Rot wie Blut von abgemeldet (Die Legende der Shichinintai) ================================================================================ Kapitel 1: Es war einmal in Edo... ---------------------------------- Bankotsu war bei ganz grässlicher Laune. Sein Geldvorrat neigte sich dem Ende und der Sold, den die Leute bereit waren in diesen unruhigen Zeiten zu zahlen, war ernüchternd gering. Sicher. Er hätte sich dem Heer verpflichten können, nach den Jahren des Krieges, die ihre Opfer gefordert hatten, war man um jeden Mann dankbar. Aber dem stand eine entscheidende Sache im Wege, nämlich die, dass Bankotsu ein ernsthaftes Problem mit Autorität hatte. Er war jemand, der delegieren konnte, aber niemand, der Befehle annehmen wollte. Er hatte es versucht, wirklich ernsthaft versucht und es nach wenigen Wochen aufgegeben. Das lag ihm nicht. Er fühlte sich zu Höherem berufen. Als namenloser Soldat in einem Massengrab enden, das war etwas für Männer, die nichts vom Leben zu erwarten hatten. Nicht wie er, er hatte Pläne. Große Pläne. Aus diesem Grund war er auch hier nach Edo gekommen. Edo war neben Kyōtō die größte Stadt des Landes, die Wahrscheinlichkeit, hier auf einen gut betuchten Auftraggeber zu stoßen, dementsprechend hoch. Da er noch keinen allzu genauen Plan hatte, wollte sich erst einmal eine billige Bleibe für die nächsten zwei, drei Tage suchen. Er mochte es nur ungerne zugeben, aber er sehnte sich mal wieder nach einem richtigen Bett. Die letzten Tage war er beinahe durchmarschiert und hatte meist unter freiem Himmel genächtigt oder in der Scheune eines Bauern, wenn es sich ergeben hatte. Und der Marsch und das feuchtkalte Wetter der letzten Tage saßen ihm in den Knochen. Die Händler hatten, wie er wusste, strikte Auflagen, wie und wo sie ihre Stände aufzubauen hatten. Hier hatte alles seine Ordnung, seinen fest angestammten Platz. Im Vorbeigehen glitt Bankotsus Blick interessiert über die Stände. Reishändler waren hier wohl am zahlreichsten vertreten und versuchten gewohnheitsgemäß sich gegenseitig im Preis zu unterbieten, indem sie unentwegt Angebote in die Menge brüllten. Bei den Obst- und Gemüsehändlern war es nicht anders. An die Lautstärke würde er sich wohl erst wieder gewöhnen müssen. Sein Blick fiel auf ein paar tiefrote Äpfel, die ein Obsthändler hübsch auf seinem Tisch drapiert hatte und bei deren Anblick machte sich Bankotsus Magen bemerkbar – wann hatte er eigentlich das letzte Mal gegessen? Nach kurzem Zaudern, denn Bankotsu hielt sein Geld so gut es ging, zusammen, gab er der inneren Gier schließlich nach und kaufte dem Händler billig zwei Äpfel ab. Für eine richtige Mahlzeit musste er sich wohl gedulden bis er eine Herberge fand. Ein Unterfangen, das sich als gar nicht so einfach herausstellte, denn entweder waren alle Zimmer belegt oder unbezahlbar wie er nach einigen Stunden ernüchternd feststellte. „Verzeiht“, sprach er schließlich einen vorbeigehenden Mann an, welcher stehen blieb und ihn neugierig ansah. Dabei blieb der Blick an der ungewöhnlich großen Waffe hängen, „Könnt Ihr mir sagen, wo ich ein bezahlbares Zimmer finde für die Nacht? Bisher hatte ich kein Glück und ich kenne diese Stadt nicht.“ Der Mann blickte einen Moment nachdenklich drein und erwiderte dann: „Da habt Ihr Euch eine ungünstige Zeit gesucht. Sicherlich habt Ihr bereits bemerkt, dass Wochenmarkt ist, da wird alles von den Händlern belegt, die von weiter her kommen.“ Als Bankotsu daraufhin einen etwas unglücklichen Eindruck machte, schien der Mann wohl irgendwie Mitleid zu bekommen und fügte zögerlich hinzu: „Nun, allerdings könntet Ihr es noch im Hanamachi-Viertel versuchen. Die meisten Hurenwirte vermieten auch Zimmer. Bitte verzeiht, Herr, aber ich muss weiter. Etwa zehn Straßen weiter in dieser Richtung beginnt das Viertel, Ihr könnt es gar nicht verfehlen.“ Damit deutete er in eine bestimmte Richtung und ließ Bankotsu schließlich stehen. Das *Hanamachi Viertel. Bankotsu konnte sich wirklich angenehmere Orte vorstellen, allerdings waren die Zimmer, die in diesen Vierteln vermietet wurden, tatsächlich meist sehr billig. Man musste jedoch höllisch aufpassen, nicht bestohlen zu werden, da sich eben auch entsprechendes Klientel dort herumtrieb. Am besten war es eigentlich, wenn man unauffällig und wenig wohlhabend wirkte, dann ließen einen die Oiran meist in Ruhe.  Dummerweise nur fiel Bankotsu alleine schon wegen Banryu auf wie ein bunter Hund, sodass es auch nicht lange dauerte bis sich ihm eine der Damen näherte. „Seid gegrüßt, mein Herr“, gurrte sie und ihm schlug der erdrückende Geruch von viel zu schwerem Parfum entgegen, „darf ich Euch heute einladen? Ihr seht müde aus – ich werde Euch einige angenehme Stunden bescheren.“ Bankotsus Blick blieb einen Moment an ihrem billigen Kimono hängen, welcher so unanständig drapiert war, dass man die Ansätze der Brüste sehen konnte. Er wurde leicht rot um die Nasenspitze und schob die Frau dann grober als nötig zur Seite, „Kein Interesse.“ „Ihr wisst gar nicht, was Euch entgeht!“, versuchte sie es noch einmal. „Damit kann ich leben, danke“, knurrte der junge Mann. Die Hurenhäuser reihten sich immer enger aneinander, je näher er dem Zentrum des Hanamachi Viertels kam. Er blieb einen Moment stehen und sah sich etwas unschlüssig um. Wen konnte er jetzt fragen, ohne gleich wieder angemacht zu werden? Plötzlich drang von irgendwoher Musik an sein Ohr; Jemand spielte eine Shamisen und eine Frau sang dazu mit voller, klarer Stimme. Der junge Mann musste sich nicht lange umsehen, um die Quelle des Gesangs zu lokalisieren. „Liebe Herren, kommt in Oneesamas Haus, genießt die schönen Mädchen – und auch die Knaben, wenn Euch danach ist!“, erklang eine schöne, fröhliche Frauenstimme. Als Bankotsu ein paar Schritte näher trat, konnte er erkennen, dass die Stimme zu einer jungen Frau gehörte, mit einem Gesicht wie die aufgehende Sonne, immer ein Lächeln oder Lachen übrig für die Männer, die um sie herumstanden.  „Bei Oneesama gibt es Musik, Tanz und Sake – für jeden Geschmack ist etwas dabei, kommt Ihr Herren, lasst Euch verwöhnen, bei Oneesama geht es euch gut! Gleich dort vorne, das schönste Haus der Straße“, fügte sie kichernd hinzu, was ihr ein paar gefällige Lacher einbrachte. Das Mädchen zog mit ihrer vogelsgleichen, lieblichen Stimme die Aufmerksamkeit auf sich, während eine ihrer Gefährtinnen die Shamisen spielte,die Bankotsu gehört hatte, während zwei andere mit den Männern schäkerten, um sie in das Haus zu locken. Bankotsu musste wohl ziemlich gestarrt haben, denn er zuckte zusammen, als plötzlich eine der jungen Damen direkt vor ihm stand. „Junge, schöne Burschen wie Euch sehen wir am Liebsten bei Oneesama“, sagte das Mädchen mit einem verschmitzten Augenzwinkern, „Nur keine falsche Scheu“, dabei wagte sie sich sogar so keck vor, ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken – Bankotsu spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg, während ein paar Männer in kumpelhaftem Spott über ihn lachten und Bankotsu sah zu, dass er Land gewann. Er musste sich hier doch nicht zum Affen machen lassen. Allerdings wirkte das Haus, auf das das Mädchen vorhin gedeutet hatte, wirklich mit am einladendsten hier in der Straße und er war müde und bekam langsam schlechte Laune, also beschloss er, es einfach mal zu versuchen.   ~*~ Als Makoto am frühen Nachmittag erwachte, fühlte er Schwermut. Er träumte seit einiger Zeit schlecht. Dieser Traum. Immer wieder dieser Traum. Der Traum aus einem anderen Leben. Ein Leben, das für Makoto vorüber war. Ein lautloses Seufzen drang über die Lippen, an denen noch Spuren von roter Lippenfarbe klebten. Die gestrige Nacht war sehr viel zu tun gewesen. Makoto hatte beinahe einen Freier nach dem anderen empfangen. Mittlerweile hatte sich der Ruf seiner legendären Künste zwischen den Laken schon in der ganzen Stadt herumgesprochen. Und er stand kurz davor, den Status zu erlangen, sich die Freier aussuchen zu dürfen. Sogar ein ehemaliger Samurai suchte ihn seit einiger Zeit sehr regelmäßig auf. Matsumoto hieß er. Die Träume hatten angefangen, seit Matsumoto zu ihm kam. Makoto räkelte sich träge und stemmte sich dann in die Höhe, um nach dem tönernen Wasserkrug zu greifen, woraus er sich Wasser in eine Trinkschale goss. Es schmeckte schal. Natsue und die einige der anderen Mädchen waren wohl inzwischen schon längst draußen wie jeden Sonnabend, um neue Freier anzulocken. Freitag und Sonnabend war immer am meisten los. Oneesamas Haus war ein mittelwertiges Freudenhaus mit einem sehr guten Ruf. Die Oneesama selbst war eine sehr strenge, harte Frau mit mehr Knochen und Beulen als Menschlichkeit am Körper, und wenn man nicht gehorsam war, griff sie schnell zur Peitsche. Allerdings konnte sich auch, wer einmal bei ihr aufgenommen war, sicher fühlen. Denn eine Sache duldete Oneesama in ihrem Haus ganz und gar nicht. Wenn ein Freier brutal zu einem ihrer Vögelchen war, so wurde er dezent des Hauses verwiesen. Und da konnte es sich um den Kaiser von Japan handeln. Der junge Mann streckte sich. In weniger als drei Stunden war sein Arbeitsbeginn. Genug Zeit, um noch einmal ausgiebig zu baden. Normalerweise verabscheute er nichts mehr, als verklebt von Lustsaft und Schweiß ins Bett zu gehen, doch die letzte Nacht hatte ihn mehr verausgabt, als er es für möglich gehalten hätte. Nachdem er einen der Hausdiener damit beauftragt hatte, einen Badezuber zu richten, stand er schließlich auf und ging langsam zum Fenster. Woher kam nur plötzlich dieses Fernweh? Das hatte er doch nie gehabt. Das einzige, was er sich immer gewünscht hatte, war ein Platz gewesen, an dem er zuhause sein konnte. An dem er nicht fror, nicht hungern musste und ein Bett hatte, in dem er schlafen konnte. Unten auf dem Vorplatz standen ein paar Männer und beobachteten unter Gelächter, wie einer ihrer Kameraden betrunken von einem der Hauswächter hinausgeworfen wurde. Makoto schüttelte mit einem schwachen Lächeln den Kopf, als einer der unten stehenden ihn bemerkte. Er schirmte die Augen kurz vor der Sonne ab und als er Makoto zu erkennen schien, pfiff er obszön mit Daumen- und Zeigefinger im Mund zu ihm hoch und winkte dann fröhlich. Makoto winkte kokett zurück und schickte dem Mann schließlich noch einen Luftkuss hinterher, was diesem anerkennende Pfiffe und ein paar Eifersüchteleien von seinen Kameraden einbrachte, ehe er sich schließlich vom Fenster abwandte. Das war das Leben, das er sich selbst ausgesucht hatte. Oder dem er sich gefügt hatte. Er war nun inzwischen schon fünf Jahre hier und nach nicht einmal einem halben Jahr war er der bestverdienendste Freudenknabe hier geworden. Denn er verkörperte all das, was ein Herr, der Knaben lieb hatte, mochte. Er war von schlanker, androgyn bis leicht fraulich wirkender Gestalt, hatte blasse, makellose Haut und so tiefschwarze große Augen, die irgendwie immer ein wenig schimmerten, dass man darin versinken mochte. Im Grunde liebte er es, mit Männern zu schäkern, er liebte es, wie sie auf ihn anbissen und ihm erlagen, wie sie sich hungrig über ihn hermachten und dennoch er es war, der sie während dieser ganzen Zeit kontrollierte. Er liebte es, wie sie ihm heimlich Geschenke mitbrachten und er liebte es auch, wenn es hin und wieder vorkam, dass es ein wenig laut wurde, weil man sich nicht einigen konnte, wer ihm nun zuerst beiwohnen durfte. Mit einem leisen, wohligen Seufzen ließ er sich später in das heiße Wasser gleiten, wobei er die Augen ein wenig schloss. Das Bad weckte seine Lebensgeister wieder. Aber trotz, dass er all das liebte, dass er sich an dieses Leben gewöhnt hatte und das Beste daraus machte. Trotz allem war es ihm manchmal, als fehlte ihm etwas. Denn da gab es auch Momente und es gab vor allem Männer wie Matsumoto, die ihn in die Realität holten. Matsumoto verehrte ihn, wie viele andere, ja. Aber er wollte ihn nicht erobern, er wollte ihn beherrschen. Das letzte Mal war er beinahe sogar brutal gewesen. Makoto hatte ihm dafür eins mit einer Geta über den Kopf gezogen. Der Mann hatte sich ihm daraufhin unter Tränen zu Füßen geworfen, hatte ihm die Füße geküsst und ihn angefleht, Sein zu werden, mit ihm zu kommen, nur ihm zu gehören. Makoto hatte gemerkt, dass er im Zweifelsfall gegen Matsumoto nicht ankam. Und plötzlich, da fiel ihm noch etwas anderes auf. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, frei zu sein.   ~*~ Es war laut hier, laut und muffig und obszön, aber auf eine ganz eigene merkwürdige Weise war die Atmosphäre fast sogar gemütlich. Im Gastraum servierten die Oiran Sake und hatten die Aufgabe, die Männer zum Trinken zu animieren und während sie das taten, hatten die Männer genug Gelegenheit, sich eine Dame für die Nacht auszusuchen, mit der sie dann auf eines der Zimmer verschwanden. Bankotsu hatte sich einen Tisch in einer Ecke des Raumes genommen. Er mochte es nicht, nicht zu wissen, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Bald erblickte er das Mädchen mit dem Sonnengesicht, um das sich gleich mehrere Männer geschart hatten. Sie war äußerst aufreizend. Nicht gerade nach Bankotsus Geschmack. Es war nicht so als zöge er die stille Sittsamkeit vor, zu der die Mädchen der heutigen Zeit herangezogen wurden, er dachte an seine Schwestern und wie wenig er als Knabe immer mit ihnen hatte anfangen können. Vermutlich musste die Frau, die Bankotsu gefiel erst noch geboren werden. Zwei Oiran spielten die Shamisen, eine sang mit einer klaren hellen Stimme dazu, während drei Mädchen aufreizend tanzten. Sein Blick ruhte einen Moment gedankenverloren auf den Tänzerinnen – und als er ihn später mehr zufällig wieder hob fiel er prompt auf eine Oiran, die soeben den Raum betreten hatte. Eine ausgesprochen schöne Oiran, wie er im Stillen zugeben musste und scheinbar war er nicht der einzige mit diesem Gedankengang, denn als sie durch den Schankraum schritt, blieb der ein oder andere Blick an ihr hängen. Sie trug einen Kimono, der auffallend kostbar wirkte für eine einfache Oiran in einem mittelständischen Freudenhaus, mit einer Schleppe, ähnlich derer der Geisha**. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Schleppe bei dieser Oiran nachlässig auf dem Boden schleifte. Der Kimono selbst war von einem zarten Kirschblütenrosa, an Ärmeln und Saum war die Färbung etwas kräftiger und goldene Umrisse von Lotusblüten waren aufgemalt. Der Obi war, wie bei allen Oiran vorne gebunden und das linke Bein war bis zur Mitte des Oberschenkels nackt, da der Saum geschickt gerafft am Obi befestigt war. Die Haut hatte die Farbe von Porzellan und das Haar war mit einfachen Handgriffen hochgesteckt und mit einer silbernen Spange verziert worden. Ebenholz, dachte Bankotsu hingerissen. Es schimmerte wie feuchtes Ebenholz. Sie ging mit langsamen Schritten durch den Raum und hatte den Blick dabei nahezu keusch gesenkt, doch Bankotsu war sich ziemlich sicher, dass sie genau wusste, wie sehr die Blicke der Männer an ihr klebten. Er hätte so gerne ihre Augen gesehen. Doch dieser Wunsch wurde ihm nicht gewährt, da in diesem Moment eine kleine Gruppe Männer in sein Blickfeld trat und ihm somit die Sicht versperrte. Bankotsu stöhnte genervt auf und wäre beinahe zusammengezuckt, als ihn eines der Mädchen ansprach, ob sie ihm denn Sake nachschenken sollte. Bankotsu winkte ungeduldig ab, da er wenig Lust verspürte, dass sie das als Einladung sehen würde, sich zu ihm zu setzen. Als die Männer sich langsam wieder wegbewegt hatten, war die Oiran verschwunden. Suchend sah sich Bankotsu im Raum um. Warum gerade die sein Interesse geweckt hatte, wusste er nicht – er hatte sich nie übermäßig viel aus der Schönheit von Frauen gemacht, ihm war nur wichtig, dass sie sauber waren und dann feucht zwischen den Schenkeln wurden, wenn es darauf ankam. Allerdings sollte ihm das Glück diesen Abend noch hold sein, dann keine zehn Minuten später sah er sie, wie sie mit anmutigen Bewegungen einen Sakekrug trug. Bankotsu starrte sie so lange an, bis sie sich beobachtet fühlte und schließlich den Blick in seine Richtung wandte – aus dem lächerlichen Gedanken heraus, dass sie sonst jemand anders haben könnte, winkte er sie zu sich her. Aus irgendeinem Grund klopfte ihm das Herz bis zum Halse, als sie es tatsächlich tat und sich mit einer geschmeidigen Bewegung bei ihm nieder ließ, um ihm Sake einzuschenken. „Guten Abend, Herr“, sagte sie dabei und plötzlich fielen Bankotsu zweierlei Dinge auf. Erstens war sie erstaunlich groß für eine Frau. Und zweitens klang ihre Stimme zwar weich und hell aber nicht ganz und gar weiblich. „Seid gegrüßt“, erwiderte er etwas irritiert. War er etwa an einen Lustknaben geraten? Aber ein Mann konnte doch nie und nimmer so schön sein.Und warum zum Teufel hatte er sie überhaupt zu sich gewinkt? Er hatte weder vor, die Dienste einer Oiran in Anspruch zu nehmen, noch überhaupt irgendwelche Gesellschaft zu suchen. „Nennt Ihr mir Euren Namen, schöner Mann? Ich habe Euch noch nie hier gesehen.“ „Bankotsu.“ Dabei kniff er die Augen zusammen. Er konnte einfach nicht deuten, welchem Geschlecht diese Oiran angehörte. „Und der Eure?“ „Man nennt mich Makoto, Herr.“ Na fabelhaft. Das war ein Männer- und ein Frauenname. Raffiniert. War er bewusst so gewählt worden, oder war es der richtige Name? „Ihr wirkt so, als bedrücke Euch etwas.“ Sie schien eine gute Beobachterin zu sein. Bankotsu rümpfte die Nase und hob dann sein Sakeschälchen um es in einem Zug leer zu trinken. „Und wenn es so wäre?“ Sie legte ihre zarte Hand auf seinen Unterarm und er verlor sich einen Moment in den schwarzen Augen. „Ich könnte Euch vielleicht aus Eurer Schwermut erretten … in nur einer einzigen Stunde …“ Bankotsus Lippen kräuselten sich. Er spürte plötzlich ein leichtes Ziehen in den Lenden. „Wie viel willst du? Weißt du, ich bin kein reicher Mann und du wirkst nicht wie eines von den billigen Flittchen, die ich hier sehe.“ Sie musste plötzlich lachen und ein angenehmer Schauer rieselte Bankotsu über den Rücken bis in die Lenden herab. „Für jede Stunde 10 Ryō***. Und wenn Ihr ein besonders guter Liebhaber seid, dann dürft ihr es sogar ein bisschen länger auskosten.“ Sie schenkte ihm Sake nach und Bankotsus Blick fiel dabei auf ihr Dekolleté – das keines war. Keine Brust. Leichte Enttäuschung machte sich in ihm breit. Also doch ein Mann. Nicht, dass Bankotsu etwas gegen körperliche Liebe mit einem Mann gehabt hätte – viele einflussreiche Männer nahmen sich ganz offiziell einen männlichen Geliebten, weil das als höchst schick galt, aber er selbst konnte sich nicht vorstellen, dass es etwas Süßeres geben sollte, als die heiße, feuchte Enge einer Frau. „Ich fürchte, das übersteigt meinen Rahmen“, erwiderte Bankotsu und nippte an dem Sake „Außerdem bin ich an Knaben nicht interessiert.“ Das Lächeln blieb, doch Makotos Blick nahm einen deutlich kühleren, nein, fast schon eisigen Ausdruck an. „Wieso kommt Ihr dann hierher, wenn Ihr es Euch nicht leisten könnt?“ Es hatte herablassend geklungen. Glaubte dieser Kerl etwa, er war etwas Besseres? Bankotsu verengte die Augen und erwiderte gehässig: „Vielleicht, weil ich mich über lächerliche Männer in Frauenkleidern amüsieren möchte!“ „Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu sprechen!“, zischte der Mann, der gerade so gar nicht mehr fraulich wirkte in seiner Art. „Und überhaupt, wer seid Ihr eigentlich, dass-“ Bankotsu sollte nie erfahren, was Makoto hatte sagen wollen, da dieser plötzlich erstarrte. Er folgte seinem Blick und erkannte einen stämmigen, großen Mann mit verbissen wirkendem Gesicht und einer dicken wulstigen Narbe über der rechten Wange. Er trug die Kleidung eines Mannes, der sich eigentlich mehr leisten konnte, als das hier. Makoto schien ihn zu kennen und auf gewisse Weise zu fürchten. Bankotsu spürte so etwas. „He, wer ist das, hm?“, begehrte er zu wissen. Zunächst bekam er keine Antwort, doch dann packte Makoto ihn am Arm und zog ihn in die Höhe und mit sich mit. „Kommt mit!“ „W-was-?“ „Ich hab es mir anders überlegt, Ihr bekommt heute einen Sonderpreis!“, entgegnete der andere energisch und zerrte ihn quer durch den Gastraum bis hinüber zu der Tür, die in den Gang führte, in welchem die Zimmer waren, in dem die Oiran ihre Dienste verrichteten. Sie wurde stets bewacht von zwei muskulösen Eunuchen und niemand, der nicht in Begleitung einer Dame oder eines Lustknaben war, wurde durchgelassen. Bankotsus Einwand, dass er auch für einen Sonderpreis absolut kein Interesse hatte, diesem Mann beizuwohnen, blieb ungehört. Als er über die Schulter zurücksah, bemerkte er, wie sich der Blick des Mannes, vor dem Makoto zu fliehen schien in seine Richtung bohrte. Es war ein grausamer Blick und Bankotsu hatte irgendwie das Gefühl, dass er sich ohne eigenes Zutun gerade einen Feind geschaffen hatte. Es brauchte nämlich keinen hellen Kopf um zu erkennen, dass es sich hier um einen eifersüchtigen Liebhaber handelte. Wenig später schob Makoto die Türe hinter sich zu und lehnte sich aufatmend dagegen. Als er den Blick wieder hob, funkelten ihm zwei wütende blaue Augen entgegen. Es waren wirklich schöne blaue Augen, das musste man schon… „Kannst du mir mal verraten, was das eben sollte!?“, ereiferte sich Bankotsu. Makoto grinste flüchtig. „Nunja, du wolltest mich, jetzt hast du mich, ich bin eben ein netter M-“ „Klappe!“ Makoto zuckte zusammen und war augenblicklich still. „Du sagst mir jetzt, wer das ist, ich habe nämlich keine Lust zwischen die Fugen eines Eifersuchtsdramas zu geraten! Außerdem hab ich nie gesagt, dass ich dich will!“, war ihm irgendwie noch wichtig, deutlich zu machen. Makoto schwieg eine ganze Weile. Und dann sagte er etwas, was sogar ihn selbst überraschte, doch es kam aus dem tiefsten seiner Seele: „Wenn dieser Mann heute Nacht bei mir gelegen hätte, hätte ich ihm die Kehle aufgeschlitzt.“ Bankotsu prallte einen Moment zurück. So hart und so verbittert, das krasse Gegenteil zu der verspielten, lieblichen Stimme von vorhin. Irgendwie hatte ihm das gerade den Wind aus den Segeln genommen. Makoto ging zu dem großzügigen Futon, der im Raum lag und einen heimeligen Eindruck erweckte mit den Kissen, die überall darauf verteilt waren, und ließ sich darauf sinken. Mit einer einladenden, jedoch müden Handbewegung bedeutete er Bankotsu, es ihm gleich zu tun. Der kam dieser Aufforderung nur zögerlich nach. „Sein Name ist Matsumoto Hanzo. Er … ich…“ Makoto fehlten plötzlich die Worte. Matsumoto war manchmal grob, ein wenig besitzergreifend, ja, aber im Grunde hatte er ihm nie ein ernsthaftes Leid zugefügt (das hätte die Oneesama auch niemals zugelassen). Warum nur widerte ihn die Vorstellung plötzlich so an, unter diesem Mann zu liegen? Bankotsu hob beschwichtigend die Hand. „Schon gut.“ Es war seltsam. Sie hatten bisher über nichts Persönliches gesprochen. Und kannten sich seit vielleicht 20 Minuten. Und doch, jetzt, wo sie hier waren, in diesem Haus, in diesem Zimmer, mit den gedämpften Lustschreien anderer Menschen im Hintergrund, da fühlte sich Bankotsu das erste Mal seit langer Zeit wieder jemandem verbunden. Er blinzelte. Fühlte er sich wirklich verbunden, oder war es nur das verdrängte Verlangen von vorhin? Verdammt. „Bankotsu ist ein ungewöhnlicher Name“, sagte Makoto in die Stille hinein und griff nach einem Sakekrug um Bankotsu einzuschenken – nach kurzem Zögern setzte er selbst den ganzen Krug an die Lippen und trank ihn zur Hälfte leer. Plötzlich musste Bankotsu lachen. „Sieht aus, wie ein Weib und säuft wie ein echter Kerl, das gefällt mir.“ Es rang Makoto ein schwaches Lächeln ab. Das Lachen dieses Mannes war irgendwie angenehm. Aber jung war er. Jünger als er selbst. Fünfzehn, sechzehn Sommer höchstens. Ob er wohl schon erfahren war in Liebesdingen? Makoto ließ bei Bankotsu den Alkohol ein wenig wirken, ehe er sich geschickt vorwagte. „Ich habe meinen richtigen Namen vor langer Zeit abgelegt. In Eurem eigenen Interesse fragt nicht weiter nach.“ Makoto schien weiterhin neugierig, gab sich aber offenbar vorerst mit dieser Antwort zufrieden. „Sagt, Bankotsu … ein stattlicher junger Herr wie Ihr hat sicher schon eine Menge schöner Frauen gehabt…“ „Die ein oder andere…“ „Habt Ihr es auch schon mit einem Knaben getan?“ „Wieso fragt Ihr mich das?“ Bankotsus helle Augen lagen auf der Gestalt des anderen. „Nun … ich dachte daran, Euch vielleicht ein bisschen für die Zeit hier zu entschädigen. Immerhin habt Ihr mir einen Gefallen getan. Ich würde auch Euch gerne einen tun. Dabei suchte sich eine geschickte Hand den Weg in Bankotsus Beinkleider – dieser keuchte überrascht auf, wobei ihm die Röte in die Wangen stieg. Sein erster Impuls war, die Hand zu ergreifen und sie von sich zu ziehen, doch er konnte nicht. Er war wie gebannt von den roten Lippen und den glänzenden Augen und von diesen seltsamen körperlichen Gefühlen, die ihn übermannten, sodass er nicht anders konnte, als überfordert aufzustöhnen. Es dauerte nicht lange. Makoto wischte die Hand in einem weißen Tuch ab und verwickelte ihn weiter in ein Gespräch als sei gar nichts passiert, doch Bankotsu hörte nur mit halbem Ohr zu. Es war wohl das erste Mal in seinem Vagabundenleben, dass er plötzlich die Einsamkeit so deutlich spürte. Und das war sonderbar, denn Bankotsu umgab sich schon lange nicht mehr mit Menschen, wenn die Umstände es nicht zwingend notwendig machten. Und Makoto schien einsam zu sein, genau wie er.   ~*~ Ein gequälter Schrei drang durch die oberen Räume des Hauses, begleitet von dem charakteristischen Zischen einer kurzen, festen Peitsche. Und alle, die es hörten, waren froh, dass sie nicht diejenigen waren, die von Oneesama bestraft wurden. Keine Häme, keine Schadenfreude, denn die Knute der Bordellmutter war eisern. Makoto krümmte sich zitternd unter den Hieben Oneesamas zusammen – ein Bild, das schon allein wegen des Größenunterschiedes grotesker nicht hätte anmuten können. Sein Rücken glänzte inzwischen von roten Striemen und sie würde wohl erst aufhören kurz bevor die Haut aufplatzte, denn sie wollte keine beschädigte Ware. Ein weiterer Hieb sauste hernieder und Makoto stieß abermals einen leisen Schmerzensschrei aus. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht!?“, erklang die schnarrende Stimme dabei, „Nicht nur, dass du diesen Hänfling weit über die Zeit ohne den entsprechenden Sold bei dir hast liegen lassen, nein, du hast auch noch den Zorn Matsumoto-samas auf dich – und somit auf mein Haus gezogen!“ Die Hiebe erfolgten in einem routinierten Rhythmus und Makoto versuchte, seine eigenen Schreie in seiner Kehle zu ersticken. Denn die Alte schlug hart zu. Härter, als man einer so dürren, klapprigen Hand auf den ersten Blick zugestehen mochte. „Ist dir eigentlich das Ausmaß deiner Dummheit bewusst!? Gerade von dir hätte ich so ein Verhalten nicht erwartet! Wenn sich herumspricht, dass eine meiner Huren sich lieber von einem mittellosen Hänfling verführen lässt, wird kein gut betuchter Herr mehr hierher kommen.“ Makoto musste sich auf die Unterlippe beißen, weil ihm die Tränen in den Augen standen. Es war erniedrigend. Schlimmer als der Schmerz, der Gedanke, sich einer alten Frau zu Füßen werfen zu müssen. Ein plötzlicher Hass auf alle Frauen wallte in ihm auf, ein Hass, den er vor langer Zeit vergraben geglaubt hatte. „Das werd ich dir dreifach vom Lohn abziehen, ich hoffe, das ist dir eine Lehre! Und wenn du nicht so gut Schwänze lutschen könntest, würde ich dich hochkant hier herauswerfen!“ Drei Schläge noch, dann hielt die Alte inne. Makoto zitterte und heulte lautlos, doch er wagte es nicht, sich umzudrehen. Damit diese schreckliche Frau nicht sah, dass er sie fürchtete. Dass er ihr nichts entgegen zu setzen hatte, weil sie seine Herrin war. Noch während er sich keuchend wieder versuchte, zu sammeln sagte sie mitleidlos: „Matsumoto-sama war sehr ungehalten. Ich konnte ihn besänftigen, indem ich ihm versprochen habe, dass du nächsten Sonnabend zu ihm nachhause kommst. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund scheint er eine gewaltige Obsession für dich entwickelt zu haben. Trotz deiner gestrigen Respektlosigkeit.“ Makotos Kopf ruckte herum und er starrte die alte Frau an. In dem runzligen Gesicht war keine Spur von Mitgefühl zu erahnen. Ihre Augen starrten wütend auf ihn herab. Am liebsten hätte er sie angesprungen und ihr den dürren Hals umgedreht. Und es stand außer Frage, dass er in der Lage dazu war. Doch alles was er hervor brachte, war ein ersticktes: „Aber, Herrin-“ „Ich habe mich klar ausgedrückt“, unterbrach sie ihn scharf. „Und jetzt raus mit dir, ich will dich nicht mehr sehen.“ Es war ihr letztes Wort. Makoto raffte seinen Yukata zusammen; Der Stoff scheuerte schmerzhaft auf der wundgeprügelten Haut des Rückens. Und er sah sie nicht an, als er aus dem Zimmer schlich. Denn für die Wut in seinen Augen hätte sie ihm nur ein paar Hiebe mehr verpasst. Auf dem Gang kam ihm Natsue entgegen. Sie hatte wohl gelauscht. „Oh, Makoto, hat sie sehr fest zugeschlagen?“ Mitgefühl schwang in der hellen Jungmädchenstimme mit. „Lass mich in Ruhe.“ „Jetzt warte doch!“ „Was denn noch?“, murmelte er, ohne den Kopf zu heben. Sie ergriff zögerlich seine Hand und drückte sie kurz. „Ich hab ihn gesehen... Er war es wert.“ Nun sah er doch auf. Und innerlich berichtigte er sich. Er hasste alle Frauen, bis auf Natsue. Mit einem schwachen Lächeln erwiderte er den Druck ihrer Hand und ging dann ohne ein weiteres Wort zu verlieren.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)