Schwarzrot - Dunkelheit kann man nicht färben von ginakai ================================================================================ Kapitel 11: Der Anruf --------------------- Inzwischen hatte Gin die alt vertraute Wohnung verlassen. Mitgenommen hatte er nur das Nötigste, unter anderem auch Shuichis Handy, was nach wie vor ausgeschaltet war. Er hatte sich jedoch gewundert, dass dieses überhaupt noch dort gewesen war und nicht von der Organisation mitgenommen wurde. „Wahrscheinlich blieb ihnen nicht mehr genug Zeit, um noch nach solchen Sachen zu suchen...“, ging es Gin durch den Kopf. Er hob seinen Kopf und starrte in den dunklen Himmel. Die Sonne war schon vor einer Weile untergegangen. Er seufzte und ging weiter geradeaus. Machtlosigkeit war wirklich etwas Unerträgliches. Zwar war er es gewöhnt, oft auf sich allein gestellt zu sein, doch ohne die Mittel der Organisation war es schon ein hilfloses Gefühl. Das Einzige, was der Silberhaarige tun konnte, waren ihm bekannte Versammlungsorte oder andere Gegenden, wo die Organisation ihren Einfluss hatte, abzusuchen. Oder der Keller seines Elternhauses könnte er vielleicht auch noch in Betracht ziehen. Jedoch wollte er sich, aus Übervorsichtigkeit, diesen Orten nicht direkt nähern. Zumal seine innere Stimme ihm sagte, dass er dort wahrscheinlich sowieso nicht fündig werden würde, wenn es sich nicht sogar um Fallen handeln könnte. “Außerdem scheint es so, als hätten die schon andere Pläne...“ Er zog das fremde Smartphone aus seiner Manteltasche. Seitdem das Foto von seinem Geliebten per SMS geschickt wurde, hatte sich bisher nichts mehr getan. Es war ihm auch nicht möglich die unterdrückte Nummer anzurufen oder selbst Nachrichten zu verschicken. Wahrscheinlich hatte das Teil kein Guthaben mehr oder wurde anderweitig manipuliert, und konnte daher nur selbst Anrufe und Nachrichten empfangen. Gin war also wohl oder übel gezwungen zu warten, bis sich erneut jemand melden würde. Obwohl es ihm andererseits schon davor graute. Und den Hintergedanken, dass verstecken durch eine Ortungsfunktion dieses Handys unmöglich war, versuchte er dabei erst recht so gut wie möglich zu verdrängen. Im nächsten Moment wurde Gin plötzlich aus seinen Gedanken gerissen, als er eine junge Frau anrempelte. Er ignorierte ihren erschrockenen Gesichtsausdruck und tat es mit einem tonlosen „Sorry“ ab. Dann drehte er sich weg und fasste sich an die Stirn. “Ich sollte besser auf meine Umgebung achten...“, riet er sich gedanklich, obwohl er wusste, dass dies gerade undenkbar war. Seine Gedanken waren nur bei Shuichi und seine Sorgen um diesen brachten ihn fast um. “Ich will sie alle töten...“ Gins Griff um das fremde Handy in seiner Hand wurde fester, “jeden, der dir etwas antut.“, sprach er gedanklich zu seinem Liebhaber. Seine Miene verfinsterte sich. Ein Glück, dass ihm gerade niemand über den Weg lief. Vor ihm befand sich jetzt eine leere, schon längst heruntergekommene Bushaltestelle. Aber immerhin war dort noch eine kleine Holzbank vorhanden. Ohne weiter drüber nachzudenken, ließ der Silberhaarige sich darauf nieder. Da hatte er auch endlich mal die Gelegenheit, seine Umgebung genauer wahrzunehmen. Die Straße wirkte ziemlich abgelegen. Es fuhren nur sehr wenig Autos vorbei und Menschen sah er gerade keine weiter. Auf einmal begann das Smartphone in seiner Hand zu vibrieren. Gins Augen weiteten sich vor Schreck. Dann blickte er auf das schwarze Display, über welchem die kleine Lampe für Benachrichtigungen in der Ecke wieder leuchtete. Nachdem der Silberhaarige einmal tief durchgeatmet hatte und glaubte, sich auf das kommende eingestellt zu haben, drückte er auf die Home-Taste, woraufhin das Display aufleuchtete. Eine neue SMS, wie vermutet. Gin musste leider schmerzhaft feststellen, dass es sich um ein weiteres Bild handelte. Diesmal ohne Kommentar darüber. Aber das war auch nicht nötig, denn das Foto sprach eindeutig schon für sich. [Bild] Shuichis blutverschmiertes Gesicht auf dem Foto jagte den Silberhaarigen einen Schauer über den Rücken. Sein Herz raste nun förmlich. Seine Hand begann zu zittern. Er wollte wegsehen, das Handy ausschalten und es in die nächste Ecke feuern. Er wünschte sich, einfach den Tag nochmal neu starten zu können und das alles würde nicht passieren. Doch es gab keinen Ausweg. Er war nicht mal in der Lage, seine Augen abzuwenden. Wie gelähmt starrte er auf das Gesicht seines Liebhabers, während sich jede einzelne Schramme darauf und jede zugefügte Wunde in sein Gehirn eingravierten. So überkam ihm nach kurzer Zeit der Übel. Eigentlich machte es Gin sonst nichts aus, Menschen leiden zu sehen – immerhin war er selbst mit vielen Foltermethoden vertraut und würde sich niemals davor scheuen, diese auch einzusetzen. Auch der Anblick von den ekelerregendsten Verletzungen war etwas, was er in den Diensten der Organisation täglich zu sehen bekommen hatte. Damals war es ihm egal, wie viel Blut vergossen wurde. Gin glaubte wirklich, ihm würde nichts mehr erschrecken. Doch den Mann, den er über alles liebte, so zugerichtet zu sehen, war nicht im Geringsten mit all den anderen Dingen vergleichbar. Es brachte ihn beinahe um den Verstand. “Beruhig dich.“, befahl der Silberhaarige sich streng in Gedanken. Das wiederholte er einige Male. So lange, bis sich das Handydisplay von allein wieder auf Standby schaltete und seine Hand aufhörte zu zittern. Gin versuchte dann mühevoll sich wieder zu sammeln. Gerade als er dachte, sich vom Schock erholt zu haben und es nun einigermaßen verkraften zu können, durchfuhr ihm der nächste Schreck. Das Handy in seiner Hand wurde angerufen, selbstverständlich von der ihm unbekannten Nummer. Gin war klar, dass es besser für ihn wäre, einfach nicht ranzugehen. Zumindest würde er es so machen, wenn er seinen inneren Egoisten nicht schon durch Shuichi losgeworden wäre. Er konnte ihm zu Liebe einfach nicht anders. Wenn auch zögernd, er nahm den Anruf entgegen. „Hallo?“, begann er mit gefasster Stimmte. Dabei schwang weder was von der Angst, welche er um Shuichi hatte, noch von der Unsicherheit, die er bis eben noch empfand, mit. „Wie schön, dass du ran gegangen bist, Gin.“, ertönte eine ruhige, tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung erfreut. Gin versuchte die Stimme zu erkennen. Sie einem Gesicht zuzuordnen. Jedoch hatte er mit Gesichter merken schon immer seine Probleme gehabt. Ihm fiel niemand ein. „Wer bist du?“, fragte er also ohne Umschweife direkt. Er hatte sich längst wieder hinter der Fassade des kaltblütigen Mörders versteckt, um sich auch wirklich nichts anmerken zu lassen. Besonders jetzt war es entscheidend, keinerlei Schwäche zu zeigen. „Wir kennen uns nur flüchtig. Und ich denke nicht, dass es eine Rolle spielt, wer ich bin.“, antwortete die unbekannte Stimme. „Das sehe ich anders.“, schoss Gin gleich im ernsten Ton zurück. Ein leichtes Lachen war zu hören. „So? Na, wenn du es unbedingt wissen willst, soll mir recht sein. Mein Codename lautet Arrak.“, meinte dann sein Gesprächspartner selbstgefällig. Da fiel es Gin doch ein, dass er diesen Codenamen tatsächlich schon des Öfteren mal aufgeschnappt hatte. Er wusste, dass es sich bei diesem hohen Tier um jemanden handelte, der hauptsächlich im Bereich der Folter tätig war. Wenn der Silberhaarige es mal richtig verstanden hatte, war dieser Mann sogar einer der Besten. Jetzt wurde seine Sorge um Shuichi automatisch noch größer. Solche Menschen waren wirklich nicht zu übertreffen und meistens auch nicht ganz sauber in der Birne. „Verstehe, das hätte ich mir denken können.“, erwiderte Gin monoton. „Ich wusste doch, dass du schon mal von mir gehört hast!“, erfolgte sogleich die freudige, schon fast arrogant wirkende, Antwort. Aber sein Gesprächspartner fuhr fort: „Wie du dir sicherlich denken kannst, war es wirklich nicht unsere Absicht dir deine holde Maid wegzunehmen. Aber du selbst warst bedauerlicherweise nicht anzutreffen.“, „Bitte?“, hakte Gin gereizt nach. Er dachte da eben nicht richtig gehört zu haben. Das klang fast schon zu tiefst beleidigend in seinen Augen. „Dir ist deshalb bestimmt klar, weshalb ich dich jetzt angerufen habe, nicht wahr?“, redete Arrak einfach weiter, als hätte er Gins Anmerkung überhört. „Du glaubst, ich begebe mich so einfach in eurem Gewahrsam?“, entgegnete dieser mit einer Gegenfrage. Wieder ertönte ein Lachen am anderen Ende der Leitung. „Natürlich nicht! Aber allein die Tatsache, dass du das Handy behalten hast, lässt darauf schließen, dass du unvorsichtiger geworden bist.“ Der Punkt ging an Arrak. Da hatte er Recht, was Gin sich leider eingestehen musste. Doch antworten konnte er noch nicht. „Wie viel würdest du für ihn opfern?“, fragte Arrak in Bezug auf Shuichi. „Geht dich nichts an.“, antwortete Gin kalt, bemerkte aber dann, dass er so auf jeden Fall nicht weiterkommen würde. „Das musst du mir schon sagen, sonst lässt es sich schlecht verhandeln, weißt du?“, kam es ernst von seinem Gesprächspartner. Gin fiel es hingegen immer schwerer, seine strenge Fassade aufrecht zu erhalten. Der Kerl regte ihn auf. „Viel.“, gestand er so knapp wie möglich. „Klingt doch schon mal gut!“, erwiderte Arrak kurz darauf, „Soll ich dir dann von meinem Angebot erzählen?“, fragte er hämisch betont. „Ich bin ganz Ohr.“, meinte der Silberhaarige. „Sagt dir das alte Hotel am Shiba Park etwas?“, „Das, was vor paar Jahren dicht gemacht hat?“ Gin bekam eine böse Vorahnung. „Richtig.“, bestätigte Arrak, „Ich möchte, dass du dich morgen Früh dorthin begibst, sagen wir 10:00 Uhr.“, fügte dieser noch fordernd hinzu. Gin musste sein Lachen unterdrücken. Sicher würde er nicht so leicht nach deren Pfeife tanzen. „Und was bringt mir das? Du wirst ihn dann bestimmt nicht einfach so gehen lassen.“, nahm er an und stellte mit seiner Tonlage klar, dass er ohne einen Gegenzug dieser Art dort nicht auftauchen würde. „Das nicht. Aber ich erlaube dir, deinen Liebsten wiederzusehen.“, lautete die klare Antwort. Fast hätte Gin sich wieder im Ton vergriffen, doch konnte sich gerade noch beherrschen. „Das genügt nicht.“, sagte er. „Dann werde ich dir versprechen, dass ich ihn am Leben lassen werde.“, erweiterte Arrak sein Angebot. Als Gin etwas erwidern wollte, kam der Typ ihm jedoch noch zuvor: „Und ich würde mir das gut überlegen, wenn ich du wäre. Denn noch großzügiger werde ich nicht sein.“ Gin verwarf somit seine eigentlich geplante Antwort. Er schwieg für ein paar Sekunden, in welchen er sich klar machen musste, dass er keine andere Wahl hatte und es zu seinen Gunsten wohl nicht besser funktionieren würde. „Ich muss wissen, ob er jetzt überhaupt noch lebt. Ich lass mich nicht verarschen.“, meinte er dann streng. „Ist dir das hübsche Foto denn dafür nicht Beweis genug, was ich extra für dich gemacht habe?“, entgegnete Arrak verwundert. „Wer weiß, wann du es gemacht hast.“ Nach dieser Antwort spürte Gin förmlich, wie sich ein breites Grinsen in das Gesicht seines Gesprächspartners schlich. „Okay, okay. Ich werde dich seine Stimme hören lassen, wenn dich das beruhigt.“ Danach herrschte einen Moment schweigen. Gin wartete angespannt. Er hörte zwischenzeitlich das ein oder andere Rascheln. Jedoch im nächsten Augenblick brach seine Fassade nun endgültig zusammen und er wünschte sich, sich nicht erkundigt gehabt zu haben. Ein peitschendes Geräusch, gefolgt von einer vor Leid schreienden Stimme, erreichte sein Ohr. Schweren Herzens musste er feststellen, dass die Stimme ohne Zweifel seinem Geliebten gehörte. Die Schläge schienen sich zu wiederholen, woraufhin sich auch das qualvolle Geschrei vermehrte. Gin war kurz davor selbst zu schreien, doch wusste ebenso, dass das nichts bringen würde. Er stand machtlos, vermutlich sehr weit entfernt, an der Stelle und war nicht vor Ort. Nach einer Weile meldete sich Arrak wieder zu Wort: „Na, klang dir das lebendig genug?“, „Du-“, „Und ich würde dir ja raten morgen aufzutauchen, wenn du nicht vorhast, mir den ganzen Spaß allein zu überlassen.“ Mit diesen drohenden Worten legte Arrak auf. Gin hörte nur noch das gleichmäßige Piepen am Ende der Leitung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)