Schwarzrot - Dunkelheit kann man nicht färben von ginakai ================================================================================ Kapitel 17: Erwachen -------------------- "Shuichi…" Als Akai den Engel sah, lächelte er. Nie hätte er geglaubt, einen Engel in Gins Gestalt zu sehen. Aber vielleicht nahmen die Todesengel auch einfach nur die Gestalt der Person an, die dem Sterbenden am wichtigsten war. "G...i...n" Aus irgendeinem Grund fiel ihm das Sprechen schwer. Und auch sein Auge konnte er kaum noch offen halten. Aber er wollte diesen Engel noch länger ansehen. Das Licht hinter ihm betonte die Silber-weißen Haarsträhnen und ließen sie so unglaublich schön strahlen. Akai wollte danach greifen. Aber sein Arm bewegte sich nicht. Er war so müde… Die Lippen des Gin-Engels bewegten sich. Doch er konnte ihn nicht hören. Angestrengt konzentrierte sich Akai auf die Lippen und schließlich verstand er doch, was ihm der Engel sagen wollte. "...alles...wird gut…" Akai glaubte ihm. Das wollte er ihm auch sagen, doch seine Lippen gehorchten ihm nicht mehr. Ob Engel Gedanken lesen konnten? Fast musste der Agent bei dieser Frage lachen. Die hatte er sich noch nie gestellt. Er war ja auch nicht sonderlich gläubig… Trotz aller Bemühungen gelang es ihm nicht länger, die Augen offen zu halten. Etwas später - Akai wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war - spürte er, dass er von dem Engel getragen wurde. Es gelang ihm nur für einen kurzen Moment ein Auge zu öffnen, doch die silbernen Strähnen, die er dabei bemerkte, bestätigten, dass es der gleiche Engel sein musste. Es sei denn, alle Engel hatten silbernes Haar... der Gedanke gefiel ihm irgendwie. Denn Gin war ein Engel. Zumindest für ihn. Gin war sein persönlicher Engel… Akais Bewusstsein schwankte zwischen müder Benommenheit und völliger Leere. Irgendwo am Rande bekam er mit, wie der Engel ihn durch einen oder mehrere Gänge trug. Er konnte die Schritte des Engels hören und spürte das Schwanken der Schritte. Warum flog er nicht? Waren die Gänge vielleicht zu eng? Oder konnte er nicht fliegen? Er spürte, wie der Engel ihn sanft irgendwo gegenlehnte... dann entfernte er sich und Akai fing an in Panik zu geraten. Lass mich nicht allein! Schrie er ihm gedanklich zu, denn sein Körper war wie betäubt. Nicht ein einziger Muskel gehorchte seinem Befehl. Zum Glück schien der Engel tatsächlich Gedanken lesen zu können, denn kurz darauf kam er zurück. Als er erneut hochgehoben wurde, erkannte Akai den vertrauten Geruch und ließ sich beruhigt von der Wärme des anderen zurück in die Dunkelheit gleiten. Dieses Mal schien er länger zu schlafen. Denn als Akai wieder etwas von seiner Umgebung registrieren konnte, lag er auf dem Bauch. Die Unterlage war warm und weich und er fühlte sich geborgen. Wo...? Nur mit viel Mühe gelang es ihm, ein Auge so weit zu öffnen, dass er etwas sehen konnte. Dieser Raum sah aus wie ein Hotel. Recht ungewöhnlich dachte der Agent, doch als er weiter darüber nachdachte, war es vielleicht doch nicht so ungewöhnlich. Er befand sich wohl noch auf der Durchreise. Der Engel saß auch noch neben ihm. Als würde der Engel seine Unsicherheit spüren, umfasste er Akais Hand und drückte sie. Es gab Akai Sicherheit und erneut beruhigt, und überzeugt, nicht allein zu sein, erlaubte er der Müdigkeit wieder, sein Auge zu schließen. Doch gerade als sich Akai wieder der völliger Dunkelheit ergeben wollte, verschwand die Hand. Erneut stieg Panik in dem Agenten auf. Wo gehst du hin?, schrie er dem Engel gedanklich entgegen. "Alles wird gut..." Während diese Worte den Agenten wieder beruhigten, verwirrten ihn die nächsten. "Ich lasse nicht zu, dass du stirbst." Heißt das, ich bin noch nicht tot?, wunderte sich Akai. Dann ist das hier wirklich eine Zwischenstation? Bringst du mich wieder zurück? Doch auf keine von Akais Fragen erfolgte eine Antwort. "Lass mich nicht allein..." War das der Engel der zu ihm sprach oder sein eigener Gedanke? Akai war sich nicht sicher. Alles verschwamm im Nebel der Bewusstlosigkeit, während sich die Lippen des Engels auf seine eigenen drückten. "...Shu?", hörte Akai eine besorgte Frauenstimme sagen. Er runzelte unwillig die Stirn. Jodies Stimme war nicht gerade die erste, die er beim aufwachen hören wollte... Zwar mochte es eine Zeit gegeben haben, wo das anders war, aber die war schon lange vorbei. "Der Patient Shuichi Akai hat die Operation gut überstanden. Abgesehen von den zuvor erwähnten Verletzungen und den daraus resultierenden, notwendigen Eingriffen, war sein gesamter Körper stark dehydriert.", antwortete eine männliche Stimme, die er nicht kannte. "Daher haben wir ihn auch jetzt noch an den Tropf angeschlossen. Zusätzlich bekommt er darüber auch wichtige Nährstoffe und Mineralien zugeführt, die er jetzt dringend benötigt. Er braucht jetzt viel Ruhe und Zeit, damit er sich wieder erholen kann." "Also wird er wieder gesund?!" "Nicht wenn ich dein Geheule noch länger mit anhören muss...", dachte der Agent frustriert und versuchte das Schluchzen auszublenden... Was sich als unmöglich herausstellte. Mittlerweile war er dafür viel zu wach. "Wenn er genug Ruhe bekommt.", betonte der Mann, welcher offensichtlich ein Arzt zu sein schien. Und für die folgenden Worte wäre ihm Akai am Liebsten um den Hals gefallen: "Ich verstehe, dass dies für Sie sehr bewegend und aufwühlend ist, besonders unter den gegebenen Umständen. Aber ich empfehle Ihnen - auch zum Wohl meines Patienten - sich erstmal draußen etwas zu beruhigen." Nach einer kurzen Stille, in der nur Jodies Schluchzen und Schniefen zu hören war, stimmte sie dem Arzt glücklicher weise zu. "Ja. Ja, ich glaube Sie haben Recht. Bitte entschuldigen Sie mich." Akai nahm einen tiefen, erleichterten Atemzug, als er hörte, wie sich die Tür hinter seiner Kollegin schloss. Er genoss die Ruhe und wollte gerade anfangen, sich die letzten Ereignisse in Erinnerung zu rufen, die ihn scheinbar in ein Krankenhaus gebracht hatten, als der Arzt wieder anfing zu reden: "Ich empfehle Ihnen, sich bereits nach einem Psychologen umzusehen. Auch wenn es den Patienten unter solchen Umständen oft schwer fällt darüber zu reden, so ist das doch die beste Möglichkeit, um alles zu verarbeiten. Vielleicht gibt es auch jemanden in seiner Umgebung, dem oder der er sich anvertrauen kann... Aber gerade nahestehenden Personen wie Familienmitgliedern gegenüber, fällt es Betroffenen oft schwer sich auszusprechen. Da können außenstehende, neutrale Personen bessere Unterstützung bieten. Oder Geliebte... vorausgesetzt, die sind stark genug dafür. Was viel seltener der Fall ist, als diese zugeben wollen." "Ja natürlich. Vielen Dank für alles.", antwortete zu Akais Verwunderung James Black dem Arzt. „Ich muss dann auch weiter, Sie kommen allein zurecht?“, fragte dieser dann und war anscheinend kurz davor das Zimmer verlassen. „Ich werde auch nicht mehr lange bleiben, danke.“, nach diesen Worten herrschte einen Moment Stille, bevor jemand den Raum verließ und die Tür schloss. Ein Seufzen war von James zu vernehmen. Da Akai nun allein mit seinem Vorgesetzten zu sein schien, erlaubte er es sich, sein Auge zu öffnen. Ihm wurde dabei bewusst, dass um sein rechtes Auge wieder ein leichter Verband gewickelt war. Akai versuchte sich aufzusetzen. Dies war jedoch schwerer als gedacht, wie er feststellen musste. Als er sich auf seine Arme abstützen wollte, fing sein ganzer Körper an zu schmerzen. Ein schmerzerfülltes Stöhnen entwich ihm und er sank zurück auf das Bett. Sein ganzer Körper schien einbandagiert zu sein. Jetzt erinnerte er sich auch wieder an die letzten Ereignisse. Doch bevor Akai vollständig von den Erinnerungen und den damit verbundenen Gefühlen übermannt wurde, hörte er, wie er von James angesprochen wurde: „Sie sollten sich nicht übernehmen, Akai.“, riet er ihm. Akai drehte seinen Kopf so, dass er den älteren Mann sehen konnte, welcher gerade dabei war, sich einen Stuhl zu nehmen. „Da haben Sie sich ja mal wieder in ordentliche Schwierigkeiten gebracht.“, sprach er währenddessen und setzte sich dann. Akai war ein klein wenig erleichtert, dass die Situation nicht ganz die Gleiche wie bei seinem ersten Krankenhausaufenthalt war. Keine überfürsorgliche Jodie, die ihm jetzt Vorwürfe machte. Doch der Rest schien relativ ähnlich zu sein, darunter auch etwas ganz Entscheidendes: Er wusste wieder nicht, wo Gin sich jetzt aufhielt und ob mit ihm alles in Ordnung war. „Was ist mit Gin?“, rutschte es dem Schwarzhaarigen daher einfach heraus, obwohl er das gar nicht so direkt fragen wollte. Doch nun konnte er die Frage nicht mehr zurücknehmen. „Was ihn betrifft, muss ich mich leider entschuldigen. Wir konnten ihn nicht schnappen.“, antwortete James bedauernd, der zu Akais Erleichterung seine Frage falsch aufgenommen hatte. „Wie habt ihr denn erfahren, dass Gin beteiligt war?“, erkundigte sich Akai überrascht. „Wir haben es erst erfahren, als wir Sie gefunden haben. Wir konnten Gins blutbefleckten Mantel und seinen Hut in dem Hotelzimmer sicherstellen. Außerdem war er auf einigen der Überwachungskameras des Hotels zu sehen.“, erklärte James daraufhin. “Ein Hotel?“, ging es Akai durch den Kopf. Doch bevor er dem aufkommenden Gedanken nachgehen konnte, sprach James schon weiter: „Es tut mir aufrichtig leid, wir haben erst dank der SMS von der Frau, die Sie wohl beschützt haben, von ihrem Aufenthaltsort erfahren.“ Akai starrte seinen Vorgesetzten erstaunt an. “Eine Frau?“ Diesem entging der Gesichtsausdruck des Schwarzhaarigen nicht, deshalb sprach er schnell weiter: „Verzeihen Sie“, begann er, „ich verstehe, dass das noch zu viel für Sie ist und Sie Zeit brauchen, das Alles zu verarbeiten. Daher sollten wir das Gespräch besser auf Morgen verschieben. Aber ich bitte Sie, sich bis Morgen zu überlegen, was Sie uns über diese Frau sagen können. Denn sie wird sicherlich noch von der Organisation verfolgt. Wir haben sie bei Ihnen nicht angetroffen, und je eher wir sie finden, desto besser ist es für alle Beteiligten.“ Nach diesen Worten war er bereits dabei, sich wieder von dem Stuhl zu erheben. Akai hingegen war jetzt noch verwirrter als vorher. „A-Aber-“, wollte er eine Frage beginnen, wurde jedoch unterbrochen. „Schon gut.“, beruhigte sein Vorgesetzter ihn. „Ruhen Sie sich aus.“, wiederholte er die Worte des Arztes. Als James ihm den Rücken zukehrte, wollte Akai sich aus Reflex erneut aufsetzen und noch etwas sagen, doch durch den wiederholten Schmerz, der seinen Körper durchfuhr, blieben ihm die Worte im Hals stecken. Gedanklich fluchend versuchte er sich wieder zusammenzureißen und James noch etwas hinterher zu rufen, doch ehe er sich versah, hatte dieser bereits das Zimmer verlassen und er war wieder allein. “Wen zur Hölle meinte er mit dieser Frau? Ich muss mir morgen unbedingt die SMS zeigen lassen, vielleicht kann ich so feststellen, wer die geschrieben haben könnte. Die einzige Frau, die mir spontan einfällt, ist Merlot...“ Akai belächelte seinen Gedanken dann jedoch. Das war völlig absurd. Immerhin befand die sich noch unter dem Schutz des FBIs. Im nächsten Moment kehrten jedoch seine Gedanken zu seinem Geliebten zurück. Er ließ sich die Aussage zu diesem erneut durch den Kopf gehen: „Wir konnten Gins blutbefleckten Mantel und seinen Hut in dem Hotelzimmer sicherstellen. Außerdem war er auf einigen der Überwachungskameras des Hotels zu sehen.“ “Diese Unvorsichtigkeit passt nicht zu ihm... Was war da los mit dir?“, fragte er seinen Liebhaber gedanklich. Er wüsste die Antwort zu gern. Zumal er jetzt wusste, welche Bedeutung gerade der Hut für Gin hatte. Akai versuchte sich vor seinem inneren Auge ein Hotelzimmer vorzustellen, wobei ihm automatisch das Hotelzimmer aus seinem Traum in den Sinn kam. Da hatte Gin so verzweifelt gewirkt und dessen Engelserscheinung hatte ihn geküsst. Dieser Traum war ihm so real erschienen, doch die Handlungen widersprachen Gins Wesen. Darum war er der Überzeugung gewesen, von einem Engel zu träumen. Doch vielleicht war an diesem Traum mehr wahr, als er gedacht hatte. So vertieft wie Akai in seine Gedanken und Überlegungen war, bemerkte er nicht, wie es im Zimmer immer dunkler wurde. Erst als das Licht angeschaltet wurde, kehrte er in die Realität zurück. Jemand hatte sein Zimmer betreten. „Guten Abend. Ich bin nur hier, um Ihren Tropf zu wechseln. Er enthält auch ein stärkeres Schmerzmittel, damit Sie die Nacht besser schlafen können.“, begann eine weibliche Stimme außerhalb von Akais Sichtfeld. An der Wortwahl erkannte er, dass es sich um eine Krankenschwester handelte. Kurz darauf trat sie in sein Sichtfeld und er konnte beobachten, wie sie den Beutel des Tropfes wechselte. Danach verabschiedete sie sich mit einem kurzen „Gute Nacht“ und verließ das Zimmer wieder. Kaum war Akai wieder allein, begannen seine Gedanken erneut zu kreisen: “Wenn mich meine Kollegen in diesem Zimmer gefunden haben, glauben sie doch jetzt wohl nicht, dass Gin mich...“ Er beendete seinen Gedanken bewusst nicht. Er wollte sich einfach nicht vorstellen, wie es wäre, wenn dies wirklich stimmen würde. Es schon nur ansatzweise es in Betracht zu ziehen, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Doch der Schock dieses Gedankens ließ ihn nicht in Ruhe. Wenn seine Kollegen wirklich davon überzeugt waren und die Wahrscheinlichkeit dafür war hoch, musste er einen Weg finden, dieses Missverständnis aufzuklären. Sicher, ohne Gin wäre er nie in diese Lage gekommen, doch ohne Gin hätte er wahrscheinlich auch nie gelernt, was es bedeutet, jemanden wirklich zu lieben und zu leben. “Wobei das leben noch etwas ausbaufähig ist. Ich würde gern auch außerhalb eines Zimmers etwas mit Gin unternehmen...“ Die Wahrscheinlichkeit, dass dies möglich war, war jedoch verschwindend gering. Wenn das FBI den Mörder zu fassen bekam, standen diesem schlimme Zeiten bevor. Was wiederum bedeutete, dass sich Gin nicht mehr vor Akai sehen lassen durfte. Bei diesem Gedanken durchfuhr Akai ein Stich im Herzen. Stärker als die Schmerzen aller Wunden seines Körpers. Vielleicht könnte es ihm irgendwie gelingen, seine Kollegen davon zu überzeugen, dass er Gin brauchte und in seiner Nähe bleiben musste. Da fiel ihm der Satz des Arztes von vorhin wieder ein: “Der Arzt hat doch auch irgendwas davon gesagt, dass Geliebte bei der Verarbeitung von psychischen Problemen hilfreich sind. Vielleicht…" Akai grübelte noch bis zum Einschlafen über seine Idee nach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)