Last verse of dawn von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 7: 7 ------------ Wäre ich vollends bei Verstand, ich würde ihn verlieren. Die vollständige Nutzlosigkeit würde die Spannung erzeugen und der schallende Riss wäre der Hilfsbedürftigkeit zuzuschreiben. Das Bett, auf dem ich irgendwann liege, erreichte ich nicht selbst und würde uns eine plötzliche Bedrohung erreichen, ich wäre wie ein Baby, das ohne fremde Obhut erfrieren und verhungern würde. Nur Fragmente dieser Tatsachen durchdringen in mein Bewusstsein und sind trotzdem so schmerzhaft und zermürbend, dass ich nicht umhin komme, mit meinen letzten Fähigkeiten einen erbärmlichen Widerstand zu leisten. „Verdammter Mist“, flüstere ich ein weiteres Mal, als bereits das sanfte Rot der Abenddämmerung vor den Fenstern liegt. „So ein verdammter… mieser… Mist.“ Regungslos leistet mir Marie Gesellschaft. Er braucht nicht zu antworten, denn ich führe einen Monolog und er genießt ihn schweigend. Matt senke ich den Arm auf meine Augen. Vor kurzem sagte er mir, vielleicht ist es aber auch schon länger her, dass er mit Komui telefonierte und seitdem macht er den Eindruck, das unbekannte Übel nicht mehr zu fürchten. Der Abteilungsleiter war wohl der Meinung, es wäre unmöglich, dass ich dadurch sterbe und ich denke an ihn und daran, wie bequem er es in seinem Büro haben muss. Vielleicht trinkt er Kaffee, vielleicht starrt er auch in die leere Tasse oder schläft. Jedenfalls wird es ihm weitaus besser gehen und ich freue mich darüber und auch über seine Zuversicht, während ich mir wünsche, er wäre in meiner Lage. So vergeht die Zeit und ich weiß nicht, wieviel von ihr. Manchmal glaube ich einzuschlafen, dann höre ich die Stimmen von Marie und dem Finder und frage mich, ob ich träume. Ich entdrifte, bin nicht einmal sicher, ob es irgendwann das Licht des Mondes oder das der Sonne ist, das zu mir dringt, doch irgendwann erreicht mich ein Fragment der Wirklichkeit, das mich zu sich zurück zieht. Kanda kehrt zurück. Als ich die Augen öffne, sehe ich ihn und selbst seine Mimik weiß ich trotz meines Zustandes zu deuten. Die Mission ist offenbar beendet. Das Innocence befand sich tatsächlich in der Quelle und nur flüchtig zuckt ein Grinsen an meinem Mundwinkel. Soviel man auch schon gesehen hat von der Welt, man trifft dennoch und permanent auf Unbekanntes. Auf diese Weise wurde eine Mission noch nie beendet und noch nie leistete ich so einen Beitrag. „Die Menschen hier haben die besten Voraussetzungen, auch ohne das Innocence ein gutes Leben zu führen“, höre ich Kandas Stimme. „Krankheiten sind ein Teil davon.“ „Sie werden sich daran gewöhnen“, stimmt Marie zu. „Vielleicht bemerken sie es nicht einmal.“ „Mm.“ Schritte nähern sich meinem Bett. „Wir sollten sofort aufbrechen.“ Der Boden, der unter mir vorbeidriftet, scheint so weit entfernt und auf seltsame Art zu verschwimmen. Steine ziehen sich in die Länge, bis sie zerfließen, während sich Kontraste vertiefen. Bizarre Bilder dringen durch einen Nebel zu mir und benommen versuche ich mich daran zu erinnern, wann es meinem Körper zuletzt so schlecht erging. Natürlich trug ich oft Verletzungen davon und natürlich schmerzten sie und benötigten ihre Zeit der Heilung. Ich kenne diese beißende Qual sowie ich Erschöpfung kenne und die Schwierigkeit, die Augen offen zu halten, doch der jetzige Zustand kommt einer Vergiftung gleich, von der sich mein Körper quälend langsam zu erholen versucht. Er kämpft, versucht abzubauen, was schädlich ist. Ich blinzle, weite die Augen, ringe um ein deutliches Bild der Realität. Vor einer Weile, meine ich mich zu erinnern, spürte ich noch, wie breit und stark Maries Schultern sind und wie stählern auch seine Arme, die mich auf seinem Rücken fixieren. Als mein Kinn auf sein Schlüsselbein sank glaubte ich sogar seinen Geruch wiederzuerkennen, doch in der Zwischenzeit wurde er unter mir zu einer seltsam weichen Masse. Manchmal habe ich das Gefühl, in einer Stelle seines Körpers zu versinken, doch nicht die Kraft, darauf aufmerksam zu machen. Vermutlich steht es ernster um mich, als ich anfangs dachte. Das einzige, das nicht verzerrt ist, sind die Stimmen meiner Freunde, also schließe ich irgendwann die Augen und nutze ihren Klang als Band, das mich mit der Wirklichkeit verbindet. Kraftlos pendeln meine Arme im Leeren und wie angestrengt schöpfe ich tiefen Atem. „Ich hoffe, Komui liegt richtig“, höre ich Maries Stimme, vorsichtig werde ich um ein Stück höher gerafft. „So eine Situation haben wir immerhin noch nie erlebt.“ Kanda antwortet nicht. Er hält sich neben uns. Ich höre das Knirschen seiner Schritte, als würden wir über einen Kiesweg ziehen. „Dass sich sein Zustand weiterhin verschlechtert, macht mir Sorgen“, fährt Marie fort und ich empfinde nichts dabei. Mein Mund ist trocken. An mehr kann ich nicht denken. „Mm“, dringt endlich der vertraute Klang der anderen Stimme zu mir. Ein Brummen, das von Gelassenheit zeugen könnte und ebenso gut von Desinteresse oder Gegensätzlichkeit. Marie fragt jedenfalls nicht nach und die nächsten Augenblicke sind von Schweigen geprägt. Nur das Knirschen der Schritte und ein leises Rascheln, das wohl vom Blattwerk mehrerer Bäume hervorgerufen wird. „Der wird schon wieder“, ergreift Kanda dann unerwartet das Wort. Ihm wäre es zuzutrauen, es bei dem Brummen zu belassen und umso erfreulicher ist es, dass es nicht der Fall ist, denn seine Stimme tut mir gut. Abermals gelingt mir ein tiefes Durchatmen, bevor er fortfährt. „Dieses ganze Elend ist vorbei, sobald er wieder bekommt, was sein Leben ausmacht. Essen und Nichtstun.“ Marie seufzt. Ich spüre, wie sich seine Schultern unter dem tiefen Durchatmen heben und senken. Ein Teil von mir treibt zurück in die Wirklichkeit und unweigerlich verzieht sich mein Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse. „Mistkerl“, höre ich kurz darauf mein Nuscheln und spüre Maries stilles Lachen. „Siehst du“, sagt Kanda dazu nur. „Der wird schon wieder.“ Was sich zunächst meine Aufmerksamkeit erkämpft, ist das laute Rattern der Zugräder und wie ich von Maries Rücken auf eine etwas zu harte Bank gleite. Hände halten mich, drängen mich gegen die Rückenlehne und wie zerfließe ich, während immerzu das leichte Vibrieren des Wagons zu mir dringt. Wir nähern uns der Heimat. Ich ächze vor Erleichterung, doch irgendwie klingt es noch immer zu sehr nach dem alten Elend. Als leicht an mir gerüttelt wird, fällt es mir schwer, die Augen zu öffnen, doch die Hände sind erbarmungslos. „Jetzt ist Schluss mit dem Drama“, offenbart mir Kanda die Tiefe seiner Besorgnis. „Du isst und trinkst jetzt etwas.“ Fast spüre ich, wie die alte Übelkeit zurück in meine Kehle kriecht. Wenn der Tag kommt, dachte ich mir einmal, an dem ich Essen ablehne, dann ist das Ende nicht mehr weit. Ich stöhne, winke ab und stöhne erneut, als ich leicht nach vorn gezogen werde. Mein Rücken löst sich von der Lehne, doch wird von einer Hand gestützt. Sie bettet sich auf meinem Kreuz, schenkt mir jede mögliche Sicherheit und wie gehorsam werde ich mit einem Mal. Als würde ich zu einem wehrlosen und formbaren Klumpen Mensch, sobald es sich um diese Nähe handelt. Kanda sank neben mir auf die Bank, doch bevor ihn meine Augen erfassen können, spüre ich das kalte Glas einer Flasche an meinen Lippen. „Trink.“ „Ich werde brechen“, nuschle ich, doch die Flasche zieht sich nicht zurück. „Das ist egal. Wir haben genug da.“ Der Saft, den ich so hinabwürge, ist abartig süß und belebt mich in vielerlei Hinsicht, doch keine Grimasse und kein Ächzen könnten Kanda jemals umstimmen. Er flößt mir eine Menge ein, bevor er mich erlöst und zurück gegen die Rückenlehne sinken lässt. Als sich kurz darauf das Rascheln einer Verpackung erhebt, blicke ich dahindämmernd um mich. Wir sind alleine in der kleinen Kabine. Nur Timcanpy nimmt die gegenüberliegende Bank für sich ein und scheint mich zu fixieren. „Wo ist Marie?“, murmle ich und öffne den Mund, als das erste Stück Schokolade zu ihm wandert. „Besorgt noch mehr Essen.“ Neben mir ist Kanda mit der nächsten Verpackung beschäftigt. Ich beobachte ihn schweigend aus den Augenwinkeln, während die Schokolade auf meiner Zunge zerfließt. Ich lutsche, schmatze, bin noch immer die manifestierte Hilflosigkeit, doch störe mich in diesen Momenten nicht daran. Nicht ihm gegenüber. Manchmal erfassen mich seine dunklen Augen, manchmal erreicht mich auch seine Schulter, wenn er sich auf dem Polster regt und wie ergeben lasse ich mich füttern. Zuerst Schokolade, dann Kuchen und Kekse, doch mein Magen erträgt es. Die Übelkeit ist nicht so schlimm wie befürchtet und mein nächstes Ächzen wirkt weitaus weniger erbärmlich. Fast klingt es wie Erleichterung. Selbst meine Augen tun sich nicht mehr so schwer damit, die Tür der Kabine zu erfassen, als sich im dahinterliegenden Gang die langsamen Schritte Maries erheben. Vermutlich kommt er nicht mit leeren Händen. Ich lutsche auf einem Bonbon, als seine Schritte vor der Tür verstummen und ich sehe es nicht kommen und werde umso mehr überwältigt von dem warmen Druck der Hand, der sich auf meinen Kopf senkt. Kandas Finger dringen in mein Haar, streifen annähernd beiläufig eine Strähne aus meinem Gesicht und meine Lider wurden längst schwer unter dem Genuss, als er mich andeutungsweise tätschelt. Niemand außer ihm ist der Lage, mich so eiskalt zu erwischen. Die vergangene Zeit nahm ihm keinen Deut von seiner Wirkung und wie wärmend durchflutet mich das seit kurzem verschüttete Gefühl vollendeter Zufriedenheit, als sich die Tür öffnet und Marie zu uns tritt. Als ich irgendwann zur Seite rutsche und mich auf der Bank lang mache, ist mein Magen gefüllt und meine spärliche Energie erneut aufgebraucht. Es ist nicht sehr bequem und dennoch schlafe ich binnen weniger Momente ein. Begleitet von den leisen Stimmen meiner Freunde komme ich zur Ruhe und treffe auf eine stille, friedliche Traumwelt. Niemals ist es anders, wenn der Eine in meiner Nähe ist. Die Stunden driften unbemerkt an mir vorbei und auch als ich abermals Halt auf Maries Rücken finde, dämmere ich sofort wieder aus der Wirklichkeit. Es geht mir besser, denke ich. Als wäre diese Müdigkeit gesunder Natur und nach Fragmenten aus Licht, anderen Stimmen und Geräuschen sinke ich auf meine vertraute Matratze, wende mich zur Seite und schlafe weiter. Tim lässt sich auf meiner Schulter nieder. Sein Flügel streift mein Gesicht und wie endlos wirkt die warme Dunkelheit und wie bequem mein Bett, bis mein Bewusstsein stockend an die Oberfläche zurücksteigt. Ich rege mich und habe die Kraft dazu, drehe mich von einer Seite zur anderen und nehme durch meine geschlossenen Lider das Licht des Tages wahr. Die Decke glitt von mir, schlang sich um meinen Fuß und eine Weile kämpfe ich träge gegen den Widerstand, den sie bildet. Stille umgibt mich, wird zeitweise nur erfüllt von meinem tiefen Durchatmen und so steige ich noch höher, ertaste irgendwann mein Gesicht und gähne. Ein Flügelschlag erhebt sich im Zimmer. Ich spüre Tims Gewicht nicht auf mir und beginne zu blinzeln. Es fühlt sich an, als hätte ich ewig geschlafen. Als würde die anhaltende Mattigkeit viel eher daher rühren als von der Problematik auf der letzten Mission. Träge schürze ich die Lippen und betaste auch sie. Sie fühlen sich trocken an. Ich habe Durst und ich habe Hunger. Die Dinge scheinen besser zu stehen und wie behaglich wende ich das Gesicht zur anderen Seite und erstarre. Unausweichlich ist das grüne Auge auf mich gerichtet. Gemütlich sitzt Lavi neben meinem Bett. Die Arme auf der Rückenlehne gekreuzt, gegen die er sich lehnt, starrt er mich an, während Tim es auf seinem Kopf bequem hat. Der Schreck kommt und geht, stöhnend reibe ich mir die Augen und höre ihn mit der Zunge schnalzen. „Einen wunderschönen guten Morgen.“ „Mm.“ Ich taste nach der Decke, will sie über mich streifen, doch finde sie nicht. Als ich erneut zu Lavi spähe, entfaltet sich ein Grinsen auf seinen Lippen, das nichts Gutes verheißt. „Zweiundzwanzig Stunden“, verkündet er amüsiert. „Noch eine weitere und wir hätten dich für tot erklärt. Das wäre schade gewesen.“ „Ach ja?“ „Natürlich. Meistens behält man die Leute so im Gedächtnis, wie man sie zuletzt gesehen hat und in deinem Fall wäre das nicht sehr optimal.“ Der Stuhl quietscht. Lavi lehnt sich zurück, seufzt und streckt sich und fühlt sich offenbar recht wohl. Zu tun hat er wohl auch nicht viel. Tim erhebt sich flatternd in die Lüfte und endlich finde ich die Motivation, mich aufzurichten. Es fällt mir leicht und so bringe ich träge Ordnung in meinen Schopf. „Ich wünschte, wir hätten ein Bild davon machen können“, fährt Lavi in dem Moment fort und noch immer benommen blicke ich zu ihm. „Es sah aus, als würde Marie eine schlaffe Masse Nachhause tragen. Die einzigen Lebenszeichen bestanden aus dem Speichel auf seiner Schulter und dem verworrenen Nuscheln.“ Sein Zeigefinger findet nachdenklich zum Kinn. „Was war es nochmal? Es klang unter anderem, als würdest du dich vor bösen Feen fürchten.“ Er lacht herzhaft, während mein Gesicht einschläft. „Alles Schwindel“, versucht er meine Stimme nachzuäffen. „Die Erde ist böse. Esst nicht das Gras.“ Er lacht weiter und ich sinke in mich zusammen. „Was musstest du nur durchmachen, Allen?“ Ich schöpfe tiefen Atem, hebe die Hände und balle sie zu lockeren Fäusten. Die alte Kraft durchflutet sie. Das Martyrium ist vorbei und seitdem verging mehr als ein Tag. Lavi genießt offenbar beste Laune. Er beginnt zu kippeln, bekommt kurz darauf Tim zu fassen und bewegt ihn zwischen den Händen. „Es wäre schade gewesen, hättest du noch länger geschlafen, denn heute sind bis auf den Panda und Chaoji alle hier. Komui gibt uns, soweit es möglich ist, den Tag frei, damit wir das Picknick nachholen können.“ Er weist zur Seite und zur Tür. „Gerade sind alle beim Training. Nur ich nicht. Ich wollte dich nerven.“ Wieder sehe ich dieses tiefe, befreite Grinsen und rutsche zur Bettkante. „Ich gehe aber gleich. Kommst du mit?“ Lavi neigt sich mir samt Stuhl entgegen. „Ich brauche erst was zu essen.“ „Logisch.“ Er kommt auf die Beine und nur beiläufig bemerke ich, wie anhaltend er mich mustert. Auch sein Grinsen weicht nicht aus seinem Gesicht und ich brauche eine Weile, meinen müden Kopf zu aktivieren. Sobald er zu arbeiten beginnt, begreife ich es und verliere unter einem Seufzen an Körperspannung. Stoisch begegne ich seiner gleißenden Heiterkeit. „Was hast du mir ins Gesicht gemalt?“ „Wie bitte?“ Er ist entrüstet und kopfschüttelnd reibe ich meine Wange. „Was denkst du von mir?“ „Lavi.“ „Ein böses Blümchen.“ Nachdem ich geduscht habe, begleitet er mich in den Speiseraum. Mir ist nicht danach, mich dorthin zu setzen. Viel lieber nutze ich die Seltenheit, die er erwähnt hat und so leistet mir eine große Schale mit Muffins, Gebäck und Früchten Gesellschaft, als wir gemeinsam zu einer der Trainingshallen schlendern. Natürlich will Lavi die Heldensaga aus meinem Mund hören, also erzähle ich sie ihm. „Sieh an.“ Er bläht die Wangen auf, als wir das Ziel fast erreicht haben. „Was es nicht alles gibt. Vermutlich hattest du Glück, dass du keine höhere Konzentration abbekommen hast. Es werden nur winzige Fragmente gewesen sein, wenn das Innocence das ganze Wasser erfüllt hat.“ Seufzend taste ich nach dem nächsten Muffin und bleibe stehen. Neben uns erhebt sich die große, hölzerne Tür und grinsend öffnet Lavi sie. „Du siehst jedenfalls viel besser aus. Ich denke, du wirst es schaffen.“ „Ja?“ Ein leises Quietschen erhebt sich, sofort schlüpft Tim durch den Spalt und wie atme ich durch, als ich dann in die Halle trete und mich dieser ungewohnte Anblick erwartet. Linali und Miranda haben es auf einer Bank bequem und genießen eine kurze Pause, während Crowley und Marie sich keuchend auf den Matten bewegen. Und Kanda. Natürlich schenken meine Augen ihm die meiste Aufmerksamkeit und zelebrieren seinen Anblick, als wäre er ihnen so noch nie zuvor begegnet. Surrend spaltet der Bokken die Luft und wie fasziniert bin ich erneut von der raschen und doch geschmeidigen Beinarbeit. Er bewegt sich alleine und doch in der Nähe der anderen, feilt wohl an der Perfektion einzelner Bewegungsabläufe und scheint so konzentriert, dass er uns vorerst nicht bemerkt. „Allen!“ Freudig kommt Linali auf die Beine. Ich werde begrüßt, als läge eine Unendlichkeit zwischen dem heutigen Tag und dem letzten Treffen. Konzentriert halte ich meine Schale fest, als Crowley mich in die Arme schließt. Marie schickt mir ein Lächeln, Lavi schlägt mir auf die Schulter und flüchtig spüre ich auch Kandas Aufmerksamkeit. Ein knappes Mustern, eine angedeutete Geste und so fasst er den Bokken neu und vertieft sich abermals. Mein Mund kommt von da an kaum zum Essen, bleibt permanent in Bewegung und Kanda vorerst der einzige, der seine Übungen ernst nimmt. Wir sitzen beisammen und wie gerne rede ich und höre zu und tanke die letzte Kraft aus dieser Geselligkeit. Natürlich kommt Lavi nicht um weitere Kommentare, natürlich versucht Linali ihn in seine Schranken zu weisen, während Crowley fassungslos ist bezüglich meinem vergangenen Leiden. Wir lachen viel, irgendwann befasse ich mich dann doch wieder mit meiner Futterschale und als sich die erste Aufregung gelegt hat, ist Marie der Einzige, der mir auf der Bank noch Gesellschaft leistet. Kauend beobachte ich meine Freunde, während er an seiner Wasserflasche nippt. Der Kuchen ist lecker, auch die Schokolade der Muffins schmeckt nach der wunderbaren Heimat und wie oft seufze ich und kann kaum glauben, dass mir vor kurzem wirklich noch der Appetit fehlte. „Es tut mir Leid, dass ich dich vollgesabbert habe“, wende ich mich irgendwann an Marie und biete ihm zur Versöhnung eine Erdbeere an. Er nimmt sie, obwohl es offenbar nichts zu verzeihen gibt. „Ich bin froh, dass es dir wieder gut geht“, sagt er nur und dann sitzen wir dort und kauen und unterhalten uns. Lässt man die letzte Mission außen vor, denke ich, haben wir es doch derzeit gut. Wir sehen uns des Öfteren und sind heiter, soweit auch gesund und gekräftigt genug, uns jedes Mal wieder auf den Weg zu machen. Keine Schicksalsschläge, so beißend und scharf, dass sie sich zu tief fressen und Spuren hinterlassen. Vielleicht etwas Bitterkeit, doch die lässt sich hinabschlucken. An diesem Tag bin ich dankbar. Während meine Freunde trainieren, wir uns unterhalten, letzten Endes beinahe gemeinsam die Halle verlassen und das Picknick vorbereiten. Es ist keine Selbstverständlichkeit und das darf es auch nicht sein. Als handle es sich um einen Aberglauben, dass das genommen wird, dem man zu wenig Achtung schenkt. Draußen beginnt es zu regnen, doch wir sind zufrieden mit dem Boden der Lounge und im Grunde auch amüsiert über diese Spontanität, eine Decke auszubreiten und eine Weile viele Blicke auf sich zu ziehen. Kanda ist nicht bei uns. Vermutlich hält er sich noch immer in der Trainingshalle auf und während bei zusammen sitzen und zahllose Worte fließen, frage ich mich, wann er das Hauptquartier wieder verlässt. Wohin wird es ihn ziehen? Wohin mich? Wieviel Zeit bleibt uns? Die Gedanken sind dieselben, jedes Mal, wenn ich mich innerhalb der Mauern bewege, die ich ‚Zuhause‘ nenne. Ich würde wieder mit ihm gehen. Permanent an seiner Seite sein und das Versprechen einlösen, das ich Marie gab. Ich denke und rede so viel an diesem Tag und als die Teller und Schalen beinahe leer sind und der Boden auch allmählich etwas zu hart, da kommen wir auf die Beine, räumen auf und lassen uns abermals auseinander ziehen. Linali und Crowley werden am Abend aufbrechen. Miranda ist müde, auch Marie zieht sich zurück und so scheint Lavi der einzige zu sein, der meinem Pegel an Energie noch ebenbürtig ist. Ich schlief zu lange, will auf den Beinen bleiben, mich bewegen und habe keine Einwendung gegen Lavis Plan, unseren Abteilungsleiter zu retten. Während er uns einen Tag frei hielt, scheint er laut Linali selbst unter Papier und Arbeit zu ersticken. Sein Stöhnen soll problemlos durch die Tür dringen und wenn er sie öffnet und sich zeigt, dann soll selbst Kaffee nicht mehr helfen. Also besuchen wir Jerry, lassen ihn etwas kreieren und schlüpfen in die Rolle von Essenskurieren. Auch in der Wissenschaftsabteilung wird man immer fündig, wenn man Unterhaltung sucht. Sie sich zum Ziel zu nehmen, ist jedenfalls nie ein Fehler. „Wenn Komui schläft, male ich ihn auch an“, entschließt sich Lavi, als wir das Ziel erreichen. Konzentriert balanciere ich das Tablett aus. „Solche Scherze können nach hinten losgehen.“ „Ach, Quatsch.“ Kaum öffnen wir die Tür, da scheint uns eine düstere Wolke aus Müdigkeit und Überforderung zu erreichen. Sie wabert durch den ersten Spalt, dicht gefolgt von Gähnen und Stöhnen und selbst diese Alltäglichkeit genieße ich. Mehrere Wissenschaftler schlafen und auch Jonny scheint nicht mehr anwesend, während er in eine Mappe starrt. Auf Lavis Gruß folgt undeutliches Nuscheln und so bahnen wir uns unseren Weg durch die Wolke. Komuis Tür ist geschlossen und wie leise drängt Lavi die Klinke hinab, wohl hoffend, dass Komui tatsächlich ein wehrloses Opfer darstellen könnte. Er sendet mir ein Grinsen, ich verdrehe die Augen, doch dann dringen Stimmen zu uns. Komui ist nicht alleine. Komui schläft auch nicht und zermürbt verliert Lavis Grinsen an Kraft. „Du hast es schwer“, kommentiere ich, wie er sich hängen lässt und dann öffnet er die Tür. Wir haben Spaß, wir sind leicht und umso deutlicher spüren wir die abrupte Anspannung, die die Luft in dem großen Raum zu beherrschen scheint. Langsam lasse ich das Tablett sinken, während sich River zu uns umdreht und wie unpassend scheint seine Mimik, wenn man unseren heiteren Tag betrachtet. Wie ein eiskalter Schnitt und ein jähes Ende von allem, das unbesorgt ist. Regungslos hält Komui den Hörer des Telefons am Ohr. Auch seine Augen erreichten uns, erreichten mich und perplex erkenne ich die flüchtige Regung seines Gesichtes. Er scheint zu erschrecken. Vielleicht durch die Worte, die an seine Ohr dringen, doch sein Blick bleibt mir treu, während sich seine Lippen aufeinander pressen. Leise schließt Lavi die Tür hinter uns. Er späht kurz zu mir, doch ich reagiere nicht. „Verstanden“, lässt Komui in dem Moment die Stille enden. Endlich senkt sich sein Blick. Ziellos rückt seine Hand an diversen Unterlagen, während wir näher treten. Ich bin nicht sicher, wann ich Komui zuletzt so sah. Was auch immer vor sich geht, es scheint sich nicht um einen Notfall zu handeln, auf den er sofort zu reagieren hat. Er macht auch nicht den Eindruck, nach einer Lösung zu suchen. Als wäre das Ergebnis bereits vorhanden und endgültig. Als gäbe es Verluste, die man hinzunehmen hat. „Ich schicke euch Unterstützung und rufe später zurück.“ Somit lässt er die Hörer sinken, weitet die Augen und reibt sich den Mund. Ich blicke zu River. Er bearbeitet die Unterlippe mit den Zähnen und stemmt die Hände in die Hüften. Vorsichtig werde ich das Tablett auf dem Sofa los. Es verliert seinen Nutzen und ist nicht mehr von Bedeutung, denn hier gibt es keine Freude oder Platz für verschmitztes Wohlwollen. „Komui?“ Abrupt findet seine Aufmerksamkeit zu mir zurück. Nur ein kurzer Blick, bevor er mir abermals ausweicht und auf seinem Stuhl nach Bequemlichkeit sucht. „Es ist gerade etwas unpassend, Allen.“ „Was ist passiert?“, spricht Lavi es aus und wie perplex sehen wir ein verwerfendes Kopfschütteln. River regt sich etwas unentschlossen. Eine flüchtige Mimik verrät, dass er etwas am Geschehen nicht begreift, doch Komui fährt fort, bevor auch er Fragen stellen könnte. „Es hat nichts mit euch zu tun“, sucht er nach Worten. „Das ist meine Angelegenheit. Wenn ihr uns jetzt bitte entschuldigen würdet.“ Wir täten ihm wohl einen Gefallen, wenn wir uns sofort umdrehen und den Raum verlassen würden, doch natürlich zögern wir und lassen eine erneute Stille entstehen. Weitere Worte zu finden, scheint Komui schwer zu fallen, also bleibt es bei einem Nicken, einem erwartungsvollen Blick. Neben uns reibt sich River die Wange. Es ist unangenehm. Alles an dieser Situation und mit anhaltendem Zögern zeigt auch Lavi sich unwillig. Was Komui betrifft, betrifft fast ausschließlich auch uns und nicht zuletzt seine Anspannung bringt den Beweis. Es handelt sich um etwas, das wir nicht erfahren sollen und dabei weiß er doch, wieviel wir ertragen. Wie viele Wahrheiten nahmen wir auf uns, mit wie vielen grausamen Tatsachen lernten wir umzugehen und nun schickt er uns fort. „Später?“, frage ich, Komui und seine Reaktion mit meinen Augen zersetzend. „Vielleicht“, sagt er nur. „Wir werden sehen. Kümmert euch nicht darum. Macht euch einen schönen Abend.“ Noch immer starre ich ihn an, als würde sich die Wahrheit dadurch offenbaren. Doch sie bleibt unsichtbar, nicht zu greifen und kurz darauf setzt sich mein Körper wirklich in Bewegung. Ich wende mich ab, mustere ihn ein letztes Mal, forschend, suchend, und kapituliere. Aus welchem Grund auch immer, vor mir wurde eine Mauer gezogen, gegen die ich nicht ankomme. Also erlöse ich Komui vom Bohren und Fixieren und auch Lavi akzeptiert die Sackgasse. Vielleicht ist das, was Komui sagt, das Richtige. Vielleicht kann er diese Entscheidung in dem Moment besser treffen als wir. Ich rümpfe die Nase, blicke flüchtig und beiläufig auf den Schreibtisch und nicht einen Schritt bin ich gegangen, da halte ich inne. Die Landkarte fällt kaum auf zwischen dem Chaos, das auf Komuis Tisch herrscht, doch wie ein erbarmungsloser Wink stach sie hervor. Die rote Markierung lässt den winzigen Namen an Größe gewinnen und fast stößt Lavi gegen mich, als ich mich abrupt umdrehe, an River vorbei lehne und auf die Karte starre. Sie liegt dort, als wäre sie gerade von Bedeutung. Entrüstet finden meine Augen von ihr zu Komui und verfolgen, wie er sich zermürbt das Gesicht reibt. Wir scheint er den Zufall zu verfluchen und wie auch die eine Sekunde, die es gebraucht hätte, die Karte unter anderen Papieren zu begraben. Ich spüre, wie mein Gesicht an Farbe verliert, bevor meine Hand auf die Karte niedergeht. „Bingen“, bringe ich hervor und höre Komuis erschöpftes Ächzen. „Komui, handelt es sich um Bingen?“ Er schüttelt den Kopf. Nicht, um zu verneinen, sondern um zu kapitulieren. Lügen wären von nun an sinnlos und liegen ihm ohnehin nicht besonders, da er ein zu guter Mensch ist. „Allen“, seufzt er und sinkt gegen die Rückenlehne. „Ich will es wissen. Was ist in Bingen passiert?“ Dumpf und schwer schlägt das Herz in meiner Brust. Meine Finger bewegen sich über das dünne Papier, kriechen in sich zusammen, bis ich die Hand zur Faust balle und Komui mich ansieht, beinahe flehend. „Du willst es wissen“, antwortet er letztendlich, um mir noch eine Möglichkeit zu schenken, doch ich nicke sofort und weiß selbst nicht, ob es tatsächlich richtig ist. Schmerzen nahm ich in meinem Leben schon immer recht spontan auf mich und auch diesmal kann ich mich nicht abwenden, obwohl ich das Unglück kommen sehe. Unter einem geräuschvollen Ausatmen rutscht Komui im Stuhl tiefer. Abermals finden seine Finger zum Gesicht und in den nächsten Momenten reibt er sich nur die Augen. Leise raschelt das Papier, als ich die Faust lockere, mich einfach nur unentschlossen rege, indessen jedes Blinzeln vergessend oder Lavis Anwesenheit. Es spielt keine Rolle in diesem Augenblick. Nicht die geringste. Komui schürzt die Lippen, als wären sie noch nicht bereit, die Worte passieren zu lassen. Er ringt mit sich, kämpft mit dem Unabwendbaren und letztendlich gelingt es ihm nicht, mir in die Augen zu sehen. „Alle Menschen in Bingen sind tot, Allen.“ Seine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern. „Sie haben rituellen Selbstmord begangen.“ -tbc- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)