Last verse of dawn von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 14: 14 -------------- „Wo ist der Jäger?“, flüstere ich angespannt und verenge die Augen. „Im Wald gibt es immer noch Bewegungen“, antwortet Marie. „Bis jetzt könnte er sich zurückhalten.“ „Dann sollten wir ihn herauslocken“, meldet sich Kanda neben mir zu Wort. „Ändern wir etwas an der Lage, sonst sitzen wir morgen noch hier.“ Und schon beginnt er sich zu bewegen, befreit Mugen aus der Scheide und lässt mich kurz unter dem blauen Aufleuchten der Klinge blinzeln. Wie immer ist er derjenige, der das Tempo vorgibt. Er derjenige, der zuerst auf die Beine kommt. „Wir kümmern uns in erster Linie um die Akuma“, fährt er fort. Nur einen flüchtigen Blick schickt er der dunklen Eben, die sich um uns erstreckt und viel mehr ist auch nicht nötig. Als ich hinter dem steinernen Schutzwall hervorspähe, bewegen sich bereits die monströsen runden Körper durch die qualmenden Kadaver. Es bleiben nur noch wenige Momente, ehe sie uns erreichen. Wenige Momente also für weitere Worte. Und Kanda nutzt sie. „Marie, du konzentrierst dich auf den Jäger und informierst uns, solltest du ihn ausfindig machen. Wir sorgen dafür, dass du ungestört bleibst. Lavi, der Schlamm ist unser Vorteil. Kümmere dich darum.“ „Jawohl, Chef.“ Lavi salutiert und ein letztes Mal schöpfe ich tiefen Atem, bevor ich mich in die Höhe stemme. Endlich ist es an der Zeit zurückzuschlagen und nach einer Kontrolle zu greifen, die wir nie besaßen. Mit Lavi und Marie an unserer Seite sind wir dem Kommenden gewachsen und ich hoffe inständig, dass ich mich in diesem Gebiet nicht irre. Kurz darauf verlassen wir den fragwürdigen Schutz. Wir kommen auf die Beine, ziehen hinaus auf die trostlose Fläche und wie leicht wäre der Kampf und wie absehbar sein Ausgang, würde es sich nur um den Feind handeln, den wir tatsächlich sehen. Würde nicht eine bestimmte Befürchtung als kalte Gänsehaut über meinen Rücken kriechen, während ich mich im Meer der Akuma bewege und einen nach dem anderen in Stücke reiße. Nicht selten finde ich im schlammigen Boden nicht den richtigen Halt. Ein Schmatzen begleitet jeden unserer eiligen Schritte, binnen weniger Augenblicke dringt die Feuchtigkeit durch jeden Spalt unserer Uniform und zu spät hebe ich den Arm vor das Gesicht, als ein gigantischer Wirbelsturm aus dem Boden hervorbricht und den ganzen nassen Dreck des Bodens mit sich reißt. Explosionsartig scheint sich der gesamte Schlamm auf der Ebene zu verteilen, dumpf drängt sich der Orkan in meinen Rücken und abermals ringe ich um Gleichgewicht, ehe ich eilig nach meinem Gesicht taste und meine Augen von dem Schlick befreie. Mit einem Mal ist er überall. Ich blinzle mehrmals, bevor ich die Umgebung wieder deutlich vor mir habe und sich ein schwarzer Schatten über mich neigt. Ein verzerrtes Gesicht lehnt sich mir entgegen und kaum weiche ich zur Seite und aus der Schussbahn der Kanonen, da wird der Akuma von der Wucht des Hammers getroffen und zurückgeschmettert. Nur kurz erkenne ich Lavi inmitten des Chaos, da drängt sich ein weiterer Körper zwischen uns und zerstreut uns heillos über die weite Fläche. Überall brechen Explosionen hervor, überall steigen Flammen auf und irgendwann bleiben mir ein paar Momente, um den Ort zu überschauen. Kanda und Lavi geht es gut, realisiere ich. Auch Marie folgt in sicherer Distanz seiner Aufgabe aber bisher schweigt er. Der Schlamm haftet an uns, haftet auch an den Akuma, doch nirgends verrät er die Bewegungen des unsichtbaren Feindes. Dabei lichtete sich bereits das Gedränge und die Zahl der übrigen Akuma wirkt nun weitaus überschaubarer. Als wäre der Sieg nahe. Mit einem weiten Satz entfernt sich Kanda von einem Akuma, ehe eine weitere Explosion hervorbricht. Nicht weit entfernt schlittert er durch den Schlamm, ehe er sicher zurück auf die Beine kommt und kurz blicke ich zum schwarzen Waldrand, der uns umgibt. Wir achten aufeinander. Immerzu haben wir ein Auge auf unsere Kameraden und würden jene Nadeln einen von uns erreichen, wir wären sofort bei ihm. Doch der Jäger wagt sich offenbar nicht hervor. Vielleicht zog er sich sogar komplett zurück, denke ich mir aber ein knapper Blick zu Marie beweist das Gegenteil. In seiner Haltung erstarrt, lauscht er noch immer in die Welt hinein. Sogar die knappe Regung seines Kopfes erkenne ich, als würde er sich auf eine Richtung konzentrieren. Der Jäger ist noch da, realisiere ich. Alles andere wäre Wunschdenken. Eine nahe Bewegung löst mich von Marie und zieht mich zurück in den Kampf, der noch immer um mich herum tobt. Vereinzelte Level-2 krochen aus dem Wald wie die letzten, versiegenden Rinnsale eines Stroms und ich hoffe, dass sie es tatsächlich sind. Ächzend nehme ich es erneut mit dem rutschigen Boden auf, permanent darauf konzentriert, Halt zu finden und mich auszubalancieren, während die Feuchtigkeit gefühlt bis zu meinen Knochen dringt und der Schmerz meiner Schulter mit jedem Moment mehr meiner Aufmerksamkeit fordert. Es muss enden, denke ich, als die Wucht einer der Kreaturen mich trifft und um mehrere Meter zurückschlittern lässt. Ich stemme mich ab, stemme mich in die Höhe, sehe sie erneut auf mich niedergehen und schleudere sie mit einem Hieb zur Seite, ehe sie mich erreicht. Und inmitten meines Keuchens und dem allseitigen Krachen, dringt plötzlich aus Tims Richtung das kurze Rauschen einer sich aufbauenden Verbindung zu mir. „Kanda!“, höre ich Maries Stimme, von den anderen Golem widerhallend wie ein Echo. „Er kommt von links!“ Sofort fahre ich herum, nach Kanda Ausschau haltend, zurückstolpernd, etwas Distanz zwischen mich und den Feind bringend. Das Herz pulsiert dumpf in meiner Brust, als ich ihn zwischen dichten schwarzen Rauchschwaden erkenne. Soeben ging der letzte Akuma in seiner Nähe in Flammen auf. Auch in Lavis Richtung erhebt sich eine Explosion und ich begreife nicht, weshalb der Feind auf einen solchen Moment wartete. Unsere Sinne finden weniger Ablenkung. Zumindest zwei von uns sind sofort aufmerksam und während ich mich Kanda nähere, bewegt sich dieser wenig. Den Wald des Randes fixierend steht er inmitten des Schlammes. Ich erkenne die Bewegungen seiner Schultern und das untätig gesenkte Schwert, während das nicht weit entfernte Dickicht des Waldes raschelt. Etwas regt sich, nähert sich und sofort verschnellern sich meine Schritte. Endlich eine Spur, der wir folgen können. Endlich ein Stück mehr Kontrolle, doch als ich Kanda beinahe erreicht habe, erkenne ich nur einen langsamen Schritt zur Seite. Konzentriert tritt er auf und findet Gleichgewicht, während der unsichtbare Feind sich ihm nähert und nur kurz erkenne ich, wie er sich langsam zu ducken beginnt, ehe eine Salve von Schüssen aus dem Nirgendwo krachend vor mir in den Boden schlägt. Einer der letzten Akuma fand den Weg in meine Nähe und sofort weiche ich zurück, unwillig abgelenkt. Ein kurzer Blick zu der sich nähernden Kreatur, dann ein weiterer zurück zu Kanda und noch immer sehe ich ihn dort stehen wie eine Statue, reglos dem Waldrand zugewendet. Er macht nicht den Eindruck, sich einem Kampf zu stellen, realisiere ich, als ich weiteren Schüssen auszuweichen habe. Die Distanz zwischen uns wächst unerträglich. Viel eher gleicht er einer Zielscheibe. Funken stieben mir entgegen, keine Sekunde später drängt sich der Akuma vor mich und annähernd gehetzt stoße ich mich ab und gehe auf ihn nieder. Ein letztes Mal entzünden sich die Mündungsfeuer, bevor auch er in Flammen aufgeht. Überall ist Rauch und beißender Gestank. Hustend entferne ich mich vom brennenden Kadaver, spähe um mich und erkenne Lavi, der mit einem Satz über weitere qualmende Überreste hinwegsetzt. Er ist auf dem Weg zu Kanda und sofort drehe auch ich mich um. Meine Beine bewegen sich längst in seine Richtung, während meine Augen nach ihm suchen und stolpernd verlieren sich die Schläge meines Herzens aus ihrem Rhythmus, als ich seine Gestalt inmitten des Qualmes zusammenbrechen sehe. Wie zuvor sackt er zusammen wie eine leblose Puppe. Fast glaube ich das kaum wahrnehmbare Surren in der Luft zu hören, noch bevor er im Schlamm liegen bleibt. Ein Zucken lässt mich wachwerden. Mit einem Mal beginne ich zu rennen und tue nur wenige Schritte, bis Lavi mich überholt. „Er ist da!“, erreicht uns Maries Stimme erneut. Sie erhebt sich keuchend, als wäre auch er in hastiger Bewegung. „Er ist bei Kanda!“ Wir rennen und rutschen, springen durch den Qualm und über Hindernisse und wie endlos wirkt plötzlich der Weg zu ihm. Nur wenige Sekunden scheinen sich endlos zu dehnen und beinahe haben wir unseren regungslosen Kameraden erreicht, da geht etwas auf ihn nieder. Ein Luftzug erreicht uns, tief drängen sich unsichtbare Klauen hinab in den Schlamm und zur selben Zeit wird Kandas Körper von einer Bewegung erfasst, als würde ein riesiges Maul seinen Leib umschließen. Schlaff schlittert sein Arm durch den Dreck, als sich sein Körper zur Seite neigt und wie unauffällig wirkt die Bewegung des anderen. Nur kurz sehe ich das blaue Leuchten des Schwertes, das in die Höhe schnellt und stolpernd laufen wir uns aus, als Kanda mit einem Mal zum Leben erwacht. Ein dumpfes Knacken erhebt sich, als die Klinge in der Luft auf einen Widerstand trifft, gnadenlos zur Seite gerissen wird und sich durch unsichtbare Materie frisst. Lavis Keuchen vermischt sich mit meinem, als wir dort stehen und sich mit einem Mal der Feind vor uns materialisiert. Eine schwarze, von spitzen Schuppen bedeckte Haut umschließt einen verformten Körper, der in seiner Gestalt dem einer Eidechse am nahesten kommt. Krumme Beine schlingern zuckend durch den Schlamm, während das Maul Kandas Körper freigibt und sich die schmalen Pupillen in den runden Augen verdrehen. Das Schwert drang in den Kopf und teilte ihn annähernd in zwei Hälften und nach wenigen letzten Zuckungen verliert der Körper auch die letzte Spannung und sinkt auf Kanda. Ich vergesse zu blinzeln, während der kurze Todeskampf endet. Selbst der Atem gefror in meiner Brust und auch, dass Marie uns erreichte, nahm ich nicht wahr. Und ich stehe noch immer nur dort, als Lavi den Fuß gegen den leblosen Körper setzt und das Biest von Kanda wälzt. Komplett von Schlamm umhüllt windet sich dieser ins Freie. Das offene Haar haftet an seiner Uniform und stockend folgen ihm meine Augen, als er auf die Beine kommt und den Dreck des Bodens zur Seite spuckt. Mit einem Mal ist es still. Nur das Knacken der Flammen umgibt uns und langsam beginne ich wieder zu atmen. „Bist du verletzt?“, höre ich Marie fragen, doch Kanda verneint. Er wurde nicht getroffen, realisiere ich. Er konzentrierte sich, wich aus und mimte anschließend das Opfer. „Was zur Hölle“, bringt Lavi neben mir hervor. Erneut erreicht sein Fuß den seltsamen Körper und setzt ihn etwas in Bewegung. Er explodiert nicht, löst sich nicht auf. Stattdessen sickert eine Flüssigkeit aus der klaffenden Wunde, als handle es sich bei diesem Feind tatsächlich um ein organisches Wesen. Es lauerte uns auf, verfolgte und verletzte uns und liegt jetzt zu unseren Füßen. So etwas wie Triumph wäre wohl angebracht aber ich spüre nichts Derartiges in mir. „Das war der letzte“, bestätigt Marie. „Was zur Hölle ist das?“ Lavi beschäftigt sich immer noch mit dem Kadaver. Er beugt sich hinab, benetzt die Finger mit dem dunklen Sekret, riecht daran und versucht es einzuordnen, wirkt aber ratlos. „Ich rufe die Finder“, erwidert Marie. „Wir müssen Komui kontaktieren.“ Von Kanda driften meine Augen zur Seite und über das Meer aus Schlamm, Flammen und Rauch. Erst dieser Anblick lässt realisieren, wieviel Aufwand man auf sich nahm, um die unsichtbare Kreatur zu unterstützen. Was sich uns hier bietet, wirkt tatsächlich wie eine Hetzjagd. Auch das Verhalten der Bestie verfestigt das unverständliche Rätsel. Es hatte die Gelegenheit, Kanda zu töten. Mehrere Augenblicke vergingen und es tat nichts anderes, als ihn mit seinem Maul zu erfassen und dabei nicht einmal zu verletzen. Keine spitzen Zähne drangen durch seine Uniform, als wollte es ihn tatsächlich nur aufheben. Perplex schüttle ich den Kopf, stemme die Hände in die Hüften und kontrolliere meinen Atem. Es ist vorbei, sage ich mir. Es ist wirklich vorbei und niemand von uns nahm Schaden. Wir entfernen uns nicht weit, kontaktieren die Finder und wachen über den Kadaver, während wir auf sie warten. Als etwas noch nie Dagewesenes wird er höchstwahrscheinlich in das Hauptquartier überführt und Komui ausgeliefert und ich hoffe, dass er bald darauf wenigstens ein paar der unzähligen Fragen beantworten kann. Als die Finder eintreffen, nehmen sich Lavi und Marie der Sache an. Telefonate werden geführt, kurz darauf streifen die Finder durch das qualmende Feld und so bleiben Kanda und mir die ersten Momente, um innezuhalten und zur Ruhe zu kommen. Ich sinke auf eine absolut ungemütliche Ansammlung von Gesteinsbrocken und strecke die Beine. Die Finder sind entfernt, auch Marie und Lavi beschäftigt und so verliert sich kein Blick in unsere Richtung, als Kanda zu mir tritt. Seine Bewegungen wirken müde, als er sich das Haar zurückstreift. Ein dünnes Band zwischen den Lippen, bringt er etwas Ordnung in die wirren, dreckigen Strähnen und eine Weile sitze ich nur schweigend neben ihm und befasse mich mit Tim. Ich fühle mich zermürbt. Meine Schulter sendet ein dumpfes Stechen durch meinen Körper und kurz taste ich unter meiner Uniform, um sicherzustellen, dass die Nähte nicht rissen. Alles riecht nach dem stechenden Qualm. Das einzige, das überwiegt, ist die Schicht aus Schlamm, die unsere Uniformen fast bis zur Unkenntlichkeit unter sich verbirgt. Dreck dringt erneut in meine Augen und müde reibe ich sie mir. Neben mir höre ich ein tiefes Durchatmen. Der Zopf ist gebunden, doch als ich mir Kanda betrachte, verliert diese kleine Tatsache an Bedeutung. Er macht keinen besseren Eindruck durch dieses kleine Fragment der Ordnung. Er tastet nach Aschepartikeln, die auf seiner Wange haften, will sie wohl von sich streifen aber seine Hand hinterlässt nur eine weitere Schicht aus Dreck auf seiner Haut. Er belässt es dabei, kapituliert und lässt sich kurz darauf auf den Überresten einer alten Mauer nieder, die sich mir gegenüber erstreckt. Wir bieten tatsächlich einen erbärmlichen Anblick, bemerke ich und spüre ein mattes Schmunzeln auf meinen Lippen. Tim regt sich auf meinem Schoß und absent betaste ich seinen goldenen Schweif. Wieder stelle ich mir die Frage, ob wir diese Mission unterschätzten oder vielleicht zu optimistisch waren, da wir lange vor so einem drastischen Hergang verschont blieben. Wieviel Anspannung und Vorsicht haben wir aufzubringen, wenn wir uns einem neuen Auftrag stellen? Wieviel Kraft wird uns das kosten? Auch nachdem wir diesen Akuma zerstörten bleibt doch das Gefühl, gejagt zu werden. Mir gegenüber rollt Kanda mit den Schultern und streckt den Rücken durch. Er wirkt verspannt, streckt kurz darauf die Beine und stemmt sich etwas zurück. Er schöpft tiefen Atem, bevor sein Kopf in den Nacken sinkt und er zum Himmel späht, zu dieser dunklen, sternen- und trostlosen Schicht. Die letzten Stunden bestanden aus Ablenkung in allerreinster Form, doch hier, wo es wieder still wurde und wir innehalten können, erreicht mich abermals dieses seltsame Gefühl, das sich in mir einnistete. Für flüchtige Augen macht er den Eindruck verdienter Müdigkeit aber nichts in mir ist flüchtig, wenn es mit ihm zu tun hat. Auch sein Verhalten während des vergangenen Kampfes lässt mir keine Ruhe. Wo endet Mut und wo beginnt Waghalsigkeit, frage ich mich. Er warf sich dem unbekannten Feind zum Fraß vor und auch wenn dieser Weg zum Erfolg führte, zweifle ich an seinen Beweggründen. Als würde er fragwürdige Prioritäten setzen, in denen sein Leben weit hinter dem Sieg über diesen Feind liegt. „Bist du verletzt?“, formuliere ich es in die Richtung, in der ich am wenigsten Widerstand erwarte. Er antwortet mit einem knappen Kopfschütteln, bevor er den Kragen seiner Uniform um ein Stück lockert. Und ich nicke, dabei bin ich alles andere als zufrieden. Bis heute habe ich nicht begriffen, wie man in diesem Gebiet zu ihm durchdringt, stattdessen jedoch sehr schnell, dass man kaum einen Schritt hineinsetzen kann, ohne bereits auf eine Grenze zu stoßen. Auf den ersten Blick scheint es, als würden meine Sorgen an seinem Stolz kratzen, doch so simpel ist er nicht. „Es geht dir wirklich gut?“, wage ich trotzdem den Schritt, denn Kanda ist weder simpel noch besteht er aus Glas. Was ich entfache, kann ich mir vorstellen aber das ist es mir wert. Lieber suche ich die Wahrheit in Zynismus und Abwehr als gar keine zu erhalten. Kurz sucht er auf dem steinernen Untergrund nach Bequemlichkeit, rückt sich zurecht. „Verhätschle mich nicht“, bekomme ich dann zu hören. Seine Stimme ist ruhiger als ich erwartete und ohne zu zögern gehe ich den nächsten Schritt. „Habe ich nicht vor“, antworte ich und taste nach Tims Flügeln. „Ich habe nur das Gefühl, dass etwas nicht stimmt.“ Kanda schöpft erneut tiefen Atem, als würde er an diesem Punkt beginnen, um Beherrschung zu kämpfen. Schon erhebt sich vor mir die erste Grenze, denn die Reaktion ist eindeutig. Spätestens jetzt sollte ich das Thema beenden aber meine Sorge macht mich stur. Was sollte er schon sagen, was mir wehtun könnte? Im Lauf der Zeit bekam ich schon viel von ihm zu hören. „Fang mit deinem Verhalten an“, erwidert er kurz darauf. „Ich brauche keine Rücksicht oder Beistand.“ „Das weiß ich.“ Zermürbt lasse ich Tims Flügel los. „Tust du das?“ „Natürlich tue ich das“, versichere ich ihm, nur schwer ein Ächzen unterdrückend. Binnen kurzer Zeit gibt er mir das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen und gerade suche ich nach einem Weg, mich hindurch zu graben, da wendet er das Gesicht zu mir. Mit einem Mal spüre ich seinen Blick und erwidere ihn ratlos. Ich war mir sicher, er würde das Thema beenden. „Dann sag mir, was du von Bingen gehört hast.“ Noch immer sehen wir uns an, während meine Miene entgleist. Seine Worte erwischen mich eiskalt und durchbrechen jeden Kontext dieses Zeitpunktes. Nicht einmal annähernd erwartete ich diese Wendung, die mir den Boden unter den Füßen nimmt. Er hält den Blickkontakt aufrecht. Er wartet und wie lange starre ich ihn nur an, bevor ich perplex blinzle und nach einer Antwort suche. Das ist der falsche Moment, ist die einzige Gewissheit, die ich in mir spüre. Bisher war ich mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt einen richtigen gibt, um so etwas zu sagen. „Was?“, bringe ich letztendlich nur hervor. Mein Herz lebt auf, jagt dumpfe, spürbare Schläge durch meinen Körper, während ich den Moment einfrieren und rückgängig machen will. Ich hätte ihn nie gefragt, hätte ich von dieser Entwicklung gewusst. Niemals. „Komui wollte Finder senden und hat es seitdem nicht mehr erwähnt“, antwortet Kanda gnadenlos schnell. „Zumindest du hättest längst nachgefragt, also scheinen die Tatsachen klar zu sein.“ „Tu das nicht.“ Zermartert senke ich das Gesicht in die Hände. Meine Stimme ist nicht mehr als ein frustriertes Ächzen. Ich erkundigte mich nicht nach seinem Befinden, um ihm den Gnadenstoß zu geben, doch allmählich stelle ich mir die Frage, ob er selbst nicht genau darauf abzielt. Will er ihn? Ich reibe meine Augen, beiße die Zähne zusammen und wie verbittert wende ich mich ihm letztendlich zu. „Warum machst du das?“ „Wovon redest du?“, stellt er die Gegenfrage und wie zerfrisst es mich, dass er dabei tatsächlich aussieht, als meine er es ernst. Ich presse die Lippen aufeinander, suche mit ratlos erhobenen Händen nach Worten. Ich bin der Letzte, der ihm wehtun will aber er scheint mich dazu auserkoren zu haben. „Warum“, flüstere ich ihm angespannt in unsere Abgeschiedenheit zu, „warum lässt du dich nicht zumindest etwas schützen?“ Eine eindeutige Regung zuckt durch seine Miene, als er sich mir entgegenlehnt und die Ellbogen auf die Knie stemmt. „Wovor?“, verlangt er zu wissen. „Ich bin kein kleiner Bengel, der die Welt nicht begreift. Wer Entscheidungen trifft, trägt die Konsequenzen.“ „So einfach?“ Ungläubig verziehe ich das Gesicht, doch er nickt. „So einfach. Also was sagt mir deine Reaktion?“ „Dass du ein Vollidiot bist“, antworte ich verbittert. „Was sagt mir deine Reaktion über Bingen?“, berichtigt er gleichgültig. Ich schweige verbissen. Hier ist also der perfekte Augenblick, um ihm von den Bewohnern Bingens zu erzählen. Von den Folgen unserer Entscheidung und den Tatsachen, die auf immer Tatsachen bleiben. Er hat Recht, pulsiert es in einem dunklen Winkel meines Bewusstseins. Er trifft keine Entscheidung, wenn er nicht mit den Konsequenzen leben kann. Prinzipiell tut er selten etwas unüberlegtes, auch wenn es nach außen hin nicht den Eindruck macht. Er will die Wahrheit und es ist ernüchternd, dass er sie bekommt, selbst wenn ich schweige. Ich schürze die Lippen und presse sie aufeinander. Sein Blick löst sich von mir, driftet in eine andere Richtung und beweist meine Befürchtung, dass seine Frage beantwortet ist. Er hakt nicht nach, es ist geklärt und unter einem stummen Kopfschütteln starre ich zurück zu Boden. Vielleicht bin ich tatsächlich der einzige, der ein Problem damit hat, denke ich mir. Vielleicht trügt mich meine Wahrnehmung, wenn es um ihn geht. Und vielleicht wünsche ich es mir auch nur. „In meiner Illusion bist du gestorben“, höre ich mich plötzlich flüstern, abwesend an Tim zugange. Ich betrachte ihn mir, während die Stille erneut zwischen uns driftet. Kanda antwortet nicht und wie erschreckend leicht fällt es mir, die Wahrheit vor ihm zu offenbaren. „Wenn sie uns wirklich das zeigen, wovor wir uns am meisten fürchten…“ Meine Stimme versickert in meinem Hals und mit einem Räuspern zwinge ich sie hervor. „Ich habe dich sterben sehen.“ „Das erklärt, warum du zur Glucke wirst“, antwortet er ernüchternd schnell und kurz darauf treffen sich unsere Blicke. „Wodurch sollte ich sterben?“, fährt er fort. „Ich lebe weiter. Das tue ich immer.“ Mein Mund bewegt sich, als hätte ich dazu noch etwas zu sagen aber letztendlich kommt mein Ton über meine Lippen. Einen Moment bleiben die schwarzen Augen mir noch treu, bevor sie zur Seite driften und sich Kandas Aufmerksamkeit auf den Zustand seiner Uniform richtet. Zischend tastet er unter seinem Kragen, holt weiteren Schlamm hervor und schüttelt ihn von seiner Hand, während ich ihn noch immer anstarre. -tbc- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)