Now You See Me von Morwen (Thor & Loki) ================================================================================ „Mein Vater hat Loki und mich von Anfang an immer gleich behandelt“, erzählte Thor, nachdem sie sich alle um den Wohnzimmertisch herum niedergelassen hatten. Mittlerweile hatten sich auch Steve und Sam dazugesellt und verfolgten ebenfalls aufmerksam seine Geschichte. „Wir wuchsen als Brüder auf, in dem sicheren Wissen, dass einer von uns eines Tages auf dem Thron sitzen würde“, fuhr Thor fort. „Oft haben wir ganze Nächte lang wachgelegen und darüber gerätselt, wer von uns wohl das Erbe des Allvaters antreten würde. Doch was keiner von uns beiden damals ahnte, war, dass Odin zu keinem Zeitpunkt jemals vorhatte, Loki zum König zu machen.“ „Warum?“, fragte Bruce. „Wenn ihr doch beide gleichermaßen dafür qualifiziert wart?“ „Weil mein Bruder kein gebürtiger Ase ist, sondern ein Frostriese“, entgegnete Thor. „Ein was?“, fragte Tony. „Ein Frostriese“, wiederholte Thor geduldig. „Ein Angehöriger der dominanten Spezies von Jotunheim, eine der neun Welten, die Asgard geschworen hatte zu beschützen – und eine Welt, gegen die mein Vater lange Krieg geführt hatte. Loki wurde als Sohn des Königs der Frostriesen geboren, doch seine Familie setzte ihn kurz nach seiner Geburt aus und überließ ihn dem sicheren Tod. Mein Vater fand ihn wenig später und hatte Mitleid mit ihm, weshalb er das Baby mit nach Asgard nahm. Dabei legte er einen Zauber auf Loki, der bis zum heutigen Tag auf ihm ruht und ihn wie einen der unseren erscheinen lässt.“ Er hielt inne. „Oder vielmehr ließ, bis Strange versehentlich den Zauber deaktivierte, wodurch mein Bruder in seine Frostriesengestalt zurückverwandelt wurde.“ „In der er offenbar feststeckt“, stellte Tony fest. Thor nickte. „Mein Bruder hasst seine wahre Gestalt; sie erinnert ihn an all die Schauermärchen über die Frostriesen, mit denen wir als Kinder aufgewachsen sind. In ihr gefangen zu sein, bereitet ihm unerträgliche Pein.“ „Ist dein Vater denn nie auf die Idee gekommen, Loki zu sagen, wer er wirklich ist?“, fragte Natasha. „Nein“, sagte Thor leise. „Und bis zu seinem Tode war dies eines der Dinge, die er am meisten bedauert hat. Er hätte Loki – und Asgard – viel Leid ersparen können, wäre er ehrlich zu ihm gewesen. Doch seine Einsicht kam leider zu spät; zu diesem Zeitpunkt war mein Bruder längst verloren.“ Für eine Weile herrschte Stille, als die Anwesenden diese neuen Informationen verarbeiteten. Schließlich war es Tony, der das Schweigen durchbrach. „Okay, also wenn ich das richtig verstanden habe, stammt Loki aus einer Art von Eiswelt.“ Thor nickte. Tony warf Bruce einen fragenden Blick zu. Dieser runzelte erst nachdenklich die Stirn, doch dann erhellte sich sein Blick und er nickte. „Okay“, sagte Steve, dem ihr Blickwechsel nicht entgangen war. „Spuckt es aus. Was habt ihr vor?“ Tony erhob sich. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es nicht verdient hat, aber ich denke, Bruce und ich können etwas tun, um Lokis... Zustand erträglicher zu machen. Was ihn dann wiederum für uns erträglicher macht.“ Thor sah überrascht vom einen zum anderen. „Das würdet ihr tatsächlich tun?“ „Wenn es deinen Bruder in Zukunft davon abhält, meine Frühstücksflocken in Maden zu verwandeln, dann gerne“, erwiderte Bruce mit schiefem Grinsen und erhob sich ebenfalls, um Tony ins Labor zu folgen. Ah, stimmt. Da war noch etwas... Thor hatte ihnen bislang verschwiegen, dass Loki nicht länger seine Magie wirken konnte. Doch er hielt es für das Beste, dieses Detail vorerst für sich zu behalten. „Vielen Dank, meine Freunde“, rief er stattdessen den beiden Männern nach, als sie den Raum verließen. Während sich die Runde wieder auflöste und Natasha und Sam sich daran machten, das Abendessen zu kochen, trat Steve auf Thor zu. „Danke, dass du diese Geschichte mit uns geteilt hast“, sagte er. „Sie entschuldigt nichts von dem, was dein Bruder getan hat, doch ich glaube, ich verstehe ihn nun etwas besser, als zuvor.“ Thor nickte kurz; es bedeutete ihm viel, diese Worte zu hören. „Danke“, sagte er mit rauer Stimme. Und plötzlich wusste er, dass sie diese Sache schon irgendwie überstehen würden.   Thor stand vor Lokis Zimmertür und haderte mehrere Minuten lang mit sich selbst, bevor er schließlich den Mut fand, einzutreten. Kaum hatte er jedoch einen Fuß in den Raum gesetzt, stand er bis zu den Waden in Schnee. Die Fenster waren weit geöffnet und eine eisige Brise drang in das Zimmer, die weitere Schneeflocken mit sich brachte. Der Großteil der Möbel war bereits unter einer dicken, weißen Decke begraben, darunter auch das Bett. Von Loki fehlte dabei jede Spur. Thor stieß besorgt die Tür zum Bad auf, doch auch dort fand er ihn nicht vor. Verzweifelt sah sich Thor im Raum um, in der Hoffnung, einen Hinweis auf den Verbleib seines Bruders zu finden... bis ihm der seltsam unregelmäßig geformte Schneehügel auf dem Bett auffiel. Für einen Moment schien sein Herz stillzustehen. „Loki!“ Thor trat mit schnell Schritten auf das Bett zu und begann, mit seinen Händen den Schnee wegzuschaufeln. Schon nach wenigen Momenten kam der dunkle, mit verschlungenen Linien bedeckte Körper seines Bruders zum Vorschein. Thor holte ein Handtuch aus dem Bad, um nicht versehentlich in Kontakt mit der eiskalten Haut zu geraten, während er den restlichen Schnee von Loki entfernte. Als er schließlich sein Gesicht freilegte, stellte er zu seiner großen Erleichterung fest, dass sein Bruder tief und fest schlief, ohne sich dabei an der eisigen Kälte im Zimmer zu stören. Bis auf seine Shorts war er völlig nackt, und auch seine Decke lag vergessen neben dem Bett. „Oh, Loki...“, sagte Thor leise. Er ging zum Fenster hinüber, um es zu schließen, bevor er sich neben seinem Bruder auf die schneebedeckte Matratze setzte und ihn sacht an der Schulter rüttelte. Es dauerte einen Moment, doch schließlich öffnete Loki langsam die Augen. „Was ist los?“, fragte er gähnend. „Ich habe das erste Mal seit Monaten wieder gut geschlafen...“ Thor machte wortlos eine Geste, die das ganze Zimmer einschloss, und Loki stemmte sich hoch, um sich umzusehen. „... oh“, machte er dann, sichtlich überrascht von der Menge an Schnee. „Ich hatte keine Ahnung... Ich wollte nur kurz lüften, weil ich die Hitze hier drin nicht mehr ausgehalten habe.“ „Ich verstehe“, sagte Thor, und auf gewisse Weise tat er das tatsächlich. „Aber ich musste dich wecken. Wir wissen so gut wie nichts über Frostriesen und ich möchte nicht austesten, ob dein Körper es verkraftet, unter einem Meter Schnee zu schlafen, ohne dabei zu ersticken.“ „Warum nicht?“, fragte Loki und stieß ein bitteres Lachen aus. „Was habe ich schon noch zu verlieren...?“ Die Bemerkung traf Thor schwerer, als er gedacht hätte, und er hielt einen Moment inne, um sich wieder zu sammeln. „Vielleicht hast du nicht viel zu verlieren“, erwiderte er dann mit rauer Stimme. „Aber ich schon. Eine Menge sogar.“ Ich weiß nicht, ob ich deinen Verlust ein weiteres Mal ertragen könnte, Bruder. „... Thor.“ Loki senkte den Blick, als wurde ihm jetzt erst klar, was er gesagt hatte. „Ich... Ich wollte nicht...“ „Ich weiß, Loki“, sagte Thor leise. Er fühlte sich mit einem Mal sehr müde. „Ich weiß.“ Schwerfällig stand er auf und sah sich im Raum um. „Der Schnee wird bis zum Morgen geschmolzen sein“, meinte er dann. „Vielleicht wäre es besser, wenn du in der Badewanne schläfst. Wenn du das Wasser zu Eis gefrierst, bleibst du weiterhin kalt und gerätst außerdem nicht in Gefahr, zu ertrinken.“ „Hmm.“ Loki dachte über diesen Vorschlag nach. „Das ist gar keine schlechte Idee.“ Thor lächelte schwach. „Manchmal habe selbst ich gute Ideen.“ „Bisweilen, ja“, erwiderte Loki spöttisch, doch es war keine Schärfe in seiner Stimme. Thor wandte sich zum Gehen. „Wenn du sonst noch etwas brauchst, lass es mich wissen, Bruder“, sagte er. „Ich kann leider nichts an deinem Zustand ändern, aber ich will versuchen, dein Leiden zu lindern, wo ich kann.“ Loki nickte. „Danke“, entgegnete er so leise, dass Thor es fast nicht gehört hätte. Und es kam so selten vor, dass Loki sich bei ihm bedankte und es ehrlich meinte, dass Thor für einen Moment überrascht innehielt. Doch bevor er etwas sagen konnte, war sein Bruder bereits aufgestanden und hatte sich ins Bad zurückgezogen. Thor sah ihm einen Augenblick lang nach, dann wandte er sich ab und ging. Hosted by Animexx e.V. 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