Sana von abgemeldet (tortured souls) ================================================================================ Kapitel 1: Mein Bruder und Ich ------------------------------ Scheiße bin ich auf Schaum! Mein be- schissener Drecksbruder hat mir meine Beute geklaut und das, obwohl ich es beinahe geschafft hatte. Der Gehörnte Panther über seiner Schulter war mein Ziel! Scheiße Mann! Frustriert schlage ich gegen einen riesigen Baum, den danach der Abdruck meiner Faust ziert. Das Knacken meiner Fingerknochen und Nartos‘ skeptischen Blick ignoriere ich dabei geflissentlich. „Was hat dir der Baum getan?“ fragt mein, oh so perfekter Bruder, bevor er einen Schritt auf mich zu kommt. Ich funkele ihn böse an und zische ihm ein giftiges „Nix!“ entgegen, ehe ich den Hirsch in meinem Nacken zurecht rücke, welcher droht herunter zu fallen. Wortlos greift er nach meiner Hand. Störrisch ziehe ich sie weg, doch er lässt nicht los, weshalb ich ihn dann doch gewähren lasse. Nartos streicht über meine aufgeplatzten Knöchel, sieht sich jede Unebenheit meiner Hand an, prüft ob etwas gebrochen ist. Er hält meine Hand so nah an sein Gesicht, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren kann. Wie ich es hasste, wenn er das tat... also nicht mich berühren, sondern sich um mich sorgen. Ich bin schließlich die ältere von uns beiden, zwar nur zwei Minuten... aber trotzdem! Nach drei Minuten intensiver Musterung macht er einen zufriedenen Laut, lässt meine Hand los und geht ohne ein weiteres Wort, doch nun wieder bester Laune, weiter in Richtung Fluss. „Was ist dein verdammtes Problem?!“, schreie ich ihm hinterher. Er dreht sich wieder zu mir, mit einem breiten Grinsen. „Ach nix.“ Gerade macht mein geliebter Bruder der Sonne ernsthaft Konkurrenz, denke ich schmunzelnd. Wenn er so vor sich hin strahlt, wirkt er wieder wie ein Welpe, schon süß. Über diesen Gedanken fange ich breit an zu grinsen, was meinen Bruder stutzen und stehenbleiben lässt. Als ich an ihm vorbei gehe, boxe ich ihm scherzhaft in die Seite, was ihn ordentlich zusammen zucken lässt. „Nicht trödeln“, flöte ich ihm zu, während ich in einen leichten Trab verfalle. Meine Laune ist wieder gut, und nun spüre ich die Aufregung und die Euphorie auf die bevorstehende Zeremonie der Sommersonnenwende. Wir beschleunigen unsere Schritte, denn der Weg zur Lichtung ist noch weit, und die Sonne hat ihren höchsten Punkt beinahe erreicht. Nach ein, zwei Stunden treffen wir endlich auf andere Stammesmitglieder. Die Gruppe besteht hauptsächlich aus Alten und Jungen, welche gemächlich vor sich hin trotten. „Ah schöner Fang! Dürft ihr denn schon alleine jagen?“, fragt einer der Älteren spöttisch. „Ihr seht mir doch noch etwas grün hinter den Ohren aus“, witzelt er weiter. „Maaaannn Quentus, musst du schon wieder Witze auf unsere Kosten machen, du weißt ganz genau, dass wir heute volljährig geworden sind! Und ich bin schon aufgeregt genug!“ „Aber ich weiß noch bei eurer Geburt, du warst der süßeste Welpe, den ich je gesehen habe!“ Er wuschelt mir durch die Haare und scheint kurz davor zu sein, mich samt meiner Beute in eine knochenbrechende Umarmung zu schließen. Wie zufällig stellt sich Nartos schützend zwischen uns und schließt nun seinerseits Quentus in die Arme. Der alte Mann grinst und klopft wohlwollend, freundlich auf seine Schulter. „Lang ist’s her“, sagt er zu ihm. Nachdem die beiden angefangen haben, sich ein wenig zu prügeln, mache ich sie darauf aufmerksam, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, weshalb wir nun endlich weitergehen sollten. Auf dem weiteren Weg treffen wir immer mehr Jugendliche, die genau wie wir ihre Beute auf den Schultern tragen, um diese dann beim großen Ritual heute Abend zu präsentieren. Mal mehr mal weniger auffällig sieht man, wie die Beutetiere verglichen werden. Ich sehe auf Anhieb, wer uns annähernd gefährlich werden könnte, aber dennoch hat niemand bis jetzt einen besseren Fang als wir. Die Sonne ist einfach herrlich auf meiner Haut und ich genieße ihre Strahlen, welche mich auf der großen Lichtung begrüßen. Die Vorbereitungen für das abendliche Spektakel sind schon in vollem Gange. Nachdem Nartos und ich unsere kleine Schwester Antres sowie unsere Eltern begrüßt haben, trennen wir uns, um uns mit Freunden zu treffen. Beziehungsweise ich treffe mich mit Freunden, Nartos trifft sich mit seiner Freundin. Dem Brauch entsprechend nehmen wir unsere Beute mit uns, um diese zur Schau zu stellen, während wir plaudern, helfen und das Spektakel genießen. Ich schlängele mich durch eine Horde Welpen, welche am Rand des Waldes vor sich hin tollen und sehe den hellroten Schopf meiner besten Freundin, die gerade einen wimmernden Welpen wieder auf die Beine stellt. Ich schlendere zu ihr und muss zugeben - letztes Jahr sah sie irgendwie anders aus, irgendwie kindlicher. Ihr Gesicht, welches eben noch von Besorgnis gezeichnet war, verzieht sich zu einem breiten Lächeln, als sich unsere Blicke treffen. Sie gibt dem Kleinen einen aufmunternden Klaps und kommt zu mir herüber. Wir schließen uns in die Arme, und es fühlt sich an, als wären wir nie von einander getrennt gewesen. Ihre Haare riechen wie eine Sommerwiese und Regen... ganz viel Regen. Ich will sie gar nicht mehr loslassen, aber nach zwei Minuten lassen wir dann doch voneinander ab. Ich sehe ihr ins Gesicht und bemerke, sie ist im letzten halben Jahr noch tausend mal schöner geworden. Da ist irgendeine ganz seltsame Spannung zwischen uns. Wäre meine Haut nicht ohnehin schon rot, hätte sie wohl jetzt einen leichten Rotschimmer angenommen. Doch im nächsten Augenblick ist der Moment vorbei und ich setze wieder mein Lächeln aus Schelm und Freude auf. „Ich freu mich so, dich wieder zu sehen!“, kreischt sie mir ins Ohr. Beruhigenderweise hat sich an ihrer Stimmfrequenz überhaupt nichts geändert - das wär ja noch schöner, wenn sie jetzt schon ihre für unser Volk typische eher tiefere Stimme hätte. Aus einem Reflex heraus nehme ich sie gleich wieder in den Arm und raune ihr ein „ich freu mich auch“ ins Ohr. Was dazu führt, dass sie nun ihrerseits leicht errötet. Wir sehen uns in die Augen und irgendwie wird mir ganz flau im Magen, ich möchte etwas sagen doch gerade in diesem Augenblick kommt Keirus aus dem Gewusel auf uns zu gestürmt, baut sich vor uns auf und schreit uns ins Gesicht. Wir sehen ihn pikiert an, und hätte ich eine Brille, würde ich sie jetzt hoch schieben. Das einzige, was mir in diesem Moment über die Lippen möchte, ist ein irritiertes, fragendes - „okay“. „Na unser Erkennungsruf von letztem Jahr, ich hab euch schon dreimal gerufen... da habe ich gedacht, ihr wäret vielleicht taub geworden.“ „Nein, waren wir nicht, aber jetzt vielleicht“, entgegnet Aska sarkastisch. Wir brechen alle in schallendes Gelächter aus und wie um diesen Moment noch besser zu machen, kommen die Strahlen der Sonne hinter den Wolken hervor, welche aufgezogen waren. Ich freu' mich unheimlich, dass wir alle wieder zusammen sind, doch ein kleiner Teil in mir hätte den Moment mit Aska gerne noch einen Augenblick länger genossen. Nach einer gefühlten Viertelstunde Lachflash halten wir uns unsere schmerzenden Bäuche und kriegen uns zwangsweise wieder ein, nachdem uns ein paar der Älteren schon vorwurfsvolle Blicke zuwerfen. Keirus deutet auf den Hirsch, der neben uns liegt und fragt - „Ist das deiner, der ist ziemlich groß?!“ „Ja, schon...“, antworte ich und knirsche mit den Zähnen, ohne den Satz zu beenden. Fragend sieht er mich von oben herab an. Ich schüttele nur mit dem Kopf und füge hinzu - „Ach nicht so wichtig.“ Ich beginne wieder zu grinsen. „Viel wichtiger ist, wo ist deine Beute?“ Er strafft die Schultern und hievt den riesigen Hai zwischen uns, welchen er hinter sich her geschleift hatte. Staunend begucken Aska und ich das riesige Ding. Scheiße man, das Vieh könnte größer sein als das von Nartos. „Der da ist aber auch nicht gerade klein“, gebe ich anerkennend zurück. „Hey ihr zwei, wollen wir uns vielleicht irgendwo anders hin verziehen, bis die Zeremonien anfangen? Ich hab da ein schönes Plätzchen entdeckt“, schlägt Keirus vor und schultert den Hai. „Ja nice, das klingt gut, führe uns hin!“ Keirus macht eine tiefe Verbeugung und deutet mit einem - „My Ladies“ in Richtung Wald. Aska wirft ihr wallendes Haar zurück und geht voraus. Ich folge ihr und greife mir im Vorbeigehen noch den Hirsch, welchen ich zeitweilig abgelegt hatte. Wir trotten ein paar Minuten durch den Wald, bevor wir auf eine kleinere Lichtung mit einem süßen Bachlauf treffen, wo wir uns gemütlich nieder lassen. „Boah habe ich das vermisst“, meint Keirus lächelnd, „mit euch einfach abhängen und quatschen.“ Wir hauen uns auf die Wiese und lassen uns von der Nachmittagssonne wärmen, welche noch hoch am Himmel steht. Ich genieße das Plätschern des Baches, die frische Luft, das entspannt dumme Gelaber meiner besten Freunde und merke, wie die Aufregung vor dem, was heute Abend passieren wird, wieder zurück kommt. Ich drehe mich zur Seite und frage Aska, welche bereits letztes Jahr volljährig geworden war, wie sie sich damals gefühlt hat. Sie lächelt - „Ich war scheiße aufgeregt, aber es war auch schön.“ Bei dem Gedanken daran muss sie leicht schmunzeln. „Ich hab mich beinahe eingepisst, als ich vor deinem Großvater und den anderen stand, um dort meinen Eid zu leisten.“ Keirus und ich sehen uns ein Moment schweigend an, bevor wir prusten und anfangen loszulachen. Worauf hin sie süffisant grinst - „das steht euch auch noch bevor.“ Unser Lachen stirbt augenblicklich einen qualvollen und schnellen Tod. Aska schaut in unsere betrübten Gesichter und sagt aufmunternd - „Ach, macht euch doch nicht so einen Kopf drum, denn wie gesagt es war auch eine sehr schöne Erfahrung.“ Die nächsten paar Stunden liegen wir rum, scherzen und erzählen uns, was in den letzten Monaten so Verschiedenes passiert ist und genießen einfach die Gesellschaft der anderen. Ab und an kann man noch beobachten, wie immer wieder Volljährige mit ihrer Beute auf der großen Lichtung ankommen. Die meisten bringen irgendwelche Beutetiere mit, das heißt Rehe, Hasen, ein paar von ihnen haben es geschafft, die schon ein wenig größeren Rinder zu erlegen, alles in allem waren es fast immer Pflanzenfresser. Zwei konnte ich beobachten, welche tatsächlich eine der kleineren Raubkatzen gefangen hatten. So gegen Abend verabschiede ich mich von Aska und Keirus, um mich wieder mit Nartos zu treffen. Es braucht ein bisschen, bis ich meinen Zwillingsbruder, der immer noch bei seiner Freundin steht, im Gedränge entdecke. Er hat seinen Arm um ihre Taille gelegt, und widerwillig muss ich gestehen, sie passt zu ihm. Ich hebe die Hand und winke den beiden zu. Katras entdeckt mich zuerst, und für einen kurzen Moment sehe ich einen Schatten über ihr Gesicht huschen. Irgendwie kann ich sie verstehen, denn sobald Nartos mich entdeckt hat, lässt er seine Angebetete los und hüpft breit strahlend auf mich zu, ja so ist er, mein geliebter Bruder. Er fällt mir um den Hals, und für Außenstehende muss es so scheinen als hätten wir uns Jahre lang nicht gesehen, auch wenn es eigentlich nur ein paar Stunden gewesen sind. Reflexartig lasse ich meinen Hirsch los und fange Nartos auf. Gespielt theatralisch ruft er aus - „Ich habe dich so vermisst, du darfst mich nie wieder allein lassen!“ Ich schlinge meine Arme um seinen Kopf und steige mit einem nicht minder theatralischen - „Nie wieder! Auf immer und ewig“ darauf ein. Wir drehen uns noch zwei, drei Runden und bemerken gar nicht die vielen irritierten und amüsierten Blicke, welche auf uns gerichtet sind. Ein energisches Räuspern reißt uns aus der Welt, die nur uns beiden gehört und Katras meint, für meinen Geschmack eine Spur zu vorwurfsvoll - „Müsst ihr nicht los?“ Und auch wenn ich ihr nur ungern zustimme, hat sie Recht, weshalb wir uns beide unsern Fang schnappen und los gehen. Auf dem Weg zum großen Feuer treffen wir noch einmal unsere Eltern und Antres, welche gerade auf dem Weg zum Welpenplatz sind. Unsere Mutter, die sonst immer eine knallharte Kriegerin war, wirkt ein wenig wehmütig, dass wir nun als vollwertige Mitglieder in den Stamm aufgenommen werden. Emotional zu werden sah ihr so gar nicht ähnlich, das könnte allerdings auch daran liegen, dass sie gerade wieder schwanger und deswegen ein wenig zarter besaitet ist als sonst. Vater klopft uns aufmunternd auf die Schultern und sagt, wir sehen uns später beim Fest. Antras quengelt, weil sie eigentlich lieber mit uns mitgehen möchte, doch Mama meint, dass sie noch ein paar Jahre warten muss. Nämlich bis sie selbst eingegliedert wird, um an diesem heiligsten unserer Rituale teil haben zu dürfen. Ein bisschen schmollend lässt sie meine Hände los und läuft hinter unseren Eltern her. Sie dreht sich noch einmal um und winkt uns zu. Bevor wir weitergehen, richten wir die Beute auf unseren Rücken und mein Blick huscht erneut zu dem Panther, der nun nicht meine Gabe sein würde. Während wir durch den alten Wald trotten, wird uns bewusst, dass dies nun unsere letzten Momente als Jungtiere sein werden. Wir treten durch die Baumgrenze und es scheint wie eine andere Welt. Knapp hinter den Bäumen fällt das Gelände schlagartig ab. Vor uns erstreckt sich ein tief in die Erde eingelassenes Kolosseum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)