Drei Haselnüsse sind nicht genug von Morathi ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Kapitel 6 Filips POV „Könnt Ihr mir erklären, was hier vor sich geht, mein Sohn?!“ Die Stimme seines Vaters ließ Filip das Blut in den Adern gefrieren. Warum gerade jetzt, als sie sich so nahe waren? Warum gerade nun, als Vitek und Kamil nicht bei ihnen standen? Matej starrte geschockt hinter ihn, während Filip sich nur langsam umzudrehen wagte und seinem Vater in die Augen sah. Dieser stand in seiner ganzen, majestätischen Herrlichkeit in der Türe, den Hofstaat im Rücken und den Zorn im Blick. „Nun, Sir?!“ „Wir haben nur etwas frische Luft geschnappt, Eure Majestät!“ Matej klang panisch, als sie sich vor Filip stellte. Wollte sie ihn schützen? „Schweigt! Euch habe ich nicht gefragt! Und Ihr solltet Eure Manieren besser ändern. Als zukünftige Schwiegertochter und Prinzessin werdet Ihr mit so einem Verhalten nicht davon kommen.“ Filip war sich für einen Moment sicher, dass sein Herz stehen geblieben sei. Oder die Zeit. Was es auch war, einen Augenblick später überlief es ihn heiß und kalt und doch . . . Und doch schienen seine Gedanken ungewöhnlich klar zu sein. Sie waren alleine auf diesem Balkon gewesen. Sie waren sich nahe gewesen. Sie waren entdeckt worden. Es blieb ihnen kaum etwas anderes übrig als zu heiraten, wollten sie keinen weitreichenden Skandal verursachen. Und wollte er ihren Ruf nicht für immer schädigen. „Wie bitte?“ Matej schien das noch nicht so zu sehen. Sie hatte aber auch immer noch ihren Schleier vor dem Gesicht und es gab sicher einen guten Grund dafür. „Ihr könnt mich nicht zwingen, Euren Sohn zu heiraten, Eure Majestät!“ Diese kleine Person sprach mit solch einer Vehemenz, dass Filip beinahe einen Schritt zurückwich. Es war plötzlich, ja, aber war es auch so ungewollt? „Natürlich kann ich das, ich bin Euer König!“ „Wir haben nichts getan. Wir haben nur geredet und die Freunde Eures Sohnes können es bezeugen!“ Kamil und Vitek sahen jedoch aus, als würden sie sich am liebsten in Luft auflösen. „Ihr wisst genau wie ich, dass es niemanden interessiert was ihr hier draußen getan habt.“ Endlich schien Fillip sich wieder bewegen zu können und er trat neben Matej. Ihre Verzweiflung traf ihn tief und sein einziger Wunsch war es, es wieder gut zu machen. „Bitte, Vater, lasst uns etwas Zeit. Wir müssen doch nicht direkt heiraten. Wenn wir mit der Umwerbung beginnen und uns kennen lernen? Notfalls wird das Volk sein Interesse an einem Skandal schon verlieren.“ „Wenn ihr Zeit gewollt hättet, wärt ihr nicht heimlich hinaus geschlichen. Wenn Ihr Zeit gewollt hättet, hättet ihr es auf die traditionelle Weise gemacht.“ Es klang wie der finale Glockenschlag und in Filip zog sich alles zusammen. Da fing Matej an mit dem Kopf zu schütteln. Sie schien gar nicht mehr aufhören zu können. „Nein, nein, nein, nein, nein ... ich kann ihn nicht heiraten, ich kann nicht!“ Und mit diesen Worten rannte sie los, am König und seinem Hofstaat vorbei, durch den Saal, zwischen den Wachen und aus der Türe. Zu schnell als dass sein Vater „Haltet sie!“, rufen konnte. Zu schnell als dass Filip reagieren oder auch nur „Warte“, sagen konnte. Er lief los, lief ihr durch die Menge hinterher, wohlwissend, dass er zu spät war, dass er zu spät war. Dass sie ihm entwischen würde. Denn alles was er von ihr sah, als er aus dem großen Tor rannte, war ein Wirbel in Rosa und ein Pferd. Dann galloppierte sie in die Nacht davon. Alles, was von ihr blieb, war ein zierlicher, samtener Schuh am Ende der Treppe, vergessen und kalt. ____________________ Vinzeks POV Das kleine Licht in der Wärter-Kammer flackerte bei jedem kalten Luftzug und sobald Vinzek ein- oder ausatmete. Es war spät, als eine Kutsche zu hören war. Verwirrt verließ er seine Stube und öffnete die Tore weit, um seine Herrinnen hineinzulassen. Der Kutscher sah ihn beinahe schon verzweifelt an, während sie den beiden herunter halfen. Diese waren in eine leise Diskussion verstrickt, doch eindeutig voller Wut und Frust. „Die Kutsche wird morgen Abend nicht benötigt!“ Mit diesen Worten verschwanden sie im Haupthaus, die Türe hinter sich zuwerfend. „Frag nicht“, erwiderte der Kutscher auf Vinzeks fragenden Blick hin und führte die Pferde in den Stall. Was war passiert? Hatte Aschenbrödel sich endlich zu erkennen gegeben? Hatte der Prinz ihr bereits einen Antrag gemacht? Oder war das Gegenteil passiert? War Aschenbrödel aufgeflogen? Wurde sie gefangen gehalten? Mit schnellen Schritten war Vinzek im Stall: „Ich übernehme die Nachtwache. Sieh zu, dass du ins Warme kommst. Die Damen brauchen deine Dienste sicher morgen irgendwie.“ Daniel der Kutscher fragte nicht einmal nach, sondern nickte nur dankbar und ging schnellen Schrittes in seine Schlafkammer, sobald er die Pferde versorgt hatte. Vinzek dagegen begab sich wieder in die Wächterkammer und saß nun noch stiller als zuvor, um keinen Laut zu verpassen. Der Himmel wurde bereits hell am Horizont und Vinzek war beinahe im Land der Träume, als ein leichtes Knirschen im Schnee hörbar wurde. Vorsichtig sah er aus seiner Luke und entdeckte Nikolaus mit Aschenbrödel auf dem Rücken. Sie hatte nicht mehr an als ihr Kleid und einen leichten Umhang und saß zusammengesunken auf ihrem treuen Pferd. So schnell und vorsichtig wie möglich öffnete Vinzek das Tor und führte Nikolaus hinein, auch wenn Aschenbrödel doch wacher wirkte als einen Moment zuvor. Im Stall half er ihr herunter und führte sie ohne ein weiteres Wort in die Stube zum Feuer und dem heißen Wasser. „Nikolaus ...“ „Ich erledige das“, erwiderte er resolut und legte ihr eine Decke über die Schultern, „Wärme dich auf.“ Nur Minuten später kam er zurück und fand sie mit einer heißen Tasse zwischen den Händen vor. Ihr Blick war gedankenverloren auf das kleine Feuer gerichtet und wäre nicht etwas Licht in den Raum gefallen, wäre ihm mit Sicherheit nicht das von Tränen verschmierte Gesicht aufgefallen. „Was ist passiert?“ Alle möglichen Szenarien gingen ihm durch den Kopf und keine einzige davon war hoffnungsvoll. Und dabei hatte er doch so gehofft . . . „Er hat mit mir gesprochen. Und getanzt.“ „Der Prinz?“ Sie nickte, den Blick weiter auf das Feuer gerichtet. „Ich wusste es würde nicht gut enden und doch wollte ich mehr. Und ich wurde unvorsichtig.“ „Hat er dir etwas getan?“ „Nein!“ Ihre eigene Vehemenz erschreckte sie so, dass sie zusammenzuckte. „Ich . . . Nein, er war höflich und freundlich. Er hat nicht einmal nach meinem Namen gefragt.“ Vinzek versteckte ein Schnauben hinter einem Husten und senkte seinen Blick ebenfalls auf das Feuer. „Aber was ist dann passiert?“ „Ich wurde unvorsichtig und bin mit ihm und seinen Freunden auf den Balkon gegangen, um der stickigen Luft zu entkommen. Es war alles unschuldig, wir haben nur geredet! Aber sein Vater, der König, hat uns entdeckt!“ DAS konnte sicher nicht gut gehen. Was hatte er nur getan? Hatte er Aschenbrödel mit seiner Hilfe in Gefahr gebracht? War der König hinter ihr her? „Was hat er gesagt?“ „Dass ich den Prinzen heiraten soll!“ Es dauerte einen Moment, bis die Informationen bei Vinzek ankamen und er verstand, was er soeben gehört hatte. „Der König will, dass du Prinz Filip heiratest?“ „Ja!“ „Und das ist so schlimm, weil . . . ?“ War das nicht ihr Wunsch gewesen? Hatte sie keine Gefühle für den Prinzen? Und selbst wenn, solch eine Gelegenheit ergab sich kein zweites Mal. Und der Prinz war auch noch ein freundlicher Mann. „Er weiß nicht, wer ich bin, Vinzek! Wenn er es wüsste . . . Und wenn er wüsste, dass ich ihn belogen habe . . . Er würde mich den Rest seines Lebens hassen und das könnte ich nicht ertragen!“ Mit einem Schluchzen senkte sie ihren Kopf auf ihre Hände, so dass ihr blondes, wildes Haar sich weiter aus ihrer Frisur löste und vor ihr Gesicht fiel. Was sollte er da sagen? Dass der Prinz alles wusste? Dass der Prinz ihr die Kleider geschenkt hatte? Vielleicht konnte er sie doch noch überzeugen, ihre Meinung zu ändern? Vielleicht . . . „Und was würde der König erst zu meinem Stand sagen? Und der Prinz? Dass mein Name nun Aschenbrödel ist und ich die Magd meiner Stiefmutter bin? Dass ich nicht länger zum gehobenen Stand gehöre? Dass ich kein Recht dazu hatte, auf diesem Ball zu sein? Sie würden mich verstoßen und keinen Augenblick zögern! Ich könnte es nicht ertragen ihn zu hintergehen, um bei ihm zu sein.“ Nach einem Augenblick des Zögerns schob Vinzek seinen Stuhl neben das schluchzende Mädchen und legte ihr die Hand sanft auf den Rücken. Sie war zu gut. Zu gut für diese Welt, für ihr Schicksal und diesen Prinzen. Ihre Schwester hätte die Chance sofort genutzt, aber Aschenbrödel war geflohen, anstatt bei dem Mann zu sein, der ihr ein besseres Leben schenken konnte. Aber vielleicht war es auch nicht der richtige Weg für sie. Vielleicht war sie nicht geeignet, um als Prinzessin auf einem Schloss zu wohnen und sich an die Regeln des Hofes zu halten. Vielleicht war sie viel eher dafür geeignet auf ihrem Nikolaus durch die Gegend zu jagen und irgendwann einen Mann zu heiraten, der ihr solche Freiheiten gewähren konnte. Wer wusste schon von einer Prinzessin, die jagte? „Ich weiß nicht einmal . . . Ob ich ihn überhaupt heiraten will . . . Was ich eigentlich will . . .“ Das Schluchzen wurde leiser, doch es fiel ihr weiterhin schwer, zu sprechen, ohne dass sie sich selbst unterbrach. „Magst du ihn?“ „Ja, sehr“, gab sie zu, das Gesicht weiterhin in ihren Händen. Was hatte der Prinz nur aus ihr gemacht? Aus diesem freundlichen und fröhlichen Mädchen? „Zeig ihm, wer du bist. Sieh, ob er dich weiterhin akzeptiert oder nicht.“ „Nein! Ich könnte es nicht ertragen, wenn er mich von sich stößt! Und wie könnte ich erwarten, dass er sich über diese Wahrheit freuen würde? Er hat nicht einmal seinem Vater zugestimmt, sondern mehr Zeit erbeten.“ „Mehr Zeit?“ „Damit das Volk den Skandal vergisst.“ Wut stieg in Vinzek auf. Wie konnte . . . Wie konnte Prinz Filip es wagen?! Hatte er nicht selbst Vinzek mehrfach aufgelauert, um Aschenbrödel zum Ball zu bringen? Hatte er nicht alles daran gesetzt, sie wieder zu sehen? Hatte er nicht versprochen, auf sie aufzupassen? Sie nicht zu verletzen? Vielleicht war es nicht so, wie es schien, sagte ihm eine kleine Stimme, doch Vinzek wollte nicht hören! Hier saß sie, nachdem er sie von der Jagd und den Bällen überzeugt hatte, weinend in seiner Stube. Wegen dieses Mannes. Diesem Mann, der sich einen Prinzen nannte und es doch nicht geschafft hatte sie zu schützen. Hätte er ihr nur die Wahrheit gesagt . . . Nein, es brachte nichts mehr, über das Wenn und Aber nachzudenken. Es war geschehen und sie war unerkannt davon gekommen. Niemand wusste, wie sie hieß und selbst der Prinz hatte keine Ahnung, wer sie wirklich war. Vielleicht war es besser so, wie es war. Vielleicht blieb ihr so ein viel größerer Schmerz erspart. Vinzek drückte Aschenbrödel sanft an sich, während er ihr weiter beruhigend über den Rücken strich. „Die letzte Haselnuss, Aschenbrödel. Wünsch dir etwas.“ Das Schluchzen ebbte langsam wieder ab, bis Aschenbrödel sich von ihm löste und sich gerade auf ihren Stuhl setzte, den Blick auf das Feuer gerichtet. „Ich wünsche mir, dass ich ihn nie wieder sehen muss.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)