Psycho-Pass | Ω von Rigel (Wrath of the Wraith) ================================================================================ Prolog: Subadachan ------------------ Ministery of Welfare Public Safety Bureau - Direktorat Farbe… die physikalische Folge von Lichtbrechung und Absorption. Fügte man alle Farben zusammen, erhielt man weiß. Weiß, die absolute Farbe. Eine, die alle anderen Farben beherrschte und über die selbst nicht zu richten war. Es barg eine gewisse Ironie, dass das Direktorat des Amtes für öffentliche Sicherheit im genauen Gegenteil - das heißt in schwarz - dekoriert war. Direktorin Kasei saß an ihrem Schreibtisch, die Hände auf der Tischplatte verschränkt und tauschte sich wortlos mit den übrigen Mitgliedern des Kollektivs über künftige Pläne aus. Die vergangenen Ereignisse - sei es der Fall Kirito Kamui oder die Offensive gegen Shambala - hatten ihre Spuren an den Einheiten des Amtes hinterlassen. Nun aber hatte bereits der nächste Widersacher des Systems das Spiel um die Zukunft des Landes eröffnet. Direktorin Kasei öffnete den Kommunikationskanal. “Inspektorin Akane Tsunemori soll sich in 15 Minuten in meinem Büro melden.” Ein Computer-Terminal auf dem Schreibtisch zeigte plötzlich incoming message an. Die Direktorin wandte sich vom Schreibtisch ab und der hinteren Wand zu, die sich mit einem Videopanel überzog und bald darauf das Bild eines Mannes zeigte: Seine asiatischen Züge wurden noch unterstrichen von dem grünen, goldverzierten Seidengewand. Das Auffälligste an ihm waren seine Augen deren Iris blutrot gefärbt war - ob natürlichen oder künstlichen Ursprungs war nicht feststellbar. Er fuhr sich mit dramatischer Geste durch den langen schwarzen Schnauzbart und den dreigeteilten Kinnbart und verneigte sich knapp. “Ich grüße die Direktorin des Amtes für öffentliche Sicherheit”, sprach er auf kantonesisch. Ein kaum merkliches Lächeln huschte über die sonst unbewegten Züge der Direktorin. “Wenn das nicht die unerwartete Gelegenheit ist mit dem berühmt-berüchtigten Subadachan zu sprechen.” “Wohl eher berüchtigt als berühmt”, gab der Anrufer grinsend zurück. “Es dürfte unter den Aufwieglern von Shambala einige geben, die einen hohen Preis für Ihren Kopf zahlen würden.“ Ob dieser Kommentar provokant gemeint war, war an dem gleichgültigen Tonfall der Direktorin nicht erkennbar. “Jede Menge Leute würden einen hohen Preis für meinen Kopf zahlen”, erwiderte Subadachan mit einem Schulterzucken, “Ich fasse mich kurz. In Zukunft beabsichtige ich meine Geschäfte auf Japan auszuweiten und bin deshalb so höflich mich vorzustellen.” Direktorin Kasei zog die Augenbrauen hoch. “Dann sollten Sie wissen, dass Produktion, Vertrieb und Konsum von Drogen in diesem Land nicht geduldet werden. Sie werden hier gar keine Geschäfte betreiben.” “Wissen Sie, Fidel Castro war ein unglaublich brutaler Diktator. Doch bei seiner Beisetzung feierten ihn die Menschen in Havanna wie einen König. Die Sterblichen streben danach zu sterben wie ein König und die Unsterblichen streben danach zu leben wie ein Gott. Was sagt Ihnen das, Direktorin?” Die Augenbrauen der Direktorin senkten sich nun bedrohlich. “Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Sie sind eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und als solche werden Sie in diesem Land nichts Anderes erreichen als gejagt und eliminiert zu werden. Das ist alles, was ich dazu sage.“ Sie betätigte einen Schalter und das Computer-Terminal auf dem Schreibtisch zeigte Disconnected an. Das Bild Subadachans verblieb jedoch auf dem Wandmonitor. Direktorin Kasei wandte sich ihm wieder zu. “Die Leitung ist nun sicher. Sagen Sie, was Sie wirklich zu sagen haben.“ Ein weiteres Grinsen glitt über die Züge des Mannes, ehe er auf Japanisch fortfuhr. “Direktorin, der Drogenhandel ist nicht mehr das, was er mal war. Heute treiben sich schmierige Dealer nicht länger auf Hinterhöfen herum, machen vorübergehende Passanten mit einem ‘Psst’ auf sich aufmerksam, um sie dann zu fragen, was sie brauchen. Die klassischen Plantagen, auf denen puerto ricanische Leiharbeiter ausgebeutet werden, haben ausgedient. Sie sind unwirtschaftlich: Zu aufwendig im Anbau, in der Pflege und wenn die Polizei sie entdeckt, brennt sie alles nieder. Durch solche Aktionen ist mir jedes Jahr ein Warenwert von mehreren Milliarden Yen in Flammen aufgegangen. Nein, heutzutage nehmen die Regionalkuriere Bestellungen der Endverbraucher auf, meine Leute die Bestellungen der Kuriere. Ich erhalte dann eine Massenbestellung, wende mich an ausländische Pharmaunternehmen, die mir die erforderten Mischungen und Substanzen zusammen stellen, sie mir liefern und so findet die Ware ihren Weg letztendlich wieder zu den Endverbrauchern. Das Beste daran ist, dass ich nicht mehr mit reinen Drogen handele, sondern mit chemischen Ersatzstoffen. Die Wirkung ist die gleiche, doch die molekulare Zusammensetzung lässt die Stoffe nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Anders gesagt: Diese Stoffe bestellen, kaufen und weiter verkaufen ist nicht einmal illegal.” Direktorin Kasei trommelte mit den Fingern auf der Armlehne ihres Stuhls. “Worauf wollen Sie damit hinaus.“ “Ich will darauf hinaus, dass es nicht mehr nur um Drogen geht. Die Unternehmen, mit denen ich kooperiere, können alles herstellen: Von allen üblichen und unüblichen Drogen, über Doping und Aufputschmittel für die Guerillas in Shambala bis hin zu biologischen Nährmitteln.” Bei dem Ende des Satzes hob sich der Blick der Direktorin langsam wieder zu dem Mann auf der Leinwand. “Direktorin Kasei”, fuhr Subadachan fort, “Kinder lernen bereits in der Schule, dass das Gehirn wodurch Energie bekommt: durch Zucker. Sie lernen aber auch, dass jeder Mensch nur einen geringen Prozentsatz des vollen Potentials seines Gehirns nutzen kann. Das Sibyl-System ist zweifellos ein absolut fortschrittliches System, das auf hochmoderner Technik basiert. Die Gehirne, aus denen es besteht, sind aber nach wie vor menschlich und deshalb nicht in der Lage ihr volles Leistungspotential zu nutzen.” “Sie verfügen über interessante Informationen”, bemerkte die Direktorin mit latenter Drohung in der Stimme, “Informationen, über die Sie nicht verfügen dürften.“ “Ich habe meine Quellen, das muss Ihnen reichen. Was ich Ihnen anbieten kann, sind gleich zwei Dinge. Sagen wir, ich wäre in der Lage ein Nährpräparat zusammen stellen zu lassen, mit dem jedes einzelne an das Sibyl-System gekoppelte Gehirn sein Potential nicht mehr zu - sagen wir - 15 %, sondern zu 75 % nutzen könnte. Sie könnten die gleiche Arbeit, die Sie jetzt vollbringen, mit nur noch einem Viertel der gerade aktiven Mitglieder bewältigen. Nicht auszudenken, wozu Sie fähig wären, wenn Sie alle Mitglieder auf voller Leistung arbeiten ließen. Wir reden hier nicht mehr nur über kleine, koreanische Provinzen, wir reden über den asiatischen Kontinent. Das Sibyl-System könnte das römische Weltreich in den Schatten stellen.” “Und Ihre Bedingung für die Lieferung dieses Mittels ist, dass Sie in diesem Land den Drogenhandel starten wollen?” Subadachan schüttelte den Kopf. “Mitnichten, der Handel mit Ihnen würde mir vollkommen reichen. Die einzige Bedingung, die ich hätte, wäre das Exklusivrecht. Ich bin der Einzige, der sie beliefert und der Einzige, von dem sie sich beliefern lassen. Sehen Sie, ich bin kein Moralapostel, ich bin Geschäftsmann. Die Vita meiner Klienten interessiert mich nicht: Ob barmherziger Kirchengründer, Massenmörder oder eine Bande freilaufender Gehirne - wer zahlt, ist Kunde.” Die Augen der Direktorin zuckten in ihren mechanischen Höhlen hin und her, während die Mitglieder des Kollektivs über dieses Angebot entschieden. Schließlich wandte Kasei den Blick wieder Subadachan zu. “Nennen Sie Ihren Preis.” Der Mann lehnte mit einem Schwenken des Zeigefingers ab. “Nein. Wir machen das so: Ich liefere Ihnen eine Probe der entsprechenden Nährmittel. Sie verwenden Sie und entscheiden, ob wir ins Geschäft kommen. Der Preis ist dann Verhandlungssache.” “Sie sagten anfangs, Sie wollten uns gleich zwei Dinge anbieten“, erinnerte die Direktorin. “Richtig. Unter den von Ihnen am Anfang erwähnten Personen, die einen hohen Preis für meinen Kopf zahlen würden, ist zufällig eine Person, für deren Kopf Sie einen hohen Preis zahlen würden. Eine, die Ihnen das letzte Mal in Shambala entwischt ist, weil Ihre beste Inspektorin diese Person zu liquidieren versäumt hat.“ “Sie sprechen vom flüchtigen Shinya Kogami.“ Es war eine Feststellung, keine Frage. “Wie man so läuten hört, soll er wieder in Japan sein. Ich denke doch, ich kenne Mittel, um an ihn heran zu kommen. Was wären Sie bereit mir zu geben, wenn ich dieses Problem für Sie aus der Welt schaffe?” Das Lächeln der Direktorin war nun nicht mehr zu übersehen. “Tun Sie es und der Preis ist dann von unserer Seite aus Verhandlungssache.” “Ist ein Vergnügen mit Ihnen Geschäfte zu machen”, schloss Subadachan mit einer Verneigung und die Leinwand wurde schwarz. Direktorin Kasei hatte gerade wieder ihren Platz am Schreibtisch eingenommen, als sich die Doppeltür zu ihrem Büro teilte und Akane Tsunemori eintrat, Chefinspektorin von Einheit 1. “Sie wünschten mich zu sprechen, Direktorin”, sagte Sie mit einer Verbeugung. Allerdings währte ihre Höflichkeit nur, bis sich die Tür wieder geschlossen hatte und sie sicher sein konnte, mit der Direktorin allein zu sein. Akane marschierte ungefragt nach vorn, stemmte beide Hände auf den Schreibtisch und beugte sich vor. “Der abschließende Bericht über Shambala ist noch nicht fertig, was wollt ihr?” Die Direktorin konnte ein Schmunzeln nicht verhindern. “So respektvoll wie immer. Der Bericht über Shambala kann warten. Wir haben eine andere Aufgabe für dich: In Kürze soll es ein Briefing für die Einheiten 1 bis 4 über die bisherigen Aktivitäten von Wraith geben. Wir wünschen, dass du die Leitung übernimmst.” Akane musste beinahe lachen über die Ironie, die darin lag. Wäre sie noch ein rehäugiger Frischling gewesen, hätte sie über diesen offensichtlichen Vorzug vermutlich gejubelt. So wie die Dinge lagen, war sie nur misstrauisch. “Wieso kommt ihr da auf mich?” “Diese Frage kannst du dir selbst beantworten. Auch dir dürfte klar sein, dass Wraith - gleich ob es sich dabei um eine Person oder eine Gruppe von Personen handelt - auf seine eigene Art wesentlich gefährlicher ist als Makishima oder Kamui.” Die erdrückende Ernsthaftigkeit im Raum hatte nun auch Akane ergriffen. “Ihr meint wegen dieses Graffitis. Die anderen halten es bloß für kindischen Vandalismus, aber es kann natürlich sein, dass Wraith euer Geheimnis ebenso kennt wie ich. Allerdings gab es schon in der Vergangenheit Aktionen, die vom Stil zu Wraith gepasst hätten. Wenn sie das Geheimnis von Sibyl schon so lange kennen, lässt die Tatsache, dass sie sich bisher nicht damit an die Öffentlichkeit gewandt haben, nur einen Schluss zu: Sie haben keine Beweise. Dass unsere Gesellschaft von einem Kollektiv aus den Gehirnen kriminell asymptomatischer Menschen gesteuert wird, ist selbst für unsere modernen Verhältnisse nur schwer zu glauben.” “Um so wichtiger ist”, betonte Direktorin Kasei, “dass Wraith solche Beweise niemals bekommt. Womöglich haben wir bald schon die erforderlichen Mittel in der Hand, solche fehlerhaften Teile der Gesellschaft gleich auszumerzen.” Akane machte große Augen. “Ihr spielt damit auf den kollektiven Psycho-Pass an.” “Es haben sich Umstände ergeben, die uns diesen nächsten Schritt der Evolution bald erlauben könnten. Dann werden Gruppen wie Wraith nirgendwo in der Gesellschaft mehr sicher sein.“ Akane schob frustriert die Unterlippe vor. “Euer einziges Ansinnen ist es, mit einem kollektiven Psycho-Pass Störenfriede auszurotten statt die Gesellschaft zu verbessern?“ “Wir meinen doch, dass man die Gesellschaft vor allem dadurch verbessert, dass man schädliche Elemente aus ihr tilgt. Halte diese Präsentation für die anderen Einheiten - natürlich mit einigen notwendigen Aussparungen. Danach soll es die Aufgabe von Einheit 1 sein, in den Archiven nach vergangenen Aktionen zu suchen, die vom Muster auf Wraith hätten passen können. Je eher wir wissen wie ihre künftigen Aktionen aussehen desto eher können wir die Wurzel dieses Problems angehen. Das wäre alles.” Akane wandte sich ohne ein weiteres Wort ab und verließ das Direktorat. Als sich die Aufzugtüren wieder geschlossen hatte, stützte sie die Fingerknöchel gegen den Mund und dachte angestrengt über das Gespräch nach. Sie musste unwillkürlich lachen, als sie ihr Spiegelbild im kalten Metall der Fahrstuhlwand sah und schüttelte den Kopf. “Ich sehe schon aus wie diese Figur von Rodin. Aber… ein kollektiver Psycho-Pass könnte eine Entscheidung bringen. Entweder Sibyl entwickelt sich endlich weiter oder das System geht unter. Wraith… Habt ihr diese Entwicklung kommen sehen? Dann wäre es jetzt an der Zeit für euch aus dem Schatten herauszutreten. Kommt nur, ich warte.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)