Die Farbe Grau von Cocos ================================================================================ Kapitel 28: Das Abendmahl ------------------------- Es roch wie Zuhause. Irritiert blieb Crawford stehen, als er das Anwesen betrat und sich heimeliger Geruch zu ihm schlängelte. Es roch nach Essen, nach schwerem, schottischen Essen. Für einen irrwitzigen Moment erwartete er, seine Familie um den Esstisch versammelt zu sehen, doch dann revidierte sich der Eindruck, als er sich des Interieurs des Safehouses bewusst wurde. Die schottische Gemütlichkeit des Cottages war hier einer modernen, klar definierten Einrichtung gewichen, die nicht viel detailverliebte Spielerei aufwies. Klare, kantige Formen, strenge kühle Farben. Schwarze Parkettbohlen führten zum Wohnzimmerbereich, der einen weiten Blick auf die Bucht unter ihnen offenbarte, die Crawford von außen schon erahnt hatte. Daran angeschlossen war eine ausladende weiße Hochglanzküche, die im Gegensatz zum geordneten Innendesign ein Chaos aufwies, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf seine kochende Mutter zurück zu führen war. Thomas versuchte gerade, dem Herr zu werden, indem er Sachen in eine Spülmaschine räumte und den Rest in das Waschbecken lud. Viel Erfolg hatte das jedoch nicht, wenn sich Crawford die Reste betrachtete, die immer noch auf der Anrichte thronten und weiterhin durch seine Mutter produziert wurden. Sie stand im Küchenbereich mit dem Rücken zu ihm, die Haare ein wilder, gelockter Wust, und summte, während sie die Suppe abschmeckte, die es aller Wahrscheinlichkeit als Vorspeise geben würde. Der Ofen sah so aus, als würde er Teile es Hauptgangs beherbergen und Crawford brauchte seine Gabe nicht um zu wissen, dass der Nachttisch im Kühlschrank stehen würde. Er brauchte einen Moment, um sich bewusst zu werden, dass die Frau, die ihm ein sechswöchiges Ultimatum gestellt hatte, nun dort stand, dass sie sich schlussendlich umdrehen und ihn warm anlächeln würde, so wie sie es immer tat. Er hatte sie schon oft in ihrer Funktion als Dame des Hauses erlebt, er hatte sie streng und unnachgiebig erlebt, doch bisher war es ihm immer gelungen, ihr zerstörerisches Tun von sich selbst und seinem Team fernzuhalten und gut zu sein in dem, was er tat. Ein Schnauben holte ihn aus seinen Gedanken und er begegnete Schuldigs abwertendem Blick, welcher ihn durchdringend maß. Der Telepath hatte sich auf einen der Wohnzimmersessel gefläzt, vor sich ein Glas brauner Brühe – Crawford vermutete, dass es Ale war - und starrte nun hungrig auf das, was in der Küche vor sich ging. „Sind Weiß und Abyssinian auf dem Weg hierhin?“, fragte Crawford kühl anstelle einer Begrüßung und das Abwertende in Schuldigs Blick wurde hämisch. „Natürlich ist dein Betthäschen auf dem Weg hierhin. Wo kommen wir denn hin, wenn unser großer Anführer heute Nacht keinen Bettpartner – oder sollte ich Beschützer sagen - hat?“ Crawford konnte seine Gedanken nicht zurückhalten, die bei den Worten des Telepathen zu seinen Erinnerungen zurückkehrten und die Schuldig nun mit Freuden aufgriff. „Er gibt sicherlich ausgezeichnete Blowjobs… die du ja sicherlich ausgezeichnet beurteilen kannst, du Kenner des Fachs“, griff Schuldig erneut eine der Erinnerungen auf und Crawford musste für einen Moment seine Augen schließen, um die aufkommende Übelkeit zu bekämpfen, die ihn im festen Griff hielt und ihm mitteilte, dass sein Mageninhalt dort nicht hineingehörte. Lasgos Worte, wie sie ihn sanft genau für sein Können lobten, spülten sich an die dünne Schicht seiner Selbstbeherrschung und ließen ihn für den Bruchteil einer schrecklichen Sekunde denken, dass er immer noch an diesen Pfahl gekettet war. Er konnte das Gefühl abschütteln und musste doch das Bedürfnis bekämpfen, sich umzudrehen und zu gehen, weil er das Gefühl hatte, dem Spott und den Erinnerungen nichts entgegen setzen zu können. Aber dann war es sein kaltes, bitteres Lächeln, das ihm den Weg wies und ihn Schuldig ignorieren ließ. Was sollte er es auch verneinen, dass Lasgo sich ihm besonders gerne auf diese Art aufgezwungen hatte? Hatte er etwas dagegen tun können, außer an seinem eigenen Stolz und dem gläsernen Schwanz zu ersticken? Nein. Er trat in die Küche und Siobhan drehte sich um, die Hände ebenso wie ihre einfache Tweedhose, die sie gegen die Uniform getauscht hatte, voller Mehl. Sie strahlte ihn an und es war das Lächeln, das er in Erinnerung hatte und das Heimat war. „Bradley.“ Warm war ihre Stimme, voller Verheißung und es war eine Wohltat, diese im Klang seiner Muttersprache ohne japanischen oder deutschen Akzent zu hören. „Mutter“, erwiderte ebenso und es verstärkte das Gefühl von Heimat noch zusätzlich. Sie seufzte tief. „Du siehst schlecht aus.“ Crawford schwieg. Was sollte er darauf auch antworten nach den vergangenen Tagen und Wochen? Er stand auf zwei unsicheren Beinen, was er nach fünf Tagen erzwungener, kniender Haltung in einem fensterlosen, kalten Kellerloch als Fortschritt ansah. „Ich bin froh, dass du lebst.“ Ihre ehrlichen Worte ließen ihn für einen Moment lang den Blick abwenden, hin zum Chaos auf der Anrichte, das schottisches, gutes Essen versprach. Es war einfacher, als ihr in die Augen zu schauen. Und leben konnte man das nicht nennen, was er hier betrieb, befand er, doch er ließ sich durch ihre Erleichterung erwärmen und treiben. „Was machst du hier, Mutter?“ Außer dem Offensichtlichen: die Zerschlagung von Schwarz und die Neutralisierung zugunsten von Kräftegewinnung mit einer sechs Wochen-Gnadenfrist, die keine war. „Momentan koche ich für euch. Danach werde ich vermutlich den Abwasch erledigen und irgendwann ins Bett gehen um meinen Jetlag loszuwerden“, verstand sie ihn mit Absicht falsch und er maß sie dunkel. Für einen kurzen Moment wurde sie ernst. „Und ich werde die sechs Wochen hierbleiben, Bradley. Der Rat hat meiner Abwesenheit zugestimmt und dein Vater weiß ebenso Bescheid, dass ich den Zeitraum über hier bin. Ich werde mich nicht einmischen und die Uniform wird – so ist es geplant – dort oben im Schrank hängen bleiben, bis ich das Urteil verkünde.“ Crawfords Gedanken wanderten unwillkürlich zu seinem nichtsahnenden Vater, der gänzlich ohne Gabe durchs Leben schritt und die Telepathin an seiner Seite abgöttisch liebte, von den vier Kindern, die sie zusammen hatten, ganz zu schweigen. Er war so beschäftigt gewesen, dass er ihn wann das letzte Mal gesehen hatte? Vor einem halben Jahr? Vermutlich würde er ihn gar nicht mehr zu Gesicht bekommen, wenn er schließlich versagte. „Wie wirst du es ihm erklären?“, fragte er, da er bereits wusste, dass sie seinen Gedanken gefolgt war und sie winkte ab. „Lass das nicht heute unsere Sorge sein. Heute bin ich froh, dass ich meinen Sohn lebend, auf zwei Beinen und in der Lage mit mir zu kommunizieren wieder habe. Möchtest du einen Kaffee?“ Crawford seufzte, da er wusste, dass es nichts brachte, sie nun vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Also nickte er, auch in dem Wissen, dass es mit Kaffee kein Problem geben würde, ganz im Gegensatz zu Wasser. Immer noch. „Kaffee klingt hervorragend.“ Die Nacht würde lang werden. Thomas, der anscheinend nur auf seine Worte gewartet hatte, nahm nun eine der Tassen aus dem Schrank, füllte sie mit schwarzem, starkem Kaffee und reichte sie ihm. Crawford sah hoch, in die Augen des Mannes, dem er nun schon so viele Jahre seines Lebens begegnete und der ihn schon seit Beginn seines Lebens überragt hatte, woran sich bis zu ihrem Ableben auch nichts mehr ändern würde. „Sir.“ „Danke, Thomas.“ „Nichts zu danken, Sir.“ „Ekelhaft, diese schottische Höflichkeit!“, tönte es aus dem Wohnraum und Crawford knirschte mit den Zähnen. „Neidisch, Ginger?“, rief Siobhan zurück und ein abfälliges Schnauben antwortete ihr. Crawford enthielt sich einer Antwort und trank langsam in kleinen, vorsichtigen Schlucken seinen Kaffee. Was für eine Freude. Ein dunkler Schatten huschte kurz über Siobhans Gesicht, bevor sie erneut zu ihrem Lächeln zurückkehrte. „Sobald die anderen Gäste eingetroffen sind, gibt es Abendessen.“ „Sie haben sich tatsächlich dazu überreden lassen?“, fragte Crawford und hob selbstironisch die Augenbraue. „Sie wissen auch noch nicht, wohin ihre Agentin sie geschickt hat.“ „Auf den ausgezeichneten Plan des Orakels hin“, mischte Schuldig sich ein. „Und das nur, weil mein großer Anführer seinen katanabewehrten Lustknaben hier haben möchte.“ Die Schottin hob fragend die Augenbrauen. „Nein“, erwiderte Crawford schlicht und drehte sich weg, bevor seine Mutter anfing, Fragen zu stellen. Was in seinem Leben hatte er jemals falsch gemacht um diese Dichte an Telepathen zu verdienen?, fragte er sich in einem Anflug von Selbstmitleid und keine Sekunde später spürte er Schuldigs Präsenz in seinem Kopf, die dieser durchaus verschleiern hätte können, aber wo bliebe da der Spaß für den Deutschen? ~Du hast uns alle verdient, Arschloch, für das, was du getan hast~, drang es wenig freundlich zu ihm. ~Bei allen gleichzeitig ist wenigstens jemand Fähigeres als du dabei ~, gab er zurück und erntete dafür einen Moment lang beißenden Kopfschmerz, der ihn schmerzerfüllt straucheln ließ. Er schloss die Augen, bis er seinem Körper wieder soweit vertrauen konnte, dass er ihn nicht unter den Nachwellen des telepathischen Angriffs zu Boden schickte. War es das gewesen, was die Dame des Hauses gewollt hatte, dass er nun stetig dem Missbrauch durch den Telepathen ausgesetzt war? Dass nach Lasgo sich nun auch Schuldig an ihm bediente? Eine Welle der Übelkeit überkam ihn, doch er straffte sich mit eiserner Selbstbeherrschung. Beiden würde er den Triumph nicht gönnen. Der Blick seiner Mutter ruhte wissend auf ihm. „Abyssinian ist eingetroffen. Er wurde bereits von Manx instruiert und weiß, wer sich in diesem Haus befindet.“ Überrascht hob Crawford die Augenbraue, auch wenn es ihn nicht wirklich überraschen sollte. Die Intention der Agentin war klar erkennbar. Indem sie Abyssinian einband, der von Weiß die meisten Erfahrungen mit Schwarz gesammelt hatte, sicherte sie sich eine zusätzliche Stütze, wenn es um das Überleben von Weiß ging. Das gegnerische Team würde mit größerer Wahrscheinlichkeit auf sie hören, wenn Fujimiya sie unterstützte. Wenn. Den Gedanken abtuend ging Crawford zur Tür und öffnete sie. Unweit von ihm stand der Weiß, die Hand geradezu um das Katana gekrampft, dass er bei sich trug, das er aber noch eingeschlungen hatte. Violette Augen suchten die Seinen und sie maßen sich für lange Momente schweigend, bevor Fujimiyas Blick durch den Staubsauerroboter abgelenkt wurde, der leise surrend hinter Crawford seine Runde durch den vorderen Bereich des Hauses zog. „Mein Team?“, fragte der rothaarige Mann schließlich zögerlich, nachdem Crawford wieder der Fokus seiner Aufmerksamkeit war. „Noch nicht hier.“ Der Weiß maß ihn durchdringend und Crawford erkannte genau die gleichen Zweifel, die er erwartet hätte. „Ich habe sie auf der Fahrt kontaktiert. Sie konnten rechtzeitig aus dem Gebäude fliehen, bevor es in die Luft geflogen ist. Sie sind auf dem Weg.“ Crawford nickte in Anerkenntnis dessen und trat zur Seite, um Abyssinian hinein zu lassen. Natürlich tat dieser keinen Schritt hinein, sondern musterte ihn kritisch. Verdenken konnte er es dem Weiß nicht. „Warum?“ Crawford zuckte mit den Schultern. „Weil ihr noch nützlich seid“, wiederholte er die Worte, die er bereits bei Lasgo als Grund vorgeschoben hatte, der andere Gründe zwar nicht ausklammerte, sie aber nach hinten schob. Fujimiya nahm es ihm noch weniger ab als zu dem damaligen Zeitpunkt. „Das glaube ich dir nicht.“ Natürlich nicht. „Quid pro quo.“ „Das ist beim letzten Mal auch nicht gut für uns ausgegangen.“ Widerwillig musste Crawford Fujmiya Recht geben. Er erinnerte sich noch gut an dessen Vorwürfe, dass er als Dank für seine Rettung Tsukiyono und ihn entführt hatte. Seine Rettung hatte er mit Disziplinlosigkeit und Chaos vergolten, das nicht nur einen Kollateralschaden gefordert hatte. „Die Absprache zwischen Perser und der Dame des Hauses wird es dieses Mal verhindern. Und…“, er hielt inne und verzog das Gesicht vor Widerwillen. „…ich gedenke es ebenso, eine Wiederholung dessen zu verhindern.“ Fujimiya ließ ihn deutlich sehen, was er davon hielt. „Für deinen Telepathen kannst du auch sprechen?“ „Er wird gehorchen.“ „Das sind aber großmäulige Worte“, mischte sich Schuldig aus dem Wohnbereich heraus ein und Fujimiya hob vielsagend die Augenbraue. Crawford ließ sich nicht dazu herab, seine Antwort zurück zu schreien, sondern fixierte den rothaarigen Japaner mit einem durchdringenden, ernsten Blick. „Schuldig wird gehorchen. Und es wird nicht noch einmal zu einem derartigen Zwischenfall kommen.“ Er würde es nicht versprechen, seine bisherigen Worte mussten reichten. Das taten sie. Zögerlich nickte Fujimiya und noch viel zögerlicher trat er über die Schwelle ins Haus, den Griff fest um sein Katana. „Na so etwas, da ist er ja endlich“, tönte es erneut spöttisch aus dem Wohnbereich. „Was für eine romantische Wiedervereinigung.“ Mit fragendem Blick wandte sich Fujimiya an ihn und Crawford zuckte mit den Schultern. „Ihr hättet ihn einfach euren Wissenschaftlern zur Verfügung stellen sollen“, merkte er zynisch an. „Das hätte allen Beteiligten viel Ärger erspart.“ Zweifelnd begegnete der Weiß seinem Blick und hob die Augenbraue. Natürlich konnte er sich keinen Reim auf Crawfords Worte machen, er wusste ja nichts von den grundlegenden Änderungen, die sich ergeben hatten. Früher oder später würde er es mitbekommen, insbesondere, wenn Schuldig es sich nicht nehmen ließ, Fujimiya seine neu erworbenen Möglichkeiten unter die Nase zu reiben. „Ging nicht, erst mussten wir Omi da rausholen“, erwiderte Aya trocken und Crawford schnaubte. „Jetzt wäre eine gute Möglichkeit? Tsukiyono ist längst in Sicherheit.“ „Soll ich allen Ernstes deine Drecksarbeit erledigen? Ich möchte mir an dem nicht die Hände schmutzig machen.“ „Siobhan, die Turteltauben verbünden sich!“, rief es aus dem Wohnbereich in Richtung Küche und Crawford atmete bewusst tief aus, als sich die Stimme seiner Mutter mit amüsierten, aber dennoch warnendem Anklang auf Japanisch zu ihm schlängelte. „Manchmal kann er ganz nützlich sein, Bradley. Ich würde ihn noch nicht entsorgen.“ „Siobhan?“, versuchte sich der Weiß an dem unbekannt klingenden Namen und sah fragend zu Crawford hoch. Anscheinend hatte seine Agentin da ein kleines, vollkommen unwichtiges Detail verschwiegen, wie es schien. „Ich stelle dich ihr vor“, erwiderte Crawford auf die unausgesprochene Frage des Japaners. Voneinander fernhalten konnte er die Beiden ja sowieso nicht, warum es also noch weiter hinauszögern? Innerlich aufseufzend drehte er sich um und ging zur Küche. Fujimiya folgte ihm, zögerlich, auf der Hut und immer in Sorge, dass dies nun eine endgültige Falle von Schwarz war, mit der sie gedachten, Weiß zu töten. Vor ein paar Wochen hatte Crawford ähnlich gehandelt, als er sich vor dem Weiß im Wald versteckt hatte, damit dieser ihn nicht Kritiker auslieferte. Siobhan stand wieder mit dem Rücken zu ihm und wippte mit den Hüften im Takt zur japanischen Musik, die sie dem Radio entlockt hatte. Thomas rauchte draußen auf der Terrasse und genoss sichtlich eine seiner seltenen Pausen von der chaotischen Natur seiner Mutter. Schweigend vergrub Crawford seine Hände in den Hosentaschen und maß den Japaner, wie er nun die Küche betrat und ihn dann fragend maß. Ein sardonisches Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus und er deutete schicksalsergeben auf seine Mutter, die sich nun umdrehte und sich die Hände an der Hose abwischte. „Wenn ich Schuldig glauben darf, sind Sie also der Liebhaber meines Sohnes?“, wählte sie die schlimmstmögliche Vorstellung und Crawford fragte sich erneut, was genau er im Leben falsch gemacht hatte um Telepathen im Generellen und Mastermind und seine Mutter im Speziellen zu verdienen. ~~**~~ Aya starrte diese Frau an, als hätte er niemals eine strenge, japanische, auf Höflichkeit drillende Erziehung genossen. Als wäre es nicht genug gewesen, dass Manx ihn angerufen und ihm mitgeteilt hatte, was ihre vollkommen absurde Vorstellung der Rettung seines Teams war, die sie anscheinend aufgrund der Einschätzung des Orakels mit eben jenem ausgearbeitet hatte. Als wäre es nicht genug gewesen, dass ihre Organisation gerade massiv angegriffen wurde und unter Beschuss stand, den sie mit aller Macht beenden mussten. Als wäre es nicht genug gewesen, dass er sich schon wieder in der Anwesenheit des feindlichen Teams befand und sie mit einer zarten Übermacht von vier zu eins waren. Nein. Nun stand sie vor ihm, sagte Dinge, er nicht nachvollziehen konnte und dessen Bedeutung sich ihm nicht erschließen wollte. Seine Augen maßen die Locken, die zierliche Gestalt, die mehlbestäubte Hose, das mehlbestäubte Gesicht. Das breite Lächeln auf ihren Lippen sah Schuldigs zum Verwechseln ähnlich, passte aber so gar nicht zu den warmen, grauen Augen, die ihn anstrahlten. Du kennst sie, herrschte ihn sein Verstand an. Du kennst sie, verdammt nochmal! Und natürlich erkannte Aya sie. Über das jetzige Bild schob sich eines, das er vor einem Tag gesehen hatte. Der rote Mantel, die streng hochgesteckten Haare. Die Aura des Todes um sie herum, die den ganzen Raum mit erdrückender Finalität ausgefüllt hatte. Das Ultimatum, das sie Schwarz gestellt hatte. Wie hatte Manx sie genannt? Die Dame des Hauses. Die Exekutorin von Rosenkreuz. Weiter kamen seine Gedanken nicht, als er Crawford verständnislos fixierte, der ihn viel zu amüsiert musterte und absolut keine Hilfe war. Was zur Hölle machte sie hier, in diesem Haus, in diesem Aufzug bei Schwarz? Wieso war sie so…gelassen, so leger, warum war sie so wie sie jetzt war? Aya wusste offen gestanden nicht, wie er reagieren und was er sagen sollte, aber seine japanische Höflichkeit wäre sicherlich ein guter Anfang, damit sie ihn nicht umbrachte. Er wollte sich schon verbeugen, als Crawfords eiserne Hand auf seinem Oberarm ihn davon abhielt und ihn nicht unwesentlich zusammenzucken ließ. „Das ist nicht notwendig“, drang die amüsierte Stimme des Orakels zu ihm und Aya fluchte mental. Was…? Er sah Crawford in die Augen und begriff dann erst, was sie gerade gesagt hatte. Liebhaber meines Sohnes? Liebhaber. Meines. Sohnes. Seine Augen weiteten sich noch etwas mehr und er schluckte trocken. Liebhaber? Schuldig und sein schändliches Mundwerk. Er war weit davon entfernt, der Liebhaber des Orakels zu sein. Und…wenn er sie sich genau ansah, dann konnte sie durchaus eine weibliche Version Crawfords sein. In älter. In…mütterlich. Mutter. Sie war Crawfords MUTTER?! Wieder krallte sich sein Blick hilfesuchend in die hellbraunen Augen seines Gegenübers, der mit leichtem, belustigtem Spott die Schultern zuckte. „Mutter?“, wiederholte Aya krächzend und sah wieder zurück zu der Frau, deren Lächeln nur noch breiter geworden war und indigniert machte er sich von Crawford los. Gleichwohl kam sie auf ihn zu und er wich unwillkürlich einen Schritt zurück, bevor sich die Hand des Amerikaners in deutlicher Warnung zwischen seine Schulterblätter legte. Aya wollte sie wegschlagen für die Unverschämtheit, ihn zu berühren, für die Ablenkung, die ihn nicht hatte sehen lassen, dass sie in seine Reichweite getreten war. Aya starrte die zartgliedrigen, mehligen Finger an, die ihm viel zu nahe für sein Wohlbefinden entgegengestreckt worden waren, als wären sie Schlangen, die ihn jederzeit anfallen würden, jetzt, wo er so deutlich davon abgehalten wurde, vor dieser Frau zu fliehen. „Siobhan Crawford, freut mich“, schmunzelte sie und Aya brauchte einen langen Moment, um den westlichen Gruß zu erwidern. Wohlweißlich behielt er den Lederhandschuh an, der seine unversehrte Haut schützte und ergriff ihre Hand vorsichtig, als würde sie ihn alleine durch die Berührung töten können. Auch wenn der Gedankengang falsch war aufgrund der Tatsache, dass sie eine Telepathin war. Sie musste vermutlich niemanden berühren um ihn zu töten, mutmaßte Aya. Mit resoluter Kraft drückte sie seine Hand und wartete mit hoch erhobenen Augenbrauen. „Fujimiya Aya“, gab er ihr zögerlich seinen Namen und sie schmunzelte. „Ran steht Ihnen viel besser“, zwinkerte sie ihm zu und Aya blinzelte. Wie ein Schwall kaltes Wasser ergossen sich ihre Worte über ihm. Es war, als würde diese Anspielung ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen und ihm trotz aller Skurrilität dieser Situation bewusst machen, wer sie war und wem sie diente und vor allen Dingen, was der Auftraggeber von Schwarz getan hatte. „Ihr Sohn…“, er warf einen kurzen Blick auf Crawford, dessen Augen mit einem Mal so viel unleserlicher waren als zuvor. „…hat Ihnen sicherlich mitgeteilt, warum ich diesen Namen angenommen habe.“ Das Lächeln auf ihren Lippen verschwand, ihre Augen jedoch schimmerten weiterhin gutmütig. „Das war nicht notwendig, die Berichte über die Tätigkeiten von Weiß und die Akten über die entsprechenden Agenten sind da recht aufschlussreich. Zumal sowohl meine Auftraggeber als auch ich mit Interesse die Geschehnisse um Takatori Reiji mitverfolgen, wie Ihnen Manx-san am Telefon bereits mitgeteilt hat.“ Aya konnte bei Nennung des verhassten Namens ein Grollen beim besten Willen nicht zurückhalten. Auch nicht um sein eigenes Leben zu retten. Wütend starrte er sie an, sein Kiefer knirschte unter der Gewalt, mit der er seinen Kiefer aufeinanderpresste. Seine Familie war Opfer dieses Bastards geworden, seine Schwester lag wegen Takatori im Koma. Alles war ihm genommen worden von demjenigen, den er zu töten geschworen hatte. Sie ließ seine Hand los und Aya zog sie ruckartig zu sich zurück, ballte sie zur Faust. „Über Takatori werden wir noch sprechen, Fujimiya-san“, versprach sie ihm schließlich mit abruptem Ernst und rieb sich, ebenfalls mit einem abrupten Gefühlsumschwung, grinsend die Hände. Schweigend maß Aya sie, während er ihre Worte mehr als Drohung denn als Versprechen wahrnahm und sich fragte, wie gefährlich die Frau wirklich war. Oder wie verrückt, ähnelte ihr Verhalten doch sehr dem des deutschen Telepathen. „Aber zunächst einmal wird gegessen. Ich bin schon auf ihr Team gespannt, das im Übrigen gerade jetzt das Gelände des Anwesens betritt. Sie sollten sie in Empfang nehmen, damit werden sie sich sicherer fühlen, als wenn es einer von uns täte.“ …Uns… Rosenkreuz. Schwarz. Familie Crawford. Erschauernd und mit wütendem Blick auf Crawford drehte er sich weg, zum Eingang hin. Er nahm ihre Worte als Anlass zur Flucht aus der Küche, Flucht vor ihr, seiner Wut, seinen Erinnerungen und der immer noch schwelenden Trauer, die sein Herz fest im Griff hatte. Schuldig grinste ihn an, doch er beachtete den Telepathen nicht, wohlweislich nicht, denn sonst hätte er ihm erneut die Nase gebrochen, soviel wusste Aya. Er öffnete die massive Eingangstür und trat hinaus in die kühle, feuchte Luft, die sich ihm entgegenschlängelte und den nahenden Abend ankündigte. Die nahende Katastrophe. ~~**~~ Als ihn Youjis besorgter Blick nun schon zum dutzendsten Mal streifte, grollte Omi. Ja, er war noch nicht ganz auf der Höhe, das hieß aber nicht, dass er mit übermäßiger Sorgfalt behandelt werden musste. Er hatte die vergangenen Stunden auch ausgehalten und war seinem Team auf ihrem Weg durch halb Japan nicht zur Last gefallen. Dass er nun, wo sie am Ende ihrer Reise waren, erschöpft war, hatte nicht zu bedeuten, dass Ken oder Youji ihn nun die letzten Meter tragen mussten. Ganz im Gegenteil. Er hatte noch genug Kraft, um sich seines Lebens zu erwehren, sollte diese Unterbringung bereits kompromittiert sein. Manx hatte ihm seine giftigen Darts mitbringen lassen und so wäre er im Ernstfall gut gerüstet. So leicht würden sie ihn nicht bekommen. „Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache“, merkte Ken neben ihm an, als sie gemeinsam den Weg hinaufgingen, an dessen Ende Omi das ultramoderne und kastenförmige Anwesen erkennen konnte, das anscheinend ihr Unterschlupf war. Insoweit hatte Manx es gut ausgesucht, dass es Kilometer über allem lag, was Weiß sich jemals hätten leisten können. Niemand würde sie hier vermuten. Trotzdem musste er Ken Recht geben. Irgendetwas stimmte hier nicht, auch wenn Omi nicht genau den Finger darauf legen konnte. Zumindest warnte ihn sein Instinkt nicht vor einer unmittelbaren Gefahr. Erst, als sie sich dem Haus auf eine bequeme Sichtweite näherten, öffnete sich die Tür und Aya trat heraus. Erleichterung durchströmte Omi und ließ das schlechte Gefühl etwas in den Hintergrund treten. Aya war hier, er lebte und er war, wie er jetzt sah, unversehrt. Ernst, aber auch froh wurde er von den violetten Augen seines Anführers seziert und schlussendlich ohne viel Federlesens in dessen Arme gezogen. Omi vergrub seine Stirn in dem Shirt des größeren Mannes und seufzte erleichtert, ebenso erleichtert, wie auch Aya war, sie alle hier zu sehen. Omi lächelte. „Das ist es also“, merkte Youji mit einem anerkennenden Pfeifen an. „Da hat sich Kritiker nicht lumpen lassen um uns artgerecht unterzubringen.“ Das Grinsen, was er ihnen jedoch zeigte, war angespannt, ebenso wie seine Haltung und ebenso, wie Omi nun mit einem Stirnrunzeln feststellte, Ayas knappes Antwortlächeln. Omi hatte Aya mit der Zeit zu lesen gelernt. Selbst, als er ihnen noch nicht mehr als seine stoische, verschlossene Ruhe gezeigt hatte, hatte Omi gelernt, die verschiedenen Arten der Verspannung zu lesen, die Ayas Schultern im festen Griff hatte. Er hatte gelernt zu erkennen, wann Aya unzufrieden war, wann er angespannt war, wann er Sorgen hatte, aber auch, wann er zufrieden und sogar glücklich war. Die Anspannung, die sich seit ihrer Ankunft um den Kiefer und die Schultern des Mannes herum angesammelt hatte, sprach nicht von Erleichterung, hier zu sein. Ganz und gar nicht. Aya freute sich, sie zu sehen, damit hörte es aber auch schon auf. Omi runzelte die Stirn. „Was ist los?“, fragte er und Ken musterte ihn überrascht. Omi ließ sich davon nicht beirren und fixierte ihren Anführer, der nun deutlich schluckte. „Das ist kein Safehouse von Kritiker, Youji. Das Safehouse gehört Rosenkreuz.“ Wie ein Donnerschlag verhallten Ayas Worte in der darauffolgenden Stille und hinterließen nichts als gelähmten Unglauben. Ken war der Erste, der seine Sprache wiederfand, während Omi immer noch hoffte, dass er sich gerade verhört hatte. Dass das ein dummer Scherz war. Rosenkreuz bedeutete Schwarz. Schwarz bedeutete einen Kampf um ihr Überleben, den sie nicht brauchen konnten und den sie unter Umständen verlieren würden. Kritiker wurden angegriffen und Manx schickte sie in einen Rosenkreuzunterschlupf? Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Manx musste von Mastermind beeinflusst sein, anders konnte er sich das nicht erklären. „Das ist nicht dein Ernst“, presste Ken hervor und zog seine Krallen hervor. Kommentarlos zog er sie an, ebenso kommentarlos, wie Youji seinen Draht aus der Uhr holte. Omi würde lügen, wenn er behauptete, dass seine Finger sich nicht auch schon um seine Darts gelegt hatten, als er begriffen hatte, dass es kein Scherz war, sondern bitterer Ernst. „Doch, Ken, das ist es. Und anscheinend gibt es Gründe dafür.“ „Welche, außer uns loszuwerden?“ „Unsere Leben zu retten.“ Omi schnaubte verächtlich. Zischend trat er einen Schritt auf Aya zu. „Zu welchem Preis? Wer wird dieses Mal gefoltert?“, fragte er mit beißender Wut und fixierte erneut ihren Anführer, dessen Blick exakt die Schuld enthielt, die Omi von ihm erwartet hatte und für die Aya sicherlich nicht die Schuld trug. „Niemand, Omi.“ Die Antwort war ungewohnt schwach für Aya und dieses Mal ließ ihm Omi das nicht durchgehen. Nicht, wenn sie im Prinzip schon wie Lämmer zur Schlachtbank gelaufen waren und jetzt nur noch warten mussten, dass Schuldig sie mithilfe seiner Gabe in das Haus zog, hinein in einen Keller. Mühevoll schluckte er die schlechten Erinnerungen hinunter, die ihn bei der schlichten Vorstellung befielen, dass er über diese Schwelle treten müsste, hinter der sicherlich Schwarz lauern würden. „Das weißt du woher?“, fragte er wütend und wich keinen Moment später instinktiv und in plötzlicher Panik zurück, als Crawford im Eingang des Hauses erschien. Ausgerechnet. Omi verlor wertvolle Sekunden, als er den Amerikaner anstarrte und dessen Blick erwiderte, der ihn und nur ihn sorgsam ausdruckslos maß. Da war keine Bosheit in dem erschöpften Gesicht. Da war keine sadistische Belustigung, wie er es in dem Schlachthof, in dem sie ihn gefoltert hatten, erlebt hatte. Da war keine Verzweiflung, wie er sie bei Lasgo gesehen hatte. „Er weiß es von mir, weil es Teil des Handels ist, den deine Organisation mit meiner geschlossen hat. Niemand von Schwarz wird in diesem Haus und zu diesem Zeitpunkt jemanden von Weiß oder Kritiker angehen.“ „Bullshit.“ Youji, dieses Mal, der Omis Angst auf einen Punkt brachte. Dass der Mann, der neben ihm stand, wütend war, hörte Omi nur zu deutlich und beinahe erwartete er, dass dieser den Anführer von Schwarz mit seinem Draht erledigte, doch noch beherrschte Youji sich. Mit Mühe und Ayas Hand auf seiner eigenen, erkannte Omi. „Ich fürchte, dass dies kein Unsinn ist und ich fürchte ebenso, dass eure einzige Chance zu überleben in diesem Moment der Schutz von Schwarz ist. Eure Agentin ist über diesen Umstand bereits informiert, ebenso über die Tatsache, dass es momentan noch unumgänglich ist, dass dieser Weg beschritten wird. Ich möchte anmerken, dass sie und ich ebenso wenig wie ihr von dieser Möglichkeit erfreut und überzeugt sind.“ „Was für eine beschissene Begründung“, zischte Ken und gab Omi die Möglichkeit, noch einen Schritt zurück zu treten. Bloß weg von dem Mann, der ihm Angst machte. ~Ohne Scheiß, du bringst den arroganten Stinkstiefel in die Lage, dir etwas zu schulden und hast dann nicht die Eier in der Hose, das einzufordern?~, mischte sich nun natürlich auch Schuldig in seine Angst ein und Omi zuckte elendig zusammen. Gleich würde es wieder losgehen, natürlich würden Schwarz sich ihrer bemächtigen und sie gegeneinander ausspielen. Sie nutzen für ihr persönliches Amüsement. ~Echt jetzt? Was glaubst du eigentlich, machen wir so den lieben langen Tag? Arme, unschuldige Männer foltern in unserem dunklen Keller der Verdammnis?~ Nein, natürlich nicht, erwiderte Omi automatisch, auch wenn er es nicht bewusst dachte. Nicht, dass es einen Unterschied für Schuldig machen würde. Aber er wusste, welch zerstörerische Kraft sich bei den Schwarz angesammelt hatte und wie sie es verstanden, Menschen trotz eindeutiger, anderer Beweise auf ihre Seite zu ziehen. Aya zum Beispiel. Ein unfairer Gedanke drängte sich Omi auf, aber ein Gedanke, der ihm in diesem Moment nur allzu wahrscheinlich schien. Seit Aya nicht mehr immun gegen Schuldig war, war dieser geradezu neutral, was Schwarz anging. ~Keine Sorge, was das Orakel angeht, war das schon vorher der Fall. Was so eine Kurzzeit-WG so alles ausmachen kann. Da stand ich noch nicht auf dem Plan.~ Omi verspürte das abrupte Bedürfnis, sich das Hirn aus dem Schädel zu kratzen nur um den Telepathen loszuwerden, der auch noch die Dreistigkeit besaß, sich über ihn und die Situation lustig zu machen. Tragisch seufzte der Deutsche in seine Gedanken hinein und ließ das noch viel theatralischer verhallen. ~Was bleibt mir denn anderes übrig? Denkst du, ich will euch hier haben? Denk nochmal nach. Also dieses Mal so richtig. Was habe ich von eurer Anwesenheit hier in Rosenkreuz‘ heiligen Hallen, außer, dass ihr mir mein Bad blockiert?~ Omi grollte nicht nur mental wütend. ~Jetzt tu nicht so, als hättest du nicht sehr dezidierte Vorstellungen, was du mit uns anstellen wirst, wenn du Lust dazu hast. Ich erinnere mich noch gut an das, was du mir angetan hast.~ ~Ja, das schon, wenn es sich anbieten würde. Aber – Spoiler – das tut es gerade nicht. Momentan müssen wir eure unfähigen Ärsche lebend in den jeweils neuen Tag tragen. Befehl von ganz oben, du verstehst? Das frustriert mich, aber wie es halt so ist… ich habe Geduld und kann warten.~ Omi blinzelte. Sollte ihn das beruhigen? Sollte ihn irgendetwas hiervon beruhigen? ~Nö.~ „Tsukiyono.“ Die Schärfe in der Stimme ließ Omi mehr zusammenzucken als die Tatsache, dass er nun von dem zweiten Schwarz angesprochen wurde. Sein Blick huschte zu Crawford, der missbilligend die Augenbraue hob und unwillkürlich wollte er sich klein machen im Angesicht dieses Unbills. Doch Kens Hand auf seiner Schulter und dessen ruhige Präsenz verhinderten das. Er war nicht mehr in dem Raum, er war dem Orakel nicht mehr ausgeliefert. Er war hier und bewaffnet. Im Gegensatz zu Crawford. ~So sehr ich auch bevorzugen würde, dass das arrogante Arschloch von einem Orakel den Arsch versohlt bekommt…also nochmal…so sehr dürfte dir klar sein, dass ich die Ausführung dieses verführerischen Gedankenganges nicht zulassen darf.~ Wieso wurde Omi das schreckliche Gefühl nicht los, dass etwas zwischen den beiden Schwarz ganz und gar nicht stimmte und dass er absolut nicht in der Mitte dessen stehen sollte. „Omi, was ist los?“ Aya, dieses Mal, der besorgt auf ihn hinuntersah, mit dem Rücken zu Crawford. War Aya bewusst so nachlässig oder war es tatsächlich so, wie Schuldig es angedeutet hatte. „Wieso, Aya? Wieso ausgerechnet sie?“ „Ich weiß es nicht. Aber Manx versicherte mir glaubhaft, dass es keinen anderen Weg gibt.“ „Keinen anderen Weg? Wir hätten überall hingehen können. Warum hier?“ „Weil Lasgos Männer uns hier nicht finden werden.“ „Das kann doch nicht sein!“ „Sobald mir meine Gabe etwas Anderes mitteilt und ihr in einer sonstigen Umgebung sicher seid, werde ich es euch mitteilen“, mischte sich der Amerikaner ungebeten ein und Omi maß ihn wütend. „Zudem werden Perser und Manx ebenfalls heute Abend hier eintreffen und gemeinsam mit euch über die weiteren Schritte sprechen. Insofern ihr hierbleibt.“ Das schien sogar Aya zu überraschen, was Omi wiederum beruhigte. Es war kein abgekartetes Spiel zwischen ihnen. Aya war nicht unter der vollkommenen Kontrolle der Schwarz. ~Ich verbringe meinen Tag entgegen anderslautender Gerüchte nicht damit, langweilige Menschen unter meine Kontrolle zu zwingen und sie dort zu halten. Und bevor zu fragst: ja!~ Tatsächlich hatte Omi fragen wollen, ob Schuldig Aya allen Ernstes als langweilig bezeichnete. Nicht, dass er sich über die Antwort wunderte. „Was hat Schwarz davon?“, fragte Omi und Crawford taxierte ihn mit einem durchdringenden Blick. „Gar nichts“, erwiderte das Orakel brutal ehrlich, in eben jener Ehrlichkeit, die Omi auch in dem Keller schon kennengelernt hatte. „Wieso dann?“ „Das weiß er selbst nicht“, murmelte eine raue Stimme hinter ihm und Omi schreckte wie Ken und Youji auch nach vorne. Hinter ihnen stand – auf einmal – der Ire des feindlichen Teams. Omi hätte schwören können, dass er vor ein paar Sekunden da noch nicht gestanden hatte und sie wie gerade jetzt ruhig musterte. Nachdenklich lag der Blick des Iren im Speziellen auf ihm und Omi schluckte. Natürlich hatte er nicht vergessen, was der Schwarz getan hatte. Was er im Gegensatz zu seinem Team getan hatte. Anscheinend beschied er die Musterung als positiv, als er anerkennend nickte. „Wieder in der Umlaufbahn, kleiner Satellit.“ Bevor Omi fragen konnte, was das zu bedeuten hatte, fixierte sich Farfarello bereits auf seinen eigenen Anführer. Wortlos maßen die beiden sich und Omi fragte sich, ob sie über eine Art internes Kommunikationsnetz verfügten, über das sie unhörbar für andere miteinander sprachen. ~Interessante Vorstellung, dass die beiden wie Pflanzen miteinander kommunizieren, aber nein, die starren sich regelmäßig so an.~ Omi schluckte. Er wollte keine ungefragten Antworten von Schuldig. ~Da hast du wenig mitzureden.~ Als wenn es nicht reichte, dass der Mann ihn über Stunden hinweg mit eben jener Gabe gefoltert hatte. ~Was ich gerade nicht mache.~ Schaudernd konzentrierte sich Omi wieder auf seine direkte Umgebung, die aus viel zu vielen Schwarz bestand. „Was sollte euch daran hindern, uns umzubringen oder zu foltern?“, fragte Ken und Crawfords stechende Augen suchten sich ein anderes Ziel, wofür Omi sehr dankbar war. „Nichts hält uns davon ab, außer den Dingen, die ich dir bereits mitgeteilt habe.“ Im ersten Moment hatte Omi Angst vor dieser brutalen und ehrlichen Antwort, die ihm keine Beschönigung der Wahrheit erlaubte. Doch im zweiten Moment war diese Antwort genau das, was er brauchte. Die Einschätzung der Situation war realistisch und genau diesen Realismus benötigte er um nachzudenken und sich ihrer Optionen hier bewusst zu werden. Sie waren hier. Nichts hielt das feindliche Team davon ab, sie zu beeinflussen und ins Haus zu zwingen. Sie hatten bisher überlebt, nichts garantierte ihnen, dass sie es auf ihrer Flucht durch Japan weiterhin schaffen würden, wenn sie auf Kritikers Unterstützung gerade nicht zählen konnten. Ihre Lage war desaströs und sie würde nicht besser werden, indem sie kopflos handelten. So etwas wie Ruhe kehrte in Omi ein, als er sich bewusst wurde, dass er bereit war eine Entscheidung zu treffen. „Wann treffen Manx und Perser hier ein?“ „Nach dem Essen.“ Omi hob die Augenbraue, nicht sicher, ob er gerade richtig gehört hatte. Ken kam ihm zuvor. „Es gibt Essen?“, fragte dieser hoffnungsvoll und Omi hätte ihm am Liebsten einen Schlag in den Nacken gegeben. Als wenn sie mit Schwarz zusammen essen würden. „In exakt achtzehn Minuten für alle Anwesenden.“ „Ich werde mich mit euch nicht an einen Tisch setzen“, knurrte Youji und Crawford lächelte dunkel. „Wenn ich mich richtig an Abyssinians Worte erinnere, ist die Wahrscheinlichkeit, dass du zumindest mit Jei und Schuldig an einem Tisch gesessen und gegessen hast, sehr hoch. Woher die plötzliche Pikiertheit?“ Youji schnaubte verächtlich und verschränkte die Arme. „Das war ein Ausnahmezustand. Jetzt haben wir Omi zurück und ihr seid wieder vollständig. Damit besteht keine Notwendigkeit mehr für solch dummen Ideen.“ Bevor Crawford etwas erwidern konnte, zischte Farfarello missbilligend. „Sie hat zum Essen geladen, also wird es auch gegessen. Es ist unhöflich, das abzulehnen.“ Omi wurde den Verdacht nicht los, dass eine derartige Unhöflichkeit in den Augen des irren Schwarz ein Grund wäre, sie alle umzubringen. ~Gar nicht mal so falsch der Gedanke.~ Es war nur Essen. Wenn Schwarz sie umbringen wollten, würden sie das auf andere Art und Weise tun. ~Ebenso richtig.~ Sie mussten warten, bis Perser und Manx kamen um die wahren Hintergründe zu erfahren. Bis dahin brachte es nichts, kopflos weiter durch Japan zu fliehen. Omi fing den Blick des Mannes ein, der ihn um Naoes Rettung gebeten hatte. Schweigend und taxierend maßen sie sich. Selbst wenn Crawford wusste, wie seine Entscheidung lauten würde, so gab er es nicht preis und gab ihm die Illusion, dass er tatsächlich auf seine Meinung wartete. Von Crawford aus streifte sein Blick zu Aya. Auch ihr Anführer war Opfer von Schwarz geworden und hatte sogar noch viel mehr Zeit in der Gewalt des feindlichen Teams verbracht. „Du befürwortest das?“, fragte Omi und Aya schüttelte mit dem Kopf. „Befürworten kann man das nicht nennen, aber ich sehe es als Möglichkeit, unser Leben zu retten.“ Der junge Weiß nickte und wandte sich an Youji und Ken. „Bis wir mit Perser gesprochen haben?“ „Bist du sicher, Omi?“, fragte Ken und Omi konnte das aus vollem Herzen verneinen. Natürlich war er das nicht. Er würde am Liebsten ans andere Ende von Japan fliehen. Trotzdem nickte er. „Gut, dann soll es so sein“, bestätigte Youji und seufzte. Die mehlbestäubte Frau, die nun nach draußen trat und sie alle mit einem strahlenden Lächeln bedachte, schien genau darauf gewartet zu haben. Omi starrte ihr in das offene und freundliche Gesicht und fragte sich, ob sie eine Art Haushälterin für Schwarz war so wie sie aussah. „Jungs, es gibt Essen!“, rief sie in die aufgetretene Stille hinein und Omi zuckte unwillkürlich zusammen, als er Crawfords bösen Blick in ihre Richtung einfing. Die Arme… „Wenn ich die Herren hineinbitten dürfte, bevor es kalt wird?“ Wortlos ging das Orakel an ihr vorbei und verschwand im Schlund des großen Hauses, das trotz seiner offenen Architektur Omi wie der Schlund der Hölle erschien, der sie zwangsläufig verschlingen würde. Er folgte dennoch, auch wenn er sich wünschte, dass er mutig genug gewesen wäre, sich nicht direkt hinter Aya zu halten, in der fahlen Hoffnung, dass dieser ihn vor einem erneuten Zorn des Orakels beschützen können würde. Auf welche irrationale Art und Weise auch immer. ~~**~~ Aya starrte zweifelnd auf das weißlich-sämige Gebräu vor sich, als würde es ihn gleich anspringen. Er blinzelte und fragte sich, ob er nicht träumte – zugegeben schlecht träumte, denn dieses fremde Essen war so gänzlich anders als alles, was er jemals probiert oder gegessen hatte. Vielleicht hatte Omi doch Recht mit dem Gift gehabt. Zudem hatte er weniger Angst vor dem Essen als vor der Köchin, die es ihnen serviert hatte. Nachdem die Exekutorin es mit einem charmanten, aber unnachgiebigen Lächeln geschafft hatte, alle Anwesenden trotz Angst, Misstrauen, Wut und Hass aufeinander an den runden Eichenholztisch zu bekommen. Schwarz, Weiß, ihren Assistenten, alle diejenigen, die freiwillig niemals hier sitzen würden. Sie hatte für sich selbst einen Platz reserviert, also würde sie wohl mitessen, was das Ganze überhaupt nicht besser machte, das schon jetzt höchst angespannt war. Aya starrte sie an, wie sie neben ihrem Stuhl stand und die…Suppe aufgab, als wäre das hier ein Essen unter Freunden. Teller um Teller wurde mit dem Gebräu gefüllt und an den jeweiligen Platz weitergereicht. Schuldig war der Einzige, der grinste und der sich lautstark dafür bedankte, dass es „endlich richtiges Essen nach dem Fraß von Weiß und Kritiker“ gab. Crawford saß mit versteinerter Miene zwischen Farfarello und dem Assistenten seiner Mutter, Naoe wiederum mit eingesunkenen Schultern und gesenktem Blick zwischen Schuldig und ihrem Platz, die sich zu Ayas Linken platziert hatte. Youji und er hatten Omi in ihre Mitte genommen, der die Haltung und Angst des Telekineten spiegelte. Ken starrte die Runde mit offener Abneigung an, nur den Hünen und die Mutter von Crawford maß er mit kaum verhohlenem Interesse, unschlüssig, wer sie waren und was er aus ihrer Anwesenheit und ihrem Tun herauslesen sollte. Aya hatte keine Zeit mehr gehabt, sein Team darüber aufzuklären, wer sie war und vor allen Dingen, was sie war. Er ahnte, dass es sich bereits herumgesprochen hatte, dass es jemanden gegeben hatte, der Schwarz einen Besuch abgestattet im Krankenhaus von Kritiker, doch dass Youji, Ken und Omi den Bogen zu ihr schlugen, bezweifelte er. Sie war ihm zuvorgekommen, als sie sein Team geradezu mütterlich in die Küche gelockt hatte, sodass ihm keine Zeit geblieben war, sie über die Frau und die Gefahr, die sie für sie darstellte, in Kenntnis zu setzen. Dass sie das mit Absicht getan hatte, war unzweifelhaft und nun war es zu spät, sich darüber aufzuregen. Besagte Frau sah zufrieden in die Runde und tat sich dann selbst Suppe auf den Teller, setzte sich und schloss für einen Moment lang unter dem brennenden Blick des Iren stumm die Augen. Dann wandte sie ihnen allen ihre volle Aufmerksamkeit zu und deutete auf die Teller. „Bitte, es darf gegessen werden“, lächelte die oberste Exekutorin von Rosenkreuz. „Es ist auch noch genug für einen Nachschlag da. Oder zwei.“ Es dauerte einen Moment, bis jemand auf ihre Worte reagierte und erst, als sie zu essen begann, folgten ihr die Anderen. Zuerst Schuldig und Farfarello, welcher den Löffel mit Bedacht in die weiße Brühe tunkte und sie langsam aß, das Auge voller Intensität und Hunger auf das gegnerische Team gerichtet. Ayas Magen nahm ihm die Entscheidung ab, ob er etwas essen wollte oder nicht, als er sich laut bemerkbar machte. Vorsichtig tauchte er den Löffel in die undurchsichtige, milchige, sämige Brühe und probierte es. Im ersten Moment liefen seine japanischen Geschmacksnerven jedoch beinahe Amok und Aya fragte sich, wie das ein Mensch jemals freiwillig essen konnte. Das war ja…alles weichgekocht, weich bis hin zum Labbrigen und Breiigen. Das war schlimmer als alles, was er in seinem Leben je in den Sand gesetzt hatte beim Essen. Sein durch die japanische Küche verwöhnter Magen rebellierte, als die Suppe aus Kartoffeln, Zwiebeln, Fisch und Mehl Krieg gegen seine Geschmacksknospen führte, bevor diese schlussendlich aufgaben. Er warf verstohlene Blicke zu den anderen Männern am Tisch. Ken schlang die Suppe nur so hinunter, ungeachtet von Situation und Geschmack. Aya wunderte das nicht, Ken aß ALLES mit Begeisterung, was er nicht selbst gekocht hatte. Youji hatte ähnliche Vorbehalte wie er auch und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die anwesenden Schwarz zu beobachten, während er Löffel um Löffel hinunterzwang. Omi rührte das Essen ebenso wie Naoe überhaupt nicht an. Der Blick auf Crawford zeigte, dass dieser anscheinend mit dem Essen, was ihm vorgesetzt wurde, durchaus vertraut war und es Löffel um Löffel zu sich nahm. Aya erkannte, dass der andere Mann immer noch Probleme mit dem Schlucken hatte und er ahnte warum. Alleine das Wissen darum war genauso verstörend wie die ganze, spannungsgeladene Situation, die jederzeit zu eskalieren drohte. „Nagi, mein Lieber, magst du es nicht?“, fragte die Frau am Tisch sanft in die Stille hinein und strich dem Telekineten sacht über die schwarzen Haare. Dort, wo Aya Schrecken ob der Berührung erwartet hatte, sah er nun Beruhigung in den Augen des Telekineten, der die ältere Frau mit einem unmerklichen Nicken bedachte. „Doch, aber ich…“ Er ließ die Worte mit einem kurzen Blick auf Aya und sein Team ausklingen und die Exekutorin nickte verständnisvoll. „Lass dir Zeit“, lächelte sie sanft und wandte dann ihren Blick an Omi. „Omi, was ist mit Ihnen?“, fragte sie im gleichen Tonfall und der blonde Junge zuckte zusammen. Es dauerte etwas, bis er ansetzte, etwas zu sagen. Trocken räusperte er sich, den Blick immer noch starr auf die Tischplatte gerichtet, nicht auf sie oder einen der anwesenden Schwarz. Aya konnte es ihm nicht verdenken. „Ich habe keinen Hunger.“ „Meinen Sie, Sie könnten mir eine Freude machen, indem Sie einen Löffel probieren?“ Aya fixierte sie schweigend und fragte sich mit Wut in den Gedanken, ob sie Omi zum Essen zwingen wollte. Aber das würde nicht passieren. Er würde nicht zulassen, dass Schwarz oder Rosenkreuz Omi noch weiter zusetzten, als sie es bereits getan hatten und ihn noch ein weiteres Mal zu etwas zwingen würden, was er nicht wollte. Doch ihr Jüngster nickte und probierte vorsichtig einen halben Löffel. Aya musste kein Gedankenleser sein um zu sehen, dass der Geschmack Omi überraschte, so sehr, dass er einen vorsichtigen Blick in Richtung der Köchin warf. „Es schmeckt sehr gut“, sagte er leise und sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das geradezu vertrauenserweckend wirkte. Als er den Blick wieder senkte, behielt er jedoch den Löffel bei und tauchte ihn wieder und wieder in den Teller, bis dieser leer war. Schneller als Aya. Nicht so schnell wie Schuldig, der beim zweiten Nachschlag war, als sie alle mit der ersten Runde fertig wurden. Verstohlen sah Aya zu Crawford. Er musste dieses Essen doch öfter gegessen haben, wieso war er dann langsam genug, um deutlich zu machen, dass er es nicht mochte? Schuldig lachte laut. „Weil er den Mund ein wenig zu voll hatte. Oder weil er ein verwöhntes Arschloch ist, deshalb“, warf er nonchalant in den Raum und bekam dafür nicht nur einen irritierten Blick zugeworfen. „Besser verwöhnt als sich für nichts zu schade“, schickte Aya zynisch zurück. Youji sah ihn zweifelnd an und Aya deutete auf Schuldig. Wenn der Telepath indiskret war, konnte er es auch sein – mit Vergnügen sogar. Er sah Crawford an. „Er unterstellt dir, dass du wählerisch bei der Wahl deines Essens bist.“ Crawford hob kaum merklich seine Augenbraue, enthielt sich jedoch eines Kommentares und Schuldig grinste teuflisch. „Er weiß halt nicht, was gut für ihn ist.“ „Schuldig.“ Der klirrende Ton in der Stimme des Amerikaners war eine eiskalte Warnung und Omi zuckte zusammen, spiegelte damit Naoe, der auf der anderen Seite des Tisches ebenso zusammenfuhr, als säße der der Teufel persönlich mit am Tisch. „Oh ist es nicht so? Sowohl beim Essen, aber nicht bei -“ „Schuldig, hör auf“, war es die leise Stimme des Telekineten, die ihn unterbrach und zögerlich sah Naoe in die Augen des Telepathen. „Bitte.“ Das Grinsen auf den schmalen Lippen blieb, auch wenn Schuldig die darauffolgende unangenehme Stille mit seinem eigenen Schweigen einläutete. Es blieb still danach, bis Ken sich mit Andeutung eines runden Bauches schlussendlich zurücklehnte. „Dafür, dass es alles weich und durchgekocht ist, war’s schon irgendwie lecker“, sagte er in seiner uvergleichlichen Art, Komplimente unbewusst wie Beleidigungen klingen zu lassen und Aya starrte ihn an, fragte sich, wie er den Mann davon abhalten konnte, sich gegenüber der Frau am Tisch noch weiter im Ton zu vergreifen und ihr einen Grund zu liefern, sie alle zu töten. Noch während er darüber sinnierte, war ausgerechnet sie es, die lachte. „Nachschlag?“, fragte sie mit erhobener Augenbraue. „Aber gerne doch!“, strahlte Ken und Aya hoffte, dass vielleicht doch noch nicht alles verloren war. „Bleiben Sie sitzen“, schmunzelte sie, als er sich erheben wollte und nahm seinen Teller, füllte ihn wieder. Sie stellte ihn unter überschwänglichem Dank wieder hin und Ken schlug ein weiteres Mal zu, bis ihm anscheinend etwas einfiel. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel lenkte Aya von seinem Freund ab und er sah, wie sich Crawford über die Nasenwurzel rieb. Aya kannte diese Geste, war bereits selbst Empfänger dieses Versuchs gewesen, augenscheinliche Dummheit zu ertragen. Während Aya sich noch fragte, warum, machte Ken auch schon den Mund auf, anscheinend ermutigt durch den Nachschlag, den er erhalten hatte. „Und Sie sind so etwas wie eine Köchin für Schwarz?“, fragte er frei heraus und der rothaarige Weiß grollte, während Schuldig sich auf der anderen Seite des Tisches an einem Stück Kartoffel verschluckte und hoffentlich – so betete Aya – daran erstickte. Nagi hatte stumm aufgesehen und klopfte dem Telepathen nun mit seiner Hand nicht allzu sanft auf den Rücken. „Ken, hör auf!“, zischte er, doch ihr amüsiertes Lachen wies ihn erneut in seine Schranken und ließ seine Nackenhaare stehen, beinhaltete es doch unterschwellig den drohenden Wunsch, ihr ihre Unterhaltung nicht zu nehmen. „Aber bitte, Fujimiya-san.“ Sie wandte sich an Ken, der sie mit roten Wangen anstarrte, als er begriffen hatte, dass er wieder einmal er gewesen war. „Nein, das bin ich nicht. Zumindest nicht immer, jetzt gerade aber schon.“ Ken nickte mit verlegenem Grinsen. „Entschuldigung, ich dachte nur. Also sind Sie eine Assistentin für Schwarz?“ Aya sah, wie Crawford die Augen verdrehte, eine Geste, die er dem Amerikaner im Leben nicht zugetraut hätte, untermalt von Schuldigs röchelndem Lachen. Er selbst verspürte nicht übel Lust über den Tisch zu langen und Ken in der Suppe zu ertränken. Wenn er gerade dabei war, Schuldig direkt hinterher. „Ich bin eine Mitarbeiterin von Rosenkreuz, die Spaß daran hat, zu kochen“, stellte sie mit gutmütigem Lächeln und der Untertreibung des Jahres richtig und Ken nickte. „Dann Entschuldigung, ich wollte Sie nicht beleidigen.“ Sie winkte ab und alleine diese Geste verursachte Aya eine Gänsehaut. „Machen Sie sich keine Sorgen, dem ist nicht der Fall.“ Ken nickte und vertiefte sich wieder ins Essen. Aya war froh darum. Zumindest solange, bis er erneut ansetzte und Aya zusammenzucken ließ. „Und woher kommen Sie? Ich meine, Sie sehen jetzt nicht aus wie eine Japanerin. Und ihr Akzent ist auch nicht so schlimm wie der des Arschlochs da drüben.“ Er deutete auf Schuldig und das amüsierte Kichern kam dieses Mal nicht von dem Telepathen, sondern von Farfarello, dessen verbliebenes Auge hocherfreut glänzte. Natürlich. „Wen nennst du hier ein Arschloch, du Möchtegernfußballer?“, fragte Schuldig mit einem kalten Zug um den Mund und Ken streckte ihm ungeniert den Mittelfinger entgegen. „Schottland ist meine Heimat“, beendete Crawfords Mutter den Disput und lächelte eine Spur zu sanft in Schuldigs Richtung, der sich jegliche Reaktion auf Ken verbiss. Aya ahnte warum, Ken entging das aber völlig. Mit einem anerkennenden Nicken widmete er sich wieder seinem Nachschlag. Zum Hauptgang gab es, so hatte es zumindest Crawfords Mutter genannt, Fisch-Haggis im Fischmagen und Aya beschloss, dass retrospektiv die Suppe doch gar nicht so schlecht gewesen war. Mit äußerlich unbewegter Miene nahm er auch dieses Essen zu sich, auch wenn es ihm bei jedem Bissen graute und er sich innerlich schüttelte, während er sich fragte, wer in der Welt so etwas freiwillig essen konnte. Doch das war nicht seine größte Sorge. Nachdem Ken dankenswerter Weise damit aufgehört hatte, sich selbst und sein Team ins Verderben zu fragen, hatte anscheinend Youji beschlossen, die ihm noch unbekannte Frau näher kennen zu lernen und Informationen über sie zu gewinnen. Das tat er, wie er es bei den Frauen tat, die ihn amourös und nicht amourös interessierten, und Aya betete mittlerweile nur noch darum, im Boden versinken zu können, während Schuldigs stummes Lachen in seinem Kopf widerhallte. Nachdem er sich mit ihr über Nichtigkeiten wie dieses Haus und das Wetter unterhalten hatte, kam er mehr als auffällig zu eingemachten Themen. Wie zuvor auch schon war Crawford das Frühwarnsystem mit verschiedenen Warnstufen, stellte Aya fest, als er den gar nicht mal so ausdruckslosen Amerikaner betrachtete. „Ich hoffe, dort, wo Sie herkommen, weiß jemand Ihre Schönheit auch wirklich zu würdigen“, sagte Youji und Aya wandte ihm ungläubig den Kopf zu. Hatte Youji… hatte er das wirklich gerade gesagt? In einer Mischung aus Warnung und Unglauben starrte Aya ihn an und die grünen Augen lächelten ihm liebenswürdig entgegen. Youji zwinkerte ihm zu, als wollte er ihm sagen, dass er schon wisse, was er tun würde. Weißt du nicht!, gellte es in Aya und übertönte fast Schuldigs Lachen, das nicht aufhören wollte, von den Innenseiten seines Schädels zu schallen. Crawfords Blick war bestenfalls als eisig zu beschreiben. „Ob es meine Schönheit oder mein einnehmendes Wesen ist, kann ich Ihnen nicht sagen, aber ja, es ist jemandem aufgefallen.“ Youji nickte wohlwollend. „Sagen Sie demjenigen, dass er vorsichtig sein soll, sonst mache ich ihm bei einer so attraktiven Frau noch Konkurrenz.“ Aya starrte geradeaus in Richtung chaotischer Küchenzeile, wollte nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Er hätte es ihm sagen sollen, er hätte es ihm verdammt nochmal sagen sollen, wer diese Frau war! Schuldig bebte vor stummen Freudentränen, während ein minimaler Hauch von Unglauben auf Crawfords Gesicht lag und die hellbraunen Augen sich viel zu langsam auf seine Mutter richteten, die offensichtlich viel zu viel Spaß an all dem hier hatte. Lieber ließ Aya seinen Blick zurück auf das im Moment allzu menschlich scheinende Orakel gleiten. „Bin ich denn nicht etwas zu alt für Sie?“, fragte sie augenzwinkernd und Youji lachte warm. Halt die Klappe, gab Aya ihm stumm zu verstehen, doch Youji war vollkommen überzeugt von sich und seinem Handeln, als dass er sich zu diesem Zeitpunkt noch vom Gegenteil überzeugen lassen würde. „Sie sind eine Frau in ihren besten Jahren. Sie wissen, was Sie wollen und sicherlich gibt es viele, die Sie um Ihre Schönheit und Jugendlichkeit beneiden.“ Aya musste wegsehen, er konnte das Elend nicht mehr ertragen. Er konnte vor allen Dingen nicht Crawfords erstauntem, nein, das war ein falsches Wort dafür, milde entsetztem Blick weiter folgen. So konzentrierte er sich auf Omi, auf dessen Gesicht tatsächlich so etwas wie ein Schmunzeln lag. Seit Ewigkeiten sah er das das erste Mal wieder. In Anwesenheit der Schwarz war es beinahe ein kleines Wunder. Die Exekutorin lachte und winkte ab. „Ich werde es meinen Kindern mit auf den Weg geben, damit diese keine Angst vor dem Älterwerden haben müssen.“ Aya vermied gerade mit aller Selbstbeherrschung den Blick auf Crawford selbst, ganz im Gegensatz zu Schuldig, dessen Prusten nur allzu hörbar war. „Kinder?“ Youji war charmant überrascht und ihr glockenhelles, warmes Lachen erklang. „Vier an der Zahl.“ Nun fuhr Ayas Blick doch zu Crawford. Der Amerikaner hatte noch Geschwister? Der eisige Blick, der ihm zuteil wurde, hielt ihn davon ab, nachzufragen, jetzt sowieso nicht und auch nicht in Zukunft. Nie. Wortloses Erstaunen trug sich ihr entgegen, gefolgt von einem „Das sieht man Ihnen beileibe aber nicht an. Formidabel sehen Sie aus.“ Youji seufzte und hielt sich eine Hand ans Herz. „Wenn all dies hier vorbei ist, dürfte ich Sie dann zu einem Kaffee ausführen?“, flirtete er hemmungslos und Crawford knirschte mit den Zähnen. „Nein!“, presste das Orakel hervor, bevor seine Mutter auch nur die Chance auf eine Antwort gehabt hätte und seine Augen ruhten dunkel auf ihr, der Frau, die ihren Sohn nicht im Geringsten beachtete und mit einem gekonnten Augenaufschlag den Flirt Balineses erwiderte, ihren Sohn ignorierend, wie Youji auch ihn ignorierte. Grimmige Genugtuung schwelte in Aya. Wieso sollte es dem Amerikaner da auch bessergehen als ihm? „Ach warum denn nicht? Es ist schon so lange her, dass ich von einem jungen, netten Mann zum Kaffee eingeladen wurde“, widersprach sie ihm schließlich. Aya vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Bei soviel Dummheit… wortlos schüttelte er den Kopf. „Aber Sie müssen mir schon Ihren Namen verraten, wenn ich Sie zum Kaffee ausführen darf.“ Aya ließ seine Hände sinken, als er auch ohne Hellsicht ahnte, was gleich kommen würde und feststellte, dass er Youjis Gesichtsausdruck sehen wollte. Als erstes sah er jedoch Crawfords Lächeln, das im Gegensatz zur Wut vorher gerade etwas geradezu hämisch Zufriedenes hatte. Selbst Schuldig war mittlerweile still und erwartete scheinbar gespannt ihre Antwort. Naoe sah irritiert auf, ebenso wie Omi nun interessiert die Unterhaltung verfolgte. Aya wollte wirklich sehen, wie die Hoffnung in Youji zerbrach, er wollte sehen, wie sie ihm nun den Dolch ins Herz stieß. Youji hatte es nicht besser verdient. Wirklich nicht. „Siobhan. Siobhan Crawford“, stellte sich ihm die Dame des Hauses, die oberste Exekutorin von Rosenkreuz, Telepathin und als wäre das noch nicht genug, Mutter von Crawford, mit belustigtem Lächeln vor und Youjis Augenbrauen schossen in die Höhe. „Crawford wie der da?“, deutete er auf den Amerikaner und Aya runzelte die Stirn, als ihm etwas auffiel, was er bisher übergangen hatte. Sie nickte. Youji entfuhr ein Laut der Überraschung. „Sie sind die Schwester“, stellte er mit nichtvorhandenem Scharfsinn fest und Aya verdrehte die Augen. Und abwärts ging es mit Weiß. „Die Mutter“, setzte die Exekutorin den Todesstoß für jedwede Avancen des blonden Mannes und Youji starrte sie stumm an, vollkommen überrumpelt und nicht in der Lage, etwas zu sagen. Schuldig lachte lauthals, selbst Farfarello schien amüsiert, während Omi der Frau, der er so nahe saß, mit neuerlicher Angst ins Gesicht sah. Aya fasste die Hand des Jungen, drückte sie sacht. Ich bin da, gab er ihm zu verstehen. Ich bin bei dir. Omis Blick ruckte zu ihm und krallte sich in ihm fest. Wohltuende Stille folgte der Klarstellung und Aya atmete erleichtert auf. Nun konnte wahrlich nicht mehr viel passieren, die Karten waren auf dem Tisch und Youji würde endlich den Mund halten. Er machte die Rechnung ohne Ken. Natürlich. „Aber eines verstehe ich nicht“, setzte dieser an und Aya ahnte nichts Gutes. Das ihm gegenübersitzende Frühwarnsystem bestätigte das mit einem amüsierten, spöttischen Schmunzeln voller Bosheit in seine Richtung. Ken runzelte nachdenklich die Stirn. „Wenn Sie aus Schottland kommen, wie kann dann Ihr Sohn“, er deutete verwirrt auf Crawford. „…ein Amerikaner sein?“ „Möge sich die Erde auftun und dich verschlucken“, murmelte Aya in das schallende Lachen des Tisches und verwünschte Ken bis in alle Ewigkeit. Schuldig hielt sich mit der unversehrten Hand den Bauch und selbst Farfarellos vernarbte Lippen zierte ein zähnefletschendes Lächeln. Naoe schmunzelte kurz und selbst auf Omis Lippen war der Anflug eines Lachens zu sehen, der die Angst für einen Moment vertrieb. Siobhan lachte selbst am Herzhaftesten und erhob sich. „Nachtisch jemand?“, fragte sie mit Lachfältchen um die Augen, die ihr eine Wärme und Zuneigung gaben, die sämtliche Kälte und Gefahr, die von ihr ausgingen, übertönte und den unbedarften Zuschauer einlullten. ~~~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)