Fate/Royale von Daelis ================================================================================ Kapitel 5: Noble Phantasm ------------------------- Die Nacht über hatte ich einfach keine Ruhe finden können. Meine Gedanken waren unerbittlich um das Buch gekreist, von dem ich nun eindeutig sagen konnte, dass ich wirklich keinen Plan hatte, was ich damit anstellen sollte. Man konnte nicht darin schreiben und zu lesen gab es auch nicht allzu viel. Mir kam es vor, als habe der Gral sich einen boshaften Scherz auf meine Kosten erlaubt. In gewisser Weise hatte er das ja auf jeden Fall. Immerhin war ich per Definition wirklich überhaupt nicht als Servant geeignet und doch war ich hier, ein Caster wider Willen. Wenn mein Noble Phantasm ein Buch war, dann entweder, weil ich gerne las oder weil ich schrieb. Und damit war ich wieder bei dem Punkt, dass in diesem speziellen Buch beides nur bedingt oder gar nicht möglich war. Da beneidete ich Caster wie Cú mit seinem Wicker Man. Das Riesending kam halt einfach um die Ecke gebrezt und verbrannte alles auf seinem Weg - wahlweise auch Servants. Das war ein wirklich eindrucksvolles Noble Phantasm. Meines hingegen stellte mich nur vor ein Rätsel. Was sollte ich damit tun? Das seltsame Gedicht vorlesen und hoffen, es würde schon etwas passieren? Sollte das den Geist anderer Servants verwirren? Dann klappte das sicher nur bei hohlen Nüssen - mit Ausnahme der Berserker, denn die würden wohl nicht einmal bis zum Ende zuhören. All das hatte mich jedoch nicht davon abgehalten, die ganze Nacht in den leeren Seiten zu blättern, über die sorgsam in schöner, geschwungener Schrift verfassten Buchstaben zu streichen und mich zu fragen, was mir diese Zeilen sagen wollten und wie ich sie benutzen könnte, um Elisabeth und mich zu beschützen. Vergeblich. Als der Morgen dämmerte, war ich keinen Deut schlauer, sondern lediglich frustriert, weil auch meine Versuche, nochmal in dem Buch zu schreiben oder zu malen, zu rein gar nichts führten. Wie die Morgensonne durchs Fenster fiel und den neuen Tag ankündigten, bemerkte ich nicht einmal. Ob der Erkenntnis, dass ich alleine so nicht weiterkam, wog ich die zwei Personen ab, die ich um Hilfe bitten könnte und die mir vielleicht - und nur vielleicht - helfen könnten. Merlin und Cú Chulainn. Keine der beiden Optionen gefiel mir so richtig. Merlin mochte im Moment ein Verbündeter sein, doch ich traute ihm einfach nicht. Mr. Magical Dick konnte hundertmal der größte Zauberer aller Zeiten (außer Gandalf) sein. Solange er seine Identität, zugegeben hundsmiserabel, verschleierte, gab das wenig Anlass für Vertrauen. Allerdings war er weit herumgekommen und kannte sich vermutlich sehr gut mit Magie aus, sodass er vielleicht wirklich wüsste, was es mit meinem Noble Phantasm auf sich hatte. Die andere Option war Cú Chulainn, der jedoch selbst lieber ein Lancer war und außerhalb der Runenmagie vermutlich auch wenig versiert. Ihm allerdings traute ich irgendwie eher zu, mir zu helfen ohne dabei nur noch mehr Rätsel auf den Tisch zu legen. Denn genau das nahm ich in Merlins Fall an. Der Magier der Blumen würde mir doch noch ins Gesicht lächeln, wenn er mir ein Rätsel an die Hand gab, dessen Lösung mir bei meinem Problem helfen könnte. Als ich aus den Augenwinkeln Elisabeth bemerkte, die trotz der frühen Stunde durch die Wohnung wanderte, schlug ich mein Buch kurzentschlossen zu und musterte meinen Master verwirrt. Sie wirkte so anders! Völlig verändert und das über Nacht. Beinahe, als wäre sie eine völlig andere Person. Die Art, wie sie sich bewegte und mich schließlich ansah, passten so gar nicht zu der fröhlichen Dreizehnjährigen, die ich kennen gelernt hatte. Jetzt wirkte sie eher düster und erhaben, beinahe wie eine Königin, die ihren Thronsaal entlang schritt, während sie einen besonders lästigen Bittsteller anhörte. “Master?”, sprach ich sie vorsichtig an und erntete ein finsteres Lächeln, wenn man die boshaft anmutende Fratze, die sie zog, so nennen wollte. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Wer auch immer das war, es war eindeutig nicht die kleine Elisabeth. Daran konnte kein Zweifel bestehen. War sie von einem Geist besessen und ging das im Fate-Universum überhaupt? Vielleicht war dieser Zustand Folge eines Noble Phantasms eines anderen Casters? “Guten Morgen”, versuchte ich mein Unwohlsein zu überspielen. “Möchtest du frühstücken?” Elisabeth oder vielmehr die Person, die ihren Körper bewegte, machte nur eine abwertende Geste, die so gar nicht zu der Mädchengestalt passen wollte. “Benutz dein Buch, Caster”, wies sie mich mit kalter Stimme an. So hatte Elisabeth nie mit mir gesprochen. Sie war immer herzlich und freundlich gewesen, auch wenn manchmal etwas neben der Spur. Dieser Befehlston allerdings war klar nicht typisch für die echte Elisabeth. Ich presste die Lippen fest aufeinander und zögerte. Wer immer sie war, ich war nicht besonders motiviert, ihren Anweisungen Folge zu leisten, zumal ich das Buch ja sowieso nicht benutzen konnte, weil ich schlicht nicht wusste, wie. Das wusste die Fremde wohl nicht, die durch Elisabeths Mund sprach. Starr fixierte mich ihr Blick und ein verärgertes, dunkles Funkeln blitzte in den sonst so freundlichen, braunen Augen. “Worauf wartest du, Caster?” Ihre Frage klang nicht, als erwarte sie wirklich eine Antwort, sondern eher als drohe sie mir mit Konsequenzen, wenn ich nicht täte, was sie verlangte. Ich schluckte schwer. Solange ich nicht wusste, wie ich Elisabeth befreien und damit beschützen konnte, sollte ich diese fremde Person lieber nicht zu sehr provozieren. Also griff ich nach dem Buchband an meiner Hüfte und schlug ihn auf, ganz so, als wolle ich tun, was sie verlangte und mein Noble Phantasm entfesseln. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, nur wieder auf weiße Seiten zu blicken, wie schon die gesamte vergangene Nacht, doch zu meiner Verwunderung fiel mein Blick einen ordentlich geschrieben Text. Überraschung lag unübersehbar auf meinen Zügen. Damit hatte ich so gar nicht gerechnet. Was hatte sich verändert? Hatte ich etwas getan, um das Buch zu aktivieren? Nein. Und Elisabeth auch nicht, schloss ich sofort. Es musste an der Person liegen, die Elisabeth steuerte und daran, dass sie mir sehr viel mehr Mana zur Verfügung stellte, als es die kleine Eli gekonnt hätte. Wer immer hier die Fäden zog, war deutlich mächtiger als Elisabeth oder ich. Merlin hatte ich ausnahmsweise nicht in Verdacht. Dieser kalte Tonfall passte zu ihm ebensowenig wie zu meinem Master und auch Cú Chulainn schloss ich aus. Seine Art war so ein Vorgehen nun wirklich nicht. Es musste ein neuer Spieler in diesem Gralskrieg sein. Einer, den ich auf jeden Fall ernst nehmen müsste. Allerdings könnte ich von ihr wohl auch etwas über mein Noble Phantasm lernen, so wenig mir das auch gefiel. Seit ich beschworen worden war, trieben andere Heldengeister ihr Spiel mit mir. Erst der Kerl, der meinen Master tötete und meinen Katalysator an Elisabeth weitergab, dann Merlin, dessen Pläne mir noch gänzlich rätselhaft waren, außerdem Cú, der vielleicht noch am ehesten mit offenen Karten spielte und schließlich die Person, die Elisabeth steuerte und hoffentlich unbehelligt wieder frei gäbe. Mein Blick wanderte über die elegant geschwungenen Buchstaben, die nun die einst leeren Seiten zierten und von einem Kampf zeugten. “Ein Lächeln auf den Lippen warf die schöne Lorelei den Kopf zurück, erneut ihre Stimme zu erheben und damit einen Zauber über den Ritter zu legen, der bereits jetzt auf den harten Betonplatten kniete. Die Wirkung des letzten Spruchs der zauberhaften Caster hatten Tristan sowie seinen Master überrumpelt. Letzterer hatte obendrein die Macht von Loreleis Master zu spüren bekommen, zeugte von dessen letztem Angriff doch eine verbrannte Wunde an der Schulter der jungen Frau, deren Blick immer wieder zu ihrem Servant Tristan wanderte, dessen Zustand ebenfalls preisgab, dass sich der Kampf nicht zu ihren Gunsten entwickelte.” Dass die Worte laut über meine Lippen kamen, bemerkte ich erst, als ich die ersten Zeilen bereits vorgelesen hatte und deren Inhalt damit auch der fremden Seele in Elisabeth preisgab, was mir mein Buch offenbarte. Wäre mir nicht sowieso schon flau gewesen, dann hätte sich spätestens jetzt mein Magen umgedreht. Wäre ich nicht ein Servant und dieses Buch mein Noble Phantasm, ich hätte diese Zeilen einfach als eine Geschichte abgetan oder als etwas, das vielleicht im letzten Gralskrieg passiert war. So aber war ich mir sicher, dass mir das Buch nichts verriet, was irgendwann mal passiert war, sondern was genau jetzt geschah. Und hatte ich nicht gestern schon gehört, dass Lorelei in diesem Krieg beschworen worden war? Vage erinnerte ich mich an die Gesprächsfetzen, die ich aufgeschnappt hatte. Also hatte sie nicht nur mit Sinbad den Kampf gesucht, sondern jetzt auch mit Tristan. Ob der bereits Bedivere oder sogar Merlin getroffen hatte? Vielleicht war ja sogar Arthuria hier und könnte ihre Tafelrunde um sich versammeln. Ob die überhaupt willens wären, gegen ihren König zu kämpfen? “Überaus ärgerlich”, riss mich Elisabeths Stimme aus meinen Überlegungen. Mein Master - oder zumindest die Person, die sie derzeit beherrschte - hatte die Arme verschränkt und wirkte mehr als nur ein wenig angepisst. Warum, erschloss sich mir jedoch nicht. Der Kampf ging im Moment weder sie noch mich etwas an und damit vermutlich auch ihren Master nicht. Es sei denn natürlich, der hatte ein Bündnis mit der jungen Frau, die Tristans Master war oder sie kannte entweder Lorelei oder Tristan aus ihrem vergangenen Leben. Auszuschließen war das nicht. Eilig durchkämmte ich meine Erinnerungen. Besonders viel fand ich dort jedoch weder zu Tristan, noch zu Lorelei. Letztere, das wusste ich aber wenigstens, war eine künstliche und sehr junge Mythengeschichte um eine Rheinbiegung. Sie würde also vermutlich keinen anderen Servant aus ihren Lebzeiten kennen. Der Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte und sie zur Unheil bringenden Nymphe gemacht hatte, hatte immerhin schon in ihrer kleinen Sage keine Rolle gespielt. War es vielleicht Isolde, Tristans Liebste, die durch Eli sprach? Möglich wäre das wohl, auch wenn sie immer als warmherzig und freundlich beschrieben wurde und dieses Verhalten, das sie hier zeigte, indem sie ein Kind besetzte, so gar nicht dazu passen wollte. “Wie geht es weiter, Caster?”, verlangte sie zu wissen, den Blick eisig auf mich gerichtet. Einen Moment lang wollte ich einfach nichts sagen, doch meine Neugier siegte und so fand mein Blick von selbst zurück zu den Zeilen in meinem Buch, die verrieten, dass der Kampf weiter gegangen war und zwar nicht unbedingt zum Besten für Tristan. Der war inzwischen schwer verletzt, hielt sich eine blutende Wunde am Arm und taumelte, betäubt durch den Liebeszauber, den Lorelei um ihn zu weben suchte, um ihn damit dazu zu bringen, sich selbst zu vernichten. Wieder hatte ich die Worte, die ich las, laut ausgesprochen und damit auch der Fremden verraten, wie es um den Ritter Camelots und seinen Master stand. Ich schluckte schwer. War mein Noble Phantasm so etwas wie eine Universalkamera, die mich an jedem Kampf teilhaben lassen konnte? Dann wäre ich auf jeden Fall ziemlich gut darin, Informationen zu beschaffen. Besonders, weil die Namen der Servants in meinem Buch verzeichnet waren. Oder waren sie das nur, weil ich diese Servants bereits namentlich kannte? Tristan hätte ich ja immerhin auch erkannt, wenn ich ihn getroffen hätte. Wenn meine Vermutung stimmte, wäre ich vielleicht sogar als Assassin qualifiziert gewesen, was nicht unbedingt dazu beitrug, dass ich mich wohler fühlte. Sollte meine besondere Fähigkeit wirklich eine Art Super-Voyeurismus sein? Bei dem Bild, das das auf mich warf, behielt ich das lieber für mich. “Inakzeptabel”, befand die kühle Stimme meines temporären Masters knapp und ließ mich aufhorchen. Mir gefiel auch nicht unbedingt, was da geschah, aber für einen Gralskrieg war es nicht ungewöhnlich und da ich weder Lorelei noch Tristan oder deren Master persönlich kannte, hatte ich auch nicht wirklich eine Meinung dazu, wen ich lieber als Sieger sähe. Aus meiner Sicht war es prinzipiell erst einmal gut, wenn einer der beiden aus dem Krieg ausschied und damit keine Gefahr mehr für Eli und mich wäre. Die Person, die Elisabeth beherrschte, hatte aber eindeutig andere Pläne, wie mir klar wurde, als sie sich mit befehlsgewohnten Tonfall erneut an mich wandte. “Benutze dein Noble Phantasm und sorge dafür, dass Tristan und sein Master aus diesem Kampf siegreich hervorgehen.” Ich sollte in den Kampf eingreifen? Wie stellte sich diese Person das vor? Einen Moment lang starrte ich mein Buch nur fragend an, als würde es mir spontan die Lösung auf diese Frage ausspucken. Dass es das jedoch wirklich tat, überraschte mich dann aber doch. Aus bläulichem Schimmer, der sich aus den Seiten erhob, formte sich eine Schreibfeder, nach der ich ohne zu zögern griff. Die Details zu meinem Noble Phantasm, die der Gral mir bei meiner Beschwörung verwehrt hatte, flossen jetzt wie von alleine durch meine Gedanken. Meine erste Annahme war falsch. Es diente nicht der Beobachtung, auch wenn es dies durchaus erlaubte. Der Clou war sehr viel aufregender und bedeutend mächtiger. Authors Change hieß mein Noble Phantasm und es erlaubte mir, das Geschehen im wahrsten Sinne des Wortes umzuschreiben. Ich hielt den Atem an, als ich die Feder ansetzte. Tristan zu retten, lag in meiner Macht, solange mich diese fremde Person mit Mana versorgte, die sich an Eli vergriff. Aber war ich willens, ihr diesen Gefallen zu tun, obwohl ich nichts über sie wusste? Hatte ich überhaupt eine Wahl? Wenn ich mich offen gegen sie stellte, wer vermochte zu sagen, was sie dann mit meinem Master tat? Ganz abgesehen davon, war ich mehr als nur ein wenig neugierig, wie weit meine Kräfte reichen würden. Waren sie genug, um von hier aus im Verborgenen die Geschichte umzuschreiben? Falls ja, stellte das auch alle meine Überlegungen darüber auf den Kopf, wieso mein erster Master getötet, ich aber so schnell zu einem neuen gekommen war und auch, wieso sich Cú Chulainns Master für mich interessierte. Taktisch eingesetzt war dieses Noble Phantasm ein mächtiges Werkzeug in einem Krieg, in dem Informationen eine so große Rolle spielten. Noch etwas unschlüssig schrieb ich die ersten Zeilen, ließ Tristan seine Kräfte sammeln und sich erheben, des Zaubers zum Trotz, der seine Glieder bleiern sein ließ, als trüge er unsichtbare Fesseln, die ihn herab zogen. Die Worte flossen nur so aus meiner Hand, während sich vor meinem inneren Auge das Bild entfaltete. Tristan, am Ende seiner Kräfte, der sich ein letztes Mal gegen die schier übermächtige Magie der schönen Lorelei stemmte, die unversehens einen Schritt zurück trat, als der Ritter seinen Bogen hob. Der jedoch spannte nicht sofort einen Pfeil auf die Sehne, sondern zupfte vielmehr mit schlanken Fingern über die gespannten Saiten der Waffe, die ihm zugleich als Instrument diente. Sanfte Töne erklangen, zogen den Zuhörer in ihren Bann und ließen die Wunden schwinden, die Tristan und sein Master davongetragen hatten, wenn auch nicht zur Gänze. Der jungen Frau in Tristans Rücken war anzusehen, dass auch sie diesen Wandel des Kampfgeschickes nicht erwartet hatte, war ihr Mana doch beinahe aufgebraucht, sodass der noble Ritter kaum davon für seine Fähigkeiten zehren konnte. Kaum weniger erschrocken war Lorelei, die die volle Lockenpracht in den Nacken warf und den Mund öffnete, als wolle sie ihre Stimme gegen den Klang der Harfe schicken, die in Tristans Armen ruhte. Doch der rothaarige Mann hatte diese nun erhoben und auch wenn er keinen Pfeil anzulegen schien, so stand außer Frage, dass sein Angriff in dem Moment, in dem er eine Saite losließ, begann. Unsichtbar trafen die Schallwellen Lorelei, noch ehe sie die Stimme erheben konnte. Tristans Miene blieb ernst, als er erneut angriff, sich selbst zwischen den beiden Mastern positionierend, damit Loreleis Master für die junge Frau, die ihn begleitete, keine Gefahr mehr darstellte. Nur eine weitere, kleine Geste, mit der seine Finger über die Saiten tanzten, mehr brauchte es nicht, um Caster wie ihren Master von den Füßen zu fegen. So machtvoll waren die ersten Angriffe des Heldengeists nicht gewesen, bemerkte Lorelei, nunmehr willens, selbst alles auf ihre Trumpfkarte, ihr Noble Phantasm zu setzen. Ein letztes Lied nur, das dem Ritter den Untergang bringen sollte. Eines, das niemand mehr hören sollte. Mit dem Mut der Verzweiflung, denn anders konnte sich Tristan nicht erklären, woher die Kräfte kamen, die er zu mobilisieren vermochte, griff er erneut an, die Sängerin der Rheinufer fest im Blick, die mit einem stummen Schrei auf den Lippen in goldenem Schimmer verschwand. Ihr Master mit seinem vom Kampf beschädigten Anzug starrte nur fassungslos auf die Stelle, an der die Schöne verschwunden war. Für ihn hatte dieser Krieg sein Ende gefunden. “Es ist getan”, flüsterte ich leise, noch immer fassungslos, was ich da eben überhaupt vollbracht hatte. Tristan und Lorelei wussten nicht einmal, dass es mich gab und doch hatte ich ihren Kampf gerade entschieden, ohne, dass Tristan es jemals erfahren würde. Ahnte Merlin, dass ich das vermochte? Ahnte es überhaupt jemand? Wusste es vielleicht jemand? Womöglich genau die Person, die Eli meinen Katalysator gegeben hatte? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort wusste. Zu meiner eigenen Überraschung hielt ich Merlin sowie auch Cú in diesem Fall für unschuldig. Dafür kam mir ein ganz anderer Gedanke: War vielleicht die Person, die Elisabeths Körper besetzte zugleich die Person, die ihr meinen Katalysator gegeben hatte? Nur mit Mühe konnte ich mich von meinem Buch losreißen, auf dessen Seite nun langsam die Worte versickerten, als wären sie nie da gewesen. “Ma-”, begann ich meine Frage, da sah ich nur noch, wie Elisabeth ohnmächtig zusammen sackte. “Eli!” Vor Schreck war das Buch sofort vergessen. Wie sich die Feder auflöste, sah ich schon nicht mehr, so eilig war ich an die Seite meines kleinen Masters geeilt. Hektisch tastete ich nach ihrem Puls und lauschte schließlich auf ihre Atmung. Sie lebte. Erleichtert atmete ich tief ein und aus. Hieß das, die fremde Präsenz hatte sie nun wieder frei gegeben? In jedem Falle musste ich verhindern, dass sie sich noch einmal an Elisabeth vergriff und ihr womöglich schadete. Dabei könnte mir Marlin-Merlin hoffentlich helfen. Immerhin war er doch ein großer Magier. Bestimmt kannte er sich mit Besessenheit und Zaubern, die ähnlich funktionierten, aus. Allerdings kam mir jetzt auch Merlins Bemerkung über eine dunkle Seite in Elisabeth wieder in den Sinn. Irrte ich vielleicht und diese Person, die durch Elisabeth gesprochen hatte, war kein anderer Servant sondern vielmehr eine Person, die in Eli selbst ruhte? Danach musste ich Merlin dringend fragen und dieses Mal würde ich mich nicht mit irgendwelchen mysteriösen Bemerkungen oder Ausreden abspeisen lassen! Fürs Erste allerdings wäre es wohl am besten, wenn sich Elisabeth ausruhte und schlief. Sie sollte lieber nicht erfahren, was passiert war. Es würde ihr nur unnötig Angst machen und das wollte ich vermeiden, zumal es mir selbst auch Angst machte. Wie sollte ich Eli vor etwas beschützen, das in ihr war, in ihrem Geist? Diese ganze Sache wurde immer komplizierter. Behutsam trug ich meinen Master ins Schlafzimmer, um sie dort ins Bett zu legen und zuzudecken. Leise seufzte ich, während ich beobachtete, wie sich Elisabeths Brustkorb hob und senkte. Wo waren sie und ich hier nun hinein geraten? Einen Moment lang erwog ich ernsthaft, mich mit meinem Buch wieder auf das Sofa zu lümmeln und herauszufinden, ob der Kampf, in den ich eingegriffen hatte, für mich auch jetzt noch lesbar wäre. Dann allerdings fiel mir der Besuch ein, den Eli und ich für heute Nachmittag erwarteten. Ich musste backen! Sonst würden mein kleiner Master und ich uns vor den Rulern kräftig blamieren, hatten wir ihnen doch Kekse versprochen. Also war es nun wohl an mir, dafür zu sorgen, dass essbare Naschereien auf den Tisch kamen, ob ich nun wollte oder nicht. Weder backte ich gut, noch gerne, aber Eli hängen zu lassen, kam auf keinen Fall in Frage. In der Küche überprüfte ich erst einmal die Vorräte. Sah soweit ganz gut aus. Für ein paar einfache Plätzchen würde es reichen, befand ich schließlich und versuchte mich an die Mengenangaben zu erinnern, die ich für die Weihnachtsplätzchen benutzt hatte. Pi mal Daumen würde doch genügen, oder? Ich hoffte es inständig, während ich den Teig kräftig durchknetete und schließlich kleine Röllchen formte. Die erste Scheibe, die ich abschnitt, probierte ich zur Sicherheit selbst. Immerhin wollte ich die beiden Ruler nicht vergiften. Zu meiner Freude war der Teig sogar ganz lecker. Dann könnte ich später noch Schokoraspeln und bunte Zuckerstreusel darüber verteilen und sie würden auch noch hübsch aussehen. Blieb zu hoffen, dass Sherlock und Charles etwas für Süßes übrig hatten. Dick werden konnten sie als Geister ja nicht mehr, oder? Ich hasste backen. Hinterher sah ich aus wie durch den Betonmischer gedreht und das Ergebnis war aller Mühen zum Trotz kaum mittelmäßig im Geschmack aber garantiert nicht hübsch anzusehen. Dabei sollte man meinen, bei runden Keksen könne man nicht so viel falsch machen. Theoretisch. Zumindest ein bisschen erfüllte es mich mit Zufriedenheit, als ich die Plätzchen in den Backofen schob und die Eieruhr stellte. Dieses Gefühl hielt jedoch nur sehr kurz an und verschwand abrupt, als ich ins Wohnzimmer schlenderte, um dort die Zeit zu vertrödeln bis die Plätzchen soweit wären. Dort nämlich erwartete mich die zweite weniger angenehme Überraschung des Tages. Dieses Mal in Form von Diogenes und Cú Chulainn. Letzterer trug dieses mal keine Kapuze, sodass ich sein Gesicht sehen konnte. Hatten die sich hier verabredet oder schauten die Zwei wie sieben Tage Regenwetter, weil sie einander hier getroffen hatten? “Hallo”, begrüßte ich Cú und Diogenes so neutral, wie ich konnte. Zwar freute ich mich nicht unbedingt, die Zwei zu sehen, doch zumindest hatten die beiden dabei augenscheinlich genauso wenig Spaß wie ich, sodass es wenigstens zu hoffen gab, dass die Unterhaltung kurz ausfiel und nicht nur ich zum Deppen gemacht wurde. “Welch unerwarteter Besuch. Was verschafft uns die Ehre?” Und schon war Schluss mit nett. Meine Stimme klang so unfreundlich, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, dass ich so überhaupt keine Lust hatte, mich mit den beiden auseinander zu setzen. Für heute war ich reichlich bedient. Wenn die Zwei also nicht gleich irgendwie hilfreiche Infos rüberwachsen ließen, die mir mit Eli weiter halfen, dann konnten die beiden auch gerne gleich wieder gehen. Diogenes, den ich bisher immer als absolut tiefenentspannt, ein wenig weltfremd und desinteressiert wahrgenommen hatte, sah mich durchdringend an, doch es war Cú, der zuerst das Wort ergriff. “Mitten in der Stadt kam es zu einem Kampf zwischen zwei Servants.” Es kostete mich alle Mühe, nicht patzig zu reagieren. Von dem Kampf wusste ich schon und jetzt weiter im Text. Ohnehin war ein Kampf in einem Gralskrieg ja nicht wirklich etwas Ungewöhnliches und würde kaum dazu führen, dass gleich zwei Servants nichts Besseres zu tun hatten, als ausgerechnet bei mir aufzulaufen. Wo war also der Punkt? Ob Tristan oder Lorelei gewannen, könnte Cú und Diogenes doch erstmal ziemlich egal sein, solange sie kein Bündnis mit Lorelei gehabt hatten und irgendwie glaubte ich nicht, dass sie beide im gleichen Team spielten. “Schön. Und weiter? Ich nehme an, in einem Krieg kommt das schonmal vor”, brummte ich missmutig. “Wurde ein Ruler angegriffen oder wieso steht ihr beide hier auf der Matte?” Hah, gut geschauspielert! Kurz huschte so etwas wie Überraschung über Diogenes’ gelangweilte Miene, doch der Moment währte nur in etwa so lange wie meine Freude über die Kekse. “Wir sollten uns unter vier Augen darüber unterhalten, Caster”, ließ Merlins Servant ruhig vernehmen, wobei sein finsterer Blick zu Cú Chulainn wanderte, der nicht weniger entgeistert zurück starrte. Meine Güte! “Woah, Jungs, nehmt euch ein Zimmer oder kommt zum Punkt oder nehmt euch ein Zimmer!”, rutschte es mir heraus, ehe ich nachdenken konnte. Meine Laune war bereits ziemlich tief am Boden und ich hatte ganz sicher keine Lust, hier noch Rätselraten zu spielen, weil sich Cú und Diogenes nicht riechen konnten. “Das können wir später, Caster”, summte mir der blauhaarige Cú entgegen, ein wölfisches Grinsen auf den Lippen. Bei ihm war ich mir sicher, dass mein Ausbruch ihn eher amüsierte, denn ärgerte, aber bei Diogenes konnte ich nicht einmal raten, was er darüber dachte. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper! “Der Punkt ist, dass es zu einem Bruch im Machtgefüge kam, weil der Kampf so nicht hätte ausgehen dürfen”, erklärte Diogenes nun zu meiner Verwunderung. “Hätte er nicht? Wieso nicht?”, mimte ich einfach weiter die Dumme, auch wenn mir schwante, dass mir das weder Dio noch Cú abkauften. “Der Kampf war im Grunde schon zu ende”, schaltete sich Cú Chulainn unvermittelt ein. “Doch dann hat der Unterlegene ganz plötzlich gewonnen, obwohl ihm das Mana ausgegangen war. Diese Kräfte hätte er schlicht nicht mobilisieren können.” Sein Blick lag streng auf mir und ich schluckte nervös. Ahnte Cú, dass ich meine Finger im Spiel hatte, obwohl er selbst angemerkt hatte, dass mein Master zu wenig Mana hatte, damit ich mein Noble Phantasm benutzen konnte? “Was hat das mit mir zu tun? Ich habe keinen Bündnispartner gewonnen oder verloren und war mit meinem Master den ganzen Tag hier.” Mein Master. Ob es ihr gut ginge, wenn sie erwachte und ob sie sich an irgendetwas von heute morgen erinnern würde? Irgendwie hoffte ich, sie würde es nicht und müsste sich nicht vor etwas fürchten, dass weder sie noch ich abschätzen konnten. Wer immer da mitgemischt hatte... “verfügte über außerordentliche magische Kräfte”, beendete Diogenes meinen gedanklichen Satz und ließ mich damit aufschrecken. Den ersten Teil seiner Erklärung hatte ich verpasst. Cú nickte mit ernster Miene. “Zweifellos ein Caster-Servant.” Zugleich hob er schon die Hände. “Ich war es nicht. Über solche Fähigkeiten verfüge ich nicht.” Diogenes musterte ihn nur für einen Augenblick, dann zuckte er mit den Schultern, als wolle er den Blauhaarigen wissen lassen, dass er ihm solche Macht sowieso nicht zugetraut hatte. Mir jedoch schlug die ganze Zeit über das Herz bis zum Hals. Ich wollte auf keinen Fall, dass die beiden meine Lüge aufdeckten und herausfanden, was wirklich passiert war, obwohl ich das ja selbst nicht so ganz genau wusste. Meine Finger um die Eieruhr zitterten und waren völlig verkrampft, sodass sich die obere Hälfte nicht weiterdrehen konnte und nun hörbar stockte. Diogenes schien das einfach zu ignorieren oder zumindest zeigte er nicht, dass ihm etwas aufgefallen war, Cús Miene allerdings zierte ein wölfisches Grinsen. Er sagte jedoch nichts, sondern stellte sich nun auf meine Seite - und nicht nur metaphorisch. Mit ihm im Rücken war ich nicht sicher, ob ich mich sicherer oder unsicherer fühlen sollte. “Na ja, es gibt in diesem Krieg schließlich einige Caster, die durchaus in Frage kommen könnten, nicht wahr?” Ich wusste nicht, ob Diogenes diese Ausflucht glauben würde, aber ich tat es nicht, nickte aber dennoch. “Vielleicht ist es auch das Werk eines Masters?”, schlug ich vor, weiter die Unwissende spielend. Diogenes hingegen sah mich nur unverwandt an. “Wie denkst du, soll das möglich gewesen sein, Caster?” Die Frage implizierte längst, dass er mich für die Schuldige hielt. Ganz toll. “Ich weiß es nicht”, seufzte ich leise. “Mein Master verfügt über wenig Mana, wie du weißt und ich halte mich mit der Nutzung aller Fähigkeiten zurück, sodass mir heute Vormittag nichts aufgefallen ist. Also weiß ich auch nichts von einem Kampf oder was dabei passiert sein könnte”, log ich mit fester Stimme, die beim letzten Wort jedoch in die Höhe ging, weil mich Cús Hand an meinem Rücken erschreckte. Verdammt, dieser Kerl wäre noch mein sicherer Tod auch ohne Kampf. Konnten Servants durch eine Herzattacke sterben? Vor Schreck hätte ich beinahe die Eieruhr fallen lassen, die ich eilig wieder fest griff. Diogenes’ Blick war der tickenden Eieruhr gefolgt, ehe er wieder meinen suchte. Er sah nicht mehr so verärgert aus wie bei meiner Ankunft im Wohnzimmer, doch auch nicht so gelangweilt wie bei unserem ersten Treffen und dem Essen bei Merlin. Das allein verriet mir schon, dass etwas im Busch war. Etwas, das mir vermutlich nicht gefallen würde. “Dann gebe ich das so auch an meinen Master weiter”, meinte Diogenes schließlich tonlos, sah mich noch einmal eindringlich an, ehe er einen missbilligenden Blick zu Cú Chulainn warf. Beinahe hätte ich mit einem Tadel gerechnet, der in etwa besagte, ich solle mich nicht mit feindlichen Servants herumtreiben, doch Diogenes blieb still und löste sich nur kommentarlos in goldenem Schimmer auf, Cú und mich zurück lassend. “Jetzt haben wir ein wenig Zeit nur für uns, Caster”, raunte Cú an mein Ohr und sorgte damit nicht nur dafür, dass ich einen halben Schritt von ihm weg tat, sondern obendrein etwas rot um die Nasenspitze wurde. Musste er das eigentlich immer tun? Fand er das irgendwie lustig? Irgendwann würde er sich für diesen Kuschelkurs noch eine Ohrfeige einfangen und zwar völlig verdient! Hatte er noch nie etwas von Wohlfühlzone gehört? Er stand hier eindeutig in meiner. “Da du ja offensichtlich nicht über deine Fähigkeiten sprechen möchtest, könnten wir uns die Zeit auch anders vertreiben. Wir brauchen nur einen guten Met, etwas Obst...” Diesen süffisanten Unterton bildete ich mir nicht nur ein, oder? Darauf zu hoffen, er würde Brettspiele vorschlagen, wäre wohl ziemlich naiv und für ein gemeinsames Besäufnis war ich viel zu nüchtern. Da ich nie Alkohol trank, absolut niemals, wäre es sowieso ein kurzes Vergnügen, weil keiner sagen konnte, ob ich nicht schon nach dem ersten kleinen Glas lallend in der Ecke hockte. Nicht auszudenken, was ich dabei alles ausplaudern könnte! Oder noch viel schlimmer: Was ich alles tun könnte! Nein danke. Noch während ich krampfhaft überlegte, was ich nun sagen könnte, um Cú schnell wieder loszuwerden, klingelte die Eieruhr in meiner Hand und gab mir damit gleichermaßen die Chance, mich aus Casters Umarmung zu flüchten als auch den perfekten Hinweis auf eine Ausrede. “Die Kekse!”, entfuhr es mir. “Wie du siehst: Ich habe wirklich keine Zeit”, plapperte ich eilig drauf los. “Master und ich erwarten Besuch.” Auf eine Antwort wartete ich nicht, sondern huschte direkt in die Küche. Cú folgte mir nicht und als ich samt Keksen ins Wohnzimmer zurückkehrte, war von dem blauhaarigen Caster keine Spur mehr zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)