This Love is a Lie von ElenaMorris ================================================================================ Kapitel 4: Trugbilder --------------------- Kapitel Vier – Trugbilder     Alexander   Raphaels letzte Schulwoche ist angebrochen. Ich habe in den letzten Wochen so viele Überstunden gemacht, dass ich mit ihm in den Ferien wegfahren kann. Ich hoffe er wird sich über diese Überraschung freuen, wenn er schon einen Tag mit unserem Erzeuger aushalten muss. Ich frage mich noch immer, wie er es geschafft hat für ihn das Besuchsrecht eingeräumt zu bekommen. Manche Mitarbeiter vom Jugendamt haben echt eine Meise. Ich merke wie die Laune von Raphael immer schlechter wird, er sich mehr und mehr zurückzieht. Es ist immer wieder aufs Neue so, wenn der Besuchstermin mit ihm näher rückt. Ich bin immer noch strickt dagegen, dass er Raphael überhaupt zu nahekommen kann nachdem, was er uns alles angetan hat. Ich versuchte allerdings die Gedanken erst einmal bei Seite zu schieben. Nach meiner Schicht ging ich noch einkaufen. Ich besorgte alle Zutaten für sein Lieblingsessen, in der Hoffnung es würde ihn etwas aufmuntern. Doch als ich danach endlich zu Hause ankam, bemerkte ich, dass die Wohnung leer war. Wo treibt er sich wieder herum? War er wieder bei seiner Freundin? Ich brachte die Einkäufe in die Küche und sah einen Zettel am Kühlschrank kleben. Jedenfalls hinterließ er mir heute mal eine Nachricht.   Hatte Streit mit meiner Tussi! Bin schlecht gelaunt, gehe raus um den Kopf frei zu bekommen! R.   Ein seufzten entwich meinen Lippen. Ich knüllte das Stück Papier zusammen und warf es in den Mülleimer. Ich weiß ganz genau, dass er mit gleichbleibender schlechter Laune nach Hause kommen wird, und da wird auch kein Kartoffelgratin der Welt etwas daran ändern können, dass er heute nochmal lächelt. Allerdings bereite ich dennoch alles für das Essen vor. Irgendwie musste ich mich von der ganzen Situation schließlich auch ablenken. Für mich war alles auch nicht sonderlich einfach. Seit fast zwei Jahren bin ich nun der Vormund für ihn. Als ich achtzehn geworden bin, bin ich sofort ausgezogen, hab mir mit einem Plan auch eine größere Wohnung genommen und hab alles in die Wege geleitet, damit Raphael auch endlich dieser Hölle entfliehen konnte. Ich finde es immer noch nicht richtig das mein kleiner Bruder die Therapie abgebrochen hat, er wollte allerdings um keinen Preis der Welt damit weiter machen. Zwingen kann ich ihn nicht, und so lange er damit einigeraßen klarkommt, muss ich es so hinnehmen.   Früher als gedacht betrat mein kleiner Bruder die Wohnung. Dafür das er sonst eigentlich noch aufgebraust sein müsste, war er relativ still für seine Verhältnisse, was mir wieder einmal Sorgen bereitete. Still kam er zu mir ins Wohnzimmer gekrochen und ließ sich auf die Couch fallen. Er wirkte so gedankenverloren wie lange nicht mehr.   „Raphael? Erde an Raphael? Ist jemand zu Hause?“ Ich winkte und schnipste etwas vor seinem Gesicht herum, ehe er mich wirklich realisierte.   „Oh. Sorry.“ Langsam schien die echte Welt ihn wieder zu erreichen.   „Es riecht nach Kartoffelgratin!“ Ich grinste breit und nickte.   „Dauert ungefähr noch zwanzig Minuten, dann kannst du reinhauen!“ Kurz fing er an zu strahlen, doch so schnell wie das Grinsen auf seinen Lippen erschien, verblasste es auch wieder.   „Was ist los? Hängt dir der Streit mit deiner Diva noch hinterher?“ Er schnaubte nur und winkte ab.   „Hör mir bloß auf mit der! Ich hätte ihr heute fast eine geknallt, so sauer war ich auf sie! Du kannst Gift darauf nehmen, morgen ist Schluss mit der ganzen Sache! Ich lasse mich nicht länger von dieser dämlichen Schlange einwickeln! Soll sie doch in der Hölle verrecken, oder so wie sie es am liebsten hat, zwischen den Beinen irgendeines Kerls mit dessen Schwanz in ihrem Mund!“ Er holte tief Luft. Hat sie ihn wohl mal wieder betrogen? Das wievielte Mal ist es dann? Ich glaube das vierte Mal. Warum er sich nicht nach dem ersten Mal schon von ihr getrennt hat, ist mir immer noch schleierhaft.   „Diese dämliche Hure! Soll sie zusehen wo sie bleibt! Sie hat endgültig verkackt! Was nimmt sie sich überhaupt heraus, vor mir ihren Freund, meinen besten Freund anzugaffen, ihn mit den Blicken auszuziehen und sich am liebsten wie eine willige Schlampe breitbeinig vor ihm hinzulegen!!“ Ich sah ihn verwirrt an. Haben sich Malek und Michelle nicht immer gehasst?   „Seit wann steht deine Freundin denn auf Malek?“ Mein kleiner Bruder hatte sich wohl so sehr in Rage geredet, dass ihm erst jetzt bewusst wurde, was er sagte. Sein Blick wurde etwas traurig, ebenso das Lächeln auf seinen Lippen.   „Niki. Er wohnt wieder hier. Er kam heute in unsere Klasse. Ich habe ihn nicht sofort erkannt, erst vorhin, als ich ihn auf dem Spielplatz nochmal begegnet bin. Trotzdem macht mich dieser Fakt einfach noch wütender und… Ah! Mein ganzer Kopf qualmt! Ich bin so unendlich verwirrt Alex!“ Nun kam ich gar nicht mehr hinterher. Lawrence ist wieder da? War das wieder, wie als Kind eines seiner Hirngespinste, damit er mit der Situation zurechtkam? Ein wenig skeptisch war ich schon, und das sah mir Raphael wohl an. Sein „Ich-Verarsch-Dich-Nicht“-Blick verriet es mir.   „Weißt du, fang doch einfach mal ganz von vorne an, damit ich irgendwie verstehe was du meinst.“ Natürlich bemerkte ich sein Augenrollen. Der kleine Spinner, wenn er nicht alles durcheinander erzählen würde, müsste ich auch nicht so blöd nachfragen.   „Wenn’s sein muss! Der Tag war heute so irre, dass glaubst du mir eh nicht. Also, heute Morgen bekamen wir einen neuen Schüler in unserer Klasse. Er kam aus Russland, ich dachte mir nichts dabei, ich habe nicht mal daran gedacht, dass dieser Kerl Niki sein könnte. Obwohl, hätte ich besser zu gehört, er hat nun mal einen eigenwilligen Namen, aber es hat nun mal im ersten Moment nichts bei mir geklingelt. Eigentlich wollte ich ihn auch die ganze Zeit wieder los werden, da ich nur meine Ruhe haben wollte. In der Pause, kam dann meine Schlampe von Freundin, hat ihn schon mit den Augen ausgezogen. Malek hatte deshalb mal wieder einer seiner Spitzen fallen lassen. Dann ist ein riesen Krach zwischen ihr und mir entstanden. Selbst nach der Schule, lief Michelle mir hinterher, wir schrien uns auf der Straße so viele Beleidigungen entgegen und ich bin halt nach Hause. Da ich aber immer noch so unfassbar wütend war, bin ich nochmal raus gegangen. Ich habe dann, warum auch immer, nochmal über den neuen Russen nachgedacht. Das er halt auch diese spezielle Augenfarbe besaß. Diese goldenen Augen. Du weißt wie selten die sind. Und dann saß er dort auf dem Spielplatz. Als ich dann noch sah, dass er unser Freundschaftsarmband in der Hand hielt, wusste ich es. Dieser Russe, war Niki!“   Ich muss sagen, er hat recht. Das klingt doch alles viel zu irre um wahr sein zu können. Aber ich glaube es war noch nicht das Ende dieser Geschichte. Mein kleiner Bruder unterbrach seinen Redeschwall der Gefühle und sah auf seine Hände. Ich ließ ihm die nötige Zeit um sich zu sammeln. Ich wusste, wenn ich ihn jetzt bedrängen würde, bekäme ich keine Antwort mehr von ihm. Nach mehreren Minuten, die sich bei der Story anfühlten wie Stunden, sprach er dann weiter. Seine Stimme klang fast weinerlich.   „Er will nichts mehr von mir wissen Alex. Er will unsere Freundschaft nicht mehr. Er sagte, da ich ihm nicht mal ein wenig vertraut und bekannt vorkam, so wie es bei ihm war, kann man nicht mehr von einer Freundschaft reden. Ich wollte ihn überzeugen, dass es ja auch irgendwie Schicksal ist, dass wir uns wiedersehen. Ich wollte… ich weiß nicht, ich glaube, ich wollte, dass er wieder ein Teil meines Lebens ist. Ich hatte es mir damals so unfassbar sehr gewünscht, jetzt wäre die Möglichkeit da, und er will nicht.“   Ich merke wie sehr es ihn trifft. Er und Lawrence waren damals unzertrennlich. Als er dann umgezogen ist, unsere Mutter abgehauen ist mit diesem Thailänder, unser „Vater“ uns misshandelt hat. Dort gab es eine Zeit, wo Raphaels Verstand komplett aussetzte und er sich Lawrence herbei fantasiert hat. Nur damit er der Realität entfliehen konnte. Ich verstehe ihn, ich verstehe ihn sehr gut. Er könnte nun, dass haben, was er sich damals vorstellte, nicht mehr alleine sein zu müssen. Ihn so kurz vor den Tränen zu sehen, zerbrach mich wieder. Ich rutschte an meinen kleinen Bruder heran, nahm ihn in den Arm und strich ihm behutsam durch sein Haar.   „Hey. Er ist heute nach so vielen Jahren erst wieder angekommen. Ich glaube, er braucht nur Zeit um mit der ganzen Veränderung fertig zu werden. Du kennst doch Lawrence besser als jeder andere Mensch. Er war doch immer etwas introvertiert. Er muss nur erstmal wieder richtig ankommen, und dann wird er sicher einsehen, dass er dich als seinen besten Freund auch wieder in seinem Leben braucht okay? Mach dir jetzt nicht so viele Gedanken. Du bist nur manchmal etwas zu stürmisch und zu harsch.“   Er kuschelte sich nur an mich, vergrub sein Gesicht an meiner Brust und weinte etwas. Er klammerte sich so fest an mich. Auch wenn er älter geworden ist, in ihm sah es genau so aus, wie vor einigen Jahren. Er war einfach ein zerbrochenes Kind. Deshalb wollte ich nie, dass er die Therapie abbricht. Diese seelischen Wunden wird er ein Leben lang mit sich hertragen und er hat nicht die sonderlich besten Menschenkenntnisse um irgendwie differenzieren zu können, wer gut und wer schlecht für ihn ist. Ich will ihn beschützen. Doch darf ich ihn nicht einschränken und somit einsperren. Es ist eine Teufelsspirale, in der ich mich befand.   „Weißt du noch damals Raphael? Wo wir zu viert alles unsicher gemacht haben? Du, Lawrence, Thomas und ich? Wir haben so viel Müll angestellt. Wie du und Lawrence immer die Sachen von Fredericke geklaut habt, als sie mit ihren Freundinnen am alten See baden war. Oder wie wir vier den einen Winter ein riesiges Iglu gebaut haben, da es so viel geschneit hatte.“   Diese alten Kamellen schienen ihn etwas aufzuheitern, ich hörte ein leises Lachen von seiner Seite aus. Er richtete sich auf und wischte sich die Tränen weg.   „Du und Thomas habt viel mehr scheiße gebaut. Wo wir dabei sind, hast du überhaupt mal wieder was von Thomas gehört?“   „Naja, von ihm persönlich nicht, nur den Buschfunk. Er soll wohl letztes Jahr ziemlich abgestürzt sein. Er war auf einer Entziehungskur gewesen, aber ganz clean soll er immer noch nicht sein.“   Mein kleiner Bruder schüttelt etwas den Kopf und stand vom Sofa auf.   „Es wird alles nie wieder so werden wie es mal war.“   Sachte nickte ich. Das war nun mal der Zahn der Zeit. Nichts blieb für immer, nichts war für die Ewigkeit. Alles ist vergänglich. Damit muss man leben lernen. Aber es fällt ihm sehr schwer eines dieser Dinge zu akzeptieren. Es passt nicht in seine Blase hinein, die ihm irgendwie half, dass alles zu überstehen. Um ihn von diesem Tag und von den Ereignissen abzulenken, holte ich den Auflauf aus dem Ofen, wir machten es uns vor dem Fernseher bequem, schauen uns alte Filme an. Ich weiß nicht weshalb, aber er stand total auf diese alten schwarz-weiß Schicken. Aber wenn es ihn für diesen Moment glücklich macht, habe ich damit auch kein Problem.     Viviane   „Michelle, war das heute nicht etwas zu unsensibel von dir gewesen?“ Ich saß auf meinem Bett, meine beste Freundin Michelle neben mir. Sachte trug ich mir den neuen Nagellack in Rosé auf. Ich liebte diesen Farbton, nur konnte ich ihn nicht so oft tragen wie ich es gerne hätte. Michelle meinte, ich sehe sonst zu sehr wie ein Püppchen aus, und das ich dann nicht mehr zu ihr und ihrem Image passen würde. Bisschen fies war es manchmal schon, doch sie ist meine beste Freundin, solche Neckereien gehören dazu, meinte sie. Auch wenn ich es oft so schrecklich fand was sie tat. Doch besaß ich nicht den Mut ihr das auch genau so zu sagen. Ich habe nur sie. Keiner aus meiner Klasse will wirklich etwas mit mir zu tun haben. Bevor ich mit Michelle befreundet war, war ich immer das arrogante Püppchen, die Streberin, die Schleimerin. Dank Michelle haben sie mich dann in Ruhe gelassen mit ihren Mobbing Attacken. Allein deshalb war ich ihr unendlich dankbar, dass ich es mir auch deshalb nicht mit ihr verscherzen sollte. Ich verstand nie warum andere so zu mir waren. Ich habe nur immer alles versucht richtig zu machen. Und doch war es immer irgendwie falsch, weshalb sie mich ausgestoßen haben. Doch dank Michelle und Raphael, und auch Malek, wagt keiner aus meiner Klasse mir einen dummen Spruch an den Kopf zu hauen. Dennoch finde ich es nicht gut was Michelle tat. Angeblich liebt sie ja Raphael, wieso betrügt sie ihn dann ständig? Oder eher, warum provoziert sie es immer so wie heute mit dem neuen Russen? Es war doch klar, dass Raphael sich das nicht ewig mit ansehen wird, und es auch noch mitmacht. Er tat mir so oft leid. Doch darf ich ihm ja nicht mal Trost dafür spenden, was Michelle ihm antut. Als ich es einmal tat, Gott, wie Michelle dort ausgerastet ist. Für diesen einen Moment habe ich mir meine Mobber aus meiner Klasse gewünscht, die waren harmloser als Michelle es war.   „Bitte?! Ich und unsensibel?! Der Spinner schaut mich doch gar nicht mehr an! Was glaubst du, tue ich das immer wieder? Damit ich seine Aufmerksamkeit zurückbekomme.“ Wer’s glaubt. So dumm war ich nun wieder auch nicht.   „Na die hast du ja jetzt bekommen. Also kannst du dir den Russen ja jetzt aus dem Kopf schlagen. Du hast Raphael gehört, er macht sonst Schluss mit dir.“   „Ach, dafür fehlen ihm die Eier. Niemand macht mit mir Schluss. Ich bin die einzige, die etwas beendet. Und du, meine süße kleine Viviane hast für die nächsten Tage einen Auftrag.“ Oh Gott. Mir gefällt diese Sache nicht. Wenn Michelle schon so anfängt, bedeutet es für niemanden etwas Gutes. Ich sah sie etwas misstrauisch an.   „Chill deine Hormone Maria Magdalena. Du sollst dich mit dem neuen sexy Boy etwas anfreunden. Herausfinden was er mag, damit ich ihn spielendleicht herumbekomme. Ist das klar?“  War das ihr Ernst?! Heftig schüttle ich den Kopf. Das kann sie doch nicht von mir verlangen!   „Das mache ich bestimmt nicht! Wie sieht das denn aus? Außerdem hast du Raphael gehört, er wird sonst Schluss machen!“ Diese Widerworte bereute ich schon als ich sie aussprach. Michelle stand von meinem Bett auf und sah mich mit einem finsteren Blick an. Ihre Lippen verzogen sich zu einem schmalen und unheimlichen lächeln.   „Hast du mich falsch verstanden, Viviane? Niemand trennt sich von mir. Und du, du tust lieber das, was man von dir verlangt. Sonst wird es ein böses Nachspiel für dich haben. Und ich wiederhole mich jetzt kein zweites Mal.“ Sachte nickte ich und schaue herunter auf meine Hände. Es war nicht so leicht, aber irgendwie musste ich ja diese elendige Schulzeit hinter mich bringen, wenn ich nicht wieder an den Pranger gestellt werden wollte.   „Braves Mädchen.“ Flötete sie fröhlich, ging zu meinem Kleiderschrank und zog sich eines meiner Shirts heraus das sie schon immer gerne mochte. Natürlich steckte sie es mit dem Spruch -Bekommst du bald wieder- ein und verschwand aus meinem Haus. Ich seufzte schwer und ließ mich zurück in mein weiches Bett fallen. Manchmal denke ich, es war der größte Fehler gewesen, mich auf sie einzulassen. Ob Raphael auch dieses Gefühl bei ihr besaß? Ich würde gerne mit jemanden darüber reden können, doch hatte ich sonst niemanden außer Michelle. Ich seufzte schwer und schaute an die Decke. Wie soll ich das bitte anstellen? Das ist so auffällig. Am Ende wird er noch glauben, dass ich auf ihn stehe. Und das so kurz vor den Sommerferien. Der will doch sicher nur seine Ruhe und sich nicht noch mit jüngeren herumschlagen. Wie stellt Michelle sich das nur immer vor? Nur kann ich nicht nein sagen. Ich kenne ihr Nachspiel. Ich habe es bei einer aus ihrer Klasse beobachtet, die mit Raphael geflirtet hat. Eine Woche lang, hat Michelle sie traktiert. Sie geschubst, beleidigt, ihren Kopf ins Klo getaucht, ihr sogar die Haare abgeschnitten. Allein das mit anzusehen war die reine Hölle, und dass werde ich auf keinen Fall selber durchmachen wollen! Ok, ganz ruhig Viviane. Mir fällt schon etwas ein, um mit ihm in ein Gespräch zu kommen.   Am nächsten Morgen machte ich mich wie immer fertig, ging aber dennoch früher zur Schule los und wartete vor dem Gebäude auf den neuen Mitschüler Lawrence. Dieses unbehagliche Gefühl in mir machte sich nur umso weiter breit. Ich muss ihn irgendwie abfangen. Es dauerte nicht lange bis ich ihn entdeckte, er kam recht früh zur Schule, was ich eigentlich bei so einem Jungen wie ihn nie erwartet hätte. Mit der Zigarette in der Hand schlenderte er ganz entspannt den Weg zum Gebäude entlang. Jetzt hieß es für mich, ran an den Speck! Ich lief eiligen Schrittes zu ihm hin und stellte mich ihm in den Weg. Er sah mich mit keinem sehr freundlichen Blick an, ich musste schlucken. Irgendwie war er mir ein klein wenig unheimlich, so besonders jetzt, wo ich mit ihm alleine war.   „G… Guten Morgen!“ stammelte ich nur wie ein verliebtes Kind. Gott, wie peinlich und unangenehm! Nur besser als das, was Michelle sonst mit mir anstellen würde. Er schien zu überlegen wer ich war.   „Ach. Die blonde Schönheit und Schulsprecherin Viviane.“ Ich konnte nicht verhindern, dass mir die Schamesröte ins Gesicht schoss. Ich spürte wie warm meine Wangen wurden.   „Was denn. Was denn? So schüchtern?“ Als ich ihn ansah, sah ich ein leichtes grinsen auf seinen Lippen. War klar, dass ihm das gefiel. Es macht doch jedem Spaß, kleine Mädchen zu ärgern.   „Ich… Ich bin nicht schüchtern…“ Und weil, mein Satz nur so vor Selbstbewusstsein strahlte, lachte der neue Russe auch schon über mich.   „Und ich bin Multimillionär und habe Ehefrau und Kinder. Komm kleines, verarschen kann ich mich alleine. Sag mir lieber, was du von mir willst. Ohne Grund wirst du mich ja nicht aufgehalten haben.“ Ich schluckte meine ganzen Gefühle herunter und versuchte ihn mit dem bisschen an Selbstbewusstsein und Mut anzusehen, dass ich besaß.   „Ich… Ich möchte mit dir befreundet sein! Ich weiß wie schwer es ist, Freunde zu finden und welche zu behalten, besonders wenn man irgendwo neu ist…“ Am Anfang klang ich noch recht zuversichtlich, doch zum Ende, verschwand diese Stärke aus meiner Stimme. Ich sah, wie Lawrence die Augenbraue hochzog und mich sehr skeptisch ansah.   „Ich verzichte. Vielen Dank.“ Dann ging er einfach an mir vorbei und ließ mich alleine zurück. So unfassbar peinlich! Jetzt will er doch erst recht nichts mehr mit mir zu tun haben! Und ich weiß schon was dann auf mich drauf zu kommt! Etwas Panik machte sich in mir breit. Michelle darf von diesem Desaster nichts erfahren, sonst lässt sie sicher die erste Strafe über mich walten! Ich rannte hinter ihm her, stellte mich wieder vor ihm und streckte meine Hände aus, sodass er nicht sofort um mich herum gehen und fliehen konnte.   „Bitte!... Ich… ich habe nicht viele Freunde… mich mag man nicht so sonderlich, ich weiß nicht wieso. Doch bitte, gib mir eine Chance, dir zu beweisen, dass ich es wert bin!“ Ich wette, ich kann wieder sonst was für erniedrigende Aufgaben verrichten. Michelle war ja nicht anders. Ich muss es jetzt einfach ertragen. Ich sah ihm in die Augen. Und was ich sah war… Mitleid. Seine Augen sprachen Mitleid für mich aus. Ich fühlte mich nun erst recht wie der letzte Loser. Ich ließ meine Arme sinken.   „Es tut mir leid. Ich weiß, dass es erbärmlich von mir ist, jemanden anbetteln zu müssen.“ Ich bemerke, wie nah ich den Tränen war. Ich drehte mich um und rannte einfach davon. Ich ertrage es nicht! Wie weit bin ich gesunken?! Wieso habe ich so viel Angst?! Warum war ich so unfassbar schwach gewesen.   Ich hasse es, ich zu sein. Immer zu lachen, immer zu lächeln! Dabei habe ich einfach nur Angst! Ich habe Angst vor den Mobbern, ich habe Angst vor Michelle. Doch niemals darf ich mir etwas anmerken lassen, ich muss die Fassade des beliebten Mädchens halten, nur damit ich in Ruhe gelassen werde. Ich darf Malek nicht zu nahekommen, obwohl ich ihn wirklich mag, und er witzig ist. Ich will mich dem neuen nicht aufdrängen, aber ich muss. Und eben, eben ist die Fassade für einen Moment bei ihm gebrochen, und er schenkte mir einen Blick der Wahrheit. Die Wahrheit, die ich nie hören wollte, sehen wollte, die nie ausgesprochen werden sollte. Ich war einfach zu bemitleiden. Hosted by Animexx e.V. 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