zurückkommen. Noch immer spürte er die leichten Schmerzen auf seinem Rücken, deshalb zog er den Pullover aus und suchte ein weites Shirt in seinen Sachen. Mit Blatt und Stift bewaffnet setzte er sich auf ein Kissen am Tisch und legte das Papier vor sich hin. Zuerst starrte er auf die weiße Seite, kaute auf dem Stift umher und überlegte krampfhaft, wie er seine Gedanken in Worte fassen konnte. Doch alles, was er zu Papier brachte, hörte sich bescheuert an und entschuldigte seine Taten nicht. In einem Meer aus zerknäulten Zetteln versunken, schreckte er plötzlich auf, als es an seiner Tür klopfte. Er bat den Besucher herein und zu seiner Überraschung war es der alte Mönch Kenzo. Ohne zu fragen, setzte er sich zu ihm. „Wie geht es dir mein Junge?“ „Geht so…hatte schon schlechtere Tage“, erwiderte der Sänger wahrheitsgetreu. Kenzos faltiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „Mein Enkel scheint einen Narren an dir gefressen zu haben…hast du eigene Kinder?“ Diese Frage überraschte Kyo und er hatte sich tatsächlich noch nie Gedanken darüber gemacht. Oder auch noch nie wirklich in Erwägung gezogen, da sich das in seinem Job eher als Hinderlich erweisen würde. Außerdem bräuchte er dafür eine Freundin und da stand er wieder vor seinem altbekannten Problem, er wollte niemanden mehr lieben. „Nein hab ich nicht und werde ich sicher auch nie haben. Mein Leben ist meine Musik.“ „Also trübten mich meine alten Augen doch nicht…ich weiß wer du bist Tooru Nishimura…schon jetzt ist Dir en Grey eine sehr erfolgreiche Band. Doch sieh dich vor, Erfolg ist nicht alles und er ist trügerisch…kann dich auf falsche Wege leiten…und dein Wesen ist zart besaitet, auch wenn du das vor den meisten zu verbergen versuchst.“ „Aber wie schaffe ich es dem Erfolg stand zu halten?“ „Das kann ich dir nicht sagen…es liegt allein bei dir, das herauszufinden. Aber das wichtigste dabei ist, dass du an dich glauben musst Tooru-chan.“ „Mhh“, brummte der Sänger eher unzufrieden, so als wöllte er das, was ihm Kenzo zu sagen hatte nicht hören. „Weil das auch so einfach ist.“ Auf der Stirn des Greises zogen sich Falten. „Ich würde nie behaupten, dass es einfach ist…doch du kannst es schaffen…ich spüre diese Energie, die du ausstrahlst. Du bist ein Kämpfer.“ Kyo nickte traurig. Als Kenzo gegangen war, widmete er sich erneut dem Schreiben des Briefes.   Juka, ich schreibe dir, weil ich noch nicht in der Lage bin, dich persönlich aufzusuchen. Das, was ich dir angetan habe, ist unverzeihlich und ich frage mich noch immer, weshalb du mich nicht wegen Körperverletzung angezeigt hast? Dann würde es mir vielleicht besser gehen, weil ich für meine Schuld bestraft werden würde. Doch möglicherweise ist auch genau das, was du möchtest, indem du genau das nicht getan hast? Und vielleicht willst du mich so bestrafen, in dem Wissen, dass ich auf ewig mit dieser Tat leben muss? Wenn dem so sein sollte, kann ich dir das nicht einmal verübeln. Ich habe mir an diesem Abend versucht das Leben zu nehmen, weil ich nicht so sein will und ich würde alles tun, um diese Taten ungeschehen zu machen, doch leider funktioniert das Leben nun Mal nicht so. Wäre ja auch zu einfach. Ich weiß nicht, ob du mich jemals wieder sehen willst, vermutlich eher nicht, doch ich möchte, dass du weißt, wie leid es mir tut und ich entschuldige mich für alles, was ich dir angetan habe. Vielleicht  beruhigt es dich, wenn ich dir sage, dass ich ein verdammt schlechtes Gewissen habe, keine Nacht mehr ruhig schlafen kann, weil mich noch immer die Erinnerungen quälen und ich es auf ewig bereue. Ich habe der Liebe abgeschworen und werde nie mehr einen Menschen anfassen, zumindest in sexueller Hinsicht und ja, vielleicht brauche ich Hilfe. Doch wer könnte mir schon helfen? Ich wünsche dir ein glückliches und erfülltes Leben. Hoffentlich schaffst du es mich irgendwann zu vergessen. Kyo   Ohne den Brief ein weiteres Mal zu lesen, verstaute ihn Kyo in einem Umschlag, kritzelte die Adresse darauf und frankierte ihn. Dann zog er seine Jacke über und stapfte hinaus in die Kälte, um den Brief ins Dorf zu bringen. Es hatte bereits begonnen zu dämmern und er musste sich beeilen, wenn er den Ort noch vor Anbruch der Dunkelheit erreichen wollte. Mit schnellen Schritten kam er voran, da es nahezu nur bergab ging. Das Dörfchen bestand tatsächlich nur aus ein paar wenigen Häusern, in denen noch vereinzelt Licht brannte. Auf ein größeres Haus, das einer Gaststube ähnelte, steuerte Kyo zu und fragte, ob er den Brief hier lassen könne. Der Wirt nickte. Doch er brachte es letztendlich nicht übers Herz seine Worte abzuschicken. Deshalb ließ er es dann bleiben und steckte ihn zurück in seine Jackentasche. Nach einem Moment des Zögerns fragte der Sänger noch, ob er eine Flasche Sake kaufen könnte. Wieder nickte der Wirt und nannte ihm den Preis. Schnell bezahlte Kyo und verschwand wieder. Schon auf dem Weg zum Kloster öffnete er die Flasche und verzog das Gesicht beim ersten Schluck. Naja, gut war anders, dachte er bei sich. In der Dunkelheit fand er den Weg eher schlecht, doch irgendwann erkannte er das Tor und die Lichter, die aus dem Innenhof strahlten. Schnell, wie ein scheues Reh schlich er zu seinem Zimmer und fühlte sich ein bisschen wie früher, wenn er sich von irgendeiner Party in sein Elternhaus schleichen musste, in der Hoffnung sein Vater würde ihn nicht erwischen. Etwas erschöpft ließ er sich mit der halbleeren Flasche in die Kissen sinken und schon fielen ihm die Augen zu.   Am nächsten Morgen wurde er von seinem liebsten Freund geweckt, doch war dieser weit aus weniger begeistert, als er sah, dass Kyo getrunken hatte. „Findest du nicht, dass du sowas in Zukunft lassen solltest?“, ermahnte der Drummer seinen Freund. Dieser rollte nur genervt mit den Augen. „Weil du Angst hast, ich könnte mir wieder die Pulsadern aufschneiden? Glaub mir, dieser Gedanke kam mir in den letzten Tagen mehr als einmal. Trotzdem stehe ich noch hier. Ich will übrigens zurück…keinen Tag länger halt ich es hier aus…ich möchte in meine Wohnung.“ Shinya seufzte. „Ich hatte gehofft, wir verbringen noch ein paar Tage hier…zusammen.“ „Du kannst ja bleiben, ich komm auch ohne dich zurück…“, keifte der Sänger und packte seine wenigen Sachen zusammen. Sein Freund sah ihm dabei zu. „Tooru, bitte…zwei Tage…“ „Na schön…aber nur, wenn du nach zwei Tagen mit mir zum Proberaum fährst. Ich muss was ausprobieren.“ Mehr sagte der Sänger nicht und Shinya hätte sich so sehr gewünscht, dass es seinem Freund ein bisschen besser ging. Immerhin konnte der Drummer in den letzten Tagen wieder neue Kraft tanken und er war noch immer fest entschlossen seinem besten Freund beizustehen. Kyo ignorierte das Kratzen im Hals. Vermutlich hatte er sich bei seinem Spaziergang etwas verkühlt. Als hätte Shinya seine Gedanken gelesen, kochte er ihm einen Tee. Fast war der Sänger versucht zu fragen, wie es bei seinem Drummer zu Hause gewesen sei, doch eigentlich wollte er das auch gar nicht wissen, denn die schönen, harmonischen Geschichten, wie sein Freund die Tage bei seiner Familie verbrachte hatte, machten ihn nur wütend.   Nach zwei Tagen war das Halsweh noch immer nicht weg, doch Kyo wollte unbedingt in den Proberaum, um die neuen Songs zu singen. „Tooru, bist du dir da sicher? Deine Stimme klingt echt heißer. Nicht, dass du sie noch mehr belastest“, kam es von seinem Freund sorgenvoll. Doch der Sänger winkte ab und zündete sich vor dem Proberaum eine Zigarette an. „Kann nichts schlimmes sein. Nur etwas erkältet.“ Verständnislos schüttelte Shinya mit dem Kopf und Kyo schloss den Proberaum auf. Zum Glück waren die anderen nicht da, denn er war noch immer nicht bereit seine Freunde zu sehen. Er sang sich etwas ein und dann bat er seinen Drummer ihn ein bisschen zu begleiten. Der Sänger machte all den angestauten Gefühlen Luft und beanspruchte seine ohnehin schon geschädigte Stimme bis aufs Äußerste. Irgendwann war er so heißer, dass er kaum noch einen Ton herausbrachte. „Es reicht! Wie schlimm muss es denn noch werden!“, bluffte ihn der Drummer jetzt an. Kyo strafte seinen Freund mit giftigen Blicken und steuerte das Sofa an, wo er sich eine Zigarette anzündete und seine Wasserflasche öffnete, um etwas zu trinken. Das fehlte ihm jetzt noch. Und Shinya hatte Recht, er durfte seine Stimme nicht weiter strapazieren, sonst konnte er seinen Job an den Nagel hängen und was dann? Kyo wollte soweit nicht denken. „Du bist schlimmer als ein kleines bockiges Kind.“ „Tut mir leid…“, wisperte er und nahm einen tiefen Zug. Sein Freund ließ sich auf der Lehne nieder und legte seinen Arm um Kyos Schulter. „Was geht nur gerade in deinem Kopf herum? Du bist so gar nicht du…dabei fehlst du mir so schrecklich Tooru-chan…“ „Pech für dich…ich fürchte ich habe gerade den mir-ist-alles-egal-Modus an…es interessiert mich nicht, was andere denken Shini…“ „Ich merks…willst du nach Hause?“ Kyo nickte, doch gab er seinem Freund zu verstehen, dass er allein nach Hause wollte. Deshalb setzte Shinya seinen Sänger schweren Herzens vor dessen Haus ab. Ohne sich wirklich zu verabschieden, sprang Kyo aus dem Auto und verschwand in seiner Wohnung. Totunglücklich trat dann auch der Drummer den Heimweg an.   „Shini hat geschrieben, dass Tooru wieder zu Hause“, sagte Toshiya zu Daisuke, der nun schon fast einen Monat täglich bei ihm ein und aus ging. „Und, meinst du, wir sollten ihn besuchen gehen?“ Der Bassist zuckte mit den Schultern. „Ich bin nicht sicher…Shini meinte auch, dass er noch übellauniger ist als sonst…“ „Na dann erst Recht oder? Hatten wir nicht eine Abmachung Tosh? Ich will ihn nicht noch Mal so weit unten sehen und ich glaube Shini braucht Mal eine Pause. Vor zwei Tagen wirkte er sehr mitgenommen. Also, ich kauf Sushi und dann fahren wir zu unserem kleinen Warumono.“ Wie so oft ließ sich der Jüngere von der guten Laune seines Liebsten anstecken. Sie kauften frisches Sushi in der Stadt und fuhren mit der Metro zu Kyo. Doch dieser war alles andere als begeistert, als er seine Bandkollegen kommen sah. Auslandend stellte er sich vor die Tür, damit sie gar nicht erst in Versuchung kämen ins sein Haus zu kommen. „Wow, unser Sängerchen hat wirklich miese Laune…“ Die und Toshiya zogen Kyo in die Arme, drängten ihn beiseite und zogen den verwirrten Sänger mit ins Wohnzimmer. Der Gitarrist holte Teller und Gläser, um den Tisch einzudecken und Kyo musste sich eingestehen, dass er dem Essen kaum wiederstehen konnte. Die leckeren Sushiröllchen mit Lachs, Avocado und Gurke, wie er es liebte. Die hatte auch noch einen Reiswein besorgt und prostete seinen Freunden zu. Kyo versuchte kaum bis gar nicht zu reden, um seine Stimme zu schonen, denn dass diese ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde, merkten auch die anderen beiden schnell. Dem Sänger entging nicht, wie sich Die Und Toshiya immer wieder liebevolle Blicke zuwarfen oder sich manchmal eher zufällig gegenseitig berührten. Irgendwie freute ihn das, aber es versetzte ihm auch einen kräftigen Stich ins Herz, weil er das nie wieder haben konnte oder wollte. Deshalb verzog er sich, um eine Zigarette zu rauchen. Und plötzlich brach alles wieder heraus. Der Schmerz über seinen Verlust. Seine verlorene Liebe. Doch ehe er zusammenbrach, hielten ihn zwei Arme fest und erschrocken schaute er in die braunen Augen seines Gitarristen. Und selbst, wenn er etwas hätte sagen wollen, dazu war er nicht imstande. Die zog ihn an sich. „Ich weiß, du gehst vermutlich gerade durch die Hölle und du willst niemanden um dich haben…nicht, dass wir von deinen wahren Gefühlen etwas mitbekommen. Aber das hält kein Mensch aus…und du bist nicht allein…wir vermissen dich alle…“ Kyo schluchzte heftig und sein Freund brachte ihn wieder ins Warme. Toshiya setzte sich auf die andere Seite, sodass er zwischen seinen beiden  Freunden hockte. Langsam sank Kyos Kopf an Toshis Schulter. „Es tut mir leid…alles…ich bin ein Feigling, ein arroganter Arsch und ein egoistischer Mensch, der auf die Meinung und Gefühle anderer scheißt…“ Toshiya seufzte. Dann klingelte es ein weiteres Mal und Die sprang auf. Kyo ahnte schon, um wen es sich bei den Besuchern handeln könnte. „Du weißt, dass das nicht stimm…“ Von hinten legten sich zwei Arme um den Sänger und als er sich umdrehte schaute er überrascht in das Gesicht seines Leaders. Dieser grinste ihn nur freudestrahlend an. Shinya hielt sich im Hintergrund. „So…das wird ein Bandmeeting der besonderen Art…Kyo…ich hab meine halbe Videospielsammlung mitgebracht, such dir was aus…wir können die ganze Nacht durchzocken wenn du willst.“ Auf einmal leuchteten die Augen des Sängers ein bisschen und er entschied sich für Resident Evil, welches vor nicht all zu langer Zeit erschienen war. Kaoru lachte. „Das dachte ich mir fast und es wundert mich, dass du es noch nicht gekauft hast.“ Kyo zuckte mit den Schultern und öffnete sich ein Bier. „Hatte wohl andere Dinge im Kopf.“ Seine Freunde fragten nicht, was alles passiert war und weshalb er für eine Weile von der Bildfläche verschwunden war. Im Gegenteil, sie lenkten ihn ab und sorgten dafür, dass er Spaß hatte. Kyo begann und fuhr mit dem Auto in die Zombiestadt, um dort zum Polizeirevier zu gelangen. Jedes Mal, wenn es gruselig wurde oder plötzlich ein Zombie auftauchte, kreischten Shinya und Die um die Wette. „Eyyy Jungs, das Spiel hat noch nicht Mal richtig angefangen und ihr schreit schlimmer als unsere Fangirlies“, amüsierte sich der Sänger und Kao lachte neben ihm. Im Polizeirevier konnte man an bestimmten Stellen speichern und sie mussten die Räumlichkeiten erkunden. Kyo gab den Controller an Toshiya weiter und rutschte zu seinem besten Freund. „Es ist nur ein Spiel Shin-chan…aber ich beschütze dich.“ Der Drummer hielt sich die Augen zu und versteckte sich halb hinter Kyo. Dieser schüttelte amüsiert den Kopf und zündete sich eine Zigarette an. Auch Die suchte Schutz bei seinem Liebling. „Na super, fangen jetzt alle an rum zu kuscheln? Und ich gehe wieder leer aus“, beschwerte sich der Leader und versuchte gerade eine Horde Zombies im Keller abzuschütteln. „Kao renn, du kannst die nicht alle besiegen…die killen dich!“, rief ihm Kyo zu und Kaoru rannte um sein Leben. Gerade noch rechtzeitig erreichte er die Halle des Polizeireviers halbwegs unversehrt. Die wurde dann ganz mutig und wollte unbedingt auch mal spielen. Er schaffte es sogar bis in die erste Etage, da auf dem Weg dahin schon fast alle Zombies tot waren. Naja, die Betonung liegt auf fast. In einem der Räume, hinter einem Schreibtisch kroch einer hervor und der Rotschopf schmiss den Controller schreiend weg. Alle außer Shinya, der zwar nichts gesehen hatte, weil er sich wieder hinter Kyo abduckte, aber durch Dies Schrei so zusammenzuckte, brachen sie in schallendes Gelächter aus. „Und Teil 1 hast du ernsthaft allein gespielt?“, fragte der Drummer seinen Sänger völlig ungläubig. Dieser nickte grinsend und nippte an seinem Bier. „Klar…kann ja nicht jeder so ein Angsthase sein wie du“, ärgerte er seinen Freund. Plötzlich sprang Toshiya auf und drückte eher unbewusst Die den Controller in die Hand, der ihn sogleich an Kyo weiterreichte und heftig mit dem Kopf schüttelte. „Was ist los Tosh?“, fragte der Rothaarige. „Ich hab das Popcorn vergessen…Tooru, wo waren Schüsseln?“ „Ganz hinten rechts unten.“ Wenig später kehrte der Bassist mit einer Schüssel voll Popcorn sowie neuem Bier für alle zurück. „Sag mal Toshi und Die…seid ihr jetzt eigentlich zusammen?“, fragte der Leader schließlich und nun wurde auch Kyo hellhörig. „Ähm ja…irgendwie schon…hoffe das geht in Ordnung…“, murmelte Toshiya und Kyo konnte sein Gesicht zwar nicht sehen, dennoch sah er regelrecht, wie der Schwarzhaarige errötete. „Mir egal, so lange sich das nicht negativ auf die Arbeit auswirkt und ihr euch auf der Bühne anschmachtet, anstatt zu spielen…“ „War ja klar, dass du gleich wieder die Arbeit im Kopf hast Kao-chan“, beschwerte sich Die und gab seinem Liebsten einen Kuss. „Naja, ein gutes hat es, Die schleppt keine komischen Mädels mehr ab“, wirtzelte Shinya und alle lachten außer der Rotschopf. „Haha witzig Shini…besser als keine zu haben“, konterte dieser frech. „Naja, ich hab nie gesagt, dass ich niemanden hab, nur häng ich das eben nicht so an die große Glocke.“ „Oho, jetzt wird’s spannend…erzähl uns mehr“, kam es wieder von Kyo, der in einer Seelenruhe durch die dunklen Gänge schlich. „Naja, es gibt da so ein Mädel…wir haben uns jetzt ein paar Mal getroffen…hab sie in einem Modegeschäft kennengelernt…viel ist noch nicht passiert.“ „So so…dann halt dich ran, bevor unsere nächste Tour kommt. Ein paar Konzerte hab ich die nächsten Wochen hier in Japan schon geplant.“ „Hoffentlich ist meine Stimme bis dahin wieder einsatzbereit.“ „Wir werden sehen…ich glaub ich werde müde…“ „Ihr könnt gern alle hier schlafen. Zwei auf dem Sofa und ein Gästebett steht im Arbeitszimmer…“ Kyo warf seinem liebsten Freund einen Blick zu und er musste die Frage gar nicht laut aussprechen. Shinya nickte ihm zu und lächelte. Der Sänger organisierte noch Bettzeug und Kissen. Dann machte er sich im Badezimmer bettfertig und verschwand im Schlafzimmer. „Ohhh krass, dreh dich noch Mal um“, bat ihn sein Freund. Stimmt das Tattoo. „Hab ich im Tempel anfangen lassen, muss aber nächsten Monat noch Mal hin, um es fertig zu stellen.“ „Wow, das ist wunderschön Tooru und passt voll zu dir.“ „Danke…Shin-chan…ich hab dich lieb…sehr sogar.“ Shinya zog seinen Freund behutsam in die Arme. „Süßer, das weiß ich doch…ich dich auch…deshalb bin ich ja manchmal so penetrant.“ „Guck Mal…“, ärgerte Kyo seinen Freund und tat so, als wäre er ein Zombie. Der Drummer schreckte leicht Quietschend zurück. „Ahhhh hör auf…ich mag Zombies wirklich nicht…“ Der Sänger lachte und umarmte seinen besten Freund wieder. „Tut mir leid…es ist zu witzig…ich würde ja sagen, ich tu’s nie wieder, aber ich fürchte das Versprechen kann ich unmöglich halten…“ Shinya schmollte und verzog sich unter die Bettdecke. „Es ist schön, wenn ich dich zum Lachen bringe.“ „Ich weiß deine Mühen wirklich zu schätzen…Gute Nacht…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)