Die Farbe Grau von Cocos ================================================================================ Kapitel 20: ... ist mein Freund? -------------------------------- Omi hatte den Blick nicht abwenden können. Zunächst hatte er sich wegdrehen wollen, als der Telekinet begonnen hatte, seinen eigenen Anführer zu foltern, doch er hatte sich außerstande gesehen, sich von dem sadistischen Schauspiel abzuwenden. Warum genau, das konnte Omi nicht mit Sicherheit sagen. Schadenfreude, unendliche Genugtuung für das vor ihm kniende Leid, Rachsucht. Oder war es doch Abscheu vor der Gewalt, deren Zeuge er hier wurde, sobald er einen Blick auf Naoe warf, der mitnichten er selbst war und dessen zerstörerische Kraft wieder und wieder auf ein Mitglied seines eigenen Teams einwirkten? Die Schreie des Orakels wurden gnadenlos von Wänden wieder auf sie zurückgeworfen und krallten sich in Omis Ohren. Die Telekinese des Jungen neben ihm prickelte auf seiner Haut und ließ eine Gänsehaut zurück, die wie Hohn im Vergleich zu der Folter wirkte, der er Crawford unterzog. Doch nicht nur die. Das abwesende, teuflische Lächeln und die Freude auf dem Gesicht Naoes verursachte Omi ekelgetriebene Übelkeit. Er wusste nicht viel über Schwarz, doch bei ihren bisherigen Zusammentreffen war Prodigy seinem Anführer immer treu ergeben gewesen. Waren es nun die Drogen, die diese Seite in ihm hervorriefen? Was in aller Welt konnte den Telekineten so gegen seinen Anführer aufbringen, dass er ihn derart quälte ohne auch nur mit der Wimper zu zucken? Was für Drogen mussten das sein, um so etwas zu erreichen? Sein Blick huschte zu Lasgo, der mit zufriedener Miene an der Wand lehnte und die Hände locker in seinen Taschen vergraben hatte. Gier stand in den grauen Augen und Omi wusste nur zu gut, dass diese Gier dem Amerikaner galt. Welcher Gott auch immer gerade zusah, er mochte ihm gnädig sein, aber Omi war dankbar darum, dass nicht er im Fokus des Scheusals stand. Beinahe erleichtert sah er, dass Crawford schließlich das Bewusstsein verlor und die Folter damit ein Ende fand. Omi bemerkte, dass er vor Anspannung zitterte und dass seine Hände zu starren Fäusten geballt waren. Eine Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich und er sah, dass Lasgo Nagi bewundernd über das Gesicht strich. „Das hast du gut gemacht, mein Junge. So ist es richtig. Verletze die, die dir wehtun.“ Sacht hauchte er ihm einen Kuss auf die Stirn und bedeutete seinen Männern, den Jungen wieder hinaus zu führen. Omi musste ihnen noch nicht einmal nachsehen um zu wissen, dass für Naoe vermutlich ebenso eine Zelle reserviert war. Dann ruhte Lasgos Blick auf Omi und dieser kam nicht umhin, die erwartungsvolle Freude in den grauen Augen zu sehen. „Alles für dich, Omi.“ Fragend runzelte Omi die Stirn und ließ die Worte ihren eigentlichen Sinn in ihm entfalten. Lasgo genoss es, Crawford zu quälen und zu unterwerfen. Wieso tat er es ihm zuliebe? Er hatte damit nichts zu tun, rein gar nichts. Er war doch nur vorgeschoben und das auch nur, weil Crawford ihn beinahe zu Tode geprügelt hatte. „Wieso für mich?“ „Es ist deine Rache.“ Lasgo deutete auf den in Ketten liegenden, blutenden Mann, dessen Leid, da war sich Omi sicher, noch lange nicht vorbei war. „Du kämpfst seit Jahren gegen ihn. Seit Jahren seid ihr machtlos gegen das Orakel und sein Team. Sie spielen mit euch, sie quälen euch und verhöhnen euch, wo sie nur können. Er hat Hand an dich gelegt, Omi und es gewagt, dich zu verletzen, um dir zu zeigen, dass er der Stärkere ist. Doch schau sie dir an. Das mächtige Orakel in Ketten, gefoltert von seinem eigenen Ziehsohn, Prodigy selbst nicht mehr in der Lage, für seine verachtenswerten Ideale einzutreten. Mastermind körperlich versehrt und Berserker…“ Lasgo lachte spöttisch. „Verrückt wie immer und bald tot, jetzt wo sein Anführer ihn nicht mehr an der Kette hält.“ Sprachlos musterte Omi den Mann, der so verdammt selbstsicher war, dass es schmerzte. Wälz das nicht auf mir ab, schrie es innerlich in ihm, ich bin nicht der Auslöser dafür! Doch ein Teil von ihm – ein nicht zu geringer Teil – war erschreckenderweise dazu bereit, Lasgo zu glauben, eben weil seine Worte mehr Wahrheit beinhalteten, als es Omi sich einzugestehen bereit war. Während er fassungslos zugesehen hatte, wie Naoe Crawford folterte, hatte ein kleiner Teil in ihm, wohlversteckt und unterdrückt, sich daran gelabt, was dem Amerikaner angetan wurde. Er hatte ihm jeden einzelnen Schlag, jeden Schmerz und jeden Schrei gegönnt. Omi schluckte. War er damit nicht genau schlimm wie Lasgo auch oder hatte er das Recht dazu, sich diese Rache zu nehmen? „Ich will hier raus“, entschied Omi und rannte vor sich und der Wahrheit davon, die hier in diesem Raum auf ihn lauerte. Er drehte sich um und wurde mit den Wachmännern konfrontiert, die ihm den Weg in den Flur versperrten. „Lass mich hier raus“, wiederholte er und Lasgo gab seinen Männern mittels eines knappen Nickens den Befehl, ihn wieder zurück zu bringen. Und so sehr Omi seine komfortable Zelle auch verfluchte, so froh war er, den blutbespritzten Keller verlassen zu können. ~~**~~ Da war nichts. Die scheiß Drogen, die sie ihm verabreicht hatten, waren Gift für seine Telepathie und ließen ihn mental blind, taub und stumm zurück. Sein Magen rebellierte gegen die Substanzen und gegen den Schmerz, der trotz der billigen Schmerzmittel, die in seinem Blut kursierten, sein Dasein hier beinahe unerträglich machte, so wie er in seiner Schulter und Nase pochte. Schuldig wusste gar nicht, wo er anfangen sollte, den ganzen Dreck aufzuzählen, der sich innerhalb von Sekundenbruchteilen vor ihm aufgetürmt hatte und der seit der katastrophalen Mission immer schlimmer wurde. Was interessierten ihn die Weiß mit ihrem lächerlichen Taktiker, wenn er gleich zwei Mitglieder seines Teams verloren hatte, von denen er – wenn er es sich ehrlich eingestand – eines am Liebsten erschießen würde, wenn er ihn wieder in die Finger bekam. Schuldig konnte sich absolut keinen Reim darauf machen, was Nagi an Lasgos Seite zu suchen hatte und vor allen Dingen, was ihn dort hielt. Der kurze Einblick, der ihm in die Gedanken ihres Jüngsten gelungen war, bevor dieser ihn ausgeknockt hatte, war alles andere als schön, aber wenig aufschlussreich gewesen. Wie in einer sich stetig wiederholenden Schleife waren anscheinend Erinnerungen an Nagi und Crawford vor dessen innerem Auge abgelaufen. Wieder und wieder hatte der Telekinet ihm gezeigt, was Crawford gesagt und getan hatte, um den Jungen aus dem Haus zu werfen. Und Schuldigs Hass auf seinen Anführer stand seitdem auf einer Stufe mit dem Hass für Weiß und ihre Stümperhaftigkeit, mit der sie ihm momentan sein Leben zu einer Hölle machten. Als wenn alleine die Tatsache nicht ausreichen würde, dass Kudou ihm die Nase gebrochen hatte, die ihn durch ihr stetiges Pochen verrückt machte. Nein, dann waren sie auch noch auf die hervorragend beschissene Idee einer Zusammenarbeit gekommen, um ihre Teamkollegen aus den Fängen des Drogenhändlers zu befreien. Hier, in seiner Wohnung, in seinem jetzigen Zustand… einen besseren, dummen Plan hatten sie wirklich nicht aufbringen können. Schuldig versuchte erneut, seine telepathischen Fühler auszustrecken und Jei zu kontaktieren, der dem Ganzen hier ein Ende setzen würde. Doch da war nichts. Da waren nur einzelne Gedankenfetzen, die sich zu ihm trugen und die gehörten zu der einzigen Person, die sich momentan in seiner direkten Nähe befand. Kudou, der er sich nicht hatte nehmen lassen, ihn zu bewachen, während die anderen beiden Weiß sich zu dem Krankenhaus begeben hatten, das er ihnen benannt hatte um die Informationen nachzuprüfen, die er ihnen gegeben hatte. Er schnaubte mit verächtlicher Vorsicht. Was war ihm Fujimiyas Schwester doch egal. Er brauchte den Weiß nicht, um seine Gabe zu stabilisieren. Er brauchte den schwesterlichen Klotz am Bein nicht, also konnte der Weiß sie mitnehmen und glücklich werden, wie er lustig war. Dafür würde Schuldig nicht seine Unversehrtheit opfern, im Leben nicht. Was er brauchte, war eine Verbindung zu Rosenkreuz, doch genau davor scheute er sich, wenn er es sich ehrlich eingestand. Würde er ihr vollumfängliches Versagen bekannt geben, hatte er innerhalb eines Tages ein Cleanerteam hier in Japan, die sich seiner annehmen und ihn durch die Mangel drehen würden. Mit Crawford und Nagi würden sie ebenso verfahren und zumindest im Fall des Jungen war es absolut unverdient. Also musste er weiterhin so tun, als wäre alles in Ordnung und darauf hoffen, dass weder der Panda noch ihre Organisation selbst etwas über die plötzliche Abwesenheit des Teams erfuhren. Der erste Schritt hierzu war getan, indem er Takatori von ihrem Account den Erfolg der Mission gemeldet hatte. Dass das nicht gut gehen würde, konnte Schuldig sich an drei Fingern abzählen, aber er hegte immer noch die Hoffnung, dass sich in dem kurzen Zeitfenster, das er hatte, sowohl seine Gabe als auch die Situation klärten und er schlussendlich dann Crawford ihrer Organisation zum Fraß vorwerfen konnte. Sollte er sich doch mit der Exekutorin auseinandersetzen als ihr Anführer, der er behauptete zu sein. Schuldig grollte und rieb sich vorsichtig über die Nase. Es schien, als würde alleine der Gedanke an die Dame des Hauses seine Gabe daran erinnern, was sie zu tun hatte, so plötzlich, wie nun die Gedanken des anwesenden Weiß seine eigenen durchdrangen und ihn mit ihrer Intensität penetrierten und nervten. ~~**~~ Youji lehnte seinen Kopf gegen die grauen Vorhänge und gönnte seiner Schläfe das kühle Fenster ins geschäftige Stadtleben unter ihnen. Ken und Aya holten Informationen über Ayas Schwester ein und besorgten in diesem Zug auch noch gleich Essen, während er die Bewachung des Telepathen übernommen hatte, der, so bitter und absurd es auch war, momentan die geringere Bedrohung als Kritiker, die ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach auflauerten, darstellte. Mehr als bissige Kommentare zu ihren momentanen Plänen hatten sie aus dem Telepathen nicht herausbekommen, der bis vor kurzem noch an diesem Fenster gesessen und abwesend hinausgestarrt hatte, als könne ihm die Stadt selbst eine Antwort auf seine Fragen geben. Doch Youji glaubte dieser vermeintlichen Schwäche keine Sekunde lang. Deswegen hatte er sich auch freiwillig dazu gemeldet, auf den Mann aufzupassen, der Omi gefoltert hatte. Youjis Augen hielten sich am Licht der Stadt fest, an der hektischen Betriebsamkeit. In solchen Momenten wurde ihm bewusst, wie einsam und unwissend dieser Bienenstock von einer Stadt eigentlich war. Die Menschen wussten nichts über die wirkliche Tiefe der Abgründe, über die sie so unwissentlich wandelten. Seufzend warf er einen Blick in Richtung Schlafzimmer, in das sich der Telepath seit geraumer Zeit verzogen hatte, kurz nachdem er wenig freundlich angemerkt hatte, dass ihre Pläne beschissen und undurchdacht waren. Aber mit einem eigenen, wohl ausgefeilten Plan aufwarten? Fehlanzeige. Natürlich. Wenigstens konnten sie eben die Informationen überprüfen und bestätigen, die Schuldig ihnen über Aya gegeben hatte. Alles, was er ihnen unter Schmerzen mitgeteilt hatte, war bisher richtig gewesen, wenn er den Nachrichten, die ihn über die hastig gekauften Prepaidhandys erreichten, Glauben schenkte. ~Hör auf zu denken, Kudou. Das ist ja widerlich~, ätzte es in seinen Gedanken und Youji machte einen überraschten Satz nach vorne. Er musste nicht zweimal darüber nachdenken, um sich klar zu werden, was das gerade bedeutet hatte. Ein eiskalter Schauer durchlief ihn. Der verfluchte Telepath hatte seine dreckige Gabe wieder und wer hatte das unglaubliche Glück, mit dem Idioten alleine zu sein? Weil er die geringere Bedrohung war? ~Dein ach so geliebtes Team scheint dich wirklich nicht zu mögen, Arschloch. Fast so sehr, wie ich dich leiden kann für das, was du mir angetan hast~, kam es beißend zurück und Youji hörte, wie sich die Tür des Schlafzimmers öffnete. Langsam kamen Schuldigs Schritte näher und alarmiert folgten Youjis Augen den gemächlichen Bewegungen des Deutschen, die sich beste Mühe gaben, denen eines Raubtieres zu ähneln, aber angesichts des körperlichen Zustandes immer noch auf deutliche Schwächen hinwiesen, die er nutzen konnte um die Oberhand über den Telepathen zu gewinnen, sollte dieser ihn angreifen. Doch Schuldig machte noch nicht einmal den Versuch eines Angriffs. Nach einem kurzen, verächtlichen Blick in Richtung Youji wandte dieser sich zu der kleinen Küche und nahm sich mit zittrigen Händen ein Glas Wasser. Youji beobachtete ihn dabei, wie er vorsichtig schluckte und das Gesicht vor Schmerzen verzog, als seine Nase davon in Mitleidenschaft gezogen wurde. Sacht befühlte der Telepath das gebrochene Nasenbein, für einen Moment lang scheinbar wieder tief in seinen eigenen Gedanken versunken. Youji nahm sich unterdessen Zeit, die Gesamterscheinung des Telepathen eingehender zu betrachten. Anscheinend hatte er versucht, das blutige, zerschnittene Oberteil auszuziehen. Von Erfolg war das nicht gekrönt gewesen, so wie Schuldig nun seinen verletzten Arm ohne Schulterschlinge eng an sich hielt. Die kupfernen Haare hingen wild über dem Rücken; unter dem zerschlissenen Stoff sah Youji zwei lange Narben, die sich rot und wulstig links und rechts der Wirbelsäule nach unten schlängelten. Sie schienen noch nicht alt zu sein und Youji fragte sich unwillkürlich, woher Schuldig sie hatte. Zu überheblich gewesen, schloss er seine Überlegungen ab und wandte den Blick aus dem Fenster, bevor er weiter auf dem Telepathen ruhen konnte. Muskeln hatte er, das musste man Schuldig lassen. Youji hätte gedacht, dass der Telepath seine geistige Kraft zulasten seiner körperlichen geschult hatte, doch weit gefehlt. Überhaupt war es seltsam, Schuldig so zu sehen, ohne seine himmelschreiend bunte Kleidung und das omnipräsente Grinsen auf den Lippen. Abgehacktes Lachen durchbrach die Stille. Die Schultern des Telepathen bebten davon, während er mit einem lauten Knall das Glas auf die Anrichte stellte und schließlich abrupt verstummte. Langsam drehte er sich um und lehnte sich vorsichtig an die kleine Küchenzeile. „Wie hast du bis jetzt bloß so lange überleben können, Weiß?“, fragte Schuldig und seine Stimme klang schmerzdurchtränkt und rau. Youji sah zu ihm und hielt den ätzenden Blick der blauen, blutunterlaufenen Augen. Er zuckte mit den Schultern. „Glück?“, schätzte er und Schuldig schnalzte abwertend mit der Zunge. „Irgendwann ist alles Glück zu Ende…“ „So wie bei dir jetzt gerade, meinst du?“, hielt Youji dagegen und erntete einen mörderischen Blick, der ihm durchaus mehr Angst einjagen würde, wenn der Telepath nicht so verdammt blass und blau geschlagen gewesen wäre und beschlossen hätte, die Konversation auf das gesprochene Wort zu verlagern. Alleine der gepresste Gesichtsausdruck sagte ihm, dass er mindestens teilweise Recht hatte mit seinen Vermutungen. „Dein Hirn würde sich ausgezeichnet auf dem Boden machen“, drohte Schuldig nonchalant und Youji folgte seinem Blick gen Fliesen. „So hässlich wie sie sind, gebe ich dir Recht.“ „Wollen wir es ausprobieren?“ „Nein danke, kein Bedarf. Was sollen die Ladies sagen, wenn niemand mehr da ist um sie zu befriedigen?“ Tatsächlich erwischte sein dummer Kommentar Schuldig unvorbereitet, das sah Youji. Für einen Moment lang waren die blauen Augen weiter und überraschter als sonst und Schuldig hielt tatsächlich endlich mal sein schändliches Mundwerk. Dann lachte er beißend und Youji sah mit nicht zu geringer Befriedigung und Schadenfreude, dass dieser Fehler beinahe augenblicklich mit Schmerzen bestraft wurde. Aufstöhnend hielt Schuldig sich die Nase, während er langsam den Kopf schüttelte. „Kudou, du-“, setzte er an, als es in der vereinbarten Reihenfolge an der Tür klopfte. Youji stöhnte erleichtert auf. Anscheinend waren Aya und Ken von ihrer Jagd nach etwas Essbarem zurück und Youji kam nicht umhin, sich auf sein Gemüsecurry zu freuen, das er in Auftrag gegeben hatte. Endlich gab es etwas zu essen. Endlich war er nicht mehr alleine mit dem Schwarz. „Mach dich nützlich, Kudou“, winkte eben dieser ihn zur Tür und schenkte sich ein neues Glas Wasser ein. „Wenigstens kann man dann einen von uns beiden gebrauchen“, erwiderte er und streckte dem Telepathen seinen Mittelfinger entgegen. Langsam setzte er sich in Bewegung und schlug Schuldig auf dem Weg zur Tür nochmal auf den Hinterkopf, fröhlich grinsend über die gewaltversprechenden Flüche hinter sich. Youji öffnete mit einem Schwung die Tür und das Grinsen erlosch abrupt. Farfarello stand vor ihm, das goldene Auge ruhig und taxierend auf seine Beute – ihn – gerichtet. Er sieht komisch aus, merkte Youjis Sinn für unnötige Details wie nebenbei an, als er den Mantel und die normale Kleidung in Augenschein nahm. Fast normal. Wären da nicht die Narben. Wäre da nicht das gezackte Messer in seiner rechten Hand oder die Augenklappe. Wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass der Ire exakt die Klopfkombination gewählt hatte, die sie vor ein paar Stunden ausgemacht hatten. „Zwei zu eins, Kudou“, tschilpte es fröhlich nasal hinter ihm und Youji wünschte sich in diesem Moment, Schuldig doch gleich nochmal die Nase brechen zu können. Es verlockte ihn, alleine schon deswegen, weil er dann nur noch gegen einen Schwarz ankämpfen musste, der im Nahkampf um Längen versierter war. Vielleicht war das der Grund, warum er Farfarello instinktiv die Tür vor der Nase zuknallte. Zugegeben, das war eine dumme Kurzschlussreaktion gewesen und würde vermutlich den irren Schwarz noch wütender machen, aber Youji würde ihn um nichts in der Welt hineinlassen. Zwei zu eins würde er sich sicherlich nicht freiwillig gönnen. Wütend drehte Youji sich um und hinter ihm stand Schuldig, die Lippen zu einem bösen Grinsen verzogen. „Ups. Wie sieht es jetzt aus mit deiner Tapferkeit? Der Drache steht vor der Tür und die kümmerlichen Reste deines Teams sind nirgendwo zu sehen. Na sowas aber auch. Nur noch du, ich und er. Sage mir gleich nochmal, warum hast du es für eine gute Idee gehalten, mich für Informationen über die komatöse Göre zu foltern?“ Berechnend maß Schuldig ihn und alleine der unterschwellige Tenor ließ bei Youji die Nackenhaare stehen, bevor er es ihm mit einem Mal wie Schuppen von den Augen fiel und er instinktiv einen Schritt zurückwich. „Du hast das alles geplant. Du wusstest, dass er kommen würde. Du hast Kontakt zu ihm aufgenommen, nachdem Ken und Aya weg waren.“ Angst und Wut waren deutlich in seiner Stimme zu hören, als er begriff, welchem Hinterhalt sie hier erlegen waren. Verfluchter, dreckiger Telepath! Verfluchte, dreckige Schwarz! Natürlich hatten sie mit ihnen gespielt, sie erst einmal getrennt um sich besser um sie kümmern zu können. Vermutlich würden sie erst ihn erledigen, dann Aya und Ken, wenn diese nichtsahnend wiederkamen. Youji griff zu seiner Uhr und zog den Draht heraus. Es war dumm, das ohne Handschuhe zu tun, doch lieber verteidigte er sich dumm, als dass er klug und wehrlos starb. Hinter ihm klopfte es erneut an die Tür. Fast schon zivilisiert, merkte sein Verstand an und Youji machte wieder einen Schritt auf den Telepathen zu, bevor dieser ihn mit seiner Kraft niederwerfen konnte. Mit Befriedigung in den Augen sah er, wie Schuldig zurückwich, in dessen Augen nun die gleiche Vorsicht, die auch er innehatte. Abwehrend hob Schuldig die Hand des unverletzten Arms. „Krieg dich wieder ein, Kudou. Ich wusste nicht, dass er kommt. Ich habe versucht, ihn zu rufen, aber er hat nicht geantwortet“, versuchte sich Schuldig zu entziehen, bis Farfarello…ja was? Bis er die Tür eingetreten hatte? „Und das soll ich dir glauben?“, lachte Youji harsch auf und setzte dem Telepathen nach. „Musst du wohl.“ Der Weiß zog den Draht straff. Die Haut seiner rechten Hand ächzte unter der Beanspruchung durch den Draht und wenn er sich nicht recht irrte, spürte Youji bereits Blut. Es klopfte ein drittes Mal an die Tür. „Dich krieg ich noch, bevor er mich ausweidet“, zischte Youji und Schuldig rollte mit den Augen. „Ey, Mondjunge, hast du vor, Balinese auszuweiden?“, rief er durch die geschlossene Tür und für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille. „Nicht heute“, kam es gedämpft zurück und Schuldig zuckte mit den Schultern. „Sag ich’s doch.“ „Und das Schmierentheater soll ich euch glauben?“ „Musst du wohl“, wiederholte Schuldig mit einem spöttischen Grinsen und keinen Augenblick später durchdrang Youji ein alles beherrschender, stechender und brachialer Kopfschmerz, der ihm jedweden Raum zum Atmen und zum Denken nahm. Seine Hand krampfte sich um den Draht, als er zu Boden ging und den Kampf gegen den Telepathen verlor, der ihm bewusst und mit voller Absicht diesen Schmerz aufzwang. Erst als er den Draht losließ, lockerte Schuldig mit dem Griff in seine Gedanken auch die dazugehörigen Schmerzen, die er ihm zufügte. „Du…dreckiger…Scheißkerl…“, grollte Youji benommen. Ein Schnauben antwortete ihm, aber wenn er sich nicht recht irrte, war es ebenfalls durchtränkt von Schmerzen. Wo er sich auf jeden Fall nicht irrte, war bei der Annahme, dass Schuldig mit einiger Mühe Berserker die Tür öffnete. Youji blinzelte gegen den übelkeitserregenden Schwindel an, der ihn befallen hatte und starrte von seiner wirklich ungünstigen Position am Boden nun auf die beiden Gestalten, die ihn überragten. Was für eine verdammte Scheiße. Wie einfach er sich hatte überrumpeln lassen, um nun getötet zu werden. Wie ein blutiger Anfänger. Benommen versuchte Youji sich zu konzentrieren, doch der Angriff des Telepathen war einfach zu gründlich gewesen. „Mastermind.“ „Jei.“ Ein schmerzerfülltes Zischen drang zu Youjis überreizten Ohren, während er erneut versuchte, aufzustehen und von den beiden Schwarz wegzukommen – mit mäßigem Erfolg. „Nimm deine dreckigen Finger aus meinem Gesicht, Arschloch.“ Amüsiertes Lachen geisterte durch den Flur und Youji glaubte einen Moment später, den Kampf gegen seine Übelkeit zu verlieren, als er von zwei robusten Händen hochgezogen wurde. Ein einzelnes Auge starrte ihn an und unwirsch wurde er am Kinn gepackt. Youji stöhnte unwillig auf, nicht bereit dazu zu glauben, dass Berserker es war, der ihn hier im festen Griff hatte. Nicht bereit, sich kampflos zu ergeben, während der Ire ihn abschlachtete. „Lass…los…“, versuchte er zu sagen, aber er hatte nicht das Gefühl, verstanden worden zu sein so wie der andere Mann ihn ohne Kommentar mitzog und auf etwas Weiches schubste. Die nächsten Minuten war Youji damit beschäftigt herauszufinden, wo er sich befand und ob das weiter von der Eingangstür war. Es mochten auch Stunden gewesen sein, so genau wusste er das nicht, als sein Kinn erneut gepackt wurde und er kaum einen Augenblick später das Gefühl hatte, in Wasser zu ertrinken. Zumindest kam es ihm so vor, als sich ein Schwall kühles Nass seine Kehle hinunterzwängte. Verzweifelt hustete Youji und versuchte sich panisch zur Seite zu drehen und wieder Luft zu bekommen. „Was soll das, Jei? Warum hilfst du ihm?“ Die arrogante, kalte Stimme kam ihm nur zu bekannt vor. Schuldig, natürlich. Die Fragen des Telepathen machten hingegen weniger Sinn. Helfen? Wieso sollte ihm der Irre des feindlichen Teams helfen, anscheinend entgegen der Wünsche des Telepathen? „Hänsel und Gretel haben die Hexe in den Ofen gestoßen.“ „Steck dir deine Scheißmärchen in deinen weißen Mondjungenarsch. Ich habe dir eine Frage gestellt.“ Youji schloss die Augen um damit den Schwindel besser bekämpfen zu können, der ihm seltsame Dinge vorgaukelte. Der den Eingriff in seine Gedanken begleitende Kopfschmerz ließ damit glücklicherweise ebenfalls nach und es hatte den Vorteil, dass er die beiden Schwarz nicht mehr sehen musste. Was ihm aber nur eine Sekunde später als Nachteil offenbart wurde, da er erneut in dem Wasser ertrank und hustete, als es abrupt abgesetzt wurde. Youji öffnete die Augen und sah Farfarello direkt vor sich. Unweit von ihm stand Schuldig, der sie beide mit verächtlich verzogenem Gesicht musterte. So eine gottverdammte Scheiße. In was für eine Situation hatte er sich jetzt schon wieder hineingeritten? „Er hat versucht, mich umzubringen, Jei“, machte sich verletzter Stolz in harten Worten bemerkbar und Youji schnaubte innerlich. Der Satz hätte auch von ihm stammen können, dachte er mit einem Aufflammen von Selbstironie. Die vernarbte Augenbraue über dem sehenden Auge hob sich. Eisern fixierte Farfarello ihn und nicht Schuldig, was die Sache nicht besser machte, gerade jetzt, wo er das Wort an den Telepathen richtete. „Pinocchio.“ „Fick dich.“ Auch das richtete sich nicht an ihn und Youji hob vorsichtig den Blick. Dieses Mal blieben die Männer vor ihm stabil und drehten sich nicht zusammen mit dem Raum vor seinen Augen. Langsam sah er sich um und stellte fest, dass er auf der Couch im Wohnzimmer saß. Es war tatsächlich Berserker, der das Glas in der Hand hielt. Schuldig hingegen spießte ihn mit mörderischem Blick auf, doch weitaus mehr Angst hatte Youji vor dem, was in dem einen Auge des vernarbten Mannes stand, der ihn nun musterte und für eine lange Zeit anscheinend nichts Anderes tat, als seine Daseinsberechtigung in seinen verrückten und wirren Gedankengängen hin und her zu schieben und dabei sein eigenes Teammitglied zu ignorieren. „Hilf ihm.“ Der Befehl, welcher schlussendlich die Lippen des irren Psychopathen verließ, klirrte vor angewiderter Kälte und im ersten Moment dachte Youji, Farfarello spräche wieder mit Schuldig. Als der Ire ihn aber weiterhin anstarrte, dämmerte ihm langsam, dass er derjenige war, der helfen sollte. „Was?“, presste Youji mühsam hervor. Wobei sollte er ihm helfen? Was hatte er nicht mitbekommen, das anscheinend wichtig genug war, den Unmut des bewaffneten Iren nicht zu erregen? „Hilf. Ihm.“ Beserkers Stimme gewann an Schärfe, die in weniger als zwei Sekunden Youjis Nackenhaare erreichte. Das war eine Drohung…von dem Mann, der ein gezacktes Messer in der Hand hielt, mit dem er mühelos jedes einzelne Organ in ihm erreichen konnte. Eine verdammt ernstzunehmende Drohung, wie er befand. Kurz ruckte sein Blick zu Schuldig, der ihn warnte, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Das half ihm bei der Interpretation der Worte auch nicht weiter. „Wobei?“, grollte Youji schließlich die offensichtlichste Frage heraus und Jei fasste hinter sich und griff sich eben jenen Telepathen an der verletzten Schulter. „Dabei“, erwiderte er über Schuldigs Fluchen hinweg und Youji vergeudete wertvolle Sekunden, in denen er Farfarello und Schuldig mit nicht zu geringer Verwunderung anstarrte. Sein Instinkt flüsterte ihm ein, dass sich die beiden Männer nicht freundlich gesonnen waren und ihm drängte sich die Frage auf, ob er das nicht als Anlass für einen Fluchtversuch nehmen sollte. Farfarellos Blick deutete an, dass er das für keine gute Idee hielt und bedeutete Youji unwirsch, sich zu erheben. Langsam und vorsichtig folgte er diesem allzu subtilen Befehl und schwankend kam er zum Stehen. Ein Stück Stoff traf ihn im Gesicht und Youji erkannte nach dem ersten Schreckmoment, dass es sich dabei um ein Oberteil handelte. Die Hose folgte hinterher und als letztes traf ihn eine Boxershorts. Dass das alles nicht für ihn gedacht war, sagte Youji Schuldigs Blick, der ihn warnte, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was die Kleidung bedeuten könnte oder auch nur ein Wort verlauten zu lassen. Was zur Hölle hast du verbrochen, Kudou, dass du immer mit so etwas gestraft bist?, fragte er sich trotzdem in einem Anflug von Selbstmitleid. Wobei das hier schon eine ganz eigene Qualität an schlimmen Dingen hatte, in die er sich durch seine persönliche Dummheit hineinmanövriert hatte. Hatte er gedacht, dass das Schlimmste, was ihm hier passieren könnte, wäre, getötet zu werden, wurde er sich langsam bewusst, dass es noch viel schlimmer werden konnte. Viel viel schlimmer. ~Stell dich noch an, Balinese. Du bist nicht derjenige, der wie eine Puppe angezogen werden soll, weil er seit gestern keine frische Kleidung erhalten hat, was wiederum dem feinen Näschen hier stinkt~, zischte es schmerzhaft in seinen Gedanken und Youji zuckte zurück vor dem Aufkreischen seiner Nervenbahnen. „Badezimmer.“ ~Du hast es gehört, Mastermind. Euer hauseigener Irrer erteilt hier jetzt die Befehle.~ ~Seit wann hast du vor Jei mehr Angst als vor mir?~ „Jetzt.“ ~Schon immer gehabt.~ Wortlos drehte sich Youji um und ging vor in das kleine Badezimmer. Wenn es das war, was er tun musste, um am Leben zu bleiben, dann würde er das jetzt tun, bis sein Team wieder da war. Solange hatte er durchzuhalten. Wenn der Telepath sich den unwirschen Zorn seines Teammitgliedes zuziehen würde, indem er dem klaren Befehl nicht folgt, dann war das nicht sein Problem und ihm sogar mehr als recht. Daher nahm er mit einer gehörigen Portion Frust zur Kenntnis, dass der Deutsche ihm tatsächlich folgte. ~Und seit wann hast du Angst vor eurem Irren?~ ~Schon immer gehabt~, spiegelte Schuldig spöttisch die Gedanken des Weiß und schloss die Badezimmertür hinter sich. „Wag es ja nicht mich anzufassen, Kudou“, drohte er in der gleichen Sekunde, als Youji ansetzen wollte, ihm die Kleidung zu reichen. „Ich kann das alleine.“ „Deine Entscheidung. Ansonsten lass mich wissen, wenn ich dir helfen soll, Arschloch.“ Pointiert ließ Youji seinen Blick auf der Schulter ruhen, die er vor ein paar Stunden malträtiert hatte und legte mit Bedacht die Kleidungsstücke auf den Rand des Waschbeckens. Mit seinem von Schuldig abgewandten Blick lehnte er sich an der Duschwand und starrte die Tür an, allerdings jederzeit bereit, sich notfalls gegen den Schwarz zu verteidigen. Nach einiger Zeit des Raschelns und Fluchens hinter ihm hatte er allerdings das irrwitzige Gefühl, dass Berserker auf der anderen Seite stand und zurückstarrte. Youji schauderte und bohrte den Blick auf die Wand neben der Tür. Er kam nicht umhin, die Absurdität der Situation zu bewundern, die sich vor ihm ausgebreitet hatte. Er befand sich mit Schuldig auf engstem Raum und hörte zu, wie der verfluchte Telepath sich umzog. Vor nicht ganz ein paar Stunden hatte er einen kleinen Teil seiner Rachsucht dem Schwarz gegenüber befriedigen können. Ja, er hatte den Schmerz, der in den arroganten Zügen stand, genossen. Er hatte es genossen, dass er derjenige gewesen war, der Schuldig zum Schreien gebracht hatte als Rache für das, was Schuldig Omi angetan hatte. Und er war noch nicht fertig damit, so genoss er auch nun jeden Schmerzlaut, den er hinter seinem Rücken hörte. Es juckte ihm in den Fingern, Schuldig in dem Moment zu töten, in dem dieser seine Nützlichkeit verloren hatte, also dann, wenn sie Omi wiederhatten. Die Enge des Raumes machte diesen Wunsch nicht besser, im Gegenteil. Also ließ er sich endlose Minuten lang von den Geräuschen des Telepathen treiben und wagte schließlich einen Blick in die entsprechende Richtung, als es verdächtig ruhig wurde. „Deine Schulter“, stellte Youji nicht ohne Genugtuung fest, während Schuldig das graue Langarmshirt in seiner gesunden Hand mit Blicken ermordete, anscheinend aber die Unterwäsche und Hose gut gemeistert hatte. Es war keine Frage, denn es stand fest, dass sich der Telepath es nicht alleine anziehen konnte. Und Youji kam nicht aus dem Bad heraus, bevor er Schuldig nicht geholfen hatte, dort hinein zu kommen. Dass es sicherlich nicht ohne Schmerzen gehen würde, ihm das Shirt überzustreifen, ließ Youji die Aufgabe nicht ganz so unwillig erfüllen. Ganz und gar nicht. Mit einem vielsagenden Lächeln streckte er die Hand nach dem Shirt aus. Schuldig war anscheinend noch nicht so weit wie er, als seine gesunde Hand sich zur Faust ballte und sich verweigerte, den Mann an sich heran zu lassen, der sehr viel Freude empfunden hatte, ihm Schmerzen zuzufügen. Youji konnte es ihm nicht verdenken. „Du ahnst gar nicht, wie sehr ich dich für das hasse, was du Omi angetan hast“, sagte Youji schließlich aus einem Impuls in den Raum hinein. „Du bist und bleibst ein sadistisches Arschloch und am Liebsten würde ich dich dafür umbringen.“ Schuldig sah ihm überrascht in die Augen und langsam breitete sich ein zynisches Grinsen auf seinen Lippen aus. Verächtlich warf er Youji das Shirt zu. „Versuch’s, wenn du den Mumm dazu hast“, spottete er und trieb Youjis Blutdruck damit unweigerlich in die Höhe. „Darauf kannst du Gift nehmen“, erwiderte er und hob das Shirt hoch. „Los, lass dich anziehen, Püppchen.“ Schuldig grollte und irgendwie schafften sie es. Irgendwie war es möglich, Schuldig in dieses Shirt zu quetschen, mit der richtigen Menge an Schmerz und an Kampf zwischen ihnen beiden, an Hass und Rachsucht. „Bisschen zu eng für dich, kann das?“, beendete Youji ihren Kampf und zog am Saum, als Schuldig ihm gegen den Hinterkopf schlug dafür. „Klappe, Balinese. Und jetzt nimm deine dreckigen Schlampenfinger von mir!“ Youji machte Anstalten, Schuldig gegen die Nase zu schnippen und warnender Kopfschmerz flammte hinter seiner Stirn auf. Grollend zog er seine Finger zurück und griff zur Schulterschlinge, legte Schuldig auch diese weit weniger umsichtig um, als er es bei einem Mitglied seines Teams getan hätte. Erst danach öffnete er erneut die Badtür, musste jedoch feststellen, dass seine Vermutung, der andere Schwarz würde direkt dahinter lauern, nicht erfüllt worden war. Anstelle dessen traf er auf violette Augen, die ihn dunkel maßen und Erleichterung durchflutete Youji. Ken und Aya waren wieder da. Sie lebten noch und sie hatten Essen mitgebracht, wenn Youji den vielversprechenden Geruch richtig interpretierte, der sich nun zu ihm schlängelte. Die Frage, ob sie Farfarello bereits begegnet waren, erübrigte sich angesichts der offensichtlichen Anspannung seines Teams im Flur und der Tatsache, dass Ken seine Krallen übergestreift hatte. Youji kam langsam zu ihnen und sah mit Erstaunen, was die beiden vom Wohnzimmer fernhielt. Farfarello hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht und das Essen zu sich gezogen. Sein Auge taxierte die Neuankömmlinge wortlos während er mit einem Plastiklöffel Gemüsecurry in sich hineinschaufelte. Um genau zu sein das Gemüsecurry, das für ihn gedacht gewesen war. Youji knirschte wortlos mit den Zähnen und drehte sich zurück zu Aya und Ken, die IHN nun schweigend anstarrten. Ihn, dann Schuldig, der ebenso aus dem Bad kam, dann wieder ihn. Youji folgte ihrem Blick und ahnte, was sie fragen wollten. „Kein Wort“, knurrte er abgrundtief böse. „Kein verdammtes Wort.“ ~~**~~ Gedankenverloren starrte Omi in seine Kaffeetasse und spielte mit dem Henkel. Nach einer rastlosen Nacht, in der erst in den Morgenstunden ein wenig Schlaf gefunden hatte und auch dieser von Schreien und Blut durchsetzt gewesen war, war er von Lasgos Schränken geweckt worden, die ihn höflich, aber bestimmt zum Frühstück geholt hatten. Omi wusste es besser, als sich dagegen zu wehren, zumal er wirklich Hunger hatte. Und, das konnte er sich nicht verneinen, sah der reich gedeckte Frühstückstisch wirklich verlockend aus. Omi musste sich nicht fragen, ob er diese Annehmlichkeiten überhaupt annehmen konnte oder sich ihnen verweigern sollte. Eine Verweigerung brachte ihm gar nichts, im schlimmsten Fall ließ sie ihm die gleiche Behandlung zuteil werden wie Crawford auch, der vermutlich jetzt noch im Keller kniete . Verdient, zischte Omis hasserfüllte und gepeinigte Seite. „Wie war deine Nacht?“, fragte der Lasgo schließlich neutral, nachdem er Omi zunächst seinen Hunger hatte stillen lassen. „Schlecht.“ Lasgo kommentierte das nicht und Omi starrte schließlich frustriert auf die Schränke von Bewachern, die jeden Gedanken an eine Flucht unmöglich machten. Mit einem würde er vielleicht fertig werden. Mit zweien vielleicht auch, wenn er seine Darts gehabt hätte. Wenn. Hatte er aber nicht. Vielleicht taugte eines der stumpfen Brotmesser, die hier auf dem Tisch lagen. Eher nicht, es wäre zu viel Aufwand für zu wenig Ergebnis. Und so dumm, sein eigenes Leben und seine eigene Gesundheit für nichts zu riskieren, war er trotz aller Wut und aller Angst, die er hatte, nicht. Unwirsch fuhr sich Omi über die Augen und ließ dann seinen Blick durch den Raum schweifen. Die dominanten Farben waren auch hier weiß und grau. Ein paar Steinstatuen und ein Bild, das Omi bestenfalls als moderne Kunst bezeichnen würde, dekorierten den Raum. Von irgendwoher spielte seichte Klaviermusik und untermalte das sonnige Wetter auf der anderen Seite der großen Fensterfront. Fast schon heimelig konnte man es nennen und vor ein paar Wochen hätte Omi sich sicherlich davon einfangen und begeistern lassen. Nun aber wusste er, wie falsch sein Vorgehen gewesen war. Er hätte nicht vertrauen dürfen. Er hätte sich nicht in ein Spiel ziehen lassen dürfen, dessen Regeln er erst zu spät verstanden hatte. „Tut es immer noch weh?“, fragte Lasgo in seine Gedanken hinein und Omi brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass er die farbenfrohen Hämatome meinte, die sein Gesicht noch verunstalteten. Er zuckte mit den Schultern. Eine Antwort schadete nicht. „Ein wenig. Nicht viel.“ Lasgo nickte bedächtig, nahm einen Schluck Orangensaft. Frischgepresst, mutmaßte Omi anhand seines eigenen. „Was soll ich ihnen noch antun für dich?“ Unwillkürlich zuckte der Weiß zusammen. Lasgo sagte das, als würde es um das Wetter gehen oder um die Tagesplanung. Er sagte es, als wäre es das Normalste der Welt, diese Macht über zwei Menschen inne zu haben, die sich nicht wehren konnten. Es machte es beinahe einfach für Omi, darüber nachzudenken. Ernsthaft nachzudenken, wie er die Folter für zwei Menschen gestalten wollte, die ihm wehgetan hatten. Ihnen… Omi rief sich ihre Namen ins Gedächtnis, seine Erinnerungen an die beiden, die unten im Keller schmorten. Naoe. Crawford. Schwarz. Diejenigen, die ihn entführt und gefoltert hatten ohne Gnade. Omi atmete tief durch. Doch konnte er es sich überhaupt erlauben, Milde zu zeigen? Er musste sich so viel Freiraum erkaufen wie es nur ging, um von hier entkommen zu können. Er durfte sich nicht offen gegen Lasgo stellen, denn das würde im besten Fall bedeuten, dass er in seinem bequemen Zimmer versauerte. Im Schlimmsten fand er sich unten bei den beiden Schwarz wieder und wurde ebenso gefoltert und vergewaltigt. Omi lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum tust du das für mich?“, fragte er erneut und Lasgo sah auf. Sein Blick war unleserlich und Omi erkannte das gleiche Geheimnis hinter ihnen wie schon bei seinem ersten Versuch, Antworten zu erhalten. Doch er würde nicht klein beigeben. Dieses Mal nicht. Warum war es so wichtig, was er wollte? „Warum sollte es dich kümmern, was ich für eine Rache erhalte? Oder was sie mir angetan haben?“ Lasgo lehnte sich zurück und warf die Servierte, die sich auf seinem Schoß befand, auf seinen Teller. Immer noch schweigend erhob er sich und ging dann zum Fenster. Die Arme hinter seinem Rücken verschränkend stand er dort und Omi wagte einen Blick zu den ihn bewachenden Schränken. Ein minimales Kopfschütteln sagte ihm, dass es keine gute Idee wäre, sich zu erheben, so ließ er es grollend. „Ich liebte deine Mutter.“ Omi dachte im ersten Moment, dass er nicht richtig verstanden hatte. Nicht richtig gehört hatte. Lasgo hatte WAS getan? „Meine Mutter? Was? Wieso? Das kann nicht…“ „Deine Mutter, Kikuno, die verstorbene Ehefrau desjenigen, den ihr so verzweifelt versucht zu töten.“ Omi schluckte. Er erinnerte sich an gar nichts. Weder an seine Familie, an das Gesicht seiner Mutter noch an seine Vergangenheit, bevor er mit elf Jahren entführt worden war und sein Vater sich geweigert hatte, das Lösegeld zu bezahlen. Jahrelang war es kein Thema gewesen, da niemand bereit war, ihm darüber Auskunft zu geben, und nun? Er schluckte mühsam. Das konnte doch nicht sein, oder? Das wäre doch ein zu großer Zufall? Nein, es wäre kein Zufall. Dann wäre all das hier geplant. „Wie bitte?“, presste er hervor. Lasgo drehte sich um und maß ihn mit liebevoller Ruhe. „Deine Mutter und ich kannten uns schon seit unserer Kindheit. Wir sind zusammen aufgewachsen, unsere Familien waren befreundet.“ Gebannt hing Omi an den Lippen des Älteren, trotzdem ungläubig, dass das die Wahrheit zu sein vermochte. „Wir balgten uns, wir spielten miteinander, irgendwann teilten wir die gleichen Leidenschaften und schließlich auch das Bett miteinander. Doch ihre Familie hatte eine Heirat für sie arrangiert, um mächtiger zu werden, größeren Einfluss zu gewinnen und ihren Reichtum zu vermehren. So wurde sie in die Ehe mit diesem widerlichen Dreckskerl gezwungen, den sie nicht liebte, dem sie aber aus Pflichtgefühl folgte. Sie schenkte ihm mehrere Kinder. Zwei ältere Brüder. Dann kamst du, der Jüngste, das Nesthäkchen, ihr Ein und Alles. Es brach ihr das Herz, als er sich weigerte, Lösegeld für dich zu bezahlen, als sie dich entführt haben.“ Omi starrte Lasgo in die Augen, unfähig sich zu rühren, unfähig, etwas zu sagen. Schon jetzt spürte er den Schrecken der verloren gegangenen Erinnerungen und die lange nicht verheilte Wunde, die der plötzliche Verlust seiner Familie geschlagen hatte. Doch nicht nur das. Mit den Worten des älteren Mannes kam unweigerlich auch die Frage, warum Lasgo mit ihm geschlafen hatte. Weil er seine Mutter geliebt hatte? Weil er in ihm seine Mutter wiedererkannte? Mühevoll schluckte Omi den Ekel hinunter, der ihn anhand dieser Frage befiel. Er musste sich konzentrieren auf das, was wichtig war. „Sie hat sich das Leben genommen, als Reiji Takatori dich dem vermeintlichen Tod überantwortet hat.“ Ungewollte, ungeliebte Tränen ließen Omis Sicht verschwimmen. Tief in ihm schrie etwas bei diesen Worten. Tief in ihm wollte etwas dem anderen Mann glauben, der endlich etwas über seine Familie zu berichten wusste. Dessen Stimme vor Trauer und Wut rau war. Tief in ihm schrie aber auch sein Instinkt, dass es eine große Lüge sein konnte. Informationen über ihn fand man in seinen Kritikakten und wenn Birman mit ihm gemeinsame Sache machte, war es nur wahrscheinlich, dass Lasgo sich diese hatte geben lassen. Doch zu welchem Zweck sollte Lasgo diese Informationen so nutzen? „Sie wollte immer nur das Beste für dich. Sie wollte dich schützen, ihren kleinen Liebling. Sie wollte, dass du glücklich bist in deinem Leben und dass dir kein Leid geschieht.“ Trotz des Misstrauens, trotz der Lüge, die ihm hier wahrscheinlich aufgetischt wurde, konnte Omi nicht anders, als die Worte etwas in ihm berühren zu lassen, das er lange verloren geglaubt hatte. Seine Tränen fielen ungehindert und ungehemmt und seine Schultern wurden geschüttelt von Schluchzern, von denen er noch nicht einmal wusste, dass sie in ihm verborgen waren und dass er eine so große Trauer in sich trug für eine Frau, an die er sich nicht noch nicht einmal mehr erinnerte. Aber vielleicht war es genau der Gedanke, den er die letzten Jahre unter so viel anderem verborgen und vergraben hatte. Die Erbärmlichkeit, dass er sich noch nicht einmal an das Gesicht seiner Mutter erinnerte. „Kurz bevor sie sich das Leben nahm, rief sie mich an. Ich hatte nicht viel Zeit, ich war beschäftigt, aber ich freute mich, sie zu hören, bis ich begriff, dass sie weinte, dass sie verzweifelt war. Sie erzählte mir von ihrem Mann, von seiner Weigerung, das Lösegeld für dich zu bezahlen und dem Grund hierfür. Sie flehte um Vergebung für ihre Sünden, die dich zum Opfer hatten, sie flehte um Vergebung für ihren Gehorsam, den sie ihrer Familie entrichtet hatte. Ich schwor, sie da raus zu holen, sie von ihrem Ekel von einem Mann wegzubringen und dich zu retten. Doch als ich ihre Entführung vorbereiten ließ, erfuhr ich, dass sie bereits durch ihre eigene Hand gestorben war.“ Die Hand auf seinen Haaren nahm Omi erst verspätet zur Kenntnis. Vermeintlich tröstete sie ihn in seinem Leid, in seiner Pein. Der warme Körper, an den er gezogen wurde, war Labsal gleichermaßen und Omi ließ es zu, auch wenn er es eigentlich besser wissen sollte, auch wenn Lasgo ein Feind war, den es zu töten galt. Doch das hier…war das wirklich wahr? „Ich schwor ihr an ihrem Grab, dass ich ihren Sohn finden würde. Tot oder lebendig. Ich schwor ihr, dass ich dich zu ihr bringen oder dich schützen würde, wenn du noch lebtest.“ Omi machte sich von Lasgo los und sah hoch. Der andere Mann ließ ihn ohne ihm weiterhin seine Nähe aufzuzwingen. „Wann hast du mich gefunden?“, wisperte er. „Vor einem Jahr. Vorher hatte sich deine Spur verloren. Erst als ich deinen richtigen Vater aufspürte und seinen Verbindungen folgte, wurde mir klar, dass du am Leben warst und wo du aufhieltest.“ Omi erstarrte. Als wenn die Offenbarungen über seine Mutter nicht schon schlimm genug waren… „Mein…richtiger…Vater….?“ Lasgo lächelte sanft und nickte. „Reiji Takatori weigerte sich, das Lösegeld für dich zu zahlen, weil du das Kind seines Bruders bist, Omi. Der Name deines richtigen Vaters ist Shuichi Takatori.“ Sanftheit ließ ihn diese Worte auch nicht besser ertragen. Sanftheit nahm den Worten nicht ihren Schock, der Omi zurücktaumeln ließ. Lasgos Wachen behelligten ihn nicht, als er zum Fenster strauchelte. Was auch immer er sich von dem Ausblick in die Weite erhoffte, er erlangte es nicht. „Nein.“ Bestimmt verneinte er, was nicht sein konnte. Perser sollte sein Vater sein? Niemals. Das konnte nicht sein. Sein Vater hätte ihn doch nicht zu einem Mörder groß gezogen. Oder? erschüttert rutschte Omi an der großen Fensterfront seines Gefängnisses zusammen, das ihm nicht gestattete, vor seinen Emotionen wegzulaufen, als jedes einzelne Wort des Drogenhändlers zuviel wurde. Seine Mutter, sein Vater, seine Kindheit, an die er sich nicht erinnerte, seine Entführung, eine verschwommene Masse aus Gewalt und Angst, sein Training zum Auftragsmörder durch Shuichi Takatori, der sein Vater war…sein sollte. „Das ist nicht wahr. Das ist nicht wahr. Das kann nicht wahr sein. Du lügst, du bist ein Lügner. Wenn es wahr ist, dann zeig mir Beweise dafür!“ Wieder umfingen ihn Arme und jetzt bekämpfte er sie. Doch die Arme ließen ihn nicht, waren ihm ein Gefängnis und gleichzeitig Halt in seiner Verzweiflung. Sie stützten ihn durch die dunklen Gefühle, die in ihm tobten und schließlich ließ er es zu. Er war nicht stark genug, zu schwach, um sich gegen den Trost zu wehren. Er ließ sich fallen, hielt inne in seinem Kampf gegen sich selbst und den Informationen, die ihn mit ihrem Wahnsinn lockten, und ergab sich ihrer Wärme. „Und deswegen ist die Rache dein“, murmelte Lasgo sanft. „Denn Reiji Takatori hat dich verletzt und er hat Schwarz darauf angesetzt, dich zu verletzen. Das darf nicht ungestraft bleiben und sie alle haben das größte Leid verdient, das man ihnen bringen kann. Wenn es sein muss, werde ich dir jeden Beweis vorlegen, den du verlangst.“ Omi starrte blicklos geradeaus. Das größte Leid, das man ihnen bringen konnte. Sie waren Schuld. Sie wollten ihm wehtun und hatten ihm bereits wehgetan. Dafür würden sie leiden. Abwesend nickte er, mehr zu sich selbst als zu Lasgo. Ja, sie würden leiden. Sie alle. ~~**~~ „Das ist ein beschissener Plan.“ Aya glaubte, in einer Zeitschleife gefangen zu sein. Sie hatten Stunden damit verbracht, darauf zu warten, dass Schuldig seine verteufelte Gabe wieder richtig einsetzen konnte, damit sie den einzigen Plan, der zu diesem Zeitpunkt durchführbar schien, anstoßen konnten. Youji spielte mindestens genauso lange bereits mit seinem eigentlichen, ausgeschalteten Handy, starrte das kleine, unscheinbare Gerät an und warf hin und wieder einen Blick zu Farfarello, der immer noch – alleine – auf der Couch saß und sie seitdem stumm und eindringlich beobachtete. Sein Messer ruhte unangetastet auf seinem Oberschenkel, auch wenn seine Finger unablässig den Griff auf- und abstrichen. Ken lauerte auf der anderen Seite des Raumes, den Klauenhandschuh seit Farfarellos Auftauchen kampfbereit. Diese Wohnung wurde langsam zu klein für die große Anzahl von Feinden, dachte sich Aya, zumal Youji und Schuldig es beide nicht lassen konnten, sich dumme und beleidigende Kommentare an die Köpfe zu werfen, die Aya in ihrer Hasserfülltheit, Frivolität und Absurdität Kopfschmerzen bereiteten. Mit Erschrecken hatte er außerdem etwas festgestellt, dass sie ihn seitdem nicht mehr losließ und ihn nun den Blick auf beide vermied. Er würde den Teufel tun und es jemals laut aussprechen, aber die beiden waren sich in manchen Punkten so ähnlich, dass es ihn schmerzte. Das war erschreckend und Aya sehnte die Zeit herbei, in der sie insbesondere Schuldig nicht mehr für die Erfüllung ihres Plans benötigten und ihn wieder auf die Abschussliste setzen konnten, damit sich das Problem Telepath endgültig erledigte. Wenn diese Zeit für ihn jemals wiederkommen würde. Auch wenn er nun wusste, wo Aya war, fehlten ihm momentan die Mittel und Ressourcen, sie aus dieser Klinik zu holen und in einer adäquaten anderen Einrichtung unterzubringen, so er nicht zurück zu Kritiker konnte. Wenn Kritiker überhaupt in der Lage waren, gegen Schwarz zu bestehen. Wenn nicht und wenn auch Manx mit drinhing, minimierten sich seine Optionen, es sei denn, er kehrte zurück zu seinem Frondienst bei Schwarz. ~Sind das nicht wunderbare Aussichten für uns alle?~, schnarrte das ätzende Viertel von Schwarz in seinen Gedanken und er grollte mental. ~Ich hätte lieber andere Aussichten.~ ~Undankbares Stück weiße Scheiße.~ Aya bedachte Schuldig mit einem dunklen Blick und wandte sich dann an Youji. „Wir haben nichts Besseres, also fangen wir an. Jeder Tag, den wir verlieren, bedeutet für Omi nichts Gutes.“ „Ist die Verschlüsselungssoftware aktiviert?“, fragte Youji und wartete auf Schuldigs Nicken, bevor er das Handy anschaltete und Manx‘ Nummer wählte. Es klingelte zweimal, bis sie abnahm. Das knappe „Ja.“, das erklang, war so sehr Manx, dass Aya beinahe erleichtert aufseufzte. Aber nur beinahe. Youji lächelte automatisch und Aya rollte mit den Augen, als er den schmierigen, falschen Charme dahinter erkannte. „Manx, meine Schönste. Ich bin es, dein Lieblingsbalinese.“ Aya rieb sich die Schläfen, während Schuldig im Hintergrund stumme Würggeräusche machte und so tat, als würde er sich in seine Tasse übergeben. So wenig Aya auch mit dem Telepathen übereinstimmte, das konnte er ohne zu zögern unterschreiben. Youjis Art des schmierigen Flirts war unerträglich ekelhaft. „Balinese.“ Selbst durch das Handy hörte Aya die Strenge, mit der sie den Namen seines Freundes aussprach. Er hörte das Misstrauen und Zögern in ihrer Stimme. „Wo bist du?“ „Ganz in deiner Nähe, wenn du mich dort willst“, flirtete Youji weiter und Schuldig verzog angewidert das Gesicht. ~Kein Wunder, dass ihr zu nichts nutze seid, wenn das immer so abläuft~, ätzte der Telepath in Gedanken und Aya hob stumm die Augenbraue. Die Beleidigung würdigte keiner Antwort. Aber ja, es lief immer so. „Das ist keine Antwort. Das Koneko ist leer. Weder du, noch Siberian noch Bombay sind dort. Es steht ein Missionsreport aus.“ „Immer kennst du nur die Arbeit, meine Schöne. Du solltest dich mal mehr entspannen…soll ich dir dabei helfen?“ Selbst Farfarello hob die Augenbraue seines gesunden Auges und Ken schlug sich die Hand vor die Stirn. Aya hob fragend die Hände und Youji zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Kein Bedarf, Balinese. Wo seid ihr?“ „In der Stadt. Lass uns in einer Bar treffen, ich habe Lust auf eine gute Tasse Kaffee.“ Stille herrschte am anderen Ende der Leitung. Manx war nicht dumm, sie wusste, dass etwas falsch war und dass etwas geschehen war, was den Rest von Weiß vom Koneko fernhalten würde. Das Schweigen am anderen Ende der Leitung verdeutlichte genau diesen Denkprozess und die Vorkehrungen, die sie gedanklich traf. „Was schlägst du vor?“ „Café Vienna in Roppongi.“ „Wann?“ „In zwei Stunden.“ „Ich werde da sein.“ Bevor Youji sie mit weiterem Schmalz überziehen konnte, hatte sie aufgelegt und Youji tat es ihr gleich. Mit abrupt ernstem Blick warf er das Telefon von sich und wandte sich ihnen zu. „Sie wird Kritikeragenten mit sich bringen. Ich gehe davon aus, dass es genug sein werden, um mich, aber auch Ken und vermeintlich auch Omi mitzunehmen.“ Sein Blick wandte sich an Schuldig. „Mit wie vielen von ihnen kannst du es aufnehmen?“ Der Telepath grinste verächtlich. „Mit allen, wenn es sein muss. War das tatsächlich eine ernstgemeinte Frage?“ Das tiefe Grollen kam von Ken. „Wie wäre es, wenn wir etwas professioneller an die Sache herangehen? Oder ist das die Art, wie Schwarz einen Auftrag bearbeitet? Kein Wunder, dass ihr nur noch zu zweit seid.“ Anscheinend hatte Ken einen wunden Punkt getroffen, so wie Schuldig von seinem Platz auf dem Sessel hochschnellte und auf den braunhaarigen Weiß losgehen wollte. Grollend ging Aya dazwischen, eine Hand warnend erhoben. „Pass mal auf, Hosenscheißer…“, zischte der Deutsche an ihm vorbei und Aya blockte ihm die Sicht auf sein Teammitglied. „Es ist gut jetzt, Schuldig“, richtete er warnend an den Telepathen und in seinen Augen stand unumstößlicher Ernst. Dass nichts gut war, sah Aya an den dunklen, blauen Augen, die ihn in all ihrer prächtigen Wut musterten und ihm am Liebsten den Kopf dafür abgerissen hätten, dass er ihn von Ken fernhielt oder dass er es überhaupt wagte, sich einzumischen. „Du hast mir nichts zu sagen, Abyssinian. Deine Position ist weiterhin unter Crawford und wenn der nicht zurückkommt, unter mir.“ Er schnaubte verächtlich. „Soll mir das jetzt Angst machen?“ „Aya, lass das Arschloch. Lassen wir sie in ihrer eigenen Hölle schmoren.“ „Oh, da spricht der Richtige. Ihr seid ja SO versiert darin, vor allem euch selbst die Hölle auf Erden zu bereiten…“ Ein melodisches, ruhiges Pfeifen durchbrach ihr unsinniges Wortgefecht und Aya hatte zunächst Probleme, es zuzuordnen. Erst, als er niemanden seines Teams und auch Schuldig nicht pfeifen sah, drehte er sich ungläubig um. Farfarello lehnte lächelnd an der Wand und pfiff eine Melodie, die ihm vage bekannt vorkam und die er meinte schon irgendwo einmal gehört zu haben. Aya runzelte die Stirn, doch bevor er dem wirklich nachgehen konnte, begehrte Schuldig hinter ihm auf. „Hör auf, Zeichentricklieder zu pfeifen, Jei“, warnte der Telepath, doch Farfarello ließ sich davon nicht abbringen. Pfeifend streifte er von einem zum anderen und besah sich die Streithähne genauestens. Vor Schuldig blieb er stehen und sah an seinem Teammitglied hoch. „Sie leiden.“ Langsam drehte er sich um. „Alle drei.“ In der darauffolgenden Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Es stand außer Frage, wen Farfarello meinte. Und so neutral er es auch formuliert hatte, so sehr machte es ihnen allen den Ernst der Situation bewusst und die Unsinnigkeit ihres Streits gleich noch mit dazu. Wie schon desöfteren in seiner kurzen Zeit bei Schwarz fragte sich Aya, wie verrückt der Ire wirklich war oder ob er ihnen allen das nur Glauben machen wollte. Aya räusperte sich einvernehmlich. „Gut. Dann bleiben wir bei dem ursprünglichen Plan. Schuldig, du überwachst die Gegend und schickst die anderen Kritikeragenten weg. Wir halten uns im Verborgenen und sorgen dafür, Manx daraus zu schaffen, wenn sie sich mit Youji trifft. Dann bringen wir sie zum Hafen und versuchen mehr aus ihr heraus zu bekommen. Einverstanden?“ Aya wandte sich an jeden einzelnen und holte sich das notwendige Nicken. Schlussendlich seufzte er ergeben. Ja, es war ein beschissener Plan. ~~**~~ Youji erhob sich, als er die rothaarige Frau auf sich zukommen sah. Trotz der widrigen Umstände kam er nicht umhin, ihr Erscheinungsbild innerlich und äußerlich wertzuschätzen. Ein grüner, gerade geschnittener Mantel betonte ihre Augen und die roten Locken, die frei über ihren Rücken flossen. Er liebte ihren Lippenstift und die Chiffonblusen, die ihre durchaus attraktive Gestalt elegant umspielten. Er liebte die weiten Anzughosen, die sie trug und die ihre Absätze noch mehr zur Geltung brachten. Er liebte und bewunderte sie unter anderem auch deswegen, weil sie unerreichbar für ihn war, gänzlich auf ihr Pflicht fixiert. „Meine Schöne“, veräußerte er seine Gedanken und ihre Augen füllten sich mit Misstrauen. Manx erwiderte nichts, sondern zog ihren Mantel aus und Youji kam nicht umhin, die Eleganz zu bemerken, mit der ihr das Kleidungsstück von den Schultern floss, als sie es mit genau bemessenen Bewegungen über die Lehne hängte. Schweigend setzte sie sich auf den freien Stuhl neben ihm mit Blickrichtung zum Eingang und Youji erkannte, wie sich unter ihrem Blazer dezent die Waffe abzeichnete, die sie immer bei sich trug. „Was willst du, Youji?“, fragte sie ruhig, aber streng, nachdem sie ein Wasser bestellt hatte. Geschlossen mit Glas, wie sie es immer und überall nahm. Selbst im Koneko, wenn sie denn mal etwas trank bei ihnen. „Ich muss mit dir über den vergangenen Auftrag sprechen.“ „Das können wir nicht bei euch Zuhause?“ „Dort ist es vermutlich nicht sicher.“ Eine rote Augenbraue hob sich zweifelnd. „Wie kommst du auf den Gedanken?“ „Wir glauben an einen Maulwurf.“ Lange fixierte sie ihn und ließ erst von ihm ab, als ihr Wasser kam. Mit einem knappen Danke entließ sie die Kellnerin und prüfte, ob der Drehverschluss auch unangetastet war, bevor sie ihm mit einer knappen Handgeste bedeutete, fortzufahren. Youji schwieg aber zunächst und widmete sich ausführlich seinem Kaffee, so seufzte sie schließlich. „Fujimiya“, stellte sie kalt klar und er schüttelte den Kopf. Wieder trat verwirrtes Schweigen zwischen sie und Manx bedeutete ihm fortzufahren. „Viel höher.“ Ihre Verwirrung wandelte sich innerhalb von Sekundenbruchteilen in gleißenden Zorn, der ihre Augen heller erstrahlen ließ, als sie es in Wirklichkeit waren. Es war kein schöner Anblick, sondern eher etwas Furchterregendes und Beängstigendes. Kaltes Grün durchdrang seine Gedanken bis in sein Innerstes und nicht nur heute fragte Youji sich, ob sie nicht in Wirklichkeit ebenso eine Telepathin war. „Was meinst du damit?“, fragte Manx mit einer Ruhe, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte und ihm noch einmal deutlich zu verstehen gab, dass diese Frau keine Assistentin war, sondern eine fähige Agentin, die Menschen schon für weniger als das hier getötet hatte ohne mit der Wimper zu zucken. Youji fragte sich, wieviel sie wirklich wusste und wieviel sie ohne Einfluss bereit war an Informationen zu geben. Traf wirklich der schlimmste Fall ein? Er hoffte es nicht, er flehte innerlich darum, dass wenigstens sie auf ihrer Seite war. Nicht, dass es beim Kommenden sonderlich helfen würde. „Das werde ich dir zeigen.“ ~Schuldig?~, richtete er an den Telepathen. Die Antwort kam beinahe augenblicklich. ~Beweg deinen Arsch, Balinese. Jetzt sofort.~ Youji seufzte und schulte sich innerlich für das Kommende. Er erhob sich und streckte ihr die Hand entgegen. „Komm, meine Schöne.“ Der Zorn und die Verwirrung in ihren Augen wichen innerhalb in Sekundenbruchteilen der Verweigerung und einem kurzen Aufflackern von Panik, als Schuldig ihr Denken und Handeln übernahm. Stumm erhob sie sich und erwiderte blind seinen Blick, bevor sie sich in Richtung Ausgang wandte. Schweigend nahm Youji ihren Mantel, warf Geld auf den Tisch und folgte ihr hinaus in die von Kritikeragenten befreite Kälte. Ebenso wortlos reichte er ihr das grüne Kleidungsstück und sie zog es sich folgsam an. Ihre Highheels waren ein stetiges Klackern auf dem Asphalt, als er sie zum Auto geleitete und den Kofferraum öffnete. Es war Angst, die Youji in ihren grünen Augen sah, gefolgt von brachialer Wut, als sie die Hände hinter ihrem Rücken verschränkte, damit er sie fesseln konnte. Sie wusste, was er tun würde, noch bevor er die Handschellen aus seiner eigenen Manteltasche hervorholte, die Schuldig in der Wohnung hervorgezaubert hatte. Dort wie auch jetzt stellte sich Youji sich die unweigerliche Frage, ob Schwarz nur dieses eine Möchtegernentführerset aus Handschellen, Augenbinde und Knebel hatten oder ob sie das in jedem ihrer Unterschlüpfe vorrätig hatten. ~Mach schneller, Arschloch, ich kann die Beeinflussung nicht ewig aufrecht erhalten.~ Mit einem entschuldigenden Blick steckte Youji ihr den Knebel in den Mund, zog ihn sacht am Hinterkopf fest und stülpte ihr dann die Kapuze über den Kopf. Sanft half er ihr dann, sich in den Kofferraum zu legen und schloss den Deckel. ~~**~~ Müßig beobachtete er seine Fingerkuppen, wie sie über die weißen Fliesen strichen. Die Zwischenräume waren rau und führten wie gerade, geordnete Straßen durch die weißen Felder glatten Tons. Es gab keine Abzweigungen, die er noch nicht genommen hatte, aber Abzweigungen, die er erst zum zweiten Mal genommen hatte auf dem Weg seiner Fingerspitzen über den Boden, auf dem er lag. Langsam zog er seine Finger zu sich und hielt inne. Irgendetwas sollte er tun. Er wusste, dass er etwas tun sollte, doch was es war, daran konnten er und seine flüchtigen Gedanken sich nicht erinnern. War es etwas außerhalb seiner Welt, außerhalb der Wege, die er hier ging? Er runzelte die Stirn und begab sich wieder auf die verschlungenen, geraden Pfade auf dem Boden. Rechte Winkel, so hieß das, was er sah, fiel ihm ein. Fliesen, so hieß das Wort. Die Tür zu seinem Reich öffnete sich und ein Mann trat hinein. Bedächtig sah er hoch und unterbrach seine Reise in den Winkeln. Der Mann war schon öfter hier gewesen und wie jetzt auch hatte er etwas dabei. Spritze. So hieß es. Es tat gut, Dingen einen Namen zu geben, wo er selbst doch keinen besaß. Oder? N…, wisperten seine Gedanken. Na… Stirnrunzelnd versuchte er zu greifen, was sich knapp außerhalb seiner Reichweite befand. Seine Fingerkuppen waren ihm dabei keine Hilfe, ebenso wenig wie der Mann. Nag… Fast hatte er es. Fast konnte er sich daran festhalten, was in seinem Kopf geisterte. Nagi… Das war es. Fliesen. Spritze. Nagi. Namen. Er konnte Dingen Namen geben. Er blinzelte. Oh, er wusste auch von der Wut, die ihn erfüllte, wenn er das Monster sah. Das Monster hatte ihm wehgetan und immer, wenn er es sah, dann wollte er es in der Luft zerreißen. Aber da war noch jemand, da war eine sanfte Stimme, die ihn davon abhielt. Sie lenkte seine Wut in Bahnen, sie sagte ihm, was er tun sollte, wenn es zuviel wurde in seinem Inneren. Er tat, was sie sagte und dann fühlte er sich besser. Sie war gut zu ihm. Der Mann nahm seinen Arm. Fasziniert beobachtete Nagi, wie die Spritze unter seine Haut glitt und es kühl wurde in ihm. Er schauderte und bewegte seine Finger, ganz zur Zufriedenheit des Mannes. „Wer bist du?“, reihten sich Worte an Worte und er blinzelte. „N…“, begann er, wusste aber nicht, wie er weitermachen sollte und selbst das schwand, bevor er danach greifen konnte. Er war… Er war. Wieder war es graue Rauheit zwischen weißer Glätte, die ihn für sich vereinnahmte. ~~~~~~~~~~~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)