Noch einmal mit Gefühl von 4FIVE ([Itachi x Ino | Sasuke x Sakura | modern AU]) ================================================================================ Kapitel 17: Momentum -------------------- . . ♦   —New York City, New York; 8 Jahre zuvor   »Eine letzte Frage noch, Ino«, hielt der Moderator sie zurück. Es war ihr gefühlt tausendster Auftritt in einer Talkshow. Das Filmstudio bewarb Barrel for a thought stark und sie war vertraglich dazu verpflichtet, in mindestens vier Shows aufzutreten, um über ihre Erfahrungen am Set zu berichten. »Alles, was du willst, Stephen.« »Irgendwer hat mir mal erzählt – war es Cameron Diaz oder Hugh Laurie? Die beiden verwechsle ich immer, gleichen sich wie ein Ei dem anderen – jedenfalls gibt es das Gerücht, dass jeder Filmschauspieler das Recht hat, nach seinem letzten Film das widerlichste Essen am Set zu nehmen und dem nervigsten Crewmitglied ins Gesicht zu klatschen.« »Das ist wahr. Absolut wahr, Stephen.« Gelächter, Applaus, Danke für’s Zuschauen und schalten Sie nächstes Mal wieder ein! Es war ein Scherz gewesen. Letzter Film? Was wusste sie schon davon. Sie hatte gerade ihren ersten Blockbuster gedreht, ihr Name wurde in der Branche herumgereicht wie der von A-Promis. Sie hatte gerade erst begonnen. Das Ende war noch sehr weit weg.     ♠   —Tokio, Japan; Gegenwart   Ino hatte nicht gut ausgesehen, als sie sich gegen Mittag zu ihrem offiziell letzten Fotoshooting verabschiedet hatte. Obwohl sie privat meist eher leger unterwegs war, trug sie fast immer Make-up. Itachi hatte sie nur einmal ungeschminkt gesehen; damals als sie sich für eine gemeinsame Laufrunde aufgedrängt und er es nicht über sich gebracht hatte, sie abzuweisen. Selbst nach mehreren Kilometern bergauf und einem vernichtenden Sprint am Ende war sie fitter gewesen als jetzt. Er hatte darauf bestanden, sie zum Set zu fahren. Mit dem Auto war es nicht weit und der Verkehr hielt sich in Grenzen, aber sie hatte ihn lediglich vor Sasukes Tür gezerrt, ihn leidenschaftlich geküsst und gemeint, »Das retuschieren sie nachher sowieso alles weg, mach dir keine Sorgen. Du hast hier Wichtigeres zu tun«, und, »Sei nett zu Sasuke, ja?« Dann hatte er sie zum Aufzug begleitet, der Tür beim Schließen zugesehen und sich gefragt, seit wann sie ihm Befehle gab. Seit wann sie ihn einfach so küssen durfte. Seit wann es ihn nicht störte. Doch das waren alles Fragen für später. Jetzt ging Itachi zurück in Sasukes Appartement, wo ungeordnete Papierhaufen auf dem freigeräumten Küchentisch lagen. Es hatte mehrere tausend Yen und über eine Stunde gekostet, die ganzen Fotos in einem Copyshop um die Ecke auszudrucken, noch dazu hatten sie die einzige Mitarbeiterin des Ladens verängstigt. Vier übernächtigte Erwachsene, die leise wisperten und mit ihren Rücken einen Sichtschutz um die Ausdrucke bauten, waren offensichtlich nicht die übliche Klientel. Zu dritt machten sie damit weiter, die Stapel zu sortieren. Niemand wusste, wonach sie suchen sollten. Sasukes Vorschlag, erstmal nach Datum und Referenznummer abzulegen, wurde einstimmig angenommen. So arbeiteten sie dahin, Blatt um Blatt, lediglich unterbrochen vom gelegentlichen Zischen des Teekessels, wenn Sakura auf eine kurze Pause bestand. Die Uhrzeit schien weder stillzustehen noch zu vergehen, sondern wahllos herumzuspringen, sodass Itachi gegen Nachmittag jedwedes Zeitgefühl verloren hatte. Er war so fokussiert auf die monotone Aufgabe, dass er innerlich erschrak, als Sakura plötzlich aufsprang und ihr Sessel unter dem Schwung hörbar über den Boden schrammte. »Mist!«, rief sie und sah entsetzt auf die Uhr über der Tür. »Ich muss Sarada abholen. Verdammt, das wird Mikoto-san mir wieder ewig vorhalten, so ein Scheiß.« Was folgte, war schnelles und hektisches Treiben. Der Kindersitz war nicht montiert, Saradas Kuscheldecke war verschollen und noch hundert andere Dinge mussten vorbereitet werden, um ein Kleinkind abzuholen. Itachi versuchte das aufkommende Chaos um ihn herum auszublenden. Sakuras Meinung über seine Mutter und Sasukes panische Suche nach irgendeinem Rucksack gingen ihn nichts an. Also beugte er sich tiefer über den Zettelhaufen, fokussierte seine Sinne darauf. Und dann war es plötzlich wieder still. Wann war er zuletzt mit seinem Bruder allein gewesen? Es musste Monate her sein. Die Anspannung war förmlich spürbar, zumindest für Itachi. Sasuke ignorierte sie. Stattdessen ließ er sich stöhnend zurück in seinen Sessel fallen und streckte die Beine aus. »Dieses Kind schafft mich, ehrlich.« Die Aussage verhallte unkommentiert. Erwartete sein Bruder eine Rückmeldung? Zustimmung? Rat? An das letzte Mal, dass Sasuke ihm gegenüber etwas Privates erwähnt hatte, konnte er sich lange nicht mehr erinnern. Bevor er etwas Sinnloses sagte, widmete er sich wieder den Dokumenten. Sie arbeiteten schweigend weiter, doch wo bis zu Sakuras Abgang die Stille konzentriert gewesen war, war sie nun erdrückend. Itachi wollte etwas sagen, wollte versichern, dass sie das alles schon hinbekommen würden, aber wie konnte er, wenn er selbst keine Ahnung hatte? Üblicherweise plante er Monate voraus. Nun konnte er nicht einmal die nächsten fünf Minuten abschätzen. »Ich brauche Kaffee«, sagte er, was so irrelevant wie wahr war. Das belanglose Geständnis entlockte Sasuke ein schmales Grinsen, ehe er aufstand und die Kaffeemaschine anwarf. Eine Minute später stellte er zwei Tassen zwischen ihnen ab und wartete darauf, dass Itachi den ersten Schluck machte. »Und?« »Genießbar. Seit wann kannst du das? Das letzte Mal hast du es nicht einmal geschafft, Wasser zu kochen.« Sasuke zuckte die Schultern. »Online Baristakurs. Ich kann jetzt Herzen mit Milch malen.« Wieder war Itachi sich nicht sicher, was er darauf sagen sollte. Jede Konversation mit Sasuke war ein Minenfeld, auf dem er trotz sorgfältigen Manövern in der Vergangenheit viel zu viele Explosionen verursacht hatte. »Jetzt sei nicht so verklemmt, das ist ja nicht auszuhalten«, fuhr Sasuke fort. »Sakura behauptet zwar immer, dass ich nicht lustig bin, aber so schlimm was das auch wieder nicht. Wie auch immer, ich habe Hunger. Du auch?« Sie bestellten Pizza. Zwei große Exemplare, die fettig und lauwarm zwanzig Minuten später bei ihnen ankamen. Sakura war noch nicht zurück, laut Sasuke lud Mikoto sie jedes Mal zu einem unangenehmen Abendessen ein, um ihr ungefragt Ratschläge in Sachen Ehe und Kindererziehung zu geben. »Das ist mir früher nie aufgefallen, aber unsere Mutter ist genauso kritisch wie alle anderen in dieser verdammten Familie.« »Kann sein«, sagte Itachi. »Wir sind ein dysfunktionaler Haufen ungesunder Ideale und sinnloser Ansprüche. Wieso sollte sie die Ausnahme sein?« »Schließ mich da nicht mit ein. Ich habe Jahre gebraucht, um mir einen Weg aus diesem Loch zu graben. Und jetzt bin ich schon wieder mittendrin. Diese Familie …« Nachdenklich fuhr Itachi mit seinem Finger über den Pizzakarton. Es stimmte. Er hatte Sasuke auf Inos Drängen hin involviert, und nun war er wieder im Kreuzfeuer, noch dazu für eine Firma, die er eben erst verlassen hatte. Hatte er eine schlechte Entscheidung getroffen? »Hör auf zu grübeln«, unterbrach Sasuke seine Gedanken. »Weißt du, ich bin nicht halb so sauer auf dich wie auf mich selbst.« »Du bist erwachsen geworden, Sasuke.« »Einer von uns musste ja.« »… Ja. Das ist wahr.« Sie machten weiter, wo sie aufgehört hatten. Wenig später waren die Stapel sortiert und sie begannen, alle Daten in eine Excel-Liste einzutragen. Sasuke konnte schneller tippen, also übernahm Itachi das Vorlesen. Betrag um Rechnungsnummer und Verwendungszweck um Kontoinhaber nahmen sie in ihre Datenbank auf, bis das Lesen durch die untergehende Sonne schwierig wurde und Sasuke während einer kurzen Pause das Licht anmachte. Es war spät geworden, Sakura war immer noch nicht zurück und von Ino war auch nichts zu hören. »Was?«, fragte Sasuke plötzlich, den Blick über seinen Laptop gehoben. »Du hast aufgehört zu diktieren.« »Tut mir leid.« Itachi fuhr fort, sah jedoch auf, als er keine Tippgeräusche hörte. »Was?« Sie sahen sich an, warteten ab, bis die Sekunden nicht mehr nur still waren, sondern angespannt und schmerzhaft und warum zum Teufel begann Sasuke zu lachen? Es wirkte so unnatürlich, so skurril. Erst jetzt realisierte Itachi, dass er seinen Bruder seit Jahren nicht mehr hatte lachen sehen. »Mann, du bist immer so stocksteif«, sagte Sasuke schließlich. »Wir sind auf derselben Seite. Selbst wenn das schiefgeht, was sollen sie schon groß machen?« »Uns enterben und in der gesamten Branche diskreditieren. Das Unternehmen zu Grunde richten. Für mich sind das gute Gründe, angespannt zu sein.« »Na und?« »Was meinst du – na und?« Itachi ließ den Zettel sinken, den er eben aufgenommen hatte. »Das ist das Lebenswerk unserer Familie, und unsere Zukunft. Ich habe nicht mein halbes Leben so hart gearbeitet, um zuzusehen, wie der Aufsichtsrat alles zerstören. Und du auch nicht. Oder?« Sasuke antwortete nicht, nicht sofort. Er lehnte sich zurück, ließ den Blick durch das teure Appartement streifen, über die Designerküche und die kostbaren Gemälde und den teuren. »Du kapierst es nicht, oder? Meine letzten Monate waren keine Phase. Meine Frau hat mich verlassen, meine Tochter erkennt mich kaum, und das alles für bedeutungslose Anerkennung irrelevanter Menschen« Er stand auf, breitete die Arme aus, und erst jetzt verstand Itachi. Der Blick seines Bruders hatte nicht dem teuren Mobiliar gegolten, sondern den kleinen Details um ihn herum – die Fotos von Sakura und Sarada, die krakeligen Malereien am Kühlschrank und schiefe Basteleien auf den Regalen. »Versteh mich nicht falsch«, setzte er nach und deutete auf den Papierhaufen, »die Firma bedeutet mir etwas, aber nicht die Geschäftsführung, nicht der Aufsichtsrat. Ich helfe dir, diese Sache zu klären, weil ich nicht mitansehen will, wie diese Familie tausende Jobs ruiniert. Aber ich komm nicht zurück.« Itachi sah ihn an, geduldig abwartend, doch Sasuke wich seinem Blick aus und rieb sich den Nacken, als hätte er etwas Peinliches gesagt. Was konnte er darauf antworten? In den Worten war dermaßen viel rohe Emotion gelegen, dass es unmöglich war, adäquat darauf einzugehen. Jede Antwort, egal ob Ablehnung oder Zustimmung, wäre angeeckt, hätte nicht ausgedrückt, was sich in Itachi aufbaute und so dringend raus musste. Also stand er auf, umrundete den Tisch. Und umarmte seinen kleinen Bruder zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten.   ♥   Als Sakura ihr Auto in die Parklücke ihrer Hausgarage manövrierte, wollte sie am liebsten schreien. So sehr sie auch versuchte, Mikotos Standpunkt und Umstände zu verstehen, diese Frau ging ihr so sehr auf die Nerven. Jeder Ratschlag triefte nur so von Besserwissen, jeder Gefallen hatte zwanzig Haken. Es war zum Verrücktwerden. Doch Sarada schien jedes Mal sehr viel Spaß zu haben, nur deswegen hielt Sakura sich zurück. »Klar. Als ob«, schalt sie sich selbst im Rückspiegel. Als hätte sie den Mut, es mit ihrer übermächtigen Schwiegermutter aufzunehmen. Wenigstens hatte sie es vorerst überstanden. Montag war Sakuras erster Arbeitstag in der Klinik, dann durfte Sasuke sich darum kümmern. Wie sehr sie sich freute auf Desinfektionsmittel, steif gewaschene Kittel und das Quietschen von Gesundheitsschuhen. Sachte hob sie Sarada aus dem Kindersitz und fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben. Ihre Tochter schlummerte friedlich in ihren Armen, ihr Plüschsushi fest umklammert. Ob sie jemals aus der Kuscheltier-Phase entwachsen würde? Zumindest heute nicht. Im Inneren der Wohnung herrschte Ruhe. Itachi und Sasuke saßen fast genauso da, wie sie die beiden zu Mittag verlassen hatte, nur mit mehreren dreckigen Kaffeetassen und zwei verwaisten Pizzakartons um sie herum. Die beiden grüßten sie stumm. Ein paar Minuten später war das kleine Mädchen zu Bett gebracht und Sakura wollte nichts lieber als in das kleine Bettchen zu kriechen und sich dort bis übermorgen zusammenzurollen. Aber Neugierde und Sorge waren stärker als jede Müdigkeit. Erbarmungslos stemmte sie sich zurück auf die Beine und ging zurück in die Wohnküche, wo sie sich hörbar auf den Sessel fallen ließ. »Also? Wie schlimm ist es?« Sasuke machte eine Geste über die Dokumente. »Wenn wir das wüssten. Der Aufsichtsrat scheint mindestens zwei Milliarden Yen in die Firma gepumpt zu haben. Ohne Gegenleistung.« »Und die sind auch wirklich angekommen?« »Lässt sich von hier aus nicht überprüfen«, antwortete er. »Aber warum überhaupt den Umweg über Briefkastenfirmen? Das ist so sinnlos. Wenn sie die Finanzen der UCHIHA Corp. aufpolieren wollen, warum kein Investment oder Aktien? Dann könnten sie das wenigstens steuerlich absetzen und steigern ihre anteilige Gewinnausschüttung zu Jahresende. Das ist so sinnlos.« »Vielleicht gibt’s ein Gasleck in der Chefetage und eure werten Verwandten büßen seit einem Jahr IQ-Punkte ein?« Itachi schüttelte den Kopf, seine dunklen Augen von noch dunkleren Augenringen untermalt. »Unwahrscheinlich. Das Firmengebäude wird mit Fernwärme beheizt und die Leitungen werden alle fünf Jahre überprüft.« »Ino hat recht. Ein Sarkasmuskurs würde dir echt nicht schaden, Itachi-san. Ehrlich …« Sakura seufzte. Sie hatte nicht erwartet, heute auf die Lösung zu stoßen, aber sie hatte es gehofft. »Und was jetzt?« »Jetzt überlegen wir weiter.« Binnen einer halben Stunde hatten sie zehn Hypothesen aufgestellt, eine unglaubwürdiger als die andere. Es gab keine logische Erklärung dafür, heimlich Eigenkapital in die Firma fließen zu lassen, das erkannte sogar Sakura. Damit standen sie an. Die nächsten Stunden drehten sie sich mit Argumenten und Widersprüchen im Kreis, bis Sakura frustriert und am Ende ihrer Kräfte die Arme halb über den Kopf warf. »Vielleicht wollten sie einfach vor ihren Freunden auf der nächsten Party mit coolen Umsatzzahlen protzen. Ihr Uchihas seid doch alle so stolz und eitel.« Itachi und Sasuke sahen sich abschätzig an, als würden sie für einen Augenblick ernst nehmen. Sie winkte ab. »Das war ein Scherz.« »Nein …«, überlegte Sasuke langsam. Itachi nickte, »Aber unser Umsatz ist seit Monaten im Keller, weil synCOM sich verzögert hat.« »Du glaubst doch nicht …« »Doch.« Sasukes Augen weiteten sich. »Das wagen sie nicht.« »Leute?«, warf Sakura ein. Sie war dem vagen Austausch gefolgt, ohne ein Wort zu verstehen. »Vielleicht bin ich gerade zu müden, aber – was?« Plötzlich sprang Sasuke auf, zog sie mit sich in den Stand und küsste sie so schwungvoll auf den Mund, dass sie fast vornüberkippte. All die Müdigkeit war weggefegt, zurück blieb entschlossenes Funkeln in seinen schwarzen Augen. »Du bist genial, Sakura! Einfach genial!«   ♥   »Gute Arbeit, Yamanaka.« »Ach, das sagst du nur so.« Ino machte eine kokette Geste gegen Mabuchi. Ihre Agentin hatte darauf bestanden, bis zur letzten Minute des letzten Shootings zu bleiben, damit ihre aufmüpfigste Klientin auch ja keine Faxen machte. Ino war ihr nicht böse, konnte es nicht sein. Nicht, wenn sie sich seit Monaten aufführte wie ein trotziges Kind. Es war ein Schlag in die Magengrube, unfair und unerwartet schmerzhaft. »Ich hoffe, wir drehen bald wieder miteinander!«, hatte Moegi zum Abschied gesagt, und Ino hatte geantwortet, »Ja, absolut!« Denn, welche Wahl hatte sie schon? Sie hatte versucht, einen Ausweg zu finden. Eine Lösung. Aber Itachis Misere war ihr so gelegen gekommen, eine perfekte Ablenkung, und nun lagen drei weitere Rollenangebote auf ihrem Küchentisch und sie musste eines davon annehmen, wenn sie weiterhin Rechnungen bezahlen wollte. Ihr Smartphone klingelte und lenkte sie einmal mehr ab. Wunderbar. »Hallo, Itachi.« »Ino, du musst herkommen. Sasuke und ich haben eine Theorie und ich brauche ein paar frische Augen, die sie auf Logik überprüfen.« »Welch Ehre. Wo bist du? Und wichtiger, hast du dort was zu essen? Ich hab tierischen Hunger.« Eine dreiviertel Stunde und eine horrend teure Taxifahrt später kam sie in Itachis Appartement an. Er schien die Dokumente bei Sasuke gelassen zu haben, saß jedoch vor einem aufgeklappten Laptop, auf dem die komplizierteste Excel-Liste geöffnet war, die Ino jemals gesehen hatte. Nicht, dass das etwas hieß. Er bat sie mit einer seltenen Ungeduld herein, gab seinen Kühlschrank für sie frei und versuchte ihr zu erklären, was Sasuke und er herausgefunden hatten, während sie zwischen Mineralwasser, isotonischen Getränken und Tofu etwas suchte, das ihren Hunger nach Fett befriedigen konnte. Sie fand tiefgekühlte Chicken Nuggets, die vor vier Jahren abgelaufen waren. »So etwas wird nicht schlecht, oder?«, unterbrach sie Itachi in seinen detailreichen Ausführungen. Ohne eine Antwort abzuwarten, riss sie die Packung auf und kippte den Inhalt zur Gänze auf ein Backblech. »Also, mehr Geld rein als Geld raus sagst du?« »Ja«, bestätigte er, eindeutig fasziniert von ihrer Gabe, seine elendig langen Vorträge in einen einzigen Satz zu komprimieren. »Diese Briefkastenfirmen haben nicht nur Geld bekommen, sie haben auch für Prototypen und Kundentermine gezahlt, die niemals stattgefunden haben. Es gibt zwar einen Prototyp, aber den haben wir niemals rausgegeben, weil er enorme technische Mängel und Performanceprobleme hatte wegen der Datenbankverschlüsselung und –« »Versteh schon, viel Geld für keine Leistung. Weiter?« »Das hat unsere Aktien fallen lassen. Die Ankündigung neuer Produkte steigert den Marktwert einer Firma üblicherweise. Investoren werden aufmerksam, spekulieren auf baldige Umsätze. Aber durch die immensen Verzögerungen der Produktveröffentlichung haben wir nicht nur an Umsatz eingebüßt, sondern auch an Marktwert. Das bedeutet – Ino?« »Hm?« Den letzten Teil hatte sie nicht gehört. Sie verstand nichts von Investition oder Marktwert, in ihrem Leben hatte sie noch nie auch nur eine Aktie besessen. Was Itachi ihr erzählte war wichtig. Es betraf sein Erbe, seinen Job, sein Leben, und sie verstand das, Himmel ja, sie wusste, wie wichtig es für ihn war und wie außergewöhnlich es war, dass er ihr diese intimen Details verriet. Aber sie war müde, erschöpft, ausgelaugt. Nicht nur von dem gestrigen Einbruch und dem heutigen Shooting. Sie wollte lächeln, dumme Witze reißen. Das war, was sie konnte. Augen zu und durch, Kopf durch die Wand, einmal mehr ablenken von diesem Gefängnis, das sie sich selbst geschaffen hatte. Und doch spürte sie, wie bittere Tränen ihre Augen hinaufquollen und ihr Hals sich zusammenzog, um ein armseliges Schluchzen zu produzieren. Sie wollte helfen, wollte sich für Itachis Firma und den dahinterstehenden Wirtschaftsthriller interessieren, aber gerade eben – hier und jetzt – konnte sie nur daran denken, dass zu Hause diese Rollenangebote auf sie warteten, die sie nicht annehmen wollte, aber musste, und es im Kontext irrelevant war, nicht wahr? Was war eine gescheiterte kleine Schauspielerin gegen ein milliardenschweres Unternehmen? Nichts. Und doch konnte sie sich nicht darauf konzentrieren, was Itachi zu ihr sagte, sah ihn nur durch einen immer dichter werdenden Tränenschleier zur ihr kommen. Er hatte aufgehört zu erzählen, fragte sie stattdessen etwas, worauf sie keine Antwort wusste. »Was ist los?« Alles. Alles war los, und sie konnte nicht mehr. Sie hatte diesen Moment der Schwäche verdient, nicht wahr? Nicht, dass sie eine Wahl gehabt hätte. Die Tränen waren längst da, kullerten in dicken Tropfen und unter heftigem Schluchzen ihre Wangen hinab, während ihre Schultern bebten und ihr Beine nachzugeben drohten. Sie wartete nicht auf Trost oder Zuspruch. Ino nahm sich, was sie brauchte, warf sich gegen Itachi, klammerte sich in sein Poloshirt, weil die Erkenntnis so unfassbar wehtat. »Ich bin gescheitert!«, heulte sie, schrie sie, während bittere Tränen ihr die Luft zum Atmen nahmen. Denn das war sie, schon damals in den USA, als sie keine ernstzunehmenden Rollen mehr bekommen hatte. Als sie sich eingeredet hatte, dass sie sich eine neue Karriere in Japan aufbauen konnte. Doch das würde sie nicht, konnte sie nicht. Weil sie gescheitert war. Und sie musste es endlich akzeptieren.   . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)