Ein unverhofftes Familientreffen von Himikko ================================================================================ Kapitel 31: Schuldgefühle ------------------------- Rin saß auf einem Sofa vor dem Kamin in den Gemächern seines Vaters, eingehüllt in einer dicken Decke. Ihm war hundeelend. Die letzte Stunde war nur eine verschwommene Erinnerung für ihn. Die Zerstörung des Siegels war offensichtlich nicht unbemerkt geblieben, denn der Palast war in heller Aufruhe. Boten kamen und gingen, Wächter und andere Mitglieder des Militärs erstatten Bericht und die Bediensteten wuselten in den Gängen umher. Am schlimmsten waren jedoch die Gewissensbisse. Seine Geschwister und sein Vater hatten abwechselnd auf ihn eingeredet und versucht ihn zu trösten, aber es brachte nichts. Es war alles seine Schuld. Er hätte früher erkennen müssen, dass Jahi nichts Gutes im Schild führte. Er hätte sich stärker gegen Lilith wehren können. Stattdessen war er wie ein naives Kind in die Falle gestolpert und musste sich retten lassen als wäre er die hilflose Prinzessin aus einem Märchen. Warum musste er immer alles ruinieren? Warum brachte er den Personen, die ihn umgaben nur Unglück? Sein ehemaliges Ziel Exorzist zu werden und Satan in den Arsch treten, erschien nun vollkommen lächerlich. Er konnte nicht mal auf sich selbst aufpassen, wie wollte er da jemanden retten? Erneut wurde ihm auf schmerzhafte Weise bewusst, wie nutzlos er war. Vielleicht hatte Yukio Recht gehabt, er hätte einfach sterben sollen. "Hey.", riss ihn jemand aus seinen tristen Gedanken. Es war Astaroth. Er hielt dem Nephilim eine Tasse unter die Nase. "Für dich." Rin sah ihn fragend an, der Fäulniskönig seufzte und schaute etwas verlegen zur Seite. "Das ist sowas ähnliches wie heiße Schokolade. Meine Mutter hat die immer für uns gemacht, wenn wir traurig oder mies drauf waren. Vaya hat mir etwas geholfen, sollte also trinkbar sein. Jetzt nimm schon." Der Nephilim nahm die Tasse zögerlich an und bedankte sich leise. Vorsichtig nippte er daran und stellte fest, dass es wirklich gut war. Es verbreitete eine wohlige Wärme. Astaroth gesellte sich währenddessen zu Samael und Iblis, welche in einer Zimmerecke standen. Der Rest war mit Satan irgendwo im Palast unterwegs und versuchte wohl eine Massenhysterie abzuwenden. Keine beneidenswerte Aufgabe. "Und irgendwelche Veränderungen?", erkundete sich der Feuerkönig. Astaroth schüttelte den Kopf. "Nein, schaut immer noch drein als hätte er soeben versehentlich einen Massenmord begangen." Samael verdrehte die Augen und sah zu dem kleinen Häufchen Elend namens Rin hinüber. "Hach, da bringt man es nicht einmal übers Herz ihn auf dem Arm zu nehmen." "Als ob, du willst nur nicht, dass Vater dich einäschert.", schnaubte Iblis. Er erhielt einen empörten Blick. "Das ihr wirklich immer das Schlimmste von mir erwarten müsst." "Warum wohl?" Bevor sie anfangen konnten zu streiten, ging die Tür auf und Satan kam mit den restlichen Baal dicht gefolgt von ihren Stellvertretern ins Zimmer. Die meisten sahen aus, als wären sie eben erst aus dem Bett gestiegen und alle trugen ihre Zivilkleidung. Nur Ankou fehlte. Diese folgte jedoch nur Sekunden später. Sie trug eine graue Jogginghose und ein schwarzes T-Shirt. Ihre Haare waren klatschnass. "Ich kann auch nichts dafür, dass mich eure Nachricht erreicht, während ich unter der Dusche stehe.", knurrte die Geisterdämonin, als sie die fragenden Blicke bemerkte. Hinter ihr huschte außerdem noch Kuro ins Zimmer. Iblis warf dem Nekomata einen missbilligenden Blick zu, doch sagte nichts als er auf Rins Schoß sprang und sich an ihn kuschelte. Dieser nahm ihn sofort in die Arme und drückte ihn an sich. Wenn es seinem kleinen Bruder mit der Flohschleuder besser ging, dann biss er eben die Zähne zusammen. "Egal jetzt. Wo ist Alastor?", fragte Satan in die Runde. "Er kommt noch, aber jetzt wären trotzdem Erklärungen super.", kommentierte Halphas. "Ich konnte Iblis Sauklaue nur entnehmen, dass Liliths Siegel zerstört ist und irgendwas mit Jahi." "Ich hatte Zeitdruck!", knurrte der Feuerkönig. "Egal, wie ist das verdammte Siegel zerbrochen?!" Rin sank unwillkürlich zusammen. Er hatte gar nicht an die Stellvertreter gedacht. Wie würden sie die Neuigkeiten aufnehmen? Halphas und Amon hatten ihm endlich vertraut und nun würden sie ihn hassen. Alastor würde ihn wahrscheinlich an Ort und Stelle häuten falls er an Satan und den Dämonenkönigen vorbei kam. "Es ist...kompliziert.", begann Egyn vorsichtig. "Ich denke, wir sind intelligent genug, um es zu begreifen.", entgegnete Amon etwas bissig. "Es ist meine Schuld.", brach es aus Rin heraus. Alle Augen richteten sich auf ihn, doch er sah niemanden an, sondern sprach weiter. Am besten gestand er alles, dann wäre das Schlimmste hoffentlich vorbei. "Jahi hat mich reingelegt und in eine Falle gelockt." "Ich habe ja immer gesagt, dass das Halbblut noch Ärger machen würde, aber auf mich hört ja keiner.", grummelte eine Stimme. Alastor stand in der Tür. Großartig. Als ob sein Tag nicht schon mies genug war. "Ruhe.", zischte Satan sichtlich genervt und wandte sich an Rin. Seine Augen wurden etwas sanfter als er ihn ansah. "Ich weiß, dass es nicht einfach ist, aber du musst uns erzählen, was passiert ist." Ein Knoten schien plötzlich in seiner Rins Kehle zu stecken. Unbewusst verstärkte er seinen Griff, woraufhin Kuro etwas gequält maunzte. Schnell ließ er wieder locker. "Ich...kann nicht." "Bitte." Eigentlich wollte er nicht. Die Erinnerung allein löste Panik aus, aber er war ihnen eine Erklärung schuldig. Er holte tief Luft. "Gut." Satan setzte sich neben ihm auf das Sofa, zusammen mit Egyn, Iblis und Azazel. Der Rest und die Stellvertreter verteilten sich auf die übrigen Sitzmöglichkeiten. Die Dämonenkönige warfen ihm aufmunternde Blicke zu, Alastor einen feindseligen, der Rest war neutral. Langsam und mit etwas zittriger Stimme begann Rin im Detail zu erzählen. Wie ihn Jahi in eine Falle gelockt hatte, wo er bewusstlos geschlagen worden war, wie er im Tempel aufgewacht war und Lilith sich schlussendlich befreit hatte indem sie Besitz von ihm ergriff. Er versuchte so genau wie möglich alles wiederzugeben, was sie gesagt hatte, auch wenn er wohl von dieser Frau Albträume haben würde bis er alt und grau war. Moment, war er auch unsterblich? Er beschloss später nachzufragen. Satan hatte zudem einen Arm um ihn gelegt, was überraschend beruhigend war. Je länger er redete, umso einfacher fiel es sogar. Als er fertig war, hielt er gespannt den Atem an. Wie würden sie reagieren? Alle schienen nachzudenken und wechselten gelegentlich Blicke. Die Stille war mehr als nervenaufreibend. Konnte jetzt mal einer was sagen? Er saß hier auf heißen Kohlen! Dann schnaubte Alastor. "Also haben wir es deiner Naivität zu verdanken, dass Gehennas größte Feindin zurück ist. Na Gratulation!" "Meine Güte, jetzt halte doch ein Mal deine selbstherrliche Klappe!", fauchte Ankou zur Überraschung aller Anwesenden. "Der Kleine ist schon fertig genug und macht sich Vorwürfe für etwas, für das er nichts kann, also schütte nicht noch Salz in die Wunde!" Rin sah sie überrumpelt an. Bisher hatte er sie noch nie sauer erlebt. Als sie ihn das erste Mal in Schutz genommen hatte, war sie wesentlich ruhiger gewesen. Er ignorierte sogar den Spitznamen. Sie war allerdings kleiner als er, also warum nannte sie ihn bitte klein?! Seine Überraschung wuchs, als ihrer Aussage Zustimmung entgegengebracht wurde. "Lass es jetzt gut sein, Alastor. Was geschehen ist, ist geschehen. Er bringt nichts, jetzt noch auf ihn eintreten, wenn er schon am Boden ist. Gönn ihm 'ne Pause. ", seufzte Amon. Alle nickten. Der Nephilim verstand die Welt nicht mehr. "Wartet...ihr hasst mich nicht?!" "Warum sollten wir dich hassen?", fragte Amaimon mit schiefgelegtem Kopf. "Ich habe Lilith befreit!" "Sie hat von dir Besitz ergriffen.", korrigierte Lucifer. "Niemand kann sich gegen sowas ewig wehren, erst recht nicht, wenn man nicht im vollen Besitz seiner Kräfte ist." "Und wir haben alle Jahi vertraut.", fügte Iblis hinzu. "Und ich bin grad verdammt froh, dass sie nie reagiert hat, wenn ich sie angebaggert habe..." Ja, das wäre unangenehm geworden. "Wir kannten sie wesentlich länger und haben sie nicht durchschaut. Mache dir deswegen keine Vorwürfe.", merkte Azazel an. "Ich kannte sie nur flüchtig, aber sie kam mir wie eine sehr anständige Person vor und normalerweise kann ich Leute gut einschätzen.", seufzte Agares. Dem Halbdämonen fiel ein Steinhaufen vom Herzen. Sie hassten ihn nicht. Er hatte nicht alles ruiniert. Vielleicht hatte das Universum, Karma, Gott oder was auch immer es sich in den Kopf gesetzt hatte ihm das Leben möglichst schwer zu machen, endlich Mitleid mit ihm bekommen. Oder es wollte eine kurze Illusion der Hoffnung erzeugen, nur um alles wieder zu zerschmettern und ihn noch tiefer in die Verzweiflung riss. Seit wann war er eigentlich so pessimistisch? Es war Halphas, der für das nächste böse Erwachen sorgte. "Das ist ja rührend und alles, aber ein Problem gibt es noch.", erinnerte dieser etwas zerknirscht. "Dem Rat wird das gar nicht gefallen. Sie können zwar nichts gegen Rin tun, aber falls sie seine Hinrichtung verlangen und wir ablehnen, gibt's Stress. Der Rat wird sich spalten und nur noch streiten. Also noch mehr als sie es ohnehin schon tun. Das würde Lilith nur in die Hände spielen." Na ja, die Hoffnung war schön gewesen, solange sie währte. "Scheiß auf den Rat, das sind ein Haufen Volltrottel!", fauchte Astaroth. "Stimmt, aber mächtige Volltrottel.", hielt Satan dagegen. "Einäschern ist immer eine Option..." "Nein, das verführt nur zu alten Verhaltensmustern!", fuhr Shax streng dazwischen. "Vielleicht sollten wir zuerst sicher stellen, dass wir nicht noch mehr Verräter in unseren Reihen haben.", mischte sich Samael ein. "Wenn ich Lilith wäre, würde ich immer ein paar meiner Leute in Position haben." "Apropos, könnte es sein, dass Jahi die Nachricht im Saal platziert hat? Ich habe sie auf dem Fest gesehen.", fragte Egyn. Lucifer nickte. "Wahrscheinlich. Sie war immerhin an der Organisation beteiligt, also wusste sie genau, wo alles ist." "Da fällt mir ein...", murmelte Satan. "Diese Lieferungen...langsam glaube ich, dass sie da auch etwas manipuliert hat. Sie hat etwas von nicht bestellten Dingen erzählt, aber laut einigen der Lieferanten fehlte einiges, was eigentlich angekommen ist. Wahrscheinlich waren die Lieferungen für Liliths Leute." "Also haben wir auch noch Ausrüstung für Lilith bezahlt?", fragte Samael etwas erschöpft klingend. Satans Blick sagte alles. "So oder so kommen wir um ein Ratstreffen nicht drum herum.", murmelte Azazel missmutig. Der Dämonengott seufzte und stand auf. "Schickt eine Nachricht an alle Häuser und jeden Stammes- und Clanführer Gehennas. Wir brauchen den großen Rat in acht Stunde im Gerichtsgebäude. Überprüft die Siegel, riegelt alle Paläste sowie die Grenzen ab und verstärkt die Grenzposten. Jeder, der ohne Erlaubnis rein oder raus will, wird angegriffen und notfalls getötet. Zieht alle Dämonen, egal welchen Ranges aus Assiah ab. Wer sich weigert, wird als Verräter verdächtigt. Ich habe genug davon, dass uns Liliths Anhänger auf der Nase rumtanzen. Und schickt jemanden der Jahis Adoptiveltern herbringt. Ankou, du wartest bitte draußen. Ich habe einen Auftrag für dich." Alle nickten und verließen den Raum. Azazel legte Rin eine Hand auf die Schulter und lächelte ihm aufmunternd zu, bevor auch er ging. "Komm, du solltest ins Bett. Du hast einen langen Tag hinter dir und ich fürchte, du musst mit zum Ratstreffen.", sagte Satan sanft und zog Rin vorsichtig auf die Füße. Dieser nickte nur stumm. Er war nicht wirklich scharf darauf mitzukommen, aber verstand schon, dass es nicht anders ging. Kuro war bereits von seinem Schoß gesprungen und lief vor. "Warum ist das Treffen im Gerichtsgebäude?" "In den Ratssaal passen nicht alle rein. Der große Rat besteht aus allen Anführern der Häuser und Vertretern aller intelligenten Wesen Gehennas, also auch Harpyien, Furien, Sirenen und so weiter. Der große Rat wird so selten einberufen, dass wir uns nie die Mühe gemacht haben einen Ratssaal dafür zu errichten, also nehmen wir das Gerichtsgebäude. Ich bringe dich noch in dein Zimmer, dann muss ich auch los." Der Nephilim war mehr als dankbar für die Gesellschaft. In seinem Zimmer angekommen, zog er sich stumm um, dann legte er sich ins Bett. Kuro machte es sich neben ihm auf dem Kissen gemütlich. Noch immer kreisten seine Gedanken. "Wegen dem, was in der Höhle passiert ist...tut mir leid, dass ich so einen Zusammenbruch hatte.", murmelte er. Der Dämonengott sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Warum entschuldigst du dich? Es gibt keinen Grund, erst recht nicht nach so seinem Erlebnis." "Weil ich anderen immer nur zur Last falle.", murmelte der Jugendliche. "Ich bekomme nie selber was auf die Reihe. Ich will anderen helfen, aber schlussendlich müssen sie mir helfen." Satan sah ihn einen Moment lang an und setzte sich dann seufzend auf den Bettrand. Kuro bleib still, doch schmiegte sich schnurrend an den Jungdämonen. "Du fällst niemanden zur Last. Wenn jemand Schuld hat, dann sind das die Exorzisten und ich. Du hattest die letzten 16 Jahre keine Ahnung von allem, da ist es vollkommen normal, wenn du hinter deinen Klassenkameraden in der Exorzistenklasse zurückhängst." Rin fragte gar nicht, woher er das wusste. Samael war der Schulleiter gewesen, es würde ihn nicht wundern, wenn er seine Noten kannte und die waren wirklich alles andere als berauschend gewesen. Zugegenermaßen wunderte es ihn etwas, dass der Zeitkönig nie eine Bemerkung dazu gemacht hatte. Wie wohl seine Brüder in der Schule gewesen waren? Wenn sie schon damals so drauf waren wie heute, hatten die Lehrer sicher keine ruhige Minute gehabt. Lucifer hatte sogar angedeutet, dass Satan Stammgast in der Schule war. Als er schwieg, sprach der ältere Dämon weiter. "Du musst dich dafür nicht schämen. Es ist sogar ganz gut, dass du nicht zugehört hast. Der Großteil ist vollkommener Quatsch. Allein wie sie Besessenheit erklären...da fällt einem wirklich nichts mehr ein." "Wie läuft es denn ab?", hakte Rin nach. "Lilith hat mich kurzzeitig übernommen, aber ich habe mitbekommen, was um mich herum geschieht. Warum?" Satan zögerte. "Vielleicht sollten wir das auf ein anderes Mal verschieben-" "Ich muss wissen, was da los war. Was wenn sie es nochmal versucht? Ich will mich nie wieder so benutzen lassen!" 'Oder hilflos fühlen.', fügte er stumm hinzu. Sein Vater sah ihn schweigend an, doch gab nach. "Ich schätze, es schadet nicht, es zu wissen." Er hielt kurz inne und überlegte, wie er es verständlich erklären konnte. "Also, es gibt erlaubte und unerlaubte oder auch erzwungene Besitzergreifung. Natürlich spielt auch die Willensstärke des potenziellen Wirtes und wie "kompatibel" er mit dem Dämonen ist, eine Rolle. Bei einer gewaltsamen Übernahme dringt der Dämon -wie der Name schon andeutet- gewaltsam ein und drängt das Bewusstsein und damit auch den freien Willen des Wirtes zurück. Ist er erfolgreich, ist das Gefäß dem Willen des Dämonen unterworfen und kann sich später nicht mehr an die Übernahme erinnern, da es in einer Art tiefem Schlaf versinken. Es kann in manchen Fällen auch einfach wie ein Traum wirken. Die andere Möglichkeit ist, dass sich der Wirt nicht einfach unterwerfen lässt, sondern um die Kontrolle kämpft. Mit etwas Glück und Willensstärke kann man sich sogar von der Besessenheit befreien. Wird er irgendwann übernommen, bekommt er häufig mit, was der Dämon sagt oder tut und kämpft meist weiter dagegen an. Es ist allerdings auch möglich, dass der Wirt zwar alles mitbekommt, aber nicht die Kontrolle erlangen kann, egal wie sehr er kämpft. Dies ist in der Regel vom Dämon gewollt und wird gerne genutzt um einen zu quälen. Immerhin kann der Dämon alles tun, während sein Gefäß hilflos zusehen muss. Bei beiden Ausgängen kann sich der Betroffene meist an die Besessenheit erinnern oder es gibt nur ein paar Erinnerungslücken. Gewaltsames Eindringen ist sehr schmerzhaft für das Opfer und kann psychische sowie physische Schäden hinterlassen." Der Halbdämon schluckte. Also war er noch mit einem Schreck davon gekommen. Wieder mal. "Bei einer erlaubten Übernahme trägt das Gefäß nur selten Schäden davon. Der Dämon manipuliert die Person, die er übernehmen will und versucht sie dazu zu bringen sie rein zulassen. Am Anfang ist er "nur" eine Stimme im Kopf, aber je weiter er sich vorarbeitet, umso mehr Einfluss hat er auf sein Opfer. Irgendwann gibt das Opfer dann nach, der Dämon übernimmt den Körper und so weiter. Man kann sich dabei auch bestimmte starke Emotionen zunutze machen wie Wut oder Angst, denn diese schwächen den Geist. Die Person kann sich am Ende an nichts mehr erinnern." Rin zögerte etwas bevor er die nächste Frage stellte. "Also war das bei Shiro eine erlaubte Übernahme? Da hast du dir doch auch Emotionen zunutze gemacht." Er versuchte nicht anklagend zu klingen, aber er hatte das Gefühl, dass ihm dies nicht wirklich gelang. "Nein, das war eine gewaltsame Übernahme, man kann Emotionen immer ausnutzen. Ich war öfter in seinem Kopf und habe versucht ihn dazu zu bringen mich rein zu lassen, aber er hat sich stets gewehrt. Aber dann...naja, du hast es selbst gesehen." Kurz herrschte unangenehme Stille, dann fuhr er fort. "Auf jeden Fall trägst du keine Schuld. Und es stimmt auch nicht, dass du nichts alleine schaffst. Dein Gehennisch wird immer besser. Du konntest Ankou im Training umwerfen und das kann nicht jeder von sich behaupten. Es fällt dir immer leichter die Flammen zu kontrollieren und hast dich wesentlich besser unter Kontrolle. Für den kurzen Zeitraum ist das eine beachtliche Leistung." "Schon aber...gehöre ich wirklich hier her? Ich bin halb menschlich, habe fast keine Ahnung von Gehenna-" "Es spielt keine Rolle, dass du ein Nephilim bist. Du bist mein Sohn, gehörst damit zu dieser Familie und fertig. Ich weiß, dass es Halbblütern schwer fällt sich anzupassen. Samael hat mir schon erzählt, dass du seit deiner Kindheit Probleme hattest, aber das ist normal. All deine Geschwister hatten ähnliche Probleme, obwohl sie vollwertige Dämonen sind." Rin runzelte die Stirn. "Warum das?" "Sie wurden während ihrer Schulzeit oft schief angesehen, weil sie meine Söhne sind. Viele waren neidisch, ihnen wurde viel Verachtung entgegengebracht und Freunde waren für sie schwer zu finden. Sogar mache Lehrer hatten es auf sie abgesehen. An manchen Tagen haben sie mich schon fast angefleht, dass sie lieber im Palast unterrichtet werden wollen. Ich habe nicht nachgegeben, weil es keine Lösung ist vor Problemen wegzulaufen. Schlussendlich haben sie doch einige Freunde gefunden und gelernt mit Gerede hinter ihrem Rücken und dergleichen umzugehen. Und jetzt sei ehrlich: hat einer von uns dir je das Gefühl gegeben, nicht hier her zu gehören?" Langsam schüttelte der Halbdämon den Kopf. Doch das Stichwort "Neid" führte auch schon zu der nächsten Frage. "Stimmt es, dass die Anderen neidisch auf mich waren?" Verwirrt sah Satan ihn an. "Wie kommst du-?" Er hielt inne, dann verdüsterte sich sein Gesicht. "Hat Lilith dir das gesagt?" Rin nickte etwas beschämt. "Ich weiß, dass sie sogar noch mehr Lügen als Samael erzählt, aber ihre Worte gehen einfach nicht mehr aus meinem Kopf, egal was ich mache. Und damals als ich diese Visionen hatte, hat Iblis irgendwie komisch reagiert." Letzteres war ihm erst vorhin eingefallen. Als der Feuerkönig erwähnt hatte, dass dieses Talent wohl von Satan an Rin vererbt worden war, schwang ein seltsamer Ton in seiner Stimme mit. Damals konnte er es nicht zuordnen, doch inzwischen glaubte er, dass es tatsächlich Neid gewesen sein könnte. "Es stimmt, dass sie am Anfang nicht allzu begeistert von dir waren.", kam die vorsichtige Antwort. "Wir hatten auch einen Streit deswegen, aber du musst dir keinen Kopf machen. Sie haben dich akzeptiert." Sogar Rin merkte, dass er der Frage auswich und sah ihn vorwurfsvoll an, woraufhin er schnell fortfuhr. "Du solltest nicht so viel darauf geben, was Lilith sagt. Sie waren wütend, weil du die Flammen geerbt hast, besonders Iblis, aber das ist längst vorbei." Das machte wohl Sinn. Sicherlich war es als Dämonenkönig des Feuers mehr als frustrierend, wenn man nur normales Feuer beherrschte. "Und warum haben sie ihre Meinung geändert?" Er bekam ein Schulterzucken als Antwort. "Sie haben sich wohl daran gewöhnt. Wenn es dich wirklich so sehr beunruhigt, frage sie selbst. Ich versichere dir, du musst dir keine Sorgen machen. Du gehörst für sie zu uns, daran ändern weder deine Kräfte noch dein Blutstatus etwas. Hast du sonst noch Fragen?" "Was passiert jetzt mit Yukio? Lilith wird doch bestimmt wieder versuchen ihn zu töten!" Satan beruhigte ihn schnell. "Ich werde mich darum kümmern. Weder Lilith noch ihre Attentäter werden an ihn heran kommen." Er schaute zur Uhr. "Ich muss jetzt langsam los. Deine Brüder haben alle ihr Handy dabei, rufe sie an, wenn du etwas brauchst. Ansonsten kannst du deinen Begleiter-" "Kuro." "Kuro losschicken." Er stand auf. "Warte!" Satan, welcher bereits auf halbem Weg nach draußen war, wandte sich noch einmal um und sah den Nephilim fragend an. "Könntest du bitte hier bleiben bis ich eingeschlafen bin?", fragte dieser leise und wich dem Blick seines Vaters aus. Es war irgendwo peinlich, er war kein kleines Kind mehr, aber der Gedanke alleine zu sein, erschien unerträglich. Er würde hundertprozentig Albträume haben, aber er hatte bereits die Erfahrung mit Shiro gemacht, dass seine Anwesenheit ihm dabei half zu entspannen und die schlechten Träume erheblich reduzierte. Bestimmet klappte das auch bei Satan. Der Dämonengott zögerte, doch lächelte dann leicht. "Sicher. Ich gebe Ankou noch ihren Auftrag, dann komme ich wieder."   ........................................................................... Ankou wartete wie befohlen draußen. "Ihr habt einen Auftrag für mich?", erkundigte sie sich. Der Dämonengott nickte. "Du bist eine der wenigen Personen, denen meine Familie und ich noch trauen können." Das stimmte. Vaya und Ankou kannte er seit sie Kinder waren, immerhin hatten sie immer mit seinen Söhnen gespielt. Im Gegensatz zu manch anderen Adligen hatte er nichts dagegen gehabt, wenn seine Kinder mit nicht Adligen spielten. Warum auch? "Ihr ehrt mich." Natürlich bleib sie immer formell, wenn sie im Dienst war. "Ich komme direkt zum Punkt. Wie du weißt, habe ich noch einen weiteren Sohn, Yukio. Er ist ein Mensch und ausgebildeter Exorzist. Liliths Blutjäger wollten ihn schon einmal töten und nun da sie frei ist, werden weitere Versuche folgen. Da alle Dämonen aus Assiah abgezogen werden, möchte ich, dass du nach Assiah gehst und ihn beschützt bis ich jemanden schicke, der dich ablöst." "Nachdem, was ich mitbekommen habe, hasst er Dämonen. Korrekt?" "Ja. Darum ist es wichtig, dass du dich ihm nur zeigst, wenn es nicht anders geht. Du musst dir außerdem einen Wirtskörper suchen. Die Grenze zwischen Gehenna und Assiah ist bereits sehr instabil, da möchte ich keine zusätzliche Pforte öffnen. Es ist bereits alles mit Shax und Azazel geklärt, du kannst dich ganz auf deinen Auftrag konzentrieren. Und denke daran: es werden keine Exorzisten getötet außer es ist absolut notwendig." Die Geisterdämonen nickte. "Natürlich. Ich werde Euch nicht enttäuschen." "Das weiß ich, darum habe ich dich ausgewählt. Du kannst gehen." Sie verneigte sich kurz und verließ den Korridor. Satan kehrte zu Rin zurück. Er hatte zwar Zeitdruck, aber er wollte ihn nach dem heute erlebten nur sehr ungern allein lassen. Zu warten bis er eingeschlafen war, ist wohl das mindeste, was er tun konnte. ................................................................... Am nächsten Morgen saß Rin mit seiner Familie im größten Saals des Gerichtsgebäudes und hätte sich am liebsten unter seine Decke verkrochen. Immerhin hat die Einstellung "Wenn ich sie nicht sehe, sehen sie mich auch nicht!" früher immer gut geklappt. Nun aber leider nicht mehr. Der Saal war voll mit den mächtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten Gehennas (welche obendrein fast alle aus dem Schlaf gerissen worden waren), da war es wohl normal, dass er nervöser war als sonst. Alles lief in Gehennisch ab, aber er war zu aufgewühlt, um sich wirklich zu konzentrieren. Erst als man dann auf Lilith und das Siegel zu sprechen kam, zwang er sich zuzuhören. Es war das erste Mal, dass er wirklich öffentlich als Satans Sohn auftrat. Demzufolge war der Druck umso höher und die ganzen Augenpaare, die sich auf ihn richteten nachdem erzählt wurde, was sich in Liliths Tempel zugetragen hatte, raubten ihm fast den letzten Nerv. Daraufhin folgten Diskussionen, Rumgekreische, Argumentationen, Drohungen, Streitereien, Geschimpfe, Hetzreden und Flüche, aber schlussendlich gaben die Ratsmitglieder klein bei. Zumindest die Vorsitzenden der großen Häuser vertrauten Satan und den Dämonenkönigen, also war der Großteil durchaus willens, ihm eine Chance zu geben. Die kleinen Häuser mussten also mitziehen und damit war der Großteil auch schon überzeugt. Es gab zwar einiges an bösen Blicken, aber die waren der königlichen Familie herzlich egal. Man war sich schlussendlich einig, dass Lilith das größere Problem war. Wie bereits befürchtet, war nicht nur ihr Siegel zerbrochen. Superbia und Invidia waren ebenfalls geflohen und mit ihnen mehrere ihrer Gefolgsleute. Leviathan hatte sich zurückgezogen, da seine Meisterin nun frei war, doch das war nur ein kleiner Trost. Niemand wusste, was Liliths als nächstes tun würde. Sie hatte davon gesprochen ihre Armee wiederaufzubauen, doch was dann? Würde sie zuerst Gehenna erobern oder Assiah angreifen? Vermutlich war Gehenna ihre Priorität, aber wer konnte das mit Genauigkeit sagen? So oder so war in Assiah einiges los. Viele Dämonen hatten die Erschütterungen in Gehenna, welche durch das Zerbrechen der Siegel entstanden war, genutzt und machten nun die Welt der Menschen unsicher. Dazu gehörten neben Liliths Anhängern leider auch Dämonen, welche treu zum Königshaus standen, aber ihr Menschenhass machte blind. Glücklicherweise waren sie zurückgekehrt, wie Satan es verlangt hatte, bis auf wenige Ausnahmen. Die Exorzisten würden jedoch damit so oder so hundertprozentig überfordert sein, also müsste Gehenna ihnen später noch mehr unter die Arme greifen als sonst. Einige schlugen vor, eine Allianz mit den Exorzisten zu bilden. Immerhin hatte man einen gemeinsamen Feind, aber Samael schoss die Idee sofort wieder ab. Laut ihm würde der Vatikan eher den dritten Weltkrieg anfangen als sich mit Dämonen zu verbünden. Rin machte sich derweil Sorgen um Yukio und seine Freunde, aber konnte momentan nichts tun. Das machte ihn natürlich krank. Das Treffen dauerte mehrere Stunden und er fragte sich ernsthaft, wie Satan und seine Geschwister so wach und konzentriert sein konnten. Sie waren immerhin die ganze Nacht beschäftigt gewesen. Ein Mal fiel ihm allerdings am Rande auf, dass Iblis am Einnicken war bis ihm Samael unauffällig gegen den Rücken trat, was glücklicherweise niemand mitbekam. Schließlich beschlossen sie eine Stunde Pause zu machen. In dieser Zeit erfuhr Rin, was man über Jahi in Erfahrung bringen konnte. Ihre Adoptiveltern lebten in Iblis Reich und hatten nur selten Kontakt mit ihr gehabt, sie konnten also leider nicht viel weiterhelfen. Lesji war genauso von dem Verrat überrascht gewesen. Jahi war ihre beste Freundin gewesen, doch nie war ihr etwas verdächtiges aufgefallen. Sie erzählte nur, dass die Feuerdämonin in letzter Zeit seltener Schichten in der Bar übernommen hatte. Entweder wegen einer angeblichen Krankheit oder weil sie viel im Palast zu tun hatte. Weder ihr noch Liliths Aufenthaltsort war derzeit unbekannt. Wahrscheinlich hatten sich die Dämonengöttin und ihre Anhänger in ihren Palast zurückgezogen. Dieser lag irgendwo im unerforschten Gebiet, aber keiner wusste wo. Rin überlegte immer wieder, ob er nicht Yukio oder einen seiner Freunde anrufen sollte, doch entschied sich vorerst dagegen. Wie sollte er auch erklären, dass er eine rachsüchtige Dämoningöttin befreit hatte? Im Moment konnte er nur hoffen, dass es allen gut ging. ........................................................... Natürlich war die Zerstörung des Siegels auch in Assiah nicht unbemerkt geblieben. Die Exorzisten waren am 31. Oktober immer auf viele Dämonen eingestellt (wobei sie tatsächlich nur einen kleinen Bruchteil zu Gesicht bekamen), doch nun staunten sie nicht schlecht als plötzlich ganze Massen von ihnen durchbrachen. Demzufolge war alles ein riesiges Durcheinander. Sogar die Exorzisten in Ausbildung wurden ausnahmslos in den Kampf mitgeschliffen. Dass Samaels Barrieren nicht länger existierten, machte es nicht einfacher. Inzwischen war der nächste Morgen angebrochen und Bon, Koneko, Shima, Izumo und Shiemi saßen völlig erschöpft an einem der zahlreichen Brunnen der Heiligkreuzakademie, darauf hoffend endlich Feierabend machen zu können, denn sie waren todmüde. Endlich kam auch Yukio dazu und verkündete, dass man die Lage im Griff hätte und sie nun ins Bett konnten. Einige Fragen beschäftigten sie jedoch noch. Woher kamen all diese Dämonen? Was wollten sie? Planten Satan und die Dämonenkönige einen Angriff? Natürlich konnte niemand sie beantworten. Schlussendlich war es Shiemi, die die Frage aussprach, die alle beschäftigte doch es nicht wagten sie auszusprechen. "Ähm....Yuki-chan? Gibt es etwas neues von Rin?" Der jüngere Okumura Zwilling schüttelte den Kopf. "Nein, seit seinem Anruf kam nichts mehr." Die Adepten wechselten vielsagende Blicke. Mit jeder Woche, die verging, wurde es immer unwahrscheinlicher, dass sie den Halbdämonen jemals wiedersehen würden. Zwar hatte er am Telefon behauptet, dass es ihm gut ginge, doch es gab dafür keine Garantie. Es machte ohnehin keinen Sinn, was er alles von sich gegeben hatte. "Keine Sorge, dein Bruder wird solange leben, wie unsere Gebieterin einen Nutzen für ihn findest. Von dir kann man das allerdings nicht sagen.", kommentierte eine Stimme. Erschrocken fuhren sie herum. Auf dem Brunnen saß ein Mädchen mit schulterlangen weißen Haaren und gelben Augen, welche denen einer Schlange ähnelten. Im Gesicht und auf den Armen waren zudem Schuppen zu erkennen, wenn man genauer hinsah. "Was-?", begann Yukio und zog seine Pistolen, doch die Weißhaarige ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. "Ich heiße Kaliya und wurde geschickt, um dich zu töten. Also stirb." Damit stand sie auf und stürzte sich auf ihn. ........................................................................ Indra war sauer. Nicht dieses typische "Ich-bin-von-Idioten-umgeben-sauer" sondern "Ich-reiße-dem-Mistkerl-den-Kehlkopf-raus-sauer". Als sie Beriths Unterstützung angenommen hatte, wusste sie bereits, dass er eine Schlange war. Sie hatte damit gerechnet, dass er sich Vorteile davon versprach und sie irgendwann fallen lassen würde. Demzufolge war sie auf der Hut gewesen, doch erkannte trotzdem zu spät, was er war. Ein mieser, kleiner Verräter. Er hatte mit ihr zusammengearbeitet, um seine Spuren zu verwischen und ihr etwas anzuhängen. Schlussendlich hatte er allerdings Fehler gemacht und sie begann ihn als Verräter ihn Betracht zu ziehen. Dann spürte sie die Erschütterung, die Nachricht von Liliths Ausbruch folgte kurz darauf. Die Ratssammlung am Morgen war besser verlaufen als erhofft. Natürlich machten einige Rambazamba als sie die Hintergründe erfuhren, doch Indra gehörte zu jenen, die sich für die Unschuld des Nephilims aussprach. Er war ein Kind, welches das Pech gehabt hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Lilith war ein Biest, welches vor nichts halt machte, um zu bekommen, was sie sollte. Es war eine Eigenschaft die sie in gewisser Weise mit Satan teilte, auch wenn er etwas gemäßigter war. Zudem war die Dämonin eine Fanatikerin, für sie zählten nur die eigenen Anschauungen. Indra wusste es mit am besten, immerhin hatte die ehemalige Königin Gehennas einst zu ihren engsten Freunden gehört. Heutzutage wollte sie ihr natürlich am liebsten den Schädel einschlagen. Allerdings beruhte das wohl auf Gegenseitigkeit. Um ehrlich zu sein, war einer der Gründe für ihre Beziehung mit Satan, dass sie ihrer ehemaligen Freundin eins auswischen wollte. Dass der Dämonengott Macht und Einfluss hatte und auch noch ziemlich gut aussah, war natürlich ein Bonuspunkt. Wer hätte damit rechnen können, dass sie tatsächlich Gefühle entwickeln und ein Kind daraus entstehen würde? Aber zurück zum Thema. Bisher hatte sie Ruhe vor Attentätern gehabt und auch Azazel zeigte keine Auffälligkeiten. Zwischendurch war sie zu ihrem Elternhaus zurückgekehrt, um sich einigen Angelegenheiten zu widmen, doch bleib nicht lange. Ihr Vater war noch immer derselbe Kontrollfreak, ihre Mutter unterwarf sich ihm und nutzte jede Gelegenheit um Indra zu kritisieren. Manchmal wegen der Art und Weise wie sich kleidete (laut ihrer Mutter passte das Kleid eher zu einer Hure), ihren "rebellischen Tendenzen" (Wo stand bitte, dass Männer das Sagen haben? Laut Gesetz sind beide Geschlechter gleichberechtigt, aber das war bei manchen Adelsfamilien noch nicht angekommen.) und natürlich weil sie nach all diesen Jahren noch immer keine Nachkommen ausgetragen hatte. Na, wenn die wüssten. Mit jedem Besuch wuchs Indras Abneigung. Schon als Kind hatte sie nie verstanden, warum ihre Mutter immer nach der Pfeife ihres Vaters tanzte und sie selbst ein Haufen Verbote bekam während ihr Bruder Yaotzin allerhand Freiheiten genoss. Ihretwegen konnte sich das ganze Pack in den Hades scheren. ...................................................................... Lilith war mehr als zufrieden. Ihr Plan war hervorragend aufgegangen, auch wenn sie ihn etwas verändern musste. Wer hätte gedacht, dass sich der Nephilim so leicht manipulieren lassen würde? Na, ihr sollte es egal sein. Immerhin hatte es einiges einfacher gemacht und würde sicher auch zukünftig Vorteile bringen. Gedankenverloren sah sie sich im Thronsaal ihres Palastes um. Alles war genau so, wie sie es verlassen hatte. Gut. Sie musste also niemanden für Inkompetenz bestrafen. Das war zwar meist ganz unterhaltsam, aber sie brauchte momentan jeden. Sie war noch immer geschwächt und es würde dauern bis ihre Armee wieder aufgebaut war. Immerhin waren bereits Invidia und Superbia ihrer Versieglung entkommen. Deren Gefolge würde also auch bald aus der Versenkung auftauchen. Einige ihrer Leute saßen im Tartaros ihre Strafe ab, also konnte sie einen Gefängnisausbruch gleich mit auf ihre To-Do-Liste packen. Wie lästig. Mit einem Seufzen ließ sie sich auf ihren Thron nieder. Sie hatte so lange gewartet, da würden ein paar Monate wohl nichts ändern. So gesehen war es nur ein Wimpernschlag. Eindeutig ein gewisser Vorzug der Unsterblichkeit. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Jahi etwas nervös von einem Fuß auf den anderen trat. "Jahi, komm doch mal her.", sprach sie die Feuerdämonin mit süßer Stimme an. Diese zuckte erschrocken zusammen. "Ich, Gebieterin?" "Wie viele mit dem Namen 'Jahi' sind sonst noch anwesend?" Sie wandte sich an eine der Alukah im Raum. "Lamia, sei so lieb und hole Hedammu, Naama, Ravana und Anaya." "Natürlich." Sie verneigte sich und ging. Jahi trat zögerlich vor Liliths Thron und kniete nieder. "Jetzt steh schon auf, ich möchte ordentlich mit dir reden." Noch immer stumm, kam sie der Aufforderung nach. "Also was beschäftigt dich?" "Nichts, Herrin-" "Wage es nicht mich anzulügen.", fuhr ihr Lilith scharf ins Wort. Ihre Stimme hatte nun einen drohenden Unterton. Sie hasste es, wenn einer ihrer Untergebenen sie anlog. Es war genauso schlimm wie Respektlosigkeit. "Mir ist egal, was du denn dem Rest erzählst, aber wenn du mir je die Wahrheit verschweigst, wirst du es bereuen. Haben wir uns verstanden?" "Ja, entschuldigt." "Also? Nein, Moment. Lass mich raten...du hast Gewissensbisse wegen dem Nephilim, korrekt? Überlege dir deine Antwort gut." "Ich....ja." Lilith erlaubte sich ein leichtes Grinsen. Sie lernte dazu. Sehr gut. "Erzähle mir nicht, dass du ihn wirklich als Freund betrachtet hast." "Ich wusste, was ich tun würde, also habe ich versucht ihn im Stillen zu hassen. Aber es geht nicht. Ich weiß, wir haben ihn gebraucht, aber er kann eigentlich nichts dafür. Er war zum Zeitpunkt der Rebellion noch nicht mal geboren." Die Dämonin unterdrückte ein Schnauben. Allein dass dieses...Wesen geboren wurde, war ein Verbrechen. Nur sein jüngerer Bruder toppte es noch. Der Gedanke, dass Satan -ihr Mann- sich mit einer sterblichen Frau eingelassen und auch noch Kinder mit dieser Hure gezeugt hatte, ließ sie rot sehen. Allerdings hatte er sich schlussendlich als nützlich herausgestellt und einem geschenkten Drachen schaute man nicht ins Maul. Sie zwang sich zu seinem Lächeln sowie einer ruhigen Stimme und stand auf. Sie ging auf Jahi zu und hob ihr Kinn an, sodass sie ihr ins Gesicht sah. "Es spielt keine Rolle, ob er schuldig ist oder nicht. Er ist unser Feind und ein potenzielles Werkzeug, alles andere ist bedeutungslos. Ich habe ihm mehrmals die Gelegenheit gegeben sich uns anzuschließen, aber er beharrt darauf sich mit diesen Blutverrätern abzugeben. Verschwende nicht deine Zeit mit ihm." Sie ließ die Feuerdämonin los und ging wieder zu ihrem Thron. "So oder so hast du mir einen großen Dienst erwiesen und dafür wirst du belohnt werden." "Danke Meisterin. Aber was passiert jetzt? Fünf der Aveira sind noch versiegelt und Eure Anhänger verstreut. Manche sitzen sogar im Gefängnis." "Lass das meine Sorge sein, Jahi. Superbia und Invidia dürften kaum Probleme dabei haben ihre Schwestern zu befreien und meine restlichen Anhänger sind dabei sich zu sammeln. Um Satan müssen wir uns keine Sorgen machen, er hat noch nicht erkannt, dass seine Machtbasis von ihnen heraus verrottet. Kaliya sorgt dafür, dass der Zwilling in Assiah den nächsten Tag nicht mehr erleben wird. Momentan läuft alles nach Plan. Sie haben keine Ahnung, was wir vorhaben. Das merken sie erst, wenn es zu spät ist." Sie erlaubte sich ein Lachen. Alles war noch unterhaltsamer als gedacht. Bald würden Gehenna, Assiah und Satan ihr gehören. Diesmal würde ihr nichts im Wege stehen. Immerhin bekam sie immer, was sie wollte. .......................................................... Yukio hatte in seinem Leben schon gegen einige Dämonen gekämpft, doch diese Dämonin war ein ganz anderes Kaliber. Bei näherer Betrachtung erkannte er die schlangenähnlichen Zähne, davon tropfte etwas grünes, was zischte als es auf dem Boden aufkam. Das war eindeutig kein gewöhnlicher Speichel. Seine Schüsse trafen nur teilweise, den meisten wich sie elegant aus. Sie war schnell und wendig. Die Adepten versuchten ihm zu helfen. Izumo beschwor ihre Füchse herauf, Shiemi rief ihm Warnungen zu und die Jungs begannen damit den Todesvers der Dämonin zu suchen, jedoch erfolglos. Ehe sich der jüngere Okumura Zwilling versah, hatte er seine Pistolen verloren und lag am Boden. Die Schlangendämonin sah ihn kalt an. "Zu einfach." Mehr sagte sie nicht, sondern holte mit einem Dolch zum tödlichen Angriff aus. Dieser kam nie. Ohne Vorwarnung wurde sie plötzlich von einer unsichtbaren Kraft weggeschleudert und landete genau im Brunnenbecken. Hustend und klatschnass sprang sie auf. "Du!" Yukio und die Adepten folgten ihrem Blick. Dort stand eine junge Frau mit verschränkten Armen, welche er nur vom sehen her kannte. Ihre Augen waren allerdings nicht braun, sondern weiß-silbrig. Er hinterfragte schon gar nicht mehr, dass Dämonen hier inzwischen rein und raus spazierten wie es ihnen passte.   "Hallo Kaliya, es ist lange her.", sagte sie ruhig, beinahe schon gleichgültig. "Du vermiest mir grad ganz schön den Tag." Kaliya stieg schnaubend aus dem Brunnen. "Solltest du nicht irgendwelche Toten babysitten oder jemanden aus Satans Familie vögeln, Ankou?!" Die Dämonin namens Ankou schnaubte. "Erzähle mir nicht, dass du diesen Gerüchte glaubst." "Nein, aber es nervt dich und das ist für mich Grund genug!" Damit sprang sie auf die weißäugige Dämonin. Yukio nutzte die Ablenkung, um sich aufzurappeln und seine Pistolen einzusammeln. Die Exwire kamen auf ihn zu gerannt. "Okumura-sensei, geht es Ihnen gut?", erkundigte sich Koneko. "Sicher. Suchen wir lieber eine Möglichkeit diese Dämonen los zu werden!" Natürlich leichter gesagt als getan. Er war sich nicht sicher, warum die beiden miteinander kämpften, aber es war ihm auch egal. Er zog sein Handy hervor und rief Shura an. Wieder mal ging sie nicht an ihr Telefon. Genervt hinterließ er eine kurze Nachricht und wandte sich wieder dem Kampf zu. Beide wichen geschickt den Angriffen aus. Kaliya versuchte Ankou mit ihren Dolch zu erwischen, doch nach einigen Versuchen wurde ihr schlussendlich die Waffe aus der Hand geschlagen. Sie stieß ein frustriertes Zischen aus, dann sprang sie auf das Dach und verschwand. Die zurückgebliebene Dämonin hob seelenruhig den Dolch auf und steckte ihn ein, dann wandte sie sich an die Exorzisten, welche sie verwirrt ansahen. "Es ist unhöflich zu starren.", wies sie die Jugendlichen genervt zurecht. Yukio richtete seine Waffen auf sie. Sie zuckte nicht mal mit der Wimper. "Ich habe dir und deinen Schülern grad das Leben gerettet. Vielleicht solltest du nochmal überdenken auf wen du eine Waffe richtest." Er ignorierte den Einwurf. "Wer bist du?" "Ich glaube Kaliya hat das schon gesagt, oder?" "Ich meine nicht nur den Namen! Du bist offensichtlich ziemlich hochrangig und hast sie ohne große Probleme vertrieben." "Meine Position spielt keine Rolle. Alles was du wissen musst ist, dass ich geschickt wurde, um deinen Hintern vor Attentätern wie sie zu retten. Zumindest solange bis die Ablösung kommt." Yukio war genervt von ihren vagen Antworten, doch fragte weiter. "Und was ist Kaliya? Sie ist anders als die bisherigen Dämonen." "Sie ist eine Naga. Ja, die gehören zu Amaimon, aber sie sind nur Nachkommen der ersten Naga zu denen Kaliya gehört." Sie hielt inne. "Gut, sie ist halb Naga und halb Dämon. Egal." "Und warum wollte sie mich töten?" Ankou verdrehte die Augen. "Na, das Gespräch hattest du doch schon mal." Endlich dämmerte es ihm. "Lilith?" "Wer sonst?" "Bisher war aber Ruhe. Warum kommt sie jetzt? Und warum sind hier so viele Dämonen unterwegs gewesen?", knurrte Bon. "Das kann ich nicht sagen." "Kannst nicht oder willst nicht?!" "Beides." Damit wandte sie sich um und wollte gehen. Ohne nachzudenken drückte Yukio ab. Sie sprang aus dem Weg und drehte sich um. Bevor jemand auch nur fluchen konnte, stand sie schon vor ihm und hatte ihn entwaffnet. "Das hättest du nicht tun sollen.", sagte sie düster. "Dann gib mir jetzt endlich verdammt nochmal Antworten!" Ihre Augen verengten sich. "Du hast dir nie wirklich die Mühe gemacht Rin Antworten zu geben. Ich denke, da ist es nur fair, wenn man den Spieß umdreht, oder?" "Rin? Du kennst ihn?", entfuhr es Shiemi. Die Dämonin zögerte kurz und verschränkte die Arme. Ihr Blick war noch immer auf Yukio gerichtet. "Ja, ich kenne ihn und es fällt mir ehrlich gesagt schwer zu glauben, dass ihr Zwillinge seid. Eure Auren ähneln euch überhaupt nicht." Der jüngere Okumura Zwilling biss die Zähne zusammen. "Woher kennst du ihn? Wie geht es ihm?" "Ihm geht es...den Umständen entsprechend. Mehr kann ich nicht sagen." "Den Umständen entsprechend?", echote Shima. "Es ist nicht eure Angelegenheit." "Er ist unser Freund!", hielt Shiemi dagegen. "Ach, wirklich? Wenn man die momentane Entwicklung bedenkt, bezweifle ich, dass dies noch lange der Fall sein wird. Menschen sind wahnsinnig wankelmütig und leicht zu beeinflussen. Nephilim finden nur selten wahre Freunde unter den Menschen." "Was weiß ein Dämon schon über Freundschaft?", knurrte Bon. "Einiges. Was wisst ihr über Dämonen? Irgendwelche Hirngespinste, die sich fanatische Volltrottel ausgedacht haben und im Laufe der Zeit immer absurder wurden." Sie schnaubte. "Ihr wisst um einiges weniger über uns als wir über euch, also seid einfach still. Und was dich angeht..." Erneut wandte sie sich an Yukio. "Ich beschütze dich nur, weil Lord Satan es mir befohlen hat, nicht weil ich irgendwas für dich übrig habe. Um ehrlich zu sein, habe ich dich beobachtet und auch einiges über dich gehört. Das reicht schon aus, damit du mir bis sonst wohin stehst. Ich werde meine persönlichen Gefühle zwar wie immer aus meinem Auftrag raushalten, aber auch meine Geduld hat Grenzen. Solltest du mich erneut angreifen, werde ich das nicht hinnehmen. Haben wir uns verstanden?" Er sah sie nur ablehnend an. Sie schien auch keine Antwort zu erwarten, denn sie drehte sich um und verschwand. ................................................................. Ankou hatte sich auf dem Dach niedergelassen und beobachte die Gruppe. Eine rothaarige Exorzisten mit ziemlich freizügigem Oberteil und einer sehr kurzen Hose war inzwischen ebenfalls eingetroffen. Sie hatte noch eine Exorzistin gesehen, die so herumlief, allerdings es war ihr ziemlich egal. Jeder sollte anziehen was er wollte, außer er war im Dienst. Einige Fetzen der Konversation waren zu hören, doch sie achtete nicht weiter darauf. Sie hatte gehofft eine direkte Konfrontation vermieden zu können, aber natürlich hatte das nicht funktioniert. Noch immer war sie überrascht, dass Kaliya sich tatsächlich nach Assiah schleichen konnte obwohl sie auf Gehennas Fahndungsliste ziemlich hoch war. Andererseits waren Liliths Anhänger schon immer kreativ gewesen. 'Halphas wird nicht begeistert, aber da kann man nichts tun.', dachte sie seufzend. 'Trotzdem tut er mir leid..' Moment. Energisch schüttelte sie den Kopf. Sie hatte jetzt keine Zeit dafür, sie musste sich auf ihre Mission konzentrieren. Die Ablösung würde hoffentlich bald kommen, bis dahin musste sie weiter auf dieses Gör aufpassen. Als Rin ihr von ihm erzählt hatte, war bereits die erste Abneigung aufgetreten. Sie war selber nicht ganz sicher weswegen, aber die Antwort kam schnell. So wie er mit Rin umgegangen war, ging auf keine Drachenhaut! Der Nephilim war gut gelaunt, optimistisch, irgendwie drollig und oft unschuldiger als ihm gut tat. Längst hatte sie eingesehen, dass sie ihn ins Herz geschlossen hatte. Vaya und den anderen Stellvertretern ging es wohl nicht anders (mit der Ausnahme von Alastor) auch wenn manche es vielleicht nicht direkt zugeben würden. Wie konnte jemand wie er mit Yukio Okumura verwandt sein? Egal. Ihre Gefühle waren belanglos. Wenn der Junge starb, lag es durchaus im Bereich des Möglichen, dass sie sein Schicksal teilen würde. Das stand außer Frage, sie konnte Vaya nicht alleine zurücklassen. Sie hatte es ihr versprochen. Ein paar Stunden später tauchte endlich die Ablösung auf. Sie übergab Kaliyas Dolch und warf sie einen letzen Blick auf die Exorzisten, dann verließ sie ihre Wirtin und kehrte nach Gehenna zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)