Last verse of dawn von abgemeldet ================================================================================ Prolog: -------- Zuweilen spürte ich, wie sie inmitten der Rastlosigkeit der Welt zu mir fanden. Seine Augen, noch immer die tiefen, schwarzen Seen, in denen ich damals mein Spiegelbild erkannte. Das verlogene und falsche, das, stets lächelnd, all den Leichtgläubigen begegnete. Und während sie das mitunter hilflose Lächeln zugetan erwiderten, las ich in seinen schwarzen Pupillen die Wahrheit über mich. Wenn er mich ansah, ob flüchtig oder vertieft, dann wusste ich, dass meine Hülle belanglos war und meine Wirklichkeit sich in einem Nebel zu offenbaren schien, den nur er erkannte. Bemerkte er mich in einer Gruppe, scherzend inmitten des warmen Brodem aus Respekt und Zuneigung, so erkannte er doch die Momente, in denen ich nicht umhin kam, dennoch vor Einsamkeit zu vergehen. Hörte er mein Lachen, schien meine verbitterte, innere Stimme nicht minder laut in sein Bewusstsein zu dringen und wie oft nahm ich selbst seine Regung wahr, wenn ich Worte über die Lippen brachte, die nicht meiner Meinung entsprachen sondern der Notwendigkeit. Ich wusste nicht, wann er dieses Wissen über mich erlangt hatte. Vermutlich im Lauf der Zeit, in der wir uns näher waren, als für fremde Augen ersichtlich. Vermutlich tat er es durch die verborgene Aufmerksamkeit, die er schon immer besaß und die Gabe, unpassend erscheinende Puzzleteile zumindest nahe zueinander zu legen. Er lüftete viele meiner Schleier, doch was auch immer er unter ihnen fand und welche Gewissheit sich auch daraus ergab, er beanspruchte jede Erkenntnis für sich. So erschuf er zwar das Bewusstsein in mir, viel von dem zu hören, was ich nicht sagte, doch niemals das Gefühl, Erwartungen an mich zu richten. Wenn er mich durchschaute, konnte ich es nur vermuten, da er es niemals in geradlinige Worte fasste. Und wie erschütternd waren die seltenen Momente, in denen er es nur andeutend tat. Beiläufige Bemerkungen, ob wir nun alleine waren oder inmitten von vertrauten Menschen. Stets waren es doppelsinnige Ausdrücke, die für fremde Ohren nicht bedeutungsvoll klangen, doch mich innerlich erstarren ließen. Im Rahmen banaler Debatten führten wir oft ein eigenes Gespräch mit nur zu vermutenden Blicken, durchdachten Worten und Hinweisen, die nur wir verstanden. Zu dieser Form der Verständigung war es schnell gekommen, ohne dass wir uns zu einigen hatten. Und wie meisterhaft kommunizierten wir und mieden indessen jedes Wort. Ich erinnerte mich oft an die Zeit, in der sein Bildnis aus der Ferne der Kameradschaft näher rückte. Nach Monaten, die wir auf dem gemeinsamen Weg verbrachten, öffnete ich die Augen und erkannte perplex den verspielten Hauch einer verborgenen, abgrundtiefen Persönlichkeit. Wie bedacht folgte ihm mein Blick von da an. Wie heilig und fragil war jede Betrachtung und nur wenige meiner Erinnerungen waren so scharf wie das Bild des jungen Mannes, der das entweihte Grab umsorgte und sich demutsvoll hinab neigte. Deutliche Umrisse spiegelten die Abgeschiedenheit wieder, in der er sich diese Gesten gestattete und glaubte, dabei alleine zu sein. Er ahnte nicht, dass er beobachtet wurde und auch später geschah so viel ohne sein Wissen. Wie sicher fühlte ich mich im toten Winkel seiner Achtsamkeit, wie geschützt im verbotenen Bereich, an den niemand einen Gedanken verschwendete. Wie viele Hürden umging ich, ohne sie in Frage zu stellen, mich ihm nähernd wie ein Raubtier und letztendlich eine Grenze überschreitend, die mir jeden Fluchtweg verbaute. Nur selten fühlte ich mich so lebendig wie in dem Moment, als ich mir nahm, wonach ich zu diesem Zeitpunkt bereits ausgehungert gierte. Als ich ihn berührte, erforschte, den bitteren Geschmack meiner Selbstsucht nicht wahrnehmend. Ich bewegte mich ebenso blind, wie er es damals war, rührte nicht an seinen Fesseln, ließ ihn frieren und was auch immer daraufhin folgte, mein fixierter Verstand war nicht in der Lage, das Gefühl von Reue zu entsenden. Nicht einmal durch das gegenwärtige Bewusstsein, dass ich es war, der ihn erweckte, ihm die Augen öffnete und sich vor ihnen als stumpfer Widerspruch offenbarte. Was er möglicherweise stets ahnte, bestätigte ich arglos und unumstößlich. Der Junge, der einst das Hauptquartier betrat und als freundlich, heiter und zugänglich galt, der nicht widersprach und schlimmstenfalls ein verhaltenes Lächeln zeigte, ansonsten loyal, selbstlos und stets im Dienst des Guten. Die Gegenwart dieses Jungen verblasste nach knapp einem Jahr unter dem wissenden Blick der annähernd schwarzen Augen. Und kaum war er fort, da manifestierte sich im Dunkel der zurückgebliebenen Leere ein neuer Mitstreiter. Dem anderen äußerlich ähnlich, doch innerlich unvergleichbar mit der jungen Unschuld. Der neue Kamerad war nicht wortkarg, doch lebte noch intensiver in seinen Gedanken. In den Genuss seines natürlichen Wohlwollens kamen nur die Vertrautesten und selbst diese unterlagen zuweilen einem Kalkül aus Herzlichkeit und milden Worten. Seine Heiterkeit bestand teils aus ehrlicher Zufriedenheit, doch überwiegend aus der Entlastung, der eiskalten Klaue der Vergangenheit eine Nacht lang entronnen zu sein. Er war glücklich, wenn die schwarze Traumgestalt ihn nicht erstickte und die Schatten nur Schatten blieben. Sein restlicher Frohsinn war ein Schutzwall, auf dass es keinen Anlass für besorgte Fragen gab. Loyalität spürte er gegenüber seinen Freunden, doch am loyalsten folgte er dem eigenen Überleben und der Suche nach der Rechtfertigung für seine Existenz. Und er war nicht selbstlos, denn mehr als sich selbst besaß er lange Zeit nicht. Es war ein Mensch, der lange im Verborgenen lebte, durch einen ungewohnt humanen Zug die Freiheit gewann und sich von da nicht mehr zurückziehen konnte. Also blieb er gegenwärtig, doch sichtbar nur für die schwarzen Augen. Bisweilen war es furchterregend, wie rasch sie mich erfassten, doch kein einziges Mal verfluchte ich das Schicksal, das ich wählte. Der Junge, der den Anfang machte, wäre nie imstande gewesen, das spärliche Interesse, das Yu Kanda der Welt schenkte, auf sich zu ziehen und dort zu bannen. Zur richtigen Zeit hätte er die falsche Wahl getroffen und wäre er nicht an seiner Gutgläubigkeit zugrunde gegangen, so wäre die Guillotine durch seinen Großmut gefallen. Der Weg, den das gewitzte Leben uns zugespielt hatte, war dunkel. Nur langsam tasteten wir uns bisweilen voran, stolperten über Hindernisse, setzten einen Fuß vorsichtig vor den anderen und wie oft gingen wir endlos und blind geradeaus, ohne den anderen zu erreichen. Doch keiner von uns hätte jemals inne gehalten, um sich nach Abzweigungen umzuschauen. Er schätzte meine verborgene Dunkelheit und ich sein verborgenes Licht. ~tbc~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)