A Cats' Fishing Ground von Darklover ================================================================================ Kapitel 21: 21. Kapitel ----------------------- Sie hatten beschlossen in einer Spirale, ausgehend vom Unglücksort zu suchen. Ban hatte von Anfang an die Führung des Suchtrupps übernommen. Zusammen mit zwei seiner jüngeren Brüder. Die Zwei, die noch fähig waren, ihm zu folgen. Auch Aya hatte eigentlich darauf bestanden, mit ihnen zu kommen. Ihnen bei der Suche zu helfen. Aber Ban hatte in ihren Augen dieses gewisse Glänzen gesehen. Ein Zeichen dafür, dass sie das Mädchen nicht gebrauchen konnten. Sie wollte nicht nach anderen Überlebenden des Schwarms suchen. Aya wollte nach ihm suchen. Und genau das würde sie nicht weiter bringen. Es war schlimm genug, die Toten zu finden. Aber jemanden bei sich zu haben, der bei jedem leblosen Körper, den sie herumdrehten, bei jedem zerfleischten Opfer, nur nach diesen bestimmten Gesichtszügen suchte. Nein. Ban hatte sie zurückgelassen. Es war besser, wenn sie systematisch suchten, die Verletzten zurück zum Schwarm schickten oder jemanden holten, der sich um sie kümmerte. Je weiter sie nach draußen kamen, umso schwieriger wurde es ohnehin. Und umso unwahrscheinlicher, dass sie noch Überlebende fanden. Hier, ein paar Kilometer vom zentralen Punkt entfernt, fanden sie kaum etwas. Vielleicht noch ein paar Spuren. Manchmal hatten sie Glück und der Eine oder Andere hatte sich auf eine kleine Insel retten können. Ein Ankerpunkt mitten im Meer. Nicht viel mehr, als ein größerer Haufen Muschelkies. Aber ein Ort, an dem ein Einzelner sich zumindest vor schnappenden Mäulern sicher fühlen konnte. Denn so viel Blut im Wasser hatte doch so manchen Räuber auf den Plan gerufen. Auch die Verletzung, die Ban selbst halb unter einem Verband verbarg, der quer über sein Gesicht verlief, hatte er nicht vollkommen der Explosion, sondern einem Fisch zu verdanken. Für manche, schien ein Augapfel eben eine besondere Delikatesse zu sein. Mit einer aggressiven Geste scheuchte Ban seinen jüngeren Bruder hinter einen Felsbrocken, der von einigen Polypen bewachsen war. Bunte Fische tummelten sich darum und man hätte es für ein winziges, idyllisches Eiland halten können. Zumindest so lange, bis man dahinter, eingeklemmt oder an den Haaren festgehakt an einer Koralle, einen der ihren fand. Nichts, was tot war, überdauerte hier lange. Jeder Fisch, jede Krabbe, jeder Wal war für diejenigen, die sich im Leben nicht an sie heranwagten, am Ende bloß Futter. Jeder hatte Hunger. Und er nahm sich, was er kriegen konnte. Sal fand nichts. Ein kurzes Nicken und ein Pfiff, dann war er wieder bei ihnen. Kein weiterer toter Bruder. Gut. *** Erst nach einer ganzen Weile stiller Zufriedenheit und deutlichem Wohlbefinden schlug Viola langsam wieder ihre Augen auf und lächelte sofort, als sie Zins Haut vor ihrer Nase erkannte. Seine Farbe war so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Sie hätte ihn zwischen tausenden von Leuten wieder erkannt und dabei musste sie noch nicht einmal seinen leicht getigerten Rücken sehen. Ein Gähnen unterdrückend zitterte sie in Zins Armen, doch als es darum ging, sich einmal genüsslich zu strecken, konnte sie dann doch nicht widerstehen. Zuerst blickte sie zu Zin hoch und schenkte ihm ein Lächeln, ehe sie sich an ihn schmiegte, während sie ihren Rücken durchstreckte und die Arme um ihn schlang, um auch diese von ihrem eingezogenen Dasein zu entlasten. Da ihr die Position gefiel, ließ sie es gerne einen Moment lang dabei bleiben, wobei ihre Lippen nach Zins Mund tasteten und dabei seinen Hals hoch küssten, über sein Kinn flatterten und schließlich ihr Ziel trafen. Wenn man Küsse in verschiedensten Stufen von Süß und Bitter einordnen konnte, dann war das hier definitiv ein Kuss, der ihre Zähne peinigen müsste, so süß war er und er dauerte. „Hi“, meinte sie schließlich, als sie sich ihre vorläufige Dosis von Zin abgeholt hatte und seinem Mund einen Moment Ruhe gönnte. „Hi.“ Diesmal war es ein Seufzen ganz anderer Natur, das sich tief aus Zins Brust über seine Lippen rang. Es zeugte von absolutem Wohlbefinden und auch die Art, wie er sich an Viola schmiegte, ihr einen weiteren, deutlich kleineren Kuss stahl und sie dann anlächelte, war damit im Einklang. Die Stellen, an denen ihre Lippen ihn gerade hauchzart gestreift hatten, kitzelten sanft und Zin musste sich zusammennehmen, um nicht darüber zu streichen und zu sehen, ob von ihren Küssen vielleicht eine Spur zurückgeblieben war. Für die Augen anderer nicht sichtbar. „Es gefällt mir hier", fasste er für Viola zusammen, was er vorhin in seinem Kopf hin und her gedreht und gewendet hatte. Allerdings konnte sie auch annehmen, er meinte nur den halbschattigen Platz unter den Palmen. Neben ihnen schwang die Hängematte im warmen Wind und Zin sog den salzigen Duft des Meeres tief in seine Lungen und schloss sogar kurz die Augen. Ja, er fühlte sich wirklich ausgesprochen wohl. Und das hatte nicht allein etwas mit dem Sex von eben zu tun. Allein, dass er Viola im Arm halten und sie küssen durfte. Das war ... unbeschreiblich schön. „Ich gestehe ...“, schnurrte sie leise und rieb ihr Kinn an Zins Brust, ehe sie ihre Nase dagegen drückte und einmal tief seinen wunderbaren Duft einsog. „... hier gefällt es mir auch sehr gut.“ Sie leckte über sein Schlüsselbein und streichelte diesen wunderbaren Körper mit ihren Händen. Ja, hier bei Zin gefiel es ihr außerordentlich gut. Das war nicht zu leugnen und sie wollte es auch gar nicht. Auch wenn er vermutlich nur das schattige Plätzchen unter den Palmen gemeint hatte. „Das müssen wir bei Gelegenheit unbedingt einmal wiederholen.“ Viola lachte leise, streichelte über Zins Bauch und blickte zu ihm hoch. „Ich ... ähm ... bin nämlich ein Wiederholungstäter, weißt du?“ Nun musste sie wirklich grinsen, während sie spürte, wie langsam ihre eingelullten Lebensgeister wieder richtig zurückkamen. So wie es eigentlich bisher immer nach sexuellen Begegnungen gewesen war. Aber vielleicht wollte ihr die Tatsache – dass sie bei Zin vor Behaglichkeit danach einschlafen könnte – auch etwas zu sagen. Er erschauderte leicht, als Viola ihm so unvermittelt über die Haut leckte. Sofort breitete sich eine Gänsehaut von der Stelle ausgehend über seine Brust aus und Zin veränderte seine Position ein wenig, bevor er in Violas Lachen leise einstimmte. Ja, gern. Er würde das sogar liebend gerne wiederholen. Und wenn es ihm endlich wieder vollkommen gut ging, dann ... konnten sie noch so Einiges ausprobieren und dann erst zu den Wiederholungen übergeben. Der Gedanke ließ ihn schelmisch grinsen. „Nicht so schlimm. Damit werde ich einfach leben müssen.“ Er küsste sie auf die Stirn, den Nasenrücken und schließlich die Lippen, bevor er sie an sich zog und sie festhielt. Zin drückte Viola wirklich unheimlich gern. Sie war so ... wie dafür gemacht. Er schmunzelte leise, ließ sie dann aber ein wenig los, um ihr wieder richtig ins Gesicht sehen zu können. „Was hältst du davon, wenn wir uns über die Snackbox hermachen. Und nachher gehe ich eine Runde schwimmen.“ Zin war einfach ... unglaublich. Und dieses Mal meinte sie es nicht ganz im positiven Sinne. Denn in einem Moment war er dazu in der Lage, sie durch wenige Worte und Gesten glücklich zu machen und im nächsten Augenblick trieb er ihr ein eiskaltes Messer zwischen die Rippen und schlitzte sie bis zum Magen auf. Er wollte wieder ins Wasser. In dieses verdammte, sie ängstigende Zeug, in das sie ihm nicht folgen konnte. Wenn er beschließen würde, zu gehen, könnte sie ihn nicht einmal mit Klauen und Zähnen dazu bewegen, zu bleiben. Geschweige denn von ihren sanfter anmutenden Reizen. „Nein.“ Viola zwang sich zu einem kleinen Lächeln, da es glaubhafter sein würde, als ein großes. „Ich hab keinen Hunger. Zumindest nicht auf was zu essen.“ Auf Zin hätte sie sofort wieder Appetit gehabt, aber durch seine Worte, war selbst das gedämpft. „Wie wär’s, wenn du ... schwimmen gehst und ich ...“ Sie holte einmal tief Luft. „Leg noch ein bisschen Sonne nach?“ Nein. Diesmal hatte er sich weder etwas eingebildet, noch sich in einer Weise geirrt, die seine nächste Reaktion hätte verhindern können. Also setzte Zin sich auf, legte Viola eine Hand auf die Wange und streichelte sie, bevor er ein sehr ernstes Gesicht aufsetzte. Irgendetwas steckte hier im Busch. Und es war nichts Gutes. So viel wusste er bereits durch die Reflexe von Violas Augen und dem leichten Zittern ihrer Mundwinkel, als sie versucht hatte, zu lächeln. „Möchtest du mir vielleicht zuerst sagen, was los ist?“, wollte Zin sanft, aber nicht bevormundend wissen. Er war sich nicht zu hundert Prozent sicher, dass er sich richtig entschieden hatte, indem er Viola darauf ansprach. Immerhin war es nur ein Gefühl. Und sie war keine Meerfrau. Er sollte sich im Lesen ihrer Mimik und ihrer Gesten noch üben. Aber bevor er etwas tat, was ihr zuwider war, wollte er wenigstens versuchen, es aus dem Weg zu räumen. „Für mich klingt es nicht so, als wärst du mit diesem Plan ... einverstanden.“ Nein, sie klang alles Andere als glücklich darüber. Das konnte doch kaum daran liegen, dass er für eine halbe Stunde wegging. Sie ging doch auch zur Arbeit und sie waren einen Tag lang getrennt. Viola biss die Zähne zusammen, um Zin nicht garstig anzufahren. Es wäre nur gemein und völlig unangebracht, da er ernsthaft wissen wollte, was mit ihr los war. Daher wäre es nicht richtig, ihn bissig abzufertigen, obwohl es ihr widerstrebte, ihn genau wissen zu lassen, wie groß ihre Angst vor Wasser war. So groß, dass ihr allein beim Gedanken daran, er könnte dort hineingehen, schlecht wurde. Sie sollte es ihm sagen. Das sollte sie wirklich. Doch was würde er dann tun? Auf sie hören und bei ihr bleiben, anstatt in das Element zurückzukehren, in dem er geboren wurde? Das war lächerlich. Obwohl ein Teil von ihr ihn sogar auf diesen Prüfstand stellen wollte, um herauszufinden, was ihm wichtiger war, tat sie es nicht. Gerade weil sie sich damit nur selbst ins Fleisch schneiden würde. Ob er nun bei ihr bliebe oder ging, war hierbei nicht von Bedeutung. Sie würde sich ebenso mies dabei fühlen, ihm seine Freiheit zu rauben, wie von ihm versetzt zu werden. Nichts davon war richtig. Es war sicherer, beide Optionen zu umschiffen und das tat Viola auch, in dem sie Zin einen langen Kuss auf die Lippen gab und mit den Worten „Ich hol mir ein Eis“ aufstand, um von sich aus zu gehen. Damit er das tun konnte, was er nun einmal tun musste, um sich gut zu fühlen. Um herauszufinden, ob es seinem Körper besser ging. Wer war sie, dass sie ihm das hätte nehmen können? Sie wollte es gar nicht herausfinden, also schnappte sie sich ihren Bikini und ging damit zum Haus zurück. Es half nicht gerade, dass sie dabei einen Teil von Zin immer noch zwischen ihren Schenkeln spüren konnte. Der Tag war so gut gewesen und jetzt drohte sie alles zu versauen. War doch wieder einmal eine typische Viola-Aktion. Er zupfte die Decke gerade, strich sie unnötig glatt, stand auf und ging zum Strand hinunter. Verwirrt und ein wenig getroffen von ihrer Reaktion, sah er zu Violas Haus hinüber. Doch sie war schon durch den Türrahmen verschwunden. „Und ich dachte, du hast keinen Hunger ...“, murmelte er leise, bevor die ersten Wellen seine Zehen umspielten. Zin lief einfach gerade aus. Ohne zu wanken, ohne stehen zu bleiben, so lange, bis sein gesamter Körper umspült und er von einer Welle sanft vom Sand in die Höhe gezogen wurde. Die Augen geschlossen, öffnete Zin seine Kiemen. Die an seinem Kiefer, dann die an seinem Rücken. Salz legte sich hinein, fraß an den immer noch offenen Wunden und brannte so stark, dass Zins Körper zusammenzuckte. Doch es dauerte nur eine Weile. Gerade so lange, bis seine Lungen protestierten. So lange, bis es nur noch zwei Möglichkeiten gab. An die Oberfläche zu schwimmen oder – Der Pfeifton war laut und durchdringend. Zin krümmte sich zusammen, die Augen fest zugedrückt, die Arme um seinen Körper geschlungen. Seine Schwimmblase klopfte schmerzhaft unter seinem Brustkorb, als er wie ein Stein zu Boden sank und sich rote Schlieren aus seinen Rückenkiemen ins umliegende Wasser verteilten. Erst, als er einen ihm bekannten Schatten sah, riss Zin den Kopf hoch. Durch sein drittes Lid waren seine Augen geschützt. Er konnte den Hai erkennen, der fast träge auf ihn zuschwamm. Um einmal zu sehen, was da so lecker nach Mittagessen roch. Aufrecht im Wasser schwebend brachte Zin ein Lächeln zustande, als er das Muster auf dem Tier erkannte. Dem sehr ähnlich, das auch seinen eigenen Rücken zierte. Na, Dicker ... Der Hai schwamm um ihn herum. In abschätzendem Abstand. Zin konnte das Auge erkennen, das ihn musterte. Nicht sicher, ob die Beute so wehrlos war, dass man einfach hineinbeißen konnte. Zin lächelte immer noch, ließ aber dann eine Salve von Klicklauten in Richtung des Tigerhais los, die diesem sehr genau vermittelten, dass es hier nichts zu holen gab. Schon gar keine schmackhafte Mahlzeit. Wunden hin oder her. Zin würde sich bestimmt nicht einfach auffressen lassen. Verzieh dich. Ich schmecke nicht. Wieder eine Salve von Klicks und ein ordentlicher Pfiff hinterher und der Hai drehte ein Stück ab. Allerdings nicht so weit, dass Zin ihm den Rücken zudrehen würde. Er verfolgte die Bewegungen des Tiers mit größter Aufmerksamkeit. Und dabei ... fiel ihm der weitere Schatten ins Auge. Sogar zwei, die direkt und ziemlich schnell auf ihn zuschwammen. Mehr Haie. Na toll. So viel zum ersten Ausflug. Sie hatte das Eis schon vergessen, als sie es als Vorwand ausgesprochen hatte. Denn mehr war es nicht gewesen. Stattdessen kreisten ihre Gedanken alle nur um Zin und dass er in diesem Augenblick da draußen im Meer war und ein paar Runden schwamm. Viola hielt diese Gedanken kaum aus. Vielleicht zitterten auch deshalb ihre Finger so sehr, dass sie es kaum schaffte, die Schleifen ihres Bikinihöschens wieder zuzubinden, nachdem sie sich von ihrem intimen Abenteuer erfrischt hatte. Leider nichts, was so lange dauern würde, dass es sie davon abgehalten hätte, viel zu früh zum Stand zurückzukehren. Denn das tat sie schließlich, noch bevor sie es bewusst registrierte. Sofort wurde ihr ganz anders zu Mute, als sie Zin nirgends entdecken konnte. Weder plantschte er sitzend im Wasser, noch sah sie auch nur irgendwo seinen Kopf auf der spiegelnden Wasseroberfläche. Er schwamm nicht. Er tauchte. Scheiße!, fluchte sie gedanklich in ihrer Panik und lief zum Strand, um vielleicht dort besser sehen zu können. Doch der Einfallswinkel der Sonne war im Augenblick so dumm, dass sie nicht einmal ein Stück unter Wasser sehen konnte, selbst als sie sich mit einer Hand die Augen vor der Helligkeit abschirmte. Da war einfach nichts zu erkennen. „Zin?“ Es kam nur leise und gebrochen über ihre Lippen, während sich ihre Kehle immer weiter zuschnürte. Was wenn ihm etwas passiert war, während sie sich drinnen aufgehalten hatte? Hatte ihre Sturheit ihm vielleicht Schaden zugefügt? Was wenn er Hilfe brauchte? „Zin?“ Nun sagte sie es schon lauter, aber bei weitem noch davon entfernt, es zu schreien. Wie ein eingesperrtes Tier im Käfig schlich sie um die Grenzen ihres Gefängnisses herum, ignorierte dabei, dass das Meer bereits an ihren Fußknöcheln leckte. Sie hatte nur Augen für die weite offene See dort draußen und ob sie irgendwo den ihr inzwischen so vertrauten Hinterkopf oder Rücken erblicken konnte. Doch da war auch weiterhin nichts. „ZIN?!“, rief sie nun endgültig los, während sich ihr Magen zu einem kleinen kümmerlichen Elend zusammenkrampfte. „Verdammt noch mal, Zin!“ Nun klang es wie ein heiseres Fauchen, aufgebracht und provoziert. Sämtliche Härchen an ihrem Körper stellten sich widerstrebend auf und ihre Krallen schossen aus ihren Fingern, da sie ihre Panik inzwischen so wenig im Griff hatte. Eine Welle ließ sie einen Schritt zurücktaumeln, ehe sie festeren Stand einnahm und das Nass gegen ihren Bauch schlug. Oh Gott ... Was wenn er nie wieder zu ihr zurückkehrte? Viola begann am ganzen Körper zu zittern und sämtliche ihre Glieder schienen sich mehr und mehr zu versteifen, bis sie sich keinen Millimeter mehr rühren konnte. Der letzte Akt ihrer Muskeln bestand darin, dass sie sich die Arme vor die Brust schlang und sich selbst hielt. Danach verharrte sie reglos mit zusammengebissenen Zähnen, weit aufgerissenen Augen und am ganzen Körper bebend in dieser Erstarrung. Selbst die Wellen, die sie nun gegen ihre Brust trafen, konnten sie nicht umwerfen. Er schob sich aus dem unteren, langsameren Teil der Welle nach oben, in die Hälfte, die auf dem unteren Block brach und auf den Strand zurasen würde. Immer noch zu langsam, wie Zins pochendes Herz fand, das ihm bei jedem Schlag aus dem Hals springen wollte. Schneller! Die Welle sog ihn nach oben, umspülte ihn mit Luftbläschen und riss ihn mit sich in Richtung Strand. Die Schatten neben ihm waren größer als er. Massiger. Trotzdem glitten sie etwa in der gleichen Geschwindigkeit auf der Brandung entlang, was Zin aber nur am Rande interessierte. Seine Arme nach vorn ausgestreckt raste er durchs Wasser, seine Füße trieben ihn zusätzlich an. Und doch war es immer noch nicht genug. Weiter! Los! Schließlich konnte er einen anderen Schatten erkennen. Schmal und verloren im mächtigen Blau um ihn herum. Zin hielt direkt auf die Figur zu, von der er wusste, wer es war. Schließlich war sie es, die ihn an sich gerissen hatte. Durch das Wasser, aus dem Kreis der Haie und direkt an den Strand zurück. Die dunklen Umrisse folgten ihm immer noch, als er schon fast bei ihr war. Zin bremste, machte eine Rolle und stieß seine Fersen in den Sand. Er wurde in eine aufrechte Position gerissen und es genügten zwei Schritte, bis er bei Viola war, seine Arme um sie schlang und sie so hochzog, dass er sie fest im Griff hatte. Den Kopf über der Oberfläche schüttelte er sich das Wasser aus dem Gesicht, schob einen Arm unter Violas Kniekehlen und drückte ihren Körper an seinen. „Was ist denn los?“ Herrgott, ihm war so schlecht, dass er gar nicht wusste, ob es klug war, in ihrer Sprache zu sprechen. „Warum hast du denn so gerufen? Und ... was machst du denn so tief im Wasser?“ Er drückte ihr einen besorgten Kuss auf die Schläfe und im gleichen Moment barst die Oberfläche dicht neben ihm. Zu beiden Seiten sprengte es hoch und Zin zog Viola beschützend an sich. Was sollte der Scheiß, Zin?! Hast du sie noch alle?! Wir – Sal zuckte unter Zins Blick und dem entsprechenden Pfeifton so stark zusammen, dass es Zin im nächsten Moment schon wieder leidtat. Aber er konnte sich jetzt keine Vorhaltungen anhören. Er musste Viola hier wegbringen! Eine Hand schloss sich so fest um seinen Oberarm, dass Zins Augen sich zu Schlitzen zusammenzogen. Lass mich los. Was tust du da? Bans Klicken war dumpfer und tiefer als das von Zin und würde wohl immer viel mehr Autorität besitzen. Aber gerade jetzt war Zin das schnurz. Er riss sich von seinem Bruder los – was einen roten Handabdruck auf seinem Oberarm hinterließ – und stapfte geradewegs aus dem Wasser den Strand hinauf. So weit, bis er Viola vorsichtig im Sand absetzen konnte. „Hey ... Viola?“ Sie ... bekam keine Luft mehr. Ihr Brustkorb, ihr Herz und ihr Magen zogen sich zu einem einzigen Klumpen zusammen. Unmöglich erschien es ihr da, auch nur einen einzigen Luftzug in ihre Lungen zu bekommen. Panik breitete sich wie ein tödliches Virus in ihr aus, und obwohl da plötzlich die vertraute Stimme von Zin an ihr Ohr drang, während seine Arme sie beschützend festhielten, nahm sie es doch nur am Rande war. Genauso wie die Tatsache, dass er sie aus dem Wasser holte. Aus diesem teuflischen Nass, das es so leicht so gekonnt schaffte, jede Kraft aus ihrem Körper zu saugen. Erst als Zin sie auf dem warmen Sand absetzte und ihren Namen sagte, stahl sich ein Lufthauch in ihre Lungen, woraufhin sie panisch nach noch mehr Atem rang, um die herumwabbernden Nebel vor ihrem Blickfeld zu verscheuchen. Hastig und viel zu schnell rang sie nun nach Luft, während ihre geweiteten Augen sich gehetzt umsahen und es kaum schafften, sich auf Zin alleine zu konzentrieren. Nur mühsam konnte sie ihre verkrampften Arme von ihrem Brustkorb lösen, die ihr noch mehr die Luft abgedrückt hatten. Dann fixierten ihre Augen die von Zin und sie wurde ruhiger. Immer noch am ganzen Körper zitternd schlang Viola ihre Arme um seinen Nacken und drückte sich so fest an ihn, dass sie ihm bestimmt wehtat. Doch das war ihr egal. Er war hier. Er war nicht im Meer verschwunden. Er – Mit einem bedrohlichen Fauchen löste sie sich von ihm und kam schleunigst auf ihre eigenen Beine, während sie noch einen Schritt zurücktaumelte und die Gestalten nicht aus den Augen ließ, die sie hinter Zin erblickt hatte. Hastig versteckte sie ihre Krallen hinter ihrem Rücken, doch sie ließ die Männer keine Sekunde lang aus den Augen. Ihre Nackenhaare sträubten sich. Ihr rasendes Herz wusste, was das bedeutete, doch ihr Verstand wollte es noch nicht begreifen. „Zin?“, flüsterte sie leise, zwischen zusammengebissenen Zähnen, so dass es hoffentlich nur er hören konnte. Was ging hier vor? Er fing sich einen Kratzer an der Schulter ein, als Viola sich so schnell von ihm losriss, dass er es nur dank seiner Instinkte mitbekam. Diese brauchte er allerdings nicht, um zu verstehen, was und aus welchem Grund Viola so ein Gebaren an den Tag legte. Ihre Augen flitzten zwischen den Anwesenden hin und her und sie zischte seinen Namen so hart und scharf, dass Zin noch flauer im Magen wurde. Langsam, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen, stand Zin auf. Sand klebte an seinen Beinen und er troff vor Wasser. Genauso wie die anderen drei Männer, die ihn alle um mindestens einen Kopf überragten. „Es ist alles in Ordnung. Das sind ...“ Wer ist sie? Was hast du bitte mit einem Menschen zu schaffen? „Sprich in der Sprache, die sie versteht!“ Zin war so schnell herumgewirbelt, dass der Sand zu seinen Füßen aufwirbelte. Er hatte Ban angeschrien und Zins Herz klopfte bis auf seine Zunge. Aber verdammt nochmal, Viola sah so aus, als würden ihr gleich die Beine unter dem Körper wegknicken! Da half es absolut nichts, wenn Ban sich aufführte, wie ein Meermonster, das sie fressen würde, wenn sie nur einen falschen Wimpernschlag tat. Es dauerte mehrere schwere Atemzüge, während denen die Brüder sich anstarrten. Graue in tief grüne Augen. „Wer ist sie?“ Am liebsten hätte Zin ausgeholt. Aber das hätte auch nichts gebracht. Er hatte es vor Jahren an Ban ausprobiert und es hatte ihm bloß Ärger von seinem Vater eingebracht. „Viola ... bitte verzeih.“ Er drehte sich zu ihr herum und blickte sie ehrlich entschuldigend an. „Sie werden dir nichts tun, keine Sorge. Das sind ... Sal, Oka und Ban.“ Er deutete mit Nicken an, wer welchen Namen trug. Erst danach ging er die zwei Schritte zu Viola hinüber und berührte sie sanft an der Schulter. „Sie sind meine Brüder.“ Viola zuckte noch einmal zusammen, als Zin so schnell herumwirbelte und seinen Bruder anblaffte. Die Art, wie er es machte, gefiel ihr allerdings. Nur milderte es nicht im Geringsten das Chaos in ihrem Inneren. Sie war total durcheinander und noch immer nicht fähig, ganz normal und ruhig zu atmen. Stattdessen versteifte sich ihre Haltung nur noch mehr, während ihr imaginärer Schwanz hin und her peitschte und die Wildkatze in ihr sich in eine Lauerstellung begab. Jederzeit bereit, sich bis aufs Blut zu verteidigen. „Wer ist sie?“, kam es schließlich von einem der Männer, der – so unglaublich es für Viola auch war – noch größer als Zin zu sein schien und auch sehr viel massiger. Zudem hörte sich der Tonfall, in dem er diese Frage stellte, kein bisschen nett oder höflich an. Am liebsten hätte sie den Kerl als Erwiderung einmal giftig angeknurrt. Zumal sie noch immer nicht die Situation verstand. Auch wenn sie natürlich nicht leugnen konnte, dass sie sehr wohl wusste, zu welcher Art die Männer gehörten. Als Zin sich wieder zu ihr drehte, schenkte sie ihm einen Augenblick lang ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Gemischte Gefühle wallten in ihr auf. Zum einen wollte sie sich einfach nur in Zins Arme werfen und sich an seine Brust kuscheln, während sie die Welt um sich herum ausblendete. Aber zum anderen wäre sie dann nicht die, die sie nun einmal war. Weshalb sie genau dort blieb, wo sie stand und ihre Deckung keine Sekunde außer Acht ließ. Viola vertraute Zin, aber sie vertraute ihm nicht blind. Als er schließlich an sie herantrat und sie berührte, zuckte sie erneut leicht zusammen, zwang sich dann jedoch dazu, ihre Krallen wieder einzufahren und stattdessen ihre Arme vor der Brust zu verschränken. Sie konnte nicht einfach Zins Hand nehmen, obwohl sie das gerne getan hätte. Dafür kam sie sich viel zu sehr auf verlorenem Posten zwischen den Anwesenden vor. Weder zum einen gehörend noch ganz zu einer eigenständigen Partei. „Deine Brüder?“, fragte sie noch einmal leise und ruhiger nach, obwohl die Anspannung ihr vermutlich im Gesicht zu lesen war, während ihre Gedanken erneut loszuwirbeln begannen. Wenn das seine Brüder waren, dann hatte man ihn gefunden. Wenn man ihn also gefunden hatte und Zin dazu in der Lage war, bereits zu tauchen und zu schwimmen, dann würden sie ihn mit sich nehmen. Wenn man ihn mit sich nehmen würde, würde Zin sie verlassen. Fakt war also, dass sie die drei Männer keine Spur ausstehen konnte. „Hi. Ich bin Viola“, stellte sie sich selbst vor und setzte ein erzwungenes Lächeln auf ihre Lippen, ohne sich allerdings von der Stelle zu rühren. Zin nickte geschlagen. „Ja.“ Seine Brüder. Drei davon. Und nur zwei waren so höflich, für Viola den Kopf zu senken, zu lächeln und ihre Begrüßung zu erwidern. Wieder versuchte Zin, seinen ältesten Bruder niederzustarren. Aber Ban rührte sich keinen Millimeter und starrte nur ungerührt zurück. So lange, bis es Sal zu dumm wurde. „Zin.“ Ein muskulöser Arm wurde um ihn geschlungen und ihm wurde fast die Luft aus den Lungen gedrückt, während Zin überrascht blinzelte. Auch er umarmte Sal, ließ die Freude zu, ein paar Mitglieder seiner Familie wieder zu sehen. Lebend und ... wohlauf? Als er sich löste und sofort von Oka fast erdrückt wurde, fielen ihm die Narben auf. An Oberarmen, Bäuchen und anderen Stellen. Ein Verband verlief über Bans Gesicht. Und Oka ... fehlte der kleine und ein Stück des rechten Ringfingers. „Geht es?“, wollte Sal mit einem Nicken auf Zins eigene Narben wissen. Man sah die Sorge in seinen Augen und auch ... unendlichen Schmerz. Sie waren ... nur zu dritt. „Ja. Viola hat sich gut um mich gekümmert.“ Mit einem Blick, der so warm war, wie die Sonne über ihnen sah er sie an und schenkte ihr eins dieser Lächeln, die nur für sie bestimmt waren. „Ohne sie ... hätte ich es nicht geschafft.“ „Ein Glück“, meinte Oka mit einem breiten Grinsen und trat sogar einen Schritt auf Viola zu. Wobei Zin nicht sicher war, ob das die richtige Taktik sein würde. Immerhin war Viola ein Raubtier und konnte ihre Krallen sehr gut dazu benutzen, einen Fremden auf Abstand zu halten. Eigentlich sollte ihr der Anblick, wie Zins Brüder ihn für sich einnahmen, stören und sie noch mehr reizen, doch irgendetwas in ihr, einen Teil, den sie gar nicht mehr kannte, genoss es, die Freude in den Berührungen der Brüder zu sehen. Darüber, dass sie sich wieder hatten. Darüber, dass wenigstens sie überlebt hatten. Violas Haltung wurde nach und nach etwas weicher, auch wenn sie Ban – den Eisberg, wie sie ihn vorerst nannte – nicht vollkommen vergaß. Trotzdem ließ sie der Familienzusammenführung ihren nötigen Freiraum und mischte sich nicht ein, sondern trat noch ein Stück zurück. Nicht vor Scheu oder Angst, sondern aus Respekt. Als Zin sie dann mit seinen Worten etwas in die Begrüßung miteinbezog, und zwar mit diesem ganz bestimmten Lächeln, konnte sie ihr gereiztes Gebaren nicht länger aufrecht halten. Stattdessen erwiderte sie sein Lächeln und schaffte es sogar, es dort zu behalten, als einer der Brüder direkt auf sie zutrat. Etwas unbehaglich zu Mute starrte sie zu dem riesenhaften Mann auf und grinste dann unverhohlen zurück. Besser keine Schwäche zeigen. „Meine Güte, du hast mir gar nicht erzählt, dass deine Brüder solche Riesen sind, Zin. Dabei komme ich mir schon neben dir wie ein Zwerg vor.“ Was nicht bedeuten sollte, dass der Zwerg sich nicht verteidigen konnte, wenn er wollte. Aber das sollte auch vorerst ihr eigenes kleines Geheimnis bleiben. Gott, er war so erleichtert, als Viola ihre verkrampfte Haltung aufgab und wieder etwas lockerer in die Runde sah. Auch der Scherz kam an und Oka grinste ein schiefes Lächeln, bevor er Viola die Hand hinhielt. „Entschuldige, dass wir so unangemeldet auf deiner Insel auftauchen.“ Zin musste schmunzeln. Oka wusste zwar nicht, dass es tatsächlich Violas Insel war, aber der Meermann hatte sofort ins Schwarze getroffen. Was hoffentlich ein gutes Zeichen zur Kommunikation zwischen ihnen allen war. Natürlich einmal von Ban abgesehen, der immer noch wie ein Felsblock in der Gegend herumstand und frostige Blicke in die Runde warf. Was Zin aber immer noch lieber war, als das, was Ban als Nächstes tat. Nämlich anfangen zu sprechen. „Hätten wir uns jetzt auch noch anmelden sollen, bevor wir kommen, um zu sehen, ob noch einer unserer Brüder in Stücke zerrissen irgendwo herumliegt?“ Der Hieb ging nicht gegen Viola. Bans grüne Augen waren direkt auf Zin gerichtet und erforschten kalt seine Reaktion auf das Gesagte. Zin wurde schwarz vor Augen. Er blinzelte heftig und wäre vor diesem Schlag einen Schritt zurück gestolpert, hätte sich sein Körper nicht so angefühlt, als wäre jede Möglichkeit zu empfinden, aus ihm gewichen. Wie meinst du das? Die Klicklaute prasselten aus seinem Mund und Zins Blick zerbrach fast an Bans steinerner Miene. Wie meinst du das?! Zin ... Sal griff ihm unter den Arm, als wollte er ihn stützen. Doch es war schon längst du spät. Zin fiel. Und niemand ... hätte diesen Fall bremsen können. Bans Worte vibrierten in Zins Kopf, in seiner Brust und trieben heiße Speere in sein Herz. Kel und Ang sind tot. Ang sofort, bei Kel hat es zwei Tage gedauert. Sämtliche Farbe wich aus Zins Gesicht. Er spürte, wie Sals Griff an seinem Oberarm sich verstärkte. Irgendwo im Augenwinkel sah er Oka, einen Schritt auf ihn zu machen. Tränen glitzerten in den Augen seines kleinen Bruders und er senkte den Kopf. Auch Zins Augen brannten. Genauso wie sein Hals und der Rest seines Körpers. Flüssiges Blei geriet in seine Lungen und er wollte bloß schreien. Den Schmerz hinaus brüllen, bis er verschwunden war. Aber sein Hals war wie zugeschnürt. Er konnte ... absolut gar nichts tun. Gerade wollte sie Okas Hand in ihre nehmen, als man sie mit Säure übergoss und sie mitten in der Bewegung erstarrte. „Hätten wir uns jetzt auch noch anmelden sollen, bevor wir kommen, um zu sehen, ob noch einer unserer Brüder in Stücke zerrissen irgendwo herumliegt?“ Sofort schoss ihr Blick zu Ban hinüber, doch der starrte nur Zin an und das auf eine Art und Weise, wie es Viola noch mehr frösteln ließ. Das sollte Zins Bruder sein? Sie musste gar nicht zu ihm hinüber sehen, um den Gefühlsumbruch mitzubekommen. Es breitete sich schließlich wie dicker Rauch in der Luft aus und ihre Nase kam gar nicht daran vorbei, die Emotionen herauszufiltern. Zins Klicklaute unterstrichen das Ganze nur noch. Natürlich verstand Viola nicht. Auch nicht das, was Ban darauf erwiderte, aber es schien Zin endgültig k.o. zu schlagen. Sämtliche Farbe entwich seinem Gesicht und auch seine Augen schien es hart getroffen zu haben. Alles an dem Zin, den sie kannte, wurde mit ein paar einfachen Klicklauten weggewischt. Sie erkannte ihn kaum wieder, aber sehr wohl die Trauer, die daran schuld war. Also hatte es offenbar auch Tote in seiner engsten Familie gegeben. Zumindest konnte Viola sich die Intensität der Gefühle nur so vorstellen. Da die beiden anderen Brüder sich um Zin kümmerten, ihn aufrecht hielten, da er wohl sonst niedergesunken wäre, konnte Viola nicht zu ihm. Obwohl sie das starke Bedürfnis danach hatte. Sie wollte ihn trösten. Ihn halten und für ihn da sein. Aber das alles schien sie nichts anzugehen. Die drei so riesenhaften Gestalten wurden gebeugt von etwas, das sie nicht betraf. Nur einer war nicht dort, wo er eigentlich hingehören sollte. Viola wusste nicht genau, was sie dazu trieb. Vielleicht irgendein uralter Instinkt diejenigen zu beschützen, die ihr am Herzen lagen. Auf jeden Fall fand sie sich einen Augenblick später zwischen der kleinen Gruppe und Ban wieder. Breitbeinig und in einer selbstsicheren Position fixierte sie den Eisberg, hätte ihm am liebsten auch noch einen weiteren Verband im Gesicht verpasst, für das, was er offenbar so schnöde ausgedrückt hatte, was normalerweise ein gewisses Maß an Feinfühligkeit verlangte. Selbst unter ihren Verhältnissen. Doch sie tat nichts dergleichen, sondern sah ihn nur finster an und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, dass nicht jeder auf Trauer gleich reagierte. Dennoch gab es diesem Kerl nicht das Recht so mit seinem Bruder umzuspringen. „Bist du jetzt zufrieden?“, fragte sie Ban leise, fast trügerisch ruhig. „Oder zerfrisst die Trauer dir so sehr das Gehirn, dass du deinem eigenen Fleisch und Blut auch noch Schmerzen zufügen musst, wo er doch schon genug gelitten hat, nur damit es dir selbst besser geht?“ „Weder noch", war Bans kurze Antwort, während er Viola undurchdringlich ins Gesicht sah. Eine seiner breiten Augenbrauen hob sich und er musterte die kleine, schmale Menschenfrau, die Zin scheinbar so wichtig geworden war, dass er sich wie ein Unbeteiligter verhielt. Wie sonst sollte man sein Verhalten bitte werten? „Aber wir haben nicht die Zeit, uns Trauer zu erlauben. Sal, Oka und ich sind seit Tagen unterwegs, um nach Überlebenden zu suchen. Je länger wir warten, desto unwahrscheinlicher ist es, dass wir noch jemanden finden.“ Er warf einen Blick zu Zin hinüber, dem Gefühle in den Augen standen. Mehr, als Ban an seinem kleinen Bruder bis jetzt jemals gesehen hatte. So etwas, wie Reue kam in ihm hoch. Das konnte doch nicht sein ... Zin war ... derjenige, der das verkraften konnte. „Es war ... reines Glück, dass wir ihn noch gefunden haben.“ Ein Zögern. Etwas, das Ban normalerweise nicht passierte. Und schon gar nicht, gegenüber einer Menschenfrau. Viola stieß einen leisen entrüsteten Laut aus und verschränkte erneut ihre Hände vor der Brust, um sich selbst daran zu hindern, Ban eine zu scheuern. „Aber du hast offenbar noch die Zeit, deinem Bruder noch ein Ding zu verpassen, als wäre das, was er selbst durchgestanden hat noch nicht genug. Und mal ehrlich, nach so vielen Tagen ist es wirklich schon sehr unwahrscheinlich, dass ihr noch jemanden findet. Wenn ihr noch jemanden findet, dann wird derjenige es sicher noch ein paar Minuten länger aushalten, weil er vermutlich ebenfalls Hilfe gefunden hat. Was die anderen angeht ...“ Viola senkte traurig den Blick und auch der leicht aggressive Tonfall verlor sich ganz in ihrer leisen Stimme. „Die Natur ist schnell, was das Aufräumen angeht.“ Sie sah Ban wieder fest in die Augen und auch ihre Stimme wurde wieder stärker. „Zu schnell, als dass ihr nach etlichen Tagen noch etwas finden würdet. Ist es daher zuviel verlangt, die Trauer für einen Moment zur Seite zu schieben und sich einfach nur zu freuen, dass Zin noch lebt? Oder muss ich dir erst ins kleinste Detail erklären, was Glück wirklich bedeutet?“ Nun stemmte sie angriffslustig ihre Hände in die Hüfte. „Weil es nämlich nur reiner Zufall war, dass ihr ihn gefunden habt. Glück hatte er, als er an meinen Strand gespült wurde. Glück hatte er, dass ich gerade so in der Lage war, die Fleischmasse von Verletzung wieder in einen Rücken zu verwandeln. Glück hatte er, als er in den ersten Tagen nicht durch eine Infektion gestorben ist und er hatte verdammt noch mal Glück, dass offenbar alles wieder endgültig heilen wird, als er das bei seinem ersten Schwimm- und Tauchversuch heute herausfinden wollte. Rede du also nicht von Glück, wenn du es doch nur mit Füßen trittst. Zin wäre ... er wäre auch von sich aus so bald wie möglich wieder zu euch zurückgekehrt.“ Und das war leider eine Tatsache, der sie sich nun nicht länger entziehen konnte. Nicht morgen, nicht übermorgen, nein, schon heute. Sie wusste es einfach und das brachte sie fast zum Heulen, nur würde sie diese Schwäche keinem der Männer zeigen. Bans Augen hatten sich während Violas Auftritt zu schmalen Schlitzen verengt. Das eine Auge – oder vielmehr die leere Höhle, die davon übrig geblieben war – konnte die Frau zwar nicht sehen, aber Ban war sich sicher, dass sie seinen Argwohn trotzdem nicht vollkommen ignorieren konnte. Wobei er dieser kleinen Menschenfrau schon jetzt Einiges in diese Richtung zutraute. Sie schien ein richtiges Temperamentbündel zu sein – was ihn nicht wunderte, wenn man Zins sonstigen Geschmack beim anderen Geschlecht beachtete. Aber das tat jetzt nichts zur Sache. Ob ihr nun egal war, was die vielen Toten und Zins Überleben für den Schwarm bedeutete, war nebensächlich. Sie war keine von Ihnen. Eigentlich ... genau das Gegenteil. „Wenn du auf Dankbarkeit hinaus willst –“ Nein, das will sie nicht. Zin hatte sich von Sals Griff losgemacht und war neben Viola getreten, um sie vor seinem Bruder zu beschützen. Oder zumindest vor dessen unsäglichem Talent, immer genau das Falsche zu sagen. Nachdem er Ban mit einem schon fast aggressiven Klicken unterbrochen hatte, wechselte Zin jetzt wieder in die Sprache, die auch die Frau in ihrer Mitte verstehen konnte. „Viola hat Dankbarkeit verdient. Dafür, dass sie mich gerettet und gepflegt hat. Ohne ihre Hilfe wäre ich gestorben. Und das ist Fakt. Aber sie ist nicht eine von denen, die von dir etwas für ihre Hilfe verlangt.“ Mit einem großen Schritt stand Zin Ban direkt gegenüber und sah zu ihm auf. Trotzdem kam er sich gerade um keinen Zentimeter kleiner vor, als sein großer Bruder. „Sie will von dir nur mit dem Respekt und Anstand behandelt werden, den sie verdient. Und du ...“ Er zeigte mit dem Finger auf Bans breite Brust. „... wirst dich einmal zu benehmen wissen. Immerhin können wir alle froh sein, dass Viola uns nicht einfach mit einem Tritt in den Hintern von ihrer Insel zurück ins Meer jagt.“ Ban gab ein amüsiertes Schnauben von sich. Ach ... so war das. Worauf sie eigentlich hinaus wollte, wusste Viola nicht genau. Erst recht nicht, als Zins plötzliche Anwesenheit neben ihr, sie vollkommen ablenkte. Allerdings war für sie zumindest eines klar. Dankbarkeit war es nicht gewesen, was sie dazu angetrieben hatte, seinen großen Bruder anzupöbeln. Als Zin vortrat, hätte sie ihn am liebsten in die Arme geschlossen und vor der ganzen Welt beschützt. Niemand sollte so viel Leid durchmachen müssen, doch da war er auch schon wieder. Der alte Zin. Oder zumindest Aspekte von ihm, die ihr vertraut waren. Also riss sie sich zusammen. Was sie auch immer mit ihren Worten erreichen wollte, irgendwie schien es ihr gelungen zu sein. Dennoch wollte sie ihn berühren. Ihn festhalten, damit er nicht einfach ohne sie ging. Violas Magen zog sich weiter zusammen, während sie sich schon einmal geistig auf den Verlust einzustellen versuchte, nur dass man sich auf so etwas nicht einfach vorbereiten konnte. Verdammt noch mal, sie hatten doch erst seit so kurzer Zeit enger miteinander ... Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Das tat nichts zur Sache. Sie war hier nicht wichtig. Aber Scheiße, es tat trotzdem weh. „Bevor ich euch von meiner Insel befördere, wäre ich durchaus bereit, euch einen Augenblick der Ruhe und Sicherheit anzubieten. Du hast selbst gesagt, dass ihr schon seit Tagen unterwegs seid. Wollt ihr euch nicht für einen Moment ausruhen? Ich hab auch ... ähm ... Kekse?“ Viola lächelte einladend. Zin rückte näher an Viola heran, legte seine Hand flach auf ihr Schulterblatt, ließ Ban dabei aber keine Sekunde aus den Augen. Viel lieber hätte er ihn mit Nichtbeachtung gestraft. Aber um ehrlich zu sein, fürchtete er ein wenig um Viola. Zwar würde Ban sie nicht angreifen – das sollte er nur wagen – aber verbal konnte da schon noch mehr kommen. Und Viola war nun einmal niemand, der sich einfach zurückzog, wenn sie der Meinung war, dass sie auf ihrem Standpunkt beharren musste. Was Zin zwar gefiel, aber in so mancher Situation bloß zu noch mehr Spannungen führen konnte. „Das ist ein großzügiges Angebot. Ich denke ...“ Jetzt sah sich Zin nach Oka und Sal um, die extra nicht direkt hinter Viola standen, sondern ein Stück zu einer Seite ausgewichen waren, damit sie die beiden sehen konnte. Endlich jemand, der Anstand zeigte. Zin hätte am liebsten erleichtert geseufzt. „Ich denke, ihr solltet es annehmen.“ Sal trat noch ein Stück vor. Seine getupfte Haut, die immer ein bisschen hektisch wirkte, veränderte sich leicht im Sonnenlicht. Aus seinen dunklen, kurzen Locken fielen Wasserperlen, als er energisch nickte und Viola ein Lächeln schenkte. „Das ist wirklich sehr nett. Wir sind ziemlich müde und würden sehr gern ein bisschen ausruhen. Wenn dir das wirklich recht ist.“ Violas Lächeln veränderte sich unmerklich. Es wurde echt, als sie Sal ansah. „Es wäre mir ein Vergnügen.“ Alles, nur um Zin noch länger in ihrer Nähe behalten zu können. Schon jetzt schien die Berührung seiner kühlen Hand heftiger auf ihrer Haut zu prickeln als ein Glas Champagner. Gerade weil sie sich dieser einen Geste so stark bewusst war. Viola warf noch einen letzten Blick auf Ban, bei dem sie sich gar nicht so sicher war, ob er der Einladung folgen würde, doch dann nahm sie Zins Hand von der Schulter, verschlang ihre Finger mit den seinen – so gut das eben mit Schwimmhäuten ging – und zog ihn mit sich zum Haus. Ihr Herz raste wie wild und doch so schwer, als hätte man ihm Bleigewichte angehängt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)