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Von Abenteuern und dergleichen

Die Geschichte eines Hobbitmädchens
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Anlässlich des Welthobbittages habe ich mir vorgenommen, endlich einmal meine HdR-Fanfiction hochzuladen, um mich selbst dazu anzutreiben, sie auch endlich komplett abzutippen. Handschriftlich habe ich sie nämlich schon seit Ewigkeiten fertig - das Notizbuch gammelte nur die ganze Zeit auf meinem Schreibtisch herum >_>"

Die Geschichte dreht sich überwiegend um Sams Tochter Goldfranse und Pippins Sohn Faramir. Soweit irgendwie vorhanden, habe ich mich bei den Charakteren immer an das Rote Buch gehalten. Komplette OCs wollte ich vermeiden, werden aber doch an ein paar Stellen auftauchen^^'

Der Prolog ist etwas kurz, ist aber hoffentlich auch eine nette Einstimmung.
Viel Spaß beim Lesen und vielen Dank im voraus für jeden Kommentar!
LG
Yosephia Komplett anzeigen

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Hort der Geschichten


 

Denn im Auenland schätzt man Dinge, die von Dauer sind. – Bilbo Beutlin
 

In Hobbingen, im Herzen des friedlichen Auenlandes, hatte es seit vielen Jahren immer wieder Gerede um Beutelsend gegeben. Bis zur Generation von Mungo Beutlin waren es angesehene Leute gewesen, sittsam, ruhig, vorhersehbar – kein guter Stoff für Klatsch und Tratsch, wie man ihn in Hobbingen doch so liebte. Doch seit dessen Sohn Bungo Beutlin Belladonna Tuk geheiratet hatte, war allerhand geschehen.

Bilbo Beutlins Verschwinden, seine fabulöse Rückkehr, seine Geschichten über Abenteuer mit Elben, Trollen, Zwergen, Schätzen, Drachen und Kriegen und besonders all die befremdlichen Gäste in den darauf folgenden Jahrzehnten hatten ihnen beinahe zu viel Gesprächsstoff geliefert… Man hatte sogar schon begonnen, sich Sorgen zu machen, ob Bilbo Beutlin nicht einen schlechten Einfluss auf die Kinder hätte.

Nach seinem skandalösen Abschied und der Übertragung Beutelsends an Frodo Beutlin hatte so manch eine Hobbitmutter erleichtert aufgeatmet. Frodo war aller zweifelhafter Abstammung zum Trotz ein anständiger Bursche gewesen. Bei seinem Verschwinden waren viele der Bewohner Hobbingens aus allen Wolken gefallen.

An die Monate, die darauf folgten, erinnerte sich kein Hobbit gern. Mochten die Sackheim-Beutlins auch vom ersten Tage an unausstehlich gewesen sein, so waren sie doch nichts im Vergleich zum alten Zauberer gewesen, der einige Monate später aufgetaucht war, Beutelsend besetzt und das Auenland in die Knechtschaft gezwungen hatte.

Dass Frodo und seine Gefährten diesem Albtraum ein Ende bereitet hatten, hatte sie zu den ersten echten Helden im Auenland gemacht. Frodo war ein guter Bürgermeister gewesen und sein Verschwinden einige Jahre später war nicht nur bemunkelt, sondern auch betrauert worden.

Seitdem war es jedoch endlich wieder ruhiger um Beutelsend geworden. Die Gamdschies, die nun dort wohnten, waren einfache, aber anständige Leute, ihre Kinder ausgesprochen reizend. An die gelegentlichen Besuche von Peregrin Tuk und Meriadoc Brandybock hatte man sich mit der Zeit gewöhnt.

Alles war in bester Ordnung. Es gab keinen Grund mehr für viel Getuschel…

Bis zu jenem denkwürdigen Tag, als ein Trio Hobbingen betrat, wie es dort noch nie gesehen worden war und wie es selbst im Rest von Mittelerde äußerst selten anzuschauen war: Ein Zwerg – gut, das kannte man ja aus Bilbos Zeiten –, ein Mensch – dass die „Großen“ gar nicht so weit entfernt vom Auenland lebten, wusste man ja – und ein Elb. Ein Elb! Niemand hier hatte jemals einen Elben gesehen!

Und obgleich keiner hier besonders viel davon verstand, merkten doch alle, dass an diesem Trio neben dem offensichtlich Sonderbaren noch etwas anderes war. Es war etwas an ihren Bewegungen und in ihren Blicken, das jeden Hobbit stutzen ließ, welchen sie auf ihrem Weg nach Beutelsend begrüßten. Wie ein Leuchten war es. Kaum zu beschreiben und doch war es ganz unübersehbar da.

Das bedeutete neue Aufregung, dessen konnte man gewiss sein. Der Wirt des Gasthauses Zum Grünen Drachen erkannte dies als einer der Ersten und alsbald schwärmten alle seine Gehilfen in Wasserau und Hobbingen aus, um die Biervorräte im Keller aufzustocken…

Das Kind mit der Axt


 

Was man nie anpackt, dauert am längsten, hat der alte Ohm immer gesagt. – Samweis Gamdschie
 

Lachend schlugen Merry und Pippin sich auf die Oberschenkel, als ihre Freunde ihnen von den Blicken der Hobbits erzählten. Einen so großartigen Spaß hatten sie schon seit vielen Jahren nicht mehr gehabt.

Nur Sam verzog wehleidig das Gesicht und sah seine Gäste vorwurfsvoll an. „Es ist schön, dass ihr endlich hier seid, aber musstet ihr wirklich am helllichten Tag durch ganz Hobbingen wandern? Darum werden sich noch in fünfzig Jahren Gerüchte ranken!“

Aragorn lachte. „Die Zeiten, als wir heimlich wandern mussten, sind vorbei, mein Freund.“

„Außerdem scheint ihr Hobbits solche Aufregung von Zeit zu Zeit gut gebrauchen zu können“, fügte Gimli glucksend hinzu, während er seine große Kampfaxt im Eingangsraum an die Wand lehnte, die er eigentlich nur noch aus Gewohnheit und nicht aus Notwendigkeit bei sich trug. Eine Gewohnheit, die Aragorn und Legolas teilten, denn auch sie waren nicht ohne Waffen durch ganz Mittelerde hierher gereist.

Tröstend legte Legolas dem Gastgeber eine Hand auf die Schulter, obwohl auch er ein Schmunzeln nicht verbergen konnte. „Ihnen wird sicher bald die Lust an diesem Thema vergehen.“

„Da kennst du Merry und Pippin aber schlecht“, seufzte Sam und deutete anklagend auf seine alten Reisegefährten, welche prompt Unschuldsmienen aufsetzten.

Sie machten es sich im Kaminzimmer mit Vierzehnzwanziger Malz und Altem Tobi bequem. Es war das erste Mal seit fünfzehn Jahren, dass sie wieder zusammen saßen. Umso schmerzlicher fühlte sich die Abwesenheit ihrer Gefährten an: Boromir, dessen Gebeine irgendwo am Grund des Anduin ruhten. Frodo und Gandalf, die jetzt wahrscheinlich über die alten Gestade wanderten, über welche die ersten Elben bereits gewandelt waren, als Mittelerde noch ein lebloser Klumpen Erde gewesen war…

Mit gedämpften Stimmen stießen sie auf jeden einzelnen an und ließen dem die Namen jener Kriegshelden folgen, an deren Seite sie vor Jahren gekämpft hatten. Als sie König Theoden von Rohan gedachten, musste Merry heftig blinzeln, ehe er sich wieder unter Kontrolle hatte.

Ein lautes Poltern riss sie alle aus ihrer Trance. Sie sprangen auf und eilten in den Eingangsraum zurück, wo ihnen ein blondgelocktes Hobbitkind nervös entgegen blinzelte, die viel zu kleinen Hände auf Gimlis umgekippte Axt gelegt.

„Goldi, was machst du denn?“, rief Sam und eilte zu seiner dritten Tochter.

„Schwer“, nuschelte sie eher frustriert als schuldbewusst.

Gimli und Aragorn lachten ausgelassen und der Zwerg stapfte an seinem Hobbitfreund vorbei, lud sich dessen Kind mit einer Hand mühelos auf die Schulter und stellte mit der anderen die Axt wieder hin.

Goldfranse jauchzte glücklich und streckte die Hände nach der Decke aus. So beladen kehrte Gimli mit den Anderen ins Kaminzimmer zurück, wo das Mädchen auf seinen Schoß kletterte und fordernd die Hände nach dem Helm ausstreckte. Gutmütig gewährte Gimli ihm diesen Wunsch und setzte vorsichtig den Helm auf den blonden Schopf, welcher vollständig darunter verschwand. Ein gurrendes Oh hallte darunter hervor.

„Eine Abenteurerin durch und durch“, stellte Gimli mit großer Sympathie fest. „Mit ihr hast du wahrscheinlich deine liebe Mühe und Not, Sam.“

„Kann man wohl sagen“, brummelte der Gärtner. „Ich musste Stich bereits einschließen und der Schlüssel ist nirgendwo lange sicher.“

„Bei so vielen Kindern musste ja auch mal eines mit Abenteuerlust dabei sein“, lachte Pippin und strich über die braunen Locken seines Sohnes Faramir.

„Mir wäre es lieber, sie würde sich etwas zügeln“, gestand Sam, obgleich der Blick, mit dem er Gimlis wackelnden Helm bedachte, voll hingebungsvoller Zärtlichkeit war. „Alle gleichaltrigen Jungen in Hobbingen haben Angst vor ihr, weil sie alle im Stockkampf besiegt hat.“

Aragorn lachte wieder und blinzelte seinem Freund scherzhaft zu. „Wenn ich mal Schwierigkeiten haben sollte, meine Garnisonen zu bemannen, weiß ich ja, wo ich suchen muss.“

„Sag’ das ja nicht zu laut“, seufzte Sam.

Doch Goldfranse hatte den König von Gondor sehr wohl verstanden – und während die alten Reisegefährten sich wieder der Bequemlichkeit hingaben, klopfte ihr kleines Herz vor Aufregung. Seit sie selbstständig laufen konnte, brannte sie darauf, die Welt zu entdecken. Mit ihren drei Lenzen war ihr das beschauliche Hobbingen längst zu klein geworden.

Eines Tages – wenn Eleanor, Frodo und die Anderen nicht mehr mit Argusaugen über sie wachten – würde sie weiter gehen als jeder Hobbit vor ihr…!

Die Sorgen eines Vaters


 

Ob Abkürzung oder Umweg – ich komme gewöhnlich da an, wo ich hin will. – Aragorn
 

Geschmeidig sprang Goldfranse über den letzten Bach, der sie von Beutelsend trennte, und setzte zum Endspurt an. Ihre von der Sonne beinahe weiß gebleichten Haare schlugen in einem dicken Zopf immer wieder auf ihren Rücken.

Die Wiese war schnell überquert, danach ging es im Zickzack um die liebevoll gepflegten Blumenbeete des Vorgartens herum. Dann war er nur noch wenige Schrittlängen vor ihr: der Gartenzaun – und dahinter die Pforte von Beutelsend.

Obwohl sie wusste, dass ihre Mutter sie dafür schelten würde, verlängerte Goldfranse ihre Schritte, anstatt anzuhalten, und sprang mit einem Satz über den kleinen Zaun hinweg. Stolz bemerkte sie, dass sie es problemlos auch über einen doppelt so hohen Zaun geschafft hätte.

Keuchend kam sie vor der Pforte zum Stehen und machte sich an den Bändern zu schaffen, mit welchen sie ihren Rock hoch geschnürt hatte, um besser laufen zu können.

„Zu spät wie üblich.“

Goldfranse hob den Blick und begegnete dem amüsierten Blick ihre ältesten Bruders Frodo, der in der Eingangstür lehnte. Er war vor zwei Jahren nach Auenlandmaßstäben volljährig geworden und es gab in Hobbingen so einige Mädchen, die inständig hofften, dass Frodo diesen Umstand endlich zum Anlass nahm, um auf Brautschau zu gehen. Allerdings wäre es Goldfranse neu, wenn ihr Bruder derartige Pläne hätte.

„Ist es Mutter schon aufgefallen?“, fragte sie und löste das Band, welches ihren Zopf zusammen hielt. Wie eine weißgoldene Flut ergossen sich die Locken über den schmalen, doch kräftigen Schultern.

„Du bist eine Stunde zu spät, also was denkst du?“, erwiderte Frodo spöttisch und zog ein Buch aus Goldfranses Schürze, um den Titel zu lesen. Seine Augenbrauen wanderten nach oben. „Seit wann lernst du die Sprache der Zwerge?“

„Schon eine Weile, aber es ist schwierig, wenn man immer nur so wenig Zeit hat.“

„Vielleicht solltest du endlich von gewissen anderen Zeit raubenden Übungen ablassen.“

Ehe Goldfranse gegen diesen Vorschlag protestieren konnte, erklang hinter Frodo Rose Gamdschies Stimme: „Frodo, ist Goldi endlich da?“

„Gerade angekommen“, antworte Frodo und ließ das Büchlein in seiner Westentasche verschwinden.

„Danke“, wisperte Goldfranse und eilte an ihrem Bruder vorbei ins Haus.

„Für dich immer“, erwiderte er leise und zupfte ein Blatt aus ihren Haaren, ehe er die Tür schloss.

Im Flur geriet Goldfranse ins Stocken. An der Kommode hingen mehrere Reisemäntel, die unwillkürlich das Herz des Hobbitmädchens höher schlagen ließen. Hastig drehte sie sich zu Frodo um, der mit einem Nicken nach rechts in Richtung des Arbeitszimmers deutete.

„Ich sage Mutter, dass du dir noch das Gesicht wäschst“, versprach er und ging nach links, wo die Küche lag, in welcher Goldfranse schon seit einer Stunde Tüften schälen sollte.

Dankbar huschte Goldfranse zur Arbeitszimmertür. Die Entschuldigung würde ihr vielleicht fünf Minuten Zeit verschaffen, ehe ihre Mutter ungeduldig wurde. Genug Zeit, um wenigstens ein bisschen etwas zu erfahren. Geübt ging sie in die Hocke und schob ihr Ohr über ein winziges Loch in der Tür – zu klein, um hindurchspähen zu können, aber perfekt zum Lauschen.

„… ieben Monaten ist es so weit. Genug Zeit, damit wir dabei sein können“, erklang Meriadoc Brandybocks heitere Stimme. Obwohl der Herr von Bockland mit seinen siebzig Lenzen nicht mehr zum „Jungvolk“ gehörte, klang er immer noch genau so. Goldfranse hatte sein unternehmungslustiges Grinsen und das Leuchten in seinen Augen genau vor Augen. Allein von der Vorstellung wurde sie ganz hibbelig.

„Wir sind alle Drei eingeladen. Legolas und Gimli werden bestimmt auch dabei sein. Noch mal mit der Gemeinschaft zusammen sein, klingt das nicht großartig?“, fügte Peregrin Tuk, der Tuk und Thain des Auenlandes, enthusiastisch hinzu. „Unterwegs könnten wir einige alte Freunde besuchen und-“

„Das ist eine Reise quer durch Mittelerde“, unterbrach Sam seinen Freund und Goldfranse wusste sofort, dass er die Stirn runzelte.

„Aber wir können dieses Mal reiten und müssen uns nicht verstecken. Die Pforte von Rohan ist jetzt sicher. Wir kommen nicht einmal in die Nähe von Ork-Gebieten. Das müsstest du doch am besten wissen, du warst doch vor dreizehn Jahren dort!“

Goldfranses Herz klopfte schneller. Redeten Merry und Pippin etwa davon, nach Gondor zu reisen? Bei der bloßen Vorstellung wurde ihr ganz schwummrig vor Aufregung.

„Dennoch wäre es ein ganzes Jahr oder mehr, das wir weg wären. Ich kann und will Rose nicht so lange mit den Kindern alleine lassen.“

„Und mit so vielen Kindern durch ganz Mittelerde zu reisen, kommt natürlich nicht in Frage“, schlussfolgerte Merry. „Aber wie wäre es, wenn wir ein oder zwei mitnehmen, die alt genug sind? So wie Eomer und Faramir hier?“

Goldfranses Herz machte mehrere aufgeregte Hüpfer. Doch die Worte ihres Vaters ließen die auflodernde Freude ersticken.

„Nein, sie sollen sich auf ihr Leben hier konzentrieren.“

„Auch Goldi?“, fragte eine andere – jüngere – Stimme, die dem lauschenden Hobbitmädchen eine wohlige Gänsehaut bescherte.

„Ganz besonders sie“, erklärte Sam nachdrücklich, aber auch besorgt. Dennoch brach er seiner Tochter damit das Herz. „Ihr Platz ist hier und das sollte sie endlich begreifen. Bei all ihren Träumereien von Abenteuern macht sie sich keine Vorstellungen davon, wie gefährlich es noch immer ist.“

„Sie ist kein kleines Kind mehr, Sam“, wandte Pippin ungewöhnlich behutsam ein. „In ein paar Jahren wird sie womöglich alleine aufbrechen. Bei Merry und mir ist sie da doch sicherer.“

„In ein paar Jahren ist sie hoffentlich schon verheiratet…“

Goldfranse riss den Kopf zurück und legte eine Hand auf die Klinke. Wie konnte ihr Vater nur so denken? War sie wirklich so ein schlechtes Kind in seinen Augen? Sie wollte ihren Vater zur Rede stellen, wollte ihn anflehen, sie mitreisen zu lassen – doch in diesem Moment hörte sie ein missbilligendes Seufzen hinter sich.

Rose Gamdschie war mit den Jahren und Schwangerschaften etwas rundlicher geworden und hatte schon einige Fältchen an den Augen, aber nach Hobbitmaßstäben war sie immer noch ausgesprochen hübsch. Von allen Gamdschie-Kindern sah Goldfranse ihr am ähnlichsten, aber damit war das Repertoire an Gemeinsamkeiten zwischen Mutter und Tochter auch schon erschöpft.

„Wir warten schon seit mehr als einer Stunde darauf, dass du uns in der Küche hilfst, und du amüsierst dich mit Albernheiten.“

Goldfranse biss sich auf die Unterlippe, um eine Erwiderung zurück zu halten. Das waren keine Albernheiten. Weder das, was sie im Wald trieb, noch das hier. Aber dafür hatte ihre Mutter keinerlei Verständnis. Sie war nun einmal durch und durch ein Hobbit, der trotz einer langen Reise nach Gondor auch heute noch gedanklich fest in Hobbingen verwurzelt war. Und sie versuchte immer noch, aus ihrer Tochter einen ebensolchen Hobbit zu machen. Deshalb durfte Goldfranse auch nur solche Aufgaben machen, die von einem vernünftigen Hobbitmädchen erwartet wurden. Holzhacken war Männerarbeit, sie musste kochen und nähen und ihre jüngeren Geschwister hüten.

Goldfranse schluckte alle bissigen Kommentare herunter, die ihr dazu einfallen würden, und nickte stattdessen ergeben. Ihre Hand rutschte von der Klinke und sie drehte sich der Küche zu. „Tut mir Leid, Mutter, es wird nie wieder vorkommen“, murmelte sie.

In der Küche waren ihre jüngeren Schwestern Margerite und Primula bereits dabei, Gemüse zu schälen und zu schneiden, während Frodo am Feuer stand und zwei fette Hühner regelmäßig am Spieß darüber drehte. Er warf Goldfranse einen fragenden Blick zu, doch sie sah nicht einmal in seine Richtung, sondern wandte sich sofort den Tüften zu.

Als sie hörte, wie die Arbeitszimmertür geöffnet wurde, drehte sie sich nicht um. Sie hielt die ganze Zeit den Blick auf ihre beschäftigten Hände gesenkt, obwohl sie die Blicke der Gäste und ihres Bruders deutlich spüren konnte.

Sollten sie alle denken, was sie wollten. Sollte ihr Vater ruhig glauben, er könne sie zähmen. Sie würde es allen beweisen!

Ein Mädchen auf Abwegen


 

Es ist eine gefährliche Sache, Frodo, aus deiner Tür hinauszugehen. Du betrittst die Straße, und wenn du nicht auf deine Füße aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen. – Bilbo Beutlin
 

Es war eine wolkenlose, milde Sommernacht. Feine Mondstrahlen fielen durch Frodos Fenster auf seinen Schreibtisch. Die schwarze Feder, mit der Frodo immer seine Beobachtungen zu allem festhielt, was mit der Gartenpflege zu tun hatte, schimmerte geheimnisvoll. Der zurückgezogene Vorhang raschelte beinahe lautlos im seichten Wind.

Im Flur war ein Knarren zu hören. Unwillkürlich hielt Frodo die Luft an, lauschte angestrengt nach draußen. Als auch nach mehreren Sekunden nichts zu hören war, seufzte er – erleichtert und besorgt zugleich. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte ein kleiner Teil von ihm schon gehofft, dass Goldfranse erwischt wurde. Doch er hätte es niemals übers Herz gebracht, seine kleine Schwester zu verraten. Also hatte er geschwiegen, als er heute Nachmittag begriffen hatte, was sie vorhatte. Er hatte es ihrem Glück und Geschick überlassen, ob ihr die Flucht gelang oder nicht.

Nun hatte sie es geschafft. Sie würde Merry und Pippin folgen und mit etwas Glück würde sie all jene Orte sehen, von denen Frodo ihr vom Tage ihrer Geburt an immer aus den vielen Aufzeichnungen Bilbos und Frodos hatte vorlesen müssen. Der Gedanke, wie vielen Gefahren sie dabei ausgesetzt sein würde, bereitete dem jungen Gärtner Bauchschmerzen, aber er wusste auch, dass es viel schlimmer wäre, Goldfranse weiterhin zu zähmen. Daran würde das lebenslustige Hobbitmädchen auf lange Sicht zugrunde gehen. Wie ein Singvogel in einem Käfig.

Hoffentlich würden ihre Eltern das auch bald verstehen…
 

Behaglich saßen Merry Brandybock und Pippin Tuk an ihrem Lagerfeuer und rauchten Pfeife. Nach ihrem Aufbruch von Beutelsend waren sie im gemütlichen Schritt nach Osten geritten. Weit waren sie heute nicht mehr gekommen, aber die alten Freunde hatten es nicht eilig, den Brandywein zu überqueren. Sie waren erst am Nachmittag aufgebrochen und es gab keinen Grund, zur Eile anzutreiben. Immerhin hatten sie ein halbes Jahr Zeit, um nach Minas Tirith zu gelangen. Das war genug Zeit, um an einigen denkwürdigen Orten Halt zu machen, die sie schon lange nicht mehr besucht hatten.

Für ihre Söhne war es die erste große Reise. Bislang waren Eomer Brandybock und Faramir Tuk nie über die Grenzen des Auenlandes hinaus gekommen, aber sie galten auch so schon als besonders umtriebig. Seit fünf Jahren erkundeten sie alle Winkel des Auenlandes, vom Bockland bis zur Westmark, von Langgrund im Süden bis Langcleeve im Norden, wo die Familie von Faramirs Mutter Juweline lebte. Die Fernen Höhen und die Weißen Höhen hatten die beiden Burschen erkundet, sogar in den Turmbergen waren sie unterwegs gewesen.

Für Merry und Pippin hatte es außer Frage gestanden, ihre Söhne gewähren zu lassen. Das Auenland war ihre Heimat und irgendwann würden sie einige der wichtigsten Titel dieses Landes erben. Faramir als Tuk und Tain und Eomer als Herr von Bockland würden genau wie ihre Väter vor ihnen Ratsherren im Nordkönigreich werden. Es war nur rechtens, dass sie zuvor das Land kennen lernten, für das sie später einmal so viel Verantwortung tragen würden.

Nun würden die Beiden die Gelegenheit haben, einige der Orte kennen zu lernen, von denen ihre Väter ihnen schon so oft erzählt hatten. Sie würden ihre Namenspatronen König Eomer von Rohan und Fürst Faramir von Ithylien kennen lernen, König Elessar von Gondor, den Merry und Pippin vor so vielen Jahren unter dem Namen Streicher kennen gelernt hatten, und die wunderschöne Königin Arwen, die sich gegen das unsterbliche Leben der Elben entschieden hatte.

Der Gedanke machte Merry stolz, aber zugleich bedauerte er es, dass Sam ihnen allen guten Zuredens zum Trotz nicht erlaubt hatte, Goldfranse mitzunehmen. Die anderen Gamdschie-Kinder hatten kein Problem damit, die Wunder Mittelerdes nicht kennen zu lernen, aber solange Merry sich erinnern konnte, hatte gerade Goldfranse, das sechste Kind von Sam und Rose, sich immer nach genau diesen Wundern gesehnt. Zum Glück hatte sie nichts von der geplanten Unternehmung erfahren, sonst wäre sie wohl am Boden verstört.

Ganz gewiss lag es nicht in Sams Absicht, seine Tochter unglücklich zu machen. Er liebte sie voller Hingabe, wie er jedes seiner Kinder liebte. Für seine Familie würde der gutmütige Gärtner noch mal bis zum Schicksalsberg laufen oder sogar kriechen, wenn es sein müsste. Reine Sorge um das Wohl seiner Tochter trieb ihm an, da war Merry sich sicher. Im Grunde konnte er das sogar sehr gut verstehen, aber gutheißen konnte er das in Goldfranses Fall nicht. Dennoch hatten er und Pippin entschieden, sich nicht über Sams Wünsche hinweg zu setzen. Sie hatten dem Mädchen nichts von der Reise erzählt und dafür gesorgt, dass auch ihre Söhne nichts dergleichen taten, die gut mit Goldfranse befreundet waren.

„In Bockland rüsten wir uns für die Reise aus“, durchbrach Pippin die Stille im Lager und blies eine Rauchwolke in die Luft. „Es liegt ja schon alles bereit, wir müssen nur noch den Proviant einpacken.“

„Wir werden uns nicht lange dort aufhalten“, ergänzte Merry und klopfte den Ruß aus seiner Pfeife, ehe er damit drohend in Richtung seines ältesten Sohnes deutete. „Aber unterstehe dich, deiner Schwester viel davon zu erzählen. Ich will nicht, dass Eowyn uns nachläuft.“

„Ich auch nicht“, erwiderte Eomer mit leidiger Miene. Als die fünfjährige Eowyn vor drei Monaten Eomer und Faramir heimlich gefolgt war, als sie zu den Fernen Höhen aufgebrochen waren, musste das für die Beiden ein genauso großer Schrecken gewesen sein wie für Merry, als dieser das Verschwinden seiner Tochter bemerkt hatte. Zwar war dem Mädchen nichts passiert und die Jungen hatten es auf schnellstem Wege zurück nach Hause gebracht, aber auf ein weiteres Abenteuer dieser Art konnten sie alle verzichten.

„Vielleicht sollten wir erst in Bockland einkehren, wenn Eowyn schon im Bett liegt“, schlug Pippin mit einem schiefen Lächeln vor.

„So wie in Beutelsend“, murmelte Faramir, der Gedanken verloren ins Feuer starrte.

Unwillig verzog Pippin das Gesicht und setzte schon an, etwas zu sagen, als ihn etwas aufhorchen ließ. Faramir und Eomer ließen nicht erkennen, ob sie etwas bemerkt hatten, aber Merry richtete sich ebenfalls auf und blickte hinter sich, ehe er die Stimme erhob: „Zeige dich! Heimliche Zuhörer sind hier nicht erwünscht!“

Überrascht fuhren Eomer und Faramir herum, als ausgerechnet Goldfranse mit dem Pony ihres Vaters aus dem Dickicht trat. Das musste Merry ihr dabei lassen: Ihr war nicht einmal in Ansatz so etwas wie Reue anzusehen. Sie war ganz offensichtlich wild entschlossen.

„Also hast du doch etwas mitbekommen“, stellte Pippin nüchtern fest.

„Ich bin nach Hause gekommen, als ihr mit Vater im Arbeitszimmer gesprochen habt. Für ein paar Minuten konnte ich lauschen.“

„Nicht gerade die feine Art, aber sehr hobbitmäßig“, stellte Merry erheitert fest, ehe er ernst wurde. „Sam will nicht, dass du mit uns kommst. Er macht sich Sorgen um dich.“

„So sehr, dass er mich verheiraten will“, entgegnete Goldfranse erbittert, ehe sie rebellisch den Kopf schüttelte. „Aber ich habe andere Pläne! Ich will auch nach Gondor.“

Merry ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und packte sorgfältig seine gesäuberte Pfeife wieder ein, ehe er Goldfranse unnachgiebig in die Augen blickte. „Wir nehmen dich aber nicht mit. Du wirst zurück nach Beutelsend gehen.“

„Wollt ihr mich zwingen?“, fragte Goldfranse entrüstet.

„Und wenn wir dich in einem Sack verschnüren müssen, du kehrst heim.“
 

Im Nachhinein fragte Faramir sich, wie es nur so weit hatte kommen können. Eigentlich hatte er mit der ganzen Angelegenheit nichts weiter zu tun haben wollen. Weder hatte er Goldfranse erzürnen, noch für sie Partei ergreifen wollen. Dennoch hatte sein Vater letztendlich entschieden, dass er es sein sollte, der die gefesselte Goldfranse auf ihrem Pony zurück nach Beutelsend brachte. Die Fesseln waren gerade fest genug, damit das Mädchen sie nicht abstreifen konnte, aber eigentlich nicht wirklich fest – doch es tat Faramir dennoch Leid.

Oder vielleicht täte es ihm Leid, wenn Goldfranse ihm nicht schon seit Stunden ein Ohr abkauen würde. Jeden noch so kleinen Gefallen, den er ihr schuldete, rief sie ihm in Erinnerung. Sie stocherte sogar in der peinlichen Geschichte herum, als er als kleiner Junge Reißaus vor einer gewöhnlichen Blindschleiche genommen hatte.

„Schluss jetzt!“, knurrte er schließlich und zügelte beide Ponys. „Vater hat mir befohlen, dich nach Beutelsend zu bringen. Ich finde das auch nicht lustig, ich werde den ganzen Weg nach Bockland traben müssen, um Vater und die Anderen einzuholen.“

„Du könntest mich einfach schon hier absetzen, dann würdest du schneller wieder aufholen“, schlug Goldfranse patzig vor.

„Als ob du brav nach Hause reiten würdest“, schnaubte Faramir und trieb sein Pony wieder an.

„Selbst wenn du mich dort absetzen würdest, würde ich euch wieder folgen. Ich werde niemandem verraten, dass du mich nicht ganz dorthin gebracht hast.“

„Und dann willst du uns den ganzen Weg nach Gondor folgen?“

„Vielleicht. Oder vielleicht reite ich auch nach Westen und besuche die Grauen Anfuhrten und danach die Turmberge. Auf alle Fälle will ich nicht mein ganzes Leben lang in Hobbingen versauern.“

Damit hatte sie einen wunden Punkt bei Faramir erwischt. Von Anfang an hatte er ein schlechtes Gewissen gehabt, weil Goldfranse von ihrem Vater regelrecht gefangen gehalten wurde, während er und Eomer das gesamte Auenland erkundeten. Mehrmals hatte er Sam ohne Goldfranses Wissen vorgeschlagen, dass seine Tochter sie ja begleiten könnte, dann hätte jemand ein Auge auf sie – doch Sam hatte jedes Mal abgelehnt.

„Wenn du mir versprichst, wirklich nicht nach Bockland zu reiten, lasse ich dich hier gehen“, seufzte Faramir schließlich.

Überrascht sah Goldfranse ihn an, ehe sie heftig nickte. „Ich verspreche es!“

Schon wieder seufzend lenkte Faramir sein Pony herum und hielt direkt neben Goldfranse, um ihre Fesseln zu lösen. Sie verdrehte den Kopf, um ihn dabei beobachten zu können. Für einige Sekunden begegneten ihre Blicke einander und Faramir wünschte sich, die Dinge lägen anders zwischen ihnen. Schnell senkte er den Blick auf das Seil und rollte es sorgsam ein, ehe er es in seine Satteltasche stopfte.

„Also dann… pass’ gut auf dich auf“, verabschiedete er sich lahm.

„Du auch“, murmelte sie und lenkte ihr Pony nach Westen.

Erst nach mehreren Sekunden schaffte Faramir es, den Blick wieder zu heben, um Goldfranse hinterher zu schauen. Ihr Rücken wirkte steif, ansonsten war ihr nicht anzumerken, wie enttäuscht sie war. Es hinterließ einen bitteren Beigeschmack, zu dieser Enttäuschung beigetragen zu haben.

Schweren Herzens wendete Faramir sein Pony nach Osten und trieb es an. Er fühlte sich auf einmal, als hätte er tonnenschweres Gepäck auf dem Rücken…

Eine Etappe in Bree


 

Na schön, ich folge dir durch jeden Sumpf und Graben. – Peregrin Tuk
 

Seit sie lesen konnte, hatte Goldfranse bei jeder Gelegenheit die zahlreichen Karten der verschiedenen Winkel Mittelerdes studiert, welche seinerzeit Bilbo Beutlin zusammen getragen oder selbst angefertigt hatte. Mit klopfendem Herzen hatte sie mit den Fingern den Weg der Ringgefährten verfolgt, hatte die Namen von Städten, Flüssen, Wäldern und Gebirgen auswendig gelernt und jeden Reisebericht gelesen, den sie hatte finden können. Irgendwann hatte sie sogar selbst eine Karte von Mittelerde gezeichnet und all die Orte markiert, die sie gerne besuchen würde.

Mit all dieser Vorarbeit war es ein Leichtes gewesen, über Schleichwege nach Bree zu gelangen. Dass sie ihr Versprechen gegenüber Faramir gebrochen hatte, tat ihr Leid, aber sie hatte sich zu lange mit Hobbingen zufrieden geben müssen. Es war einfach an der Zeit gewesen, das hatte sie irgendwie gespürt!

Es war berauschend, über die Brandyweinbrücke zu reiten, zum ersten Mal Bockland zu sehen und schließlich das Auenland zu verlassen, um der nun wieder gut ausgebauten Straße bis nach Bree zu folgen. Die Handelsstadt war noch viel größer und lauter, als Goldfranse es sich vorgestellt hatte – und obwohl sie davon zunächst auch verunsichert wurde, wollte sie es sich nicht nehmen lassen, das Gasthaus Zum tänzelnden Pony aufzusuchen. Hier waren Frodo und seine Hobbitgefährten vor vielen Jahren König Aragorn begegnet, der damals unter dem Namen Streicher durchs Land gezogen war!

Während Goldfranse ungeschickt auf einen viel zu großen Barhocker kletterte, überlegte sie, wo wohl damals Aragorn gesessen hatte.

„Na, junges Mädchen, heiße Milch vielleicht?“, fragte der Wirt spöttisch, während er einen Bierkrug sauber wischte.

Er hatte einen Schmähbauch und einen großen Schnurrbart – anscheinend typische Merkmale für einen Wirt –, aber er ließ das gütige Lächeln vermissen, das der Wirt vom Goldenen Drachen in Hobbingen immer trug.

Goldfranse errötete vor Ärger, aber sie versuchte, ruhig zu bleiben, und erwiderte: „Nein, mein Herr, mir steht der Sinn eher nach einem halben Krug Bier.“

Zweifelnd sah der Mann sie an. Erst als sie einige Münzen für ihr Bier auf den Tresen legte, zuckte er mit den Schultern und griff nach einem hobbitgerechten Krug, um ihr Bier abzuzapfen. Nachdem er den Krug vor ihr abgestellt hatte, zählte er die Münzen dreimal, dann wandte er sich wortlos ab. Zufrieden nippte Goldfranse an ihrem Bier und sah sich um.

Ihr Vater hatte ihr erst vor fünf Jahren das erste Mal erlaubt, Bier zu trinken, aber sie hatte es auch vorher schon mehrmals probiert. Frodo hatte es ihr einige Male ermöglicht – wobei er sie immer dabei überwacht hatte – und ein paar Mal war sie mit ihren Brüdern Merry und Pippin in den Vorratskeller von Beutelsend geschlichen. Diese Erfahrungen genügten, um dieses Bier als ausgesprochen schmackhaft einstufen zu können.

Wohlig seufzend zog Goldfranse eine der Karten aus ihrer Jackentasche, die sie aus der Bibliothek von Beutelsend geliehen hatte, und fuhr mit dem Finger den Weg von Beutelsend nach Bree nach. Ihre nächsten Ziele waren die Wetterspitze und Bruchtal. Es lebten nur noch wenige Elben dort, aber zu diesen wenigen zählten auch Elladan und Elrohir, die Söhne Elronds, welche ihrerzeit an der Seite Aragorns und der Dúnedain auf den Pelennor-Feldern und vor dem Schwarzen Tor gekämpft hatten. Zu gerne würde Goldfranse die Beiden kennen lernen und durch diesen geschichtsträchtigen Ort wandeln. Und ihre Elbisch-Kenntnisse würde sie auch gerne erproben!

Als sie gerade wieder nach ihrem Bierkrug greifen wollte, schubste ihr rechter Sitznachbar sie an, als er von seinem Hocker stieg. Der Krug fiel um und sein Restinhalt ergoss sich über den Tresen. Goldfranses Karte war ruiniert und nicht nur die: Ihr Sitznachbar zur Linken schien ein Kaufmann zu sein. Oder etwas ähnlich Geschäftiges – auf alle Fälle hatte er mehrere Verträge vor sich liegen, welche prompt der Bierflut zum Opfer fielen.

„Du dumme Göre, pass’ doch auf!“

Goldfranse hatte keine Chance, den Vorgang zu erklären. Der Kaufmann zog seine eigenen Schlüsse, packte sie am Kragen und hätte wohl auf mehr als nur eine Weise seine Wut an ihr ausgelassen, wenn sich da nicht auf einmal eine Hand auf seinen Arm gelegt hätte. Gemeinsam blickten Goldfranse und der Kaufmann den Arm entlang, der zu der Hand gehörte, und schließlich ins Gesicht des hochgewachsenen Hobbits, der zu ihnen getreten war.

Es war niemand Geringerer als Meriadoc Brandybock, der Herr von Bockland und Mitglied des Königlichen Rates im Norden Mittelerdes. Ganz offensichtlich erkannte der Kaufmann ihn, denn er ließ Goldfranse augenblicklich los. Zwar schien er immer noch wütend zu sein, aber er wollte sich wohl nicht offen mit einer lebenden Legende anlegen.

„Gibt es ein Problem, mein Herr?“, fragte Merry betont gelassen, aber Goldfranse entging nicht, dass seine freie Hand auf dem Schwertknauf ruhte.

Selbst als einer der größten Hobbits der Geschichte war er immer noch ein gutes Stück kleiner als der Kaufmann, aber er bot ein beeindruckendes Bild. Gestraffte Schultern, stählerner Blick, das Schwert an seinem Gürtel, dessen abgewetzter Griff verriet, wie oft er die Waffe bereits in der Hand gehabt hatte…

„Ein Missgeschick, nichts weiter“, murmelte der Kaufmann und wandte sich brüsk ab.

Zufrieden wandte Merry sich dem Wirt zu, der das ganze Geschehen wachsam beobachtet hatte: „Fünf halbe Bier, mein Herr. Und das dort geht auf meine Zeche.“ Er deutete auf Goldfranses umgestoßenen Krug.

Ohne auf eine Erwiderung zu warten, fasste er danach Goldfranse am Arm, griff mit der anderen Hand nach ihrem prallen Rucksack und zog sie mit sich in eine ruhigere Ecke des Schankraums, wo Pippin, Faramir und Eomer saßen. Goldfranse wurde auf einen leeren Stuhl gedrückt. Unbehaglich rutschte sie darauf herum und mied jeden Blick in Faramirs Richtung, der sie böse anfunkelte.

Merry und Pippin warteten noch ab, bis alle ihr Bier hatten, dann fixierten sie das Hobbitmädchen mit ihren Blicken.

„Pip, mein Freund, mir war so, als hätten wir ihr gesagt, dass sie zu ihrem Vater zurückgehen soll…“

„So habe ich es auch in Erinnerung“, sagte Pippin und blickte mit einem Stirnrunzeln zu seinem Sohn.

Der errötete und öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, doch Goldfranse kam ihm zuvor: „Ich habe ihn an der Grenze von Hobbingen überredet, mich alleine weiter reiten zu lassen.“

„Weiter geritten bist du auch, nur nicht in die richtige Richtung“, stellte Pippin fest, der zu Goldfranses großer Erleichterung davon Abstand zu nehmen schien, seinen Sohn zu schelten.

„Und du wirst auch nicht in die richtige Richtung reiten, nicht wahr?“, seufzte Merry und nippte an seinem Bier, ohne das Mädchen aus den Augen zu lassen.

Als Goldfranse den Kopf schüttelte, brummte Pippin in seinen Krug hinein. „Irgendwann musste es ja so weit kommen…“

„Was heißt das jetzt?“, mischte Eomer sich ein.

„Das heißt…“, seufzte Merry erneut, schob seinen Bierkrug beiseite und begann in seinen Taschen zu kramen, „dass wir Sam einen sehr unerfreulichen Brief schicken müssen…“
 

Lieber Sam,

Wir wollten uns gewiss nicht über deinen Willen hinweg setzen, aber Pip und mir bleibt keine Wahl mehr. Goldi wird sich so oder so auf die Reise machen. Man müsste sie fesseln und Tag und Nacht bewachen, um sie daran zu hindern. Da ist es besser, wenn sie mit uns kommt. Wir werden sie wie unsere Augäpfel hüten, versprochen!

In aller Freundschaft,

Merry

Die Freunde im Streit


 

Auch Ihr seid stark, auf eine andere Art und eines Tages wird Euer Vater das erkennen. – Peregrin Tuk
 

An der Straße, die vom Auenland über Bree bis nach Bruchtal führte, lag die Wetterspitze. In einem anderen Zeitalter war sie eine Wachstation der königlichen Garde gewesen. Doch gleichsam mit dem Zerfall des Königtums in Gondor war auch die Wetterspitze ein Opfer der Zeit geworden. Wind und Wetter hatten den Stein mit scharfen Kanten wieder und wieder geschliffen und Moose, Flechten und hartnäckige Sträucher hatten ihren Weg in und an die Gemäuer des Turms gefunden. Heute fügte die Wetterspitze sich nahtlos in die Landschaft ein und dennoch hatte sie sich den Nimbus von Pracht und Historie bewahrt.

Goldfranses Herz klopfte heftig, als sie die sagenumwobene Wetterspitze das erste Mal mit eigenen Augen sah. Onkel Bilbos Zeichnungen hatten sie perfekt wieder spiegeln können, hatten sogar einen Hauch der Ehrfurcht einfangen können, die man beim Anblick der des Monuments empfand. Aber nun leibhaftig davor zu stehen, war um ein Vielfaches besser!

Hier hatten Generationen lang gondorianische Wachen die Bedrohung aus dem Norden im Auge behalten und Frieden und Sicherheit der Handelsstraße bewahrt. Beinahe jeder König von Gondor hatte den großen Wachturm wenigstens einmal in seinem Leben aufgesucht. Elben- und Zwergenfürsten hatten hier auf ihren Reisen Quartier bezogen…

Dieser Ort war Geschichte zum Anfassen! Zu gerne wäre Goldfranse hinauf geklettert, um das Land einmal so zu sehen, wie die Soldaten von Gondor es damals immer gesehen hatten, aber Merry und Pippin hatten sich dafür entschieden, näher an der Straße zu rasten. Sie wollten den Weg nach Bruchtal schnell hinter sich bringen, weil es dieser Tage viele Berichte von Wegelagerern auf dieser Straße gab. Die Leute in Bree hatten die Hobbits gebeten, ein Hilfegesuch mit nach Bruchtal zu nehmen, wo auch gondorianische Wachen stationiert waren.

Eifrig – sehr viel eifriger als Faramir und Eómer – hatte Goldfranse beim Aufbau des Lagers und bei der Zubereitung des Essens geholfen. Sie hatte ein Händchen für solche Aufgaben und verrichtete sie auch gerne. Sie mochte es nur nicht, wenn ihr diese Aufgaben einfach deswegen aufgetragen wurden, weil sie eine Frau war. Merry und Pippin jedoch hatten von Anfang an auch ihre Söhne für diverse Aufgaben abkommandiert. Sie machten keinen Unterschied zwischen den drei jüngeren Hobbits.

Nach dem Essen hatten die beiden Ringgefährten die Wachen für die Nacht eingeteilt. Zuerst sollte Faramir Wache halten, danach Eómer und zuletzt Pippin. Merry und Goldfranse hatten in der vorherigen Nacht Wachdienst gehabt. Geduldig wartete Goldfranse fast eine Stunde, bis die Anderen tief und fest schliefen und Faramir ihr den Rücken zudrehte, dann stand sie lautlos auf, drapierte einige ihrer Habseligkeiten so, dass es so aussah, als würde jemand unter ihrer Decke liegen, und schlich sich davon.

Als sie sicher sein konnte, dass sie weit genug entfernt war, wickelte sie ihr abgegriffenes Übungsschwert aus und band ihre langen, lockigen Haare zusammen. Sie verspürte tiefe Zufriedenheit, dass sie dieses Mal nicht wie sonst ihren Rock hochbinden musste. Hosen zu tragen, war ein fantastisches Gefühl!

Noch einmal sah sie sich vergewissernd um, dann wirbelte sie herum und begann mit ihren Übungen, schlug, stach und schnitt unsichtbare Gegner. Zielte auf unterschiedliche Körperstellen und –höhen, wich zur Seite aus, nach hinten, tauchte nach vorne weg, rollte sich fort – vorwärts, seitwärts, rückwärts -, hielt feindliche Hiebe auf, blockte sie ab, kombinierte mit Tritten und Sprüngen.

Niemand hatte sie jemals in die Schwertkunst eingeweiht oder sie ihr wenigstens demonstriert und außer dem Roten Buch der beiden Beutlins gab es in der Bibliothek ihres Vaters kein einziges Buch, das auch nur ansatzweise kriegerische Szenen enthielt. Von Anfang an hatte Goldfranse sich alles selbst ausgedacht. Sie hatte sogar selbst dahinter kommen müssen, wie man ein Holzschwert schnitzte und welches Holz sich überhaupt dafür eignete. Bis auf ihrem Bruder Frodo wusste niemand hiervon. Das war ihr kostbarstes Geheimnis. Etwas, das nur ihr gehörte. Etwas, das ihr niemals jemand nehmen würde….

„Was soll das?“

Vor Überraschung verlor Goldfranse in einer Drehung das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Das Holzschwert flog ihr aus der Hand und landete zu Faramirs Füßen. Der junge Hobbit hob die Übungswaffe auf und blickte von ihr zu Goldfranse und wieder zurück. Zuerst wusste Goldfranse seine Miene nicht so recht zu deuten, aber dann erkannte sie mit einem schmerzhaften Ziehen in der Brust: Spott und Unglaube lagen in seinem Blick.

„Ist das dein Ernst? Für diesen Blödsinn schleichst du dich weg? Wie kannst du nur so leichtsinnig sein? Du weißt doch, dass hier Wegelagerer unterwegs sind!“

„Das ist kein Blödsinn“, protestierte Goldfranse schwach und rappelte sich wieder auf.

Faramirs Worte taten weh. Richtig weh. Es presste Goldfranse das Herz zusammen, dass Faramir so abfällig über sie sprach.

„Stimmt, es ist schlimmer als Blödsinn“, ereiferte Faramir sich. „Es ist vollkommen sinnlos. Glaubst du allen Ernstes, dass du mit so einem lächerlichen Ding hier etwas lernen kannst?“

„Warum nicht?“, erwiderte Goldfranse trotzig, blickte dabei jedoch zu Boden.

„Weil es ein Spielzeug ist, aber nie und nimmer eine getreue Schwertnachbildung“, schnaubte Faramir.

„Es kann nicht jeder so ein verwöhntes Jüngelchen wie du sein und ein richtiges Schwert haben.“ Eifersucht brannte sich wie ein ätzendes Gift durch Goldfranses Gedanken und ließ sie ihre vorherige Verletztheit fürs Erste vergessen.

Sie sprang vor, stellte Faramir ein Bein und entriss ihm noch im Fall ihr Übungsschwert. Sie achtete gar nicht auf sein Ächzen, sondern wandte sich gleich ab, um zum Lager zurück zu kehren.

Eómer saß aufrecht an einen Baum gelehnt. Goldfranse konnte seinen forschenden Blick spüren, aber sie schlich zu ihrer Decke, versteckte ihr Übungsschwert im Gepäck und legte sich dann hin, die Decke über ihren Kopf gezogen, um ihre Tränen zu verbergen.

Sie hörte noch, wie Faramir kurz nach ihr zurückkehrte, aber er sprach weder mit ihr noch mit Eómer.

Worte des Zerwürfnisses


 

Sie scheinen nicht davon berührt zu werden, ob ich sie mag oder nicht mag. Es scheint nicht wichtig zu sein, was ich von ihnen halte. Sie sind ganz anders als ich erwartet hatte – so alt und jung, und so fröhlich und traurig gewissermaßen. – Samweis Gamdschie
 

Als Kinder hatten Faramir und Goldfranse sich blendend miteinander verstanden. Sie waren kaum voneinander zu trennen gewesen, hatten Geheimzeichen gehabt, hatten einander geradezu blindlings vertraut…

Eómer konnte nicht sagen, wann seine beiden besten Freunde auseinander gedriftet waren. Vielleicht hatte es angefangen, als Faramir und Eómer von ihren Vätern Schwertkampfunterricht erhalten hatten. Oder vielleicht hatte es seinen Anfang bei Faramirs und Eómers erster Reise gehabt. Irgendwann war es einfach zu einer Distanz zwischen ihnen gekommen. Faramir war nicht so oft nach Beutelsend gereist und das strahlende Lächeln, mit dem Goldfranse ihn früher bei jedem Besuch begrüßt hatte, war verblasst.

Stattdessen war mit den Jahren etwas anderes in Goldfranses Augen getreten. Etwas, das Eómer nicht richtig definieren konnte, was ihm jedoch immer Unbehagen bereitet hatte. Es fühlte sich an, als würde etwas in Goldfranse ganz langsam zerbröckeln.

Eómer hatte oft versucht, mit Faramir darüber zu reden, aber der Tuk hatte sich immer davor verschlossen. Ganz so, als hätte er Angst davor. Wieso – das war Eómer auch heute noch ein Rätsel.

Bislang hatte Eómer das Zerwürfnis seiner Freunde resigniert hingenommen, aber seit der einen Nacht bei der Wetterspitze schwankte er zwischen Sorge und genervter Ungeduld. Faramir und Goldfranse sprachen überhaupt nicht mehr miteinander und gingen sogar so weit, dass sie einander nicht einmal mehr ansehen wollten. Beide wirkten gleichzeitig bedrückt und wütend, was Eómer vermuten ließ, dass sie einander im Eifer des Gefechts sehr bösartige Worte an den Kopf geworfen hatten. In Sachen Taktlosigkeit und Hitzköpfigkeit standen sie einander in nichts nach, das war schon immer so gewesen – nur hatte das in ihrer Kindheit eher zu lustigen Situationen geführt und nicht zu einem mittelschweren Drama.

Als sie eine Woche nach ihrem Aufbruch von Bree Bruchtal erreichten, lebte Goldfranse wieder auf. Ihr war die Neugierde nur zu deutlich anzusehen und ihre Augen wurden groß, als die Hobbits von einer kleinen Schar Elben unter der Führung der Fürsten Elladan und Elrohir begrüßt wurden. Sehr holprig erwiderte sie den Gruß der Elben in deren Muttersprache. Die beiden Fürstenbrüder sahen einander milde überrascht an und deuteten dann vor dem Hobbitmächen eine Verbeugung an.

„Wie Mithrandir es schon vor langer Zeit sagte: Ihr Hobbits steckt voller Überraschungen. Hat dein Vater dich unsere Sprache gelehrt?“

„Ich habe versucht, es mir selbst beizubringen“, nuschelte Goldfranse mit geröteten Wangen.

„Sehr beeindruckend“, sagte Elladan.

Sie wurden in Gästezimmer geführt und eine Elbin brachte eine Truhe in Goldfranses Zimmer, in welcher sich ihrer Aussage nach Kleider befanden, die Rosi Gamdschie getragen hatte, als sie und Sam vor Jahren in Bruchtal Station gemacht hatten. Die Erwähnung ihrer Mutter schien Goldfranse Unbehaben zu bereiten, aber sie bedankte sich auf Elbisch und folgte der Elbin, um sich für das Begrüßungsbankett vorzubereiten.

Merry, Pippin und ihre Söhne zogen sich die feinen Wämser an, welche sie für die festlichen Anlässe auf ihrer Reise mitgenommen hatten.

Eine Stunde später wurden sie von den beiden Elbenfürsten höchst persönlich abgeholt. An der Seite der Beiden stand bereits Goldfranse. Beinahe hätte Eómer seine Kindheitsfreundin nicht wieder erkannt. Das mehrlagige und doch luftig-leichte Kleid brachte ihre weiblich-grazile Statur perfekt zur Geltung und in ihr Haar waren Bänder und Blüten hinein geflochten worden. Von Goldfranses älterer Schwester Elanor wurde einmal gesagt, dass sie einer Elbin gliche. Goldfranse stand ihr da in nichts nach.

Linkisch grinsend bezogen Merry und Pippin links und rechts von ihr Stellung und führten sie zur Festhalle. Eómer und Faramir folgten.

Jetzt fiel Eómer auf, dass sein Freund immer noch auf Goldfranses Rücken starrte. Amüsiert stupste er ihn im Laufen an.

„Dir gefällt wohl, was du siehst, hm?“

Eine verräterische Röte schlich sich auf Faramirs Wangen und es fiel Eómer wie Schuppen von den Augen. Er fragte sich, wie er so lange etwas so Offensichtliches hatte übersehen können.

Umso mehr schockierte ihn Faramirs Antwort. Ein Schnauben, abfällig, beinahe angewidert: „Ein halbes Kind, das erwachsen spielt. Was sollte mir daran gefallen?“

Beinahe gleichzeitig drehten Merry und Pippin die Köpfe und starrten Faramir an – und der blickte stur zu Boden. So war Eómer der Einzige, der bemerkte, wie Goldfranses Schultern heftig erzitterten, ehe sie sich versteiften. Für einen Moment erwog Eómer, sie tröstend in den Arm zu nehmen. Dann dachte er darüber nach, Faramir einen kräftigen Schlag zu verpassen – irgendwohin, wo es so richtig schön wehtat.

Letztendlich konnten jedoch weder Eómer noch Merry und Pippin etwas unternehmen, denn sie hatten den Eingang der Festhalle erreicht, wo halb Bruchtal darauf wartete, dass zwei der Ringgefährten und ihre Kinder sich die Ehre gaben.

Den ganzen Abend hatte Eómer das Gefühl, als würde sich um Goldfranse herum eine unüberwindliche Mauer aufbauen. Sie hielt sich von allen vier Reisegefährten fern, unterhielt sich stattdessen mit Elben, Zwergen und gondorianischen Hauptmännern und ließ sich mehrere Tänze beibringen – und obwohl sie lächelte und lachte, schienen ihre Augen immer voller Gram zu sein.

Faramir seinerseits verschwand bereits nach dem Festgelage. Es kam Eómer wie eine Flucht vor.

Reise gen Süden


 

Die Gemeinschaft zerfällt, es hat bereits begonnen. – Galadriel
 

Von der Ferne bot der Caradhras ein atemberaubend schönes Bild. Es war schier unvorstellbar, was für eine tödliche Gefahr er in sich barg.

Selbst Pippin ließ sich für einige Zeit davon blenden, während die Ponys seiner kleinen und sehr schweigsamen Reisegesellschaft mehrere Tage lang in der Sichtweite des schneebedeckten Gipfels dahin trotteten.

Merry ritt an der Spitze, dahinter Faramir, dann Eómer mit dem Packpferd und danach Goldfranse. Pippin bildete die Nachhut, um alle Kinder und die Umgebung im Blick zu behalten.

In Wahrheit hing sein Blick jedoch nur allzu oft am Rücken seines Sohnes. Da war der Caradhras eine willkommene Ablenkung.

Während der vier Tage Aufenthalt in Bruchtal hatte Pippin mehrmals versucht, seinen Sohn wegen der Sache vor dem Empfang zur Rede zu stellen, aber irgendwie war immer etwas dazwischen gekommen. So beschaulich Bruchtal auch immer noch war, die Elben, die dort noch lebten, waren den weltlichen Dingen weitaus mehr verbunden als ihrerzeit Elrond, Galadriel und die anderen Elben, die Mittelerde bereits verlassen hatten.

Diese Elben wollten erfahren, wie es im Auenland zuging, welches seit Jahren nicht mehr von den Angehörigen der großen Völker betreten werden durfte. Diese Elben begegneten Hobbits mit Neugierde und Geselligkeit. Das hatte es besonders Merry und Pippin schwer gemacht, sich ihren Söhnen zu widmen.

Auch ein Gespräch mit Goldfranse war unmöglich gewesen. Das Mädchen hatte sich entweder in der Bibliothek verschanzt oder sich in der Gesellschaft von Elben befunden, die nur allzu bereit waren, ihm dabei zu helfen, seine Elbischkenntnisse zu verbessern.

Seit der Abreise von Bruchtal waren nun zwei Wochen vergangen und noch immer sprachen Goldfranse und Faramir kein Wort miteinander. Die atemberaubende Landschaft des Mittelgebirges zog zu ihrer Linken gemächlich dahin, aber keiner schien es so recht genießen zu können.

Die Art, wie Goldfranses Blicke immer wieder den kaum noch erkennbaren Pfaden folgten, die in Richtung der Berge führten, bereitete Pippin zunehmend Sorgen und ließ ihn zweifeln, ob es wirklich richtig gewesen war, Goldfranse mitzunehmen. Merry erging es nicht anders.

„Sie erinnert mich an Herrin Eówyn zu ihrer schlimmsten Zeit“, hatte er einmal zu Pippin gesagt und diesem war dabei ganz beklommen zumute gewesen.

„Onkel Pip?“

Pippin wandte seine Aufmerksamkeit vom fernen Caradhras ab und Goldfranse zu, die sich zu ihm hatte zurückfallen lassen.

„Warst du schon einmal beim Einsamen Berg und im Düsterwald?“

Er schüttelte den Kopf. „Bevor ich zum Tuk und Tain wurde, hat es sich nie ergeben.“

„Wolltest du denn nie die Reise von Herrn Bilbo nachvollziehen?“

Wieder schüttelte er den Kopf. „Ich hatte meine eigene Reise, meine eigene Geschichte. Und wenn ich Legolas und Gimli besuchen wollte, stünden meine Chancen im Düsterwald oder beim Einsamen Berg eher schlecht. Die Beiden sind als Botschafter viel unterwegs.“

Er konnte Goldfranse ansehen, dass sie diesen Mangel an Abenteuerlust nicht nachvollziehen konnte. In ihrem Alter hätte er das damals auch nicht verstanden. Es hatte erst zahlreicher Begegnungen mit Orks, Uruks, Ringgeistern, Balrogs und irren Königen und mehrerer Schlachten bedurft, um ihm klar zu machen, dass es sich auch dann gut leben ließ, wenn man nicht ganz Mittelerde gesehen hatte.

Allerdings hoffte er, dass Goldfranse diese Lektion nicht so schmerzhaft erleben musste. Ein Erlebnis wie mit Boromir wünschte er ihr im ganzen Leben nicht.

„Goldi, vermisst du das Auenland denn gar nicht?“ fragte er vorsichtig.

Sie antwortete nicht sofort, sondern blickte zunächst zum weit entfernten Caradhras, als versteckte sich dort eine Antwort. Sie rang mit sich und Pippin begriff, dass ihm ihre Antwort nicht gefallen würde.

„Ich liebe meine Familie“, erklärte sie leise und richtete den Blick auf die Zügel in ihren Händen, „aber ich vermisse sie nicht. Nicht einmal Frodo.“

Allmählich fühlte Pippin sich überfordert. Wie hatte es im Kreise der warmherzigen Gamdschies zu so etwas kommen können? Sam mochte ein etwas überfürsorglicher Vater sein, aber hatte er seine Tochter tatsächlich derartig in Ketten gelegt, dass sie nicht in der Lage war, ihn zu vermissen? War das nur das Drama, welches jeder jugendliche Hobbit in einem bestimmten Ausmaß durchmachte? Bei wem lag hier die Schuld? Gab es hier überhaupt eine Schuld?

„Willst du überhaupt jemals wieder zurück?“, wagte Pippin einen erneuten Versuch.

Goldfranse blickte für einige Sekunden in seine Augen und er erkannte in den ihren so viele Zweifel und Unsicherheiten wie damals bei Frodo, als sie aus den Minen von Moria heraus gekommen waren. Wie konnte das sein? Sie hatte keine Reise voller Gefahren hinter sich, sie trug keinen Ring voller bösartiger Magie bei sich und sie hatte auch keinen langjährigen Freund verloren.

Was ging in diesem Mädchen vor?

Ihre Worte schließlich waren kaum mehr als ein schwaches Hauchen, welches die stetigen Winde ihr beinahe von den Lippen rissen.

„Die Geschichte von Herrn Bilbo heißt Hin und wieder zurück. Ich frage mich, wie meine Geschichte wohl heißen würde…?“

Rettung wider Willen


 

Wenn du’s wissen willst, mir war so, als ob ich nichts an hätte, und das passte mir gar nicht. Sie schien irgendwie in mich reinzugucken… - Samweis Gamdschie
 

Der Weg vom Auenland bis nach Gondor war ziemlich einfach, wenn man ansatzweise die Himmelsrichtungen bestimmen konnte. Für mehr als die Hälfte der Strecke musste man das nicht einmal. Vom Auenland aus folgte man der Großen Straße durch Bree, an der Wetterspitze vorbei und bis nach Bruchtal. Dort wandte man sich nach rechts und ritt Wochen lang nach Süden, immer das Mittelgebirge zur Linken. Auf diesem Weg war es unmöglich, die Pforte von Rohan zu verfehlen.

Als ihre Ponys die Kuppe eines Hügels erklommen hatten, konnte Faramir die Pforte erkennen. Südlich davon erstreckte sich das Rund des Gartens, der den Orthanc umgab – dieser Obelisk von einem Turm konnte ja nur der berühmte Orthanc sein. Seit Sarumans Vertreibung wurde er Faramirs Kenntnissen nach nicht mehr bewohnt, aber er war immer noch ein beeindruckendes Bauwerk, ganz anders als die gemütlichen Höhlen der Hobbits, die soliden Bauten in Bree oder die zierlichen Bögen in Bruchtal. Irgendwie passt er zu seiner Geschichte. Oder seine Geschichte zu ihm.

Nördlich der Pforte schmiegte sich der Fangorn-Wald an die letzten Ausläufer des Mittelgebirges. Ein kleines, grünes Meer voller Geheimnisse und Gefahren. Merry und Pippin hatten schon vor Tagen erklärt, dass sie nicht in den Fangorn hinein gehen würden. Der Wald war selbst für Freunde der Ents zu gefährlich – denn bei so wenigen überlebenden Baumhirten könnten sie dort Jahre lang umherirren, ohne einem von ihnen zu begegnen. Und selbst wenn sie reichlich Zeit für die Suche hätten, würden sie wahrscheinlich eher einen der fremdenfeindlichen Huorn-Bäume treffen als einen Ent.

Also würden sie direkt durch die Pforte reiten und sich östlich halten. Nach vier bis fünf Tagen würden sie Rohans Ebene überquert und den Bergkamm erreicht haben, an welchen sich ein Großteil der großen Bewohnerzentren Rohans schmiegte: Helms Klamm, Schneeborn, Edoras. Merry kannte die Routen dort und konnte sie zielsicher nach Edoras bringen. König Eómer würde die Hobbits bereits erwarten, um mit ihnen nach Gondor zu reiten.

Aus dem Augenwinkel konnte Faramir sehen, wie Goldfranses Augen beim Anblick des Fangorn zu leuchten begannen. Ganz so wie in ihrer Kindheit, wenn Frodo ihnen allen aus dem Roten Buch vorgelesen hatte. Dieses Leuchten verursachte eine brodelnde Wärme in Faramirs Inneren. Als wäre eine dieser Raketen von Gandalf in seinem Bauch gestartet, die er nie mit eigenen Augen hatte sehen können.

Als Goldfranse den Blick schweifen ließ, kam es zum Blickkontakt zwischen ihnen. Sofort löste sich das Leuchten in ihrem Blick auf. Abweisung und Verletztheit traten an dessen Stelle – und Faramir wurde beinahe übel.

Er bereute zutiefst, was er in Bruchtal und an der Wetterspitze gesagt hatte. Er war ein eitler Gockel gewesen, verletzt in seinem Stolz, weil sie ihn im Auenland belogen hatte, aber das rechtfertigte nicht die Gemeinheiten, die er ihr an den Kopf geworfen hatte.

Gerne würde er alleine mit Goldfranse darüber reden, aber sie ging ihm demonstrativ aus dem Weg – zumal Privatsphäre unter den gegebenen Bedingungen sowieso kaum erreichbar war. Merry, Pippin und Eómer ihrerseits machten keine Anstalten, ihm zu helfen. Nicht dass er das verdient hätte…

„Schade, dass wir Baumbart und Flinkbaum nicht treffen können“, seufzte Pippin mit einem sehnsüchtigen Blick in Richtung des Waldes.

„Vielleicht auf dem Rückweg, dann bleibt uns mehr Zeit“, erwiderte Merry nicht minder sehnsüchtig, ehe er sein Pony nach rechts wandte.

Auf diesem Weg kamen sie näher an den Orthanc heran, aber hier war der Abstieg für ihre Ponys einfacher. Es waren robuste Tiere, zäh und kräftig, aber es blieben Ponys, keine Bergziegen. Am Fuß des Hügels fanden sie ein verlassenes Lager vor. Ein Helm mit einem Pferdekopf als Nasenschutz lag neben der kalten Asche.

„Weiter“, zischte Merry, zog sein Schwert und trieb sein Pony an.

Keiner widersprach ihm. Alle fühlten sich beobachtet, regelrecht nackt. Faramirs Hand wanderte zum Griff seines Kurzschwertes, welches er an seinem zwanzigsten Geburtstag bekommen hatte. Er hatte seit dieser Zeit immer mit seinem Vater oder mit Eómer trainiert, aber jetzt war er sich alles andere als sicher, ob er sich seiner Haut würde erwehren können. Unwillkürlich huschte sein Blick zu Goldfranse, die als Einzige unbewaffnet war. Die Angst schloss sich wie eine eisige Faust um sein Herz.

Markerschütterndes Geschrei erklang neben ihnen und ließ die Ponys scheuen. Ehe er auch nur darüber nachdenken konnte, die Füße in die Steigbügel zu klemmen, stieg Faramirs Pony und er fiel über die breite Kuppe und zu Boden. Nach mehreren Schrecksekunden konnte er wieder klar genug denken, um sich außer Reichweite der Ponys zu bringen, die fliehen wollten, sich jedoch von Wildlingen umzingelt sahen.

Die Wildlinge waren kleiner als die Menschen in Bree oder die gondorianischen Wachen in Bruchtal, aber sie hatten breite Schultern, wuchtige Brustkörbe und dicke Oberarme. Kopfbehaarung und Bart gingen bei vielen ineinander über und hatten eine schmutzig-braune Farbe, waren oft auch verfilzt und verdreckt. Die Kleider bestanden aus schlecht verarbeiteten Fellen. Alles in allem war es kein Wunder, warum sie Wildlinge genannt wurden.

Endlich schaffte Faramir es, auf die Beine zu kommen. Seine Hand zitterte, als er sein Schwert aus der Scheide zog. Es half auch nichts, die Waffe mit beiden Händen zu packen.

Wie gelähmt stand er da und beobachtete, wie sein Vater, der ebenfalls von seinem Pony abgestiegen war, sich behände gegen den Angriff eines Wildlings mit einer hölzernen Keule verteidigte. Einige Meter entfernt stand Eómer mit seinem Vater Rücken an Rücken. Merry wirkte genau wie Pippin gefasst und wehrte die Hiebe der Wildlinge mit sparsamen Bewegungen ab, Eómer hingegen war erschreckend bleich und reagierte oft entweder zu stockend oder zu fahrig. Faramir konnte sich lebhaft vorstellen, wie sein Freund sich fühlte.

Für einen winzigen Moment fing Faramir Eómers Blick auf – und der Name, den seine Lippen formten, ließ Faramir das Blut in den Adern gefrieren.

„Goldi“, würgte er und drehte sich panisch herum, suchte seine Umgebung nach dem Mädchen ab. Er konnte sie nirgends entdecken. Er fand sie nicht!

Der Angriff eines Wildlings lenkte ihn ab. Gerade noch rechtzeitig wich er dem Stoß der hölzernen Heugabel aus, aber er rechnete nicht mit der Raffinesse des Bärtigen, der seine ausgestreckte Waffe nach links schwang. Der Schlag traf Faramir in der Seite in ließ ihn taumeln. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie der Wildling seine Heugabel zurück zog, um erneut zu zustoßen. Irgendwo hörte er Eómer rufen…

Dann gab der Wildling ein schmerzerfülltes Grunzen von sich und ging in die Knie. Hinter ihm stand Goldfranse, deren Augen panisch flackerten. In der Hand hielt sie ihr Holzschwert. Mit einem Schrei ließ sie die Übungswaffe auf den nun erreichbaren Kopf des Wildlings donnern, welcher daraufhin vollends zu Boden ging. Ihre Augen waren extrem geweitet und schienen Mühe zu haben, sich auf einen bestimmten Punkt in ihrer Umgebung zu fokussieren. Ihr Atem ging stoßweise. Aber sie lebte!

Faramir sprang auf die Beine und auf Goldfranse zu, um sie in eine stürmische Umarmung zu reißen. Er war einfach nur dankbar, dass ihr nichts passiert war, und er wollte ihr genau das sagen. Er wollte ihr begreiflich machen, was für eine Angst er um sie ausgestanden hatte, doch ehe auch nur ein Wort über seine Lippen kam, fiel sein Blick auf einen heranstürmenden Wildling mit einem Dolch. Die Waffe war offensichtlich schon uralt, aber es war dennoch eine Waffe aus Metall.

Faramir schob Goldfranse hinter sich und hob sein Schwert wieder, um sich dem Gegner zu stellen. So gut sie offensichtlich mit ihrem Holzschwert umgehen konnte, gegen ein richtiges Schwert konnte sie unmöglich bestehen, auch nicht gegen einen Dolch.

Noch ehe er überhaupt in Verteidigungsposition gehen konnte, spürte er einen Ruck an der Seite – genau dort, wo ihn die Heugabel des Wildlings getroffen hatte – und ihm wurde das Kurzschwert aus der Hand gerissen. Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete er, wie Goldfranse vorsprang, um den Kampf mit dem Wildling aufzunehmen. Doch bevor die ungleichen Kontrahenten einander begegneten, kam von links ein Reiter heran, schwang sein Schwert und köpfte den Wildling.

Von überallher preschten Reiter heran, auf ihren Schilden und Brustharnischen das weiße Pferd von Rohan. Innerhalb weniger Minuten waren alle Wildlinge tot.

Pippin eilte herbei und zog seinen Sohn in eine bärenhafte Umarmung. Faramir war zu benommen, um diese Geste zu erwidern. Nur langsam löste sich seine Angst auf, wurde schleichend von etwas anderem durchsetzt. Als sein Vater von ihm abließ und Goldfranse zu ihm trat, um ihm sein Schwert wieder zu geben, verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. Seine Hand zitterte, als er seine Waffe in die Scheide schob. Er mied den Blickkontakt zu Goldfranse. Denn in seinen Inneren gärte auf einmal eine entsetzliche Wut.

Die Flucht in den Wald


 

Das erinnert mich an Numenor… ja… an das Land Westernis, das unterging, und an die große dunkle Woge, die über die grünen Lande stieg und über die Berge und weiterzog, unentrinnbare Dunkelheit. Ich träume oft davon. – Faramir
 

„Unsere Grenzpatrouille wurde mitten in der Nacht angegriffen“, berichtete der Hauptmann des am Orthanc stationierten Reiterkontingents Merry und Pippin mit respektvoller Haltung.

Seit dem letzten Ringkrieg wusste halb Mittelerde, was Hobbits waren, und Merry hatte nur die Brosche zeigen müssen, welche König Eómer ihm vor vielen Jahren zum Abschied gegeben hatte, um seine und Pippins Identität für die Rohirrim zu bestätigen. Seitdem begegneten die Männer den Hobbits mit Hochachtung.

„Sie konnten alle rechtzeitig ihre Pferde erreichen und zu uns gelangen, aber sie mussten ihr Lager zurücklassen. Deshalb haben die Wildlinge wohl mit unserer Rückkehr gerechnet und Ihr seid in ihre Falle hinein geraten.“

„Seit wann gibt es hier wieder Probleme mit dem Wilden Volk?“, fragte Pippin mit einem Stirnrunzeln. „Als unser Freund vor mehreren Jahren hier war, gab es keine Anzeichen dafür und auf unserem Weg wurden wir auch nicht von den gondorianischen Wachen in Bruchtal gewarnt.“

„Mit dem Wilden Volk als Ganzes gibt es auch keine Probleme. Der Frieden hält schon seit Jahren. Die Männer hier gehören einer Splittergruppe an, die wegen ihrer Taten mittlerweile von ihrem eigenen Volk geächtet wurden“, erklärte der Hauptmann. „Abgeordnete des Wilden Volkes haben uns vor zwei Monaten deswegen um Hilfe gebeten und uns gewarnt, dass diese Abtrünnigen mit den Friedensvereinbarungen zwischen den Rohirrim und dem Wilden Volk nicht einverstanden sind und einen Krieg anzetteln wollen.“

„Also handelt es sich eher um ein kleines Scharmützel“, stellte Merry beruhigt fest.

Der Hauptmann nickte zustimmend. „Dennoch würde ich Euch vier Reiter als Geleit mitgeben. Einfach, um ganz sicher zu sein.“

Merry und Pippin nickten dankbar und zogen eine Karte von Rohan hervor, um mit dem Hauptmann zu besprechen, welchen Weg sie am besten einschlagen sollten, um nach Edoras zu gelangen.

Goldfranse wandte sich ab und ging zu ihrem Pony, welches von den Rohirrim eingefangen und mittlerweile auch beruhigt worden war. Im Gepäcksack hinter dem Sattel steckte wieder Goldfranses Übungsschwert. Für einen Moment steckte sie ihre Hand in das Bündel, um den Griff zu ertasten.

Sie hatte heute ihren allerersten Kampf gehabt. Der Schreck steckte ihr immer noch in den Knochen, aber gleichzeitig verspürte sie Stolz und Aufregung – und sie dürstete geradezu danach, wieder ein richtiges Schwert in der Hand zu halten.

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie Faramir sein Pony bürstete, damit es sich entspannen konnte. Goldfranses Herz klopfte laut bei der Erinnerung daran, wie Faramir sie umarmt hatte. Für einige wundersame Sekunden hatte sie absolut alles vergessen – sogar ihren eigenen Namen! – und ihre Welt hatte einfach nur noch aus dieser atemberaubenden Umarmung bestanden…

Was hatte diese Umarmung zu bedeuten? War das eine Entschuldigung gewesen? Oder ein banales Danke? Goldfranse schwirrte der Kopf vor lauter Fragen. Faramir machte keine Anstalten, in ihre Richtung zu kommen. Also musste sie wohl die Initiative ergreifen, wenn sie endlich Antworten wollte!

Sie klopfte ihrem Pony noch mal auf den Hals und ging dann zu Faramir. Als sie neben ihn trat, versteifte er sich. Seine Hand verkrampfte sich regelrecht um die Bürste. Nun wieder verunsichert, zögerte Goldfranse, das Wort zu erheben.

„Verschwinde, Goldfranse, oder ich kann für nichts garantieren“, grollte Faramir bedrohlich.

„Was ist los?“, fragte sie zaghaft und versuchte, sich nicht so viel dabei zu denken, dass er sie noch nie bei ihrem vollen Namen genannt hatte. Und vor allem, dass er noch nie so zornig geklungen hatte.

„Verschwinde“, zischte Faramir und wandte den Blick ab, als wäre es für ihn unerträglich, sie anzusehen.

Zutiefst verletzt stolperte sie zurück. „Wenn es das ist, was du willst“, krächzte sie schwach.

„Ja, das will ich!“, fauchte Faramir mühsam beherrscht, den Blick noch immer abgewandt.

Goldfranse traten Tränen in die Augen. Sie und Faramir waren sehr oft aneinander geraten, aber noch nie hatte er sie so unfassbar grausam behandelt. Noch nie hatte seine Abweisung so weh getan. Sie kam mit diesem Schmerz nicht zurecht. Ihr war hundeelend zumute und sie wollte nicht, dass irgendjemand das mitbekam.

Schniefend wischte sie sich mit dem Ärmel über die Augen und eilte zu ihrem Pony. Als sie in den Sattel sprang, hörte sie Eómer nach ihr rufen, aber sie ignorierte ihn und stieß ihrem verwirrten Pony die Haken in die Seiten, um es zum Galopp anzuspornen. Es machte einen erschrockenen Satz nach vorn, trabte mehrere Schritte und schnaubte unwillig. Wieder trieb Goldfranse das Tier an. Es legte die Ohren an und preschte so ruckartig los, dass seine Reiterin beinahe die Zügel verloren hätte. Sie klammerte sich an die struppige Mähne und ließ ihr Pony rennen. Egal wohin, Hauptsache weg. Wie Faramir es gewollt hatte…

Wie viel Zeit verging, ehe es sie brutal aus dem Sattel riss, wusste sie nicht. Es hätten Stunden oder auch nur Sekunden sein können. Goldfranse hatte nicht einmal Gelegenheit, darüber nachzudenken, sie stürzte hart zu Boden und stieß sich dabei an einem Baum…
 

Tatenlos mussten sie mitansehen, wie Goldfranse auf ihrem Pony innerhalb kürzester Zeit im Fangorn-Wald verschwand. In ihrer Hast, von Faramir weg zu kommen, hatte Goldfranse dem armen Tier so sehr zugesetzt, dass es in einem erstaunlichen Jagdgalopp davon geprescht war. Alles war viel zu schnell gegangen, um eingreifen zu können, aber Eómer hatte noch die fürchterlich verletzte Miene seiner Kindheitsfreundin gesehen – und er wusste, wer dafür verantwortlich war. Wutschnaubend stampfte er zu seinem besten Freund und ergriff dessen Kragen.

„Was hast du zu ihr gesagt?!“

„Dass sie verschwinden soll“, antwortete Faramir mit einem kalten Ausdruck in den Augen, der Eómer durch Mark und Bein ging.

„Bist du wahnsinnig?!“, fauchte er und schüttelte seinen Freund grob.

Eómer hob die geballte Faust. Er wollte einfach nur noch zuschlagen, wollte Faramir so richtig weh tun…

Sein Arm wurde festgehalten – als er zurückblickte, erkannte er seinen Vater und neben ihm Pippin. Die Mienen der Beiden waren steinern.

„Das ist jetzt unwichtig. Wir müssen ihr hinterher.“

„Mit Verlaub, Meister Brandybock, das ist keine gute Idee. Es dämmert bereits und in der Nacht ist der Wald noch viel gefährlicher. Ihr solltet bis zum Morgen warten.“

Merry presste die Lippen so fest zusammen, dass sie nur noch ein dünner Strich waren. Sorge und Widerwillen lagen in seinem Blick, aber er nickte ruckartig und zwang seinen Sohn, Faramir loszulassen.

Der junge Tuk stolperte einen Schritt zurück und wandte sich wortlos wieder seinem Pony zu, seine Schultern steif, sein Kiefer leise mahlend. Eómer verspürte immer noch das Bedürfnis, ihn zu schlagen.
 

Sie ritten bis zum Rande des Fangorn und schlugen dort ihr Lager auf. Mit Totholz entfachten sie ein Lagerfeuer in der Hoffnung, dass Goldfranse es sehen und aus dem Wald heraus finden würde. Die Schwachstelle dieses Plans war jedoch, dass Goldfranse den Wald womöglich gar nicht verlassen wollte.

Eómer rauchte immer noch vor Wut und auch Merry und Pippin waren gegenüber Faramir sehr ungehalten. Faramir wiederum unternahm nicht den geringsten Versuch, ihnen zu erklären, was zwischen ihm und Goldfranse vorgefallen war.

Unter diesen Umständen fand keiner von ihnen die notwendige Ruhe, um zu schlafen. Die vier Rohirrim, die sie begleiteten, hielten sich taktvoll zurück. Die ganze Nacht saß Eómer am Feuer und blickte dann und wann wütend zu Faramir, doch mit der Zeit ebbte seine Wut ab und er begann, genauer darüber nachzudenken, was vorgefallen sein könnte.

Aus der Entfernung hatte er nur gesehen, dass Faramir Goldfranse wiederholt schroff angefahren hatte, als sie die Annäherung gewagt hatte. Wieso hatte Faramir sich so verhalten? Das passte aller voran gegangener Vorfälle zum Trotz einfach nicht zu ihm!

Als die Ponys und Pferde unruhig wurden, zuckten die Köpfe der vier Hobbits hoch und der Wache haltende Rohirrim stand auf, während seine zuvor noch dösenden Kameraden langsam wach wurden und automatisch nach ihren Waffen griffen. Die Tiere tänzelten auf der Stelle, zuckten unablässig mit den Ohren und schnaubten nervös.

Eómer stand ebenfalls auf. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sein Vater den Griff seines Schwertes packte. Ein Reflex, den Merry und Pippin auch nach all den Jahren nicht ablegen konnten. Eómer hoffte, dass so etwas für ihn nie notwendig sein würde.

Aus dem Wald erklang ein Geräusch, ein seltsam verzerrtes Schnauben, dann Schritte. Der Fangorn schien die Geräusche zu verändern. Es war unmöglich zu bestimmen, worum es sich beim Verursacher der Geräusche handelte.

Einer der Rohirrim wollte sich dem Wald mit einer Fackel nähern, um etwas erkennen zu können, aber Merry gebot ihm Einhalt und trat selbst vor.

„Kein Feuer in die Nähe der Bäume. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir von Huorns beobachtet werden“, erklärte er. Der Rohirrim akzeptierte diese Weisung ohne Murren.

Angespannt warteten sie alle, während das Geräusch immer näher kam. Und dann stolperte ein verängstigtes Pony in den Lichtkreis des Feuers. Es hatte die Ohren eng angelegt, die Flanken waren schweißnass und das Weiße der Augen war deutlich zu sehen. Dennoch war es unverkennbar Goldfranses Reittier.

Eómers Blick huschte zum leeren Sattel, dann drehte er sich mit neu entfachter Wut zu Faramir um, dessen Schuld das alles hier war. Ihm lag bereits ein scharfer Vorwurf auf den Lippen, aber was er in der Miene seines Freundes sah, ließ ihn innehalten: Blanker Horror.

Hilfe vom Fangorn


 

So treffen wir uns wieder – jetzt wo das Blatt sich wendet. – Gandalf
 

Das Erste, was Goldfranse spürte, als sie wieder zu Bewusstsein kam, war ein Kratzen an ihrer Wange. Unbeholfen, etwas grob, aber langsam, offenbar beruhigend gemeint.

„Humm Homm, kleiner Hobbit, humm, wach’ auf.“

Die Stimme war ein Brummen und Knirschen, das in Goldfranses Brustkorb vibrierte. Das erinnerte sie an etwas, aber sie konnte nicht sagen, woran. Es kam ihr nur so vor, als müsste sie diese Stimme erkennen, obwohl sie sich sicher war, sie noch nie gehört zu haben.

„Humm Homm, kleiner Hobbit, du bist doch wach, Homm?“, brummte es wieder und dann wurde Goldfranse unter der Nase gekitzelt. Ein angenehmer Laubgeruch stieg ihr in die Nase. Birke, wenn sie sich richtig an die Lehrstunden ihres Vaters erinnerte.

Das Kitzeln ließ sie niesen. Ihre Augenlider flatterten. Über sich erkannte sie nur Weiß, Grau und Grün, ehe ihre Lider wieder zufielen.

War sie im Wald? Etwa im Fangorn? Das würde erklären, warum sie aus dem Sattel gerissen worden war. Ein niedriger Ast im Weg genügte ja schon. Hoffentlich war ihrem Pony nichts passiert.

„Humm Homm“, machte es wieder über ihr. Viel näher dieses Mal. Der Birkengeruch wurde stärker und das Rascheln von Laub und Knistern von Gezweig war nun deutlich zu hören.

Goldfranse versuchte, ihre müden Lider zu öffnen. Es war anstrengender als alles, was sie jemals zuvor getan hatte. Ihr Kopf dröhnte, dröhnte, dröhnte… – als wollte er ihr tausendfach ihre Unaufmerksamkeit heimzahlen.

Zuerst sah sie alles nur verschwommen. Sie musste noch oft blinzeln – jeder Lidschlag ein grausamer Kraftakt –, bis sie klare Konturen erkennen konnte.

Dicht über ihr war ein uralter Birkenstamm, gebleicht von der Sonne, die Rinde aufgerissen von den Gezeiten. Viel vernarbter als jede Birke, die sie jemals zuvor gesehen hatte. Die Zweige setzten ungewöhnlich abrupt am Stamm an.

Ein abgebrochener Stamm? Nein, er war frisch belaubt, die Blätter gesund und kräftig.

„Humm Homm. Endlich bist du wach! Beinahe wäre ich ungeduldig geworden.“

Verwirrt und immer noch benommen blinzelte Goldfranse. Ihr wurde mulmig zumute, weil der Stamm über ihr erzitterte.

Woher kam bloß die Stimme? Bildete sie sich das ein? Träumte sie noch?

Ihr Blick huschte hin und her, aber sie sah keinen Menschen oder ein anderes sprachbegabtes Wesen. Und dann traf ihr Blick den von zwei großen, goldenen Augen, uralt und weise, ganz anders als die Augen von Menschen, Elben, Hobbits oder Tieren, aber ganz unverkennbar Augen.

„Humm Homm, nun, kleiner Hobbit, wer bist du?“
 

Es dauerte Stunden, bis das verängstigte Pony sich von Merry beruhigen ließ. Eine ausgiebige Untersuchung hatte ergeben, dass das Tier zwar schwer erschöpft, aber unverletzt war. Leider gab das keinen Anlass zur Entwarnung, denn es konnte genauso gut sein, dass das Tier bei seiner Flucht mehr Glück gehabt hatte als seine Reiterin. Im harmlosesten Fall war Goldfranse vielleicht mit ein paar Kratzern und blauen Flecken davon gekommen, im schlimmsten könnte sie sich das Genick gebrochen haben. Keiner von ihnen wollte auch nur an die letzte Möglichkeit denken. Dennoch machten sie sich alle unbeschreibliche Sorgen.

Merry und Pippin sprachen sich dafür aus, im Fangorn nach Goldfranse zu suchen, sobald es richtig hell war, aber der Anführer der Rohirrim hielt dies aufgrund der gewaltigen Größe des Waldes für ein Unterfangen, das von vorneherein zum Scheitern verurteilt war.

Eómer stand hilflos bei Goldfranses Pony, das müde an ein paar Grashalmen zupfte. Abwesend tätschelte er den Hals des Tieres, während sein Blick immer wieder zu Faramir hinüber glitt, der wenige Schritte von ihm entfernt im Dunkeln saß, das Gesicht in den zitternden Händen verborgen hielt und ganz so wirkte, als wäre er drauf und dran, einfach in den Wald zu stürmen.

Noch während Merry mit dem Hauptmann eine hitzige Diskussion führte, begannen die Ponys wieder zu scheuen und auch die nervenstarken Pferde der Rohirrim wurden unruhig. Angespannt, eine Hand auf seinem Schwert, stand Pippin auf und ging um das Feuer herum, um die Tiere zu beruhigen.

„Runter!“, bellte einer der Rohirrim.

Pippin folgte der Warnung sofort und das rettete ihm wahrscheinlich das Leben, denn der Baum neben ihm wurde auf Brusthöhe von einem großen Stein getroffen. Im Nu waren alle auf den Beinen und wandten sich in die Richtung, aus welcher der Stein gekommen war. Dort standen Wildlinge – viel mehr als gestern –, bewaffnet mit Steinschleudern und Landwirtschaftsgeräten. Sie grölten laut und gingen zum Angriff über.

Hastig trat Eómer von den Tieren zurück und an die Seite seines besten Freundes, der bereits sein Kurzschwert gezogen hatte. Allzu gefasst sah Faramir allerdings auch nicht aus, was Eómer irgendwie ein Trost war, denn er fühlte sich für den Kampf genauso wenig gewappnet wie gestern.

Ehe einer der Rohirrim oder Hobbits auch nur an Rückzug denken konnte, erklang aus dem Wald ein gleichmäßiges Dröhnen. Es wirkte eigentlich sehr gemächlich, aber dennoch kam es schnell näher.

Die Wildlinge warfen einander panische Blicke zu und selbst die Rohirrim wirkten beunruhigt und sahen immer wieder von den Wildlingen zum Wald und zurück, als würden sie abwägen, was die größere Gefahr darstellte.

„Humm Homm…“

Eómer runzelte verwirrt die Stirn und suchte den Blick seines Vaters, welcher nun ahnungsvoll grinste. Genau wie Pippin, der sich wieder aufgerappelt hatte.

Und dann brach der Verursacher des Lärms aus dem Wald hervor. Groß und recht schlank, weiß und schwarz gerindet, kleine, pfeilförmige Blätter. Hölzerne Arme erhoben.

Die Wildlinge nahmen Reißaus und die Rohirrim glotzten sehr unkriegermäßig. Eómer musste sich selbst ermahnen, wieder seinen Mund zu schließen.

Wie alle Kinder der Ringgefährten hatte er das Rote Buch gelesen und stets eifrig den Erzählungen seines Vaters gelauscht – aber jetzt diesem mächtigen Wesen zu begegnen, war beeindruckender als seine kühnsten Vorstellungen.

„Ein Ent“, flüsterte er vor Ehrfurcht.

„Flinkbaum!“, lachte Pippin erfreut und eilte zu dem Baumhirten.

Auch Merry schob sein Schwert wieder in die Scheide, um den alten Freund zu begrüßen, und Eómer und Faramir nahmen sich an ihm ein Beispiel und folgten, wenn auch sehr viel zögerlicher.

„Humm Homm, Herr Merry, Herr Pippin. Ihr Hobbits habt einen Riecher für Abenteuer, nicht wahr, homm?“

„Wohl wahr“, kicherte Merry und wollte noch etwas sagen, als eine kleine Hand neben Flinkbaums Kinn erschien, nach Halt tastete und dann kräftig zupackte.

Neben Eómer keuchte Faramir erstickt, als niemand anderes als Goldfranse Gamdschie um Flinkbaums Hals herum und dann zu Boden kletterte.

Das Hindernis im Herzen


 

Ich meine, lieben wird man am besten zuerst mal, was zu einem passt … Trotzdem, es gibt noch was Höheres und Tieferes. – Meriadoc Brandybock
 

„Heute Abend erheben wir unsere Becher auf ehrenwerte Gäste“, intonierte König Eómer vom Podest seines Thrones aus.

Die legendäre Goldene Halle war voll mit Männern und Frauen, die sich ohne erkennbare Rangordnung auf gleichmäßig angeordneten Bänken verteilt hatten. Alle hatten ihre Bierkrüge zu Ehren der erwähnten Gäste erhoben.

„Meriadoc Brandybock, ein Krieger unter dem Zeichen Rohans. Peregrin Tuk, ein Wächter der Festung von Minas Tirith. Und ihre Nachfolger. Mögen sie noch lange leben! Heil!“

„Heil!“, echote die gesamte Halle. Die Rohirrim tranken und die Feier wurde eröffnet.

König Eómer verließ seinen Thron und mischte sich mit seinen Kindern und seiner Gattin unters Volk. Wie Merry und Pippin erklärt hatten, ging es in Edoras meist weniger formell zu.

Eómer, der Hobbit, der sich ein wenig von seinem Namenspatron eingeschüchtert fühlte, saß mit seinem Bierkrug an einem Tisch mitten im Getümmel und beobachtete das Treiben um ihn herum.

Es war nun vier Tage her, seit sie Flinkbaum begegnet waren. Der Ent hatte sich gefreut, seine alten Hobbitfreunde wieder zu sehen, und hatte sich nach den Entfrauen gefragt. Leider hatten Merry und Pippin keine guten Nachrichten verkünden können. Zwar hatten sie in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten viele Expeditionen in den Wäldern östlich von Bockland unternommen, aber sie hatten dabei lediglich einige Bäume gefunden, die sie im Verdacht hatten, Huorn-Bäume zu sein.

Einen ganzen Tag hatten sie mit Flinkbaum verbracht, ehe sie in Begleitung der vier Rohirrim nach Edoras aufgebrochen waren. Dem Einladungsschreiben von König Aragorn war damals auch eines von König Eómer beigelegt worden, in Edoras Station zu machen, um dann gemeinsam weiter zu ziehen. Diese Gelegenheit hatten sich die Hobbits – und ganz besonders Merry – nicht entgehen lassen wollen.

Allerdings war Eómers Stimmung bei weitem nicht mehr so euphorisch wie zu Beginn der Reise.

Vor fünf Tagen war es zum Eklat gekommen zwischen Faramir und Goldfranse und seitdem sprachen die Beiden nicht mehr miteinander. Doch während Faramir deswegen düster vor sich hingrübelte und sich nicht an den Feierlichkeiten beteiligte, steckte Goldfranse mitten im Getümmel und ließ sich von den Prinzessinnen einen Volkstanz von Rohan beibringen.

Allmählich wusste Eómer nichts mehr mit seinen beiden besten Freunden anzufangen. Keiner war gesprächsbereit, sie gingen einander immerzu aus dem Weg. Es war zum Haareraufen!

Da sie sich ihm gegenüber normal verhielten, hätte es Eómer auch egal sein können, aber er kannte die Beiden zu gut, um sich von ihrem bemüht normalen Verhalten täuschen zu lassen. Faramir hegte einen geradezu schmerzhaften Groll, während Goldfranse sich immer mehr von ihren Hobbitgefährten entfernte. Ihr Hunger nach der Fremde nahm nun beinahe krankhafte Züge an. Eómer machte sich Sorgen, wohin das alles noch führen würde.

Unter dem Gejohle der Pferdemenschen um sie herum tanzte Goldfranse nun immer schneller mit den beiden Töchtern und einer Enkelin des Königs. Sie lachte dabei ausgelassen, aber es hörte sich nicht wie ihr echtes Lachen an.

Eómer hatte genug. Er stand auf und ging zu einem der riesigen Bierfässer, die für die Feier in die Goldene Halle gebracht worden waren, und zapfte zwei Bierkrüge ab. Derart ausgestattet ging er zu Faramir und deutete mit einem Nicken zur Tür, während er ihm einen der Krüge hinhielt.

Faramir verstand die Aufforderung und folgte seinem Freund nach draußen zur geländerlosen Terrasse. Sie gingen halb um die Halle herum, bis sie alleine waren, und ließen sich am Rand der Terrasse nieder, die Beine herunter baumelnd, die Krüge auf ihren Oberschenkeln abgestützt, die Blicke auf die nahen Berge gerichtet.

„Ich weiß, was du fragen willst“, seufzte Faramir schließlich. „Aber ich habe wohl keine zufrieden stellende Antwort.“

„Lass’ es auf einen Versuch ankommen“, erwiderte Eómer und nippte an seinem Bier. „Warum hast du Goldfranse gesagt, dass sie verschwinden soll?“

„Ich wollte verhindern, dass ich noch schlimmeres sage. In meiner Wut hätte ich ihr die abscheulichsten Dinge an den Kopf geworfen. Ich bin mir nicht einmal jetzt sicher, ob ich normal mit ihr reden könnte.“

Eómer zog die Augenbrauen in die Höhe. „Wenn einer von euch Beiden wütend sein sollte, dann doch wohl eher Goldi, meinst du nicht?“

Faramir gab nur ein mürrisches Grunzen von sich und nahm einen großen Schluck Bier.

„Schon seit der Nacht an der Wetterspritze geht etwas vor zwischen euch. Was ist damals passiert?“

Finster starrte Faramir in seinen Bierkrug hinunter und mahlte mit den Kiefern. Als Eómer schon nachhaken wollte, hob sein Freund endlich den Blick.

„Ich habe sie dabei erwischt, wie sie mit einem Holzschwert geübt hat.“

Eómer zuckte mit den Schultern. „Was ist schon dabei? Das haben wir auch gemacht, als unsere Väter uns noch nicht trainieren wollten.“

„Das Problem daran ist, dass sie glaubt, dadurch tatsächlich etwas gelernt zu haben. Als die Wildlinge uns angegriffen haben, hat sie mein Schwert genommen und sich auf den nächsten Angreifer gestürzt. Sie hat überhaupt nicht auf ihre Deckung geachtet. Wären in diesem Moment nicht die Reiter gekommen…“

Faramirs Stimme verklang zu einem gequälten Hauchen, das Eómer einen Schauder den Rücken herunter jagte.

„Du bist wütend, weil sie sich in Todesgefahr gebracht hat, um dich zu beschützen…“

Grimmig schüttelte Faramir den Kopf. „Ich bin wütend, weil sie sich auch dann in Todesgefahr gebracht hätte, wenn ich gar nicht in Gefahr gewesen wäre. Ich bin wütend auf sie und auf ihren Vater und auf uns.“

„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr“, gestand Eómer mit einem Stirnrunzeln.

„Dass sie so leichtfertig mit ihrem Leben umgeht, kann ja nur daran liegen, dass Onkel Sam sie regelrecht eingesperrt hat. Und wir haben in all den Jahren nicht gemerkt, wie sehr sie sich verändert hat.“

Verärgert stellte Eómer seinen Bierkrug ab. „Du hast das nicht bemerkt, weil du dich auch schon seit Jahren ihr gegenüber seltsam verhältst! Um genau zu sein, geht das schon so, seit wir in den Tweens sind!“

Faramirs Reaktion auf diesen Vorwurf war sehr seltsam. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und starrte geradezu angestrengt in seinen Bierkrug. Und dann kroch auch noch eine feine Röte über seine Wangen.

Es fiel Eómer wie Schuppen von den Augen und auf einmal fühlte er sich schäbig, weil er all die Jahre nicht erkannt hatte, wie es um seinen besten Freund bestellt war.

„Du bist in Goldi verliebt! Bei meiner Pfeife, du bist sei Jahren in sie verliebt und hast es nicht geschafft, es ihr zu sagen!“

Faramirs Wangen erinnerten nun an die saftigen Tomaten aus dem Garten der Gamdschies, aber seine Gesichtszüge wirkten beinahe verzweifelt.

„Was bei allen Bierkrügen ist los mit dir?!“, drängte Eómer ungeduldig.

Faramir zögerte, rang offensichtlich um die richtigen Worte. Zittrig strich er sich durch die blonden Locken und umfasste dann seinen Krug mit beiden Händen, als müsste er sich an etwas festhalten.

„Ich hatte schon an der Wetterspitze so ein Gefühl und ich konnte es einfach nicht deuten… Aber seit der Sache mit den Wildlingen verstehe ich es…“

„Was verstehst du? Nun lass’ dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“

Allmählich wurde Eómer richtig unruhig.

Als Faramir ihm in die Augen blickte, zuckte er zusammen. Einen solchen Blick hatte er in seinem ganzen schönen Leben noch nicht gesehen. Konnte ein einzelner Hobbit wirklich so viel Angst empfinden, wie sie in diesem Blick lag?

„Gold wird vielleicht nie wieder ins Auenland zurückkehren…“

Den Rest des Abends schwiegen die Freunde, während im Inneren der Goldenen Halle noch immer gefeiert wurde.

Ein Elb und ein Zwerg


 

Es sind wahrlich seltsame Zeiten. Träume und Sagen tauchen aus dem Gras auf und werden lebendig. – Eómer
 

Der Weg, den sie in Begleitung König Eómers, seiner Familie und einiger anderer Würdenträger aus Rohan nach Gondor einschlugen, war eben jener, welchen das Heer der Rohirrim vor über dreieinhalb Jahrzehnten genutzt hatte, um Minas Tirith beizustehen. Tausende von Pferden waren diesem steinigen Weg, der zuweilen nicht mehr als ein Gebirgspfad war, gefolgt, um auf den Pelennor-Feldern gegen die Heerscharen Saurons zu kämpfen. Dies war der letzte Weg König Théodens gewesen – sogar in mehrfacher Hinsicht, denn sein Leichnam war auch auf diesem Weg nach dem Krieg nach Edoras zurück gebracht worden.

Goldfranse genoss den gemächlichen Ritt an der Seite der Rohirrim, die sie freundlich und neugierig in ihren Kreis aufgenommen hatten und nie müde wurden, ihr Fragen zu stellen und ihrerseits Fragen zu beantworten. Nur wenn ihr Blick auf Faramir fiel, trübte sich ihre Hochstimmung, ohne dass sie es sich selbst richtig erklären konnte. Dann hatte sie jedes Mal das Gefühl, als verkümmerte etwas in ihrem Inneren.

Mittlerweile glaubte sie, begriffen zu haben, warum Faramir sie angebrüllt hatte: Er konnte es wohl nicht ertragen, von einem Mädchen gerettet worden zu sein. Anscheinend schätzte er sie schon seit dem Vorfall an der Wetterspitze gering.

Nun, dann war dem wohl so. Goldfranse war enttäuscht und verletzt, aber sie wollte es sich nicht anmerken lassen. Von nichts und niemandem wollte sie sich um den Genuss dieser ganzen, großen Reise bringen lassen!

Auf Wunsch der Hobbits hin schlug die Reisegesellschaft einen geringfügigen Umweg ein, um dann am Ufer des Anduin nach Süden gen Osgiliath zu ziehen. Von dort aus würden sie der gut befestigten Straße nach Minas Tirith folgen. Der Anduin war – ähnlich wie der Caradhras – ein Naturphänomen von unvergleichlicher Schönheit und Majestät. Die Vorstellung, wie viele Meilen dieser Fluss bis hierher zurück gelegt hatte, ließ Goldfranse erschaudern. Eine geradezu schmerzhafte Sehnsucht regte sich stärker denn je in ihrer Brust.

Der freudige Ausruf Pippins riss sie aus ihrer Starre. Ihr Blick folgte dem Fingerzeig des Hobbits nach Norden, wo ein Trupp von sonderbarer Gestalt auf sie zu kam. Die Gestalt rührte von den unterschiedlichen Mitgliedern des Trupps her: Einerseits hochgewachsene, feingliedrige Elben mit dem Banner des Düsterwalds. Andererseits stämmige Zwerge mit dem Banner des Einsamen Bergs. Dazwischen Menschen mit dem Wappen von Thal.

Die Elben und Zwerge liefen locker gemischt nebeneinander, jedoch mit einer gewissen Distanz, die wohl dem gegenseitigen Unverständnis zu zuschreiben war. Nur ganz vorn liefen ein blonder Elb und ein rothaariger Zwerg so einträchtig nebeneinander, als seien sie von derselben Art.

Merry und Pippin sprangen von ihren Ponys und eilten dem ungleichen Paar entgegen. Während sie genau wie die Anderen absaß, beobachtete Goldfranse, wie ihre Onkel zwei weitere der Ringgefährten umarmten. Nur sehr vage konnte sie sich an Legolas und Gimli erinnern. Sie war noch ein Winzling gewesen, als die Beiden zusammen mit Aragorn in Beutelsend gewesen waren. Was ihr noch klar in Erinnerung geblieben war, waren der schwere Zwergenhelm auf ihrem viel zu kleinen Kopf und der Anblick der mächtigen Streitaxt, die eine nahezu unheimliche Anziehungskraft auf sie ausgeübt hatte…

Die vier alten Freunde kamen zu König Eómers Reisegesellschaft. Legolas und Gimli begrüßten den alten Kampfgefährten respektvoll, doch in ihrem Gebaren lag etwas Familiäres, dass Goldfranse ganz warm zumute wurde.

Schließlich wandten sich Leoglas und Gimli den drei jungen Hobbits zu. Goldfranse war gar nicht aufgefallen, dass Faramir und Eómer näher an sie heran getreten waren – und sie freute sich viel zu sehr darüber, die beiden alten Reisegefährten ihres Vaters zu treffen, als dass sie sich daran stören könnte.

Mit vor Aufregung geröteten Wangen trat sie vor und begrüßte erst Legolas auf Elbisch, ehe sie sich mit einem Zwergengruß an Gimli wandte. Sie hatte keine Ahnung, ob sie die kurzen, kraftvollen Worte richtig ausgesprochen hatte. In den Büchlein, das sie zum Lernen der Zwergensprache und –schrift verwendet hatte, hatte es dazu keine Anmerkungen gegeben. Dennoch musste sie es halbwegs verständlich hervorgebracht haben, denn Gimli pfiff anerkennend, ehe er in Zwergenmanier den Oberkörper etwas nach vorn neigte und in seiner Muttersprache etwas brummte, was Goldfranse von ihren Studien her vage als Erwiderung ihres Grußes wieder erkannte.

„Und da dachte ich, die Auenländer könnten mich nicht mehr überraschen“, wechselte Gimli in die gemeine Sprache und musterte Goldfranse mit vergnügt funkelnden Augen.

„Ich würde gerne mehr können, aber leider hatte ich nur ein einziges kleines Buch zum Lernen“, erklärte Goldfranse verlegen.

„Nun, wir sind noch ein paar Tage unterwegs und in Minas Tirith werden wir sicher auch Zeit füreinander finden“, erwiderte der Zwerg gutmütig.

Goldfranse strahlte über das ganze Gesicht und konnte ihrer Freude in keiner ihr bekannten Sprache genug Ausdruck verleihen, also ließ sie sich hinreißen und umarmte den Zwerg, der sie um ein gutes Stück überragte.

Dass Eómer und Faramir einander besorgt ansahen – und dass Legolas das auffiel und er sie daraufhin noch aufmerksamer musterte – bemerkte sie gar nicht.

Wagnis und Niederlage


 

Denn die Welt ist gefahrvoller als vormals. Und in allen Ländern ist Liebe nun verwoben mit Trauer. – Galadriel
 

Vier Tage nach ihrem Zusammentreffen mit den Delegationen der Elben und Zwerge erreichte die Schar Minas Tirith und wurde dort mit allen Ehren empfangen. König Aragorn und seine Familie hießen die hohen Gäste mit einer kleinen Feier willkommen und in einem ruhigen Moment begrüßte der hohe König seine alten Freunde voller Herzlichkeit.

Pippin und Merry grüßten als nächstes Fürst Faramir von Ithilien, dessen Hauptmann Brecht und Fürstin Eówyn, nachdem diese ihre Verwandten aus Rohan umarmt und geküsst hatte.

Auch Faramir, der Hobbit, wurde mit seinem Namenspatron bekannt gemacht, aber er war nicht so recht bei der Sache. Immer wieder huschte sein Blick zu Goldfranse, die sich mit beinahe manisch leuchtenden Augen zwischen all den berühmten Gestalten bewegte, hier grüßte, dort lachte, da eine Frage stellte…

Als das Festbankett eröffnet wurde, griff Faramir zuallererst nach einem Krug Bier und leerte ihn in wenigen Zügen. Er spürte Eómers ermahnenden Kniff, aber er knurrte nur unwillig und sprang auf, um ein neues Bier abzuzapfen…
 

Wie viel Zeit vergangen war und wie viele Biere er währenddessen getrunken hatte, wusste Faramir nicht. Zahlen waren nicht unbedingt die Freunde derer, die sich dem Alkohol hingaben. Seine Gedanken jagten einander in einem vollkommenen Chaos. Mal wollte er alles zum Teufel jagen, mal wollte er um Hilfe schreien. Alles ihretwegen: Goldis wegen, die Gimli seit Stunden mit Fragen löcherte.

Der Zwerg schien Spaß daran zu haben, aber irgendwann erhob er sich. Vielleicht wollte er nur kurz austreten oder seinen Humpen füllen – was auch immer der Grund war, Goldfranse war endlich einmal alleine. Faramir unternahm gar nicht erst den Versuch, richtig darüber nachzudenken. Er stemmte sich in die Höhe und stapfte schwerfällig zu seiner Kindheitsfreundin hinüber.

„Du darfst nicht nicht zurückkehren“, begann er mit einem Lallen, ließ sich neben Goldfranse auf die Bank plumpsen und sah sie vorwurfsvoll an.

Irritiert erwiderte sie seinen Blick und schürzte die Lippen. Eine blonde Locke fiel ihr in die Stirn. Faramir hob bereits die Hand, um sie zurück zu streichen, aber Goldfranse kam ihm zuvor und wischte sich die Locke aus dem Gesicht.

„Was darf ich nicht?“ fragte sie ungeduldig.

„Das Auenland verlassen“, erwiderte Faramir ärgerlich.

„Ich habe es doch schon verlassen.“

„Für immer, meine ich! Für immer! Du musst zurückkehren!“

Warum war ihr das denn nicht klar, fragte Faramir sich empört. War das so schwer zu verstehen, dass sie ins Auenland gehörte?

„Warum muss ich zurückkehren?“

In Goldfranses Blick lag etwas sehr Merkwürdiges, aber Faramir fühlte sich zu benommen, um sich darauf konzentrieren zu können.

„Weil ich auch zurückkehren werde. Du musst bei mir sein. Du gehörst zu mir!“

Auf einmal wurde Faramir sehr heiß und gleichzeitig wurde Goldfranses Gesicht tomatenrot. Erst die Wangen, dann die Nase und Stirn, schließlich sogar der Hals. In ihren Blick trat eine sanfte Scheu, die Faramir noch wärmer werden ließ.

Beseelt von diesem Moment, ergriff er Goldfranses Hand und sprach eifrig weiter. Er war sich selbst gar nicht bewusst, was er eigentlich von sich gab. Der Alkohol hatte ihm die Zunge gelöst.

„Du bist meine Goldi. Wir kehren gemeinsam ins Auenland zurück und gründen unsere eigene Familie. Denk’ dir nur, wie viele Kinder wir haben werden!“

Was er danach noch vor sich hin plapperte, würde er später nie und nimmer noch mal zusammen kriegen. Viel zu spät bemerkte er, dass sich der Ausdruck in Goldfranses Augen geändert hatte und dass die Röte in ihrem Gesicht nun ganz anderer Natur war.

Sie entzog ihm ihre Hand. Als sie sprach, war ihre Stimme ein gefährliches Hauchen, das Faramir mit einem Schlag ernüchterte: „Niemals. Ich werde niemandes Frau und ganz besonders nicht deine!“

Er hatte keine Chance, auch nur darüber nachzudenken, was er sagen oder tun konnte. Goldfranse stand auf, warf ihm einen verächtlichen Blick zu und verließ ihn mit schnellen Schritten. Jeder dieser Schritte kam Faramir wie eine Unendlichkeit vor und ihm war auf einmal sterbenselend zumute.

Als er spürte, wie seine Augen brannten, sprang er hastig auf und verließ den Festsaal. Er hatte das deutliche Gefühl, dass mehrere Augenpaare ihn beobachteten – aber das war nur ein weiterer Grund, die Flucht zu ergreifen.

Trost und Rat


 

Lass ihn nicht im Stich, haben sie zu mir gesagt. Ihn im Stich lassen! habe ich gesagt. Ich denke nicht daran. Ich gehe mit ihm und wenn er auf den Mond klettert. – Samweis Gamdschie
 

In seinem fünfzehnten Lenz hatte Eómer das erste Mal Bier trinken dürfen. Er hatte mit seinem Vater im Schloss von Bockland am offenen Fenster gesessen, hatte den Duft der Pfeife seines Vaters eingeatmet und andächtig seinen kleinen und nur halb gefüllten Humpen betrachtet. Merry hatte eine Hand auf das Gefäß gelegt und mit ernster Miene erklärt, dass Bier durchaus auch zum Feiern ganz vortrefflich sei, dass es jedoch in rauen Mengen keinerlei Genuss mehr bereit halte.

„Zuerst stellst du peinlichen Unfug an, dann entleerst du dich und am nächsten Tag pocht dir der Kopf und du erinnerst dich nicht einmal mehr an die Feier. Erspare dir so etwas, dann hast du mehr vom Leben, mehr vom Feiern und mehr vom Bier.“

Eómer war damals ein junger Bursche gewesen, ungeduldig wie alle seines Alters, und hatte die Belehrung kaum gewürdigt, doch jetzt, mehr als zehn Jahre später, kam sie ihm wieder in Erinnerung, während er Faramir betrachtete.

Sein Freund hatte das Gesicht in den Händen vergraben und atmete schwer. Immer wieder erzitterte sein Körper, ehe er sich anspannte. Keinen Laut gab er von sich, gab durch nichts zu verstehen, ob er die Anwesenheit seines besten Freundes bemerkte, geschweige denn zu würdigen wusste.

Alles an Faramir schrie die Verzweiflung und Selbstverachtung geradezu heraus – und Eómer konnte nicht mehr tun, als an der Innenseite der Tür zu stehen und so zu verhindern, dass noch jemand sah, was ohnehin jeder wusste.

Der Vorfall zwischen Faramir und Goldfranse war zumindest den Ringgefährten und ihren Angehörigen nicht verborgen geblieben. Nach Faramirs Flucht war Eómer von den Festlichkeiten verschwunden, aber sein Vater hatte ihm am nächsten Morgen erzählt, dass Goldfranse noch den ganzen Abend mit einer der Rohirrim-Prinzessinnen getanzt hatte, ganz so, als wäre nichts geschehen.

Heute war der Hochzeitstag des Thronfolgers. Keiner würde strengstens verlangen, dass Eómer und Faramir zugegen waren, aber Eómer hatte den Eindruck, dass es für seinen Freund nicht förderlich war, sich weiter hier zu verschanzen. Die Frage war jedoch, wie er Faramir aus diesem vegetativen Zustand reißen sollte.

„Ich habe ihr gesagt, dass ich sie zur Frau will…“

Die dumpfen Worte seines Freundes ließen Eómer zusammenfahren. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Faramir die Initiative ergreifen würde, aber die vielen Stunden verzweifelten Schweigens schienen ein Ende gefunden zu haben.

„Ich habe gesagt, dass sie das Auenland nicht verlassen soll… Ich habe ihr gesagt, dass ich Kinder mit ihr haben will… Wie konnte ich nur so dumm sein?!“

Eine gute Frage, ging es Eómer durch den Kopf. Das war genau das, wovor sein Vater ihn gewarnt hatte – und er würde seine rechte Hand darauf verwetten, dass Pippin seinem Sohn eine ganz ähnliche Belehrung hatte angedeihen lassen.

Aber das nützte alles nichts. Das Bier war bereits vergossen, wie der steinalte Ohm immer sagte.

„Meinst du es denn ernst?“

Aus blutunterlaufenen Augen blickte Faramir verständnislos auf.

Eómer unterdrückte ein Seufzen. Liebesangelegenheiten waren so fürchterlich kompliziert. Hoffentlich ließ Eówyn sich noch viele, viele Jahre damit Zeit. Obwohl es natürlich einiges wert wäre, die immer gelassene Miene seines Vaters entgleisen zu sehen, wenn seine einzige Tochter schon in den Tweens einen Freier mit nach Hause bringen würde.

„Willst du sie wirklich zur Frau nehmen und Kinder mit ihr haben?“

„Natürlich! Das war mein voller Ernst! Aber-“

„Dann warst du in den letzten Jahren ein noch größerer Dummkopf, als ich dachte“, unterbrach Eómer seinen Freund schroff. „Du hast dich von Goldi abgewandt und sie in Bruchtal sogar beleidigt. Und du hast dich für dein Verhalten an der Pforte von Rohan auch nie entschuldigt. Dir war es gestern also ernst, aber auf Goldi konnte es gar nicht so wirken.“

Faramir schrumpfte unter dieser Tirade derartig in sich zusammen, dass es Eómer beinahe wieder Leid tat, ihn so angegangen zu sein.

Mit milderer Miene und Stimme fuhr er fort: „Aber wenn es dir mit Goldi ernst ist, dann solltest du jetzt auch nicht aufgeben.“

Verzweifelt blickte Faramir wieder auf. „Aber was kann ich denn jetzt noch tun?“

„Heute reißt du dich zusammen und gehst mit mir zur Hochzeit. Und in den nächsten Tagen entschuldigst du dich bei Goldi und erklärst ihr alles richtig.“

In Faramirs Augen lagen immer noch Zweifel, aber zumindest ließ er sich von Eómer zum Badezuber schieben…
 

Als sie kurze Zeit später neben ihren Vätern und deren Freunden standen und die Hochzeitszeremonie beobachteten, blickte Eómer aus dem Augenwinkel zu Goldfranse, die zwischen Merry und Gimli stand. Sie trug eines der Kleider, welche für ihre Schwester Eleanor angefertigt worden waren, als diese mit den Eltern ein Jahr lang in Minas Tirith gelebt hatte. Es stand ihr außerordentlich gut, sie war nach Hobbitmaßstäben eine richtige Schönheit. Darin stand sie ihrer älteren Schwester nicht nach, die doch im ganzen Auenland für ihre Schönheit berühmt war.

Doch für Eómer lag etwas in ihrer Miene, das er nur als hässlich bezeichnen konnte. Ein ganz und gar seltsamer Ausdruck, halb Wahnsinn, halb Frohsinn. Aufgesetzt und doch von Grund auf ehrlich. Goldfranse versuchte, sich beherrscht und unnahbar zu geben, und offenbarte gerade dadurch ihre Verletzlichkeit. Eómer wandte den Blick nach Links zu Faramir, der steif und mit starrem Blick da stand, als fürchtete er, zusammen zu brechen, wenn er in Goldfranses Richtung blickte.

Es kostete Eómer alle Beherrschung, nicht laut zu seufzen. Oh ja, er legte wirklich keinen Wert auf Liebesangelegenheiten. Und der Spaß über den Blick seines Vaters war so etwas auch nicht wert. Er würde wie ein Drache über seine Schwester wachen, wenn er wieder im Auenland war!

Fernweh oder Heimatangst


 

Die Zungen der Zwerge stehen nicht still, wenn sie über ihre eigenen Werke berichten, heißt es. – Glóin
 

Das Flüstern von fliegenden Pfeilen und das stetige Tschonk ihres Eintreffens im Ziel durchbrach die Stille, die über dem Übungsplatz der Stadtwächter von Minas Tirith lag. Gelegentlich sprach Legolas, gab seiner kleinen Schülerin Hinweise zu Körperhaltung und Zielvorgang. Goldfranse wiederum hörte immer aufmerksam zu und stellte nur wohl überlegte Fragen. Ihre Miene war von einem Ernst, der für ein Hobbitmädchen in den Tweens aus behüteten Verhältnissen nicht so recht passend schien.

Mit ebenfalls ernster Miene beobachtete Gimli, wie sein Elbenfreund Goldfranse im Bogenschießen unterrichtete, während er selbst am Rand saß.

Kaum dass die Gepflogenheiten es nach der Hochzeit zugelassen hatten, hatte Goldfranse sich an Legolas und Gimli gewandt mit der Bitte, sie zu unterrichten. Sie hatten zuerst angenommen, das Mädchen wolle Sprachunterricht erhalten, aber es hatte ihnen mit todernster Miene erklärt, dass es darüber hinaus auch den Umgang mit der Axt und mit Pfeil und Bogen erlernen wollte.

Zunächst hatten sie mit sich gehadert, ob das tatsächlich zu verantworten sei. Dass etwas mit Goldfranse im Argen lag, hatten sie Beide schon beim Treffen am Anduin bemerkt. Sie waren letztendlich überein gekommen, dass dies vielleicht eine Möglichkeit bot, die Beweggründe des Mädchens zu erleuchten. Außerdem waren sie in Sorge, dass sie andernfalls auch ohne ihre Hilfe versuchen würde, den Umgang mit den Waffen zu erlernen, und sich dabei selbst gefährden würde.

Gimli hatte mittlerweile so viel Zeit mit Elben verbracht und dabei oft genug ihre Schützenkunst beobachtet, dass er erkannte, dass Goldfranse zwar die korrekte Technik für den Umgang mit Pfeil und Bogen erlernen konnte, dass es ihr jedoch an der richtigen Einstellung dafür mangelte. Sie war von einem inneren Druck ergriffen, der ihr die Ruhe und Sicherheit nahm, die so dringend notwendig waren. An ihrer Haltung oder ihrer Aufmerksamkeit fand sich dabei kein nennenswerter Makel, aber es war für Gimli klar ersichtlich, dass das Mädchen nicht über den derzeitigen Stand, das Ziel im Allgemeinen zu treffen, hinaus wachsen konnte. Nicht so lange es nicht mit sich selbst ins Reine gekommen war.

Ganz ähnliche Probleme sah Gimli bereits in Bezug auf die Lehrstunden mit der Axt kommen. Die Meisterschaft im Umgang mit der groben Waffe erforderte ein Loslassen vom eigenen Selbst und den Gedanken, die nicht unmittelbar mit dem Kampf in Verbindung standen. Gimli bezweifelte, dass Goldfranse dazu in der Lage war.

Die langen Jahre des gemeinsamen Reisens offenbarten dem Zwerg, dass Legolas ganz ähnliche Zweifel und Sorgen umtrieben. Die Tochter ihres alten Freundes war innerlich erkrankt. Es mochte auch an ihren Zwistigkeiten mit Faramir liegen, aber eben diese Zwistigkeiten hatten ihren Grund teilweise in etwas tieferliegendem.

Als alle Pfeile verschossen waren, drehte Goldfranse sich mit einer Art fiebrigen Glanz in den Augen zu ihrem Lehrmeister um. Legolas blieb ruhig und nickte beifällig.

„Du hast die Grundlagen der Technik gemeistert. Das kannst du mit Übungen ausbauen.“

„Und wenn ich bewegliche Ziele habe?“

Wenn vorher noch der geringste Zweifel an der Existenz eines Problems bestanden hatte, so war er hiermit ausgelöscht. Dass ein Hobbitmädchen in den Tweens aus wohl geordneten Verhältnissen in friedlichen Zeiten ernsthafte Gedanken über Krieg und Kampf hegte, war zutiefst beunruhigend.

„Glaubst du denn, dass das notwendig sein wird?“, erwiderte Legolas, während Gimli aufstand und sich zu ihnen gesellte.

„Vielleicht…“ Goldfranse machte ein Gesicht, als fühlte sie sich ertappt, aber zugleich lag der Trotz in ihren Augen. „Wenn ich durch Mittelerde reisen will, muss ich mich verteidigen können.“

„So, so, du hast also Reisepläne?“, hakte Gimli nach. „Wohin willst du denn reisen?“

„Überallhin“, war die prompte, beinahe hitzige Antwort. Goldfranses jugendliches Gesicht begann zu glühen und der fiebrige Glanz in ihren Augen wirkte nun beinahe bedrohlich. „Mittelerde ist so unendlich groß. Ich will alles sehen und erleben und lernen!“

„Hast du das jemals mit deinen Eltern besprochen?“

Ein finsterer Ausdruck trat in ihre Augen, ohne jedoch den Fieberglanz zu vertreiben.

„Vater und Mutter haben mich immer in Hobbingen gefangen gehalten. Sie würden mir die Reise nie erlauben.“

„Und deshalb hast du sie in Angst und Schrecken versetzt und bist bei Nacht und Nebel davon gelaufen.“ Eine Spur Missbilligung lag in der melodiösen Stimme des Elben.

Goldfranse blinzelte heftig, erzitterte, dann straffte sie die Schultern und schob das Kinn vor. Der Glanz in ihren Augen war sogar noch intensiver geworden. Es wirkte beinahe, als befände sie sich im Delirium.

„Wie wäre es dann“, begann Gimli einer Eingebung folgend, „wenn du mit uns kommst? Einmal dem Anduin bis in den Norden folgen. Lotlorien besuchen. Streifzüge durch den Düsterwald, durch Seestadt und durch den Einsamen Berg. Derweil können wir auch an deinen Kampf- und Sprachfertigkeiten arbeiten.“

Wie Gimli es erhofft hatte, schwand der fiebrige Glanz und wurde von jenem kindlich warmen Leuchten abgelöst, das er noch von seiner ersten Begegnung mit dem Mädchen in Erinnerung hatte. Jetzt verstand er allmählich, was es mit ihrem Betragen auf sich hatte, und er sah, dass auch Legolas es nun verstand.

Es tat Gimli Leid, seinem alten Freund Sam Kummer zu bereiten, aber wenn er überhaupt etwas für dessen Tochter tun konnte, dann nur so. Er hoffte, dass Sam ihm dieses eigenmächtige Verhalten eines Tages verzeihen konnte.

Der Entschluss des Mädchens


 

Dann glaubt Ihr, dass die Dunkelheit kommt? Unentrinnbare Dunkelheit? – Eowyn
 

„Wir wollen Goldi mit zum Einsamen Berg nehmen.“

Faramir blieb so abrupt stehen, dass im nächsten Moment Eómer in ihn hinein lief. Sie waren auf der Suche nach Goldfranse durch den Irrgarten der königlichen Gemächer gelaufen. Auf einem Innenhof mit Säulenrundgang hörten sie nun Legolas’ melodiöse Stimme und beeilten sich, sich im Verborgenen zu halten und doch nichts zu verpassen.

„Das dürfen wir nicht entscheiden. Es war schon nicht in Ordnung, sie mit hierher zu nehmen. Sam hat ganz klar gesagt, dass er das nicht will“, erklang Pippins ernste Stimme.

„Und warum habt ihr sie dennoch mitgenommen?“ Das war Gimli. Seine tiefe Stimme hatte etwas Lauerndes.

„Weil sie andernfalls alleine auf Reisen…“, begann Merry und verstummte träge. „Oh“, machte er leise.

„Genau“, brummte Gimli.

Schweigen legte sich über den Innenhof. Das Treiben der vielen Bewohner und Gäste Minas Tiriths war hier nicht zu hören. Es war ein Ort der Kontemplation, ruhig, entspannt, friedlich. Doch das jetzige Schweigen fühlte sich sogar für Faramir, der die alten Gefährten nicht sehen konnte, äußerst angespannt an. Ihm wurde klar, dass auch sein Vater und dessen Freunde bemerkt hatten, wie es um Goldfranse stand.

Allerdings verstärkte das seine Sorgen eher, als dass es sie beruhigte. Hieß das doch, dass seine von seinen Gefühlen für Goldfranse beeinträchtigten dunklen Ahnungen von Anfang an richtig gelegen hatten. Hätte er all das vielleicht verhindern können, wenn er sich von Anfang an anders verhalten hätte?

Erst die Hand seines Freundes auf seiner Schulter machte ihm bewusst, wie angespannt er war.

„Es handelt sich bei Goldfranse nicht einfach nur um Abenteuerlust“, durchbrach Legolas bedächtig die Stille. „Sie läuft vor etwas davon.“

„Wohl eher vor jemandem“, murmelte Merry. Die Anderen mussten ihn fragend angesehen haben, denn er hob die Stimme bei seinen nächsten Worten etwas. „Ich denke, dass sie vor Sam und Rosi davon läuft. Die Beiden haben es sicher nur gut gemeint, aber in gewisser Hinsicht haben sie Goldfranse eingesperrt. Vielleicht hätten sie Goldi mehr Freiheiten eingeräumt, wenn sie gewusst hätten, was in ihr vorgeht. Eleanor haben sie ja auch vor der Zeit heiraten lassen. Aber sie konnten es ja auch gar nicht wissen, da Goldi offensichtlich nie über ihre Gefühle spricht.“

„Dann ist es vielleicht umso wichtiger, dass sie mit euch zum Einsamen Berg geht“, mutmaßte Pippin. Ein hoffnungsvoller Unterton lag in seiner Stimme. „Wenn sie Vertrauen zu euch fasst, könnt ihr mit ihr darüber reden. Das bringt sie hoffentlich zur Besinnung.“

„Und was ist mit deinem Jungen?“, fragte Merry.

In seinem Versteck errötete Faramir und klammerte sich unwillkürlich fester an die Säule, hinter welcher er sich mit Eómer versteckt hielt.

„Faramir ist alt genug, um selbst zu entscheiden und für diese Entscheidung auch gerade zu stehen. Ich darf mich da nicht einmischen. Das würde ihm nicht helfen.“

Die Worte klangen herzlos, aber die Art und Weise, sie Pippin sie aussprach, war voller Gefühle. Es schnürte Faramir die Kehle zu.

Ein dumpf klopfendes Geräusch erklang. Ein Schulterklopfen, erriet Faramir.

„Es war einfacher, als sie kleine Naseweise waren“, seufzte Merry. Gimli brummte leise und wieder erklang ein Klopfen.

„Versteht mich nicht falsch“, wehrte Pippin ab. „Ich bin stolz auf den Jungen. Im verliebten Zustand führte sich zwar wie ein Narr auf, aber wie könnte ich ihm das zum Vorwurf machen? Ich war ja nicht besser.“

„Die schlimmsten zwei Jahre unserer Freundschaft“, schnaubte Merry.

„Es kann nicht jeder vor aller Augen zu den tanzenden Mädchen gehen und die Anführerin auf einen Krug Bier einladen“, grummelte Pippin.

„Ja, das wäre tatsächlich langweilig“, sagte Merry gedehnt. „Ohne liebeskranke Narren wäre das Leben nur halb so lustig.“

Gimli und Legolas lachten. Obwohl ihre Stimmen so unterschiedlich wie Tag und Nacht klangen, ergab es doch irgendwie eine Harmonie, in die sich Merrys und Pippins einstimmendes Gelächter wunderbar einfügte. Es war das Lachen von Freunden, die gemeinsam durch ganz Mittelerde gereist waren, Seite an Seite Gefahren getrotzt hatten, füreinander das eigene Leben riskiert hatten. Es war das reife, aufrichtige Lachen von Männern, die sich von einer Krise nicht mehr einschüchtern ließen.

Dieses Lachen vermittelte Faramir nicht Spott über seine Situation, sondern Hoffnung auf eine Besserung. Zuversicht für ihn und Goldfranse.

Faramir drehte sich zu Eómer um und erkannte auch in seinen Augen Hoffnung. Und ein Versprechen.

Eómer lächelte, als er den Blick seines Freundes erwiderte. Dann legte er Faramir eine Hand auf die Schulter, drückte einmal und wandte sich dann ab.

Faramir blieb, wo er war, und lauschte weiter dem Lachen der Ringgefährten.

Wunsch und Wirklichkeit


 

Es ist keine Lüge in deinen Augen, wie ich befürchtet hatte… Ein Narr, aber ein ehrlicher Narr bleibst du… - Gandalf
 

Als Eómer das Zimmer betrat, welches Goldfranse zur Verfügung gestellt worden war, war seine Jugendfreundin dabei zu packen. Ihr hölzernes Übungsschwert, der Kinderbogen und die kleine Axt lagen offen auf dem Bett. Offenbar hatte Goldfranse nicht mehr die Absicht, ihre kriegerische Natur zu verbergen. Der Gedanke bereitete Eómer Bauschmerzen, aber er straffte die Schultern und klopfte gegen den Türrahmen.

Wie von ihm beabsichtigt, blickte Goldfranse von dem Bündel Bücher auf, welches sie gerade in Tuch einschlug, damit es bei der Reise keinen Schaden nahm.

„Wir müssen reden, Goldi.“

„Ich wüsste nicht, worüber“, war die kaltschnäuzige Antwort.

„Du denkst, ich bin auf Faramirs Seite, das stimmt auch, aber ich bin gleichzeitig auf deiner Seite. Ihr seid Beide meine Freunde.“

Goldfranses Augen blitzten vorwurfsvoll auf. „Davon habe ich in den letzten Jahren nichts mehr bemerkt.“

„Verzeih’, dass wir nicht nach jedem missglückten Versuch, deinen Vater zu überzeugen, dich mit uns ziehen zu lassen, zu dir gekommen sind“, erwiderte Eómer scharf. „Und verzeih’, dass ich mich nicht in deine und Faramirs Liebesangelegenheiten einmischen wollte.“

Eine verräterische Röte entflammte auf Goldfranses Wangen und bestätigte Eómers Vermutung. Als sei das nicht schon genug, senkte Goldfranse den Blick und nuschelte: „Da gibt es keine Liebesangelegenheiten…“

Eómer schnaubte. Seine bisherige Zurückhaltung hatte er aufgegeben.

„Natürlich nicht… sonst hätte dir Faramirs tölpelhaftes Verhalten der letzten Monate ja etwas ausgemacht.“

Goldfranse wandte ihm brüsk den Rücken zu und legte das Bücherbündel in ihre Tasche. Eómer entging nicht, dass ihre Hände zitterten.

„Du nennst das also tölpelhaftes Verhalten? Klingt ziemlich harmlos, wenn man bedenkt, was er alles getan hat.“

Mit wenigen Schritten war Eómer bei seiner Freundin, ergriff ihre Hand und zwang sie, ihm in die Augen zu blicken.

„Er hat sich gewiss nicht mit Ruhm bekleckert, als er dir im betrunkenen Zustand ein ungeschicktes Geständnis gemacht hat, aber was du getan hast, war grausam.“

Goldfranses Blick flackerte. Tränen sammelten sich in den Augen, aber noch immer versuchte sie, sich stark und unerschütterlich zu präsentieren.

Behutsam strich Eómer ihr über die goldenen Locken. Zuerst zuckte sie davor zurück, aber dann entkam eine Träne ihrer Kontrolle.

„Goldi, es war zur völlig falschen Zeit, aber alles, was Faramir dir gesagt, hat er voll und ganz ernst gemeint.“

„Das ist ja das Problem!“, klagte Goldfranse und entwand sich seinem lockeren Griff. „Er will eine artige Frau, so wie Mutter eine artige Tochter will. Was ich will, ist ihm doch völlig einerlei.“

„Und was willst du?“, fragte Eómer ruhig. „Nein ehrlich, ich möchte wissen, was das alles bisher für einen Sinn hatte.“ Erklärend deutete er auf die Waffen und auf Goldfranses burschenhaften Aufzug.

„Ich will frei sein“, krächzte sie, brach jedoch ab und senkte schon wieder den Blick.

„Frei wovon?“, fragte Eómer unerbittlich weiter.

Es war nicht rechtens, Goldfranse derart zu bedrängen, aber er hatte die Befürchtung, andernfalls bald nicht nur sie, sondern auch Faramir zu verlieren.

„Von allem“, presste sie schwach hervor und kniff die Augen zu, sodass zwei weitere Tränen über ihre Wangen rannen. „Ich wollte doch immer nur… etwas von Mittelerde sehen und erleben… Wenn ich Faramirs Wunsch erfülle, bin ich wieder ans Auenland gefesselt.“

„Glaubst du denn, dass Faramir nach dieser Reise hier einfach sesshaft wird?“ Bei dieser Vorstellung schüttelte Eómer ungläubig den Kopf. „Irgendwann wird er der neue Tuk und Táin, aber bis dahin gibt es keinen Grund, ein normales Hobbitleben zu führen. Du weißt doch: Tuks sind keine normalen Hobbits.“

„Dann will ich, dass er endlich ehrlich zu mir ist und mich so anerkennt, wie ich bin“, murmelte Goldfranse nach einem nachdenklichen Schweigen. „Und ich will, dass weder Bier noch du noch sonst irgendjemand oder –etwas ihn dazu ermuntern. Wenn ihm diese Worte wirklich ernst waren, muss er aus eigenem Antrieb zu mir kommen.“

Goldfranse trocknete sich die Tränen und blickte beinahe trotzig zu Eómer auf.

Dieser seufzte ergeben. Mit so etwas hatte er von Anfang an gerechnet. Im Grunde gab er seiner Kindheitsfreundin sogar Recht in dieser Sache, aber nach allem, was bereits geschehen war, würde es ihm wirklich schwer fallen, nichts zu unternehmen.

„Ich werde ihm nichts sagen“, versprach er, sah Goldfranse dabei jedoch ernst an. „Aber mach’ es ihm bitte nicht noch schwerer, als es ohnehin schon ist.“

Sie nickte nur zaghaft, aber Eómer gab sich damit zufrieden und sprach eine andere Sache an, die ihm auf der Seele lag. „Es tut mir Leid, dass mir nie bewusst geworden ist, wie sehr dich das alles belastet. Ich habe mich innerlich immer damit raus geredet, dass sich die Dinge schon einrenken würden.“

„Und ich habe nie den Mut aufgebracht, meinen Eltern ins Gesicht zu sagen, dass ich nicht damit glücklich werde, in Mutters Fußstapfen zu treten“, gestand Goldfranse mit betretener Miene. „Ich werde das nachholen, wenn ich wieder im Auenland bin… nach der Reise zum Einsamen Berg.“

„Klingt gut“, erwiderte Eómer lächelnd und zog Goldfranse in eine geschwisterliche Umarmung.

Zuerst spürte er, wie sich ihr Körper versteifte, aber nach wenigen Sekunden erwiderte sie die Geste inbrünstig.

Eómer fühlte sich erleichtert. Vieles war noch ungewiss und das Glück seiner beiden Freunde war alles andere als garantiert, aber er verspürte dennoch Zuversicht und Vertrauen.

Die Wälder von Ithylien


 

Viele, die leben, verdienen den Tod. Und manche, die sterben, verdienen das Leben. – Gandalf
 

Nach all den Feierlichkeiten und Geselligkeiten der letzten Wochen war es den Ringgefährten eine besondere Freude, von Fürst Faramir und dessen Gattin Eówyn nach Ithylien eingeladen zu werden. Zwar war es nur eine Reise von wenigen Tagen, aber nach all dem Müßiggang war sie erfrischend. Auch König Aragorn schien froh darum zu sein, dass es zu seinen Pflichten gehörte, die Südgrenze von Ithylien in Augenschein zu nehmen.

Späher hatten dort eine erhöhte Aktivität der Haradhrim festgestellt und da auf die vielen Friedensversuche von Gondor und namentlich Ithylien nie eine Antwort erfolgt war, hatte Fürst Faramir es nach Rücksprache mit seinem Lehnsherrn für notwendig gehalten, die Südgrenze seines Landes zu befestigen. König Elessar wollte nun sicher gehen, dass zum Schutz seines Vasallen alles Menschenmögliche getan worden war.

Legolas, Gimli und die Hobbits hatten sich dem König angeschlossen und wollten nach der Besichtigung der Südgrenze zum Hauptsitz des Fürstenpaares reisen, wo Eówyn sich bereits um ihre Kinder kümmerte und die Gelegenheit hatte, ihren Bruder und dessen Kinder als Gäste für eine Weile für sich zu haben.

Vor allem wenn man bedachte, was für eine Nachbarschaft Ithylien viele Jahrhunderte lang hatte erdulden müssen, war es umso schöner, durch die gesunden Wälder und Felder des kleinen Fürstentums zu reiten.

Im Osten waren immer die Berge zu erahnen, welche den natürlichen Grenzwall zu Mordor darstellten. Das Gebiet jenseits dieser Berge genas nur äußerst langsam. Noch immer war es unfruchtbar und von Orks besiedelt, auch wenn ihre Zahl langsam aber sicher zurück ging, da ihre Bruthöhlen zu veröden schienen. Diese Erkenntnisse waren Spähern zu verdanken, die sich für diese lebensgefährliche Aufgabe nur freiwillig melden durften, da waren sich Aragorn und Faramir einig – und selbst unter den Freiwilligen unternahmen sie jedes Mal eine sorgfältige Auslese.

Goldfranse hörte zu, während der König und sein Vasall ihren Freunden all das erzählten, aber hing nicht so gebannt an ihren Lippen wie sonst immer. Ihr Blick schweifte des Öfteren zu Faramir, den Hobbit, ab und huschte dann schnell wieder in eine andere Richtung. Manchmal begegnete sie seinem Blick, aber dann sah sie jedes Mal schnell weg und kämpfte gegen ihre Gesichtsröte an. Immer wieder meinte sie, Faramirs Blick zu spüren, aber sie traute sich nie, es zu überprüfen.

Seit Eómer sie zur Rede gestellt hatte, war eine Woche vergangen, ohne dass Faramir mit ihr gesprochen hatte, aber in einer so großen Reisegesellschaft war ein Gespräch unter vier Augen beinahe unmöglich. Doch dafür gab es Blicke und scheinbar zufällige Berührungen, die Goldfranses Herz immer wieder stocken ließen. Es wirkte fast, als wollte Faramir sie darum bitten, Geduld zu haben – und die versuchte sie aufzubringen.

Die Reisegesellschaft erreichte ein großes gerodetes Feld, in dessen Zentrum ein hölzerner Turm stand. Goldfranse begriff nur langsam, was der Grund dafür war: Stünde der Turm mitten im Wald, so wäre es unmöglich, das Gebiet zu überblicken und eine Annäherung zu bemerken.

„Es ist keine elegante Lösung, aber es wäre naiv, zu glauben, dass die Haradhrim nur mit ihren auffälligen Mûmakûl angreifen“, erklärte Fürst Faramir, während sie zum Turm ritten, an dessen Fuß ein großes Lager errichtet worden war.

Ein Mann in den besten Jahren trat ihnen entgegen und verbeugte sich ehrerbietig und doch stolz, erst vor dem König, dann vor dem Fürsten und schließlich vor deren Begleitern.

„Seid willkommen im Fuchs-Lager!“

„Bergil“, lachte Pippin und sprang von seinem Pony, um den Mann zur Begrüßung zu umarmen. „Beim Barte des Zauberers, du bist vielleicht riesig geworden!“

„Das kann in fünfunddreißig Jahren schon mal passieren“, erwiderte der Hauptmann ein wenig verlegen.

„Zumindest, wenn man kein Hobbit ist“, lachte Pippin und drehte sich zu Fürst Faramir um. „Ihr seid ein Schuft, mir vorzuenthalten, dass Bergil hier der Hauptmann ist!“

„Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht“, erwiderte der Mann betont unschuldig, aber in seinen Augen lag ein Lächeln.

Es gab eine tiefe Verbindung zwischen dem Fürsten, Pippin, Bergil und dessen Vater Beregond. Ohne den Einsatz der anderen Drei wäre Faramir damals während der Belagerung von Minas Tirith von seinem Vater bei lebendigem Leibe verbrannt worden.

Hauptmann Bergil führte sie durch das Lager und erläuterte die aktuellen Bewegungen der Haradhrim. Die Gefährten waren in einer Zeit besonders starker Anspannung eingetroffen. Es waren viele Später der Haradhrim gesichtet worden, die am jenseitigen Ende des Feldes zwischen den Bäumen standen. Es machte den Anschein, als warteten sie auf etwas oder jemanden. Bergils Soldaten schliefen deshalb in voller Rüstung und waren zuweilen schreckhaft vor lauter Anspannung.

Der Anblick der bunt zusammen gewürfelten Reisegesellschaft schien eine von Bergil innig willkommen geheißene Abwechslung darzustellen. Es gab viel aufgeregtes Geflüster und die müden Mienen hellten sich voller Ehrfurcht und frischen Mut auf. König Aragorn und Fürst Faramir waren nicht nur wegen ihrer Wappen wohlbekannt und wurden regelrecht verehrt.

„Vielleicht solltet Ihr dennoch bald wieder aufbrechen“, schlug Bergil respektvoll vor, als sie im Kommandozelt um den taktischen Tisch mit Karten des Gebiets herum standen.

Goldfranse entging dabei nicht, dass er einen flüchtigen Blick in Richtung der drei jungen Hobbits warf. Der Gedanke erboste sie und sie hätte dem auch Luft gemacht, wenn nicht der Ton eines Horns erklungen wäre.

„Ein Hornstoß bedeutet Ankömmlinge auf unserer Seite“, erklärte Bergil. „Zwei Hornstöße-“ Er brach ab, als das Horn erneut erklang.

„Bedeutet Feinde“, knurrte Gimli und löste seine mächtige Streitaxt aus dem ledernen Futteral an seinem Rücken.

„Majestät…“ Bergil drehte sich angespannt Aragorn zu. „Ich begrüße jeden zusätzlichen Kämpfer, andernfalls könnt Ihr im Inneren des Turms Zuflucht suchen.“

„Das gilt für euch Drei“, sagte Pippin und deutete auf Goldfranse, Faramir und Eómer.

Das Mädchen wollte protestieren, aber Faramir ergriff einfach ihre Hand und zog sie mit sich. Außerhalb des Zeltes herrschte ein Durcheinander, in dem dennoch jeder seinen Platz zu kennen schien. Hauptmann Bergil rief Kommandos in alle Richtungen, während er zum Turm schritt, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Faramir und Eómer eilte ihm hinterher und zogen Goldfranse dabei unnachgiebig mit sich. Dieser blieb nichts anderes übrig, als hinter ihnen her zu stolpern, aber in ihrem Inneren brodelte es deswegen vor Wut. Sie wollte kämpfen!

Der Hauptmann wies den jungen Hobbits im Inneren des Turms eine Ecke zu, wo sie nicht im Weg waren, dann erklomm er schnell die Leiter, um zur Aussichtsplattform zu gelangen. Wenig später kehrte er zurück, wies mehrere Bogenschützen dem Turm zu und verließ diesen wieder. Zwei Soldaten ließen die Tür herunter, die mit Stützen zu beiden Seite in der Höhe gehalten worden war, und verriegelten sie von innen, dann eilten sie ebenfalls nach oben und ließen die drei Hobbits alleine zurück.

Um den Turm herum kehrte Ruhe ein, sodass Goldfranse nun das Gebrüll der Haradhrim hören konnte – zumindest nahm sie an, dass es von den Südländern stammte – und dann das Gebrüll eines gewaltigen Tieres.

„Olifanten“, murmelte Goldfranse aufgeregt und setzte sich in Bewegung, um die Leiter zu erklimmen, aber Eómer und Faramir griffen gleichzeitig nach ihr und hielten sie zurück. „Ich will sie doch nur sehen“, protestierte sie empört.

„Die Haradhrim haben auch Bogenschützen“, erwiderte Eómer streng.

In den nächsten Minuten konnten sie nicht mehr tun, als zu lauschen, wie die Kämpfe begannen. Bergil rief eine Kavallerieeinheit zu sich, um eine der Bestien anzugreifen, König Aragorn die andere. Eine Gruppe Infanteristen folgte unter der Leitung Gimlis, dessen Zwergenflüche laut und deutlich zu hören waren. Fürst Faramir übernahm seiner Ansprache vor dem Tor des Turms nach die Leitung der Verteidigung des Bollwerks.

Golfranse presste ein Ohr gegen die Bretter und versuchte, zu erraten, was draußen vor sich ging. Waffen klirrten, Hufe trappelten, Kommandos, Schmerzensschreie, Kriegsgeheul, Flüche, Wiehern, das Gebrüll der Olifanten. Der Gedanke, einem dieser gewaltigen Wesen so nahe zu sein und es doch nicht sehen zu können, war die reinste Qual für Goldfranse. Faramir versuchte, sie zu beruhigen, aber sie bemerkte erst nach mehreren Minuten seine Hand auf ihrer Schulter.

Und dann schrien die Bogenschützen auf einmal Warnungen nach unten. Die Männer sprangen die Leiter runter und rissen die Hobbits zu Boden – und über ihnen wurde der Turm regelrecht zerrissen. Gewaltige Stoßzähne und ein dicker, lederner Rüssel rissen den stabilen Bau so mühelos auseinander, wie eine Sense durch die Halme schnitt. Bevor jemand ihren Kopf herunter drückte, erkannte Goldfranse zwischen den aufragenden Trümmern einen mächtigen Kopf mit riesigen Ohren und im Nacken des Olifanten einen dunkelhäutigen, kahlköpfigen Mann mit großen Dornen in den Wangen und gefährlichen Augen.

„Raus hier!“, rief jemand und Goldfranse wurde in die Höhe gerissen und durch die Trümmer des Turms bugsiert.

In all dem Chaos verlor sie ihre Freunde. Sie wurde mal hierhin, mal dorthin geschoben, immer außerhalb der Reichweite der von allen Seiten angreifenden Haradhrim. Zu Pferde kämpften die fremdartigen Männer mit langen Speeren, deren Spitzen so lang wie Goldfranses Arm waren. Die Infanteristen schwangen riesige Säbel oder stießen mit langen, gebogenen Dolchen zu.

Jemand gab Goldfranse einen so kräftigen Stoß, dass sie stolperte und zu Boden ging. Als sie wieder aufstand und sich umsah, erblickte sie nicht ein bekanntes Gesicht. Überall wurde gekämpft. Etwas entfernt umkreisten mehrere Soldaten einen Olifanten ohne Reiter. Das Tier brüllte auf einmal gequält und knickte mit einem Hinterbein ein.

Goldfranse wandte den Blick von diesem grausigen Schauspiel ab und erkannte zu ihren Füßen einen Haradhrim Dolch. Er war die reinste Verlockung und… die Soldaten brauchten Hilfe…

Ohne noch einmal darüber nachzudenken, ergriff sie die schwere Waffe.

Die Suche nach dem Mädchen


 

Die Hände des Königs sind die Hände eines Heilers. Und daran konnte man immer erkennen, wer der rechtmäßige König war. – Heilerin von Gondor
 

Es war Faramir und Eómer gelungen, nach der Zerstörung des Turms zusammen zu bleiben. Sie waren hin und her gestolpert, ihre Schwerter gezogen, doch keineswegs kampfbereit, als Aragorn auf seinem Pferd neben ihnen erschienen war. Er hatte sie Beide zu sich aufs Pferd gezogen und war zum Waldrand geritten. Auf sein Geheiß hin hatten sie sich im dichten Geäst einer Eiche versteckt und von dort aus den restlichen Kampf beobachtet.

Nun war auch klar, wie es den Haradhrim hatte gelingen können, die Verteidigung um den Turm zu durchdringen. Faramir zählte nicht weniger als sechs Olifanten. Zwei davon lagen weit vom Turm entfernt, aber die anderen vier hatten es bis zum Turm oder zumindest in dessen unmittelbare Nähe geschafft. Dadurch dass sie von Kriegern zu Fuß und zu Pferde flankiert worden waren, war es für die Soldaten Ithyliens ein hartes Stück Arbeit gewesen, sie alle zu Fall zu bringen.

Die Olifanten waren nun niedergestreckt und allmählich lichtete sich das Kampfgetümmel, woraus Faramir schloss, dass die Haradhrim zu Pferde und zu Fuß besiegt waren. Dennoch konnte er sich nicht entspannen. Zitternd drehte er sich zu Eómer um, dessen Gesicht bleich war. Dieser schüttelte stockend den Kopf, brachte jedoch kein Wort heraus.

Mühsam holte Faramir Luft und drehte sich wieder um, suchte die Gestalten dort im Kampf nach einer ganz bestimmten ab…

Vier Reiter lösten sich vom Kampf und kamen direkt auf den Baum zu, der den beiden jungen Hobbits als Versteck diente. Die Freunde kletterten rasch hinunter, als sie erkannten, dass es sich bei den Reitern um die fünf Ringgefährten handelte – Gimli hinter seinem Elbenfreund sitzend.

Merry und Pippin sprangen von ihren vor Erschöpfung zitternden Ponys und schlossen ihre Söhne stürmisch in die Arme.

„Vater…“ Faramirs Stimme war ein klägliches Krächzen. „Goldi… wir haben sie aus den Augen verloren… Habt ihr… habt ihr…“ Ihm versagte die Stimme. Die Panik schnürte ihm die Kehle zu.

Behutsam schüttelte Pippin seinen Sohn an beiden Schultern. „Wir machen uns auf die Suche. Sie ist ein cleveres Mädchen, sicher hat sie sich ein gutes Versteck gesucht.“

Doch in Pippins Augen erkannte Faramir Angst. Nicht anders verhielt es sich bei den übrigen Ringgefährten.

Faramir und Eómer saßen hinter ihren Vätern auf und sie ritten zurück zum Kriegsschauplatz, wo Bergil und Fürst Faramir bereits Anweisungen gaben, um die Ordnung wieder herzustellen. Auf ihr Geheiß hin waren Soldaten beschäftigt, ein notdürftiges Lazarett einzurichten, in welches verwundete Kameraden gebracht wurden. König Aragorn glitt aus dem Sattel, um bei der Versorgung zu helfen.

Auch die übrigen Ringgefährten stiegen ab und verteilten sich, um nach Goldfranse zu suchen, nachdem sie sicher gegangen waren, dass diese sich nicht unter den bereits geborgenen Verletzten befand.

Sie gingen zu zweien: Legolas und Gimli, Merry und Pippin und schließlich Faramir und Eómer.

Faramir zitterte am ganzen Körper, während sein Blick mal hierhin, mal dorthin zuckte. Der Anblick der Toten und Verwundeten hätte Faramir gewiss auch unter normalen Umständen erschüttert, aber jetzt war es die reinste Qual. In jedem toten Körper befürchtete er, Goldfranse zu erkennen.

Ihm entfuhr ein gequälter Schrei, als er neben sich goldene Locken im Licht des Sonnenuntergangs aufblitzen sah. Im Nu war er neben seiner leblosen Kindheitsfreundin und drehte sie herum. Die linke Gesichtshälfte war garstig geschwollen und an der Schläfe war eine Platzwunde. Ansonsten schien Goldfranse unverletzt, doch als er sie in seine Arme ziehen wollte, stöhnte sie gepeinigt. Eómer schob vorsichtig ihr Hemd ein Stück nach oben. Die linke Seite begann bereits, sich zu verfärben. Anscheinend hatte das Mädchen einen harten Stoß gegen die linke Körperhälfte hinnehmen müssen, vielleicht von einem der großen Schilde, die die Haradhrim führten. Faramir war wie gelähmt vor Sorge und so war es Eómer, der die Initiative ergriff und den Umhang eines Haradhrim-Hauptmanns löste. Er breitete den roten Stoff neben Goldfranse aus und stieß dann Faramir an, was diesen endlich aus seiner Starre riss.

Unendlich behutsam legten sie Goldfranse auf den Umhang, dann ergriffen sie jeder zwei Enden und trugen ihre Freundin auf dieser provisorischen Bahre zum Lazarett.

Merry und Pippin schlossen zu ihnen auf. Faramir spürte den festen Druck der Hand seines Vaters auf der Schulter und ein Ende des Umhangs wurde ihm abgenommen. Merry rief irgendetwas und jemand rief einen Befehl. Um die Hobbits herum entstand viel Bewegung. Faramir achtete gar nicht darauf. Sein Blick war unverwandt auf Goldfranse gerichtet. Jemand hob sie vorsichtig auf ein Bettgestell und Faramir wurde daneben auf einen Hocker gedrückt. Er griff nach Goldfranses Hand, schloss sie in beide Hände, strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. Sie war warm, was Faramir etwas Ruhe gab. Hinter sich spürte er Eómer und seinen Vater.

Dann tauchte König Aragorn auf. Er hatte seine Lederrüstung abgelegt und die Ärmel seines fein gearbeiteten Leinenhemdes hochgekrempelt. Während er noch neben Goldfranses Bett in die Hocke ging, wischte er sich die Hände mit einem Tuch ab. Zunächst strich er behutsam über das malträtierte Gesicht seiner Patientin, dann legte er ein Ohr auf ihren Brustkorb.

Verständnisvoll lächelnd richtete er sich wieder auf. „Ich kann keine Gefährdung ihres Lebens feststellen, also solltet ihr jetzt gehen, damit ich sie untersuchen kann.“

Faramir folgte dem behutsamen Druck der Hände seines Vaters und verließ den Winkel des Lazaretts, der in aller Eile für das Mädchen mit Decken abgegrenzt worden war, um die Diskretion zu wahren.

Erst als er wieder im Freien stand und kühle Nachtluft im Gesicht spürte, kamen Faramir Tränen der Erleichterung.

Die Aussprache der Freunde


 

Wie wäre es Seite an Seite mit einem Freund? – Legolas Grünblatt
 

Als Goldfranse erwachte, waren zwei Tage seit der Schlacht am Holzturm vergangen. Fürst Faramir und sein Lehnsherr waren darin überein gekommen, dass eine ständige Wachstation nun unumgänglich geworden war. Die Baumeister, die sich mit dem Wiederaufbau von Osgiliath bewährt hatten, würden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Ithylien befestigen. Es würden neue Wachtürme entstehen, vielleicht sogar eine neue Wetterspitze…

Goldfranse wurde an ihrem Krankenlager über all das von Eómer informiert, der sie mehrmals täglich besuchte. Auch Merry, Pippin, Legolas und Gimli waren oft bei ihr und schweren Herzens hatte Golfranse ihnen und sich selbst gegenüber gestanden, dass sie beim Versuch, an der Schlacht teilzunehmen, alles andere als eine gute Figur abgegeben hatte.

Der Haradhrim-Dolch war viel zu schwer für sie gewesen und ohne schützende Rüstung in den Kampf zu eilen, hatte ihrer Tauglichkeit noch zusätzlich geschadet. Beinahe beiläufig hatte ein Haradhrim sie mit seinem Schild beiseite gestoßen und sie hatte das Bewusstsein verloren.

Sie wusste, dass sie großes Glück gehabt hatte. Viele hätten so eine Dummheit mit dem Leben bezahlt und sie musste nur für ein paar Tage das Bett hüten. Nicht einmal die Rippen hatte sie sich gebrochen.

„Ich weiß, dass ich eine große Dummheit begangen habe, aber ich möchte dennoch zum Einsamen Berg“, erklärte Goldfranse einen Tag, bevor sie zusammen mit den Ringgefährten nach Osgiliath gebracht werden sollte.

„Damit haben wir bereits gerechnet“, schmunzelte Merry. „Und wir werden dich ziehen lassen unter der Bedingung, dass du deinen Eltern in einem Brief alles erklärst.“

„Und du wirst vom Einsamen Berg aus nicht alleine weiter reisen“, fügte Gimli streng hinzu. „Legolas und ich werden dich bis an die Grenze des Auenlandes bringen und wir verlassen uns darauf, dass du von dort aus schnurstracks nach Beutelsend reist. Im Gegenzug können wir auf dem Weg zum Auenland sicher den einen oder anderen Umweg einschlagen.“

Zutiefst dankbar blickte Goldfranse von einem zum nächsten und erhob keinerlei Einspruch gegen die Bedingungen. Ihre Erfahrung während der Schlacht hatte ihr deutlich gemacht, dass sie sich keineswegs alleine durch Mittelerde schlagen konnte – und dass sie das auch gar nicht musste.

Der Zelteingang raschelte und alle drehten sich um. Eómer räusperte sich vernehmlich. „Ich denke, ich muss noch meinen Reisesack packen.“

„Gute Idee!“, lobte Merry seinen Sohn überschwänglich und zerstruppelte dessen Haare. „Das hast du eindeutig von deiner Mutter!“

„Wenn du das sagst“, erwiderte Eómer gedehnt.

Grinsend folgten Legolas und Gimli den Brandybocks. Pippin bildete das Schlusslicht und klopfte seinem Sohn im Vorbeigehen auf die Schulter. Goldfranse konnte nicht einmal ein Lächeln für das Geplänkel der Anderen aufbringen. Von dem Moment an, da Faramir das Zelt betreten hatte, hatte sie nichts andere mehr um sich herum bemerkt als ihn.

In den letzten Tagen hatte er sie kein einziges Mal besucht. Nach ihrem Erwachen hatte sie befürchtet, er sei auch verletzt worden, und hatte nach ihm gefragt. Eómer hatte sie nur bedeutungsschwer angesehen und gesagt, sie solle Faramir Zeit geben. Also hatte sie gewartet, ohne sich selbst darüber in Klaren zu sein, ob sie sein Auftauchen fürchtete oder ersehnte.

Selbst als sie alleine waren, blieb Faramir noch am Zelteingang stehen. Er hatte eine Hand in den zotttigen Haaren vergraben und den Blick auf den Boden gerichtet. Goldfranse wagte nicht, irgendetwas zu sagen, aber in ihrem Herzen staute sich immer mehr Angst an.

„Du hast mir… schreckliche Angst eingejagt“, durchbrach Faramir schließlich die Stille und trat zu einem der Hocker neben Goldfranses Feldbett, um sich darauf nieder zu lassen. Bevor sie die richtigen Worte finden konnte, um sich zu entschuldigen, fuhr Faramir bereits fort: „Damals bei der Wetterspitze… Ich habe gesehen, wie ernst dir das war… Seitdem hatte ich immer Angst davor, dass du in deinen eigenen Tod läufst…“

Goldfranse blinzelte verwirrt. „Aber ich habe doch nur… geübt?“

Langsam schüttelte Faramir den Kopf. „Dein Gesichtsausdruck hat etwas ganz anderes gesagt. Er hat mir so schreckliche Angst eingejagt, dass ich nicht klar denken konnte. Monate lang habe ich mich wie ein Esel aufgeführt und dich verletzt. Das tut mir Leid. Ich weiß gar nicht, wie ich das jemals wieder gut machen soll.“

Zwischen ihnen entstand ein drückendes Schweigen. Goldfranse betrachtete ihren Kindheitsfreund, der auf seine Hände hinunter blickte, und versuchte, den vollen Sinn seiner Worte zu begreifen.

Hatte er sich deshalb während der Reise so sehr von ihr distanziert? War das der Grund für seine wiederholten Abweisungen gewesen?

„Die Sache an der Pforte von Rohan…“, begann sie zaghaft.

„Ich habe Panik gekriegt und war wütend, weil du so leichtsinnig gewesen bist.“

Goldfranse wollte protestieren – immerhin hatte sie Faramir damals das Leben gerettet –, aber ein Zwicken an ihrer linken Schulter ließ sie innehalten. Nein, sie hatte damals unverschämt viel Glück gehabt. Glück, das sie vor einigen Tagen nicht mehr gehabt hatte.

Zaghaft legte sie ihre Hände auf Faramirs und sah direkt in seine Augen, als er den Blick hob. Und in diesem Blickkontakt lagen all die Entschuldigungen, für die sie einfach nicht die richtigen Worte finden konnten. Es war noch viel intensiver als diese Umarmung damals an der Pforte von Rohan.

Und noch etwas lag in diesem Blickkontakt: Etwas, das sie Beide dazu veranlasste, sich zueinander vorzubeugen. Auf einmal schlug Goldfranses Herz so heftig gegen ihren Brustkorb, als wollte es diesen sprengen. Ihr Gesicht fühlte sich schrecklich heiß an und all ihre Gedanken richteten sich allein auf diesen Moment…

Doch er fiel in sich zusammen, als Faramir sich aufrichtete und den Blick abwandte. Seine Hand fuhr durch seine wirren Locken und verharrte in seinem Nacken.

„Es tut mir Leid“, murmelte er schwach – und Goldfranse wusste nicht, was er alles damit meinte. Sie versuchte, wieder seinen Blick aufzufangen, doch er wich ihr aus, wiederholte seine Entschuldigung und verließ dann fluchtartig das Zelt.

Verwirrt und verängstigt blieb Goldfranse zurück. Hatte sie wieder etwas falsch verstanden, den Blickkontakt falsch gedeutet…?

Zitternd drehte sie dem Zelteingang den Rücken zu und barg das Gesicht in beiden Händen…

Zögern und Hadern


 

Sollte ich dich durch mein Leben oder meinen Tod schützen können, werde ich es tun. – Aragorn
 

Faramir wusste, dass er sich feige verhielt, aber er brachte es nicht über sich, auch die letzte Hürde zwischen ihm und Goldfranse zu überwinden. Ihr seine Gefühle aufrichtig zu gestehen, um sie dann für Jahre nicht mehr zu sehen, das erschien ihm, als steche er sich einen Dolch ins Herz und drehe ihn herum und herum und herum…

Also verschwieg Faramir das Wichtigste in dem Wissen, Goldfranse damit schon wieder zu verletzen, und verbrachte die Tage der Reise bis nach Osgiliath in gepeinigtem Schweigen. An den Reisevorbereitungen beteiligte er sich nur halbherzig. Eómer sprach ihn nicht darauf an. Wahrscheinlich konnte er sich alles denken. Immerhin hatte er sich lange genug mit all dem auseinander setzen müssen.

In Osgiliath verbrachten die Ringgefährten und ihre Freunde noch mehrere friedliche Tage. König Aragorn musste sich als erster lösen, um wieder seinen herrschaftlichen Pflichten im vollen Umfang nachzugehen. Die Anderen brachen wenige Tage später in Begleitung von König Eómer und den Seinen auf. Bis zu jenem Punkt, an dem die Delegation der Elben und Zwerge und die Reisegesellschaft König Eómers einander auf dem Weg nach Minas Tirith begegnet waren, wollten sie noch gemeinsam reisen. Danach würden Merry und Pippin mit dem König nach Edoras reiten, um von dort aus die Heimreise anzutreten, während Legolas, Gimli und Goldfranse zunächst Lóthlorien ansteuern wollten.

Der Tag der Trennung rückte immer näher und es fühlte sich endgültig und zerstörerisch, ja, mörderisch an. Faramir fand keinen Schlaf, verlor den Appetit und sprach kaum ein Wort mit irgendjemandem. Am letzten Abend vor der Trennung legte sich Faramir schon früh unter seine Decken, das Gesicht der Dunkelheit zugewandt. Er konnte hören, wie Goldfranse mit den Kindern König Eómers lachte, aber es klang traurig und kraftlos für ihn. Das war nicht das glockenhelle, warmherzige Lachen, das ihn immer wieder bis in seine Träume verfolgt hatte. Das tat ihm physisch weh, drehte den Dolch in seinem Herzen wieder herum…

Jemand setzte sich seufzend hinter ihm auf den Boden. Minuten lang schwieg diese Person und Faramir war sich nicht sicher, ob es sich um seinen Vater oder um seinen besten Freund handelte. Schließlich erklang Pippins Stimme.

„Ich musste Juweline versprechen, gut auf dich aufzupassen. Hoch und heilig sollte ich ihr schwören, dich wieder ins Auenland zurück zu bringen…“

Faramir schwieg und blieb reglos. Dass seine Mutter sich schrecklich um ihn sorgte, wenn er auf Reisen ging, wusste er.

„Wir sind in einen grässlichen Streit geraten, weil ich den Schwur nicht leisten konnte“, fuhr Pippin leise fort. „Du bist ein Hobbit und Hobbits gehen ihre eigenen Wege – und Tuks erst recht. Du wirst einmal der Tuk und Taín sein und damit zum Nördlichen Rat gehören. Da wäre es nur logisch, mehr über den Norden Mittelerdes zu lernen. Juweline hat darauf gesagt, dass du noch genug Zeit dafür hast, wenn du älter bist. So schnell werde ich die Ämter ja nicht an dich abtreten. Zumindest in dem Punkt waren wir einer Meinung“, gluckste Pippin leise.

Wieder setzte Schweigen ein. Faramir wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Sein Gefühl sagte ihm, dass das hier auch für seinen Vater eine harte Prüfung war.

„Ich habe ihr etwas gesagt, was ich gelernt habe, als ich damals mit Frodo und den Anderen unter Lebensgefahr einmal quer durch Mittelerde gereist bin: Das Leben steckt voller Überraschungen. Es hält sich nicht an Erwartungen oder Pläne. Und manchmal erweisen sich Dummheiten als das Wichtigste, was man je getan hat.“ Faramirs Haare wurden liebevoll zersaust. „Ich bin damals meinem Herzen gefolgt und ich würde es jedes Mal wieder tun.“

Ohne eine Antwort auf seinen Monolog abzuwarten, stand Pippin wieder auf und kehrte zum Lagerfeuer seiner Freunde zurück. Faramir lauschte ihren Stimmen, ohne den Worten Beachtung zu schenken. Diese Stimmen waren so voller Gewissheit und Wärme. Nichts konnte sie wanken lassen. Pippins Stimme stand der seiner Gefährten dabei in nichts nach. Pippin war erfüllt von Zuversicht und Vertrauen. Doch Faramir fragte sich die ganze Zeit, wie er sich dieses Vertrauens würdig erweisen sollte…
 

Der Abschied der Ringgefährten war herzlich und nicht im Mindesten wehmütig. Wie auch schon beim Abschied von König Aragorn mangelte es keinem von ihnen an Zuversicht und Hoffnung. Aus einem Grund, der Faramir verborgen blieb, waren sie alle sich sicher, einander irgendwann wieder zu sehen.

Goldfranse hatte sich bereits von den Rohirrim verabschiedet und ging nun von einem Hobbit zum nächsten. Merry und Pippin schlossen sie fest in die Arme und gaben ihr einige väterliche Reiseratschläge mit auf dem Weg. Pippin blickte dabei mehrfach in die Richtung seines Sohnes, der etwas abseits stand. Faramir bemerkte diese Blicke, doch er war noch immer unsicher.

Goldfranse und Eómer verabschiedeten sich mit einer langen, innigen Umarmung voneinander und flüsterten einander etwas zu.

Dann trat Goldfranse auf Faramir zu. Er kam ihr entgegen, haderte jedoch, wie er sie umarmen sollte. Es fühlte sich entsetzlich falsch an, als sie die Arme umeinander legten. Goldfranse erzitterte, er konnte es deutlich spüren, aber er löste die Umarmung und wandte sich fluchtartig ab. Ohne sich noch mal umzudrehen, bestieg er sein Pony und lenkte es hinter den Pferden der Rohirrim her.
 

Sie waren nicht einmal eine halbe Stunde unterwegs, als Faramir sein Pony zügelte und den Blick seines Vaters suchte. Merry, Pippin und Eómer waren ganz in seiner Nähe geblieben und hatten sofort ihre Ponys ebenfalls gezügelt. Pippin nickte seinem Sohn lächelnd zu.

Eómer lenkte sein Pony dicht an Faramirs heran und bot seinem Freund die Hand zum Einschlagen. „Wehe dir, wenn du sie unglücklich machst!“

„Habe ich nicht vor“, erwiderte Faramir mit belegter Stimme und ergriff Eómers Unterarm. „Und du…?“

„Das dritte Rad am Wagen werden und es mir obendrein mit Eówyn verscherzen?“ Eómer schüttelte grinsend den Kopf. „Das ist eure Reise, mein Freund. Genießt sie.“

Faramir brachte nicht mehr als ein Nicken zustande, nahm seine Zügel wieder auf und trieb sein Pony zurück. Das Ufergebiet des Anduín war hier eben. Er würde Legolas, Gimli und Goldfranse nicht verfehlen können. Dennoch trieb er sein Reittier zur Eile an. Er hatte schon viel zu lange gezögert!

Die Heimkehr eines Mädchens


 

Aus dem Großen Meer bin ich nach Mittelerde gekommen. An diesem Ort will ich bleiben und meine Erben bis zum Ende der Welt. – Aragorn
 

Beutelsend. Heim der Gamdschies. Gegenstand ungezählter Legenden und Gerüchte. Angeblich auch der Hort großer Reichtümer. Dass die Sackheim-Beutlins vor vierzig Jahren vieles verprasst hatten, hielten viele Hobbits immer noch für unmöglich.

Die Gamdschies ließen die Klatschsüchtigen in ihrem Glauben und genossen den wahren Reichtum ihres Heims: Eine große, lebendige Familie, gleichermaßen turbulent und friedlich.

Zugleich war Beutelsend der Treffpunkt einer eingeschworenen Gemeinschaft dreier Hobbits, die vor vierzig Jahren Abenteuer erlebt hatten, die jenseits aller Hobbitvorstellungen lagen.

Jene Hobbits hatten auch heute zusammen gefunden und räkelten sich träge und Pfeife rauchend auf einer Bank im Garten, welcher ob des Frühsommers in voller Blüte stand. Samweis Gamdschie, Meriadoc Brandybock und Peregrin Tuk hatten einander aufgrund ihrer jeweiligen Verpflichtungen seit acht Monaten nicht mehr gesehen. Doch am Vortag waren die Räte des Auenlands, welchen sie alle Drei angehörten, in Hobbingen zusammen gekommen und sie hatten das zum Anlass genommen, um wieder Zeit miteinander zu verbringen.

Vom Feld her hörten sie das ausgelassene Gelächter der Gamdschie-Kinder. Eómer und Eówyn waren bei ihnen. Die Beiden hatten darauf bestanden, ihren Vater nach Hobbingen zu begleiten. Merry hatte keine Einwände erhoben, im Gegenteil: Seiner Ansicht nach konnte sich sein Sohn ruhig eine Pause vom Studieren gönnen.

Seit ihrer Heimkehr von Gondor vor vier Jahren war Eómer nicht mehr viel unterwegs gewesen, sondern hatte begonnen, die Geschichte des Auenlands und seine heutigen Verhältnisse zu studieren. Wenn er einmal auf Reisen gewesen war, dann um bestimmte Gebiete aufzusuchen und in allen Details zu kartografieren.

Merry war sich sicher, dass sein Sohn das alles zum Teil auch deshalb tat, weil er seine beiden Freunde vermisste. Faramir und Goldfranse waren seit viereinhalb Jahren auf Reisen und keiner wusste, wo sie jetzt waren. Vor einem Jahr hatten sie von Bruchtal aus Briefe an ihre Familien geschickt und darin angekündigt, dass es auch diesseits des Mittelgebirges noch einige Reiseziele für sie gab. Über den Zeitpunkt ihrer Heimkehr hatten sie nichts geschrieben. Dennoch waren alle beruhigt gewesen, nachdem sie diese Briefe gelesen hatten. Sie lebten Beide – denn die Briefe enthielten ganz klar Faramirs und Goldfranses Handschriften, daran bestand für die Familien kein Zweifel – und sie hatten keine Verletzungen oder bevorstehende Gefahren erwähnt.

Seit der Ankunft der Briefe hatte sich Rosis Kühle gegenüber Merry und Pippin auch wieder gelegt. Sie hatte es ihnen sehr übel genommen, dass sie ihre Tochter damals zum Einsamen Berg hatten ziehen lassen. Auch die Beteuerungen ihres Mannes, dass Goldfranse in Legolas’ und Gimlis Obhut gut aufgehoben war, hatte ihre Angst nicht zerstreuen können. Merry und Pippin hatten es Rosi nicht nachgetragen. Letzterer wohl auch deshalb nicht, weil er sich von seiner eigenen Frau ähnliche Vorwürfe hatte anhören müssen, weil er das einzige gemeinsame Kind nicht zurück gebracht hatte. Rosi und Juweline waren besorgte Mütter, es lag in ihrer Natur, jedem zu grollen, der ihre Kinder nicht wie einen Augapfel gehütet hatte.

Mittlerweile hatten sie sich wieder beruhigt und Sam hatte seinen Freunden anvertraut, dass Rosi sich Gedanken machte, ob sie die Schuld an der langen Reise ihrer Tochter trug. Sam selbst trug diese Zweifel auch mit sich herum und Merry und Pippin hatten zu ihrem Leidwesen nichts tun können, um diese Pein zu lindern.

Umso dankbarer waren sie, dass Sam sich heute in ihrer Mitte ganz und gar entspannen konnte. Sie sprachen nicht miteinander, während sie ihre Pfeifen pafften und den friedlichen Tag auf sich wirken ließen, aber Merry und Pippin kannten den Gärtner lange genug, um sich über seinen Zustand sicher sein zu können.

Der Frieden wurde jäh unterbrochen, als das Gelächter der Kinder verstummte. Schlagartig. Als hätte sich die Erde unter ihnen allen aufgetan und sie verschluckt. Pippin, der gerade seine Pfeife neu gestopft hatte, runzelte verwirrt die Stirn. Beunruhigt erhob Sam sich.

Dann erklang ein vielfaches Jubeln und Jauchzen und alle Kinder riefen laut und wild durcheinander, begleitet von seligem Lachen.

Jetzt standen auch Merry und Pippin auf und gemeinsam mit Sam durchquerten sie den Garten, um zum Rand der Wiese zu gelangen. Alle Kinder waren zur Straße gelaufen und scharten sich um zwei Ponys.

Pippin begriff als Erster. Mit einem strahlenden Lächeln und langen Schritten eilte er über die Wiese zu der Kinderansammlung und zog seinen Sohn daraus hervor und in eine stürmische Umarmung. Es musste Faramir sein, denn selbst aus der Entfernung war er Pippin zum Verwechseln ähnlich.

Merry klopfte Sam auf die Schulter, der merklich die Luft angehalten hatte. Aus dem dichten Pulk von Gamdschie-Kindern trat Goldfranse hervor. Sie trug Hosen, hatte eine Axt in einem Holster an der Seite hängen und auf dem Rücken einen Bogen und einen halb gefüllten Köcher. Ihre Haare hatte sie sich geflochten. Wie eine Kriegerin sah sie aus, doch ihr Gesichtsausdruck war weich und hell und friedlich. Kein Vorwurf, keine Angst lagen noch in ihren Augen, sie waren klar und wunderschön in ihrer reinen Wiedersehensfreude, als sie über die Wiese eilte.

Sam setzte sich in Bewegung und nahm seine Tochter stürmisch in Empfang. Lachend und weinend vor Glück erwiderte Goldfranse die Umarmung.

Lächelnd ging Merry über die Wiese, um den Sohn seines besten Freundes in die Arme zu schließen. Faramir wirkte wie ein richtiger Krieger, war muskulöser, strammer, ein richtiger Mann. Seine Augen funkelten kraftvoll und lebendig.

Als Merry von ihm abgelassen hatte, trat Eómer wieder zu seinem Kindheitsfreund und grinste amüsiert.

„Das ist aber nicht die feine Art, uns einen Anlass zum Feiern vorzuenthalten.“

Er zog an einer feingliedrigen Goldkette, die unter Faramirs Hemd hervorlugte, und förderte einen schlichten Ring aus Weißgold zutage.

„Ich denke, Vater wird es euch verzeihen“, sagte Frodo und schlug seinem Schwager wohlwollend auf die kräftige Schulter, den Blick auf Sam und Goldfranse gerichtet, die einander immer noch festhielten und keiner Aussprache mehr bedurften.



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Kommentare zu dieser Fanfic (20)
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Von:  lula-chan
2019-07-28T06:25:05+00:00 28.07.2019 08:25
Was für ein schönes Ende. Sehr gut geschrieben. Das kam mega gut rüber. Hat mir gefallen.

LG
Von:  lula-chan
2019-07-16T06:20:41+00:00 16.07.2019 08:20
Hm. Interessant. Na das kann ja was werden. Ich bin gespannt. Ein tolles Kapitel. Gut geschrieben. Das kam echt gut rüber. Hat mir gefallen.

LG
Von:  lula-chan
2019-07-08T06:57:35+00:00 08.07.2019 08:57
Hm. Interessant. Gut geschrieben. Das kam alles sehr gut rüber. Hat mir gefallen. Echt gut gemacht. Drei tolle Kapitel.

LG
Von:  lula-chan
2019-05-27T09:40:44+00:00 27.05.2019 11:40
Hm. Interessant. Endlich scheint sich die Stimmung mal aufzulockern, wurde aber auch mal Zeit. Hoffentlich bleibt das auch so. Ich bin gespannt.
Wieder mal zwei tolle Kapitel. Sehr gut geschrieben. Man kann das echt gut nachvollziehen und mit ihnen mitfühlen.

LG
Von:  lula-chan
2019-04-22T11:11:25+00:00 22.04.2019 13:11
Ein tolles Kapitel. Gut geschrieben. Gefällt mir.
Oh Mann. Na das kann ja was werden. Ich bin gespannt. Hoffentlich verschätzt Gimli sich da nicht.

LG
Von:  lula-chan
2019-04-13T07:39:33+00:00 13.04.2019 09:39
Ein tolles Kapitel. Gut geschrieben. Gefällt mir. Oh Mann. Na da geht's ja hoch her. Hoffentlich klärt sich das alles noch. Ich bin gespannt.

LG
Von:  lula-chan
2019-03-24T21:05:53+00:00 24.03.2019 22:05
Oh Mann. Na das kann ja was werden. Ich bin gespannt. Wieder mal ein tolles Kapitel. Sehr gut geschrieben. Gefällt mir.

LG
Von:  lula-chan
2019-03-10T08:31:38+00:00 10.03.2019 09:31
Wieder mal ein tolles Kapitel. Sehr gut geschrieben.
Hm. Das kann ja noch was werden. Ärger ist da doch bestimmt wieder vorprogrammiert. Ich bin gespannt.

LG
Antwort von:  Yosephia
10.03.2019 09:32
Natürlich, der Ärger wird noch kommen^^'
Von:  lula-chan
2019-02-24T10:06:40+00:00 24.02.2019 11:06
Ein tolles Kapitel. Sehr gut geschrieben. Gefällt mir.
Hm. Das beschäftigt Faramir also. Interessant. Sie sollten das wirklich unter sich klären.

LG
Antwort von:  Yosephia
24.02.2019 19:51
Das werden sie auch irgendwann... so ziemlich am Ende^^'
Von:  lula-chan
2019-02-10T21:17:11+00:00 10.02.2019 22:17
Ein tolles Kapitel. Gut geschrieben. Gefällt mir.
Goldfranse ist also zum Glück nichts allzu schlimmes passiert. Das freut mich.
Ich bin schon gespannt, wie das weitergeht, und freue mich auf das nächste Kapitel.

LG


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