Wolkenwächter von Alligator_Jack (Die Chronik eines Ausgestoßenen - Teil 1) ================================================================================ Kapitel 32: ------------ Yarshuk hastete durch die Sümpfe und bahnte sich aufs Geratewohl einen Weg durch die Büsche und Farne. Inzwischen wusste er, dass Gancielle ihn nicht mehr verfolgte, doch obwohl er am Ende seiner Kräfte war, konnte er sich keine Verschnaufpause erlauben. Mit rasselndem Atem brach er durch das Dickicht und schleppte sich stöhnend eine Böschung hinauf. Gancielles und Lexas Auftauchen in der Mine hatte das Blatt gewendet. Plötzlich stand alles auf dem Spiel, was Loronk in den vergangenen Monaten aufgebaut hatte. Nicht nur sein Reichtum, den er durch den Schmuggel angehäuft hatte, war in Gefahr. Der Brigadegeneral drohte auch seine Macht und seinen Einfluss zu verlieren, sollten seine Machenschaften ans Licht kommen. Er musste unverzüglich informiert werden, schließlich war Yarshuks eigenes Schicksal eng mit dem Loronks verbunden. Erschöpft blickte sich der Ork um. Die Düstermarsch war eine unübersichtliche Gegend, in der man sich nur allzu leicht verirren konnte. Seit Loronk ihn als Aufpasser in der Mine der Banditen stationiert hatte, war Yarshuk kaum noch an die Oberfläche gekommen. So hatte er den Weg von Eydar bis zur Grotte erst einmal beschritten und das lag schon viele Wochen zurück. Angestrengt versuchte er sich an auffälligen Landmarkierungen zu orientieren, aber im sumpfigen Grün der Düstermarsch sah alles gleich aus. Überall wucherten Schlingpflanzen und Binsengewächse, ein Teppich aus Moos, Flechten und Pilzen überwucherte die Stämme der Bäume und hinter jedem Busch verbarg sich ein blubberndes Schlammloch, das Verwesungsgestank verströmte. Yarshuk stöhnte. In seiner Eile war er einfach querfeldein gerannt und nun hatte er keine Ahnung, wo er war oder in welche Richtung er gehen sollte. Wenn er jetzt orientierungslos durch die Wälder stolperte und möglicherweise im Kreis ging, verlor er wertvolle Zeit. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wuchs das Risiko, dass Meister Syndus von Gancielle und Lexa gewarnt wurde. Dicke, würzige Luft drückte auf Yarshuks Lungen und schnürte seinen Brustkorb zu. In der Düstermarsch wurde jede Anstrengung doppelt bezahlt. Gewundene Ranken schlangen sich um seine Beine und seine Stiefel drohten bei jedem Schritt in zähem Schlamm zu versinken. Zunächst verfluchte der Ork den Sumpf nur, doch mit jedem Atemzug, der unter den erdrückenden Baumkronen der Wälder zu einer Tortur wurde, verwandelte sich sein Hass langsam in Angst. Die Bewohner von Eydar und Khaanor hatten die Düstermarsch immer gemieden. Schon lange bevor Loronk und die Schmuggler hier ihr Unwesen getrieben hatten, waren in den Sümpfen immer wieder Leute zu Tode gekommen, und Yarshuk wurde schmerzlich bewusst, dass die Furcht der Bevölkerung vor diesem Landstrich ihre Berechtigung hatte. Das modrig grüne Dickicht, das den Ork umgab, erwachte zum Leben. Jedes kleine Geräusch, jedes Rascheln im Blätterwerk, jedes Knacken eines Zweigs schien plötzlich von einer unsichtbaren Bedrohung auszugehen. Yarshuk blickte in aufkeimender Panik gehetzt um sich. Im Unterholz bewegten sich lange, behaarte Körper und das Zirpen und Surren der Insekten wurde von einem schauerlichen Heulen ertönt, das aus weiter Ferne durch die feuchte Luft schnitt. Kopflos brach Yarshuk durch die Büsche. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißperlen, die ihren Ursprung gleichermaßen in seiner Anstrengung und seiner Angst hatten. Die Bäume schienen näher zu rücken und selbst das Rauschen des Blätterdachs wirkte auf einmal düster und bedrohlich. Yarshuk hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und ehe er sich versah, ging er in den Laufschritt über und zermalmte Zweige und Äste unter seinen schweren Stiefeln. Der Ork fürchtete schon, sich hoffnungslos verlaufen zu haben und niemals wieder aus dem Sumpf herauszufinden, als die alte Verbindungsstraße zwischen Eydar und Khaanor vor ihm auftauchte. Wie eine leblose Schlange von hellbrauner Farbe wand sie sich durch das Dickicht. Sie war kaum mehr, als ein breiter, ausgetretener Trampelpfad, aber für Yarshuk kam sie der Rettung seines Lebens gleich. Erleichtert stöhnte er auf und betrat den Weg. Fast augenblicklich fühlte sich der Ork wieder besser und blieb kurz stehen, um die Augen zu schließen, zu Atem zu kommen und sein wie wild pochendes Herz zu beruhigen. Er wusste nicht, wie viel Zeit ihn seine planlose Flucht durch die Sümpfe gekostet hatte, aber nun, da er die Straße gefunden hatte, würde er Eydar bald erreicht haben. Auf dem festgetretenen Schlamm, der den Pfad bedeckte, lief es sich deutlich leichter als auf dem schmierigen Morast und dem von Schlingpflanzen überwucherten Boden in der Wildnis der Düstermarsch. Der Wald wirkte wieder weniger bedrohlich, aber die Luft unter den Bäumen war noch immer so dick und würzig, dass Yarshuk bei jedem Atemzug würgen musste. Dennoch hatte er den Weg gefunden und würde sich nicht in den Sümpfen verlaufen. Yarshuks Zuversicht kehrte zurück und auf seine blassen Lippen schlich sich ein erschöpftes Lächeln. Seine Schritte waren energisch und brachten ihn rasch voran. Und es dauerte gar nicht lange, bis sich die Front aus Blättern hoch über seinem Kopf lichtete und durch die Baumwipfel breite Lichtstrahlen fielen, in denen Myriaden von Staubkörnchen schwebten. Yarshuks Körper wurde von neuer Kraft erfüllt und er beschleunigte seine Schritte. Die erdrückende Düsternis der Sümpfe wurde allmählich vertrieben und schließlich erkannte der Ork zwischen den mächtigen Stämmen der Bäume die Stadtmauer von Eydar. Sein Herz machte vor Erleichterung einen Sprung. Auf einmal fühlten sich seine Gliedmaßen wieder leicht und stark an. Yarshuk lief schneller und schneller auf die immer breiter werdende Bresche zwischen den Bäumen zu. Und als er aus dem Wald trat, schnappte er mit einem gierigen Atemzug nach frischer Luft. Die Soldaten am Tor bemerkten ihn sofort. Erleichtert nahm Yarshuk zur Kenntnis, dass die Wachen zu Loronks Bataillon gehörten. Allem Anschein nach hatte er es rechtzeitig nach Eydar geschafft und der Brigadegeneral hielt die Fäden noch fest in der Hand. Doch als sich Yarshuk dem Stadttor näherte, wurden die Soldaten unruhig. Natürlich waren sie eingeweiht und wussten, dass der Ork bei den Banditen in der Mine bleiben sollte. Sein Auftauchen konnte nur bedeuten, dass etwas Unvorhergesehenes geschehen war. „Fähnrich!“, rief einer der beiden Wachmänner und hob sorgenvoll die Augenbrauen. „Was tut Ihr hier?“ „Ich muss sofort zu Brigadegeneral Loronk!“, knurrte Yarshuk und stützte sich gegen einen Stützpfeiler des Stadttors, um nach Atem zu ringen. „Und zwar ungesehen! Der Orden darf nicht erfahren, dass ich zurück bin.“ Ungefragt nahm er einem der Soldaten den Helm ab und setzte ihn sich selbst auf den Kopf. Diese Verkleidung war zwar nicht besonders effektiv, aber Yarshuk hoffte trotzdem, dass man ihn nicht erkannte, bis er vor Loronk stand. Immerhin verdeckten die Wangenstücke des Helms seine vorstehenden Eckzähne. Wenn man nicht auf den ersten Blick erkannte, dass er ein Ork war, hatte er bereits viel gewonnen. „Bringt mich sofort zu ihm!“, befahl er den beiden Wachmännern ungeduldig. Die Soldaten nickten hastig und ließen das Tor öffnen. Yarshuk betrat die Stadt und sah sich verstohlen um. Loronk hatte vermutlich dafür gesorgt, dass die Mitglieder des Ordens nicht mehr besonders präsent waren, aber niemand konnte mit Sicherheit sagen, dass Lexa die einzige verdeckte Agentin der Goldenden Falken war. „Flankiert mich!“, raunte er den beiden Wachmännern zu. Die Soldaten taten, wie ihnen geheißen, und nahmen den Ork in ihre Mitte. Yarshuk senkte den Kopf und verbarg die grünliche Haut seiner Arme so gut es ging zwischen den Körpern der Männer. Und tatsächlich gelangten sie unbehelligt bis zum Haupthaus des Ordens, in dem der Brigadegeneral seine Gemächer hatte. Yarshuk wusste, dass die Durchquerung des Gebäudetrakts besonders knifflig war, denn hier konnte er jederzeit einem Mitglied der Goldenen Falken begegnen. Und die langen Flure boten keinerlei Gelegenheiten, sich auf die Schnelle zu verstecken. Angespannt ließ er sich von den Soldaten durch das Hauptquartier geleiten. Der Ork hielt die Luft an, als sie den Gang kreuzten, der zu Syndus‘ Amtskammer führte, doch keiner der Falken ließ sich blicken. Yarshuk atmete auf und stand wenige Schritte später vor der Tür zu Loronks Gemächern. Die beiden Soldaten, die Wache hielten, wirkten nicht minder überrascht, als diejenigen, die den Ork begleitet hatten. Yarshuk zögerte kurz. „Seht zu, dass alle Zugänge zur Stadt gesichert sind!“, wies er die beiden Torwachen an. „Niemand betritt dieses Gebäude, bis Loronk etwas anderes sagt, habt Ihr verstanden?“ Die Soldaten salutierten zaghaft. Yarshuk nahm den Helm ab und setzte ihn seinem Besitzer zurück auf den Kopf. „Dann dürft Ihr jetzt wegtreten“, knurrte er und wandte sich an die Männer, die vor Loronks Tür Wache hielten. „Und Ihr lasst mich durch!“ „Der Brigadegeneral empfängt keine Besucher“, erwiderte einer der Soldaten pflichtbewusst, aber sichtlich verunsichert. „Mich schon“, grollte Yarshuk und drängte sich an den beiden Wachmännern vorbei. Loronk saß an seinem mächtigen Schreibtisch und zählte die Goldmünzen in einer Lederbörse. Es hatte sich als ausgesprochen glückliche Fügung erwiesen, als Mola und ihre Spießgesellen ihm und seinem Trupp in die Arme gelaufen waren. Sein Einstieg in den Schmuggel war unter der Drohung von ernsthaften Konsequenzen ohne Probleme vonstattengegangen. Natürlich hatte er Mola einschärfen müssen, sich künftig vorsichtiger zu verhalten, und bislang hatte sich die Dunkelelfe keinen Fehler erlaubt. Den Gewinn, den er durch den Schmuggel erwirtschaftete, übertraf seine kühnsten Erwartungen, und niemand in Eydar ahnte etwas davon. Aulus‘ Flucht stellte lediglich ein kleines Problem dar. Loronk hatte den schmutzigen Dunkelelfen sofort damit beauftragt, Aulus aus dem Weg zu räumen. Selbst wenn er versagte und Aulus es wagen sollte, jemandem von Loronks Verstrickungen in den Schmuggel zu erzählen, hatte er keine stichhaltigen Beweise, um Loronk ernsthaft zu gefährden. Er wusste noch nicht einmal, wo sich die Mine befand. Loronk schwelgte in Träumereien, als plötzlich und ohne Vorwarnung die Tür aufflog. Der Brigadegeneral wollte sich schon wütend aufrichten und den ungebetenen Gast nach allen Regeln der Kunst zurechtstutzen, doch als er in das abgekämpfte Gesicht seines Fähnrichs blickte, blieben ihm seine zornigen Worte im Hals stecken. Für einen kurzen Moment spiegelte sich in seinen dunklen Augen Fassungslosigkeit und Verblüffung, doch dann hatte er seine Gesichtszüge wieder zurück in seiner Gewalt und seine Mine verfinsterte sich. „Fähnrich“, knurrte er drohend. „Was hat das zu bedeuten?“ Yarshuk schloss die Tür hinter sich und senkte schuldbewusst den Kopf. „Ich bedaure zutiefst, Euch enttäuschen zu müssen, Brigadegeneral“, sagte er niedergeschlagen. „Aber es gibt schwerwiegende Probleme. Die Mine wurde entdeckt und gestürmt! Die Sklaven haben sich befreit und die Schmuggler sind entweder tot oder gefangen.“ „Unmöglich!“, donnerte Loronk und schlug mit beiden Fäusten auf seinen Tisch. „Ich habe die Soldaten hier fest im Griff. Haben etwa doch die Truppen aus Khaanor eingegriffen?“ Yarshuk schüttelte heftig den Kopf. „Nein, es waren Gancielle und Lexa“, antwortete er. „Nur die Götter wissen, wie sie die Mine entdecken konnten, aber sie haben die Schmuggler mithilfe der Sklaven überwältigt.“ „Gancielle…“, grollte Loronk und presste die Lippen aufeinander, bis sie weiß wurden. „Ich dachte, ich hätte diesen nervtötenden Unruhestifter endgültig aus dem Verkehr gezogen. Es war wohl ein Fehler, seine Bestrafung Syndus zu überlassen. Ich hätte ihn direkt festnehmen lassen sollen. Aber wie kann das sein? Wie können Gancielle, Lexa und ein paar ausgehungerter Sklaven siebzig bewaffnete Banditen bezwingen?“ „Es waren nicht mehr so viele Schmuggler anwesend“, gab Yarshuk kleinlaut zurück. „Fjedor hat die Mine gestern Nacht mit etwa der Hälfte seiner Leute verlassen.“ Es fiel Loronk schwer, seinen Zorn in Zaum zu halten. Seine Nasenflügel weiteten sich bei jedem Atemzug und seine rotgeäderten Augen starrten Yarshuk an, als sei er allein schuld an der Misere. „Warum habt Ihr mich nicht sofort informiert, Fähnrich?“, fragte er leise, aber drohend. „Mir waren die Hände gebunden!“, verteidigte sich Yarshuk. „Gilroy ist verschwunden, vermutlich ist er Fjedor gefolgt. Ich konnte Euch keine Nachricht überbringen lassen.“ „Fjedor…“, knurrte Loronk und griff nach einer brennenden Kerze, die er in seiner Faust zerquetschte. Den brennenden Docht erstickte er zwischen seinen fleischigen Fingern. „Was fällt dieser Ausgeburt einer Sumpfspinne ein, einen solchen Alleingang zu unternehmen?“ „Es war Brynnes Idee“, rief Yarshuk hastig. „Er hat Fjedor um Hilfe gebeten. Offensichtlich plant er einen Überfall auf den Wolkentempel.“ Loronk stierte mit blutunterlaufenen Augen vor sich hin. „Der Wolkentempel…“, wiederholte er leise. Dann stand er ruckartig auf. „Noch ist nicht alles verloren. Aber wir müssen sofort etwas unternehmen! Wenn Syndus davon Wind bekommt, sind wir geliefert.“ „Ich habe die Wachen bereits angewiesen, die Zugänge zur Stadt zu bewachen und niemanden in das Haupthaus zu lassen“, verkündete Yarshuk. „Das ist gut“, knurrte Loronk. „Aber wenn Gancielle und Lexa damit rechnen und nicht nach Eydar zurückkehren, sondern in Khaanor Alarm schlagen, haben wir ein Problem.“ „Was sollen wir tun?“, fragte Yarshuk hilflos. „Wir knöpfen uns Syndus vor“, erwiderte Loronk entschlossen. „Und wenn wir hier in Eydar alles unter Kontrolle haben, suchen wir alles zusammen, was der Schmuggel abgeworfen hat, und machen uns aus dem Staub.“ In diesem Augenblick öffnete sich die Tür erneut. Yarshuk hob sofort seine Streitaxt. Loronks Gesicht wurde leichenblass, als ein ganzer Trupp Soldaten in seiner Kammer einmarschierte. Angeführt wurden sie von Syndus, Adria und Bragi. Die Mitglieder der Falken waren in voller Stärke erschienen. Nur Lexa fehlte, aber Loronk wusste sofort, dass die Späherin es geschafft hatte, Syndus Bericht zu erstatten. Der Brigadegeneral kämpfte darum, nicht die Fassung zu verlieren. „Meister Syndus“, rief er und rang sich ein gequältes Lächeln ab, das die Schweißperlen auf seiner Stirn aber nicht übertünchen konnte. „Was verschafft mir die Ehre dieses unerwarteten Besuchs.“ „Spart Euch das Gehabe, Loronk!“, erwiderte Syndus. Sein selbstgefälliges Schmunzeln ließ Loronk mit den Zähnen knirschen. Er war so kurz davor gewesen, den Alten zu brechen. Er hatte ihm das Lächeln aus dem Gesicht gewischt und seine Haare grau werden lassen. Doch nun hatte sich das Blatt gewendet. „Wie ich sehe, habt Ihr Euren verlorengeglaubten Fähnrich wiedergefunden“, fuhr Syndus triumphierend fort und streifte Yarshuk mit einem abschätzigen Blick. „Nun, es wird Euch sicherlich freuen, dass Ihr von diesem Tag an nie wieder voneinander getrennt sein werdet. Auf Euch und Euren treuen Diener wartet eine dunkle Zelle. Hiermit enthebe ich Euch Eures Ranges und verhafte Euch!“ Die Adern an Loronks Schläfen traten hervor. Er hatte verloren. Aber der Ork war noch nie gut darin gewesen, zu erkennen, wann es keinen Ausweg mehr gab. „Ach, und mit welcher Begründung?“, fragte er, doch seine gespielte Selbstsicherheit konnte niemanden täuschen. „Wenn Ihr wollt, können wir diese Frage gerne an Farniel und Vox weiterreichen“, erwiderte Syndus ungerührt. „Ich denke, Ihre Worte werden Euer Gedächtnis rasch auffrischen.“ „Verhaltet Euch einfach ruhig, dann nimmt das hier kein böses Ende“, fügte Bragi hinzu. Die Soldaten hinter ihm bewegten sich und ihre Rüstungen klirrten. „Und Ihr lasst sofort Eure Waffe fallen, Fähnrich!“, befahl Adria scharf und deutete anklagend auf Yarshuk. Der Ork blickte zitternd zu Loronk, dessen Gesicht zu einer blutleeren Maske aus Stein erstarrt war. Für einige quälend lange Augenblicke zuckte er nicht einmal mit der Wimper, doch dann nickte er seinem Fähnrich grimmig zu. Yarshuk verstand den Wink seines Generals sofort. Ungeachtet der bewaffneten Soldaten schwang er seine Axt hoch über dem Kopf und stürzte sich mit einem lauten Kriegsschrei auf Adria. Die Assistentin von Meister Syndus war viel schneller. Noch bevor die Soldaten begriffen, was geschah, und nach vorne drängen konnten, um eine Verteidigungsformation zu bilden, zog Adria ihr Kurzschwert aus dem Gürtel und stieß es mit einer flüssigen Bewegung in Yarshuks muskulöse Brust. Der Fähnrich erstarrte in seiner Bewegung und als die junge Frau die Klinge mit einem Ruck aus seinem Körper zog und das Blut sich über seinen Oberkörper ergoss, taumelte Yarshuk mit einem Ausdruck der Verblüffung auf dem Gesicht ein paar Schritte zurück und brach zusammen. Den zweiten Ork konnte Adria allerdings nicht aufhalten. Loronk setzte mit einem gewaltigen Sprung über seinen Schreibtisch, packte die Agentin beim Handgelenk und löste ihr gewaltsam das blutige Schwert aus den Fingern. Ohne seinen sterbenden Fähnrich eines Blickes zu würdigen, umschlang er Adrias Schultern mit seinem muskulösen Arm und hielt ihr ihre eigene Klinge an die Kehle. Mordlustig funkelte der Brigadegeneral die Anwesenden an, die das Geschehen entsetzt verfolgt hatten, während Yarshuk gurgelnd einen Schwall Blut ausspuckte und sich dann nicht mehr rührte. „So“, knurrte Loronk drohend. „Und jetzt tut ihr alle genau das, was ich sage, sonst lüfte ich der Kleinen hier die Speiseröhre.“ Die Soldaten richteten ihre Schwerter auf den Ork, doch Syndus gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt. Obwohl das blutige Schwert gegen ihre Kehle drückte, wirkte Adria ganz und gar nicht eingeschüchtert. Sie wand sich im Griff des Orks, allerdings ohne sich befreien zu können. „Nehmt Eure dreckigen Finger weg!“, schrie sie, doch Loronk lachte nur heiser und drückte ihr die Klinge noch fester gegen den Hals. Mit Genugtuung stellte der Ork fest, dass Syndus‘ Gesicht aschfahl geworden war. Der Alte war viel zu leicht aus dem Konzept zu bringen. „Um Solas Willen, Adria, bitte bleibt ruhig“, mahnte er seine Schülerin voller Besorgnis und wandte sich an Loronk. Seine hasserfüllten Blicke störten den Ork nicht im Geringsten. „Was verlangt Ihr?“ „Lasst meine Wachen zu mir durch“, forderte Loronk mit rauer Stimme. „Und dann macht ihr Platz und lasst mich gehen, verstanden?“ Syndus nickte bedrückt. Die Soldaten traten zur Seite und sofort stellten sich die beiden Männer, die vor der Tür Wache gehalten hatten, schützend neben ihren General. Sie richteten ihre gezückten Schwerter auf Syndus‘ Soldaten, die zwar deutlich in der Überzahl waren, aber sich den Befehlen des Orks aufgrund der Geisel in dessen Händen nicht widersetzen konnten. Langsam und rückwärtsgehend schob sich Loronk aus seiner Kammer, das Schwert noch immer an Adrias Kehle gepresst. Die junge Frau schien die einzige zu sein, die sich nicht um ihr Leben sorgte. Ihr Gesicht war hochrot vor Zorn und immer wieder zappelte sie im Griff des Orks. Syndus und Bragi rückten mit ihren Soldaten langsam nach, während sich Loronk mit seinen beiden Wachen immer weiter entfernte. In dieser Konstellation bewegten sie sich durch das Hauptquartier des Ordens, verließen den Gebäudetrakt und traten auf die Straßen von Eydar. Sofort wurden die ersten Passanten auf die Geiselnahme aufmerksam und fanden sich zu schaulustigen Gruppen am Wegesrand zusammen. Doch nicht nur Zivilisten bemerkten die angespannte Situation, auch einige Soldaten aus Loronks Bataillon entging nicht, dass ihr Befehlshaber in der Klemme steckte. Nach und nach, wenn auch zögerlich, scharten sie sich um den Ork und stellten sich schützend vor ihn. Bald waren Loronks Untergebene ebenso zahlreich vertreten, wie die Soldaten auf der Seite des Ordens. Syndus schlug in Anbetracht ihres blinden Gehorsams die Hände vor das eingefallene Gesicht. „Bei allen Göttern, wollt Ihr Euch nun endgültig unglücklich machen?“, rief er entsetzt. „Euer Brigadegeneral ist ein gewissenloses Scheusal! Seid Ihr nicht schon tief genug in seine Machenschaften verstrickt? Lasst die Waffen sinken, dann werde ich Gnade vor Recht ergehen lassen!“ „Halt die Schnauze!“, fuhr Loronk den Alten an. Lauernd wägte er ab, ob er seinen Soldaten den Befehl zum Angriff geben sollte, doch er entschied sich dagegen. Die Folgen einer solchen Auseinandersetzung waren nicht vorherzusehen und der Ork entschied sich, sich weiterhin darauf zu verlassen, dass er eine Geisel hatte. Schräg hinter sich hörte er ein leises Wiehern und als er den Kopf drehte, bemerkte er, dass er sich fast auf Höhe der Stallungen befand. Syndus hob beschwichtigend die Hände, aber die Angst um seine Assistentin ließ seine Finger zittern. „Bitte“, sagte er so ruhig es ihm seine bebende Stimme ermöglichte. „Euer Fähnrich ist bereits gestorben. Ergebt Euch und wir können diese Angelegenheit friedlich bereinigen. Ich habe nicht die Absicht, in meiner Stadt ein Blutbad anzuzetteln.“ „Und ich habe nichts mehr zu verlieren!“, brüllte Loronk heiser. Er schlang seinen Arm noch enger um Adrias Oberkörper und die junge Frau schnappte erschrocken nach Luft. Syndus ließ die blutbesudelte Klinge an ihrer Kehle nicht aus den Augen. Der Ork stand mit dem Rücken zur Wand und war gefährlicher denn je. Der alte Ordensmeister wusste, dass der geringste Anlass ausreichend war, um Loronks angespanntes Nervenkostüm zu zerreißen. Bei einer falschen Bewegung war Adria augenblicklich tot. „Was wollt Ihr?“, fragte Syndus mit belegter Stimme. „Öffnet das Tor!“, forderte Loronk und blickte wie ein gehetztes Tier um sich. „Und bringt mir ein Pferd!“ „Pfeift Eure Leute zurück“, erwiderte Syndus. „Ihr sollt mir ein Pferd bringen!“, brüllte Loronk und drückte das Schwert so fest an Adrias Kehle, dass es die dünne Haut aufschnitt und ein schmales Rinnsal Blut an ihrem Hals hinabsickerte. Hastig leistete Syndus seinen Forderungen Folge. „Schnell, ein Pferd!“, rief er voller Sorge und winkte Darva zu sich heran. Die Stallmeisterin band ohne sichtbare Eile einen kräftigen Rappen los und führte ihn auf die Straße. Loronk nahm das Schwert in die andere Hand, sobald er das Schnauben des Pferdes neben sich hörte, und griff nach den Zügeln. „Und jetzt das Tor“, grollte er drohend. Wie auf Kommando drehte sich die Kurbel unter lautem Ächzen und Stöhnen. Das dicke Tau wickelte sich langsam auf und die Torflügel öffneten sich knarrend. „Ihr habt alles, was Ihr wolltet“, sagte Syndus und legte flehend die Handflächen aneinander. „Bitte lasst Adria gehen!“ In Loronks Augen funkelte verzweifelter Wahnsinn. Sein Blick glitt zuckend über die Reihen seiner Soldaten, die Syndus‘ Gefolge noch immer mit blanken Schwertern gegenüberstanden. „In Ordnung…“, grollte er leise. „Ich lasse sie gehen.“ Er nahm den Arm weg, mit dem er Adria festgehalten hatte, und gab sie frei. Doch noch bevor Syndus erleichtert aufatmen konnte, holte der Ork blitzschnell aus und rammte der jungen Frau das Kurzschwert zwischen die Schulterblätter. Der alte Ordensmeister schrie auf vor Entsetzen, als sich die Augen seiner Assistentin vor Schmerz und Unglauben weiteten. Der grausame Stoß in den Rücken ließ sie vorwärts stolpern. Sie drohte zu stürzen, doch Syndus lief ihr eilig entgegen und fing sie auf, noch bevor sie zusammenbrach. Loronk achtete gar nicht darauf, was sein hinterhältiger Angriff bewirkte. Er schwang sich auf den Rappen, gab ihm die Sporen und preschte auf seinem Rücken durch das Tor. Er hinterließ eine Staubwolke und einen Trupp aufgebrachter Soldaten, für die es nun kein Halten mehr gab. Mit lautem Wutgeheul stürzten sie sich auf Loronks Untergebene, doch deren Kampfgeist war gebrochen. Als sie begriffen, dass ihr Befehlshaber sie ihrem Schicksal überließ, warfen sie ihre Waffen weg und rannten davon. Auf ihrer Flucht behinderten sie sich gegenseitig, traten und schlugen um sich und stießen ihre Kameraden achtlos zur Seite. Es ging jedem nur noch um die eigene Haut. Einige entkamen durch das Tor und flüchteten in die Düstermarsch, aber die meisten wurden noch innerhalb der Stadtgrenze gestellt und niedergerungen. Doch Adria konnte das nicht mehr retten. In den Armen ihres Meisters rang sie röchelnd nach Luft und wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt. Ihre Fingernägel bohrten sich in den grobmaschigen Stoff von Syndus‘ Robe. „Holt einen Heiler!“, schrie der Alte verzweifelt, obwohl er wusste, dass es zu spät war. Das Schwert ragte aus Adrias Rücken und das Blut floss unaufhaltsam aus der Wunde. Die junge Frau öffnete mehrmals tonlos den Mund, doch schließlich stieß sie ein paar Worte hervor. „Meine…meine Beförderung…“ Syndus verschwamm das Bild vor den Augen. „Ihr sollt sie bekommen“, erwiderte er mit brüchiger Stimme. „Nie hat sich jemand eine Beförderung mehr verdient.“ Adria schien zufrieden. Das Zittern ihres Körpers erstarb und sie ließ den Ärmel ihres Meisters los. Ihre Lippen formten ein schwaches Lächeln, dann füllte sich ihr Mundwinkel mit Blut und ihr Kopf kippte zur Seite. Und Meister Syndus konnte seinen Kummer nicht länger zurückholen. Hemmungslos ließ er den Tränen freien Lauf und heulte auf wie ein verwundeter Wolf. Hoch über ihm brauten sich dichte Wolken zusammen und verdunkelten die Sonne, als würde selbst der Himmel um Adria trauern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)