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Wolkenwächter

Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1
von

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Loronk hatte auf einen Schlag alles verloren. Sein Rang, sein Einfluss und sein Reichtum waren keinen Pfifferling mehr wert und zuletzt hatte auch sein treuer Fähnrich den Tod gefunden. Irgendwie musste er aus Adamas entkommen und als selbsternannter Schmugglerkönig war Fjedor die einzige Person, die dieses Vorhaben in die Tat umsetzen konnte.

Nachdem seine Machenschaften ans Licht gekommen waren und Meister Syndus ihn mit seinem Gefolge zur Rechenschaft hatte ziehen wollen, war Loronks einziger Gedanke eine möglichst schnelle Flucht gewesen. Aber nachdem er zwischen den Bäumen der Düstermarsch verschwunden war und Eydar hinter sich gelassen hatte, war er langsam wieder zur Ruhe gekommen. Fieberhaft hatte er überlegt, wie er vorgehen sollte. Fest stand, dass er sich in keiner Siedlung blicken lassen konnte, in der die Kaiserliche Armee die Fäden zog.

Sein erstes Ziel war die Mine gewesen. Er zweifelte nicht daran, dass Yarshuk die Wahrheit gesprochen hatte und die Banditen tot und sämtliche Sklaven frei waren, aber Loronk hatte gehofft, sich noch so viel Gold wie möglich unter den Nagel reißen zu können, ehe die Armee all die Reichtümer beschlagnahmte, die seine Schmuggler angehäuft hatten.

Vor der Mine angekommen, hatte er allerdings feststellen müssen, dass die Treppe am Hinterausgang eingestürzt war. In der Bucht vor dem Eingang der Grotte hatte die Flut eingesetzt und die Bluthechte waren schon vom Binnenmeer zurückgekehrt, um auf Beute zu lauern. Loronk hatte es aus Angst vor möglichen Verfolgern nicht gewagt, abzuwarten, bis das Wasser wieder sank. Also war das Gold für ihn unerreichbar geblieben.

Daraufhin hatte er sich entschlossen, Fjedor aufzusuchen. Von Yarshuk hatte er erfahren, dass der Schmugglerkönig nicht vor Ort gewesen war, als Gancielle die Mine gestürmt hatte, also war er vermutlich noch am Leben. Also war Loronk nach Norden geritten, in Richtung Wolkenberge, in denen Fjedors Ziel lag, doch die Nacht hatte ihn mitten in der Düstermarsch überrascht. Dem Ork war nichts anderes übriggeblieben, als sich ein einigermaßen trockenes Plätzchen zu suchen und auf den nächsten Morgen zu warten.

Die Sonne stand nun schon bereits seit mehreren Stunden am Himmel, als Loronk die Brücke am Oberlauf des Maldocan überquerte und sein Pferd im Trab ins Tal der Asche lenkte. Das Ross war nicht besonders kräftig und hatte mit dem schweren Gewicht von Loronks Rüstung zu kämpfen, weshalb der Brigadegeneral deutlich langsamer vorankam, als er gehofft hatte. Im gleichmäßigen Takt aufschlagender Hufe wirbelte das Pferd Staub auf und zog eine graue Wolke hinter sich her. Loronks Blick war verbissen nach Norden gerichtet. Das Schiff, das etwas weiter flussabwärts verlassen und unbemannt vor Anker lag, bemerkte er gar nicht. Wäre es ihm aufgefallen, hätte er den Kahn sofort erkannt.

Doch die Gedanken des Brigadegenerals waren viel zu aufgewühlt. Langsam wurde ihm bewusst, dass Yarshuks Tod für ihn ein herber Verlust war. Sein Fähnrich hatte treu zu ihm gestanden. Fjedor und seine Banditen dagegen konnten es gar nicht erwarten, sich wieder aus Loronks Griff entziehen zu können. Unter ihnen würde er wenig Freunde finden.

Und dann war da noch Brynne, auf dessen Bitte hin Fjedor zu diesem hanebüchenen Raubzug aufgebrochen war. Loronk wurde immer zorniger, je länger er an den rätselhaften Kerl dachte. Brynne hatte nie Ansprüche gestellt und sich immer im Hintergrund gehalten, weswegen der Brigadegeneral seine Anwesenheit toleriert hatte. Aber nun war er schuld daran, dass die Mine von ein paar wagemutigen Schergen Syndus‘ und rebellierenden Sklaven überrannt worden war. Er trug die Verantwortung dafür, dass Loronk alles verloren hatte und der Ork wollte für ihn hoffen, dass er diesen törichten Fehler in irgendeiner Weise wiedergutmachen konnte. Fjedor jedenfalls würde die Nachricht von der Entdeckung der Mine ganz und gar nicht gefallen. Mit dem Sturmerz verlor er seine Geldquelle und kein Raubzug, so groß angelegt er auch sein mochte, konnte ihn für diesen Verlust entschädigen.

Loronk stellte sich vor, wie er seine Hände um Brynnes mageren Hals legte und die Blödheit aus ihm herauspresste. An seinen Schläfen traten dicke Adern hervor und der Ork knirschte zornig mit den Zähnen, während er seine Fersen so heftig in die Flanken seines Pferdes bohrte, dass der Gaul erschrocken wieherte. Mit schierer Gewalt drückte er die Zügel nieder und zwang das scheuende Ross wieder unter seine Kontrolle.

Im Tal der Asche war es still. Loronk war noch nie so weit nach Norden vorgedrungen, aber er hatte gehört, dass die Berghänge, die das Tiefland säumten, den Harpyien als Nistplätze dienten. Er kannte das allgegenwärtige Kreischen der Raubvögel von der Küste von Eydar, doch hier erklang nicht einmal das leiseste Krächzen. Nur das Huftrappeln seines Pferdes war zu hören und hallte von den Flanken der Berge wider. Das Tal der Asche war topfeben und als Loronk den Kopf hob, sah er weit entfernt ein paar dunkle Umrisse. Er kniff die Augen zusammen und erkannte, dass es sich dabei um eine Gruppe mehrerer Gestalten handelte, die sich nach Norden fortbewegte. Sie waren zu Fuß unterwegs, sodass der Ork auf dem Rücken seines Pferdes rasch näherkam. Zunächst hoffte Loronk, dass es Fjedors Bande war, zu der er endlich aufschließen konnte, doch bald bemerkte er, dass die Zahl der Personen, die er vor sich sah, viel zu gering war. Er zählte sechs oder sieben Leute. Hinzu kam ein unförmiger Schatten, der so eng an den Boden gepresst war, dass Loronk ihn zunächst für einen Stein oder eine der Dornenranken hielt, doch schließlich war klar, dass sich der längliche Schemen im Gleichschritt zu den anderen Gestalten fortbewegte.

Loronk wechselte vom Galopp in den Trab und behielt die Silhouetten misstrauisch im Auge. Für gewöhnlich waren die einzigen Leute, die sich in den Wolkenbergen und ihren Ausläufern herumtrieben, Halsabschneider und Strauchdiebe. Nur selten verirrte sich jemand anders an diesen abgeschiedenen Ort und er konnte es sich nicht leisten, von ein paar Banditen aufgehalten zu werden, die glaubten, in ihm ein leichtes Opfer zu finden. Aber vielleicht gehörten die Gestalten, die dort vor ihm das Tal der Asche durchquerten, doch zu Fjedors Bande. Möglicherweise hatte er eine kleine Nachhut zurückgelassen, die sicherstellen sollte, dass er nicht verfolgt wurde, auch wenn das einen Akt der Weitsicht darstellte, den Loronk Fjedor eigentlich nicht mehr zutraute, nachdem er die Sturmerzmine so nachsichtig zurückgelassen hatte.
 

Gancielle entdeckte die Kadaver als erster. Es waren mehrere Stunden vergangen, seit sie den Maldocan hinter sich gelassen hatten, die Sonne neigte sich schon bedenklich nahe den Spitzen der Wolkenberge zu und die Schatten der umliegenden Gipfel wurden immer länger. Ilva erholte sich zusehends von ihrer Kopfverletzung, aber noch immer kamen sie für Gancielles Geschmack nur viel zu langsam voran. In regelmäßigen Abständen blieb er stehen, wenn er bemerkte, dass sein Vorsprung auf seine Begleiter zu groß wurde, warf erst ungeduldige Blicke nach Süden und dann wieder nach Norden. Und dabei bemerkte er sie schließlich.

Von Weitem sahen sie aus wie dunkle Flecken auf dem hellgrauen Staub. Doch je näher die Gruppe kam, desto deutlicher wurden gebrochene Flügel, weit aufgerissene Schnäbel mit tückischen Zähnen und gekrümmte, blutbefleckte Klauen, die starr und unbewegt gen Himmel gerichtet waren.

„Solas Gnade…“, entfuhr es Gancielle entsetzt. „Was ist hier geschehen?“

Das Tal der Asche war zu einem Massengrab geworden. Zu Dutzenden lagen die zerschlagenen und zerrupften Körper mächtiger Bergharpyien im Staub. Einige der geflügelten Bestien waren von Pfeilen getroffen worden, andere streckten versengte Flügel von sich und wieder andere schienen von enormer Hitze aus einer unbestimmten Quelle geradewegs durchbohrt worden zu sein. Federn waren geschmolzen und ausgefranste Brandwunden überwucherten ihre mageren Körper. Schwärme von Schmeißfliegen versammelten sich über den Kadavern und erfüllten die Luft mit leisem Summen.

Der Anblick der Leichen verschlug Craig den Atem. Die Bergharpyien waren sogar noch größer, als er sie sich vorgestellt hatte. Selbst im Tod wirkten ihre spitzen Zähne und scharfen Klauen noch wie furchterregende Mordwaffen. Schweigend gingen er und seine Gefährten durch die Reihen der Kadaver hindurch. Knack winselte ängstlich, Vance wirkte ansatzweise entsetzt über die reiche Ernte, die der Tod gehalten hatte, und Gancielle, Ratford und Lazana hatten ihre Gesichter in sorgenvolle Falten gelegt. Nur Wuleen und Ilva schien der Anblick der leblosen Harpyien überhaupt nicht zu kümmern. Die rothaarige Steuerfrau war offensichtlich in trübsinnigen Gedanken versunken.

Zwischen den Körpern der Harpyien entdeckte Gancielle die Leichen zweier Dunkelelfen. Dem einen war das Genick gebrochen worden, während der andere mit zerfetzter Kehle auf dem Rücken lag.

„Sieh mal einer an“, rief Ratford. Er stand neben einem Waldelfen in seidig glänzenden Gewändern, dessen Hals in unnatürlichem Winkel verdreht war. Mit einem Fußtritt rollte Ratford den Toten auf den Rücken und blickte verächtlich in ein bärtiges, vor Angst verzerrtes Gesicht, das blind in den Himmel starrte. „Den kennen wir doch.“

„Gehören diese Leute zu den Schmugglern?“, fragte Gancielle.

„Dieser Kerl hier war definitiv einer von ihnen“, knirschte Ratford wütend. „Er war es, der uns in die Fänge der Banditen gelockt hat. Sein Glück, dass er sich den Hals gebrochen hat. Wenn ich ihn erwischt hätte, wäre er nicht annähernd so schnell gestorben.“

Craig drehte sich der Magen um, als ihm klar wurde, dass die Schmuggler für das Massaker verantwortlich waren. Plötzlich wirkte es wie eine vollkommen wahnwitzige Idee, sie zu verfolgen. Craig wollte sich nicht ausmalen, was die Verbrecher mit ihm und seinen Begleitern anrichten würden, wenn sie sogar eine ganze Kolonie von Harpyien dermaßen zurichten konnten, ohne dabei nennenswerte Verluste in Kauf nehmen zu müssen. Gemessen an der Anzahl an getöteten Raubvögeln konnte Brynne das Ableben von drei Untergebenen vermutlich verkraften.

„Die Harpyien dort drüben wurden zweifellos durch Feuerzauber getötet“, stellte Lazana fest und beugte sich sorgenvoll über einen Kadaver, der zu ihren Füßen lag. „Aber das hier sind die Folgen mächtiger Sturmmagie. Offenbar befindet sich unter den Banditen ein gefährlicher Zauberer.“

„Brynne?“, fragte Gancielle.

„Vermutlich“, sagte Lazana. „Wenn er sich mit Sturmmagie beschäftigt hat, ist es kein Wunder, dass er vom Finger der Wolken gehört hat. Vermutlich träumt jeder Zauberer, der diese Disziplin der arkanen Künste beherrscht, heimlich davon, die Urgewalt der Blitze kontrollieren zu können.“

„Also ist er nicht nur ein Wahnsinniger, sondern auch ein magisch begabter Wahnsinniger“, brummte Gancielle. „Das sind ja wunderbare Aussichten.“ Er blitzte Ilva an. Ganz offensichtlich vertraute er ihr immer noch nicht. „Weißt du etwas darüber?“

Die junge Frau schüttelte ihre feuerroten Haare. „Nein“, antwortete sie verbittert. „Brynne hat sich erst blicken lassen, um die Meuterei anzuzetteln. Und dabei hat er keinerlei Magie verwendet.“

Lazana legte nachdenklich die Hand an ihr Kinn. „Möglicherweise war er ein Schüler von Hochmagier Ascor“, überlegte sie laut. „Offensichtlich ist er schon jetzt ein Zauberer von unglaublicher Macht. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was geschieht, wenn er den Finger der Wolken an sich nimmt.“

„Umso wichtiger ist es, dass wir den Wolkentempel vor ihm erreichen und den Hochmagier warnen“, rief Gancielle eindringlich und sah grimmig in die Runde. Dabei fiel sein Blick zufällig nach Süden und dort entdeckte er eine Staubwolke, die rasch näherkam. Mit einem Kopfnicken machte er seine Gefährten darauf aufmerksam.

„Ein Reiter“, stellte Craig fest, sich aus der Staubwolke ein galoppierender Schatten schälte und fernes Hufgetrappel an sein Ohr drang. In der gespenstischen Stille des Tals der Asche klang es wie nahendes Donnergrollen.

„Vielleicht ein Bote aus Eydar“, vermutete Gancielle. „Dann hat Lexa Erfolg gehabt.“

Angespannt beobachteten die Gefährten den sich nähernden Reiter. Craig erkannte eine blinzende Rüstung, aber nicht im Stahlgrau der Brustpanzer, die von den Offizieren der Armee getragen wurden. Dieser Harnisch blitzte im Sonnenlicht golden und um die Schultern des Reiters flatterte ein roter Umhang.

„Ich glaube, Ihr irrt Euch, Gancielle“, brummte Ratford. „Ein normaler Bote trägt keinen schweren Plattenpanzer.“

Gancielle antwortete nicht. Mit zusammengekniffenen Augen spähte er dem Reiter entgegen, um weitere Details zu erkennen. Das Hufgetrappel wurde lauter, doch gleichzeitig verlangsamten sich die Schritte des Pferdes. Der Reiter hatte sie bemerkt und war offenbar misstrauisch geworden. Und als er so nah herangekommen war, dass Craig sein Gesicht erkannte, zerrte er rüde an den Zügeln und brachte sein Ross zum Stehen.

Es war schwer zu sagen, auf wessen Seite die Überraschung größer war, als sich Gancielle und Loronk so plötzlich und unerwartet gegenüberstanden. Mit offenen Mündern starrten sie sich an, aber nur für einen Wimpernschlag. Dann zog Gancielle schwungvoll sein Schwert und deutete damit wütend auf Loronk. „Haltet ihn auf!“, schrie er. „Er darf auf gar keinen Fall entkommen!“

Loronk grub seinem Pferd augenblicklich die Hacken in die Flanken und trieb es direkt auf Gancielle und dessen Gefährten zu. Craig brachte sich und Knack vorsichtshalber in Sicherheit, bevor er über den Haufen geritten wurde, aber Gancielle machte keine Anstalten, zur Seite zu treten. Stattdessen stürmte er dem anreitenden Ork mit hassverschleiertem Blick entgegen und holte weit mit dem Schwert aus.

Kurz bevor er niedergeritten wurde, stürzte sich Ratford auf Gancielle und stieß ihn aus der Reichweite der galoppierenden Hufe. Die beiden Männer stürzten und Ratford landete mit klirrendem Kettenhemd direkt auf Gancielle.

„Was soll das?“, keuchte er und stützte sich auf die Knie. „Wollt Ihr Euch umbringen?“

Gancielle strampelte unter ihm wie kratzbürstige eine Katze, die sich aus der erdrückenden Umarmung ihres Herrchens befreien wollte. „Runter von mir!“, schrie er mit hochrotem Kopf und seine Stimme überschlug sich fast. „Er darf uns nicht entwischen!“

Ein langgezogenes Wiehern und Schnauben ließ ihn abrupt verstummen. Vance hatte dem Pferd mit beiden Händen in die Zügel gegriffen und es damit so ruckartig angehalten, dass es sich samt seinem Reiter beinahe überschlagen hätte. Loronk starrte Vance mit erschrockener Verblüffung an und drückte seinem Ross die Fersen in die Seite, doch so sehr es auch zerrte und den Kopf hin und her warf, es konnte sich nicht losreißen. Es trat mit den Hufen auf der Stelle und in diesem Moment wirkte Lazana ihren Eiszauber. Ein bläulich glänzender, armdicker Speer zischte durch die Luft und hätte geradewegs Loronks Nacken durchbohrt, wenn der Ork den Angriff nicht rechtzeitig bemerkt hätte. So konnte er sich gerade noch rechtzeitig ducken und die Eislanze schoss nur um Haaresbreite an seinem Nacken vorbei.

Von der anderen Seite fegte Wuleen wie ein Derwisch heran und auch Gancielle und Ratford hatten sich wieder aufgerappelt und die Verfolgung aufgenommen. Vance hielt die Zügel des Pferdes noch immer fest in den Händen und Lazana bereitete bereits einen weiteren Zauber vor. Kurz bevor Wuleen ihn erreichte, holte Loronk in einem Anflug von Panik aus und schlug Vance mit voller Kraft ins Gesicht. Ein Knirschen war zu hören, als die Faust auf Vances Nase traf, Vance taumelte einen Schritt zurück und dabei glitten ihm die Zügel aus der Hand. Loronk ergriff sie sofort und gab seinem Pferd die Sporen.

Doch er kam wieder nicht weit. Lazana wirkte einen weiteren Zauber und im nächsten Moment zerbarst ein Eisspeer splitternd direkt vor den Hufen des Pferdes. Es bäumte sich wiehernd auf und es gelang Loronk nur mit sichtlicher Mühe, sich im Sattel zu halten. Gerade, als er sein Reittier wieder unter Kontrolle hatte, wurde er von Wuleen eingeholt und sofort angegriffen. Wieder rutschte Loronk fast vom Rücken seines Pferdes, als er dem Hieb auswich, doch diesmal saß er schnell wieder im Sattel und ging direkt zum Gegenangriff über. Er zog seine Kriegskeule aus dem Gürtel und schwang sie mit einem zornigen Kriegsschrei hoch über dem Kopf. Der Knüppel streifte Wuleen an der Wange und die Dornen hinterließen tiefe, blute Schrammen in seinem Gesicht, doch er taumelte noch nicht einmal. Stattdessen machte der Schmerz und das Blut Wuleen nur noch rasender und er reagierte mit einem weiteren Schwertstreich, der den ersten an Kraft und Gewalt bei Weitem übertraf. Loronk gelang es, den Hieb mit seiner Keule abzufangen, doch da sauste bereits der nächste Eisspeer heran. Das Reißen von Stoff war zu hören, als sich das Projektil durch Loronks wehenden Umhang fraß und ihn fast aus dem Sattel riss.

Jetzt konnte er den Ausdruck von purer Panik auf seinem Gesicht nicht mehr verbergen. Fast schon verzweifelt versuchte er, Wuleen loszuwerden. Er zog den Fuß aus dem Steigbügel und trat seinem Angreifer vor die magere Brust. Dieser Treffer zeigte Wirkung, denn Wuleen stolperte ein paar Schritte zurück, gab aber noch immer nicht klein bei und ging sofort wieder auf Loronk los. Doch der Ork nutzte die Gelegenheit, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte mit donnerndem Hufgetrappel davon.

Lazana schleuderte ihm weitere Eisspeere hinterher. Zweimal noch riss sie mit ihren Projektilen große Löcher in seinen Umhang und einmal streifte sie ihn sogar an der Schulter, aber es gelang ihr nicht, Loronk aus dem Sattel zu stoßen oder sein Pferd zu stoppen. Schon nach wenigen Sekunden war von dem Ork und seinem Ross nur noch eine große Staubwolke übrig, die sich in rasender Geschwindigkeit nach Norden entfernte.

Gancielle schleuderte verbittert sein Schwert zu Boden. „So ein Mist! Er wird Brynne warnen!“

„Damit dürfte sich unser Vorhaben erschweren“, murmelte Lazana und ging von einem ihrer Gefährten zum nächsten, um sich nach möglichen Verletzungen zu erkundigen. „Wenn Brynne erfährt, dass ihn jemand verfolgt, wird er bestimmt immer ein Auge nach Süden richten.“

Gancielle knurrte leise, als Lazana seinen Arm untersuchte, und warf Ratford einen wütenden Blick zu. Als er von ihm in den Staub gestoßen worden war, hatten sie sich beide ein paar Schürfwunden zugezogen, die aber in Anbetracht der Tatsache, dass Loronk entkommen war, verschmerzbar waren. Wuleen hatte ein paar harmlose Kratzer im Gesicht, die sein ohnehin schon verwegenes Äußeres noch zusätzlich unterstrichen, ihn aber nicht weiter beeinträchtigten, und Vances Nase hatte nach Loronks Faustschlag kurzzeitig angefangen zu bluten. Er hatte sein ohnehin schon schmutziges Leinenhemd vollgesaut, aber zu Lazanas Verblüffung war die Blutung bereits wieder versiegt.

„So was…“, sagte sie kopfschüttelnd. „Ich hätte schwören können, dass er dir die Nase gebrochen hat. Die Zähigkeit von euch Dorashen erstaunt mich immer wieder aufs Neue.“

Vance schniefte geräuschvoll und fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase, wobei er das noch feuchte Blut in seinem Gesicht verteilte.

Craig, Knack und Ilva hatten nichts abbekommen und Lazana selbst ging es ebenfalls gut, bis auf die Tatsache, dass der Gebrauch ihrer Eismagie sie sichtlich erschöpft hatte.

„Und was machen wir jetzt?“, erkundigte sich Craig vorsichtig.

Gancielle bückte sich und hob sein Schwert auf. Fast zärtlich strich er mit den Fingern über die Klinge und wischte den Staub ab. „Der Plan ändert sich nicht“, verkündete er. „Wir bleiben an ihnen dran und versuchen, sie zum passenden Zeitpunkt unbemerkt zu überholen, um den Hochmagier zu warnen.“

„Aber wie sollen wir das anstellen?“, fragte Craig. „Nachts sind sie unterwegs und tagsüber sehen sie uns doch sofort, wenn wir uns an ihnen vorbeischleichen.“

„Wir müssen es einfach versuchen“, beharrte Gancielle und schob sein Schwert zurück in den Gürtel. „Notfalls müssen wir einfach hoffen, dass Meister Syndus mit Verstärkung anrückt, ehe es zu spät ist. Und jetzt Abmarsch! Die Zeit ist nicht auf unserer Seite und hier stinkt es wie im Schlachthof.“
 

Loronk ritt, als säße ihm ein Dämon im Nacken. Er betete innerlich noch immer, dass ihn die Speere der Eismagierin nicht treffen mögen, obwohl er längst außer Reichweite war. Immer wieder warf er gehetzte Blicke über seine Schulter und erst, als seine Verfolger zu kleinen, undeutlichen Schatten zusammengeschrumpft waren, gestattete er seinem Pferd, das er bis dahin unerbittlich angetrieben hatte, eine Pause. Schnaubend und mit Schaum vor dem Mund blieb es stehen und senkte erschöpft den Kopf.

Loronk atmete tief durch und schloss die Augen. Noch immer konnte der Ork Gancielles zornigen Blick spüren, der ihn bis ans Ende der Welt zu verfolgen schien, und ihn beschlich das untrügliche Gefühl, dass eine Konfrontation über kurz oder lang unvermeidbar war. Er verscheuchte diesen Gedanken jedoch und rief sich die toten Harpyien zurück in Erinnerung, die an der Stelle, an der er auf Gancielle und seine Gefährten gestoßen war, zu Dutzenden den Boden bedeckt hatten. Er hatte nicht viel Zeit gehabt, die Kadaver genauer unter die Lupe zu nehmen, aber Gancielles zusammengewürfelter Abenteurerhaufen war definitiv nicht für dieses Massaker verantwortlich. Zwischen den Harpyien hatte er den ein oder anderen Leichnam eines Banditen entdeckt. Das Gemetzel ging also auf das Konto von Fjedors Schmugglern. Dem Zustand der Toten nach zu urteilen hatten sie nur einen halben Tag Vorsprung und Loronk war zuversichtlich, dass er sie vor Einbruch der Nacht würde einholen können. Hoffentlich hatten sie bis dahin nicht schon die Wolkenberge erreicht, denn es würde deutlich schwieriger sein, die Banditen zwischen den zerklüfteten Felswänden aufzuspüren.

Noch einmal blickte er fast panisch nach Süden, als befürchtete er, dass von dort gleich ein weiterer Eisspeer heranrauschen könnte, dass Gancielle im nächsten Moment vor ihm stehen würde. Aber er sah nur ihre weit entfernten Umrisse auf der weiten Staublandschaft des Tals der Asche und dahinter einen Hauch von Grün, den er als Blätterdach der Düstermarsch erkannte.

Loronk schüttelte sich und entschied, dass die Ruhepause für sein Pferd lang genug gewesen war. Er hielt es für besser, nicht zu lange zu verweilen. Also gab er seinem Ross die Sporen und trieb es eilig an, ehe die Magierin tatsächlich wieder so nah gekommen war, dass sie ihn mit ihren Eisspeeren hätte spicken können. Ein paar Mal griff er sich reflexartig an die harmlose Wunde an seiner Schulter. Sie blutete kaum, doch war sie von einer unnatürlichen Aura der Kälte umgeben, die ihr länger anhaftete, als normales Eis es jemals zustande gebracht hätte. Gancielles Truppe bestand aus fähigen Leuten, so viel war klar. Auch wenn ihn die Begegnung mit ihnen um ein Haar das Leben gekostet hatte, barg sie ihre Vorteile. Fjedor und Brynne waren mit Sicherheit daran interessiert, dass ihnen Gancielle mit einer kleinen Gruppe von Verbündeten auf der Fährte war. Loronk bezweifelte zwar, dass sie etwas gegen die Überzahl von Fjedors übrigen Banditen ausrichten konnten, aber eine Warnung war gewiss nicht unangebracht. Mit diesen Informationen würde man ihn hoffentlich etwas herzlicher empfangen, anstatt ihm augenblicklich einen Dolch ins Herz zu stoßen. Vielleicht fand er doch noch Unterschlupf in Fjedors Bande, bis sich eine Gelegenheit bot, Adamas zu verlassen. Aber dafür musste er die Gauner erst einholen.

Sein Pferd schnaubte unter der Last seiner Rüstung. Dicker, weißer Speichel tropfte ihm aus dem halbgeöffneten Maul und es warf immer wieder wild den Kopf hin und her. Viel mehr als Trab durfte er dem Pferd nicht zumuten, sonst machte es auf halbem Weg schlapp, doch mit der Gewissheit, dass er in jedem Fall schneller vorankommen würde, als Fjedors Lumpenpack und Gancielles Gefährten, entspannte sich Loronk ein wenig, aber ein kleiner Rest einer unguten Vorahnung blieb trotzdem zurück. Gancielles finsterer, rachsüchtiger Blick hatte sich unauslöschlich in das Gedächtnis des Orks gebrannt und er ertappte sich dabei, dass er sich immer wieder gehetzt nach seinen Verfolgern umsah, obwohl diese mittlerweile so weit zurückgefallen waren, dass er sie nicht mehr sehen konnte.



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