Von Abenteuern und dergleichen von Yosephia (Die Geschichte eines Hobbitmädchens) ================================================================================ Kapitel 8: Rettung wider Willen ------------------------------- Wenn du’s wissen willst, mir war so, als ob ich nichts an hätte, und das passte mir gar nicht. Sie schien irgendwie in mich reinzugucken… - Samweis Gamdschie Der Weg vom Auenland bis nach Gondor war ziemlich einfach, wenn man ansatzweise die Himmelsrichtungen bestimmen konnte. Für mehr als die Hälfte der Strecke musste man das nicht einmal. Vom Auenland aus folgte man der Großen Straße durch Bree, an der Wetterspitze vorbei und bis nach Bruchtal. Dort wandte man sich nach rechts und ritt Wochen lang nach Süden, immer das Mittelgebirge zur Linken. Auf diesem Weg war es unmöglich, die Pforte von Rohan zu verfehlen. Als ihre Ponys die Kuppe eines Hügels erklommen hatten, konnte Faramir die Pforte erkennen. Südlich davon erstreckte sich das Rund des Gartens, der den Orthanc umgab – dieser Obelisk von einem Turm konnte ja nur der berühmte Orthanc sein. Seit Sarumans Vertreibung wurde er Faramirs Kenntnissen nach nicht mehr bewohnt, aber er war immer noch ein beeindruckendes Bauwerk, ganz anders als die gemütlichen Höhlen der Hobbits, die soliden Bauten in Bree oder die zierlichen Bögen in Bruchtal. Irgendwie passt er zu seiner Geschichte. Oder seine Geschichte zu ihm. Nördlich der Pforte schmiegte sich der Fangorn-Wald an die letzten Ausläufer des Mittelgebirges. Ein kleines, grünes Meer voller Geheimnisse und Gefahren. Merry und Pippin hatten schon vor Tagen erklärt, dass sie nicht in den Fangorn hinein gehen würden. Der Wald war selbst für Freunde der Ents zu gefährlich – denn bei so wenigen überlebenden Baumhirten könnten sie dort Jahre lang umherirren, ohne einem von ihnen zu begegnen. Und selbst wenn sie reichlich Zeit für die Suche hätten, würden sie wahrscheinlich eher einen der fremdenfeindlichen Huorn-Bäume treffen als einen Ent. Also würden sie direkt durch die Pforte reiten und sich östlich halten. Nach vier bis fünf Tagen würden sie Rohans Ebene überquert und den Bergkamm erreicht haben, an welchen sich ein Großteil der großen Bewohnerzentren Rohans schmiegte: Helms Klamm, Schneeborn, Edoras. Merry kannte die Routen dort und konnte sie zielsicher nach Edoras bringen. König Eómer würde die Hobbits bereits erwarten, um mit ihnen nach Gondor zu reiten. Aus dem Augenwinkel konnte Faramir sehen, wie Goldfranses Augen beim Anblick des Fangorn zu leuchten begannen. Ganz so wie in ihrer Kindheit, wenn Frodo ihnen allen aus dem Roten Buch vorgelesen hatte. Dieses Leuchten verursachte eine brodelnde Wärme in Faramirs Inneren. Als wäre eine dieser Raketen von Gandalf in seinem Bauch gestartet, die er nie mit eigenen Augen hatte sehen können. Als Goldfranse den Blick schweifen ließ, kam es zum Blickkontakt zwischen ihnen. Sofort löste sich das Leuchten in ihrem Blick auf. Abweisung und Verletztheit traten an dessen Stelle – und Faramir wurde beinahe übel. Er bereute zutiefst, was er in Bruchtal und an der Wetterspitze gesagt hatte. Er war ein eitler Gockel gewesen, verletzt in seinem Stolz, weil sie ihn im Auenland belogen hatte, aber das rechtfertigte nicht die Gemeinheiten, die er ihr an den Kopf geworfen hatte. Gerne würde er alleine mit Goldfranse darüber reden, aber sie ging ihm demonstrativ aus dem Weg – zumal Privatsphäre unter den gegebenen Bedingungen sowieso kaum erreichbar war. Merry, Pippin und Eómer ihrerseits machten keine Anstalten, ihm zu helfen. Nicht dass er das verdient hätte… „Schade, dass wir Baumbart und Flinkbaum nicht treffen können“, seufzte Pippin mit einem sehnsüchtigen Blick in Richtung des Waldes. „Vielleicht auf dem Rückweg, dann bleibt uns mehr Zeit“, erwiderte Merry nicht minder sehnsüchtig, ehe er sein Pony nach rechts wandte. Auf diesem Weg kamen sie näher an den Orthanc heran, aber hier war der Abstieg für ihre Ponys einfacher. Es waren robuste Tiere, zäh und kräftig, aber es blieben Ponys, keine Bergziegen. Am Fuß des Hügels fanden sie ein verlassenes Lager vor. Ein Helm mit einem Pferdekopf als Nasenschutz lag neben der kalten Asche. „Weiter“, zischte Merry, zog sein Schwert und trieb sein Pony an. Keiner widersprach ihm. Alle fühlten sich beobachtet, regelrecht nackt. Faramirs Hand wanderte zum Griff seines Kurzschwertes, welches er an seinem zwanzigsten Geburtstag bekommen hatte. Er hatte seit dieser Zeit immer mit seinem Vater oder mit Eómer trainiert, aber jetzt war er sich alles andere als sicher, ob er sich seiner Haut würde erwehren können. Unwillkürlich huschte sein Blick zu Goldfranse, die als Einzige unbewaffnet war. Die Angst schloss sich wie eine eisige Faust um sein Herz. Markerschütterndes Geschrei erklang neben ihnen und ließ die Ponys scheuen. Ehe er auch nur darüber nachdenken konnte, die Füße in die Steigbügel zu klemmen, stieg Faramirs Pony und er fiel über die breite Kuppe und zu Boden. Nach mehreren Schrecksekunden konnte er wieder klar genug denken, um sich außer Reichweite der Ponys zu bringen, die fliehen wollten, sich jedoch von Wildlingen umzingelt sahen. Die Wildlinge waren kleiner als die Menschen in Bree oder die gondorianischen Wachen in Bruchtal, aber sie hatten breite Schultern, wuchtige Brustkörbe und dicke Oberarme. Kopfbehaarung und Bart gingen bei vielen ineinander über und hatten eine schmutzig-braune Farbe, waren oft auch verfilzt und verdreckt. Die Kleider bestanden aus schlecht verarbeiteten Fellen. Alles in allem war es kein Wunder, warum sie Wildlinge genannt wurden. Endlich schaffte Faramir es, auf die Beine zu kommen. Seine Hand zitterte, als er sein Schwert aus der Scheide zog. Es half auch nichts, die Waffe mit beiden Händen zu packen. Wie gelähmt stand er da und beobachtete, wie sein Vater, der ebenfalls von seinem Pony abgestiegen war, sich behände gegen den Angriff eines Wildlings mit einer hölzernen Keule verteidigte. Einige Meter entfernt stand Eómer mit seinem Vater Rücken an Rücken. Merry wirkte genau wie Pippin gefasst und wehrte die Hiebe der Wildlinge mit sparsamen Bewegungen ab, Eómer hingegen war erschreckend bleich und reagierte oft entweder zu stockend oder zu fahrig. Faramir konnte sich lebhaft vorstellen, wie sein Freund sich fühlte. Für einen winzigen Moment fing Faramir Eómers Blick auf – und der Name, den seine Lippen formten, ließ Faramir das Blut in den Adern gefrieren. „Goldi“, würgte er und drehte sich panisch herum, suchte seine Umgebung nach dem Mädchen ab. Er konnte sie nirgends entdecken. Er fand sie nicht! Der Angriff eines Wildlings lenkte ihn ab. Gerade noch rechtzeitig wich er dem Stoß der hölzernen Heugabel aus, aber er rechnete nicht mit der Raffinesse des Bärtigen, der seine ausgestreckte Waffe nach links schwang. Der Schlag traf Faramir in der Seite in ließ ihn taumeln. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie der Wildling seine Heugabel zurück zog, um erneut zu zustoßen. Irgendwo hörte er Eómer rufen… Dann gab der Wildling ein schmerzerfülltes Grunzen von sich und ging in die Knie. Hinter ihm stand Goldfranse, deren Augen panisch flackerten. In der Hand hielt sie ihr Holzschwert. Mit einem Schrei ließ sie die Übungswaffe auf den nun erreichbaren Kopf des Wildlings donnern, welcher daraufhin vollends zu Boden ging. Ihre Augen waren extrem geweitet und schienen Mühe zu haben, sich auf einen bestimmten Punkt in ihrer Umgebung zu fokussieren. Ihr Atem ging stoßweise. Aber sie lebte! Faramir sprang auf die Beine und auf Goldfranse zu, um sie in eine stürmische Umarmung zu reißen. Er war einfach nur dankbar, dass ihr nichts passiert war, und er wollte ihr genau das sagen. Er wollte ihr begreiflich machen, was für eine Angst er um sie ausgestanden hatte, doch ehe auch nur ein Wort über seine Lippen kam, fiel sein Blick auf einen heranstürmenden Wildling mit einem Dolch. Die Waffe war offensichtlich schon uralt, aber es war dennoch eine Waffe aus Metall. Faramir schob Goldfranse hinter sich und hob sein Schwert wieder, um sich dem Gegner zu stellen. So gut sie offensichtlich mit ihrem Holzschwert umgehen konnte, gegen ein richtiges Schwert konnte sie unmöglich bestehen, auch nicht gegen einen Dolch. Noch ehe er überhaupt in Verteidigungsposition gehen konnte, spürte er einen Ruck an der Seite – genau dort, wo ihn die Heugabel des Wildlings getroffen hatte – und ihm wurde das Kurzschwert aus der Hand gerissen. Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete er, wie Goldfranse vorsprang, um den Kampf mit dem Wildling aufzunehmen. Doch bevor die ungleichen Kontrahenten einander begegneten, kam von links ein Reiter heran, schwang sein Schwert und köpfte den Wildling. Von überallher preschten Reiter heran, auf ihren Schilden und Brustharnischen das weiße Pferd von Rohan. Innerhalb weniger Minuten waren alle Wildlinge tot. Pippin eilte herbei und zog seinen Sohn in eine bärenhafte Umarmung. Faramir war zu benommen, um diese Geste zu erwidern. Nur langsam löste sich seine Angst auf, wurde schleichend von etwas anderem durchsetzt. Als sein Vater von ihm abließ und Goldfranse zu ihm trat, um ihm sein Schwert wieder zu geben, verengten sich seine Augen zu schmalen Schlitzen. Seine Hand zitterte, als er seine Waffe in die Scheide schob. Er mied den Blickkontakt zu Goldfranse. Denn in seinen Inneren gärte auf einmal eine entsetzliche Wut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)